Wut, Angst, Ersticken

27.4.2004 – Das Gefühl, erdrosselt zu werden

Ich habe Angst, das hier auf zuschreiben, weil ich Angst habe, dass ich wieder die Hände am Hals spüre und keine Luft mehr bekommen werde. Gestern nach dem Einzel wollte ich schon schreiben, hatte aber Angst davor und es ging mir einfach zu schlecht, dabei hatte ich es mir vorgenommen und wenn ich mir etwas vornehme, dann tue ich es auch.

Es ist jetzt 10.50 Uhr ich komme gerade aus dem heutigen Einzel und ich frage mich gar nicht, ob es mir gut genug geht, um zu schreiben. Ich muss jetzt einfach schreiben. Es kann so nicht weitergehen. Ich kann nicht mehr, ich habe das Gefühl durchzudrehen und mein Kopf zerspringt mir. Nur wenn ich jetzt merke, ich will das aufschreiben, fängt das schon wieder an. Ich spüre die Hände, die mir den Hals zudrücken und kämpfe um Luft und huste und heule. Ich habe schreckliche Angst zu ersticken und doch schaffe ich es noch, mir zu sagen, dass dies nicht passieren kann, sondern das dies alles nur im Kopf abläuft und dass da niemand ist, der seine Hände um meinen Hals legt und zudrückt, so dass ich keine Luft mehr bekomme.

In der Nacht von Sonntag zum Montag wurde ich wieder geweckt, weil ich geschrieen und gejammert und dann keine Luft mehr bekommen habe und nur noch hustete und hustete, um den Hals freizubekommen und Luft zu bekommen.

Es war wieder so eine Szene, die viele, viele Male passiert ist. Es fing damit an, dass Opa mich wieder einmal (das war mit einer meiner ersten FB) mit der Kerze quälte. Erst die Kerze brennen lassen und dann so heiß und mit dem flüssigen Wachs bei mir unten hineinstecken. Ich durfte nicht schreien und wenn ich es nicht aushielt und doch schrie, dann drückte er mir entweder mit den Händen den Hals zu oder drückte mir das Kopfkissen auf mein Gesicht, so dass ich keine Luft mehr bekam. Ich habe wirklich mit aller Kraft versucht, nicht zu schreien, die Zähne zusammenzubeißen und es auszuhalten bis es nachlässt. Aber es tat zu weh und ich konnte es meist nicht aushalten und dann wurde er böse und drückte mir die Luft einfach ab. Es war schrecklich. Ich versuchte sogar einmal seine Arme wegzunehmen von meinem Hals, da schlug er mich und machte weiter, beim nächsten Mal band er mir die Hände fest und ich konnte nichts mehr tun. Manchmal wurde ich ohnmächtig und das war gut. Aber wenn das nicht der Fall war, dann habe ich mich lange gequält, um wieder richtig Luft zu bekommen und hatte schreckliche Angst vor meinem Opa. Der hat immer gelacht und gesagt, ich bin selber Schuld, ich musste ja nur still sein und still halten, dann passiert gar nichts. Aber es tat doch so schrecklich weh, sonst hätte ich nicht geschrien.

Ich kann doch jetzt nicht wieder mit der alten Geschichte anfangen, ich habe doch schon darüber gesprochen und es war doch der FB, den ich immer und immer wieder erleben musste, der mich nachts immer wieder schreien lässt und von dem ich die fürchterlichen Schmerzen im Unterleib habe. Ich sage da gar nichts darüber. Warum? Weil es doch bloß im Kopf abläuft und die Schmerzen auch nur vom Kopf her sind und weil ich mich schäme, zu sagen, dass ich da unten Schmerzen habe. Ich brauche es auch nicht zu sagen, weil da ja alles in Ordnung ist. Aber ich habe diese Schmerzen und ich habe die Angst erwürgt zu werden. Und ich habe Angst, nachts zu schlafen, weil ich Angst habe einen Albtraum oder FB zu bekommen.

Ich bin wütend darüber, dass dieses Muster immer noch so greifen und mich packen kann, obwohl ich ja weiß, es ist jetzt und nicht damals. Ich weiß das und trotzdem spüre ich die Hände am Hals und glaube, zu ersticken und kriege Panik. Darüber bin ich wütend und durch die Wut wird dann wiederum diese Würgesituation in meinen Kopf ausgelöst. Das passiert bei allem, wenn ich mal wütend werde, dann bekomme ich auf einmal keine Luft mehr. Dann stehe ich nur noch da schnappe nach Luft und heule vor Angst. Ich weiß, das ist total idiotisch, weil eben da keiner ist, der mich erwürgen will. Aber verdammt, ich habe die Hände am Hals und ich kriege keine Luft und mein Kopf zerspringt. Es ist schon viel, wenn man einmal am Tag Angst hat umgebracht zu werden, ich habe diese Angst so oft und seit letzter Woche fast nur. Mir geht es nicht gut und ich heule nur und bin total am Ende, ich habe keine Kraft mehr. Ich kann nicht mehr. Ich muss aber sehen, dass ich auf die Füße komme. Wir wollen doch umziehen. Alles ist zu viel und zu durcheinander. Ich kann mich nicht konzentrieren, nicht koordinieren, bin sofort überfordert und baue nur noch Mist und das bei Sachen, die ich sonst problemlos im Griff hatte.

Ich fühle mich so sehr am Ende, dass ich es gar nicht beschreiben kann und ich bin so müde. Hinlegen und einfach nur schlafen und rings herum nichts mehr hören und sehen, wäre das Beste. Aber ich habe einfach auch Angst mich hinzulegen. Ich kann nicht mehr und weiß nicht mehr, was ich tun kann und soll. Ich will endlich zurecht kommen, endlich zu Hause zurechtkommen, ohne Angst und vor allem wieder so werden, wie ich mal war. Na ja, nicht die sch... Fassade. Ich will wieder ohne Angst mit Leuten umgehen können, ohne Angst, die merken, wie ich bin oder das ich während einer Unterhaltung auf einmal da stehe und heule. So kann ich nicht mehr. Ich kenne mich nicht mehr, das macht mich wütend und wenn ich wütend bin, dann passiert wieder das, was ich oben beschreibe. Ich komme nicht mehr zurecht – habe Angst, mich zu blamieren, Angst wütend zu werden, Angst, weil ich dann gewürgt werde (ich weiß- nur im Kopf) aber all diese Ängste sind da und ich schaffe das nicht, ich habe keine Kraft mehr, fühle mich einfach nur noch kaputt und merke, dass ich das was ich machen muss, nicht schaffen kann.

Wenn ich irgend etwas außer Haus erledigen muss, dann bin ich völlig ängstlich, verunsichert (das war ich nie, so etwas hat mir nie Probleme bereitet, im Gegenteil ich war immer selbstsicher) und nun stehe ich da und habe Angst loszuheulen oder packe es einfach nicht und verschiebe alles bis zuletzt. Ich kenne mich so nicht und ich komme auch damit nicht klar. Das Gefühl, mit jemand locker zu reden, kenne ich nicht mehr, ich bin immer angespannt und das strengt an. Auch jetzt mit den Bekannten (Ute, Anne, Thomas, Willi und Helga ...) ich kann wegen dem Umzug nichts ansprechen, nicht anrufen, nichts absprechen. Ich kenne es nicht, dass jemand geholfen hat und traue dem nicht. Ich habe Angst, zu fragen, ob das mit dem Tapezieren auch klappt, weil Ute und Anne, das tun wollten. Ich merke, ich verhalte mich völlig falsch und ängstlich und die Zeit läuft weg. Ich verstehe mein eigenes Verhalten nicht und das macht mir zu schaffen. Ich habe nur ein Durcheinander vor mir und kann es nicht einmal sortieren. Alles ist mit dieser Angst vermischt und ich habe schlimme Kopfschmerzen und Schluckprobleme und die Angst überlagern alles.

Ich habe immer Angst, mich falsch zu verhalten, und dass jemand merkt, dass ich nicht so bin, wie die denken. Ich kann es nicht richtig erklären, wie es mir geht, das kann man nicht einfach so beschreiben. Die ganze Zeit habe ich versucht, Verstand und Gefühl voneinander zu trennen und nun soll ich es zu lassen und habe die volle Panik deswegen und will es zugleich aber auch schaffen. Es geht mir einfach total schlecht dabei. Ich fühle mich völlig überfordert davon und ärgere mich, wenn es mir nicht gut geht, obwohl es mein Ziel ist, dass es mir besser gehen soll. Ich habe das Gefühl, das passt alles nicht zusammen. In den letzten Tagen geht es mir nicht gut und ich kann gar nicht beschreiben was los ist. Es ist einfach so -ja, im Hintergrund sind schon einige Sachen im Kopf, aber da denke ich, damit muss ich doch fertig sein, oder besser gesagt zurechtkommen.

Ich weiß, dass ich eine Menge aushalte, wenn ich Verstand und Gefühl voneinander trenne. Wenn ich das nicht tue und das soll ich ja lernen, dann habe ich das Gefühl, ich verliere die Kontrolle. Und genau das passiert jetzt zur Zeit, ich finde mich nicht zurecht. Die Gefühle erwischen mich einfach und ich weiß manchmal nicht einmal, was es für ein Gefühl ist, weil ich es nicht kenne und schon gar nicht zuordnen kann, weil das Gefühl allein da ist. Ich habe Angst vor Gefühlen, wie Wut und Aggressionen. Auch, wenn ich das hier schreibe, habe ich immer noch das Gefühl, mein Hals ist nicht frei, etwas drückt drauf, engt ihn ein. Deswegen kann ich keine Kragen, Rollkragen oder halsenge Kleidung tragen.

Ich weiß, dass es mir letztes Jahr wirklich richtig gut ging, nur jetzt, jetzt ist das so weit weg und ich spüre nicht ein wenig davon, dass es wieder so wird. Mein Kopf ist zu, die Kopfschmerzen, die Schmerzen und jetzt noch diese ständige Angst, erwürgt zu werden – wie soll ich da sehen, dass es besser wird. Klar, ich kann offener reden im Einzel, ich dissoziiere nicht mehr und schreie nachts weniger aber es geht mir nicht gut. Ich fühle mich nicht gut. Und ich habe Angst trotz der ganzen Zusicherungen, dass es jetzt nicht mehr lange dauert, bis es wieder so ist. Schwester Resi sagt oft, ich solle mich ablenken, mehr in der Gegenwart sein, weg vom Thema. Ich bin in der Gegenwart, bin weg vom Thema, soweit ich es selbst beeinflussen kann, aber mein Kopf wird nicht besser, der Druck und die Kopfschmerzen sind da, die Schmerzen sind da.

Ich habe das Gefühl, ich kann nicht mehr, kann das alles nicht mehr aushalten und kann nicht einmal beschreiben, was es ist – es ist einfach das, wie es mir geht. Ich muss erst mal damit klarkommen, dass mein Opa alles, was er mir antat, gezielt und planmäßig durchgeführt hat, um mich zu „dressieren.“ Und ich empfinde es als Wahnsinn, dass ich dann noch „mein Opa“ denken kann. Er war doch mein Opa und es ist für mich nicht fassbar vom Gefühl her, es wirft einfach um, macht stumm, lässt mich traurig sein und weinen. Sachlich kapiere ich das und kann auch mit Abstand daraufsehen und erkennen, was da passiert ist und wie er mich parat gemacht hat für das, was er mit mir vorhatte. Ich habe das nicht erkannt, nicht selbst, erst als Sie das sagten. Es ist hart und macht mich wirklich stumm. Was soll ich dazu sagen.

Es ist nur Fassungslosigkeit da und ich merke, dass ich nicht auf die Füße komme. Ich habe Angst vor meinen Gedanken, davor, mir selbst zu sagen: „Das war mein lieber Opa.“ Irgendwo, war er immer noch ein Stück Retter, ein Stück „guter, lieber Opa“. Ich habe heute noch Angst vor ihm und in den letzten Tagen ist mein Hals dauernd zu und ich habe ständig Schluckbeschwerden, sogar, wenn ich nicht wütend bin. Ich fühle mich so schlecht, dass ich es nicht erklären kann. Ich denke nicht an Suizid, nein, aber ich denke auch nicht ans Leben. Ich bin eben nur da und existiere und es wird immer schwerer zu existieren.

Sobald ein Wort von dem anstehenden Umzug fällt, dann habe ich das Gefühl, durchzudrehen. Ich schaffe nichts mehr und kann nicht glauben, jemals wieder besser dran zu sein, obwohl Sie es ständig betonen, dass es danach besser wird.

Gestern bin ich nach dem Abendbrot ins Bett, ich konnte nicht mehr, konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten und habe mich ausgezogen und hingelegt und geschlafen bis 21.30 Uhr dann hatte ich den ersten Albtraum. Ich wurde geweckt und bin wieder fast erstickt, hatte Angst und habe geheult, Tavor genommen und versucht, mich zu beruhigen. Helga kam eine Weile zu mir, setzte sich auf den Boden vor mein Bett und redete mit mir über alles Mögliche und so wurde ich dann wieder ruhig und müde. Als sie ging, schlief ich wieder ein. Irgendwann in der Nacht bekam ich dann solche Angst und bekam keine Luft mehr, da habe ich mich aus Angst geschnitten – und, es wurde besser. Ich ließ mich verbinden und ging wieder schlafen. Morgens nach 3 Uhr wurde ich wieder geweckt, das gleiche, wie am Abend – Albtraum, Schreien, keine Luft, Angst – Tavor. Ich saß eine ganze Zeit im Bett und habe vor Verzweiflung geweint. Ich kann nicht mehr (das klingt, als wolle ich nicht mehr, nein, so ist es nicht), ich kann nicht mehr! Ich fühle mich einfach fertig und am Ende meiner Kräfte und jeder Schritt, ist zu viel. Nun liege ich wirklich auf dem Bett, weil nichts mehr geht. Das war es, was ich nie zugelassen habe. Walken, ich schaffe es nicht, bin zu schlapp dafür. Dabei wäre es so gut, aber ich komme ja schon gar nicht mehr auf die Füße morgens. Ich frage mich, was lässt mich so kaputt sein? Ich tue doch gar nichts, wovon ich körperlich so erschlagen sein kann.

Ich frage mich, wie das weitergehen soll. Nächste Woche Dienstag und heute ist Donnerstag, wollte ich heim, wegen dem Umzug. Das schaffe ich nie. Gestern war Willi da, Helgas Freund, er will beim Umzug helfen und er fing nur an davon zu reden und ich saß da und merkte, dass ich fast am Durchdrehen war und kurz vor dem Heulen. Es war ein Gefühl, das ich eine Weile nicht hatte, es war echt das Gefühl, zu dissoziieren. Ich bin jetzt eine ganze Zeit lang nicht dissoziiert und war froh darüber. Mir selbst war das gar nicht aufgefallen, sondern Herr Dr. S. sagte es im letzten Einzel. Ja, es war mir nicht einmal aufgefallen. Und nun gestern das. Ich hatte mich auch eine Weile nicht mehr geschnitten und war so stolz darauf und habe geglaubt, es jetzt überstanden zu haben und nun, ich versage täglich, gestern sogar zweimal, aus Angst, aus Schmerz. Immer mehr habe ich das Gefühl, rückwärts zu gehen. Alles kommt mir so schwierig vor, alles ist eine einzige Qual und ich heule ständig.

Ich kann auch nicht fassen, dass es so ist, wie ich es jetzt erkennen muss. Ich meine, wie mein eigener Opa mich benutzt hat, was er alles mit mir getan hat, damit ich schweige. Wie soll ich das begreifen, wie soll ich damit umgehen, das verstehen. Ich weiß nicht, was ich bin, ich weiß nur noch, wie ich mich fühle und das ist so, dass ich es nicht einmal richtig definieren kann. Enttäuscht, traurig, verletzt, verraten, schmutzig, allein und hilflos, wütend? Ängstlich. Ängstlich, dass wirklich anzunehmen und zu erkennen, wie das alles damals war. Wer und was ich war. Wofür ich da war. Wer für mich da war und für wen ich da war. Ich kann nicht daran denken, ohne mich dagegen zu sträuben, zu denken: „Nein, das war ich nicht, das ist mir nicht passiert, das will ich nicht sein. Ich wünsche es mir anders. Das ist zu schlimm, um es aushalten zu können. Ich kann es nicht aushalten und wer kann so etwas aushalten?“

Ich merke nicht, dass ich jetzt über 50 Jahre alt bin, ich merke gar nicht, wie alt ich bin, da ist nur etwas da, das ich sein soll und das dass alles aushalten soll und einfach nicht mehr kann. Ich will mich nicht umbringen, nein, das ist vorbei. Es kommt mir aber vor, als hätte ich keine Kraft mehr zu leben. Ausgelaugt, kraftlos, verzweifelt und traurig. Einfach nur traurig über das alles, was mich ausmacht, was ich sein soll, wer ich sein soll. Die Nächte, der grausame Schmerz, die Angst zu schreien und die Angst, zu Ersticken. Ich halte es nicht mehr aus. Das bin ich zur Zeit, das macht mich zur Zeit aus.

Warum ich das geschrieben habe? Weil ich es nicht so erklären kann und gar nicht den Mut habe, es so zu erklären, denn meist versuche ich alles als aushaltbar hinzustellen oder nicht so schlimm. Aber ich möchte, dass Sie wissen, wie es mir geht, wie verzweifelt und kaputt ich bin. Ich möchte Hilfe und weiß doch, es gibt da keine Hilfe, ich muss es schaffen und kann froh sein, dass ich hier sein kann und nicht allein da stehe damit.

29.04.2004

Ich habe das alles Herrn Dr. S. lesen lassen, um zu erklären, wie schlecht ich mich fühle und wie machtlos ich mich fühle, etwas daran zu ändern auch, wenn ich es noch so gern möchte.

Ich fühle mich heute nach dem Einzel noch schlechter, weil auf einmal alles zusammengehört und es nicht nur dieser oder jener war, zu dem mein Opa mich gebracht hat. Nein, es war alles ein einziges Ganzes, nichts Zufälliges. Mein Opa war der Boss und er hat mich verkauft, an jeden der mich wollte, egal wozu, egal wie der mit mir umging, egal, was er mir antat. Er war sogar meist dabei oder im Haus und hat mich wieder mitgenommen und zu Hause abgeliefert, wenn der „Auftrag“ erledigt war. Ich kann das nicht begreifen, es geht mir über den Verstand. Es macht mich einfach sprachlos, das alles. Alles was ich in den letzten Jahren während meiner Therapie so nach und nach versucht habe zu verkraften, zu verarbeiten und wieder zu verdrängen, als gehöre es nicht zu mir, als wäre es nicht mir passiert, sondern nur dem kleinen Mädchen, das ich einmal war und von dem ich so meilenweit entfernt bin, dass ich es immer noch hassen kann und mich für sie schäme.

Es wäre mir nicht passiert, hätte es meinen Opa nicht gegeben. Jetzt kann ich da nichts mehr sortieren, trennen, wegstecken und so tun als wäre es nicht mir passiert. Es ist mir, mir als ich klein war passiert und mein Opa, den ich gern hatte, ist dafür verantwortlich.

Begreife das mal, dass alles sein Geschäft war, sein böses Spiel mit meinem Körper, mit mir als ich 3 Jahre und bis ich 13 Jahre alt war. Alles gehört jetzt zusammen und alles ist so deutlich da, obwohl ich es, so einzeln, wie es auftauchte, wieder verdrängt habe und versucht habe, es zu vergessen und so zu tun, als sei die Welt doch heile. Sie ist genauso wenig heile, wie mein Arm, den ich mir gerade vor Schmerz und um dies, was ich jetzt weiß, zu verkraften, zerschnitten habe. Es hat mich etwas beruhigt, so dass ich jetzt hier sitzen kann und schreiben. Es ist für mich einfach unfassbar, unbegreiflich und ich habe keine Tränen mehr, um zu weinen. Ich habe heute soviel geweint. Warum? Weil mir das alles passiert ist und weil es mein Opa war, der mir das angetan hat bzw. hat antun lassen. Alles ist da, was er mir angetan hat, zuerst die Quälerei mit den Kerzen, die er mir brennend unten rein gesteckt hat und ich durfte nicht schreien, danach hat er es getan und ich durfte nicht schreien. Es tat so fürchterlich weh und ich konnte nichts dagegen tun, nur schreien und da bekam ich seine Hände am Hals zu spüren, er drückte zu und ich erstickte fast oder er drückte mir das Kopfkissen einfach auf mein Gesicht, bis ich keine Luft mehr bekam. Oft war ich ohnmächtig und wurde durch Ohrfeigen wieder wach.

Ich biss immer die Zähne so sehr zusammen, um nicht zu schreien, weil ich Angst hatte erwürgt zu werden, obwohl er mich verbrannt hat, hat er es dann noch getan. Danach, wenn es vorbei war und ich geweint habe vor Angst und vor Schmerzen, dann hat er mich auf seinen Schoß genommen, gestreichelt, getröstet und beruhigt, so als hätte er das nicht getan, sondern ein Anderer. Er hat mich doch lieb.

Später kam die Pistole dazu, alles haben sie mit mir getan und immer mit dieser Pistole in der Hand. Ich bekam sie an den Kopf, auf die Augen, in den Mund und auch unten rein gesteckt und abgedrückt. Jedes Mal diese schreckliche Angst. Alles haben sie mir beigebracht, alles musste ich aushalten, durfte nur schreien, wenn es erwünscht war. Meistens musste ich still sein, damit keiner was hören kann. Wenn ich daran denke, wie ich immer festgebunden war an Händen und Füßen und jeder mich benutzen konnte, wie er wollte und mir weh tun konnte, wie er wollte. Ein Lappen im Mund – kein Ton. Ein Penis im Mund – kein Ton. Schläge, eingesperrt, gewürgt, mit umbringen gedroht. Männer und Frauen, denen ich Freude machen musste. Männer und Frauen, die mich quälen konnten. Hunde, die man auf mich drauf ließ und mich so vor vielen Leuten vorführte. Ich schämte mich so sehr und hoffte so sehr, Einer, wenigstens Einer wird mir helfen. Keiner dachte daran. Es ist das Schlimmste, was ich erlebt habe und ich wollte es immer alles schnell wieder vergessen, weil ich mich schämte, mich vor mir selbst ekelte. Weil es mein verfluchter Körper war, der dazu da war. Ich kann es nicht begreifen. Es gehört alles zusammen und es war mein Opa, der mich überallhin gebracht hat, mein eigener Opa! Mir ist so schiecht, ich kann nicht beschreiben, was ich fühle, wie ich mich fühle.

Wie soll ich damit leben können, je wieder klar denken können. Ich wollte so oft sterben. Wusste nicht, warum es mir so schlecht geht, warum ich lebendig tot bin. Ich kann eigentlich froh sein, dass ich noch lebe, aber bin ich das? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Das waren 10 Jahre meiner Kindheit, das war 10 Jahre ich. Später kam dann noch mein leiblicher Vater dazu. Aber das war eben so, ich war es ja so gewöhnt und er machte nur das „Normale“ mit mir. (Ich muss hier anmerken, dass ich damit nicht sagen will, dass das nicht grausam war, jeder Missbrauch ist grausam. Nein, ich will damit sagen, dass es eben das war, was jeder mit mir tat – es war „das Normale“ und das andere war eben noch schrecklicher.)

Aber der Freund meines Opas, der war schlimmer, als mein Opa und ich weiß, dass Opa manchmal mit ihm stritt, damit er mir nicht zu weh tat oder mich verletzte. Vor dem hatte ich noch mehr Angst und dessen Lieblingsspielzeug war die Pistole. Todesangst. Und heute – heute liege ich nachts im Bett und habe sie wieder, diese Todesangst. Ich schreie und glaube dann, zu ersticken. Ich kann nicht mehr und verstehe nicht, wie mein eigener Opa mir so etwas antun konnte und wieso mir keiner geholfen hat. Ich kann es nicht begreifen und das tut so schrecklich weh – macht mich sprachlos, macht mich stumm. Das ist so überwältigend und erschlagend, dass ich einfach nur fassungslos bin und nicht einmal sagen kann, wie ich mich fühle – ich kann es nicht beschreiben, das kann ich nicht. Ja, ich kann es nicht aushalten, wie es mir geht. Ich kann es nicht aushalten und schreibe und schreibe, damit ich es loswerde.

Wer kann da helfen? Trösten? In den Arm nehmen? Das geht nicht. Ich kann nicht einmal die Umarmung meines Mannes ertragen. Mein Körper kann es nicht ertragen. Mein Mann tut mir leid, er kann nichts dafür, für das was passiert ist, er hat mir nichts getan. Er hat die ganzen letzten Jahre neben mir ausgehalten, hat manchmal gedacht, ich drehe durch, werde verrückt. Oft, sehr oft habe ich es selbst gedacht und wollte mich aus Angst davor lieber umbringen.

Mein Gott, was hat mir mein Opa angetan, ich war doch erst 3 Jahre alt. Nun bin ich 50 Jahre älter und muss das alles als mein Leben begreifen. Will ich das? Kann ich das? Schaffe ich das?

Es waren mein Opa, mein Bruder, mein Stiefvater, mein Vater – meine Familie. Ich gehöre zu dieser Familie, zu so einer Familie. Meine Mutter? Ich habe sie so geliebt und auf ihre Hilfe gehofft. Sie hat mir mit 13 Jahren meine Mutter weggenommen, indem sie mich einfach so weggegeben hat und mit 52 Jahren hat sie mich verprügelt, weil ich damals den Mund aufgemacht habe.

Meine Familie.

Während meiner Krankheit (monatelange Aufenthalte in der Psychiatrie) verlor ich meinen Adoptivsohn. Er verschwand einfach, zog daheim aus und später tauchte er unter und ich weiß keine Adresse, nichts.

Meine Erste Ehe – eine Hölle.

Meine 2. Ehe – nicht viel besser.

Meine Pflegetochter wurde missbraucht. Ich erstattete Anzeige und wurde verurteilt wegen Verleumdung, 2 Jahre später. Mein Leben war kaputt. In der Berufungsverhandlung, ich wurde freigesprochen. Das Jugendamt hatte ein Schriftstück, auf dem meine Pflegetochter alles, was der Kerl ihr angetan hatte, aufgeschrieben hat. Der Richter fand es durch Zufall, als er die Vertreterin des Jugendamtes etwas fragte, sie nicht antworten konnte, ihm aber den Ordner zur Einsicht vorlegte. Welch ein Zufall!

Ich fühlte mich nicht freigesprochen, nie wieder. Meine Pflegetochter habe ich verloren und ich sah sie nie wieder. Nun bin ich 53 Jahre und es wird mir gesagt, es soll anders werden? Alles soll vorbei sein? Ich soll leben können nach der Therapie? Geht das noch? Kann ich wirklich frei werden von all dem? Von meinem bisherigen Leben? Was ist dann noch von mir da, was gehört noch zu mir? Mein Körper, der ist noch da. Aber gerade mein Körper ist doch die Erinnerung an alles und ich hasse ihn und genauso sehen meine Arme aus. Zerschnitten, vernarbt. Nicht zerschnitten, weil ich mich hasste, sondern zerschnitten, um zu überleben und nun frage ich mich, wofür?

Wo stehe ich?

Was soll ich denken, was ich bin?

Kann mir einer erklären, wie man so etwas wegsteckt?

Wie man so noch ein gutes Leben haben kann. Ich möchte so gerne wenigstens jetzt noch etwas von meinem Leben haben – geht das? Geht das wirklich? Ich weiß meinen Namen, aber wer ich bin und wie ich bin, ich weiß es nicht. Mein Leben war bisher nur funktionieren oder krank sein. Eine Rolle spielen, bis zur Erschöpfung und dann wieder Psychiatrie. Jetzt soll es anders werden? Wird es das?

Jetzt ist es fast Morgen. In einer Stunde werden die anderen Patienten aufstehen und ein neuer Tag fängt an. Ich weiß nicht, wie ich ihn anfangen soll und wie ich es schaffen soll, so zu tun, als könnte ich normal leben. Soll es das sein?

Nein, ich will nicht so tun, als sei ich normal, ich will normal sein!

Ich habe diese Nacht, wie so oft, kein Auge zu bekommen und ich habe immer noch Angst vor dem Schlafen, den Albträumen, dem Würgen. Ich habe Angst zu schlafen. Ich weiß, es sind nur Albträume und mich würgt keiner, aber diese Todesangst, die ist da, die spüre ich – immer und immer wieder. Wie lange noch? Ich habe keine Kraft mehr, halte das alles nicht mehr aus.

29.4.2004 Mein Tagesbericht:

Es ist Nacht 1:30 Uhr und ich kann nicht schlafen. Es war einfach zu viel und ich kann gar nicht mehr richtig denken. Ich komme mir so unwirklich vor.

Es ging mir besser, als ich den Zusammenhang nicht kapiert habe und alles einzeln war, nun gehört alles zusammen und ich weiß nicht, wie ich das verkraften soll. Ich weiß nicht, wie ich mich fühle – ausgelaugt, kaputt und einfach nur sprachlos. Ich finde keine Ruhe und habe einen zusammenhängenden beschissenen Film in meinem Kopf, den ich noch nicht begreifen kann, will, möchte.

Es ist einfach zu viel und es ist etwas passiert, was ich so noch nicht hatte. Ich sehe mich als Kind und was alles passiert ist und es erschlägt mich einfach. So war es noch nie. Ich war sonst klein und wenn ich wieder groß war, konnte ich es wegdrücken. Ich habe immer noch getrennt zwischen Kind und mir jetzt. Nun sehe ich, dass ich es war. Es ist nicht mehr die Kleine, sondern ich bin es und ich weiß, ich muss damit fertig werden.

Wo soll ich die Kraft hernehmen?

Jetzt ist alles was ich so schön nach und nach wieder weg sortiert habe und, als wäre es nicht geschehen, gemacht habe, zusammen da und ich stehe mitten drin. Ich kann nicht sagen, wie es mir geht. Es ist nicht zu beschreiben, nicht zu erklären. Aber ich habe das Gefühl, als wäre ich mit Blei gefüllt, schwarz und schwer, grausam und schwer. Ich weiß wirklich nicht, wieso ich noch existiere und ich weiß nicht, wie es weitergehen soll, wie ich das aushalten soll und kann.

Herr. Dr. S. sagte mir, dass dies der wichtigste Tagesbericht meiner gesamten Therapie sei und ich ihn mir gut aufheben solle. Warum? Ich weiß nicht. Ich kann nur darin lesen, wie schlimm und schlecht es mir geht und ich nicht weiß, wie ich weiter zurecht kommen kann.

Später erkenne ich:

Er hat Recht. In diesem Tagesbericht erkenne ich meine Geschichte im Zusammenhang. In diesem Tagesbericht bin ich erwachsen und sehe mich als Kind und das ist völlig neu. Das ist ein großer Schritt in der Therapie.

03.05.2004

Es ist heute 5 Tage her, dass ich nicht mehr geschrieben habe. Es gibt auch nicht viel zu schreiben.

Es geht mir immer noch sehr schlecht und ich denke morgens: „Muss ich heute aufstehen? Wozu? Ich schaffe es nicht.“ Doch ich stehe auf und quäle mich weiter durch die Tage und weiß nicht, wie ich es aushalten soll, den Tag zu überstehen und überstehe ihn doch irgendwie. Immer hoffe ich, es wird besser, es geht vorbei. Aber da sind der Schmerz, das Entsetzen, die Traurigkeit, dieses schlimme Gefühl allein zu sein, immer allein gewesen zu sein. Es war etwas ganz anderes, sich leer und gefühllos zu fühlen. Das tat nicht so weh, nun tut es weh und macht mich so machtlos, etwas dagegen zu tun. Alles überfällt mich. Die vielen Leute, in deren Augen ich gesehen habe, jeden Einzelnen habe ich mit Blicken angefleht, mir zu helfen, als ich dort auf dieser Bühne lag und den zwei Hunden ausgeliefert wurde. Alle haben mich angesehen, mir auch in die Augen gesehen, doch keiner war dabei, der auch nur im Entferntesten daran gedacht hat, mir zu helfen. Es ist so schlimm, dies zu spüren, die Augen vor sich zu sehen und zu wissen, da sind so viele, Einer muss doch etwas dagegen haben, dass mir das angetan wird. Es ist so nah, als wäre es jetzt, meine Hilflosigkeit, meine Scham, meine Verzweiflung und meine vergebliche Hoffnung auf Hilfe.

Ich sehe mich, meinen Körper, beschmiert, zerkratzt und voller Angst und Scham. Ich will mich verkriechen und kann nicht. Ich schäme mich so sehr für das, was da passiert und kann nichts dafür. Aber es ist mein Körper und ich schäme mich und alle starren nach vorne, zu mir und ich bin es, die da nackt und wehrlos mit Hunden zur Schau gestellt wird und es gibt tatsächlich Menschen, die das gierig und genussvoll ansehen und überhaupt ansehen können, ohne etwas dagegen zu tun. Es macht mich fassungslos, sprachlos und tut weh. Ja, es ist vieles passiert in meiner Kindheit, aber dieses war für mich das Schlimmste und das Unfassbarste. (Habe ich gedacht.)

Immer wieder habe ich mich gefragt, wie ich damit leben soll, leben kann. Ich werde es müssen und trotz meiner wirklich riesengroßen Scham, dass mir das angetan wurde, werde ich nicht darüber schweigen, weil ich mich schäme. Nein, ich will, dass man es erfährt, was es für Menschen gibt. Es gibt tatsächlich Menschen, die Kindern so etwas antun und Vergnügen daran haben. Das sind Bestien. Deswegen will ich nicht schweigen und mich schämen. Es gibt solche Menschen immer noch und ich denke, dass solche Dinge immer noch passieren.

Hier wird mir gesagt, ich könnte noch ein richtiges, normales Leben führen, nach der Therapie.

Ich bin nun über 50 Jahre alt und hoffe wirklich auf eine Zeit, in der es mir mal besser geht, in der ich leben kann, wie andere auch.

Ob das wirklich möglich ist? Ich weiß es nicht, aber ich will es erfahren. Wer hat schon nach so einer Kindheit noch eine Chance bekommen, so eine intensive Therapie zu machen und sich auf den Weg in ein normales Leben zu begeben. Es ist wahr, ich werde immer wissen, was mit meinem Körper getan wurde, mit mir als Kind getan wurde, mir als Kind angetan wurde. Todesängste, Schmerzen, welche nicht auszuhalten waren und nicht schreien zu dürfen, Schmutz, Ekel, Erniedrigung, jeder konnte mit mir tun, was er wollte. Ich musste tun, was die wollten – das war ich. Was bin ich jetzt? Ich kann nicht zurückblicken und sagen, das war ich, das war meine Kindheit, das war schön. Mein Opa, der lieb zu mir war – in Wahrheit war er die größte Bestie und ich war trotzdem für die Momente, in denen er mich in den Arm nahm und mich tröstete, nachdem er mich quälen und benutzen ließ, dankbar.

Da war er mein Opa und ich hatte ihn lieb und fühlte mich geborgen – für Momente. Kann das jemand verstehen? Ich kann es jetzt selbst nicht fassen, dass ich noch dankbar war, wenn er mich danach tröstete und in den Arm nahm. Es war doch alles nur durch ihn, was mit mir geschah. Was gut war an meiner Kindheit? Ich hatte meinen Teddy und ich hatte immer die Hoffnung, meine Mutti wird mir helfen, wenn sie es merkt, was die mit mir tun. Es war nur eine Hoffnung. Sie hätte mir nie geholfen - das weiß ich heute. Aber diese Hoffnung war lebenswichtig – ich habe immer an das Gute geglaubt, dass es siegen wird, dass ich gerettet werde, so, wie jede Prinzessin im Märchen doch noch gerettet wird. Es hat lange gedauert, ehe ich gerettet wurde, ich denke, erst in den letzten 4 Jahren geschah meine Rettung und ich hatte Glück, dass ich da noch gelebt habe und mich nicht, wie ich es so oft versucht habe, umgebracht hatte. Ich habe in meinem Leben nichts Wichtiges vollbracht, aber ich denke, wenn ich es schaffe, dass dieses Buch an die Öffentlichkeit kommt, dann habe ich etwas Wichtiges geschafft. Was?

Ich will mit diesem Buch zeigen, dass es möglich ist zu Leben, nicht daran zu zerbrechen. Ich bin damals nicht daran zerbrochen, sie haben mich nicht umgebracht und später habe ich viele Jahre nach mir gesucht, viele Bücher gelesen, mich gesucht – in keinem Buch konnte ich mich finden, meine Scham, meine Verzweiflung, meine Einsamkeit und vor allem meine fehlende Wut.

Auf dem Weg bis hierher, habe ich alle, von denen ich dachte, sie haben mich geliebt, verloren. Es war schlimm, Einen nach dem Anderen zu verlieren und zu kapieren, sie haben mich nur benutzt, mich nie geliebt, wie man ein Kind lieben sollte. Es tat so verdammt weh, den Stiefvater zu verlieren, den Opa zu verlieren, die Mutti loszulassen und endlich zu verstehen, wie sie wirklich waren. Ich glaube, das ist mit das Schlimmste, das begreifen zu müssen, dass ich immer allein war.

Aber trotzdem ich konnte überleben, gerade, weil ich mich an das bisschen, was eigentlich nicht vorhanden war, geklammert habe.

Es gibt sehr viele Bücher über Missbrauch, das Buch, welches mir am meisten geholfen hat und welches während der Therapie mein ständiger Begleiter war, ist das Buch „Trotz allem“.

Ich konnte darin einiges finden, was mich betrifft, wo ich mich wieder erkenne und vor allem hat es mir während meiner Therapie immer wieder gezeigt, dass es weitergeht, und, dass man es wahrhaftig schaffen kann. Wie oft, wenn ich nicht mehr weiter wusste, nahm ich das Buch und blätterte darin herum, bis ich eine Stelle fand, die mir wieder Mut machte, mich wieder auf die Füße brachte. Ich kann nur jedem raten, wenn Du Dich an Deine Therapie wagst, dann besorge Dir dieses Buch – es war für mich zeitweise auch lebenserhaltend. Ich konnte, wenn ich verzweifelt war und dachte, es nimmt nie ein Ende und ich kann und will nicht mehr, nachschauen, wo ich stehe in meiner Therapie, konnte überprüfen, was ich schon bewältigt habe und was noch vor mir steht. Dieses Buch war wie ein Wegweiser und Kontrolleur des Standes meiner Therapie, damit ich nicht aufgebe, den Boden unter den Füßen nicht verliere, was trotzdem sehr oft geschah. Inzwischen habe ich schon so vielen dieses Buch empfohlen und es auch teilweise verliehen, was ich nicht gern tu, weil dann ein Stück meiner Sicherheit fehlt.

Gestern war ein Tag. Mir ging es sehr schlecht und ich habe versucht, mir selbst und denen, die das einmal lesen, Mut zu machen, dass es besser wird. Es muss besser werden. Ich wünschte nur, ich wüsste, wann. Zur Zeit geht es mir so schlecht und ich kann alles nur mit Tavor aushalten und mit Schneiden. Herr Dr. S. sagt mir immer und immer wieder, dass dies die letzte und wichtigste Phase in meiner Therapie sei. Ich hoffe es, denn fühlen kann ich es nicht, so schlecht, wie es mir zur Zeit geht. Wenn ich nur wieder an die letzte Nacht denke. Ich konnte und konnte nicht einschlafen und die Erinnerungen kamen und machten mir Angst, machten mich traurig und auch hoffnungslos. Ich denke dann, wie soll ich nach dem, was alles passiert ist, überhaupt noch so leben können, wie andere. So als sei dies alles nicht passiert. Es ist passiert und mein Körper hat es zwar überlebt, aber ich kann nicht sagen, dass ich bereits mit meinem Körper in Übereinklang bin, dass ich nicht Ekel vor meinem Körper verspüre, dass er mich nicht unsicher macht, dass ich mich nicht schäme und Angst habe, andere könnten dies alles meinem Körper ansehen.

Die Angst davor früher, da musste ich immer darauf achten, dass alles ordentlich, sauber und nach außen hin nichts sichtbar war. Es war meine wichtigste Aufgabe und das ist es heute unbewusst immer noch. Die ständige Angst – erkannt zu werden -erkannt zu werden, was man ist, was ich tue, getan habe. Ich weiß jetzt, ich habe nichts getan, es wurde mit mir getan – aber die Gefühle sind noch nicht so, dass das alles innerlich stimmt und mein Körper auch mein Körper ist, mit dem ich mich sicher fühlen kann, der einfach dazu gehört zu mir. Jetzt ist er ein Teil von mir, ein mich belastender Teil, der es mir schwer macht, mich gut zu fühlen, mich normal zu fühlen und keine Rolle zu spielen. Jetzt ist ein Zeitpunkt, wo alles aufeinander trifft, alle einzelnen Puzzlestücke vereinen sich zu einem Ganzen und ich habe das Gefühl, nichts mehr aushalten zu können. Es war schon einzeln nicht auszuhalten und hat mich immer wochenlang außer Gefecht gesetzt. Nun aber ist alles da, in welche Richtung ich denke, da sind Erinnerungen an meine Kindheit – nichts Gutes – einfach alles nur diese grausamen Erlebnisse, die ich, es ist mir unbegreiflich, überlebt habe. Wie oft hat mir mein Opa den Hals abgedrückt, damit ich nicht schreien konnte und wie oft dachte ich, jetzt ersticke ich und wäre es fast auch manchmal. Wie oft holte er mich mit Ohrfeigen zurück in die Wirklichkeit und ich schnappte nach Luft. Wie oft hat er mir einfach das Kopfkissen auf mein Gesicht gedrückt, bis ich mich nicht mehr rührte. Jedes Mal hätte es zu spät sein könne. Für ihn ging es nur darum, dass mich keiner schreien hört vor Schmerzen, vor Angst. Später habe ich dann nur noch die Zähne zusammengebissen und so das Schreien unterdrückt, um nicht gewürgt oder das Kissen auf mein Gesicht gedrückt zu bekommen. Ich hatte jedes Mal Angst, Todesangst und ich reagiere heute noch, wenn ich Angst habe damit, dass ich anfange, das Gefühl zu haben, mir wird der Hals zugedrückt und ich bekomme keine Luft, dann schnappe ich nach Luft, huste und bekomme Panik. Aber da sind keine Hände, die mir den Hals zudrücken, da ist kein Kissen auf meinem Gesicht – es sind nur die alten Mechanismen die zuschlagen und mich immer und immer wieder in Todesängste versetzen. Wenn ich dann heule und Panik habe und etwas sage, dann weiß ich die Antwort schon selbst: „Da ist nichts – alles ist in Ordnung – Ihnen kann keiner was tun.“

Nachts passiert es oft, einfach so, wenn mich so ein Flashback erwischt oder ein Albtraum und dann stehe ich da und habe eigentlich nur noch Angst, weiß aber auch, es ist nur die Angst – es kann mir nichts passieren. Mein Kopf weiß das. Mein Körper noch nicht. Und so ist es oft, dass ich geweckt werde, weil ich schreie und huste. Ich bekomme dann meist Tavor und bin wieder allein im Zimmer mit dieser Todesangst. Ich muss mich ablenken, irgendetwas tun, damit mein Kopf von dieser Angst weg kommt. Musik hören, Lesen, mich an den Computer setzen und arbeiten oder ein Computerspiel probieren. Irgendetwas wird funktionieren und ich werde ruhig, die Tavor werden wirken und dann kann ich wieder versuchen zu schlafen, letzte Nacht war es erst nach 3 Uhr möglich, etwas Schlaf zu finden und heute bin ich total müde und denke wieder einmal, wie soll es da besser werden, wie soll ich das noch lange durchhalten? Gestern Abend habe ich es auch etwas mit Fernsehen versucht.

Natürlich habe ich wieder das richtige Thema erwischt. Kindesmissbrauch. Aber ich wollte nicht auf ein anderes Programm schalten. Wegschauen hilft nicht. Wegschauen tun so viele. Ja, es waren wieder die feinen Herren in den feinen Anzügen, auch in diesem Film. Ich kenne die feinen Herren in den feinen Anzügen, die sind die schlimmsten, die abartigsten, die gemeinsten und die brutalsten. Die wollten nicht nur das „Normale“, sie wollten auch Leiden sehen, Schmerzen zufügen, ja sie genossen dies sogar. Das war es was sie ihren Ehefrauen nicht zeigten, nämlich, wie sie wirklich sind -gemeine perverse Schweine. Im Alltag laufen sie im feinen Zwirn herum und sind anerkannte Leute, denen keiner im Entferntesten so etwas zutraut. Und vielleicht auch Angst hat, etwas zu sagen, wenn er es ahnt, denn diese Leute haben Geld, haben Beziehungen, haben Macht und können dich so fertig machen, dass du denkst, hätte ich doch nie den Mund aufgemacht.