TAGESBERICHT 6.11.2003
Mir ging es heute früh gut, echt gut.
Dann bin ich in ein „falsches Gleis“ geraten und später ging es zweigleisig weiter. Ich weiß zwar nicht, wer mich wie gesehen hat, was ich wem gesagt habe, aber wie war das noch mal:
„GUT SO; MACHEN SIE WEITER SO“
Frage auf dem Tagesbericht:
Wie können Sie dies zur Erreichung Ihrer Ziele nutzen (achten Sie auf die Kleinen Schritte!)?
Ich habe mich über das „Lob“ gefreut und werde mir Mühe geben, so weiter zu machen, aber ich weiß nicht, ob ich die nächsten Tage so hinkriege, wie diesen heute und wie gestern.
(Mir ist es lieber, ich habe mich unter Kontrolle!)
Eines weiß ich, ich werde in meinem Leben nie mehr ein Versprechen geben. Wenn Sie (Herr Dr. S.) jetzt sauer sind, ist es nicht schlimm, dann sagen Sie mir einfach, dass Sie auf mein Versprechen pfeifen. Ich wäre echt dankbar!
Wenn Sie nicht sauer sind, dann bin ich wieder das Kamel und muss mich wohl entschuldigen, weil ich Ihnen echt zu Unrecht misstraut habe. Aber ich weiß ehrlich nicht, was ich Falsches geschrieben habe und Sie werden sauer sein auf mich, wenn ich Ihnen das zum Lesen geben sollte.
ICH SOLLTE!
7.11.2003
Ich habe Herrn Dr. S. diese Zeilen, die ich in meiner Aufregung, meinem Ärger, meinem Misstrauen geschrieben habe, zu lesen gegeben. Schon da war mir klar – ich war wieder einmal misstrauisch und gerade gegen Herrn Dr. S. ist dieses Misstrauen vollkommen unangebracht.
Aber ich bin durch diese Bemerkung „GUT SO, MACHEN SIE WEITER SO!“ richtig ärgerlich geworden und habe mich regelrecht in dieses Misstrauen und den Ärger hineingesteigert. Es tut mir leid. Ich war wirklich äußerst ungerecht und das gerade wieder einmal gegen den Menschen, der mir in meinem Leben am meisten geholfen hat und mich in meinen schlimmsten Phasen betreut hat. Es tut mir leid.
Heute begreife ich nicht, wie ich so reagieren konnte. Es ist wirklich schwierig zu vertrauen, vollständig zu vertrauen. Meist bin ich dann, wenn ich wirklich mal vertraut habe, bitter enttäuscht worden.
Und hier hat ein Teil in mir völlig misstrauisch reagiert. Ich hatte Angst etwas preisgegeben zu haben, was ich niemals erzählen würde. Und doch ist es so, dass ich Herrn Dr. S. bisher alles mitgeteilt habe, womit ich nicht zurecht kam. Wenn ich es nicht aussprechen konnte, dann habe ich geschrieben und es abgegeben, so dass er es lesen konnte und ich nicht reden musste, weil ich mich zu sehr geschämt habe diese Dinge auszusprechen.
Ich weiß noch, diese 6 Wochen, die es mir so schlecht ging, weil ich einfach nicht geschafft habe, mich mitzuteilen und das Erlebte mit mir rumgeschleppt habe. Mir ging es so schlecht, bis hin zu Suizidgedanken und dann erst war mir klar, ich muss mir Hilfe holen und habe alles aufgeschrieben und Herrn Dr. S. abgegeben.
Da hatte ich volles Vertrauen und gestern reagiere ich so idiotisch, so sauer, so misstrauisch. Es ärgert mich dann immer, wenn ich gerade denjenigen so vor den Kopf stoße, dem ich eigentlich voll vertraue, der mir bisher so viel geholfen hat. Es tut mir dann furchtbar leid, doch dann ist es passiert.
Aber ich muss ganz ehrlich sagen, ich bewundere die Reaktion von Herrn Dr. S. sehr. Er war nicht sauer, er hat mich nicht angeschnauzt oder irgendwie ablehnend reagiert, obwohl er meiner Meinung allen Grund dazu gehabt hätte. Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte – ich glaube, wie immer – mit totalem Rückzug.
Ich bin jedenfalls sehr dankbar für die Geduld, die er trotz dieser Situation für mich aufgebracht hat. Heute, vier Wochen später sieht diese Situation ganz anders aus. Ich weiß jetzt, warum ich unbewusst so heftig und misstrauisch reagiert habe. Ich wollte, dass das Bild, dass ich von meiner Mutter habe bzw. hatte, schützen. Ich hatte Angst davor, dass meine Mutter nicht die Mutter ist, für die ich sie immer gehalten habe, auf deren Hilfe ich immer gehofft habe.
Das war die Angst, die hinter dieser misstrauischen Reaktion stand. Ich hatte Angst, zu viel über meine Mutter erzählt zu haben. Damals wusste ich nicht, dass es so ist. Heute ist es mir klar. Am Donnerstagabend habe ich es gesehen, ich habe Blitze, Erinnerungsblitze gehabt und da habe ich gesehen, dass es doch so ist, wie ich mir die ganzen Jahre versucht habe auszureden. Meine Mutter hat es gewusst und sie hat mir nicht geholfen.
Ich wollte, als ich mich so heftig und misstrauisch gewehrt habe, verhindern, dass ich erkennen muss, dass es so ist. Es ist aber so. Ich habe immer Schuldgefühle gehabt, meiner Mutter den Mann weggenommen zu haben. Ich bin die Böse, ich bin die Schlechte. Ich war aber erst 7 Jahre oder sogar jünger, als mein Stiefvater sich an mir verging und habe mich geschämt und geschwiegen. Aber das war immer so, ich habe gehofft, meine Mutti hilft mir und alles wird aufhören, weil sie sagt, er darf das nicht. Sie hat es nicht gesagt – heute weiß ich, sie hätte es sagen können, denn sie hat es bemerkt, hat es gewusst und nichts dagegen getan, dass mir all das Schreckliche angetan wurde.
Tagebuch ab 15.11.2003
Dieses Wochenende geht es mir so schlecht, dass ich nicht heim darf. Ich habe die Stufe, das heißt, ich darf die Station nicht allein verlassen und es wird in bestimmten Abständen nach mir gesehen, ob alles in Ordnung ist. Die Stufe wird erteilt, sobald Suizidgefahr besteht und ich bin zur Zeit echt so drauf, dass ich einfach nicht mehr kann und es alles einfach satt habe, zu leben bzw. leben zu müssen.
Heute ist Samstag und die letzte Woche war so verdammt schlimm, dass ich einfach nur noch müde, müde, müde bin. Ich schlafe auch nur noch.
Nach Hause durfte ich nicht wegen der Stufe, ich hätte auch gar keine Kraft, ich bin froh, wenn ich allein bin und meine Ruhe habe. Am liebsten wäre es mir, ganz zu verschwinden – einfach weg und Ruhe.
Mein Mann ruft an, es ist morgens um 8.00 Uhr. Er wollte mich besuchen und hat es bis jetzt nicht geschafft. Ich liege noch im Bett und bin total müde und eigentlich froh, dass nicht gleich die Tür aufgeht und er hereinkommt, denn dann muss ich mir Mühe geben und mich zusammenreißen, damit er nicht merkt, wie „Scheiße“ ich dran bin. Aber nun kommt er später, er wird also erst so gegen Mittag da sein und ich kann noch so lange liegen bleiben und schlafen. Zu etwas Anderem wäre ich auch gar nicht fähig.
Und ich schlafe wirklich wieder ein, bis die Tür aufgeht und mein Mann kommt. Ich ziehe mich an und wir gehen mit unserem Hund ein Stück spazieren (in Begleitung darf ich raus). Es tut gut, ist aber sehr anstrengend und ich bin froh, als wir wieder im Zimmer sind. Ich mache uns eine Tasse Kaffee. Die Schwester ist so nett und macht auch für meinen Mann einen Teller mit Mittagessen zurecht. Es gibt weiße Bohnen. Sie schmecken gut, mein Mann ist froh und isst seine Portion auf. Er bekommt ja nun seit 12 Wochen nicht mehr gekocht und da schmeckt es ihm halt. Ich habe eigentlich keinen Hunger und schon gar keinen Appetit. Nach dem Kaffee lege ich mich etwas auf das Bett, ich bin völlig fertig. Helmut merkt das und macht es sich im Stuhl bequem und wir ruhen eine ganze Stunde. Reden brauchen wir nicht, er weiß, wie schlecht ich dran bin, denn ich kann es doch nicht so verbergen, wie ich es gern möchte. Er hat Sehnsucht und möchte, dass ich bald heimkomme. Ich glaube ihm, dass es nicht schön ist, solange allein, ohne dass jemand mit dem man reden kann da ist. Er ist ja ganz allein, wenn ich nicht zu Hause bin.
Ich wäre gerne zu Hause, aber es geht nicht, ich kann so nicht heim – ich würde es nicht schaffen und so verzweifelt werden, dass ich es dann doch packe und Schluss mache mit mir.
Es war angenehm, Helmut in meiner Nähe zu haben, er war bis 17.45 Uhr bei mir, dann ist er wieder heimgefahren. Ich habe mich wieder ins Bett gelegt und bin sofort wieder eingeschlafen. Ich war einfach nur müde und als Helmut hier war, war es schön, aber auch anstrengend, ich konnte mich kaum auf ein Gespräch konzentrieren. Um 19 Uhr muss ich mich dann, nachdem ich kurz zum Abendessen aufgestanden war, wieder legen. Ich fühle mich so fertig, so erschlagen und frage mich – wovon? Alles war zu viel, obwohl ja gar nichts war, was mich hätte so anstrengen können.
Wenn ich an gestern denke, dann ging es mir ja heute schon super, denn gestern Morgen hatte ich solche Kopfschmerzen, dass ich nicht in der Lage war, aufzustehen und mich zu waschen und anzuziehen. Ich lag im Bett und bin immer wieder in den Schlaf gerutscht oder besser in so eine Art Duselzustand, jedenfalls nicht munter. Ich lag da und hatte von der Nacht noch alle Muskeln verspannt von dem Flashback. Er hat sehr lange gedauert und gestern morgen war mir immer noch total schlecht und alles tat weh, mir blieb nichts anderes übrig, als einfach nur liegen zu bleiben und zu warten, dass es besser wird und ich doch noch aufstehen kann.
Es wurde nicht besser, es war so gegen 9 Uhr, da wurde mir ganz komisch, ich habe nach der Schwester geklingelt und ihr gesagt, was los ist. „Mir ist so schlecht und mein Gesicht rutscht weg, ich spüre meinen Körper nicht mehr, nur noch die Füße, alles andere ist weg“, kam mir ja selbst äußerst blöd vor, was ich da sagte, aber es war so und ich fühlte mich total elend und hatte auch Angst. Ich bekam Tavor und schlief wieder ein, wurde wach und schlief wieder ein und so ging es bis gegen 17.oo Uhr. Um 17.oo Uhr hatte ich einen Termin für ein Einzelgespräch mit Herrn Dr. S..
Er kam aufs Zimmer, um nach mir zu sehen. Es war mir natürlich äußerst peinlich. Und ich dachte, dass, was ich sage, klingt auch so total idiotisch, dass er denken muss, ich bin jetzt bestimmt ganz durchgeknallt. Aber er redete ganz ruhig mit mir und erklärte mir, dass das alles durch den derzeitigen Stress auftreten würde und ich mir keine Sorgen machen solle.
Klingt gut, wenn man im Bett liegt und sich nicht rühren kann. Aber es war so, es hatte immer alles gestimmt und ich konnte mich darauf verlassen, dass er mir die Wahrheit sagt. Später am Abend konnte ich dann auch wieder aufstehen, zwar bewegte ich mich wie ein Roboter und alles war total verkrampft, aber ich schaffte es auf Toilette und zurück ohne zu klingeln und darüber war ich mehr als nur froh. Heute, als Helmut kam, ich hatte ja Angst, es würde wieder so sein, aber ich war nur noch total müde, doch ich konnte wieder normal (zwar etwas steif) laufen und je mehr ich mich bewegte, umso besser wurde es.
Besonders mein Rücken, wo ich in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag im Flashback die Schläge hinbekommen habe, tat mir noch weh.
Es ist alles so unrealistisch und so schwer zu verstehen, dass ich kaum wage, es den Schwestern zu sagen. Ich versuche nur Herrn Dr. S. alles zu erzählen und zu erklären, um zu erfahren, was er dazu sagt und vor allem um zu erfahren, ob ich nun anfange, ganz durchzudrehen, wovor ich ja immer schreckliche Angst habe.
16.11.2003
Ich glaube, die Stufe kann abgesetzt werden. Helmut hat mir Samstag den PC mitgebracht. Ich bin froh, dass er jetzt hier steht und ich mich jederzeit hinsetzen und das schreiben kann, was ich nicht sagen kann. Das hat mir schon viel geholfen. Und es war auch die Idee von Herrn Dr. S., das Ding wieder mitzubringen. Nun steht er hier. Aber am Samstag war ich nicht dran, wir haben ihn nur installiert und gesehen, ob er nach dem Transport noch funktioniert. Er hat noch funktioniert. Heute Nachmittag habe ich ein bisschen in dem, was ich bisher geschrieben habe gelesen. Das war nicht sehr gut, denn es hat wieder aufgewühlt und vieles wieder hoch geholt.
Zu Herrn Dr. S. habe ich gesagt, dass es gut war, ein bisschen nachzulesen.
Sicher wäre es gut gewesen, aber ich habe nicht zielgerichtet gelesen, ich habe einfach nur so geblättert und stellenweise bin ich von dem, was da stand richtig überfallen worden. Aber ich habe auch dadurch kapiert, ich habe schon soviel in der Therapie gepackt und ich will, dass es wieder so wird, dass ich mich fühle, als wäre ich „normal“.
Ich hatte das schon und ich werde es wieder finden.
Heute habe ich auch nicht soviel geschlafen wie in letzter Zeit, obwohl ich sehr müde war. Aber es ist besser, wenn ich nicht immer den ganzen Tag schlafe und mich mehr auf den Füßen halte, auch wenn ich noch so foxi bin. Ich bin auch froh, dass ich nicht mehr so fertig war, dass ich nicht mehr laufen konnte oder nicht mehr aufstehen konnte, dass einfach alles blockiert ist. Ich weiß ja, es ist immer nur für kurze Zeit, aber es macht ganz schön Angst, wenn es so ist.
17.11.2003
Die letzte Nacht habe ich wieder kaum geschlafen. Ich höre, wie die Patientinnen im Nebenzimmer aufstehen, wie andere in die Dusche gehen, wie die Stationshilfe ihren Putzwagen aus dem Raum gegenüber holt und später höre ich, wie die Schwester das Schwesternzimmer aufschließt, dann schlafe ich wieder ein. Nicht richtig, weil ich wieder einmal schreckliche Kopfschmerzen habe. Die Schwester kommt um 7.oo Uhr und fragt, wie es mir geht. Ich erschrecke und es ist mir, wie immer peinlich, dass ich nicht auf den Füßen bin, wie die Anderen. Ich sage Ihr, dass mir nicht gut ist und ich nicht aufstehen kann. Als sie raus ist, ist mir so elend, dass ich heule. Später schlafe ich dann wieder ein und habe einen Flashback. Ich weiß noch genau, wie er war, was geschah. Ich bekam Angst, lag in meinem Zimmer hier und es kam jemand rein. Ich konnte kein Gesicht erkennen, aber diesen blauen Arbeitsanzug. Er kam auf mein Bett, auf mich zu. Ich hatte Angst und habe geschrieen: „Hau ab!“ „Verschwinde!“ „Raus hier!“ Immer wieder habe ich das geschrien und dann war die Angst so groß, dass ich keinen Ton mehr herausbrachte und wieder einmal diesem Dreckskerl ausgeliefert war.
Dann wurde ich munter, wusste, es war nur ein Flashback und ich bin allein im Zimmer und die Angst ließ nach. Ich war nicht in der Lage aufzustehen oder zu klingeln, um mit der Schwester zu reden. Darüber, was gerade passiert ist reden?
Ich dachte, nein, das kann ich nicht, sie wird mir nicht glauben. Sie wird wie immer sagen, hier ist niemand, sie sind allein hier im Zimmer. Also, nichts sagen, und versuchen wieder ruhig zu werden. Aber es war etwas Anderes passiert, alle Flashbacks, die ich bisher hatte, passierten in der Vergangenheit, dieser nicht. Er passierte gerade jetzt und in diesem Zimmer und ich lag in diesem Bett.
Klasse, die werden denken, jetzt ist sie soweit. Ich weiß nicht, wie man das nennt, ich glaube Schizophrenie oder so.
Also sage ich lieber nichts und versuche mich wieder ruhig zu kriegen und weiter zu schlafen. Schlaf kann ich noch brauchen, ich bin total müde. Und ich schlafe auch wieder ein. Es ist gegen 11 Uhr, da passiert es wieder, dieser Scheißkerl, ich weiß wer er ist, nur ich kann sein Gesicht einfach nicht erkennen. Er ist wieder in meinem Zimmer und versucht, in die Nähe meines Halses zu kommen, ich fühle es, er will mich jetzt umbringen. Ich habe Angst, schreckliche Angst und ich schlage um mich, damit er nicht an mich rankommt, ich schlage und trete um mich und er versucht es von dieser und von dieser Seite. Ich drehe mich mit und wehre ihn ab und ich schreie. Ich schreie laut, dass er verschwinden soll. „Raus hier, verschwinde, mache dich raus hier! Hau ab, hau bloß ab du Schwein! Raus aus meinem Zimmer.“
Ich schreie und schlage um mich, bis ich die Stimme von Schwester B. höre, die mich ruft und dann ist er weg, nur noch Schwester B steht vor meinem Bett und versucht mich zu beruhigen.
Ich kapiere sofort, was los war und sage nur: „Hier war wirklich jemand.“ Und denke, sie wird mir nicht glauben, sie wird denken, es war ein Flashback. Ich weiß nicht, was es war. Es war nicht früher, nur er war da, hier, in diesem Zimmer, jetzt und heute.
Danke, jetzt ist es soweit, jetzt muss ich vorsichtig sein, was ich sage, sonst halten die mich wirklich für irre. Ich tu es doch fast selbst. Aber ich weiß, es ist so passiert. Es ist heute hier so passiert.
Verdammt, wie soll man mit so was klarkommen, wie soll man so was überhaupt kapieren?
Wenn mir das jemand erzählen würde, würde ich auch denken, na ja, die hat eine Macke, also sei lieber still. Aber ich konnte es nicht für mich behalten. Ich habe mit Herrn Dr. S. darüber gesprochen. Nachmittags 14 Uhr hatte ich Termin für das Einzelgespräch. Ich war mir sehr unsicher, wie er reagieren würde und, was mit mir nun los ist, wenn ich solche Dinge erlebe. Ich habe es nicht erfunden. Es ist Tatsache passiert und macht mir Angst. Herr Dr. S. reagierte ganz anders, als ich erwartete, ich dachte, nun bekomme ich wohl mehr Tabletten oder werde mal für einige Zeit schlafen gelegt, damit ich richtig schlafe, endlich mal richtig schlafe ohne Flashback.
Nein, er war begeistert, als er erfuhr, was passiert ist und er glaubte es mir. Nicht ein bisschen habe ich gemerkt, dass er dachte, ich knalle jetzt ganz durch.
Er saß vor mir und freute sich und ich musste umschalten von meiner Angst, wegen dem, was passiert ist, zu dem, was er mir erklärte.
Herr Dr. S. erklärte mir, dass dieses Erleben einen riesigen Fortschritt in der Therapie bedeute, da ich mich gewehrt habe, geschrieen habe und ihn so vertreiben konnte.
19.11.2003
Heute geht es mir gut, mein Kopf ist klar, kein Druck, keine Kopfschmerzen und auch so kaum Schmerzen, Ich freue mich immer, wenn ich mal so eine Zeit gegönnt bekomme, weil es richtig gut tut. Ich fühle mich dann so frei, so entspannt und genau so ist es eben heute. Manchmal waren mir nur 1 oder 2 Stunden dieses guten Gefühls bzw. Befindens vergönnt, später dann mal 1Tag und dann war es jedes Mal einfach so von jetzt auf gleich wieder vorbei.
Aber heute war es den ganzen Tag so und ich hoffte es einfach, es geht morgen so weiter, das wäre einfach zu schön. Ich möchte doch so gerne nach Hause. Ich habe soviel zu tun zu Hause, denn ich bin nun schon wieder 12 Wochen ohne dass ich richtig Grund in der Wohnung gemacht habe hier in der Klinik. Mein Mann putzt jetzt zwar schon das 3. oder 4. Wochenende und er gibt sich Mühe, aber mit dem Aufräumen, da hapert es, das packt er einfach nicht. Ist er einfach nicht gewöhnt, weiß nicht wohin mit dem Kram und Ordnung halten kann er eben auch einfach nicht. Er ist ein Chaosmensch. Doch ich bin schon froh, über das, was er tut, um mir zu helfen.
Die letzten beiden Wochenenden durfte ich nicht nach Hause, es ging mir einfach zu schlecht und ich hatte die Stufe. Ich war froh, meine Ruhe zu haben, war sowieso total neben der Rolle und wenn Besuch kam, dann war es zu anstrengend und ich war eigentlich froh, wenn ich wieder allein war und Ruhe hatte. Aber dieses Wochenende werde ich wohl wieder heim dürfen. Ich möchte auch gerne. Die letzten Wochenenden war ich nicht traurig, weil ich hier bleiben musste, ich hatte einfach auch kein bisschen Kraft, um heimzufahren.
19.11. 2003
Letzte Nacht habe ich wieder nicht geschlafen. Alles lief wieder kreuz und quer im Kopf herum, da war mein Opa, der mich quälte, da war mein Bruder mit seinen vielen Freunden, da fühlte ich mich so dreckig und schämte mich und da war meine Hoffnung, Mutti möge mir doch helfen. Und da war die Angst, die Einsamkeit und der Schmerz und die Gewissheit, dass ich schweigen muss.
Alles was damals war tauchte in Bildern, Ausschnitten, Gedanken auf und ich war wie immer allein und wem sollte ich denn was erzählen? Es ist Nacht und die Nachtwache ist ein Mann. Ich schaffe es einfach nicht zu ihm zu gehen und zu sagen, was mit mir los ist, gehe höchstens, um mir Bedarf zur Beruhigung zu holen. Soll ich dem Nachtpfleger sagen, was ich für Angst habe? Die Antwort kenne ich: „Hier kommt keiner rein. Sie sind jetzt erwachsen. Ihnen kann nichts passieren.“
Dabei sitzt mir die Angst im Genick, die Hände drücken mir den Hals zu, so dass ich keine Luft bekomme. Man sieht nichts. Nur ich spüre es, spüre es wieder einmal nur in meinem Kopf.
Aber ich habe eben diese schreckliche Angst und es geht mir dreckig, bekomme keine Luft, glaube zu ersticken. Ja, gestern ging es mir gut und ich dachte, wenn es so bleibt, dann bin ich flott heim.
Die Nacht war schon schlimm und heute Morgen war auch wieder alles beim Alten. Mein Kopf ist dicke zu und ich habe Kopfdruck und Kopfschmerzen, dass ich denke, mir platzt gleich der Schädel auseinander. Am liebsten würde ich mich schneiden, um es auszuhalten. Ich habe mir doch schon laufend Tavor geholt, weil ich es nicht aushalten kann und weil ich mich nicht schneiden will. Aber halte das jetzt erst mal aus – irgendwann ist es so schlimm, da denkt man nur noch, jetzt werde ich irre, jetzt drehe ich gleich durch und ehe das passiert, dann bringe ich mich um. Ich habe mich wieder geschnitten und noch mehr Medikamente gebraucht, um diese Krise zu überstehen.
20.11.2003
Es ging mir heute so schlecht, dass ich nicht in der Lage war, den Tagesablauf einzuhalten. Morgens konnte ich vor Kopfschmerzen nicht aufstehen und bin immer und immer wieder eingeschlafen. Bin einfach nicht munter geworden, so erschöpft war ich.. Nach 16.00 Uhr waren dann die Kopfschmerzen etwas erträglicher so dass ich etwas aufstehen konnte. Mir ging es gar nicht gut und ich habe mich nur rumgeschleppt. Ich weiß einfach nicht, was los ist, das es mir so schlecht geht und ich nur noch müde, müde, müde bin. Heute habe ich es nicht einmal geschafft, mich zu waschen, habe mich nur angezogen und bin dann nach kurzer Zeit wieder zurück ins Zimmer und ins Bett gekrochen. Ich bin richtig verzweifelt darüber, wie es mir geht. Es geht mir schlechter, als ich es zeige und sagen kann und ich habe auch noch Angst, die denken alle, ich bin bloß zu faul und will nur im Bett rumlungern. Ich habe doch so gut gelernt, zu verbergen, wie es mir geht.
21.11.2003
Heute ging es mir nicht besonders, habe aber versucht, sparsam mit Tavor umzugehen und mich nicht ins Bett zu legen.
7.12.2003
Ich habe mir für heute bzw. schon für gestern vorgenommen, etwas zu schreiben, wovor ich schon eine ganze Zeit zurückschrecke. Ich habe einfach Angst davor, wie es mir gehen wird, wenn ich daran gehe, diese Erinnerung aufzuschreiben. Werde ich wieder wollen, dass ich tot bin? Werde ich mich wieder schämen? Werde ich wieder nur traurig sein und enttäuscht und keine Spur von Wut spüren? Das schlimmste ist für mich immer die fehlende Wut!
Aber ich merke schon, ich bin dabei, wieder alles Andere schreiben zu wollen, abzuschweifen, um nicht daran zu gehen, an das, was ich mir für heute vorgenommen habe. Ja, ich bin ehrlich – ich habe Angst davor, Angst davor, es schwarz auf weiß zu bringen und festzunageln, so dass es nicht mehr nur ich weiß. Es ist aber doch wichtig – es soll niemandem mehr passieren – ich möchte helfen, dass es nicht mehr passiert. So vielen passieren diese Dinge und so viele schweigen, genauso, wie ich bisher geschwiegen habe. Deswegen will ich es aufschreiben, nur deswegen!
Vom Kopf her weiß ich auch, ich brauche mich nicht zu schämen, ich habe das nicht getan es wurde mir angetan. Aber mein Gefühl lässt mich schämen, vor mir und vor allen, die es erfahren. Ich muss daran denken, ich brauche mich nicht zu schämen, mich nicht zu verachten – ich sollte die verachten, die mir das angetan haben. Es ist noch nicht so weit – ich habe den Weg noch nicht ganz geschafft, aber ich werde sie eines Tages alle hassen, richtig hassen können – so, wie ich denke, dass es einfach normal ist, dass man solche Menschen hassen muss.
Ja, es war damals, ich war 9 oder 10 Jahre alt und meine Mutter ließ mich wieder mit meinem Opa mitgehen. Er holte mich immer ab, mich allein – meine beiden Brüder kamen nie mit. Sie wurden nicht gebraucht. Sie waren eifersüchtig und böse mit mir, weil sie dachten, ich erlebe was Schönes oder bekomme irgendetwas geschenkt oder Leckeres zu Essen. Eben mehr als sie. Sie wussten nicht, was mir passiert. Oder doch, vielleicht mein großer Bruder, er war ja auch einer von denen, er fing aber erst an als ich 12 war, mich für seine Freunde und für sich zu benutzen.
Damals war er es noch nicht, da war er mein großer Bruder und nicht einer von denen. Da konnte ich ihn noch leiden, aber dann habe ich mich geschämt und Angst vor ihm gehabt. Angst, dass er verrät, was ER mit mir macht und was er seine Freunde mit mir machen lässt. Er hat mir immer damit gedroht, mich zu verraten, so dass mich alle als schlecht, als Schlampe ansehen und sich vor mir ekeln werden. Ich hatte wirklich Angst, er könnte das tun und mich verraten – wie blöd von mir. Wie konnte ich so blöd sein – er hätte Angst haben müssen, ich sage, was er mit mir tut.
Jetzt habe ich schon eine ganze Seite geschrieben, aber immer noch nicht das angefangen, was ich mir vorgenommen habe, heute zu schreiben. Aber ich werde es heute schreiben. Ich muss es für mich tun, für meine Therapie, damit ich heilen kann, damit ich damit umgehen, existieren kann und nicht immer und immer wieder zusammenbreche und in Depressionen fallen kann.
Übrigens vor ein oder zwei Jahren habe ich es um Weihnachten herum meiner Mutter am Telefon gesagt, was Werner und seine Freunde mir angetan haben. Sie hat nichts dazu gesagt. Es einfach überhört und weiter gesprochen, als hätte ich nicht so etwas Schlimmes gesagt. Das Gespräch war dann bald zu Ende und ich dachte, dass dies ja wohl jetzt nicht wahr sein könne, dass meine Mutter so getan hat, als hätte ich das nicht gesagt, das mein großer Bruder mich missbraucht hat und auch noch allen seinen Freunden gegen deren Taschengeld überlassen hat. Sie hat es tatsächlich getan. Sie hat es einfach überhört, als hätte ich es nie gesagt und über alles andere weitergequatscht, wie vor meinen Worten. Ich habe auch weitergequatscht und dieses Spiel mitgespielt, nicht geschrieen, war nicht enttäuscht, nicht entsetzt. Wusste ich dass sie nichts sagen wird? Das sie es überhören wird? Ich habe jedenfalls nie wieder etwas davon erwähnt davon, aber meine Mutter lobte nun sogar öfter meinen großen Bruder am Telefon, wenn sie mit mir sprach und ich brachte es nicht einmal fertig, ihr zu sagen, ich wolle kein Wort über meinen großen Bruder hören. Na ja, was schließen wir daraus? Ist doch klar, die Böse im Spiel bin mal wieder ich. Davon wollte ich eigentlich jetzt gar nicht schreiben, sondern ich wollte jetzt von diesen schrecklichen Erinnerungen berichten.
Mein Opa holte mich also wieder einmal nachmittags ab und ging mit mir ein Stück spazieren, dann stand da wieder dieses verfluchte Lieferauto, es war ein Kastenwagen, hinten ohne Fenster und man konnte nicht nach vorn sehen. Ich musste immer hinten einsteigen, so wusste ich nicht, wo wir lang fuhren, wo ich hingebracht wurde.
Ich hatte Angst, was nun wieder passieren würde, was sie nun wieder mit mir tun würden. Ich hatte große Angst. Opas Freund war auch schon im Auto gewesen, er saß drin, als wir kamen, also wusste ich, es wird schlimm. Immer, wenn er dabei ist, wird mir sehr wehgetan, dann ist es nicht nur das „Einfache“, sondern sie tun mir weh, um Spaß zu haben. Aber sie tun mir immer nur dort weh, wo man es, wenn ich angezogen bin, nicht sehen kann, wenn blaue Flecken werden und ich hatte schon manchmal blaue Flecken, aber wie das so ist, wenn man 2 Brüder hat, dann hat man schon mal blaue Flecken. Aber eigentlich passten sie immer sehr auf, dass es zu keinen blauen Flecken kam. Ich hätte sie sowieso niemanden gezeigt, ich habe mich viel zu sehr geschämt und im Sportunterricht in der Schule, da habe ich meist, die Sportsachen schon drunter angezogen, damit ich mich nicht umziehen muss, weil ich mich so schämte.
Ja, ich weiß, ich versuche schon wieder auszuweichen und nicht darüber zu schreiben, worüber ich mir vorgenommen habe.
In diesem Haus, in das sie mich heute brachten, war ich schon einmal, sie haben mich damals zuerst in den Keller gebracht und da hatten sie mich festgebunden mit beiden Händen zusammengebunden und dann oben an einen Haken, aber ich konnte stehen, der Strick reichte, dass ich auf dem Boden stehen konnte und ich konnte mich an die Wand lehnen, aber die war eisigkalt. Ich war doch nackt und die Wand war wirklich eisigkalt, so dass ich gefroren habe.
Heute waren aber zwei neue Männer, ich meine zwei Männer, die ich noch nicht gesehen habe dabei, außer meinem Opa und seinem Freund Rudolf. Diesen Rudolf fürchte ich, er ist immer der Schlimmste und dem macht es am meisten Spaß, wenn er mir weh tun kann und ich vor Schmerz schreie, aber das kann ich wieder nicht, sie haben mir den Mund zu gestopft, solange sie mir weh tun. Alle sind nackt. Mein Opa ist alt und Rudolf auch, aber die zwei Anderen sind noch jünger. Ich denke, sie sind so alt, wie Mutti und Vati, so zwischen 30 und 35 Jahren. Aber sie sind auch schrecklich gemein. Sie schlagen mich mit einem nassen Handtuch, es tut fürchterlich weh, hinterlässt aber kaum Spuren, keine blauen Flecken, höchstens ein paar rote Striemen. Ich weine, mir tut das sehr weh und mir laufen die Tränen übers Gesicht. Schreien kann ich nicht, mein Mund ist mit einem Lappen verstopft. Dann wird der Lappen aus meinem Mund genommen und Einer nach dem Anderen, so als wären sie im Konsum in der Einkaufsschlange kommt und steckt mir, während ich immer noch angebunden bin, seinen Penis in den Mund und ich muss dann, wenn er fertig ist, den Dreck runterschlucken, weil sie mir einfach die Nase zuhalten und ich keine Luft bekomme, wenn ich nicht schlucke, um wieder Luft zu bekommen. Sie finden das Klasse und ich ekel mich und muss fast brechen, aber ich fürchte mich, weil ich dann erst recht Dresche kriege, und zwar von Rudolf, denn der schlägt gern.
Danach werde ich losgebunden und mit hoch in ein Zimmer genommen. Mir ist schlecht und ich kann mich kaum auf den Beinen halten deswegen. Ich muss immer noch aufpassen und immer wieder runterwürgen damit ich nicht brechen muss und alles dreckig wird, denn dann kriege ich Ärger, noch mehr, als im Keller, hier oben steht ein Bett, ein großes ohne Kopf und Fußende, einfach eine große Doppelliege und da knallen sie mich drauf und dann sind alle 3 außer Opa um mich rum und jeder ist mit mir beschäftigt. Rudolf tut mir an der Brust weh, er kneift mich immer sehr derb rein, so dass mir die Tränen kommen. Schreien kann ich nicht, mein Mund ist wieder besetzt, der eine hat wieder sein Ding da rein gesteckt und ich habe das Gefühl, er stößt durch meinen Kopf durch so doll weh tut es. Mein Mund tut auch weh, ich habe die Mundwinkel eingerissen, aber das schon eine Weile, es geht dabei immer wieder auf und blutet. Mutti gibt mir immer Salbe oder Creme dafür und dann tut es nicht mehr so lange weh, aber es tut weh und jetzt sehr schlimm. Der Andere ist mit seinen Fingern in mir unten drin und es brennt, weil er so fest reibt und derb ist, dann steckt er auch seinen Penis in mich rein und macht es solange, bis er fertig ist und Rudolf wartet schon, damit er das auch mit mir machen kann.
Mein Opa guckt zu und es gefällt ihm, er lächelt immer. Er sieht doch, dass es mir weh tut und ich weine, aber es ist ihm egal, er sieht zu und lächelt, wie immer. Er macht es meistens nur, wenn er mit mir allein ist, sonst überlässt er mich den Anderen. Mein Opa kommt immer nachmittags erst zu uns nach Hause, riegelt die Tür von innen ab, so dass keiner rein kann und dann macht er es mit mir. Aber er tut mir auch verdammt weh dabei und er kann auch sehr gemein sein.
Am liebsten macht er sein Spiel mit der Kerze. Erst brennt er sie an und wenn sie dann richtig heiß ist, bläst er sie aus und dann schiebt er sie mir unten rein. Das tut höllisch weh, das macht er meist, ehe er dann sein Ding in mich unten rein steckt. Aber das passiert mir heute wohl hier nicht.
Hatte ich gedacht. Es passierte doch und es war Opa, der es machte und mich dann den anderen wieder überließ. Es tat höllisch weh und ich bekam wieder den Lappen in den Mund, da jetzt erst recht jeder mir wehtun wollte und mein Mund uninteressant war. Ich habe geblutet unten, aber nicht von der Regel, sondern von dem, was die mit mir gemacht haben. Meine Regel hatte ich da noch nicht, die bekam ich erst mit zwölf Jahren. Sie stopften mir aber dann zum Schluss für die Rückfahrt einen Waschlappen zwischen die Beine, weil es geblutet hat. Ich habe geheult, aber nur leise, ohne einen Mucks, denn Rudolf schlägt zu, wenn ich heule, denn das könnte jemand hören.
Zu Hause war niemand da. Mutti war auf Nachtschicht, Vati auch und die fängt 20 Uhr an und meine Brüder waren noch draußen. Ich habe mich gewaschen und bin ins Bett gekrochen, aber vorher hat Opa noch alles, was er wollte mit mir gemacht. Alles tat nur noch weh. Ich habe mich taub gemacht und es tat nicht mehr so weh. Das geht. Aber, dass alles wund ist und kaputt, das kann man nicht taub machen.
Ich kann wieder kaum laufen und, wenn jemand da ist, dann muss ich so laufen, als sei alles in Ordnung – als sei gar nichts gewesen, als sei ich nur spielen oder spazieren und Schaufenster ansehen gewesen mit Opa.
Mutti hat nie gefragt, was Opa mit mir macht und wo wir gewesen sind, wenn ich heimkam.
Ich spüre die Schmerzen heute, wenn ich das schreibe so, als wäre es gerade passiert. Ich hatte Angst, das zu schreiben, weil ich mich so schäme, weil ich Angst vor den Erinnerungen, den Schmerzen, den Bildern habe. Ich habe es aber aufgeschrieben, damit es kein Geheimnis in mir bleibt, denn ich muss begreifen, ICH MUSS MICH NICHT SCHÄMEN, ICH HABE DAS NICHT GETAN, ES WURDE MIR ANGETAN!
Trotzdem, es ist noch nicht so, obwohl mir mein Verstand das sagt, aber ich schäme mich trotzdem und ich fürchte mich schrecklich vor den Erinnerungsblitzen, fürchte mich, wenn es wieder da ist und mich wieder so quält, als wäre es jetzt und das tut es zur Zeit oft. Die Tage, nachdem das passiert war, hatte ich wieder schrecklich schmutzige Schlüpfer und habe sie immer heimlich ausgewaschen, damit man es nicht so sieht, aber richtig sauber gekriegt habe ich sie nie. Die Schlüpfer habe ich dann immer unter meinem Bett trocknen lassen und dann ganz tief zwischen die andere Wäsche geschoben, so dass Mutti es nicht merkt. Aber heute denke ich, so, wie meine Wäsche aussah, hätte sie es merken müssen und hat es gemerkt und nichts gesagt, gefragt oder getan.
So, nun habe ich es geschafft, diese schlimmen Erinnerung aufzuschreiben.
Mir geht es nicht gut, mein Kopf zerspringt, so habe ich das Gefühl. Was mache ich nun mit dem Bericht? Werde ich ihn erzählen? Oder verschweige ich ihn lieber. Morgen zum Einzelgespräch, ich habe mir vorgenommen, darüber zu reden, es anzusprechen. Ich habe den Tagesbericht heute geschrieben und diesen Bericht hineingelegt und alles zugeklammert, damit niemand Anderes es lesen kann. Als ich dann nach dem Abgeben des Tagesberichtes wieder auf mein Zimmer kam, war mir nicht mehr wohl, ich habe mich geschämt und bin zurück zur Nachtwache und habe diesen Bericht über den Flashback wieder herausgeholt und nur den Tagesbericht dort gelassen. Der Pfleger hat gefragt: „Nanu, ist es denn so schlimm?“ Ich sagte: „Ja, es ist so schlimm!“ Und bin schnell auf mein Zimmer zurück. Ich habe geheult und mir ging es nicht gut.
Die Nacht kann ich auch wieder vergessen, ich werde nicht schlafen können, bin so kaputt und fühl mich müde, bin aber viel zu aufgewühlt, um schlafen zu können.
Irgendwann nach Mitternacht bin ich dann doch eingeschlafen und habe natürlich, sobald ich eingeschlafen war, einen sehr heftigen Flashback gehabt und konnte dann vor lauter Angst und Schrecken nicht mehr einschlafen. Ich muss auch eine ganze Weile im Zimmer auf dem Boden gelegen haben, denn da fand ich mich wieder und mir war richtig kalt. Ich kroch also wieder in mein Bett, versuchte, warm zu werden und mich zu beruhigen. Der Nachtpfleger brachte mir 2 mg Tavor Expidet (schnellwirkend), die mir aber kaum Linderung brachten. Ich war nach wie vor äußerst aufgeregt, ängstlich und unruhig. Ich weinte, wollte heim zu meiner Mutti und bettelte, wie ein kleines Kind um Trinken und, dass ich zu meiner Mutti darf.
Der Pfleger gab mir nun nochmals 2 mg Tavor und ich kroch wie ein kleines Kind, dass ich zu diesem Zeitpunkt auch war, in mein Bett und fürchtete mich, weil ich allein in diesem Zimmer war und meine Mutti nicht da war. Ich weinte und schlief dann wohl für kurze Zeit ein. Um 2 Uhr war ich dann wieder wach und konnte nicht mehr schlafen. Mein Hals war wund vom Schreien und alles tat mir weh von dem schrecklichen Flashback von vorhin. Ich wollte auch nicht mehr einschlafen aus Angst vor einer Wiederholung des Flashback, dann lieber munter bleiben und irgendetwas tun, womit ich mich ablenke, worauf ich mich konzentrieren muss. Das ist so meine Strategie: Kontrolle und Konzentration, um nicht wieder hineinzurutschen.
Mir geht es so schon schlecht genug. Also überlegen, was ich tun kann, zuerst Musik hören – ich bleibe nicht bei der Musik, höre sie kurze Zeit später nicht mehr und mein Kopf rotiert – also keine Hilfe für mich heute. Ich versuche es mit Lesen, kann mich nicht konzentrieren, kann ich also auch vergessen. Nächster Versuch eine Handarbeit – ich versuche an meinem Deckchen weiter zu häkeln. Das geht und ein schöner heißer Tee und mir ist etwas wohler, ich friere auch nicht mehr so. Aber ich wusste nun auch, nach dem ich den Flashback schriftlich vor mir liegen hatte, und ihn gerade noch einmal durchlebt hatte, ich kann ihn nicht so abgeben. Ich schäme mich zu sehr, die Blätter mit dem Geschriebenen Herrn Dr. S. in die Hand zu geben. Also werde ich es mit einer neuen Methode, empfohlen im Buch „Trotz allem ...“ versuchen, weil ich es nicht schaffe, es schriftlich zu übergeben, werde ich also versuchen den Flashback auf Band zu sprechen und so Herrn Dr. S. geben und bitten, dass ich nicht beim Hören dabei sein muss. Ich möchte nicht sein Gesicht dabei sehen und damit seine Reaktionen auf meinen Bericht über diese schlimme Erinnerung in seinem Gesicht ablesen müssen. Ich schäme mich zu sehr und möchte mich dem möglichst nicht aussetzen. Denn jede Veränderung der Mimik, ist für mich ein Zeichen des Entsetzens und Erschreckens darüber, was ich getan habe.
JA; SO STEHE ICH IM AUGENBLICK MAL WIEDER DA. DIE SCHAM UND DER EKEL VOR MIR SELBST HABEN MICH MAL WIEDER SO RICHTIG IM GRIFF.
Ich weiß, es wird mir nicht gut gehen bzw. kann mir nicht besser werden, wenn ich nicht daran gehe, dies aufzuarbeiten, also muss ich diesen Schritt schaffen.
Ich habe also, so steht es auch als gute Methode zur Verarbeitung von Traumata solcher Dinge in dem Buch „Trotz allem“ den von mir geschriebenen Text auf Kassette gesprochen und am nächsten morgen dann voller Angst mit in das Einzel genommen. Ich hatte ja nun das Kassettengerät in der Hand und Herr Dr. S. hat es natürlich sofort gesehen und gefragt, was ich damit möchte.
Da war Kneifen schon rum und ich habe gesagt, dass ich den Flashback auf die Kassette gesprochen habe und nun mitgebracht habe, aber unbedingt möchte, wenn er es sich anhört, dass ich rausgehen kann. Er bat mich aber doch im Raum zu bleiben und setzte sich auf Grund meiner Begründung so hin, dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte und so auch die von mir gefürchteten Reaktionen nicht beobachten konnte. Es war trotzdem nicht leicht und zweimal bemerkte ich trotzdem ein entsetztes Zurücklehnen und leises Stöhnen und einmal sah ich kurz hin und konnte den Gesichtsausdruck von Schreck und Ekel wahrnehmen.
Das war für mich schlimm – ICH BEZOG ES DOCH ALLES NUR AUF MICH; SO ALS HÄTTE ICH DAS ALLES GETAN UND NICHT; ALS WÄRE ES MIT MIR GETAN WURDEN.
Ich schämte mich fürchterlich und die ersten Worte warfen mich dann auch sofort aus meiner bemüht ruhigen sicheren Position. Ich wollte nicht zeigen, wie es mir geht, aber ich fiel so tief und fiel und fiel. Ich saß da wie auf glühenden Kohlen und in mir brannte die Angst vor Verachtung und Ekel und meine eigene Scham.
Es was soweit, das Band war zu Ende und ich hatte nicht überlegt vorher, ich habe nur gehandelt. Das Einzel geht 45 Minuten und das Band lief 45 Minuten und nun stand ich da und es war keine Zeit mehr für ein Gespräch möglich. Herr Dr. S. teilte mir mit, dass wir uns 16 Uhr noch mal sehen und reden können. Ich war so benommen, nickte nur und war froh raus zu sein. Vor der Tür, kam ich mir vor, als würde ich plötzlich im Hagelschauer stehen und jedes Korn schlägt mich fast zu Tode. Ich bin rauf in mein Zimmer, habe geheult und geschrien und auf dem Boden gelegen, wie ein kleines verlorenes im Stich gelassenes Kind.
Es war meine Schuld, ich hatte die Zeit der Kassette nicht eingeplant und hatte nun dadurch keine Möglichkeit, zu erfahren, ob ich nun der letzte Dreck bin und ob sich nun auch Herr Dr. S. voller Ekel und Entsetzten von mir abwenden wird. Ich schämte mich so sehr und verkroch mich einfach nur noch in meinem Bett, heulte schlief und heulte. Auf dem Band habe ich auch einiges zur Rolle meiner Mutti gesagt, was mir sehr weh tat und mich sehr verletzt und enttäuscht hat. Es war nun eben einfach so, oben in meinem Zimmer stand ich bzw. lag ich da und wusste gar nicht mehr, wie ich zurechtkommen sollte.
Ich hatte auf einmal wieder Selbstmordgedanken, wollte einfach nur weg sein, am liebsten weg laufen auf die Autobahn und vor einen LKW springen. Ruhe – Frieden – endlich keine Scham, keine Flashbacks mehr.
Mein Kopf war so irre vor Druck und Schmerzen und Angst, dass ich dachte, gleich drehe ich durch. Ja, so schlecht ging es mir. Ich bin wieder ins Bett, habe mich verkrochen, geheult, geheult, geheult, bis zur völligen Erschöpfung.
Gegen 16.00 wollte mich Herr. Dr. S. zum Einzel zu sich runter holen. Es ging nicht mehr, ich war nicht mehr in der Lage dazu auch nur ein wenig zu reden – ich konnte nicht mehr. War so erschöpft und fast am Einschlafen. Ich sagte nur noch, dass ich Suizidgedanken habe und er mir unbedingt da helfen müsse, weil ich trotz meines Versprechens nicht mehr garantieren könne.
Ich bekam die Stufe und blieb also im Bett und ich bekam Medikamente, damit ich nicht in der Lage bin „Scheiße“ zu bauen (Suizid zu machen). Ich bekam also 20 ml Haldol gespritzt und konnte endlich den Abgang in ruhigere Gefilde machen. So schlief ich dann auch endlich ein und war von meinem irren Kopf erlöst. Geschlafen habe ich aber nur so bis gegen 23.30 Uhr, dann ging es wieder los und ich klingelte den Nachtpfleger und ließ mir nochmals eine Dosis Haldol (ich hasse es!) verpassen.
Haldol ist ein verdammtes Zeug wegen dieser blöden Nebenwirkungen, aber mir blieb nichts anderes übrig, die Nebenwirkungen waren jetzt das kleinere Übel und mir im Augenblick auch völlig egal, weil ich einfach zu fertig war, um darauf Rücksicht zu nehmen.
Am nächsten Tag das Einzel nahm ich kaum wahr, ich war noch völlig fertig von dem Haldol, aber mir ging es so besser, ich war nicht mehr so tief im Dreck, im Sumpf, ich hatte wieder einen klareren Kopf.
Das nächste Einzel am 9.12. war dann wieder ein voller Schlag ins Kontor. Es hat mich mit aller Wucht erwischt und ich landete wieder in meinem Zimmer und war nur am Heulen. Ganze zwei Tage lang und wieder hatte ich die Stufe, welche gerade am Morgen vor dem Einzel abgesetzt wurde. Es war mir so egal, ob ich die Stufe hatte oder nicht, ich bin sowieso kaum aus dem Zimmer raus, höchstens zum Essen.
In dem Einzel ging es nun noch mal um den Inhalt der Kassette. Und als ich das mitbekam, war mir ja sowieso schon nicht mehr gut und ich nicht mehr klar im Kopf.
Als nächstes in der Therapie war mein Erlebnis bei meinem Besuch in Leipzig bei meiner Mutter Thema. Es war ein schwieriges und brisantes Thema, denn ich liebte meine Mutter abgöttisch und habe ein Leben lang auf ihre Hilfe und ihre Liebe gehofft und gewartet. Und nun ist alles ganz anders Ich konnte und wollte einfach nicht wahrhaben und begreifen, wie meine Mutter so gemein und auch so voller Hass gegen mich sein konnte. Es hat mich, als ich in Leipzig zu Besuch war dermaßen hart und unverhofft getroffen, dass ich total geschockt war und in eine richtige Krise gerutscht bin.
Warum meine Mutti?
Was habe ich denn getan, dass sie so böse zu mir ist?
Ich liebe meine Mutti doch und will sie nicht verärgern, aber ich konnte nichts, auch gar nichts richtig machen. Sie hat nur gemeckert und mich behandelt, wie eine Fremde, die sie überhaupt nicht leiden kann. Was habe ich falsch gemacht? Warum mag sie mich nicht? Warum hat sie mich weg gegeben?
Warum bin ich ihr so egal, warum liebt sie mich nicht und ich hänge so sehr an ihr und komme nicht los.
Meine Mutti war in meinem Leben die wichtigste Person, nur in der Hoffnung, sie wird zu mir halten und mir helfen, konnte ich das alles aushallen. Bis heute, nein bis August 2003 habe ich in dem Glauben gelebt, sie wird mir helfen. Dabei gab es nichts mehr zu helfen. Es war doch alles vorbei – aber ich klammerte mich immer noch an meine Mutti und diese hoffnungslose Hoffnung.
Der Besuch in Leipzig hat einiges sehr verändert, vor allem mich und meinen Glauben an meine Mutti und deren ein Leben lang von mir ersehnten Hilfe. Nach dem Anhören der Kassette, sprach Herr Dr. S. vor allem dieses Thema an und er weiß, dass dieses Thema schon sehr lange ein Brennpunkt bei mir ist. Ich will und will nicht wahrhaben, wie es wirklich war und ist. Ich klammerte mich daran, dass meine Mutti so ist, wie ich sie mir immer gezaubert habe. Eine liebe, gute, tröstende, helfende Mutti, die mich beschützt und es endlich verbieten wird, was mit mir geschieht.
Sie hatte nie vor es zu verbieten.
Sie hätte es nie geschafft, sagt Herr Dr. S., da mein Opa der Vater meiner Mutter ist und es meiner Mutti wahrscheinlich nie besser ergangen ist, als mir. Doch sie hätte doch mir helfen können. Er sagt: „Nein, sie hätte es nicht geschafft, mich zu beschützen, da sie zu krank war.“ Ich weiß nicht, dass sie krank war, ich kannte sie als Kind immer nur gesund, aber immer schimpfend, rauchend und trinkend. Aber sie war doch nicht krank – oder?
Herr Dr. S. meint: „Meine Mutter wollte die Realität nicht wahrhaben, dass es mir nun so erging, wie früher ihr und sie wollte nicht wahrhaben, dass sie mich schützen müsste – sie stieß mich eher immer weiter weg. Je größer meine Liebe und Hoffnung zu ihr wurde, umso mehr stieß sie mich weg und ließ mich nicht an sich rankommen, damit ich das Vertrauen nicht finden konnte, es zu sagen, was geschieht. Sie schuf so einen Abstand, dass ich sogar Angst hatte, als ich dachte ich bekomme ein Baby und dies zuerst der Mutter meiner Freundin erzählte, statt meiner Mutter.“
Immer und immer wieder habe ich mir die Frage gestellt, wieso habe ich es nicht zuerst meiner Mutti erzählt, sondern der Mutter meiner Freundin. Wieso?
Habe ich gespürt, dass ich von meiner Mutter keine Hilfe bekomme? Habe ich gewusst, sie wird mich nicht trösten? Habe ich gewusst, sie wird saumäßig wütend auf mich sein, weil ich den Mund woanders aufgemacht habe? Habe ich denn ahnen können, wie sehr sie mich hasst? Ich habe es nicht ahnen können? Sie wollte sich ihre Welt erhalten und war eher ungerecht zu mir, indem sie mich wegschickte, mich vergaß, mich nicht mehr existieren ließ.
Als ich mich wieder meldete während meinem Studium, da tat sie, als sei nie irgendetwas gewesen, als sei ich nie auch nur eine Woche weg gewesen. Keine Fragen – nichts. Alles ist wieder da – alle Fragen warum, weshalb, wieso?
Ich wollte meine Pflegetochter schützen und bin selber verurteilt wurden, wegen Verleumdung und man nahm mir das Kind einfach weg, so einfach von heute auf morgen. Die Berufungsverhandlung (Missbrauch der Pflegetochter) war dann fast 2 Jahre später und es stellte sich auch ohne meine Aussage heraus, dass alles den Tatsachen entsprach. Wegen diesem ungerechten Urteil wollte ich Schluss machen, ich bin daran zerbrochen und musste doch weiter leben. Weiterleben mit der Schande, dass man mir meine Pflegetochter weggenommen hat. Es hat sich keiner dafür entschuldigt, als es später klar war, dass ich sie nur schützen wollte und richtig gehandelt habe. Nein, bis heute lebe ich noch mit der Schande in mir, dass das Jugendamt mir meine Pflegetochter weggenommen hat (dies passiert doch nur bei asozialen und schlimmen Verhältnissen – also Schande!). Ich habe es bis heute nicht verarbeitet, das Kind weg, ungerecht verurteilt. Arbeit weg, da ich einen Suizidversuch gemacht habe (so etwas geht ja wohl nicht an in einem katholischen Haus). Gut, so offen haben sie es nicht gesagt, aber es war schon klar, dass ich deswegen entlassen wurde. Umschulung futsch, Depressionen – Klinik usw. Wozu weiterleben?
Warum hat meine Mutter mir nicht geholfen, ich habe doch auch nicht den Mund gehalten. Ich habe doch auch versucht, meiner Pflegetochter zu helfen und das Schwein angezeigt. Meine Mutter hätte meinen Stiefvater nicht angezeigt, aber sie musste es tun, die Mutter meiner Freundin hätte es sonst getan. Also zeigte sie ihn zwangsläufig an und ich wurde schnellstens „entsorgt“.
Das tut alles immer noch so verdammt weh. Mein Adoptivsohn tauchte nach Abschluss seiner Lehre unter und hat sich seit Jahren nicht mehr gemeldet. Ich weiß nicht, wo er lebt und wie es ihm geht. Mit 4 1/2 Jahren bekam ich ihn aus dem Kinderheim und mit 5 Jahren haben wir ihn adoptiert. Mir ging es zu schlecht, um genug für ihn da zu sein – ist er des wegen fort? Konnte er nicht mehr ertragen, wie ich drauf war, nur Heulen und Depressionen.
Bin ich Schuld, weil ich ihn verloren habe?
Mir ist es am liebsten, ich denke an nichts, dann ist alles weit weg, dann merkt keiner, was los ist und ich muss mich nicht zusammenreißen und lächeln. Was hatte ich alles. Eine richtige Familie. Ich hatte zwei Brüder, ich hatte eine Mutti und einen Stiefvater, ich hatte Oma und Opa und ich hatte später einen Vater und eine Stiefmutter. Ich hatte einen Sohn und ich hatte eine Tochter.
Was habe ich heute noch? Wen von denen habe ich heute noch? NIEMANDEN!
Alles ist verloren, alle sind weg, nur ich bin noch da – übrig, wie Müll, den jemand vergessen hat, wegzuwerfen.
Ich weiß nicht, wofür ich lebe, ich fühle nicht, dass ich lebe, ich existiere nur als leere Hülle, die funktionieren muss, bis sie irgendwann mal wieder keine Kraft mehr hat, zu funktionieren.
Seit dem 29.1.2004 bin ich wieder in der Klinik. Lange war ich nicht zu Hause. Am 13. Dezember wurde ich erst entlassen. Es ging mir 2 Tage gut und ich wollte einfach nach Hause. Den ersten Termin bei meiner Therapeutin hatte ich dann erst am 20.12. und dann erst wieder einen am 20.1.2004. Mir ging es immer schlechter. Ich hatte immer mehr das Gefühl, allein zu sein, ganz allein. Mit keinem reden zu können. So, als hätte ich etwas sehr Wichtiges verloren. Jemand mit dem ich reden kann, der mir hilft. Ich habe total den Boden unter den Füßen verloren und wusste nicht, was los ist.
Da war ein Schmerz da, der mich völlig ausfüllte und ich versuchte einfach weiter zu machen und weiter zu machen, den Alltag zu bewältigen, was immer weniger gelang. Morgens schon kam ich nicht mehr aus dem Bett. Etwas war anders. Sonst konnte ich morgens nicht aufstehen, weil ich schlecht geschlafen habe und Kopfschmerzen hatte. Die hatte ich jetzt auch, aber sonst wollte ich aufstehen und nun wollte ich einfach liegen bleiben und nicht mehr aufstehen und ich hatte immer mehr Gedanken, nicht mehr zu wollen, nicht mehr zu können, es einfach nicht mehr auszuhalten. Ringsum hatte ich das Gefühl, weggestoßen zu werden, alles falsch zumachen. Ich verzweifelte immer mehr und ich begriff, wenn jetzt noch irgend eine Kleinigkeit passiert, dann weiß ich nicht mehr, ob es gut geht, ob ich es durchstehe und mir nichts antue – ich meine, mich umbringe. Es war wirklich nur noch eine Gratwanderung und ich hatte Angst, Angst vor allem, bin nicht mehr aus dem Haus, habe kaum noch gesprochen, um nichts falsch zu machen.
Es war nicht meine Therapeutin, die mir fehlte, nicht die Klinik, es war meine Mutti. Ich habe sie verloren, als ich weg gelaufen bin, weil ich es nicht mehr aushielt, wie sie zu mir war. Es tat zu weh. Ich hatte eine andere Mutti im Kopf und die, zu der ich gefahren war, behandelte mich wie den letzten Dreck und ich wusste nicht, was ich verkehrt mache. Es war einfach alles verkehrt und sie hat mich nur verletzt, mit jedem Satz, mit jedem Blick und mit Schlägen. Alles habe ich versucht zu übersehen, zu verzeihen, mir selbst die Schuld zu geben, bis es nicht mehr ging und ich nicht zeigen wollte, wie weh es mir tut und weggelaufen bin mit dem Satz: „Ich hatte nie eine Mutti und ich werde nie eine haben.“
Aber ich hatte doch eine Mutti, eine sehr starke, liebevolle, tröstende Mutti, zu der ich immer gehen konnte, mit der ich immer reden konnte, die mir immer geholfen hat. Aber diese Mutti existierte nur in meinem Kopf, diese Mutti hatte ich mir als kleines Kind geschaffen und sie hat mir immer die Hoffnung gegeben, es wird anders, es hört auf, sie wird mir helfen.
Nun ist durch den Bruch in Leipzig bei meinem Besuch diese innere Mutti für mich verschwunden. Eine Zeit lang habe ich es geschafft, damit umzugehen, dass es so ist, wie es ist. Aber es dauerte nicht lange und dann versuchte ich in Gedanken immer mehr, mir meine Mutti wieder zu erschaffen, mir die Schuld daran zu geben, wie es gelaufen ist in Leipzig. Auf der einen Seite wollte ich alles vergessen und so tun, als sei alles in Ordnung und meine Mutti würde mir verzeihen und wieder gut zu mir sein. In Gedanken rief ich sie an und versuchte für mich wieder den alten Zustand herzustellen. Aber ich konnte nicht anrufen, weil ich wusste, sie würde mir wieder wehtun. Ich verlor immer mehr den Boden unter den Füßen, ich kam nicht mehr klar. Die Mutti in meinem Kopf habe ich verloren, die die ich mir als Kind geschaffen hatte.
Der Schmerz und der Verlust ließen mich immer mehr verzweifeln. Ich kam mir dumm vor. Sagte mir, ich habe nichts verloren, weil sie ja gar nicht so war. Doch es half nichts – ich kam nicht zurecht und wurde wütend auf mich, auf meine Dummheit und hatte immer mehr das Gefühl, alles um mich herum stimmt nicht mehr. Ich bin allein. Ich bin zu dumm, allein klar zu kommen. So schämte ich mich, weil es mir schon wieder schlecht ging und wollte es auch nicht zugeben. Ich schämte mich, weil ich ohne die Hilfe der Klinik nicht wieder auf die Füße kommen würde. Ich dachte, was werden die Schwestern von mir denken. In Gedanken hatte ich immer die Sätze im Kopf: „Die hat nichts kapiert, nichts gelernt.“
„Was will die denn schon wieder hier? Fühlt die sich hier so wohl, dass sie lieber hier ist als zu Hause.“
Ich kam mir so völlig als Versager vor und es war mir äußerst peinlich, schon wieder auf Station zu erscheinen. Zugleich wusste ich aber auch, es geht kein Weg daran vorbei, ich brauche diese Hilfe jetzt. Mit meiner Therapeutin, das funktionierte noch nicht so richtig, die Gespräche warfen mich eher um, als sie mir halfen. Woran das lag, weiß ich nicht. Oft hatte ich das Gefühl, sie erwartet zu viel von mir, traut mir zu viel zu, was ich nicht schaffe und ich habe ihr die ganze Zeit versucht klar zu machen, dass ich noch nicht so weit bin.
Manchmal habe ich dann gar nichts mehr gesagt und sie reden lassen und war froh, wenn die Zeit rum war. Klar bin ich erwachsen, klar bin ich über 50 Jahre alt, klar weiß ich vom Kopf her, meine Mutti hat mir nicht geholfen. Das ist mir alles klar. Aber ich fühle nicht so, ich fühle immer noch wie das kleine Mädchen früher und es ärgerte mich ja selber, dass ich meine Gefühle nicht stimmig mit dem bekomme, was ich eigentlich vom Kopf her kapiert habe. Und dann bekam ich immer von ihr gesagt, dass ich erwachsen bin und doch keine Mutti mehr brauche, die mir hilft, dass die ganze Vergangenheit, alles was mir passierte, vorbei ist und ich jetzt doch mein Leben auf das Jetzt ausrichten sollte und es genießen soll. Klasse, ich weiß das alles selbst und will es doch auch und weiß Gott, ich kämpfe darum, dass ich es endlich genießen kann, was ich habe, was jetzt ist und endlich die ganze schlimme Zeit vergesse und leben kann, normal leben kann.
Ich glaube bzw. habe oft das Gefühl, sie meint, ich denke nur an diese Zeit. Verdammt so ist es nicht, so ist es überhaupt nicht. Es funktioniert einfach nicht so, wie ich es will, wie ich es vom Kopf her klar habe – das war früher, ich bin jetzt erwachsen, ich komme sehr gut ohne Mutti zurecht.
Es ärgert mich doch selbst, dass ich zu blöd bin, um das geregelt zu bekommen, dass es mir gut geht, denn es könnte mir gut gehen und ich will auch, dass es mir gut geht.
Immer mehr hatte ich das Gefühl, zu versagen, zu dumm zu sein, um zu begreifen, was sie mir klar machen will. Oft habe ich geheult und versucht, zu sagen, wie es ist. Ich will – aber es klappt einfach nicht so, wie ich es will.
Ich denke wie eine Erwachsene und fühle verdammt noch mal immer noch wie als Kind. Ich will das doch nicht und könnte laut um Hilfe schreien, dass ich das nicht will und es gerne anders haben will. Trotzdem fühle ich mich dann schlecht und denke, ich bin eben selber schuld, wenn es mir so dreckig geht.
Ja, und nun bin ich wieder hier und versuche für mich zu kapieren, was passiert ist, warum ich wieder hier bin und wie ich es schaffe, endlich ganz erwachsen zu werden und nicht nur vom Kopf her oder nach außen hin als Fassade.
8.2.2004
Ich wünsche mir, es ist nicht wahr.
Ich wünsche mir, ich bilde es mir nur ein.
Es ist wahr und ich sehe es immer wieder – möchte es nicht sehen, nicht glauben. Ich sehe es nicht nur, ich spüre es auch und ich weiß dann, es ist passiert und es ist mir passiert. Damals habe ich die Zähne zusammengebissen und heute tue ich es wieder, bis mir der Kiefer weh tut und ich nicht mehr kauen kann vor Schmerzen. Ich bin 7 Jahre alt und die ganze Zeit über wusste ich nur, was später war. Aber ich war erst 7 Jahre alt und sie waren zu dritt. Opa hat mich mitgenommen, meine 2 Brüder nicht, sie waren schon draußen spielen und bei Freunden. Ich war allein zu Hause, habe aufgeräumt, aufgewaschen, damit sich Mutti freut, wenn sie von Arbeit kommt. Ich wusste aber auch, Opa kommt noch. Wieso bin ich nicht raus? Wieso habe ich mich nicht versteckt, bis er wieder geht?
Ich bin nicht raus, nicht weggelaufen, habe mich nicht versteckt, bis er wieder fortgeht. Ich habe gewusst er kommt und habe gewusst, was er tun wird und bin dageblieben. Da hatte ich keine Angst. Was er mit mir macht, das war alles wie taub, es war für mich normal. Er wird kommen, mich in die Stube rufen, mir die Unterhose ausziehen, mich auf die Armlehne des Sofas heben und mir das Kleid hochschieben, damit es nicht stört. Ich muss mich an der Armlehne des Sofas festhalten, damit ich nicht runterfalle und ich muss nur auf die Tapete schauen, bis es vorbei ist.
Es dauert ja nicht lange, dann kann ich weiter aufräumen und es ist gar nichts passiert. Ich hatte immer nur Angst, wenn er den Einkaufsbeutel mitbrachte, denn dann wird es schlimm und tut schrecklich, tut lange schrecklich weh.
Heute hat er den Beutel nicht dabei und ich brauche keine Angst zu haben. Sofalehne oder Mund und fertig, dann geht er wieder heim und ich bin wieder allein.
Heute musste ich das Ding in den Mund nehmen und er hält mir den Kopf fest, es ist eklig und ich kann nicht auf die Tapete gucken, weil Opa sein Bauch vor meinen Augen ist.
Ich muss schlucken, dann lässt er erst meinen Kopf wieder los. Ich weiß das und schlucke eben, weil er mir sonst die Nase zuhält, ich keine Luft kriege und schlucken muss.
Es ist vorbei. Jetzt geht er gleich wieder.
Nein, er geht nicht. Ich muss mich saubermachen und er sagt, jetzt gehen wir ein Eis essen. Ich weiß, ich darf nicht nein sagen und außerdem in der Eisdiele fasst er mich nicht so an. Opa und ich gehen Eis essen. Es gab kein Eis, da oben stand Opas Freund mit dem Auto und ich habe Angst, weil ich nicht weiß, was jetzt kommt. Wenn Opas Freund da ist, dann wird es immer schlimm und Mutti hat Nachmittagsschicht und Vati ist wieder kellnern gegangen. Es ist noch viel Zeit, bis sie heimkommen und ich wieder zu Hause sein muss.
Wohin wir gefahren sind, konnte ich nicht sehen. Wir sind in ein Haus gegangen, das ich nicht kenne, wo ich noch nicht war und wo die Straßenbahn nicht vorbeifährt. Da war noch ein Mann. Er war nicht so alt wie Opa, er war vielleicht so alt wie Mutti und Vati. Opa und sein Freund bleiben in der Küche und der Mann nimmt mich mit in die Schlafstube. Er schlägt mich ins Gesicht und ich soll mich ausziehen. Ich ziehe mich aus, beeile mich, weil er mich immer wieder ins Gesicht schlägt. Ich habe gar nichts gemacht und er schlägt mich immer wieder und dann hebt er mich hoch und wirft mich auf das Bett. Ich heule und habe Angst, weil er mich schlägt, aber ich weiß, was er tun wird und es geht vorbei und dann kann ich wieder heim. Es war so lange und dann noch in den Mund, mein Hals tut schon weh von Opa. Aber der ist noch schlimmer, der spritzt mir das Zeug in den Mund, ins Gesicht und lacht dabei.
Dann lässt er mich allein liegen und geht raus. Mein Hals tut weh und überall tut es weh. Ich suche meine Sachen und ziehe mich an. Raus traue ich mich nicht, ich habe Angst. Ich denke, Opa wird mich gleich holen und mit mir heimfahren. Es dauert eine ganze Weile und dann kommt Opa und nimmt mich mit in die Küche. Ich muss mich wieder ausziehen Opas Freund zieht auch seine Hosen aus. Der Andere ist immer noch nackt, hat nur eine Unterhose an und die hat er jetzt wieder ausgezogen. Er nimmt mich und legt mich auf den Tisch und dann hat er die Pistole in der Hand und zielt auf mein Auge, lacht und drückt ab. Ich habe Angst, große Angst, der ist anders, wie Opa und sein Freund, der ist gemeiner und ich denke, er wird richtig schießen. Ich verspreche immer wieder, dass ich niemandem etwas erzählen werde. Der dreht sich immer wieder um, macht was mit der Pistole und ich denke, jetzt schießt er richtig. Opa sagt gar nichts, er guckt nur zu und Opas Freund tut mir unten weh. Ich kann nicht sehen, was er unten macht, ich habe viel Angst, mich zu bewegen, weil der Andere mir immer wieder die Pistole ins Gesicht drückt, in den Mund schiebt und schießt und mir zwischendurch immer wieder sein Ding in den Mund steckt. Opa sein Freund macht nicht nur das Normale, es tut so weh und wenn ich schreie, weil es so weh tut, hält mir der Andere den Mund und die Nase zu oder drückt mir den Hals zu, bis ich keine Luft mehr bekomme.
Es wird langsam dunkel draußen und Opa muss mich nach Hause bringen, damit ich pünktlich zu Hause bin und Mutti und Vati nichts merken. Ich bin froh, dass es dunkel wird. Meine Brüder sind noch draußen. Opa geht auch und ich krieche in mein Bett. Mir ist schlecht und ich fürchte mich allein, aber Mutti kommt ja gleich heim.
23.02.2004 nachts
Mir ging es heute den ganzen Tag schon nicht gut. Heute Morgen hatte ich Mühe, überhaupt aus dem Bett zu kommen Aber ich musste, ich hatte ja um 10.00 Uhr ein Einzel! Nun ist es schon 9.30 Uhr – ich muss mich also beeilen, um einigermaßen fit zu werden.
Habe es geschafft und bin pünktlich zum Einzel erschienen. Ich sagte, wie schlecht es mir geht und das ich den Kopf zu habe und Angst und vor allem starke Schmerzen. Am Wochenende war ich zu Hause und es ging einigermaßen, aber nur solange, wie ich mich beschäftigen konnte und das tat ich, obwohl ich fast das Gefühl hatte, zusammenzubrechen, so kaputt fühlte ich mich. Die letzten Wochen, also seit dem 29 1.2004, seitdem ich hier bin, hatte ich jede Nacht einen Flashback und die Schmerzen und die Anspannung sind so schlimm, dass ich Probleme habe, die Schmerzen auszuhalten, ohne in mein altes Muster mit dem Schneiden zu fallen. Es kostet viel Kraft, die Schmerzen zu ertragen, wenn ich weiß, ich brauche mich bloß zu schneiden, dann wird es besser.
Aber ich wollte mich nicht mehr schneiden und habe dies auch versprochen. Außerdem ist es ja nun einmal passiert, dass ich die Grenzen vom Schneiden zum Suizidversuch überschritten habe. Das habe ich noch nie getan schon aus diesem Grunde wollte ich weg von den Rasierklingen. Ich hatte sie abgegeben, mir aber auf Grund eines Vorfalles, mit dem ich nicht zurechtkam wieder neue besorgt. Diese habe ich zwar, kann sie aber, weil ich es versprochen habe, mich nicht mehr zu schneiden, nicht benutzen. So muss ich also sehen, wie ich mit den Schmerzen zurechtkomme.
Habe mich einmal mit heißem Wasser verbrüht – als Ersatzwirkung, hat geholfen, mich wieder auf den Boden zu holen und zu beruhigen.
Jetzt habe ich das Gefühl, es stimmt etwas nicht. Ich habe am Freitag gedacht, der Pfleger hat gehört, dass ich einen FB habe und ist gekommen, denn er war da und ich weiß, ich hätte gar nicht klingeln können.
Am Abend ging es mir sehr schlecht und ich bin gegen 22.00 Uhr hinter und habe gesagt, wie schrecklich die Schmerzen sind und das ich das Gefühl habe, einen FB zu bekommen. Ich nahm 2 mg Tavor und ging wieder auf mein Zimmer. Dort versuchte ich ruhig zu werden, Musik zu hören und zu schlafen. Ich hatte Angst, aber was sollte ich machen, noch mal hintergehen, wozu? Tavor hatte ich schon und helfen kann mir der Nachtpfleger auch nicht.
Vorhin merke ich, dass ich nicht mehr allein im Bett liege, ich kann das Fell an meiner Hand spüren und den großen Körper des Hundes auch. Erst kann ich mich nicht bewegen und traue mich nicht an die Klingel, sondern bin aus dem Bett gekrochen und möglichst weit weg vom Bett.
Als ich zu mir kam, war der Nachtpfleger im Zimmer und sagte, ich hätte doch gerade geklingelt und solle mich rumdrehen und aufstehen. Ich hatte Angst, mich umzudrehen, weil ich wusste, da ist der Hund und ich durfte mich eigentlich nicht bewegen, so hat es Opa und auch Rudolf immer gesagt – weil er mich dann zerfleischen würde und davor hatte ich große Angst.
Ich lag im Zimmer vor dem Schrank und habe mich ganz klein gemacht und fürchterliche Angst gehabt.
Der Pfleger kam und war überzeugt, dass ich geklingelt habe – ich habe nicht geklingelt – ich konnte nicht, denn auf der Seite, wo oben die Klingel ist, lag der große schwarze Köter.
Der Pfleger nahm meine Zudecke hoch und sagte, hier liegt nur ein Hund und zeigte meinen Kuschelteddy hoch.
Ich kam mir wie eine Lügnerin vor und er glaubte wahrscheinlich, ich habe ihm etwas vorgespielt. Er sagte doch, ich hätte gerade geklingelt und er ist sofort gekommen. Ich habe aber nicht geklingelt – wirklich nicht. Es muss jemand anderes geklingelt haben – aber wer?
Ich habe nicht bemerkt, dass jemand in meinem Zimmer war.
Ich komme mir ganz komisch vor und frage mich, wer hat dieses und letztes Mal geklingelt? Und zwar von meinem Zimmer aus?
Mir geht es nicht gut und ich möchte nicht noch so dastehen, als wenn ich klingele, dazu klar und fit bin und dann ganz schnell weg bin und am Boden liege. Ich habe nicht das Gefühl gehabt, dass der Pfleger mir geglaubt hat, dass ich nicht geklingelt habe, sondern eher, dass ich eine Theaterschau abziehe. Er hätte ja wenigstens im Nachbarzimmer mal fragen können, ob da jemand geklingelt hat – mir wäre wohler, wenn er mir glaubt. Aber na ja, ich bin hier in der Psychiatrie und da gehört es wohl dazu, dass einem nicht geglaubt wird. Ein großer schwarzer Hund ist ja auch nicht in meinem Bett gewesen, nur ich habe ihn gefühlt und eine Riesenangst und Panik bekommen, denn der Hund gehört Rudolf, Opas Freund.
Am Liebsten würde ich mich jetzt schneiden, um ruhig zu werden, die Angst ist immer noch da und diese Hilflosigkeit: „Der glaubt mir kein Wort, der denkt, ich treibe irgendwelche Spielchen mit ihm.“
Nachtbild
Chaos – ich habe Angst, ich drehe durch.
Nachts, ich bin allein, werd munter durch einen Albtraum, durch meine eigenen Schreie.
Nassgeschwitzt vor Angst. Wo bin ich?
Alles ist da, alles kreuz und quer.
Es ist Nacht – ich bin allein.
Ich weiß jetzt, es war damals, es ist vorbei.
Versuch zu schlafen – es geht nicht mehr.
Aus allen Ecken kommen Bilder, Erinnerungen, Stimmen, Hände!
Ich will, dass es aufhört. Es war doch damals und nicht jetzt.
Also, Schluss jetzt damit!
Es hört nicht auf, es hat mich und irgendwann ist es dann so, als sei es jetzt nicht mehr damals!
Ich drehe durch.
Ich muss mich schneiden, damit es aufhört.
Ich bringe mich um, dann hört es auf!
Dabei ist es vorbei, Vergangenheit.
Ich kann es nicht begreifen, dass es mich immer wieder holt.
Nachts – Angst – Chaos!
Weiß Gott, ich treibe keine Spielchen, ich bin froh, wenn ich in Ruhe schlafen kann und keinen FB habe und dieses blöde Hundevieh nicht spüre, fühle und rieche und solche Angst haben muss.
Ich bin ja sonst nicht so, aber ehrlich jetzt wünschte ich ihm mal für fünf Minuten zu spüren, wie das ist, wenn es so ist. Es ist ein schreckliches Gefühl, zu wissen, der denkt, ich spinne ihm was vor und belüge ihn.
Ich wünschte, ich wäre allein wieder aus dem FB gekommen, ohne seine Hilfe. Er war es auch, der mich vor ein paar Tagen im Zimmer von Toilette gescheucht hat, weil ich geheult habe und mich nicht beruhigen konnte und ich somit die Zimmerkolleginnen in der Nachtruhe stören würde. Ich ging auf den Flur und konnte mich auch dort noch lange nicht beruhigen, es war ein richtiger Zusammenbruch. Auch vom Flur wollte er mich weghaben, weil es stören würde. Ich fragte, ob ich mich aufhängen soll, dann wäre endlich Ruhe. Da ließ er mich dann endlich allein und ich hockte mich in eine Ecke auf dem Boden wo ich nicht sofort zu sehen war und heulte, bis es in mir ruhig wurde.
Ich wusste nicht wohin und mir ging es so beschissen. Hilfe? Reden? Mit wem? Mit dem, der mich von Klo jagt und mir sagt, ich störe, das ging nicht. Ich habe mich viel zu sehr ausgeschimpft gefühlt und im Weg gefühlt. Eben mal wieder schuldig.
Heute nun das. Ich denke selbst, ich spinne – ich habe ihn nicht gerufen, nicht geklingelt, ich konnte doch wirklich nicht klingeln. Aber wem wird hier wohl geglaubt werden.
Morgen heißt es bestimmt, die klingelt und knallt sich dann auf den Fußboden und tut, als hätte sie einen FB.
Ein tolles Gefühl für den nächsten Tag. Das ist wieder so eine Situation, wo ich lieber weg wäre. Es ist so schon schlimm genug, auf dem Fußboden zu mir zu kommen und Angst vor einem nicht vorhandenen Hund im Bett zu haben.
Ich habe keine Lust, mich zum Gespött zu machen, weil alle drüber reden werden morgen früh bei der Übergabe. Und ich, was ich sage, ist doch sowieso alles verkehrt. Ich wäre gerne weg, weil ich mich schäme, wie die morgen von mir denken werden. Aber jetzt komme ich hier nicht raus, alles ist abgeschlossen. Ich bin das einfach alles müde und habe es satt, wenn mir keiner glaubt.
Wenn ich das morgen im Einzel vielleicht anspreche? Aber wozu? Da wird bloß gedacht, ich habe heute Abend nicht richtig getickt oder wollte die Nachtwache ein bisschen beschäftigen. Ich fühle mich nicht gut, ich fühle mich beschissen und ich habe immer noch Angst – aber ich bin allein und fühl mich allein. Ich habe gedacht, ich habe es geschafft, dass ich mir im Notfall Hilfe bei der Nachtwache holen kann, das geht nicht mehr, wenn die so von mir denken, da schäme ich mich zu sehr.
Sehnsucht nach dem Tod
Wenn ich dich nicht umbringe, dann tust du es!
Ich kenne diesen Befehl, ich höre ihn jeden Tag.
Und – ja, ich wünsche mir immer öfter tot zu sein,
denn lebendig tot fühle ich mich sowieso schon.
Es kann mir keiner mehr wehtun – keiner!
Es kann mich keiner mehr enttäuschen – keiner!
Ich brauche mich nicht mehr zu schämen.
Ich brauche mich nicht mehr schuldig zu fühlen.
Ich brauche mich nicht mehr zu verstellen, keine Rolle mehr zu spielen.
Mein Kopf ist schlimm.
Ich halte es nicht mehr aus!
Wozu? Wird sich je etwas ändern?
Ich kann nichts mehr aushalten, es tut zu weh und ich muss erwachsen sein.
Alle sagen, ich bin es!
Ich bin es nicht – mein Körper ist es – ich nicht!
Ich bin 12 und hoffe immer noch, meine Mutti hilft mir.
Dieser Schmerz, diese Enttäuschung, das kann man nicht aushalten – keiner!
Ich sehne mich nach Ruhe im Kopf, nach Freiheit im Kopf – ich will weg!
12.02.2002 Tina
Gefangen im Schweigen
Es sind so viele Menschen um dich herum und doch bist du einsam.
Du schreist – keiner hört dein Schreien.
Du weinst – keiner sieht dein Weinen.
Du erzählst es – keiner versteht, was du sagen willst.
Du hoffst auf Hilfe – doch keiner hilft dir.
Du bist allein, einsam, traurig –
musst schweigen, weil du dich schuldig fühlst, weil du dich schämst.
Du bist gefangen im Schweigen müssen.
12.02.2002 Tina
Lasst mich endlich in Ruhe!
Ich habe Angst, es passiert immer wieder.
Ein Bekannter ist freundlich – ich kann ihn gut leiden. Ich kann nicht sagen – nein, lass mich in Ruhe.
Isolier dich! Sperr dich ein!
Lerne niemand näher kennen! Vertraue niemanden!
Dann kann nichts passieren!
Bei ihm habe ich Schutz - er ist mein großer Teddybär! Das ist das Wichtigste an unserer Beziehung. Angst vor anderen – Schutz durch ihn. Nie allein gehen – immer zusammen.
Die Große ist nicht groß, sie ist immer noch klein.
Nur im Spiegel bin ich groß.
Alle sehen die Große!
Ich bin nicht erwachsen, ich bin klein und kann mich nicht wehren –
aber das weiß keiner
Nur ich weiß es und habe Angst.
Das kleine Mädchen hat immer Angst.
23.02.2002 Tina
23.03.2004
Mir geht es einfach nur schlecht und ich weiß nicht, was ich tun kann, um es zu ändern. Wie so oft, kommt mir das Schreiben in den Sinn. Ich habe soviel im Kopf, soviel durcheinander, Altes und Neues. Nichts richtig Neues, nur neue Ausschnitte und Bilder dazu und das lässt es mir nicht gut gehen. Außerdem ist da diese riesengroße Angst vor dem Schlafen, vor dem Flashback und davor, noch tiefer abzurutschen.
Ich merke, wie ich immer Stück für Stück abrutsche, es geht ins Nichts, ins Leere. Ich finde das auf einer Seite schlimm und auf der anderen Seite ist dort dann vielleicht endlich die Ruhe und der Frieden und vor allem, der Schluss, das Ende des ganzen unseligen Erfahrens, Erinnerns. Ich habe wieder einmal Angst, durchzudrehen. Es ist, als könnte ich meinen Kopf, diesen Wust im Kopf, den Druck und Schmerz, die Schmerzen in den Armen und die Schmerzen drinnen, ganz tief in mir drin, nicht mehr aushalten. Ich kann keine Gefühle außer Traurigkeit, Leere, Einsamkeit, Schmerz mehr spüren und doch ist da etwas, was ich nicht so richtig beschreiben kann, ich habe auch das Gefühl, es zerreißt mich, ich will schreien, will um mich schlagen, habe aber wieder Angst davor.
In den letzten 3 Tagen habe ich, bevor ich mich ins Bett gelegt habe jeweils 2 mg Tavor eingenommen und konnte dadurch die Nacht überstehen. (Ich bin auch meist erst nach 1 oder 2 Uhr ins Bett gegangen und denke, vielleicht bin ich so dem Flashback entkommen.) Da waren nur diese schwer auszuhaltende Stimmung und Zustände. Oft bin ich im Zimmer rundgelaufen, um mich nicht zu schneiden. Gestern Abend habe ich es nicht mehr geschafft und mich geschnitten. Habe den Kampf mal wieder verloren. Den Erfolg, nämlich, dass es mir dann besser geht, dass der innere Schmerz und die Schmerzen in den Armen weniger werden, den habe ich nicht erreicht. Auf die Frage der Nachtschwester, warum ich mich nicht gemeldet hätte, konnte ich nicht viel sagen, ich wollte einfach diesem Schmerz entkommen, dabei habe ich schon soviel Tavor genommen.
In den letzten Tagen nehme ich sowieso viel zu viel davon ein, um es auszuhalten, wenigstens aushalten zu können und nun konnte ich es eben nicht mehr aushalten, ich wollte mal eine kleine Pause. Hab sie leider nicht bekommen, das Schneiden hat fast gar nicht geholfen und das hat mich auch enttäuscht. Da habe ich schon den Kampf verloren und dann nicht mal erreichen können, dass es mir etwas besser geht. Ja, ich habe wider einmal versagt. Es ist mir aber auch irgendwo egal, es geht mir so beschissen, so schlecht, dass ich mich dafür nicht einmal schämen kann.
Es ist mir einfach völlig egal, nur dass ich enttäuscht bin, dass es mir nicht geholfen hat. Ich habe von dem letzten FB nicht viel erzählen können, weil ich nicht viel weiß, ich weiß wirklich nicht viel, was da passiert ist, ich weiß eben nur, was mit mir passiert ist. Ich war wieder einmal in den Händen mir völlig fremder Männer. Klar Opa und seine vielen „netten“ Freund kenne ich, aber die anderen Männer sind mir nicht bekannt – aber wann habe ich schon mal jemanden von denen kennen gelernt. Ich habe sie alle nur an diesen Abenden oder Nachmittagen gesehen und sonst nie oder manchmal selten wieder bei einer solchen Gelegenheit. Ist auch egal, sie waren alle gleich, gemein, grausam und richtig böse. Mein Opa hatte immer Spaß. Er hat immer gelächelt. Heute hasse ich es, wenn es mir schlecht geht und jemand anderes tut so, als sei das richtig so.
Es war immer so, dass ich gehofft habe, wenn er lächelt, dann wird es nicht so schlimm und war jedes Mal entsetzt, wie mein Opa da lächeln kann, wenn es mir so weh tut oder wenn die so eklig sind und ich mich kein bisschen bewegen, weg drehen oder den Mund zubehalten kann.
Der letzte FB ist einfach deswegen so schlimm, weil ich nicht erkennen kann, was die da mit mir tun und nicht weiß, wann sie es tun. Es tut schrecklich weh. Sie stehen alle unten um mich rum. Ich bin, wie immer festgebunden an Armen und Beinen, kann mich nicht drehen oder groß bewegen – wage es auch nicht. Sie berühren mich mit etwas da unten und es ist ein Schlag, der mir durch den ganzen Körper geht und ich fliege, obwohl ich an Armen und Beinen festgebunden bin, fast in die Luft und dann krache ich wieder runter und es ist vorbei – ich kriege wieder Luft, der grauenvolle Schmerz ist vorbei. Er ist vorbei, bis sie mich wieder da unten berühren und ich ihn wieder spüre und denke, jetzt stirbst du also, so ist es, wenn man stirbt. Ich dachte, sterben tut nicht weh. Ich dachte sterben ist Ruhe, Frieden, keiner fasst mich mehr an und ich bin endlich allein und nichts tut mehr weh. Aber sterben ist glaube ich schön, denn da muss Frieden sein. Hier sterbe ich nicht, hier tut es immer wieder furchtbar weh und ich weiß nicht, wie lange und wann. Es tut ganz plötzlich weh, mein ganzer Körper bäumt sich auf und ich schreie, bis ich einen Lappen in den Mund bekomme.
Ich habe Angst, furchtbare Angst, wieder berührt zu werden und es tut wieder weh. Ich heule, will weg, sehe nach Opa – bin allein und kann nichts tun, nur da liegen, festgebunden und Angst vor der nächsten Berührung haben.
Die Männer: nehme ich gar nicht mehr wahr, ich höre nur noch Stimmen, Lachen. Und später werde ich nicht mehr so berührt, sondern so, wie immer. Sie tun alle, was sie wollen, der eine unten. Der andere in meinem Mund und ich spüre meinen Körper nur noch als einen einzigen Schmerz und denke, ich bin überall kaputt.
Es ist nichts kaputt – gar nichts – nur innerlich tut alles weh und ich kann mich nicht bewegen, kann nicht laufen, mir knicken die Beine ein. Aber es ist noch Zeit, ich muss noch nicht laufen – die sind noch nicht alle fertig. Ich bin es- ich will nach Hause. Aber es sieht so aus, als wenn sie langsam genug von mir haben – wieso? Sie setzen sich hin und rauchen und quatschen und ich bin nicht mehr für alle interessant und der Letzte wird auch bald fertig sein, dann ist Ruhe und ich werde heimgebracht.
Ich werde sogar sauber gemacht. Ich kann es nicht selbst tun, kann mich nicht mehr bewegen, aber der Eine setzt mich in die Dusche und wäscht mich sauber, sogar die Haare. Na ja, dass er mich dabei immer noch überall anfasst und es noch mal in meinem Mund tut, das spüre ich kaum noch, ich kann mich sowieso nicht wehren, nicht bewegen und es ist gut, wenn der ganze Dreck weggewaschen wird und ich nicht mehr so stinke und so eklig bin. Unter der Dusche kann ich diesmal auch den Mund ausspülen und ausspucken, es ist dem egal, er sieht nicht mehr nach mir. Ich liege noch in der Dusche und es ist gut, dass ich mich nicht bewegen muss. Ich glaube sowieso, ich kann mich nicht mehr bewegen. Als ich in die Dusche sollte, konnte ich es jedenfalls nicht mehr, da hat der, der mich dann saubergemacht hat, mich getragen und in die Dusche gesetzt.
Nun liege ich hier und habe Angst, ob ich mich noch bewegen kann oder nicht mehr. Wenn ich es versuche, dann geht es nicht. Keinen Arm und kein Bein kann ich bewegen, nur den Kopf kann ich drehen. Was machen die mit mir, wenn das jetzt so ist? Bringen die mich dann noch nach Hause oder werfen sie mich einfach weg? Es ist dunkel draußen und ich habe schreckliche Angst, was sie mit mir machen werden, wenn sie merken, dass ich mich nicht bewegen kann. Opa hat immer gesagt, so was wirft man weg und keiner vermisst es. Vielleicht werfen sie mich heute eben einfach weg. Ich bin doch jetzt zu nichts mehr nutze und nach Hause bringen kann er mich doch so nicht. Ich bin doch erst 9 Jahre alt und ich möchte nicht, dass Opa mich allein lässt oder wegwirft. Ich möchte nach Hause, in mein Bett und schlafen. Ich bin doch sauber und keiner merkt etwas und morgen früh ist Mutti vielleicht lieb zu mir, wenn ich mich nicht mehr bewegen kann und alles wird anders.
Sie ziehen mich an und tragen mich ins Auto, legen mich hinten rein und (ich bin froh), sie bringen mich nach Hause. Opa trägt mich hoch, zieht mich aus und legt mich ins Bett. Niemand ist da. Ich bin allein. Opa ist wieder fort. Ich bin froh, dass sie mich nicht einfach weggeworfen haben, sondern wieder nach Hause geschafft haben. Ich kann nicht aufstehen, ich muss auf Klo – es geht ins Bett. Das ist mir noch nie passiert – da schimpft Mutti mit mir. Wenn ich mich bewegen könnte, würde ich das noch wegmachen, aber ich kann nicht. Ich liege einfach da und kann mich nicht bewegen und heule, weil ich Angst habe, weil Mutti nun mit mir meckern wird und böse sein wird, weil ich so ein Schwein bin und mit 9 Jahren ins Bett pinkeln tu.
Am nächsten Tag:
Ich kann mich wieder bewegen, es tut zwar alles weh und geht ganz schwer, aber ich passe auf, dass es richtig aussieht und keiner was merkt. Mein Bett ist noch dreckig, Mutti hat nichts gesehen, ich habe es einfach wieder zugedeckt und niemand hat etwas gesehen. Später tu ich ein sauberes Laken in mein Bett. Mutti denkt sowieso, es ist von meinem kleinen Bruder, der macht oft noch Pipi ins Bett, obwohl er schon 8 Jahre alt ist. Aber da fällt mein Laken wenigstens nicht auf und so ist alles in Ordnung.
Mutti hat mich zwar nicht in den Arm genommen, weil ich mich nicht mehr bewegen kann, aber vielleicht hätte sie es getan.
Mein Opa kam in den nächsten Tagen auch wieder und alles passierte noch mal, nur diesmal wusste ich, ich werde nicht weggeworfen und ich werde gewaschen und wieder zu Hause in mein Bett gelegt. Dann haben sie das nie wieder mit mir gemacht, ich war nicht mehr böse, ich war jetzt ein braves Mädchen und sie brauchten bloß zu sagen, was ich tun muss und ich sagte sogar, ich mache es gern und es ist schön und macht viel Spaß,
Ich durfte nicht mehr weinen, sondern musste lächeln, wenn sie es sagten und freundlich sein. Das tat ich alles, denn sonst hätten sie mir wieder so schrecklich weh getan und Opa hat gesagt, wenn man das oft tun muss, dann kann man wirklich nicht mehr laufen und dann wäre ich selber Schuld dran, denn er wollte das nicht, er hat mich wirklich lieb und will nur, dass es mir gut geht.
Wem kann man so etwas erzählen, wenn es mir schlecht geht, wenn ich nicht mehr kann, wenn ich es einfach nicht mehr aushalte? Es gibt nur eine Möglichkeit, einen einzigen Raum und zwar, wenn ich zur Einzeltherapie zur Herrn Dr. Sanchez gehe. Aber auch dort ist es schwierig, zu reden, weil ich Angst habe und weil ich mich schäme. Angst es einfach einem Menschen zuzumuten, sich das anzuhören und schämen, weil ich dann weiß, dass er das von mir weiß und ich wieder ein Stück von mir preisgegeben habe und damit einen Anderen belastet habe.
Ich weiß nicht, warum es so wichtig ist, das loszuwerden, dabei ist es so schwer, es mitzuteilen. Dann ist da die Angst, was wird er sagen, wie wird er reagieren – immer und immer wieder ist die Angst da, weggestoßen zu werden, weil es zu eklig und zu belastend ist und eine riesengroße Zumutung von mir, dass jemand zu erzählen. Ich kann es ja schon gar nicht selbst erzählen, ich kann nur über den „Kassetten-Weg“ reden und dann habe ich Angst und denke, ich hätte es nicht tun sollen. Ich würde viel lieber schweigen, nichts sagen und, wenn es kommt und ich reden muss, solange schreien, bis es genug ist und es so ohne Worte und ohne jemand zu belasten los werden.
Als ich das letzte Mal in meinem Zimmer geschrieen habe, das war deswegen und ich glaube, ich habe tierisch geschrieen und hätte wahrscheinlich noch sehr sehr lange geschrieen, doch die Schwester sagte, ich soll leise sein. Leise sein, wie immer und ich war leise – sofort. Ich konnte meine Arme nicht mehr an den Schrank schlagen, hielt mitten in der Bewegung inne. Und, ich konnte kaum noch atmen, weil ich dachte, ich bin zu laut.
An diesem Tag habe ich kein Radio mehr laufen lassen und keinen Mucks mehr von mir gegeben. Ich bin vor Scham nur noch im Zimmer herumgeschlichen.
Leise sein – sei still – schreie nicht, sonst ...
Ich war mit einem Schlag ausgeschalten worden, abgestorben, erstickt bewegungslos. Keiner weiß, warum ich so geschrieen habe, was mit mir los war – ich habe eben einfach nur geschrieen und das ist nicht normal. Für mich war es ein Loswerden ohne zu reden, ein Loswerden ohne Worte, ohne jemand zu belasten, ohne mich schämen zu müssen.
Nun geht es mir schon tagelang schlecht. Ich möchte weg sein, es nicht mehr aushalten müssen und sitze statt dessen in diesem Zimmer, in dieser Klinik und ein Tag vergeht und dann eine Nacht und es kommt wieder ein Tag und ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll, immer weiter zu machen. Es ist nicht so, dass ich wirklich sterben will, ich weiß doch, es war schon schön, es ging mir schon besser, aber jetzt, ich weiß nicht, alles ist wieder so aussichtslos. Außen ist alles normal, ich ziehe mich ordentlich an, schminke mich sogar manchmal, gehe essen, gehe in die Medico ich tue alles, was man tut, wenn man normal ist, doch innen ist ein riesiger Schmerzklumpen und wenn es danach ginge, würde ich heulend im Bett liegen oder auf dem Fußboden im Zimmer hocken und nichts wollen, nichts tun, einfach gar nichts – das würde ich wollen – meine Ruhe und Nichts.
Aber ich muss normal sein, normal funktionieren, damit keiner fragt: „Was ist denn los?“ Ich muss doch schweigen, nicht mal schreien kann ich mehr und auf Befehl, wenn ich in einen Raum gebracht würde, wo ich schreien darf, das geht nicht – funktioniert nicht.
Schreien ist es loswerden ohne es zu sagen.
Verzweiflung loswerden.
Enttäuschung loswerden.
Wut loswerden.
Schmerz loswerden.
Angst loswerden.
Einsamkeit loswerden.
All das wird man dann los, aber es ist nicht richtig, passt nicht, gehört sich nicht, stört.
Dabei wollte ich nur schreien um wieder leben zu können. Eines weiß ich, man geht kaputt, wenn man innerlich schreit und daran fast erstickt.
Es raustoben, rausschreien ist so wichtig. Ich weiß nicht, ob ich es noch mal kann. Warum?
Ganz einfach, weil ich früher nicht schreien, nicht toben, mich nicht wehren konnte. Nicht zu hören war – immer schön leise, immer schön normal- keiner darf was merken, keiner darf was hören.
Warum darf man diesen ungeheuerlichen Schmerz, wenn er einen zu überrollen droht und erstickt, warum darf man ihn nicht rausschreien?
Ich kenne eine klasse Antwort! „Hättest du doch früher geschrien, dann brauchtest du es heute nicht““
Ja, ich bin die stille Tina und es nicht normal, wenn ich so laut bin – es reicht ja nachts schon zu, wenn ich im Schlaf immer schreie – wieso reicht das nicht eigentlich aus für mich? Ich frage mich das selber? Ich denke, weil es nicht bewusst ist und weil es nicht „dieses Schreien“ ist.
Es ist kein Loswerden, es ist kein befreien davon.
Aber wie soll ich es loswerden. 100 Mal erzählen? Wem? Dann schreie ich lieber, aber ich kann nicht mehr. Deswegen geht es mir so dreckig.
Was mit mir los ist?
Da ist Hoffung, dass man liebgehabt wird, da ist Angst, dass einem weh getan wird. Da ist Angst, dass man weggeworfen wird wie ein Stück Dreck.
Da ist Angst vor den Schmerzen.
Verdammt noch mal, wer würde da nicht schreien? Wem ginge es da nicht so? Wer würde da reden wollen – besser gesagt, reden können. Da nützt mir viel, wenn jeder sagt, ich schaffe das. Bloß wie und wann. Ich habe keine Lust mehr ein Spiel zu spielen, Fassade. So tun, als ob. Ich habe es anders erlebt und so soll es wieder sein. Aber jetzt bin ich wieder erstickt. Zu. Habe Mühe überhaupt etwas zu sagen. Angst etwas zu sagen. Ich könnte ja wieder laut werden und da habe ich Angst davor. Obwohl ich mir erklärt habe, dass es richtig war, dass ich nicht schreie, weil ja die Anderen auch noch da sind.
Aber wer war da, als es passiert ist, da war keiner da, alle waren in Therapien.
Und jetzt, wo ich schreien könnte, da sind so viele und ich muss still sein und die Zähne zusammenbeißen. Da schaffe ich gerade den Weg bis ins Zimmer und bin wieder allein. Klar, ich habe Helmut, aber dem kann ich das alles nicht erzählen, der hat viel zu viel Angst und Sorge um mich. Bei einem Flashback, wenn ich mal schreie, dann schläft er ja schon fast aus Angst um mich nicht mehr.
Nichts kann ich ihm erzählen, nicht ein bisschen. Es müsste gehen, dass man nur noch munter ist. Oder das alles einfach verschwindet oder man selber verschwindet. Ja, vielleicht wäre es besser gewesen, die hätten damals richtig geschossen – einmal bloß und alles das wäre jetzt nicht mehr.
Die Angst davor ist auch noch da – in mir. Pistole in den Mund abgedrückt, klick, klick und jedes Mal denke ich, jetzt, jetzt ist es aus, jetzt erschießen sie mich.
Das ist doch alles Horror, schlimmer, wie im Film und da meckert keiner, wenn jemand schreit. Ja, mir tut wieder der Kiefer weh, vom Zähnezusammenbeißen, damit ich nicht schreie.
Ist auch egal. Ich habe eine Frage, wenn ich allen erzählen würde, was passiert ist, ob ich dann schreien dürfte?
Ich würde es nie tun, es nie erzählen und werde auch nie mehr schreien.
25.03.2004
Gestern habe ich aufgeschrieben, was passiert ist, als ich gesagt bekam, ich solle leise sein, die anderen erschrecken, wenn ich so schreie.
Ja, ich war sofort leise und alles in mir ist erstickt. Heute habe ich das, was ich gestern darüber geschrieben habe, wie es mir ging auf Band gesprochen ins Einzel mitgenommen.
Es war so ein Fehler – ich habe irgendetwas verkehrt gemacht, was weiß ich nicht, es ging mir jedenfalls danach noch schlechter. Nein, es war glaube ich völlig verkehrt. Ich konnte dann nichts mehr sagen, habe nur noch verstanden, wie schwierig es ist. Dabei wollte ich nicht sagen, dass ich unbedingt schreien muss in meinem Zimmer – ich kann es wahrscheinlich nun sowieso nie wieder – es ist vorbei, geht nicht mehr.
Ich wollte nur erklären, was es für mich war, was es für mich bedeutet hat und dann kann ich mir nur die ganze Zeit anhören, wie schwierig es ist, dies ein weiteres Mal passieren zu lassen. Ich will es sowieso nicht mehr passieren lassen.
Aber eins will ich sagen, wenn ich jetzt irgendwie merken sollte, es will losbrechen mit dem Schreien, dann werde ich es zu verhindern wissen, egal wie, ich werde nicht zu hören sein. Ich habe mich heute über mich selbst geärgert, weil ich überhaupt noch mal davon angefangen habe. Es ist nicht gut gewesen – ich hätte es nie wieder erwähnen sollen. Ich konnte die ganze Zeit schlecht sitzen bleiben und mir all das anhören, all die Vorschläge, die Möglichkeiten – Klasse. Es ist ja so planbar, so berechenbar.
Ich will auch nicht, dass ich eine „Sondergenehmigung“ zum Schreien auf meinem Zimmer erhalte, oder dass jemand vor meiner Tür steht und die anderen beruhigt ... ist alles so verletzend, so schmerzhaft.
Ich wollte all das nicht hören, wollte gar nichts hören. Es tut einfach weh – ich hatte gesagt, was los ist – ich wollte es nicht, es war nicht geplant – es wird nicht wieder vorkommen.
Ich hasse das heutige Einzel! Warum? Weil ich das alles nicht wollte. Sie müssen mir nicht erklären, dass es nicht so geht, wie es passiert ist. Es ist ja auch gar nichts weiter passiert – es hat nur jemand mehr gesagt, ich soll still sein, damit niemand etwas hört. Ist nichts Neues für mich – früher durfte auch niemand etwas hören und nun ist es eben auch wichtig, nicht zu beunruhigen. Hätte früher jemand was gehört, wäre er vielleicht beunruhigt gewesen und ich hätte Hilfe bekommen. Aber ich wurde dressiert, nicht zu schreien, oder bekam eben einfach einen Lappen in den Mund. Heute ist es unmöglich sich so aufzuführen, andere zu beunruhigen, zu stören, zu belasten, zu erschrecken.
Soll ich mal was sagen? Nicht einer von Station hat mich gefragt, wieso ich so geschrien habe, nicht Einer. So erschreckend und beunruhigend war es.
Das Einzige, was mir aufgefallen ist, dass mir noch mehr aus dem Weg gegangen wurde, es hat mich nicht gestört, es war vorher schon so und also nicht neu.
Ach, ist alles Quatsch, es wird Zeit, dass ich heim gehe, das alles ist nicht gut. Es geht zu viel verloren.
Was soll das? Phanthasialand, auf der Achterbahn schreien, auf dem Fußballplatz schreien.
Soll ich darüber lachen? Ich habe es mir nicht getraut, aber diese Vorschläge sind so doof, weil das Schreien auf dem Fußballplatz oder in der Achterbahn usw. eben etwas ganz anderes ist. Stellen Sie sich doch mal vor, ich stehe auf dem Fußballplatz und schreie und heule und hocke auf dem Boden. Ist doch eine Supervorstellung, passt prima, um mit der Zwangsjacke abgeholt zu werden. Entschuldigung, aber es ist doch wahr.
Ich finde es nur schlimm, dass das jetzt noch zu dem, was ich sowieso schon in den Griff bekommen muss, noch dazu kommt.
Ist schon richtig, wenn ich sage, ich will einfach nur meine Ruhe haben, ganz allein sein, weg sein – nicht mehr stören, keine Fehler mehr machen, verschwinden. Es ist eben alles falsch, ich komme einfach nicht zurecht, habe das Gefühl, gegen Wände zu rennen und die kommen immer enger auf mich zu, bis ich keine Luft mehr bekommen kann. Ich möchte kein Wort mehr hören davon, ich will nicht mehr – es wird auch nicht mehr passieren. Schluss, Ende.
Heute nach dem Einzel bin ich in mein Zimmer und habe nur noch weinen können und nach meiner Mutti gerufen (ist doch toll!). Ich weiß nichts mehr. Ich brauche jemand, der mir hilft, und dass Mutti mir nicht helfen kann oder will, weiß ich. Aber ich habe mich einfach allein gefühlt, ganz allein nach dem Einzel. Ich weiß nicht, wieso und es macht mich sehr traurig. Verdammt, wie viel muss ich denn noch aushalten? Ich kann nicht mehr. Sie müssen mir nicht eine Stunde lang erklären, was nicht geht, darum ging es nicht, überhaupt nicht. Ich kam mir vor, als hätte ich Ihnen ein Riesenproblem aufgeladen, dabei ist es längst vorbei. Es war, als würde ich gesagt bekommen, mit der Puppe darfst du nicht spielen.
Will ich auch nicht mehr. Es ist mir leider passiert und ich kann mich nur entschuldigen.
Ich brauche jetzt jemanden, der mir sagt, wo es lang geht und was ich darf. Ich komme nicht mehr zurecht und will nichts mehr verkehrt machen. Ich will, dass es besser wird oder, dass ich verschwinden kann. Es gibt nur noch zwei Wege.
24.03.2004
Jetzt geht es auf Abend zu und ich bekomme immer mehr Angst, ich bin so müde, so erschlagen, möchte mich gerne hinlegen und habe doch solche Angst vor dem in meinem Kopf. Ich fühle mich so schlecht, dass ich einfach so zusammenfallen könnte und liegen bleiben, mich nicht mehr bewegen und warten bis alles vorbei ist. Aber ja, ich weiß, so einfach ist das nicht – ich werde noch lange leben, wenn ich es so versuche und es einfach durchhalte, liegen zu bleiben und mich nicht mehr zu bewegen, nicht mehr zu essen, nicht mehr zu trinken.
Ich will ja auch weiterleben, aber nicht so, so wie jetzt. Ich kann nicht mehr. Ich breche zusammen und reiß mich so zusammen, dass es keiner merkt. Ich habe Besuch bekommen und mein Drucker funktioniert wieder – wenigstens etwas Positives. Mir geht es einfach nur beschissen und ich weiß, ich habe für heute, also bis 24.00 Uhr nur noch 3 mg Tavor im Bedarf und dann ist Sense, die reichen nicht, mir geht es zu schlecht, nur Schmerzen. Ich weiß, wenn ich mich schneide, dass ich tiefer schneiden muss, damit ich die Wirkung erreiche, dass es mir mal gut geht und alles mit dem Blut rausfließt.
Ich weiß, wer das nicht kennt, der kann es nicht begreifen. Ich kenne es aber und so weiß ich eben, wie ich mir in der Not helfen kann, um zu überleben. Ja, ganz genau – es klingt unwahrscheinlich, aber es ist so – um zu überleben! Nämlich, wenn es hilft, dann komme ich zur Ruhe, kann mich hinlegen und ganz ruhig, ohne Angst einschlafen, mehr will ich nicht. Wenn es gar nicht geht, müssen eben die Rasierklingen wieder herhalten. Einschlafen und nur das möchte ich – sonst nichts!
Suizidal? Nein, das bin ich nicht – ich habe es zwar satt, so wie es ist, aber ich werde mich nicht umbringen, nicht wegen mir, um mich ist es nicht schade. Ich würde nicht fehlen. Aber ich habe ja diesen Vertrag abgeschlossen, mein Leben nicht zu beenden und den muss ich wohl oder übel einhalten. Dabei ist allerdings egal, wie es mir geht und wie ich zurechtkomme. Ich möchte nur meine Ruhe haben, vor allem, vor mir selbst, meinen Erinnerungen und all den Gefühlen, mit denen ich nicht zurechtkomme.
26.03.2004
Mir geht es total schlecht. Letzte Nacht habe ich mal wieder nicht geschlafen, mich später geschnitten, weil es mir so schlecht ging und ich mit niemand reden konnte. Ich hätte auch mit niemand über meine Angst sprechen können. Ja, ich habe die Kassette heute mit ins Einzel genommen und habe trotzdem nicht geschafft, zu erklären, was mit mir passiert ist, wie ich da stehe und wo ich stehe. Ich stehe ohne mich da und ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll und habe keine Richtung mehr. Fühle nur noch eine Enttäuschung und Schmerzen, ich kann es nicht erklären, ich habe es nicht geschafft, zu erklären, was passiert ist. Herr Dr. S. hat mir seine Hand gereicht und gesagt, es wird besser. Ich habe die Hand genommen und in der Hoffnung, weitermachen zu können, eingeschlagen.
Ehrlich, ich weiß immer noch nicht, ob es geht. Was ist passiert? Was war verkehrt gelaufen? Was habe ich falsch gemacht? Habe ich überhaupt etwas verkehrt gemacht?
Ich habe da ein Verbot gehört, in meinem Zimmer zu schreien, weil es die Anderen beunruhigt. Habe aber zugleich viele andere Angebote und Möglichkeiten vor Augen geführt bekommen, es auf diese oder jene Weise loszuwerden.
Wenn es aber in diesem Moment, zu dieser Zeit, nur diese eine Möglichkeit gibt, die für mich die Richtige ist – warum will das keiner verstehen? Es war zu diesem Zeitpunkt so – wollte ich schreien? Nein, es hat mich geschrieen!
Es ist so, ich wurde früher „erzogen“, nicht zu schreien, wenn es nicht ins Programm passte oder zu riskant war, weil es jemand hören könnte und nun bekomme ich wieder gesagt, schreie nicht, wenn es nicht ins Programm passt, wenn es stören, beunruhigen könnte. Und ich habe erst diese Woche die Kassette mit unten gehabt, wie das gemacht worden ist. Und nun ist wieder einer, der bestimmt, wann ich schreien darf und wann es nicht passend ist und es ist ein Mann und es ist mein Therapeut. Es geht nicht nach Plan, wenn ich diese Qual rausschreie. Wirklich nicht.
Es tut so weh und ich weiß auf einmal nicht mehr, ist es jetzt oder ist es früher?
Und dann das Schlimmste, es ist mein Therapeut, der eine Stunde lang darüber mit mir diskutiert, statt einfach nur zu begreifen, wenn dieser ein Moment da ist, dann passiert es und es ist so von innen heraus, dass ich es selbst nicht steuern kann, dass es aus mir herausbricht.
Das begreift keiner und ich kann es keinem begreiflich machen und will es auch gar nicht mehr. Das ist vorbei.
Ich will nicht mehr – ich will nicht mehr schreien, wenn es los geht. Es ist so, als hätte ich wieder diesen Schmerz zugefügt bekommen, damit ich still bin, brav bin. Mein Gefühl ist so, ich bin zusammengebrochen, so enttäuscht und alle, die mir hier helfen wollen, sind auf einmal sehr weit entfernt von mir – ich spüre ein dicke Mauer dazwischen und es tut nur noch weh und alles macht Angst.
Wie ist das, wenn einer Epilepsie hat und schreit, wird der auch mit solchen Ratschlägen eingedeckt und so abgeschnitten? Ich weiß, ich habe keine Epilepsie, ich bin normal bzw. man sagt, ich sei normal! Ich bin nicht normal – fühle mich nicht normal und jetzt schon gar nicht mehr – ich fühle eine Mauer um mich und die Anderen sind alle draußen – unerreichbar und es kann passieren, dass sie, wie so viele einfach verschwinden. Es ist dann, als wären sie nie da gewesen, als würde ich sie nicht kennen. Ausgeblendet, verloren. Und davor fürchte ich mich so. Ich fürchte mich unwahrscheinlich. Und das kann auch ein Handschlag nicht verhindern, auch, wenn er von Herzen kommt. Das ist so – ich kann es nicht verhindern.
Ganz ehrlich, wer will so leben? In ständiger Angst, Bekannte, Freunde und wichtige Personen zu verlieren, ohne etwas dagegen tun zu können. Das passiert einfach und dann sind sie nicht mehr da. Was jetzt wird weiß ich nicht. Dieses Mal wird es gefährlich, weil da auch noch der Urlaub kommt und dann sind Sie auch weg. Sonst war das nie. Ich hatte noch nie Angst, wenn Sie in Urlaub gefahren sind. Im Gegenteil ich habe gedacht, das ist gut so, da kann ich sehen, wie ich allein klar komme. Und so war es auch und so habe ich es auch genommen, da hatte ich diese Angst nicht, da war es in Ordnung. Ich wusste, dann sind Sie wieder da. Und Sie waren auch nie weg, wenn ich zu Hause war, ich wusste, wenn ich Ihre Hilfe brauche, dann kann ich mich an Sie wenden. Jetzt weiß ich es nicht mehr. Jetzt ist es irgendwie – jetzt ist es kaputt.
Sonst hatte ich diese Angst nicht, da war es in Ordnung. Ich wusste, dann sind Sie wieder da, aber nun weiß ich nicht, ob es ein Verschwinden für immer ist (bei mir). Ich habe Angst, fürchterliche Angst, dass es so passiert.
Es nützt nichts, zu sagen: „Ich bin da.“ Sie können es zehnmal sagen, sie können immer lächeln, Sie können mir versichern, dass Sie da sind. Da ist die Mauer dazwischen und die große Entfernung – und nichts ist mehr so, wie vorgestern. Ich will das nicht, aber es ist so. Doch ich will es ändern, will glauben, hoffen, aber da ist die Enttäuschung, dass Misstrauen und ich habe schon soviel von mir gesagt und nun stehe ich da und weiß nicht mehr, ob es richtig war – mein Gefühl schiebt alles weg, obwohl mein Kopf es festhalten will.
Ich bin so müde, kaputt und traurig. Wozu all das Gerede, es bringt nichts. Der erste Riss war damals mit dem Einzelzimmer passiert, da bin ich in völlige Panik geraten, habe vor Angst Sie zu verlieren geheult und geschrieen und es ist nicht so passiert. Gott sei Dank. Ich habe Sie wieder zurückbekommen. Dieses Mal ist es anders. Es geht leise. Es ist so, wie Sterben. Schmerzen, Trauer, Enttäuschung und dann Leere und Nichts. Ich rutsche ins Leere, da ist kein Halt und keine Orientierung mehr.
Verdammt ich weiß nicht, was richtig passiert ist, was ich dagegen tun kann. Ich fühle mich so ausgeliefert, ohne Boden unter den Füßen, ohne zu wissen, wer ich bin und was ich möchte. Doch, ich weiß, was ich möchte. Ich möchte, dass es nicht passiert. Ich fühle nur Trauer, Schmerz, Leere, da ist kein Halt, keine Sicherheit mehr, keine Hoffnung mehr.
Ich bin selber Schuld, was musste ich noch mal mit dem Thema beginnen. Ich bin selber Schuld, dass es jetzt so gekommen ist und würde gern alles zurückdrehen, ungehört und ungesagt machen und vor allem ungefühlt.
Ich habe Angst vor Montag, da ich nicht weiß, ob Sie noch da sind. Ich habe zwar ihre Hand genommen, aber Sie waren so weit weg und ich fühle mich so allein.
Ich habe Ihnen noch versprochen, dass ich am Montag wieder da bin. Warum, weiß ich nicht. Vorhin habe ich gemerkt, dass ich am Ausräumen und Sortieren bin, was ich noch brauche und nicht brauche und dass ich den Gedanken habe, nicht wieder zu kommen. Aber ich habe versprochen, dass ich am Montag wieder da bin. Also werde ich es auch halten. Warum habe ich es versprochen? Wo ich doch gar nicht weiß, was Montag passiert. Ob es noch schlimmer für mich wird. Es ist jetzt schon schlimm genug.
Ich habe so viel von mir erzählt und was ich nicht erzählen konnte, geschrieben und später auf Band gesprochen und jetzt denke ich, dass war verkehrt. Was ist passiert? Warum? Woran liegt das? Ich will das gar nicht! Ich will das wirklich nicht! Ich habe panische Angst davor! Ich weiß doch, dass es bei Frau H. noch nicht richtig klappt mit der Therapie. Das war verlockend heute Abend, die Stufe abzusetzen. Aber ich habe es nicht gemacht. Nicht gesagt: „Ja.“
Verdammt, wieso geht das einfach so – Zack – und dann ist jemand weg.
Zack – und dann ist er, wie jemand anders?
Als Sie sich im Sessel rumgedreht haben, im Einzel, da ist es auch passiert, da war es auch so. Ich hatte das Gefühl, ich nerve Sie und ich will nicht nerven.
Es kam mir so vor, als wären Sie gereizt und haben sich deshalb weg gedreht und die Beine überschlagen. Aber das, genau das war immer die Haltung meines Opas gewesen, wenn ich nicht auf seine Hilfe hoffen durfte. Ich will es nur begreifen und verhindern. Im Prinzip kann es Ihnen egal sein, es gibt viele Patienten. Aber mir ist es nicht egal – es gibt nur einen Therapeuten, zu dem ich Vertrauen habe. Und Sie haben mir bis jetzt so viel geholfen und ich verstehe nicht, wieso die Reaktion jetzt so bei mir ist. Verdammt noch mal, was ist passiert? Was?
Ich muss es klar kriegen. Ich muss das einfach klar kriegen und das sortiert bekommen, um es wieder richtig zu stellen. Ich geh sonst kaputt. Ich verschwinde sonst.
Ich muss es klären. Das muss an was Bestimmten gelegen haben. Ich muss darüber reden, darüber reden. Ich will Sie nur festhalten und behalten, weil ich Ihre Hilfe brauche, sonst kann ich mir gleich den Strick nehmen und mich aufhängen.
Auch dies habe ich wieder auf Band gesprochen und werde es mit in die Therapie am Montag nehmen, es ist wichtig – ich muss wieder Boden unter die Füße bekommen, muss wissen, dass Herr Dr. S. nicht verschwunden ist für mich, dass ich ihn nicht ausgeblendet habe, ich muss alles dagegen tun.
28.03.2004
Mein Mann hat mich am Samstagmorgen abgeholt und wir sind heimgefahren. Schon während der Fahrt nach Hause, welche ca. 2 1/2 Stunden dauert, habe ich mir die Kassetten der letzten Therapiegespräche angehört und gesucht, was passiert ist, warum ich so reagiert habe.
Mein einziger Gedanke war – ich muss finden, was passiert ist, woran es lag, damit ich es wieder für mich geklärt bekomme.
Mir ging es nicht gut und ich wusste nicht, wie ich das Wochenende durchstehen soll mit dieser Angst.
Als wir zu Hause ankamen, habe ich erst mal alle meine Tiere begrüßt. Meine Katzen, alle kamen sie mir entgegen und haben mich beschnuppert und beschmust, das war schön und hat gut getan. Mein Papagei hat nur geschnattert, alles, was er gelernt hat, durcheinander geschwätzt. Ich habe herzlich gelacht. Es war schön, zu Hause zu sein und das alles wieder zu haben.
Es war so weit weg.
Dann habe ich meinem Mann und mir erst mal eine Tasse Kaffee gemacht und wir haben uns in die Stube gesetzt. Ich war innerlich so weit weg von meinem Mann und er sagte mir das auch. Ich kann es zur Zeit einfach nicht bzw. kaum ertragen, in den Arm genommen zu werden und er hat so sehr das Bedürfnis danach, mich fest zu halten, zu umarmen. Ich versuche immer möglichst unauffällig, dem aus dem Weg zu gehen. Es tut mir schon leid, aber es geht zur Zeit so schlecht körperliche Nähe zu ertragen. Ich hoffe nur, es wird sich wieder ändern. Ich habe meinen Mann doch gern und das verdient er nicht.
Während dem Kaffeetrinken spielte ich ihm eine Kassette vor über den letzten Vortragsabend, es war ein Vortrag von Herrn Dr. S. über Traumatherapie.
Da begann mein Mann dann einiges zu verstehen und sagte, ich müsse viel mehr mit ihm reden. Er stehe so hilflos da und wolle mir doch helfen. Ich konnte schon lange nicht mehr reden. Es war irgendwann einfach wieder vorbei und ich war nur noch stumm und habe nur, wenn ich gefragt wurde noch geantwortet und meine Arbeit gemacht. Ich bin wieder innerlich gestorben.
Danach habe ich dann immerzu nur die letzten Kassetten gehört und gesucht, was passiert ist, was verkehrt gelaufen ist, woran es liegt, dass ich so reagiert habe und jetzt diese Angst haben muss. Mein Mann hat dann auch eine Kassette gehört und war schockiert, was los ist und sagte, wieso ich denn nicht mit ihm rede und ihn so hilflos dastehen lasse. Ich konnte nur sagen, dass kann ich dir doch nicht zumuten und außerdem schäme ich mich, so etwas zu erzählen und habe auch Angst, er könnte mich dann nicht mehr mögen und verlassen. Aber das Schwierigste ist doch, ich habe nie gelernt, mit jemand über mich, über meine Probleme zu reden.
Musste ich doch als Kind allein zurecht kommen und nun kann ich es eben einfach nicht anders und versuche alles mit mir allein klar zu kriegen, allein durchzustehen und dann geht es mir natürlich immer wieder schlecht und ich muss in die Klinik, weil ich ja nicht rede, sondern immer mehr zu mache, je schlechter es mir geht, bis ich dann so schlecht dran bin, dass ich nicht mehr leben will oder total depressiv bin und einfach nichts mehr geht. Ja, reden. Mit wem? Wem kann man so etwas erzählen? Wen kann man mit so etwas belasten?
Wer hat immer, wenn es mir total schlecht geht, Zeit, um mich anzuhören. Da ist einfach niemand. Keine Freundin. Ich hatte eine Freundin, wenn ich da mal versucht habe etwas zu sagen, dass es mir nicht besonders gut geht, dann fing sie gleich an und ich konnte mir all ihre Probleme anhören. Wenn ich dann wieder heim bin, dann hatte ich Ihre Probleme noch zu meinen dazu und es ging mir noch schlechter. Es war jedes Mal, als hätte ich ihr nur ein Stichwort gegeben, um loszulegen und schon hatte ich all ihre Probleme am Hals.
Am Anfang habe ich mir immer Mühe gegeben, ihr zu helfen, Ratschläge zu geben, sie zu trösten usw. später, als ich das dann zu meinen Problemen dazu einfach nicht mehr verkraften konnte, habe ich nur zugehört und kaum noch etwas dazu gesagt und, wenn ich heim bin, dann hatte ich schon alles wieder vergessen, weil ich es nicht behalten wollte, weil es mir zu viel war, weil ich viel zu sehr mit mir belastet war, um noch etwas Anderes aufnehmen zu können. Meine Freundin hat dies nicht mit bekommen, für sie lief es ideal, sie hatte jemanden, bei dem sie sich ständig ausheulen konnte und das war ich.
Ich will nicht sagen, dass ich mich bei jemand ausheulen wollte, das hätte ich sowieso nie gekonnt, aber ich brauchte es manchmal, einfach nur sagen zu können, dass es mir heute eben nicht gut geht. Mal heulen und in den Arm genommen werden – ich habe es mir nie gestattet. Es nie zugelassen, dass jemand merkt, wenn es mir nicht gut geht. Mich immer versucht zu verstellen und nichts merken zu lassen – heile Welt, keine Probleme, alles bestens. Was hätte ich denn auch sagen können? Was hätte ich denn erzählen können? Ich konnte es nie.
Ich bin wieder total abgeschweift von dem, was ich berichten wollte.
Ich habe gefunden, was passiert ist. Woran es lag, dass ich diese Angst hatte, meinen Therapeuten zu verlieren und ihn auch ausgeblendet hatte, was für mich die Katastrophe war. Ich weiß doch, ohne seine Hilfe, wäre ich nicht mehr am Leben und ohne seine Hilfe schaffe ich es jetzt auch nicht, diese Phase durchzustehen.
Es war in dem Einzel, als er mir die vielen Möglichkeiten aufzeigte, wo und wann ich, ohne jemand zu stören oder zu beunruhigen, schreien könnte. Es war gleich am Anfang dieses Einzels, ich hatte versucht zu erklären, dass es nicht auf Kommando geht, dass es ein richtiger Ausbruch war und ich eigentlich kaum Einfluss draufhatte, dass es passiert ist. Danach kamen dann die vielen Tipps und bereits nach ein paar Sätzen fühlte ich mich so unverstanden und auch zurechtgewiesen und wollte einfach dieses Thema beenden. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits wieder klein und hörte nur, dass ich was falsch gemacht habe und nur geschimpft wird mit mir. (Es war nicht so, aber ich hörte es so, empfand es so und reagierte so.) Ich sagte ganz leise und vorsichtig: „Ist gut jetzt“, und meinte damit, er solle aufhören darüber zureden. Doch er redete weiter und weiter und ich sagte keinen Ton mehr und saß da und war 9 Jahre alt und hörte nur, dass er jetzt auch mit mir unzufrieden ist und ärgerlich mit mir ist. Mich nicht versteht und mich im Stich lässt. Es tat so weh, aber ich sagte nichts mehr – keinen Ton.
Ich wollte nichts mehr hören, wollte gehen, habe mich nicht getraut, aufzustehen und zu sagen: „Ich will hier raus.“
Dann war es passiert – das Kind, das ich jetzt war, die 9-Jährige wollte ihn nicht mehr hören und nicht mehr sehen, weil er genauso ist, wie die Anderen und sie auch nur schreien lassen will, wenn es ihm passt. Es war nicht so. Er war nicht so. Aber in mir lief es so ab und ich konnte nichts dagegen tun, spürte nur, dass ich ihn verliere, dass er für mich, die Erwachsene, die seine Hilfe dringend benötigt, einfach ausradiert wird und verschwindet, so als hätte er nie existiert.
Ja, es war nur dieser kleine Satz von mir bzw. die drei Wörter „Ist gut jetzt“, die überhört wurden, statt darauf zu reagieren, die mich in dieses Chaos stürzten Ich habe damit versucht zu sagen: „Ist ja gut. Ich habe es verstanden. Hören Sie auf zu meckern und diese blöden Vorschläge zu machen. Früher durfte ich nur schreien, wenn es die Schweine antörnte und jetzt sind Sie es, der bestimmt, wann ich schreien darf. Lasst mich doch in Ruhe, lasst mich ganz einfach nur in Ruhe.“
Ich habe mir immer und immer wieder die eine Kassette von diesem Einzel angehört und es hat lange gedauert, bis mir klar war, dass das, was ich im Kopf gehört hatte, nicht mit dem, was Herr Dr. S. gesagt hat übereinstimmte. Ich bekam langsam wieder Boden unter die Füße und wurde wieder klarer im Kopf, konnte wieder rational denken und nicht so chaotisch und wie ein 9-jähriges Mädchen, das enttäuscht ist und sich zu Unrecht ausgeschimpft fühlt. Klar konnte ich mich mit dem, was da alles vorgeschlagen und gesagt wurde, nicht anfreunden, da ich mich trotzdem unverstanden fühlte.
Aber nun war ich wieder in der Lage, die Situation zu klären, zu besprechen und damit die Basis für meine Therapie wieder zu bekommen. Die Erwachsene wollte unbedingt Klarheit und weiter Therapie machen, denn ich weiß, ich schaffe es, dass es mir wieder so gut geht, wie letztes Jahr. Das ist mein Ziel – ich will leben, richtig leben, mich fühlen, lebendig sein und richtig da sein, nicht nur funktionieren.
Jetzt kann Montag werden. Ich habe keine Angst mehr davor. Es wird weiter gehen und ich werde es für mich klären können – hoffe ich. Denn ich muss für mich und das 9 Jahre alte Mädchen etwas klären. Es darf nicht abblocken, weil ich es nicht will und deshalb muss ich es klären.
Ich konnte dieses ganze Gefühlschaos sortieren und wieder in Ordnung bringen und war heilfroh darüber, denn ich hatte wahrhaftig panische Angst, dass Herr Dr. S. für mich verschwunden bleibt.
Es sind noch ganze 3 Tage, dann hat Herr Dr. S. Urlaub und ich stehe wirklich nicht auf sehr sicheren Füßen da – es macht mir Angst, wie soll ich klarkommen. Ich kann sonst mit niemand reden und es wird mir deshalb wahrscheinlich wieder noch schlechter gehen.
Es geht mir schlechter. Heute ist der 5. Tag von 12 Tagen und ich habe kaum geschlafen, stehe unter Druck und weiß nicht, wohin mit mir und dem, was in mir vorgeht. Klar könnte ich mit jemand Anderen reden, habe auch gesagt, dass ich dies tun werde – aber ich kann es nicht – es geht nicht. Letzte Nacht habe ich mich geschnitten. Ich weiß, das ist keine gute Leistung. Aber ich kam trotz Bedarf (Tavor) nicht zurecht. Habe wieder das Gefühl, durchzudrehen, weil Gefühle auftauchen, die ich nicht kenne, nicht erkennen kann und nicht zuordnen kann, das macht mir Angst, weil ich dann einfach nicht weiß, was mit mir passiert und ich mich nicht unter Kontrolle habe. Das beunruhigt mich wirklich sehr. Ich bin es gewöhnt, immer mein gewohntes Level zu haben, dass nach außen alles richtig aussieht und jetzt bin ich unruhig und völlig unsicher, wann ich mich wie fühle und warum ich mich gerade dann so fühle.
Dann dieses ständige Grübeln, Erinnern, die Flashbacks und die Angst aufzufallen, bzw. das jemand merkt, wie es mir geht und mich anspricht. Ich hole mir Bedarf und bin schnell wieder weg, ehe mich die Schwester auch nur ansprechen kann, warum ich Bedarf brauche. Die letzten Tage waren nichts als Schmerzen und Kopfdruck und ich musste mir ständig Bedarf holen. Mein Ziel, jeden Tag eine Stunde zu walken ist mir auch wieder verloren gegangen und es ärgert mich, dass ich morgens kaum noch aus dem Bett komme und dass von Tag zu Tag schlimmer wird. Morgen früh fahre ich heim, also von Samstagmorgen bis Montagabend und dann ist die Urlaubszeit von Herrn Dr. S. vorbei und es geht weiter mit Therapie. Ich bin soweit weg von allem, habe alles so verdrängt, deswegen auch die Schmerzen in den Armen und dieser verdammte starke Druck im Kopf. Am Wochenende habe ich zu Hause meine Bücher sortiert, was ich behalte und was ich meiner Nachbarin für den Flohmarkt mitnehme.
Es hat sich ja nun entschieden, dass wir auch umziehen werden. In den letzten 4 Jahren haben wir in der Eifel an der Luxemburger Grenze auf einem Bauernhof gewohnt. Es war zu einsam und wir kannten dort niemand und so, wie es uns ging (mein Mann leidet unter Angstzuständen) und ich war fast nur in der Klinik, so konnten wir auch niemand kennen lernen. Wollten wir eigentlich auch gar nicht, denn wir hatten viel zu viel Pech mit Bekanntschaften und Enttäuschungen hinter uns und deswegen wollten wir auch lieber für uns bleiben und wagten uns in keine Freundschaft oder Bekanntschaft hinein. Natürlich ist das ungesund. Immer nur wir zwei allein, keinen zum Reden und dann war mein Mann meist, wenn ich wochenlang in der Klinik war noch ganz allein und hatte nur die Tiere um sich.
Nun wagten wir den Schritt, von dort oben hier runter in die Richtung von Koblenz zu ziehen. Es sollte noch einmal ein neuer Anfang werden. Es war auch Zufall. Ich war bei einer Mitpatientin auf Besuch und sagte, dass mir ihre Wohnung gut gefalle und ich die auch nehmen würde. Da meinte sie, dass ich das ja könne, denn nebenan die Wohnung sei gerade frei geworden. Eine Woche später fragte ich dann nach, ob dies noch der Fall sei und es war immer noch so, dass die Wohnung frei stand. Tja, da war es schnell entschieden – wir bewarben uns um die Wohnung und bekamen auch nach einer Woche ungeduldigen Wartens die Zusage dafür.
Ich bin immer noch in der Klinik und nun denke ich, wie soll ich das bloß schaffen. Meine Therapie und alles was jetzt drum herum zu regeln und zu koordinieren ist. Es muss klappen. Wir haben hier unten ja auch, was völlig neu ist, Freunde, die alle ihre Hilfe anbieten, was ich kaum fassen kann. Aber das ist etwas, was in 4 Wochen so richtig aktuell wird und bis dahin muss ich sehen, dass ich hier fertig bin mit meiner Therapie. Ich habe Angst, ich schaffe es nicht, weil es mir zur Zeit wirklich nicht gut geht. Aber es sind ja immerhin noch 4 Wochen, die ich mich hier auf meine Therapie konzentrieren kann. Und das werde ich tun, denn es muss mir besser gehen, um alles bewältigen zu können und nicht im Chaos zusammenzubrechen. Denn, wenn es mir nicht gut geht, dann kann ich nicht organisieren, dann richte ich nur noch ein einziges Chaos an und dann folgt darauf ein Zusammenbruch aus lauter Verzweiflung über dieses Chaos.
Jetzt muss ich aber den Umzug erst mal weit weg stellen in meinem Kopf und mich auf das Wichtige hier konzentrieren.
Gestern war der 13.4.2004
Endlich geht es weiter mit Therapie. Dabei weiß ich gar nicht mehr, wo ich stehe, es ist nichts da, alles gut verstaut, nur, dass es mir einfach mal wieder schlecht geht. Ich wage mich die ganze Zeit nicht zu schlafen, weil ich Angst habe vor den Albträumen und wenn ich dann munter bin vor den Flashbacks und der schrecklichen Angst. Sie schnürt mir den Hals zu und ich fürchte mich wie ein kleines Kind allein im finsteren Wald, aber noch viel mehr. Ich fürchte mich vor dem, was mir damals passiert ist und auch, wenn ich es mir immer und immer wieder versuche, klar zu machen, dass es früher passiert ist, so ist doch die Angst so real und greifbar, dass ich dann denke, ich muss weglaufen und weiß nicht wohin, zu wem. Es war doch nie jemand da und wer hätte mir schon geglaubt und wer überhaupt hätte es wissen wollen? Da war niemand, der mir geholfen hätte.
Sagen hätte ich sowieso nichts dürfen, sie hätten mich umgebracht und es war sowieso alles so schlimm, dass ich immer nur gehofft habe, Mutti wird es morgen oder übermorgen merken und mir helfen – immer habe ich so gedacht und gehofft und dabei meinen kleinen Teddy festgehalten und er hat mich beschützt – na ja, eher getröstet. Denn trösten konnte mich keiner, es wusste ja niemand, was geschah. Dafür sorgte ich ja selbst, indem ich schwieg und alles, einfach alles dafür tat, dass mir keiner etwas anmerken konnte. Heute denke ich, es ist ein Wunder, wie man als so ein kleines Kind, so eine Kraft hat, mit solcher Grausamkeit und Gewalt allein zurechtzukommen, ohne Mama, ohne Freundin – mit niemand reden, mit niemand weinen, von niemand getröstet, in den Arm genommen.
In letzter Zeit geht es mir oftmals so, dass ich einfach nur noch das Bedürfnis habe, gehalten zu werden, ganz festgehalten und getröstet – sicher, in guten Händen. Ich weiß noch, es gab in der letzten Zeit hier eine Nacht, ich hatte einen schrecklichen Flashback und danach Angst und wusste nicht, wohin und ich habe geweint und geweint und alle schliefen. Ich bin zur Nachtwache, es war ein Pfleger – ich konnte ihn doch nicht bitten, mich einfach mal in den Arm zu holen und festzuhalten. Er sagte mir aber, dass Schwester Margret unten auf Station Nachtwache hat und rief sie hoch und sie kam auch sofort und ich glaube, ihr Pullover war dann, nachdem ich mich ausgeheult hatte, und sie mich dabei im Arm hielt, klatschnass von meinen Tränen.
Mit 51 Jahren heule ich nachts und brauchte dringend jemand, der mich in den Arm nimmt und beruhigt und tröstet, damit ich wieder zu mir finde, aber ich fühlte mich so klein, so hilflos, so allein und es war nie jemand da und nun mit 51 Jahren waren dies die Tränen und die Not von damals. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mutter mich einmal so getröstet oder in den Arm genommen hat. Ich kann mich nur an meckern erinnern. Dass sie mich geschlagen hat, kann ich mich auch nicht erinnern, aber als ich letztes Jahr bei ihr in Leipzig zu Besuch war, da hat sie mich regelrecht mit dem Teppichklopfer (es war genau der alte Teppichklopfer, den wir früher hatten) zusammengedroschen, bis ich auf dem Boden in der Küche gehockt habe und gewimmert habe wie ein kleines Kind. Sie hatte Wut, maßlose Wut auf mich. Ich kann diese Wut nicht begreifen. Es gab keinen Grund, mich so zu schlagen und ich war ja auch nicht mehr klein, ich war erwachsen, verheiratet und zum ersten Mal seit über 10 Jahren wieder bei ihr zu Besuch.
Es geht mir jetzt oft so, dass ich weine und nicht weiß, wohin und wie ein kleines Kind dastehe und eine Mama suche, die mich tröstet. Wenn allerdings dann jemand kommt und mich beruhigen will, dann schlucke ich sofort alles weg und tu so, als sei alles in Butter. Wie früher, es soll niemand merken was los ist war. Das alte Schema greift durch und ich ersticke an meinem Schmerz. In den letzten Tagen laufe ich wieder vor allem und jedem weg und möchte nur noch allein sein, weil ich Angst habe, das ich zu heulen anfange und jemand fragt, was los ist und ich es doch nicht sagen darf (durfte). Und jetzt? Kann ich es jetzt sagen? Wohl kaum, es ist immer noch besser zu schweigen, andere nicht zu erschrecken mit meiner Qual.
Es ist besser zu schweigen. Merke ich doch, wer weiß, was los ist mit mir, ist zwar freundlich, versucht aber doch, mir aus dem Weg zu gehen, weil keiner weiß, wie er damit umgehen soll. Dabei will ich normal sein, so wie alle anderen auch. Aber es ist immer noch so, ich sehe mir das Leben nur von weitem an und es gibt nur wenige Momente, wo ich drin bin im Leben. Klingt komisch? Ja, ich weiß. Aber es ist so. Es ist tatsächlich so, als würdest du durch eine Scheibe zuschauen, wie die anderen leben und versuchst, es nachzumachen, auszuprobieren, doch dann merkst du, wie anstrengend es ist, weil du nicht frei bist, weil du es nicht bist, sondern du nur die Rolle spielst, wie du sein möchtest.
Gestern war ich so erschöpft, ich war froh, als mein Mann nach Hause gefahren ist und ich nach der Massage und Infrarot in mein Zimmer kam. Mir war schwindlig vor Erschöpfung – wovon? Ich kann es nicht sagen, ich war einfach nur völlig erschöpft und musste mich hinlegen. Habe dann von 16 bis 21.30 Uhr durchgeschlafen, wurde munter und hatte panische Angst und alles war da. Was soll ich machen? Mit wem soll ich reden? Mit dem Nachtpfleger? Geht nicht! Also, nur Tavor holen und warten, bis es vergeht. Es verging nicht gegen Mitternacht habe ich mir noch mal Tavor geholt – nichts. Ich hatte Angst, war unruhig, wusste nicht, wohin mit mir und was los ist mit mir. Nun war es mal wieder soweit – letzte Rettung. Ich holte mir eine Duschvorlage, eine Rasierklinge und legte mich ins Bett. Die Duschvorlage faltete ich doppelt legte sie so unter meinen Arm, dass ich mein Bett nicht mit Blut versaue und dann nahm ich die Rasierklinge und fing an mich zu schneiden. Es blutete und ich schnitt und schnitt, bis ich endlich den Schmerz spürte und spürte, ich bin es, ich bin da und ich wurde ruhig, ganz ruhig. Jetzt dachte ich, es ist gut, jetzt habe ich Ruhe.
Doch es hielt nicht lange an und ich habe noch einmal geschnitten und dann war es gut. Ich wickelte meinen Arm in die blutige Duschvorlage und konnte schlafen, endlich schlafen ohne Angst, ohne Unruhe. Das war letzte Nacht. Heute morgen kam ich nicht aus dem Bett, es war bereits 9.30 Uhr und alle anderen Patienten bereits unterwegs in den Therapien oder noch auf Station. Ich weiß, ich hätte längst aufstehen müssen, schaffte es aber nicht. Mir ging es wieder schlecht und ich hätte nur heulen können und wusste nicht warum. Die Schwester kam, verband mir meinen Arm und meinte, es wäre besser, wenn das immer sofort verbunden würde. Es war mir so egal gestern Abend bzw. letzte Nacht, es war nur wichtig, dass ich Ruhe bekam und die hatte ich ja bekommen. Ja, wie war das noch – ich will mich nicht mehr schneiden? Wollte ich auch nicht mehr – ehrlich. Aber wenn es so schlimm ist, dann sind die wenigen Schnitte nichts. Sie zeigen mir eher wieder, wo ich bin und wer ich bin und das ich noch bin.
Das kann man nicht verstehen, ich weiß – dass kann auch nur der verstehen, dem es auch so geht. Alle anderen denken, die spinnt oder finden es einfach abstoßend, abartig ... Für mich ist es oft ein Mittel, um zurückzukehren oder Druck abzubauen und mich nicht umzubringen.