Ein neuer Anfang oder?

Wieder blieb fast alles zurück, woran mir etwas lag. Meine kleinen Schätze, die mir soviel bedeuteten. Doch ich wagte nicht, zu sagen, diese Dinge gehören mir, ich möchte sie gerne haben, sie sind mir wichtig. Nein, ich sagte wieder nichts, obwohl es meine Sachen waren, niemand konnte doch etwas damit anfangen, nur indem er mir diese Dinge wegnahm und mir damit weh tat. Meine Mappe, meine Fotos, meine Bücher, kleine Andenken, Kleidung, selbstgefertigte Handarbeiten und vieles mehr. Ich wagte nicht zu fragen, ich wusste sowieso, ich würde diese Dinge nicht bekommen. Er war mein Vater und er konnte machen, was er wollte und jetzt behielt er eben einfach meine Sachen und warf mir ein paar Dinge, die er mir großspurig gönnte, einfach so vor die Tür. Ich habe ihm nicht gezeigt, wie weh mir das tut, erst als er es nicht sehen konnte, habe ich geweint. Er sollte nicht sehen, wie gemein er war. Mein Vater hat das Ganze dann sogar so schön hin bekommen, dass ich mich so gefühlt habe, als hätte er mich rausgeschmissen und mich angebrüllt. Er war im Recht und ich war der letzte Dreck. Dieser miese Kerl hat es wieder geschafft, sich sauber hinzustellen und ich, ich hatte keine Kraft und nicht den Mut, ihm zu sagen, was er für ein Schwein ist.

Meinen Vater hasse ich und zugleich will ich – ich weiß, es ist blöd – dass er mich anerkennt, mir sagt, ich bin nicht der letzte Dreck. Müsste mir doch völlig egal sein, was dieser Mistkerl von mir denkt, wichtig ist oder wäre besser gesagt, wichtig wäre, dass ich endlich kapiere, er ist schlecht, er ist schuld. Doch ich weiß, wenn ich ihm heute gegenübertreten würde, dann würde er mich sofort mundtot machen, indem er mich schlecht macht, undankbar, dreckig, schlampig, eben, wie meine Mutter. Ehe ich den Mund aufmachen könnte und ihm etwas an den Kopf werfen könnte, was er mir angetan hat, hätte er mich schon erledigt und ich würde es nicht wagen noch ein Wort gegen ihn zu sagen.

Das ist die große Kunst dieser Schweine, sie machen uns schlecht – wir fühlen uns dann so - und sie haben gewonnen und können ihr dreckiges Spiel weiter mit uns spielen. Wir haben nie gelernt, uns zu wehren, nicht einmal mit Worten, aber das ist zu lernen und ich möchte auch das einmal schaffen, meinem Vater sagen, was ich von ihm halte. Es war gut, dass ich damals durch Jürgens Hilfe da weggekommen bin. Ob ich es jemals allein geschafft hätte, weiß ich nicht, wahrscheinlich nur, indem ich mich umgebracht hätte.

Meiner Stiefmutter gegenüber habe ich heute noch ein schlechtes Gewissen, weil auch sie mir vorgeworfen hat, ich sei undankbar und ich hätte mein zu Hause als asozial beschrieben. Ich habe das nie getan -heute weiß ich, ich hätte es beruhigt tun können – aber ich habe es nicht getan. Ich habe geschwiegen. Und, was ich „beschissen“ finde, ich fühle mich immer noch schuldig ihr gegenüber. Jetzt, wo ich zurückdenke, ist sie schuldig, nicht ich. Aber das in meinem Kopf klar kriegen, funktioniert noch nicht. Logisch schon – aber mein Gefühl macht mich immer noch schuldig und ich fühle mich Ihr gegenüber undankbar. Ich wünschte, ich könnte einfach sagen, was mein Vater getan hat, was los war. Ich habe Angst, sie glaubt mir nicht und beschimpft mich auch noch. Ich war ja kein kleines Kind mehr damals. Ich war wirklich kein kleines Kind mehr, ich war 13 und zuletzt 23 Jahre alt. Ich selbst habe ja auch immer gedacht, ich bin selbst schuld, weil ich mich nicht wehre, weil ich es immer wieder geschehen lasse. Diese Angst und diese Gedanken lassen mich besser Schweigen.

Meine eigene Mutter sagt mir heute noch: „Meine Kleine, warum hast du denn nur nichts gesagt?“ Das macht uns mundtot, das gibt uns die Schuld – aber das ist nicht gerecht! Muss ich mir Vorwürfe machen, dass ich gegenüber meiner Stiefmutter undankbar bin? Ist sie nicht ruhig ins Bett gegangen und hat gewusst, dass mein Vater mich geweckt hat und ich jetzt die Saufkerle bedienen muss? War das richtig? Ich war damals 13 Jahre und sie hätte mir helfen können oder nicht?

Und trotzdem habe ich dieses verdammt schlechte Gewissen ihr gegenüber – ich versuche mir selbst ständig klar zu machen, dass ich das nicht haben muss – aber es ist da, dieses Gefühl, undankbar gewesen zu sein.

Sie war es doch, die mir alles Hauswirtschaftliche beigebracht hat. Ich habe es damals gehasst, zu putzen, zu kochen – das stimmt. Wer will schon mit 13 Jahren immer allein das ganze Haus putzen. Ich musste es tun und dann ging sie von Zimmer zu Zimmer und kontrollierte, ob etwas nicht richtig sauber war oder unordentlich bzw. nicht gründlich genug saubergemacht war. Gefunden hat sie immer etwas und gemeckert, Sie war doch die Hausfrau und es war ihre Arbeit – gut, helfen hätte ich können, aber sie hat mich alles machen lassen und nur gemeckert, kaum mal ein Lob. Es hätte mehr Spaß gemacht, wenn ich mal etwas Positives gehört hätte. Aber sie konnte nur meckern.

Meine Wäsche musste ich auch selbst waschen und flicken, wenn etwas kaputt war. Kochen hat sie mir gelernt, häkeln, stricken, sticken und nähen. Ja, sie hat mir schon viel beigebracht und ich bin ihr dafür dankbar und deswegen fühle ich mich immer noch so schuldig ihr gegenüber, als wäre ich wirklich undankbar gewesen, weil sie mich für undankbar hält.

Aber was wusste sie schon – sie wusste nichts und weiß bis heute nicht, was wirklich los war. Ich wäre so gerne mal ins Kino oder mit einer Schulfreundin in die Disco gegangen oder einfach mal mit zu einer Freundin nach Hause oder hätte sie zu uns nach Hause eingeladen. Aber ich musste ja Angst haben, mal jemanden mitzubringen, weil mein Vater jede Frau oder jedes Mädchen angemacht hat wie ein blöder, verliebter Gockel. Er war der Größte. Der King und alle anderen nur Nullen. Wenn er in der Kneipe das restliche Geld in den Raum schmiss, dann haben die sich wirklich danach gebückt und gedrängelt. Erwachsene Männer und alle haben verdient und waren nicht auf diese Geschmacklosigkeit angewiesen. Er fand sich riesig dabei und hat es immer genossen, nur seine Tochter, die kein Taschengeld bekam und brav in der Kneipe neben ihm hocken musste, die durfte sich nicht nach einer Mark bücken. Er hätte mich verprügelt auf dem Heimweg, wenn er es mitbekommen hätte, dass ich einmal den Fuß auf ein Geldstück gestellt habe und es später unauffällig aufgehoben habe. Ich weiß noch, später hat er mit der Freundin meines kleinen Bruders geschlafen und die zwei auseinander gebracht. Mein goldener Ring, den ich zur Jugendweihe geschenkt bekam und meine Armbanduhr sind verschwunden und ich sah das Beides bei der Geliebten (ehemaligen Freundin meines Bruders) wieder. Wie mag sie wohl zu meinem Schmuck gekommen sein? Bei uns war sie nie zu Hause und ich nie bei ihr – aber mein „geliebter Vater.“ Ich habe nichts dazu gesagt, was sollte ich auch sagen, es wäre sowieso sinnlos gewesen. Er hätte nur gelacht und gesagt, ich würde spinnen.

Eigentlich wollte ich von meiner Stiefmutter erzählen. Sie war ja nicht schlecht, aber sie war auch nie, wie eine Mutti zu mir. Sie war eben damals die Frau zu der ich ab sofort Mutti zu sagen hatte und die mir meine Sachen, die mir meine Mutti selber genäht hatte, weggenommen hatte und vor meinen Augen zerrissen hat.

Ich wollte nie dort sein, es hat mich keiner gefragt. Aber von zu Hause habe ich auch nichts mehr gehört – es hat mich keiner vermisst – ich war eben nur einfach weg dort. Es gab mich nicht mehr und hier wollte ich auch nicht sein – es war nicht besser, es hat mir hier auch keiner geholfen.

Ich war allein, ganz allein – ohne meine Mutti, ohne Hoffnung. Da war zwar meine Stiefmutter, aber sie hat mir nicht geholfen. Sie hat mir zwar beigebracht, was ein Mädchen im Haushalt und als anständiges Mädchen zu tun hat. Aber sie war eine Fremde. Warum hat sie mich nie in der Klinik besucht? Nicht einmal, als ich so lange dort war. Es war nur 1 Stunde mit dem Bus zu fahren und es war nicht teuer mit dem Bus zu fahren. Ich war eben nicht zu Hause und sie musste selber putzen, sonst hat wahrscheinlich nichts gefehlt.

Meine Sehnsucht, wie alle aus meiner Klasse zu sein, eine Klassenfahrt mitmachen zu dürfen oder bei einer Feier oder bei irgendetwas dabeisein zu dürfen war groß und ich habe oft gebettelt, doch nie wurde mir etwas erlaubt. Nie habe ich so etwas erleben dürfen. Ich war ja auch ein schlechtes Mädchen, man musste auf mich aufpassen, weil ich mit jedem rummachen würde, wie mein Vater immer sagte. Deswegen wurde ich isoliert. Konnte nie mit jemand einfach mal so herum blödeln oder Quatsch machen und albern sein. Eine Freundin kann man so auch nicht haben, wenn man nie irgendwohin mitgehen darf. Ich war allein und sollte allein sein.

Ist schon klar, heute kapiere ich auch, warum.

 Wer allein ist, kann nichts erzählen. Darum ging es. Ich hätte ja merken können, dass es woanders nicht so ist, wie bei uns zu Hause und das wollten sie wohl nicht. Vielleicht war ja meine Stiefmutter auch wirklich davon überzeugt, wie schlecht ich bin und dass man auf mich besonders aufpassen muss. Aber warum nur dann, wenn ich aus dem Haus gewesen bin? Sonst, wenn die Kneipengänger mitkamen, wurde doch auch nicht aufgepasst, da konnte sie doch in aller Seelenruhe ins Bett gehen und brauchte mich nicht zu bewachen.

In der Schule hatte ich ab der 8. Klasse einen Klassenlehrer, der kam einige Male zu uns nach Hause und sprach mit meinem Vater, damit ich mal an einer Klassenfahrt oder einer Feier teilnehmen durfte. Es nutzte nichts – ich durfte nicht.

Mein Vater war halt konsequent. Meinem Klassenlehrer hat es Leid getan, dass es so war und er mir nicht helfen konnte. Er war ein guter Familienvater, 5 Kinder – eine richtig glückliche Familie war das. Und vor allem er war ein Super-Lehrer!

Als wir ihn in der 8. Klasse als Klassenlehrer bekamen, da fing es an, mir Spaß zu machen, in die Schule zu gehen. Ich freute mich auf jede Stunde, die wir bei ihm Unterricht hatten, ich bekam endlich mal ein Lob, für eine richtige Antwort und ich hatte nicht das Gefühl, ich muss aufpassen – er war okay. Innerhalb von 2 Jahren veränderte sich mein Leistungsdurchschnitt von 3, 4 auf 1, 2 Leistungsdurchschnitt auf dem Zeugnis. Ich habe für ihn gelernt, damit er sich freut, mich lobt und er hat sich immer gefreut, wenn ich eine gute Arbeit geschrieben habe. Es hat alles Spaß gemacht, es hat Spaß gemacht, zu lernen.

Lernen wurde das Einzige, was ich gerne machte und, was mir Spaß machte – es war auch das Einzige, was ich hatte.

Wenn das jetzt jemand liest, der denkt vielleicht, ich habe mich in unseren Klassenlehrer verknallt. Aber das ist totaler Quatsch. Es war nur eben so, dass ich endlich jemand hatte, der mich gut leiden konnte und nichts von mir wollte, obwohl er erwachsen war.

Mit Mädchen aus meiner Klasse hatte ich kaum Kontakt, ich könnte heute nicht einmal mehr 3 Namen von Mädchen aus meiner Klasse aufzählen, ich weiß sie nicht mehr. Ich durfte doch nur in die Schule, aber nach der Schule sofort nach Hause und nicht mehr raus. Da hat man keine Freundin. Na ja, ich war sowieso lieber allein, da brauchte ich mich nicht zu verstellen und so zu sein, wie die Anderen, obwohl ich gerne so gewesen wäre – lustig, albern, frech, eben einfach normal drauf.

Aber so hat mir die Schule eben Spaß gemacht und ich war gerne in der Schule. Ich war froh, dass es diesen Lehrer in meinem Leben gab.

Ich glaube auch, er wusste, was los war. Viele Jahre später traf ich ihn mal in der Stadt. Er freute sich und ich habe mich auch sehr gefreut, ihn wiederzusehen. Er war etwas Besonderes in meinem Leben und er hat versucht, mir zu helfen. Als wir uns damals zufällig in der Stadt getroffen haben, sagte er: „Ich hätte dir so gerne geholfen, aber was hätte ich denn tun können, du hast ja nie etwas gesagt.“ Ich habe sofort gewusst, er meinte nicht die Ausflüge oder Veranstaltungen, er meinte das Andere. Das worüber ich geschwiegen habe, weil ich mich so geschämt habe und gedacht habe, ich bin selber schuld und ich bin schlecht und muss mich verstellen und verstecken.

Er wollte mir gerne helfen, hat gespürt, was los ist, doch ich habe geschwiegen und er konnte mir nicht helfen. Ihm standen tatsächlich die Tränen in den Augen und ich hätte auch fast los geheult. Damals war ich 26 oder 27 Jahre alt und habe auch wieder nichts gesagt. Was hätte ich auch sagen sollen, es war zu spät und hätte nichts geändert. Es war aber ein wunderbares Gefühl, dass es da jemanden gegeben hatte, der mir helfen wollte. Ich habe ihn später nie wieder gesehen, aber ich werde ihn nie vergessen. Er war ein guter Mensch, er war nicht blind, wie alle sonst um mich herum.

Na ja, vielleicht ist das verkehrt, wenn ich das so sage. Ich habe ja selbst alles dafür getan, dass mir keiner etwas anmerkt oder ansieht – ich habe mich ganz normal verhalten, stand immer neben mir und habe auf alles, auf jede Bewegung, jedes Wort, jede Reaktion von mir aufgepasst. Ich glaube, in der Hinsicht war ich wohl sehr gut – wer nicht sehen wollte, konnte nicht sehen, was los war. Mir habe ich damit nicht geholfen- aber das kapiere ich erst heute. Denen habe ich geholfen, die mir das Leben zur Hölle gemacht haben. Ich hätte reden müssen, schreien müssen, um mich schlagen müssen – ich habe mich nicht getraut, weil ich ja die ganze Zeit dachte, ich sei selbst Schuld daran, dass so viele das mit mir tun.

Wenn ich versuchte, mich an meine Kindheit zu erinnern, dann war da nicht viel da. Ich wusste einfach fast gar nichts mehr – es kamen nach und nach einzelne Erinnerungsfetzen und ich konnte und kann sie manchmal nicht richtig zeitlich einordnen. Wie war ich, als ich noch zu Hause bei meiner richtigen Mutti und meinen Brüdern war? Was habe ich gern getan, wen mochte ich? Wer mochte mich?

Ich weiß, meine Brüder und ich, wir haben uns oft gestritten – es war so, als könnten drei nicht miteinander spielen, sondern nur zwei. Denn einer war immer übrig. Aber es war dann auch bald so, dass mein großer Bruder mit seinen Kumpeln loszog und mein kleiner Bruder auch viel mit seinen Freunden unterwegs war. Ich meine auf dem Spielplatz vor dem Haus und dem Gelände ringsherum. Ich war nur auf dem Spielplatz und vor dem Haus, denn ich durfte nie weit weg, falls Opa kam. Da sollte ich nämlich immer zu Hause sein, zur Verfügung sein.

Manchmal kam auch Vati zwischendurch von Arbeit und ich musste dann zu Hause sein. Die Jungen konnten machen, was sie wollten, ich musste immer am Haus bleiben. Meine Oma kam nie zu uns nach Hause, ich kann mich jedenfalls nicht an ein einziges Mal erinnern, dass sie bei uns in der Wohnung war. Ist schon komisch oder? Omas sind doch sonst immer da - jedenfalls in anderen Familien. Zu uns kam immer nur Opa, Wenn wir mal zu Oma gegangen sind, wir alle drei, dann sind wir immer in die Bäckerei, in der sie gearbeitet hat und dort bekamen wir vom Chef immer eine Tüte mit Kuchenrändern, die wir uns teilen sollten. Daran kann ich mich noch erinnern und auch daran, dass meine Oma immer sagen musste, ich solle nicht so viel Kuchenränder essen, weil ich doch schon so fett sei.

Meine Brüder brauchten dann auch nicht so richtig mit mir zu teilen, weil ich ja so schon zu fett war. Ich hatte immer das Gefühl, meine Oma kann mich nicht leiden, sie hat nur mit mir gemeckert, klar auch mit meinen Brüdern, aber mit mir am meisten- ich konnte nie etwas richtig machen – ich war nicht richtig – ich hätte nicht da sein brauchen, so kam es mir vor. Ich hatte auch Angst vor ihr, aber meine Brüder nicht, zu denen war sie eher mal freundlich. Klar habe ich mir gewünscht, auch eine liebe Oma zu haben, die mich mal drückt oder lobt. Aber sie war nie lieb zu mir. Mein Opa dagegen, der war immer lieb und freundlich und ich konnte mal kuscheln und er hat mir manchmal gesagt, wie hübsch ich bin und das ich gar nicht fett bin. Wenn ich heute das Bild von mir als kleines Mädchen sehe, dann bin ich nicht einmal zu dick, sondern ganz normal.

Mein Opa war der Einzige, der nie mit mir gemeckert hat. Ich weiß noch, wie ich mir immer Mühe gegeben habe, damit ich mal gelobt werde von Mutti oder Oma. Aber es passierte nicht und die Enttäuschung war immer wieder da, wenn ich auf ein liebes Wort gehofft hatte oder mal gestreichelt oder sogar in den Arm genommen zu werden gewartet habe und es nicht geschah, sondern wieder nur gemeckert wurde.

 

Mutti sagte immer „meine Fette“ zu mir und schimpfte ständig, ich sei zu faul. Fett und faul. Das sind die Worte, die ich am meisten zu hören bekam von meiner Oma und meiner Mutti.

Meine Mutti hatte ich sehr lieb und habe ständig versucht, ihr die Arbeit zu Hause abzunehmen, spülen, Staub wischen, aufräumen. Ich wollte immer, dass sie sich zu Hause ausruhen kann von der Arbeit und sich nicht soviel ärgern muss wegen Vati, wenn der immer in der Kneipe war und besoffen heim kam und dann herum gestritten hat mit ihr.

Sie hat oft geweint und viel geraucht – sehr viel. Die letzte Zeit als ich noch zu Hause war, ging sie oft zu ihrer Freundin Elli, die hatte auch zwei Kinder und der ihr Mann war ein richtiger Ekel. Elli hat viel Schnaps und Kaffe getrunken und noch mehr geraucht als meine Mutti. Mutti ging da viel hin und sie blieb lange dort. Ich hatte immer Angst, sie kommt nicht mehr heim, weil ihr etwas passiert ist.

Wir wohnten in einem 6-Familienhaus und ich habe lange Jahre nicht einmal gewusst, wie die Leute hießen, die mit im Haus wohnten. Jetzt sind die Namen wieder da und ich weiß wieder alles. Unten links wohnte eine Lehrerin von unserer Schule, ihr Mann war bei der Eisenbahn und die hatten einen Sohn, der aber dann später zu seiner Freundin zog. Nebenan wohnte ein liebes altes Ehepaar, die hatten auch einen Sohn, der immer noch zu Hause wohnte und es gab oft Streit. Vor den beiden Wohnungen war ein kleiner Vorgarten. In dem unter unserem Fenster, dem Vorgarten des alten Ehepaares, stand ein Kirschbaum. Wenn die Kirschen reif waren, dann haben wir immer vom Schlafstubenfenster aus versucht, sie zu klauen. War schwierig und gefährlich und unten die haben natürlich gemeckert, wenn sie uns erwischten. Es hätte ja einer von uns Dreien aus dem Fenster fallen können bei dieser Aktion, aber daran dachten wir nicht. Die Kirschen waren ja auch richtig dick und süß – nur schlecht zu kriegen. Daran kann ich mich gut erinnern.

Also, über dem alten Ehepaar wohnten wir und neben uns eine dünne alte Frau und ihr dünner Sohn. Die Alte hat immer was zu meckern gehabt, sie war nie freundlich und der Sohn der hat sich immer so sehr mit Parfüm eingesprüht, dass das ganze Haus danach gerochen hat, wenn er die Treppe hoch ist. Die Beiden konnte keiner leiden, sie wollten auch mit niemandem reden und taten so, als seien sie was Besseres.

Über uns, also auf unserer Seite wohnte die Familie W., die hatten auch einen Sohn, der war so alt, wie mein großer Bruder oder ein Jahr älter – ich weiß es nicht genau.

Mit denen hat sich Mutti viel unterhalten und wenn mal was zu borgen war (Zucker, Salz oder Mehl), dann sind wir immer dahin gegangen. Umgekehrt kamen die auch zu uns, wenn sie mal vergessen hatten, was einzukaufen.

Neben denen wohnte die Familie B., die hatten eine Tochter, die war so alt, wie ich. Sie hatte und bekam alles und war eine blöde Ziege. Sie hat einfach ständig rumgeheult, wenn ihr was nicht passte und hat alles gepetzt.

Die dachten echt, sie sind was Besonderes, haben immer besonders fein getan und Michaela hatte immer ganz tolle Sachen an, sie war wie ein Püppchen und benahm sich auch so.

Ich habe aber manchmal mit ihr spielen dürfen und konnte dann auch mit ihren schönen Spielsachen spielen. Sie hatte massig viele Puppen und bekam immer wieder neue Puppen dazu.

Ich hatte keine und wollte so gerne auch mal eine haben, aber dafür hatten wir kein Geld.

Im Schaufenster bei der Straßenbahnhaltestelle habe ich einen kleinen süßen Teddy gesehen und habe meine Mutti dann sehr lange angebettelt, bis ich den kleinen weißen Teddy bekam, den ich im Spielzeugladen gesehen hatte. Er war nicht teuer, er war ja auch nicht groß aber er gefiel mir so sehr. Und ich bekam ihn.

Es war schön, dass ich ihn hatte, er gehörte nur mir allein. Ich holte einen alten Schuhkarton und häkelte Kissen und Zudecke und auch Anziehsachen für meinen Teddy. Bevor ich häkeln konnte, dienten Taschentücher als Kissen und Zudecke für meinen Teddy.

Mein Teddy hatte keinen Namen. Wieso habe ich ihm keinen Namen gegeben? Meistens habe ich ihn unter meinem Bett versteckt, in meinem Bett oder im Nachtschränkchen. Ich habe ihn nie so liegen lassen, wenn ich nicht da war – er sollte immer sicher sein. Wovor?

Stundenlang habe ich mit meinem Teddy auf meinem Bett gesessen und gespielt. Es war so schön, mit ihm allein zu sein. In die Schule bin ich nicht gern gegangen, ich hatte immer Angst, nicht so zu sein, wie die Mädels aus meiner Klasse. Zu lachen, wenn sie lachen, mich genauso zu bewegen, wie sie und nichts verkehrt zu machen.

Ich habe viel gequatscht oder gequasselt. Wer viel redet, wird nichts gefragt. In meinen Zeugnissen stand immer wieder, ich sei unaufmerksam, verspielt und verschwatzt.

2. Klasse:

Tina verbesserte ihre Leistungen.

Ihr Betragen muss aber auch baldigst diese Tendenz haben.

Sie ist noch zu verschwatzt und nicht selten spielt sie in der Stunde.

Ihre Antworten beweisen dann die geringe Aufmerksamkeit.

3. Klasse:

Tinas Leistungen bei Ausdrucksarbeiten sind recht gut.

Sie ist immer willig. Oft stört aber ihr Schwatzen oder Spielen.

Sie muss dann sogar öfter aufgerufen werden, ehe sie sich besinnt.

Tinas Gesamthaltung ist ordentlich und befriedigt.

6. Klasse:

Tinas Leistungsstand ist gar nicht zufriedenstellend.

Sie muss sich im 2. Halbjahr tüchtig anstrengen um das Klassenziel zu erreichen.

Tina ist versetzungsgefährdet!

2. Halbjahr:

Tina hat in der zweiten Jahreshälfte eine bessere Lernhaltung gezeigt als zu Beginn des Schuljahres. Sie freut sich auch sehr über gute Ergebnisse und hört gern ein Lob. Ihr fehlt aber Stetigkeit in der Arbeit und der feste Wille auch Schwierigkeiten zu überwinden.

Versetzt nach Klasse 7!

Ja, und nun war Schluss mit Leipzig, in den Ferien wurde ich aus Leipzig entfernt, aus meiner Familie entfernt. Ich wurde einfach von Jemandem, den ich nie gesehen hatte und nicht kannte, mit dem Motorrad abgeholt. Das war dann mein Vater.

Was war passiert, wieso musste ich weg?

Habe ich eigentlich jemals jemanden vermisst, außer meiner Mutti?

Ich glaube nicht. Wenn ich in der Psychiatrie war, kann ich nicht sagen, dass ich je auf Besuch gewartet habe, wie die anderen Patienten.

Da kamen Verwandte mit Blumen, Süßigkeiten und die sich gefreut haben, wenn sie ihre Leute besucht haben, sie haben sich unterhalten, umarmt und waren eben da.

Bei mir kam nie einer zu Besuch. Ich war es halt nicht wert, besucht zu werden. Mich musste man nicht so behandeln, ich gehörte ja nicht hierhin und nicht dorthin. Ich habe auch niemanden erwartet und niemanden vermisst.

Ich war eben dann in der Klinik und das draußen hat nicht mehr existiert, als wäre es so richtig, wie es ist. Ich habe einfach nie gedacht, es könnte anders sein oder habe es mir anders gewünscht. So ist es jetzt auch noch, und dann wundere ich mich heute mit 50 Jahren, dass es Menschen gibt, die an mich denken, die mich anrufen, die Kontakt mit mir haben wollen.

Es war immer so, dass ich Angst hatte, Vertrauen zu jemand zu haben, denn wenn ich es wirklich einmal gehabt hatte, dann wurde ich immer bitter enttäuscht. Manchmal habe ich es auch gewagt, ein klein wenig von mir zu erzählen, habe mich dann später geschämt und zurückgezogen. Mich also immer mehr und mehr isoliert. Kein Vertrauen – keine Enttäuschung – keine Schmerzen.

Der einzige Mensch, auf dessen Hilfe ich immer gehofft habe, war meine Mutti. Bis vor kurzem hatte ich immer noch das Gefühl, sie wird mir helfen, dass es aufhört. Sie wird es endlich merken. Dabei ist es lange vorbei und ich bin lange weg von ihr, weg von zu Hause.

Mit 12 Jahren habe ich meine Mutti verloren, meine Brüder verloren, mein Zuhause verloren. Einfach so, von heute auf morgen war es vorbei – gab es das alles nicht mehr. Aber alles war noch da. Meine Mutti gab es noch, meine Brüder gab es noch und alles andere auch. Nur hat meine Mutti eben entschieden, dass ich weg muss und so kam ich weg. Ich war draußen vor dem Haus, es war Wochenende und wir hatten Schulferien. Ein Motorrad hielt vor unserem Haus und ein Mann, den ich nicht kannte und auch nicht beachtete, weil ich ihn ja noch nie gesehen hatte. Er ging in unser Haus. Mutti hat mich hoch gerufen und da war dann dieser Mann, der mit dem Motorrad gekommen war bei uns in der Stube. Meine Mutti sagte mir dann so ganz einfach, dass das mein Vater ist und er mich jetzt sofort mitnimmt und ich mich deswegen jetzt umziehen müsse. Dann sah ich den Koffer stehen und bekam es mit der Angst zu tun. Wohin? Wie lange? Ich allein? Kann ich nicht zu Hause bleiben in den Ferien? Ich will nicht mit!

Der Koffer war fertig gepackt für mich – ich wusste das nicht. Ja, so war es. Mutti sagte mir, dass ich jetzt und sofort mit meinem richtigen Vater zu ihm nach Hause mitfahren werde und dort bleiben werde. Sie sagte nicht warum. Sie sagt nicht, wie lange. Alles blieb zurück, meine Stammbuchbilder, meine ganzen kleinen Schätze, eben das, was man so als kleines Mädchen ansammelt. Lieblingsbücher, Bilder, Spielkram und vor allem, mein über alles geliebter Teddy, alles blieb zurück.

Ich dachte doch nicht, dass der nicht mit im Koffer ist und gefragt, was ich alles mitnehmen darf, das habe ich natürlich nicht. Ich war viel zu sehr erschrocken, um an irgendetwas zu denken oder mich zu wagen, etwas zu fragen.

Es geschah einfach nur alles.

Meine Mutti hat mich einfach so fortgeschickt zu meinem Vater, den ich gar nicht kannte. Ohne mich haben sie weiter in Leipzig gewohnt, meine Mutti und meine 2 Brüder. Ob mich einer vermisst hat? Ich habe nie einen Brief bekommen, meine Brüder haben mir nie geschrieben oder nach mir gefragt, so als hätte es mich nie gegeben. Es wäre besser gewesen, es hätte mich nicht gegeben.

Ich hatte solche Sehnsucht nach Hause und nach meiner Mutti. Ich habe es niemandem gesagt. Es wollte auch keiner hören. Als wir bei meinem Vater zu Hause ankamen, nahm meine Stiefmutter sofort meinen Koffer, öffnete ihn und sortierte meine Sachen in Lumpen und „Brauchbares.“ Sie fragte mich nicht, was ich gerne hatte, was ich am liebsten anziehe und woran ich hänge. Sie bestimmte einfach und ich stand daneben und musste zusehen, wie sie festlegte, was weggeworfen wird und was nicht.

Mutti hatte mir 2 Schürzen genäht, auf die war ich ganz stolz, die Schürzen kamen auf den Lumpenhaufen und ich wagte mich, sie zu nehmen und an mich zu drücken. Ich wollte sie behalten, sie gehörten doch mir und Mutti hatte sie für mich genäht! Da stand mein Vater vom Sessel auf, nahm mir die Schürzen weg und zerriss sie ganz einfach und sagte: „So, nun sind es Lumpen.“ Und warf sie zurück auf den Haufen. Dann war mein Koffer leer und ich hatte fast nichts mehr zum Anziehen. Ich stand da und heulte, heulte hauptsächlich meinen 2 Schürzen nach. Nun hatte ich gar nichts mehr von Mutti und ich war allein hier, wo ich nicht sein wollte. Das waren meine ersten Tränen in meinem neuen Zuhause. Es war alles so schlimm, ich wusste nicht, was mir geschah. Warum durfte ich nicht bei Mutti und meinen Brüdern sein? Was soll ich hier?

Wegen meinem großen Bruder müsste ich ja froh sein, aber das war ich nicht, ich wollte nach Hause! Es war alles so ungerecht. Was habe ich denn getan? Ich habe doch nichts schlechtes gemacht? Oder doch? Ja, ich war an allem Schuld!

Vati ist eingesperrt worden wegen mir und Mutti ist böse mit mir deswegen. Sie will mich nun nicht mehr. Es hat mir keiner gesagt, dass ich abgeholt werde, bis zu der Stunde, als ich mitfahren musste. Wieso überhaupt? Warum hat Mutti mich weggeschickt? Mein Stiefvater ist doch eingesperrt worden und von Opa und Werner und all dem Anderen habe ich nichts gesagt, da wusste sie doch nicht davon.

Ich dachte doch, sie wird mir helfen, mich lieb haben, denn ich habe sie lieb und wollte das alles doch gar nicht, aber ich durfte doch nichts sagen. Ich habe mich so geschämt und ich hatte Angst, ihr weh zu tun, weil Vati immer gesagt hat, er hat mich lieber als sie. Und er hat gesagt, was passieren wird, wenn ich unser Geheimnis verrate. Wir kommen ins Heim, er ins Gefängnis und Mutti wird sich umbringen. Ich hatte doch Angst, dass das alles passieren wird und ich schämte mich so sehr, deswegen schwieg ich. Vielleicht will oder wollte ich es bisher nicht begreifen. Bis heute nicht begreifen. Ich habe damals beim Abschied nicht geweint, ich war wie taub, habe nichts gefühlt außer Angst und ich ahnte nicht, dass es für immer sein sollte und dass ich ab sofort keine Mutti mehr haben werde. Auf einmal war ich ganz allein.

Ich saß hinten auf dem Motorrad meines Vaters und hatte auch Angst auf diesem Ding. Noch nie war ich mit so was mitgefahren. Ich klammerte mich an den kleinen Gurt, der über den Sitz gespannt war und hielt mich krampfhaft daran fest, damit ich nicht runter rutsche. Den Mann wollte ich nicht anfassen, mich nicht an ihm festhalten. Er hat gesagt, ich solle meine Arme um seinen Bauch legen und mich so festhalten an ihm. Er war doch ein völlig fremder Mann für mich und ich wusste nicht, wohin er mit mir fährt. Auf der Fahrt habe ich geweint, Es hat keiner gesehen und keiner gemerkt. Es wäre besser gewesen, ich hätte mich einfach runterfallen lassen von dem Motorrad, aber nicht einmal daran habe ich gedacht. Ich war wie erstarrt und die Tränen liefen.

Dann ging es los – neues Zuhause, neue Mutti, neuer Vati, neue Verwandte, neue Schule. Alles war fremd für mich. Jeder war nett – ich war aber allein und sehnte mich nach Hause, nach meiner Mutti. Sie hat mir so gefehlt und ich hatte Angst, sie vergisst mich einfach. Meine Stiefmutter kaufte mir alles, was ich brauchte. Alles war auf einmal neu und schön – ich habe mich aber nicht gefreut darüber. Die neuen Schürzen habe ich nicht gerne angezogen – ich wollte lieber meine, die mir meine Mutti genäht hatte wieder – aber die waren ja längst zerrissen und verbrannt. Sie gehörten doch mir und es war gemein. Die Schürzen waren erst neu genäht, also noch nicht alt, aber wie haben sie gesagt: „Das Zeug von Leipzig brauchst du jetzt nicht mehr.“

Allen wurde ich vorgeführt, wie ein neuer Hund, den man sich angeschafft hat und ich fühlte mich auch ganz so, wie ein Tier im Zoo, dass jeder mal ansehen darf und das dafür fein gebürstet wird, damit es schön glänzt. Ich fühlte mich fremd und so blieb es. Aber ich musste hier bleiben – wo sollte ich hin? Ich habe mal versucht, mich umzubringen mit Tabletten, weil ich nicht dort sein wollte und weil ich nicht heim konnte. Es hat nicht geklappt, ich habe nur geschlafen und bin dann wieder munter geworden, mir war zwar noch etwas schlecht, aber gestorben bin ich nicht.

Die Zeit verging und ich ging in die Schule und war eben dort zu Hause und nicht mehr in Leipzig. Mein Vater sagte, was ich brauchen werde, bekomme ich dort. Alles blieb zurück. Das erste Weihnachtsfest rückte näher. Ich wollte unbedingt meiner Mutti, meiner richtigen Mutti etwas zu Weihnachten schenken. Sie soll merken, dass ich noch da bin, dass ich sie lieb habe und dass sie mich nicht vergessen soll. Aber wovon sollte ich ihr ein Geschenk kaufen und so hatte ich nichts, worüber sie sich gefreut hätte. Etwas basteln, über so was hat sie sich nie gefreut.

Taschengeld bekam ich keines, also konnte ich nichts kaufen. Wenn ich etwas brauchte, musste ich es sagen und meine Stiefmutter kaufte es oder ging es mit mir kaufen. Allein einkaufen konnte ich nicht, hatte kein Geld und wenn ich doch mal geschickt wurde, dann mit Einkaufszettel und dann musste ich das Restgeld mit Quittung zurückgeben.

Mein Vater war nicht arm. Wir waren es damals. Oft konnte uns Mutti nur Marmeladenbrote schmieren, weil kein Geld für Butter und Wurst da war. Vati hat viel Geld in die Kneipe gebracht und zu Hause musste auch immer Bier und Schnaps da sein, sonst wurde Vati böse und es gab richtigen Ärger.

Schulbücher bekamen wir von der Schule frei und für den Schulhort brauchte Mutti auch nichts bezahlen, ich weiß dass, weil ich es mal mitbekommen habe. Nur wer wenig Geld hat, brauchte nicht zu zahlen für Bücher, Hort oder Kindergarten und auch für Schulessen.

 Mein richtiger Vater hatte Geld – genug Geld. Er ging fast jeden Tag in die Kneipe, genau, wie mein Vati. Aber mein Vater spielte immer den King in der Kneipe – zum Schluss, wenn er die Rechnung bezahlt hat, besoffen genug war oder die Kneipe zumachte, dann schmiss er immer das Geld, was er beim Bezahlen zurückbekam in die Kneipe auf den Boden. Es waren meist so zwischen zwanzig und dreißig Mark in Kleingeld und es gab viele, die schon darauf warteten, um sich darauf zu stürzen und so viel, wie möglich zu ergattern. Oft musste ich mit in die Kneipe und neben ihm sitzen, daher wusste ich das mit dem restlichen Geld. Ich durfte mich aber nicht danach bücken, nicht nach einer einzigen Mark. Er hätte mich auf dem Heimweg grün und blau geprügelt, weil ich ihn damit blamiert hätte. Es hätte ihm also nicht wehgetan, wenn er mir l oder 2 Mark Taschengeld für die Woche gegeben hätte – hat er nicht. Ich brauche kein Geld, ich bekomme alles, muss es nur sagen und dann wird es besorgt. Mal selber etwas kaufen gehen, ins Kino, in die Disco – das gab es nicht, also brauchte ich ja auch kein Geld für so was. Ich durfte ja nicht einmal zu einer Klassenkameradin zum Geburtstag, also brauchte ich auch kein Geld für ein kleines Geburtstagsgeschenk.

Ich war ja schlecht, Mutti hat ihm sicher erzählt, warum sie mich nicht mehr will und warum er mich nehmen soll. Also, musste man auf mich besonders aufpassen, streng sein, mich nicht aus den Augen lassen und mein Vater musste sehen, dass er es schafft, aus mir noch ein anständiges Mädchen zu machen.

Na ja, ich wollte eigentlich sagen, dass ich kein Geld hatte und nirgends wohin durfte, um ein Geschenk zu besorgen. Meiner Mutti wollte ich aber so gerne etwas schenken, sie hat ja auch vor Weihnachten noch Geburtstag. Ich wollte unbedingt, dass sie wieder an mich denkt.

Meine Stiefmutter arbeitete damals in einer Tuchfabrik als Weberin und hatte zu Hause einen großen 3-türigen Kleiderschrank, der war nur mit Stoffen voll, die sie von Arbeit mitgebracht hatte. Ein Stück Stoff, es reichte wirklich gerade für einen Rock für Mutti und ich wusste ja, sie kann nähen, nahm ich aus dem Schrank. Es war wirklich nur dieses eine kleine Stück Stoff und ich dachte, bei so viel Stoff, merkt das sowieso nie jemand, wenn so ein kleines Stück fehlt. Ich nahm es also und schickte es heimlich meiner Mutti.

Ja, ich weiß – es war nicht richtig – es war geklaut, ich hätte das nicht tun dürfen. Aber ich habe meine Mutti so lieb und wollte ihr eine Freude machen und wollte auch, dass sie wieder an mich denkt.

Als ich den Stoff schickte, bettelte ich auch darum, dass ich wieder nach Hause darf, weil ich so Heimweh habe. Es kam ein Brief, der erste seit dem Sommer, es stand nichts drin, von wieder heimkommen dürfen aber sie hat sich für den Stoff bedankt. Als meine Stiefmutter mir den Brief gab, wusste ich, sie weiß es, was ich getan habe, denn der Brief war geöffnet und sie war richtig böse.

ICH WAR EINE DIEBIN!

Ab sofort wurde ich behandelt, wie ein Schwerverbrecher. Alles wurde vor mir verschlossen, ich flog aus dem Haus raus und musste hinten im Garten im Gartenhäuschen wohnen. Nur zum Essen und natürlich weiterhin zum Putzen durfte ich unten ins Haus. Das Gartenhaus war nicht winterfest, eisig kalt war es und ich habe mich am Tag in die Bettdecke einwickeln müssen, wenn ich Hausaufgaben gemacht habe. Gut, es war ein Ofen da, aber sie meckerten, wenn ich mir Kohlen holte und dann kam ein Tor an den Schuppen mit Schloss und ich konnte nur noch Kohlen holen, wenn sie es wollten, bekam also die Kohlen zugeteilt. Sie reichten nie für den ganzen Tag und ich habe gefroren und war allein. Es wusste doch keiner, dass ich hier drin wohnen und frieren muss und ich war doch selber Schuld – hätte ich das Stück Stoff nicht genommen, könnte es mir im Warmen doch gut gehen.

Morgens, wenn ich munter wurde, war meine Zudecke von meinem Atem gefroren. Es gab kein warmes Wasser und ich musste mich früh mit eiskaltem Wasser waschen. Frühstücken oder was Warmes zu Trinken hatte ich auch nicht, denn ich konnte unten nicht ins Haus rein, weil die noch geschlafen haben. Da musste ich eben so in die Schule.

Ich war immer froh, wenn ich dann dort war, denn die Schule war warm und es gab auch Tee und warmes Mittagessen in der Schule. Immer bekam ich gesagt, ich habe es nicht anders verdient. Ich bin der letzte Dreck. Ja – das war das Ergebnis meines ersten Klauens. Mutti durfte ich nicht mehr schreiben und ich habe mich ja auch geschämt, weil ich so einen Mist gebaut habe. Also war ich allein und musste alles allein aushalten. Schweigen, so tun als sei alles bestens in Ordnung und in der Schule so sein, wie die Anderen. Hat auch keiner was gemerkt.

Nach einiger Zeit hatte ich mich in dem Gartenhäuschen eingelebt und es war gar nicht mehr so schlimm. Ich habe nicht mehr so viel geweint. Meine Mutti war weg für mich und es gab auch kein Heimweh mehr. Mutti wollte mich ja nicht mehr haben. Ich habe nicht mehr gehofft, dass sie mir hilft – mich einfach damit abgefunden, dass es jetzt eben so ist. Manchmal habe ich schon gedacht, was würde Mutti tun, wenn sie wüsste, wie es mir geht. Würde sie mir helfen? Aber sie hat es nie erfahren, wie es mir ging- ich habe ihr nicht mehr geschrieben und Post von ihr habe ich ja sowieso nie bekommen. Ich habe mich auch nicht getraut, es zu schreiben, was hier los ist, denn ich hatte auch Angst vor meinem Vater, er könnte es mitkriegen und was wurde dann mit mir passieren?

Ich glaube, ich habe auch nie wieder einen Brief an meine Mutti geschrieben. Vielleicht hatte ich auch endlich gerafft, dass ich keine Hilfe bekommen würde, dass ich ganz allein bin. Meine Mutti verschwand in meinem Kopf. Ich habe mich an keine Hoffnung mehr geklammert. Ich wusste, sie hat mich einfach vergessen, sie ekelt sich vielleicht vor mir und hasst mich. Nicht einmal zu meinem Geburtstag bekam ich eine Karte. Nichts.

So war es also. Ich war allein, es gab kein Leipzig mehr für mich.

Allein war ich ja immer, denn es gab niemand mit dem ich reden konnte. Dem ich sagen konnte, was passiert. Was passierte, als ich 3 Jahre alt war und was passierte, bis ich erwachsen war. Ich habe mich schuldig gefühlt, mich geschämt und geschwiegen. So getan, als wäre alles in Ordnung und mich verstellt und niemand merken lassen, wie es mir ging. Ich wusste auch nicht, mit wem ich hätte reden können. Jetzt, wo ich allein in dem Wochenendhäuschen wohnte (ich war immer noch 13 Jahre alt), brauchte ich mich nicht mehr zu verstellen, brauchte nicht so zu tun, als sei alles schön und brauchte nicht zu lächeln. Ich hatte meine Ruhe, war allein und war frei – es war keiner da, der mich beobachtet hat und so hatte ich nicht ständig das Gefühl, aufpassen zu müssen, dass man merkt, wie ich bin, was ich für eine bin. Es war auch keiner da, der ständig herum meckerte mit mir. Ich kam also langsam gut mit dem Alleinsein zurecht und fand es später gar nicht mehr so schlimm. Es war sogar schön – ich konnte da oben in Ruhe malen, mir schöne Geschichten ausdenken und Bilder dazu ausschneiden. Mit der Zeit hatte ich dann ein richtig schönes dickes Buch mit schönen Bildern und meinen Gedanken dazu. Es war meine kleine Welt und wenn ich traurig war, dann habe ich immer meine Mappe angesehen und bin in Gedanken darin verschwunden.

Ich hatte nicht lange Ruhe in meinem kleinen „Reich“ – die Zeit, in der keiner „etwas“ von mir wollte, war schon nach einem 1 Jahr herum. Meine Stiefmutter machte den Haushalt und die Einkäufe für ihre Mutter, die unten im Ort wohnte und schon 76 Jahre alt war. Es kam dann die Zeit, wo es der Frau schlechter ging und dann war so viel Arbeit unten zu tun, dass meine Stiefmutter Freitags hin ging und Samstagmittag erst wieder zurück kam von ihrer Mutter.

Eines Morgens, als meine Stiefmutter bei ihrer Mutter war, ging die Tür meines Zimmers auf. Ich war noch müde und dachte an nichts Schlechtes. Mein Vater kam rein. Er sagte kein Wort zu mir. Wieso sagte er damals eigentlich nichts? Wusste er, dass es für mich nichts Besonderes war, was gleich passieren würde?

Sicher, Mutti hatte ihm ja gesagt, was los war und deswegen war ich ja hier bei meinem Vater und deswegen war ich ja die Schlechte und durfte auch nirgends wohin gehen. Mir durfte man nicht vertrauen, ich bin es, die verdorben ist und die schuldig war. Es lag an mir und es liegt an mir, was jetzt gleich passieren wird. Mein Vater sagte immer, ich sei genauso schlecht, wie meine Mutti. Das wollte ich nicht hören. Ich wusste auch nicht, wieso sie schlecht sein sollte. Was sie gemacht haben soll, was nicht richtig war. Ich habe meine Mutti lieb und er soll nicht so über sie reden. Ich liebe meine Mutti und er sagt, sie war schlecht und ich bin genauso und wolle nur immer das „eine“ und hätte nichts Anderes im Kopf. Ich wusste, was er mit das „eine“ meinte, ich wollte das gar nicht! Ich wollte das nie! Aber wer hat schon danach gefragt? Alle haben nur gesagt, ich will das und es ist schön und würde mir gefallen usw.

Meine Meinung hat doch gar nicht interessiert! Auch jetzt nicht. Er hat es natürlich geschafft, ich fühlte mich schlecht, ich fühlte mich dreckig, ich fühlte mich schuldig und ich schämte mich für das, was ich war. Was war ich eigentlich? Damals war ich noch nicht 14 Jahre alt, durfte nie aus dem Haus, hatte noch keinen Freund. Mein Vater aber sagte mir, dass ich mit jedem rummachen würde und man mich deswegen einsperren müsse. Meine Mutti war nie so. Heute am Telefon sagt sie mir immer wieder, ich sei so ein braves problemloses Mädchen gewesen damals. Immer lieb, immer fleißig, nie frech und ungezogen – es gab nie irgendwelchen Ärger mit mir, komisch – und wieso hat sie mich einfach so weggeworfen? Warum war ich dann nicht mehr zu Hause bei ihr, sondern lag hier in diesem Gartenhäuschen, in diesem Zimmer, in diesem Bett?

Ich bin hier – weit weg von Leipzig – und es passiert wieder. Mein Vater steht vor meinem Bett und zieht seine Hose aus. Er sagt nichts, kein Wort. Wie in Zeitlupe sehe ich das heute noch vor mir. Er steht nackt da und zieht meine Zudecke weg und lässt sie einfach neben meinem Bett auf den Boden fallen. Ich weiß nicht mehr, hatte ich ein Nachthemd an oder einen Schlafanzug. Ich weiß es nicht mehr. Ich glaube, es ist auch egal, denn ganz egal, was ich anhatte, daran lag es nicht, denn ich war richtig zugedeckt gewesen.

War ich selber schuld, an dem was jetzt geschah? Mein Vater sagte immer, ich sei so und vielleicht war ich doch selber schuld daran, was nun passieren wird. Zweifel an dem, was jetzt passieren wird, hatte ich keinen Moment. Aber etwas dagegen getan habe ich nicht – ich lag da und sagte keinen Ton. Ich hätte doch sagen können: „Was soll das? Hau ab! Ich will das nicht! Ich bin Deine Tochter!“ Nichts habe ich gesagt, gar nichts, stumm dagelegen, wie eine leere Hülle. Immer hat mein Vater gemeckert, ich bin zu fett, solle nicht soviel fressen. Dick war ich nicht, aber durch sein Gerede fühlte ich mich dick und unförmig. Ja, ich hatte mit 13 schon ziemlich viel Oberweite, was ich selbst wohl am meisten hasste. Mein Vater hat es geschafft, dass ich mich hässlich und fett fand und fühlte. Meinen Körper habe ich sowieso gehasst, ich brauchte ihn nicht, er wurde viel zu viel von anderen benutzt, als das ich ihn als meinen Körper fühlen konnte. Ich ekelte mich vor meinem Körper.

Ja, zu fett bin ich ihm immer gewesen, doch jetzt als er ins Bett zu mir kam, war ich wohl nicht zu fett und zu hässlich. Auf einmal schien ihm das, was da vor ihm lag, zu gefallen. Anders wäre es mir lieber gewesen. Er legte sich zu mir ins Bett, zu seiner fast 14-jährigen Tochter, seiner eigenen Tochter und es passierte wieder. Nur es war mal wieder jemand Neues – nämlich mein leiblicher Vater. Ich brachte keinen Ton heraus. Konnte es nicht begreifen, dass es wieder geschah, wagte auch nichts zu sagen. Wozu? Was hätte ich denn sagen sollen. Ich konnte nichts dagegen tun, nichts dagegen sagen, was hätte ich denn sagen sollen? Ich war es doch, die Schuld daran ist, das hat er mir doch immer gesagt, weil ich ja genauso schlecht bin, wie meine Mutti, ich war die Schlechte in diesem Scheißspiel.

Er drang in mich ein, genau wie all die Anderen und nie wollte ich es. Ich bin weg – habe nichts gespürt – habe meinen Körper verlassen und von oben alles beobachtet. Gar nichts habe ich gespürt, keine Bewegung. Ich bin aus mir raus, um nichts zu spüren. Nur meine Tränen liefen in mein Haar und auf mein Kissen bis es nass wurde. Kein Ton kam über meine Lippen, kein Schluchzer, nur stumme Tränen liefen und liefen.

Es war also wieder so, es war nicht anders hier – es wird weitergehen, immer weiter. Irgendwann war es dann vorbei und er war wieder weg. Ich hörte ihn noch sagen, ich sei eine blöde Heultrine und mit mir sei nichts los, mit mir mache es keinen Spaß, ich müsse noch einiges lernen. Dann war Ruhe, er war weg, ich war wieder allein.

Ich lag wieder allein in meinem Bett. Lange lag ich da, wie lange weiß ich nicht. Ich spürte nichts außer dem ekligen klebrigen Zeug auf meiner Haut und zwischen meinen Beinen und meine Tränen. Wie lange habe ich so dagelegen? Ich weiß nicht mehr, wann ich mich gewaschen habe und was ich angezogen habe – ich weiß gar nichts mehr. War es früh vor der Schule oder war es Wochenende. Sicher war es Wochenende und Samstag, sonst wäre das hier nicht heute Morgen passiert. Die Stiefmutter ist unten im Dorf bei ihrer Mutter geblieben und kommt erst gegen Mittag wieder zurück. Dass war in der letzten Zeit immer so und das weiß mein Vater und hat die Zeit genutzt. Es war also ein Samstag, ein ganz stinknormaler Samstag – er war nicht anders, auch nicht, weil das jetzt hier passiert ist. Es ist doch nichts Neues für mich. Das ist von klein an einfach normal, dass ich einmal, manchmal auch mehrmals am Tag dran bin. Es ist alltäglich für mich gewesen und nun wird es wohl hier auch so, wie in Leipzig alltäglich werden. Es ist nichts passiert, es ist nur einer mehr dazu gekommen, der das mit mir tut und mich dafür schuldig spricht. Es war kein besonderer Samstag, es war also ein Samstag, wie viele früher – nichts Besonderes, nichts Aufregendes.

Als meine Stiefmutter heimkam, war auch alles in Ordnung, es war so, als wäre mir nichts passiert. Sie merkte nichts- ich sagte nichts – schwieg, wie ich immer geschwiegen habe und schämte mich deswegen, wie ich mich immer geschämt habe. Irgendwann in dieser Zeit, als auch mein Vater noch damit anfing, nahm ich alle Tabletten, die ich im Haus finden konnte – welche Sorten es waren, weiß ich nicht, war mir auch egal. Ich kannte mich eh nicht damit aus. Ich schluckte sie und trank Wasser dazu und wollte einfach verschwinden. Einfach weg sein, es sollte endlich vorbei sein. Leider nicht, es war nicht vorbei. Ich musste kotzen, kotzen, kotzen und mir war hundeübel. Alles war wieder raus und ich lebte immer noch.

Keiner hat etwas mitbekommen. Am nächsten Tag sagte ich, ich hätte mir den Magen verdorben und blieb einfach im Bett liegen und schlief und schlief, dann war wieder alles wie immer. Ich ging in die Schule, war so, wie ich immer war, spielte meine Rolle und hoffte, keiner sieht mir etwas an. Was ist denn auch schon passiert? Nichts Besonderes. Für mich war es doch selbstverständlich, dass Irgendjemand irgendwann, wenn es ihm gerade danach war, kam und sein Ding in mich rein steckte. So war es doch, bis ich von Leipzig weggeschickt wurde, also warum sollte es jetzt anders sein? Es lag immer an mir, dass sie es tun mussten. So sagten sie es mir jedenfalls, oder brachten mich mit Angst und Drohungen zum Schweigen und ich schwieg. Deswegen glaubte ich, es lag an mir und fühlte mich schlecht und schuldig, schämte mich, war traurig und war allein mit mir. Ich konnte doch mit niemandem darüber reden. Deswegen war ich allein und alles in mir vergraben. Und es kam fast jeden Tag etwas Neues dazu, in dieses Innere Grab. Zu den Sachen über die ich nicht sprechen kann und darf.

Das war das erste Mal mit meinem Vater und es wurde zur Selbstverständlichkeit, so wie früher auch bei den Anderen. Wenn meine Stiefmutter bei ihrer Mutter schlief, dann ging er nicht mehr in die Kneipe wie sonst, da hatte er wohl keine Zeit, er hatte was Besseres vor – ich war dran. Im Wochenendhaus war es ihm wahrscheinlich dann zu kalt und ich bekam die „Ehre“ und musste jedes Wochenende die Nacht vom Freitag zum Samstag unten im Bett meiner Stiefmutter schlafen. Er fing dann auch an zu meckern, ich läge steif wie ein Brett da und es mache so keinen Spaß (Ich wollte keinen Spaß, ich wollte das gar nicht). Er sagte mir, was er will, wie er es will und das ich zu lächeln hatte, da es mir ja gefalle. Also änderte ich mein Verhalten gemäß den Wünschen meines Vaters und er hatte Spaß und war zufrieden mit sich und seiner Tochter.

Ich schämte mich dafür und hatte immer Angst, es könnte mir jemand ansehen, was los ist, wie schlecht ich doch in Wirklichkeit bin. In der Schule habe ich immer aufgepasst, dass ich lache, wenn die Anderen lachen und mich auch so verhalte, wie die Anderen. Das war anstrengend, es klappte aber, doch die Angst, entdeckt zu werden, war immer groß. Jede Bewegung, jede Antwort, jeden Gesichtsausdruck – ich passte immer auf, dass ich mich nicht verriet – ich stand immer neben mir und kontrollierte mich genau. Ich war immer zu zweit – eine, die bestimmte, wie ich mich verhalten musste und eine, die sich dann so verhielt, dass keiner merkt, wie schlecht ich doch bin und wie dreckig. Auch zu Hause klappte alles. Ich räumte die Schlafstube immer ordentlich auf, genauso wie sie abends, wenn ich runter musste war, genauso musste sie wieder aussehen so, als wäre das eben nicht hier geschehen. Er brauchte nicht zu sagen, dass ich das machen sollte, ich tat es von allein. Er redete sowieso kaum mit mir – höchstens, um mir zu sagen, wie schlecht, wie fett usw. ich sei.

Ist das nicht ein Irrsinn, aus Angst und Scham tut man alles, damit keiner was merkt und wünscht sich doch so sehr, dass jemand kommt und hilft, damit es endlich aufhört. Hat meine Stiefmutter denn nie etwas bemerkt? Oder wollte sie nichts merken? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, ich habe meine verdammte es-ist-alles-okay-Rolle so verdammt gut gespielt, dass keiner was merken konnte.

Meine Stiefmutter warf mir vor, ich sei undankbar, weil ich aus der Klinik raus und weg bin und alles schlecht gemacht hätte. Das tut mir weh, dass sie so von mir denkt, heute noch ist das schwer zu ertragen, denn ich möchte nicht, dass sie so von mir denkt. Ich habe nichts schlecht gemacht. Habe ich wirklich nicht. Alles, was ich konnte – kochen, putzen, nähen, stopfen, stricken, sticken – sie hat es mir beigebracht und dafür bin ich ihr dankbar. Oft habe ich zwar, wenn ich allein war, geheult, weil ich lieber etwas anderes gemacht hätte, so wie die Mädchen aus meiner Klasse damals.

Aber dafür habe ich all das gelernt und konnte so ohne weiteres den Haushalt von Jürgen in Ordnung halten. Waschen und Kochen waren kein Problem. Seine Schwester, die in Dresden wohnte, brachte dann auch sofort Jürgens Großmutter, die bereits 93 Jahre alt und pflegebedürftig war zu uns. Jetzt war ich ja da und konnte das machen. Die Schwester in Dresden ging nicht arbeiten, ich aber ging arbeiten und später dann nahm ich noch ein Direktstudium auf. Die Großmutter blieb bei uns bis sie starb. Es war schrecklich, den ganzen Tag musste ich hinter ihr her putzen, denn beim Laufen verlor sie Pipi unter sich. Sie war alt, sie konnte ja nichts dafür, aber es war viel Arbeit, doch ich habe es geschafft.

Ich war damals gerade mal 19 Jahre alt, ging arbeiten, versorgte die Oma und hatte den Haushalt ganz gut im Griff. Es lief gut. Ich hatte keinen aus meiner Verwandtschaft mehr am Hals, der „etwas“ von mir wollte, es war endlich mal vorbei, ich hatte Ruhe vor all denen.

Jetzt war es soweit, ich hatte ein normales Leben, was wollte ich mehr? Ich dachte, jetzt wird alles anders. Zum ersten Mal fühlte ich mich so etwas, wie glücklich oder frei oder sicher vor denen. Es war ein gutes Gefühl. Alles war jetzt ordentlich, so wie es sein sollte. Keiner wusste, was ich für eine bin und ich war endlich raus da.

Nach außen hin konnte nichts mehr passieren, es war mein Freund, der mit mir schlief und nicht mehr mein Bruder, Opa oder Vati. – es war mein Freund!

Ich hatte also jetzt einen Freund, ein eigenes Leben – kein Stiefvater, kein Vater oder sonst wer kam an mich heran. Nur noch Jürgen. Ich war frei, ich brauchte mich nicht mehr verstellen und so tun, als wäre alles in Ordnung. Jürgen hat auch nichts gemerkt und auch nichts gesagt. Im Bett habe ich mich verhalten, wie er es erwartet hat, denn er hat mich nie kritisiert oder etwas gesagt. Empfinden konnte ich aber nichts.

Ich war ihm dankbar für das, was er für mich getan hat, als ich im Krankenhaus war und das ich jetzt nicht mehr zu Hause sein musste. Ich gab mir Mühe, dass er immer zufrieden mit mir war.

Jürgen war 12 Jahre älter als ich und geschieden. Mich hat nie interessiert, warum. Es hätte mich interessieren sollen, das hätte mir viel Schlimmes erspart.

Ja, es lief so gut, dass ich sogar die Kraft hatte, von 1973-1976 ein Direktstudium in Betriebsökonomie zu absolvieren. An den Wochenenden fuhr ich heim, machte den Haushalt, kochte, wusch die Wäsche – ich hatte viel Kraft und Energie. Ich fühlte mich zu dieser Zeit so frei von der Vergangenheit. Das Studium schaffte ich ohne Unterbrechung, ohne Klinikaufenthalt, ohne Psychiatrie, denn ich hatte ja Jürgen, meinen Lebensgefährten.

Das Andere war tief in mir vergraben, so als wäre es nie passiert. Ich lebte jetzt so, wie die Anderen und fühlte mich auch in Sicherheit. Auf Arbeit lief dann auch alles super. Ich kam voran, wurde Chefin der Materialversorgung in unserem Kombinat, war anerkannt und fühlte mich auch so. Ich war nicht mehr der letzte Dreck.

Alles war gut, bis ich einen Fehler machte und einen zweiten. Ich wollte, dass wir heiraten, damit ich auch ganz „sicher“ bin und ich wünschte mir ein Kind. Wieso denke ich gerade jetzt daran?

Ich schlief wirklich das erste Mal mit Jürgen, als er mich aus dem Krankenhaus zu sich nach Hause holte. Da tat ich so, als sei es das erste Mal für mich, dass ein Mann so etwas mit mir macht. Er hat es mir abgenommen und glaubte, er sei der erste Mann in meinem Leben. Er war auch ein riesiger Kerl, 1, 98 groß und so war es kein Wunder, dass er mich etwas verletzte beim ersten Verkehr und darum dachte er, ich sei noch sauber. Ich habe nichts gesagt, habe ihn in dem Glauben gelassen. Was hätte er getan, wenn ich all das erzählt hätte von mir? Was hätte er mit mir getan und wohin hätte ich denn gehen sollen, wenn ich die Wahrheit gesagt hätte? Ich war so froh, unentdeckt geblieben zu sein. Er hat nichts gemerkt und nie etwas erfahren von mir und meiner beschissenen Vergangenheit, nie mitbekommen, was für Eine ich wirklich bin. Für ihn wollte ich in Ordnung sein, ohne Scham, Ekel und Dreck. Er hat es mir abgenommen und ich konnte 8 Jahre lang leben und so tun, als hätte es die Zeit vor ihm nie gegeben. Konnte so tun, als wäre nie etwas passiert und ich ein anständiges Mädchen. War das nun Lüge?

Ich wusste nicht, was Liebe ist, ich wusste aber, jetzt kann keiner mehr an mich ran von den Anderen. Dafür war ich dankbar und ich war dankbar für das Leben, das ich jetzt führen durfte. Alles hatte ich so verdrängt, als wäre es nie passiert. Meine Vergangenheit existierte für mich gar nicht mehr, es war alles so total weg, dass ich sogar dachte, ich kann meinen Vater und meine Stiefmutter besuchen. Ich hatte mein Studium beendet und war stolz darüber. Ich war auch stolz, auf Arbeit anerkannt und beliebt zu sein, eben so wie jeder Andere. Ich fuhr also zu meinem Vater mit dem Roller und dachte, er muss nun auch anerkennen, dass ich es zu etwas gebracht habe und nicht der letzte Dreck bin, wie er immer gesagt hat. Ich wollte es endlich von ihm hören, dass ich es auch ohne seine Hilfe zu etwas gebracht habe. Allein.

Ich fuhr allein hin. Bis heute kapiere ich nicht, wieso ich das tun konnte, was wollte ich dort? Wo mein Vater ist, habe ich nichts zu suchen, nicht die Anerkennung zu suchen, die er mir mein ganzes Leben lang aberkannt hat und nicht die Vaterliebe und den Vaterstolz. Ich war blöd – saublöd, dorthin zu fahren. Er hat sich doch nicht geändert, nur weil ich mir das so sehr wünschte. Er ist immer noch derselbe fiese Vater wie früher und ich in meiner Dummheit denke, es hätte sich etwas geändert. Ich war noch nicht richtig in der Stube, da merkte ich, dass meine Stiefmutter gar nicht im Haus ist. Doch da bin ich nicht auf die Idee gekommen, sofort wieder raus und weg. Nein, ich stand in der Stube und schon fing er an mich runterzuputzen, wie schlecht ich bin und wie undankbar, genau eben so, wie meine Mutter und dabei stand er auf und schob mich in die Schlafstube. Ich sagte kein Wort, ließ mich in diesen verdammten Raum schieben und wusste genau, was kommen würde. Verflucht, ich war jetzt 23 Jahre alt und bewegte mich wie eine Marionette, an deren Fäden man nur zu ziehen braucht und sie bewegt sich so, wie der der an den Fäden zieht, es will. Es geschah, einfach so, ohne Worte. Er war fertig, ging in die Stube, ohne Worte. Ich zog mich an und schlich mich aus dem Haus wie ein Verbrecher. Wäre ich nicht hingefahren, wäre es nicht wieder passiert. Ich fahre hin und bin erwachsen, nicht mehr von ihm abhängig, hätte mich wehren, ihn verfluchen können. Kein Ton – nicht gewehrt – alles passieren lassen. Mit 23 Jahren!

Wer kann das akzeptieren? Jeder sagt doch da, die spinnt, die ist blöd, die wollte es doch nicht anders. Warum ist die nicht dort weggeblieben. Ja, das alles sagte ich mir selbst und schämte mich – ich wusste nun – ICH BIN SELBER SCHULD! Ich war doch stark genug mich zu wehren. Ich war alt genug, da gar nicht hinzufahren.

Ja, mein Vater tat es, stand dann auf, ließ mich liegen, genauso, wie man ein Stück Dreck liegen lässt und ging in die Stube weiter fernsehen. So, als wäre gar nichts passiert, als wäre ich gar nicht da. Zwar versuche ich mir zu sagen, ich konnte es doch nicht vorher wissen, dass sie nicht da ist und dass es wieder passieren wird. Doch! Ich hätte es wissen müssen, dass ich dort nichts zu suchen habe – nie wieder. Ich bin selber schuld, dass er diese Chance noch einmal bekam, mich so zu behandeln. Ja, ich verließ das Haus, als hätte ich es beschmutzt, nicht mein Vater mich. Während der Heimfahrt heulte ich, konnte ich heulen, es sah niemand. Ich sah kaum die Straße und weiß nicht, wie ich heimgekommen bin.

Als ich heimkam, war Jürgen da und ich war wieder soweit okay, dass er mir nichts, aber auch rein gar nichts anmerken konnte. Ich war wieder in Ordnung. Es war, als wäre nichts passiert. Ich verhielt mich jedenfalls so und sagte nichts, war wieder einmal stumm und habe nun wieder eine Rolle gespielt. Die Rolle: „Das Leben ist schön – mir geht es gut.“

Verzeihen konnte ich mir nie, dass das passiert ist, aber es wird keiner erfahren, es bleibt in mir und ich weiß, ich war selber Schuld. Was musste ich denn hinfahren? Bis heute verstehe ich nicht, wie ich nicht daran denken konnte, was passieren würde, wenn er mich in die Finger bekommt. Hätte ich es mir nicht denken müssen, was passiert, wenn ich ihn allein antreffe?

Wie doof muss man denn sein, um so etwas nicht zu ahnen? Ich ahnte es nicht. Dachte überhaupt nicht daran und er sagte, ich wolle es und tat es, so wie immer. Ich ließ es geschehen, konnte mich wieder einmal nicht wehren. Beim letzten Mal war ich 23 Jahre alt und ich wehrte mich nicht, wagte es nicht, auch nur einen Ton dagegen zu sagen. Ausgeklinkt, abgeschalten. Ich war nicht da, aber mein Körper und mein Körper war besudelt, wieder einmal von diesem Dreck, ich werde mich lange mit der eigenen Schuld herumschleppen. Ich hab es so verdient! Ich habe nichts gesagt, nichts dagegen getan und fühle mich deshalb schuldig.

Schuldig, weil ich hingefahren bin.

Schuldig, weil ich hätte weglaufen können.

Schuldig, weil ich mich nicht dagegen gewehrt habe.

Schuldig, weil ich stark und erwachsen bin, um mich wehren zu können.

Schuldig, weil ich kein kleines Kind mehr bin, das ausgeliefert ist.

Aus all diesen Gründen werfe ich mir vor, selbst daran schuld zu sein, dass es wieder passiert ist und wieder passieren konnte. Es musste nicht wieder passieren, es war meine Schuld! Ich schämte mich über 20 Jahre lang dafür, dass ich mich nicht gewehrt habe. Als ich dorthin fuhr, habe ich nicht im Mindesten daran gedacht, dass dies wieder passieren könnte. Was bisher passiert ist, war so weit weg, so unwirklich, sosehr verdrängt, dass es mich keine Gefahr ahnen ließ. Jetzt kann jeder sagen, die hat doch einen Schuss weg, aber es ist so, ich habe es so sehr verdrängt, dass es fast nicht mehr wahr war. Es ist alles wie weg gewesen.

Das klingt bestimmt so, als wollte ich mich herausreden. Nein, das will ich nicht. Dafür schreibe ich es jetzt nicht auf, um mich zu belügen. Man kann sich wirklich die Welt so zurecht denken, dass sie gut ist und auch der eigene Vater gut sein muss. (Er war es nie und wird es nie werden.) Aber ich habe wirklich gedacht, wenn er merkt, dass ich im Leben etwas erreicht habe, dann wird er mich nicht mehr so behandeln, dann wird er stolz sein und mich vielleicht wirklich wie eine eigene Tochter behandeln. Ja, ich war schon sehr naiv in meiner Hoffnung. So ungefähr: „Tu ich dir nichts, dann tust du mir nichts.“ Es war so, ich habe es nicht geahnt, weil es nicht mehr bewusst in meinem Kopf war, weil ich es so verdrängt hatte.

Ja und das, was nun passiert ist, habe ich auch wieder verdrängt, wollte es vergessen, wollte meine Schuld vergessen. Warum bin ich hingefahren? Ich wollte, dass er mich akzeptiert. Ich habe studiert, aus mir ist etwas geworden und das wollte ich ihm sagen und ich habe mir gewünscht, dass er mich endlich akzeptiert und nicht mehr sagt, ich sei der letzte Dreck. Ich wollte es ihm einfach beweisen, dass ich es geschafft habe, obwohl er mir nie etwas zugetraut hat. Deswegen fuhr ich hin, deswegen geriet ich wieder in die Falle.

Aus mir ist etwas geworden, obwohl mir mein Vater immer sagte, ich sei schlecht, sei dumm und werde als Nutte in der Gosse enden. Ich habe es geschafft und wollte ihn nun wissen lassen, dass er nicht Recht hat und dass ich es ohne seine Hilfe geschafft habe. Ich wollte ihm beweisen, dass er nicht Recht hat!

Jürgen erfuhr auch das nie – niemand erfuhr es. Er hat nie erfahren, dass ich zu meinem Vater gefahren war und nie von diesem Ereignis erfahren. Für diesen Tag schäme ich mich sehr. Ich kam mir vor, als hätte ich ihn betrogen. Als wäre ich fremdgegangen. Mein Vater hat nie gesagt, ich soll die Klappe halten und nichts sagen. Er war sich so sicher, dass ich schweige, weil er ja immer mir die Schuld gab und ich habe sie angenommen.

Ich habe mein ganzes beschissenes Leben lang geschwiegen. Jetzt weiß ich es besser. Nur durch mein Schweigen und dadurch, dass sie mir die Schuld daran zuwiesen und es schafften, dass ich mich schämte, haben sie sich in Sicherheit wiegen können und mir fast 20 Jahre lang Gewalt und Missbrauch antun können.

Mit Jürgen habe ich 7 Jahre lang in einer Lebensgemeinschaft gelebt und es war alles schön. Ich fühlte mich sicher, ich fühlte mich wohl. Bis ich dann den Wunsch hatte, zu heiraten und ein Kind zu bekommen – ich hatte das schon vorhin angesprochen. Das ist doch normal, sich ein Kind zu wünschen. Inzwischen war ich 26 Jahre alt und wünschte mir sehnlichst ein Kind zu haben. Ich träumte eben von einer richtigen kleinen Familie. Mein Wunsch begegnete mir überall, wenn ich eine schwangere Frau sah oder eine Frau mit Kinderwagen. Ich sah nur noch Babys und ich selbst wurde jeden Monat aufs Neue enttäuscht, wenn ich wieder und wieder meine Regel bekam. Es wollte einfach nicht klappen, ich wurde nicht schwanger. Lange Zeit ließ ich mich behandeln, ließ mich untersuchen, mit Hormonen behandeln. Es klappte nicht. An meinem Mann konnte es nicht liegen, er hatte in seiner geschiedenen Ehe zwei Söhne, also lag es an mir.

Was war an meinem Kinderwunsch verkehrt? Mein Wunsch war verkehrt, denn mein Mann sagte mir nie, dass er überhaupt keine Lust mehr hatte, noch ein Kind zu haben. Er hatte 2 Söhne – ich kannte sie auch. Regelmäßig waren sie bei uns, wenn er sie sehen durfte. Also hatte er seine Kinder und wollte keine mehr. Ich habe das nicht gerafft, einfach nicht kapiert, er hat es nie gesagt und mich in dem Glauben gelassen, es sei auch sein Wunsch. Doch, je intensiver ich mich behandeln ließ, um schwanger zu werden, umso gemeiner wurde er mit mir. Es wurde immer schlimmer, immer öfter war er besoffen und wurde unausstehlich, schlug und vergewaltigte mich und er ging auch fremd. Das ging eine ganze Zeit so.

Ich tat jedes Mal, wenn er mir wehgetan hat so, als sei nichts passiert und bildete mit ein, es wird wieder alles gut. Oder ich schrieb mir selber die Schuld an dem Vorfall zu, vielleicht hatte ich gerade etwas gemacht, was ihn sehr geärgert hat. Also, ich war wieder selber schuld. Auf die Idee, wegzugehen oder mich zu wehren, kam ich nicht. Ich sagte nichts – ich schwieg und es ging weiter und weiter so. Dann bekam ich noch einmal einen Termin für eine stationäre Behandlung in der Frauenklinik. Mein Mann hatte mich am Abend zuvor vergewaltigt und verprügelt und morgens noch einmal verprügelt. Es passte ihm nicht, dass ich in die Klinik gehen wollte. Dann ging er auf Arbeit. Ich war froh als er fuhr und fing an, meine Tasche für das Krankenhaus zu packen. Er hat nicht gesagt, ich solle da nicht hin, er hat einfach nichts gesagt und ist auf Arbeit gefahren. Ich fuhr in die Klinik und war froh, ihm aus den Füßen zu sein.

In der Klinik lagen wir zu fünft in einem Zimmer und ich hörte nur zu, sagte nichts, war wie taub, wusste eigentlich nicht mehr, was ich hier sollte und wollte. Eine Frau hatte ihr Baby verloren, sie weinte und tat mir schrecklich leid. Die drei anderen Frauen redeten nur davon, dass sie ihre Kinder hier loswerden wollen. Super Zimmerbelegung! Ich fand dies alles sehr schlimm für die Frau, die Ihr Baby verloren hat und darum weint und auch für mich. Ich hatte Wut, es ist so ungerecht, wie lange wünsche ich mir schon ein Kind, und diese Frauen lassen sich mal so auf die Schnelle ein Kind wegmachen. Die Eine war sogar schon zum zweiten Mal hier, um ein Kind wegmachen zu lassen. Ich hätte ihr den Hals rum drehen können. Allerdings wusste ich selbst auch nicht mehr, wofür ich mich noch behandeln ließ. Wusste nicht mehr, wofür ich jetzt hier in der Klinik liege. Wozu das alles noch. Es war doch aus. Jürgen schlug mich, machte mit mir was er wollte – er machte mir das Leben zur Hölle. Also, wozu liege ich jetzt hier und will mich behandeln lassen? Ich wollte das gar nicht mehr. Es war schlimm genug für mich auszuhalten, das sollte nicht noch ein kleines Baby mit aushalten müssen. Warum bin ich jetzt hier in diesem Bett? Weil ich es zu Hause nicht mehr aushalten konnte, deswegen bin ich ins Krankenhaus gegangen – ich wollte bloß noch daheim raus, wollte nicht mehr verprügelt werden, wollte wenigsten für kurze Zeit sicher sein und lag nun in diesem Zimmer in diesem Bett und heulte.

Die Schwestern dachten, ich heule, weil ich kein Kind bekommen könne und trösteten mich. Die wussten ja nicht, dass meine heile Welt kaputt war und ich deswegen so verzweifelt war. Was wussten die schon von meiner „heilen Welt“? Sieben Jahre war sie heil und nun war ich wieder schlecht, der letzte Dreck. Kein gutes Wort, nur Erniedrigung und Prügel. Aber es ist tatsächlich so, ich kam nicht auf die Idee einfach zu sagen: „Schluss, ich gehe!“ Immer wieder klammerte ich mich an die Hoffnung, morgen ist alles gut. Bei meiner Entlassung aus dem Krankenhaus erhielt ich einen Termin für die Uniklinik zur Voruntersuchung für eine künstliche Befruchtung. Ich bin nie hingefahren. Habe Jürgen nie etwas von diesem Termin gesagt, habe nur gesagt, ich könne keine Kinder bekommen. Und das Leben ging weiter, als sei nichts gewesen.

Jürgen tat so, als hätte er mich nie geschlagen, mich nie vergewaltigt, mir nie so wehgetan. Er tat einfach so, als sei nichts gewesen. Und ich tat auch so, weil ich es ja immer so gehalten habe. Alles wurde fast wieder so, wie früher. Friede, Freude, Eierkuchen – nichts ist passiert – alles ist okay und einen Kinderwunsch gab es auch nie. Kein Wort mehr darüber und fertig. Der Alltag renkte sich also wieder ein und ich glaubte wieder an meine kleine heile Welt.

Später fiel mir dann die Zeit ein, es kam mir damals lange vor und ich hatte starke Schmerzen. Ich konnte kaum laufen und doch konnte ich nicht sagen, dass mir da unten alles so weh tut. Ich zeigte es mit keiner Miene. Damals war ich 5 oder 6 Jahre alt und sollte Radfahren lernen. Ich wollte es auch sehr gerne lernen, doch ich konnte nicht. Mein Unterleib tat so weh und ich war so wund, dass alles wie rohes Fleisch aussah und ich hatte auch sehr starken Ausfluss. Ich konnte es kaum aushalten die Unterhosen zu ertragen, so weh tat alles da unten. Aber ich durfte doch nichts sagen, nicht sagen wieso dort alles so weh ist. Jeder Schritt tat mir weh und ich hätte am liebsten geweint und wäre nie mehr gelaufen, bis es wieder heil ist. Aber ich habe nicht geweint, ich habe so getan, als wäre gar nichts, als wäre alles in Ordnung. Nicht einmal meiner Mutti konnte ich sagen, warum ich so schlimm wund dort unten bin. Ich war doch erst 5 oder 6 Jahre und dachte, es ist so, weil Vati mich zu lieb hat und Opa auch, lieber als meine Mutti hat Vati mich. Das konnte ich doch der Mutti nicht sagen, da wäre sie doch traurig, weil Vati sie doch am meisten lieb haben müsste und nicht mich.

Ich schämte mich doch deswegen und wegen dem, was Vati und auch Opa immer mit mir machten. Ich wusste doch, davon bin ich so weh da unten und deswegen muss ich den Mund halten – und ich hielt ihn, sagte kein Wort, hielt die grässlichen Schmerzen aus und lief und lief, wenn ich laufen musste. Ich wagte mich nicht, etwas zu sagen, zu weinen oder mich irgendwie zu verraten, dass mir unten alles so schlimm weh tut. Ich konnte nichts sagen und durfte nichts sagen. Heute denke ich, meine Mutti hätte damals an meiner Unterwäsche sehen müssen, dass etwas nicht in Ordnung ist und hätte mit mir zum Arzt gehen müssen. Ich hatte immer solche Angst, wenn ich meine Unterwäsche in die Wäsche brachte. Ganz tief zwischen die andere Wäsche habe ich sie immer versteckt und nicht einfach oben draufgelegt. Kinderlogik! Meine Mutti muss die Wäsche ja gefunden haben und jede Mutter hätte das gesehen und sofort reagiert, wenn solche Schlüpfer von der kleinen Tochter in der Wäsche liegen, es war doch deutlich zu sehen, es war sogar teilweise Blut daran. Meine Mutti sah nichts an der Wäsche, obwohl es mit Sicherheit nicht zu übersehen war, wenn man die Wäsche sortiert und wäscht. Lange habe ich mich damit rumgequält, nur mein Opa und mein Vati, die hatten damit kein Problem, die taten weiter, was sie wollten mit mir. Ich war trotzdem dran und es tat höllisch weh.

Also, weil ich nicht auf dem Rad sitzen blieb, sondern immer wider runtersprang, war mein Vati dann der Meinung, ich sei eben doch zu dumm zum Radfahren. Ich kann bis heute nicht Radfahren – Ich habe Angst davor.

Diese vielen Entzündungen waren dann wohl auch die Ursache, warum ich nicht schwanger werden konnte, denn meine Eileiter und die Eierstöcke waren völlig vernarbt.

Mein Wunsch nach einem Baby war so groß, dass es sogar eine Zeit gab, in der ich eine große Babypuppe hatte und ständig süße kleine Babysachen kaufte. Ich besaß Unmengen an Babysachen und zog die Puppe ständig an und aus – sie war mein Ersatzbaby. Mein Lebensgefährte bekam das nicht mit, er achtete nicht auf die Puppe und ich achtete darauf, dass er es nicht mitbekam. Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich sie wieder als ganz normale Puppe ansehen konnte und als Dekoration auf das Bett setzte. Die Babysachen verschenkte ich dann einer Freundin, die ein Baby bekommen hatte. Es konnte nicht so weitergehen, dass ich mein Ersatzbaby hatte, ich musste wieder normal werden. Das war es also mit meinem Wunsch nach einem eigenen Kind – aus, Ende.

Der Kinderwunsch war also der erste Fehler, den ich ansprach, der mich fast meine heile Welt gekostet hätte, die ja nun wieder so schön heil war.

Nun zu meinem zweiten Fehler oder Wunsch – egal, wie ich es bezeichne, das wurde dann das Verhängnis für meine „heile Welt“! Wir waren über 7 Jahre zusammen, lebten zusammen wie ein Ehepaar und ich dachte, dann könnten wir doch auch endlich heiraten. Auf Arbeit wurde ich ständig von meinen Kollegen gefragt, wann ich denn heiraten würde oder ob ich ewig verlobt bliebe. Was würde sich ändern, wenn wir heiraten? Doch nur mein Name. Öfter sprach ich dieses Thema an und er sagte mir dauernd, er wolle nicht noch einmal heiraten.

Wir waren daran, ein Haus zu bauen für uns, hatten Pläne, eine Gaststätte zu eröffnen. Alles, was ich verdiente, gab ich für uns beide aus, behielt nichts zurück für mich. Es gab keine getrennten Konten. Mein Einkommen wurde zum Leben verbraucht, von ihm bekam ich nichts für den Haushalt. Das Jürgen sein Geld nur für sich behielt, fiel mir in meiner Dummheit gar nicht auf und ich dachte ja auch nicht an eine Trennung und wie ich danach existieren könnte. Es fiel mir einfach gar nicht auf, dass nur mein Geld weg war und er sein Geld fein behielt.

Später sagte ich dann, wenn er mich nicht heiraten wolle, dann würde er mich auch nicht lieben und ich könne ebenso gut gehen. Das hätte ich lieber sein lassen sollen. Er heiratete mich nämlich. Ich freute mich noch darüber zu heiraten, eine richtige eheliche Beziehung zu haben, einen richtigen Ehemann und nicht mehr die dummen Fragen „Wann heiratest du denn endlich?“ Das war nun vorbei.

Ja, wir heirateten. Alles sollte Vergangenheit sein, alles sollte ausgelöscht sein und war es auch.     

Mein Gott, wie konnte ich nur so dumm sein und hoffen, es könnte gut werden, wo es doch seit meinem Wunsch nach einem eigenen Kind nie mehr richtig gut war. Ich war so blind! Ich war so taub für alle Warnsignale – er hätte (er hat auch) mich mit Füßen von sich treten können, ich wäre (bin) wieder zu ihm hingekrochen.

Ich dachte nie daran, „wegzukriechen“, einfach wegzugehen. Im Gegenteil, ich dachte jetzt werde ich erst richtig glücklich sein, zwar ohne Kind, aber ich dachte, ich werde glücklich sein. Das, was ich nun berichten werde, dazu werden viele sagen, wie kann man nur so dumm sein. Man kann. Ich war es und viele sind es mit Sicherheit immer noch, deswegen will ich es berichten.

Es sollte nun endlich aufhören mit dieser ewigen Fragerei, wann wir denn nun endlich mal heiraten wollen. Der Polterabend war schon so, dass ich besser nicht mit auf das Standesamt gegangen wäre. Es wäre garantiert besser gewesen.

Ich hätte mir viel ersparen können. Aber nein, ich wollte ja endlich verheiratet sein, so wie es sich gehört. Am Polterabend waren meine Kollegen und einige Bekannte aus dem Dorf da. Es ging, es waren nicht zu viele Leute. Komischerweise war von Jürgens Kollegen nicht einer da und ich dachte schon, es kommt keiner von seiner Seite, doch dann kam ein Lkw mit Schrott (mein Mann war Heizungsmonteur) und der ganze Hänger mit Schrott wurde in den Hof gekippt und die Kollegen verschweißten das Zeug noch in sich, so dass es ein einziger riesiger Klumpen wurde, der zum Wegräumen erst wieder auseinandergeschweißt werden musste.

Es gab dann doch noch eine mächtige Trinkerei und ich fühlte mich nicht so wohl, da mein Mann immer mehr trank und seine Kollegen und er schweinische Witze erzählten. Aus diesem Grund dauerte es nicht lange und meine Kolleginnen und Kollegen (Büro) verabschiedeten sich sehr schnell.

Es war mir ziemlich peinlich und ich glaube, mein Mann hatte es darauf angelegt. Später gab es dann Streit deswegen und als alle, auch seine Kollegen weg waren, war er so voll, dass er alles voll kotzte und weil ich was gesagt habe, damit er rausgeht dazu, hat er mich zusammengeschlagen und alles, was rum stand zerschlagen. Der Abschluss des Polterabends sah dann so aus, dass er ins Bett ging und ich in der Ecke in der Stube zwischen den Scherben und Essensresten hockte und weinte. Später fing ich dann an aufzuräumen und sauber zu machen. Er lag im Bett und schlief. Ich habe die ganze Zeit geheult und als er dann aufstand und runterkam, da habe ich so getan, als sei nichts passiert. Habe ihm Kaffee gemacht und Frühstück. Wir sind ganz allein auf das Standesamt und anschließend zum Fotografen gefahren.

Essen hatte ich selbst vorgekocht und wir haben zu Hause gegessen, Gäste gab es keine. Wir zogen die Sachen aus und das war es. Ich war enttäuscht. Es war keine schöne Feier. Ich war nicht glücklich, sondern versuchte krampfhaft nicht loszuheulen.

Abends war ich froh, als der Tag rum war. So, nun war ich verheiratet. Wollte ich das nicht?

Alles hatte also seine Ordnung und ich war endlich meinen verhassten Mädchennamen los. Aber von diesem Tag an sollte sich auch das Leben mit meinem Mann ändern. Ich weiß nicht, wie es möglich ist, dass ein Mensch sich 7 Jahre so verhält, dass man mit ihm zusammenbleiben möchte und dann, nachdem die Hochzeit rum ist, einfach so von heute auf morgen nur noch gemein, brutal und schlecht ist.

Es war die Hölle mit ihm. Nichts konnte ich mehr richtig machen, er hat mich nur noch geschlagen, getreten, angespuckt und wenn es ihm Spaß machte oder er es brauchte, dann hat er mich vergewaltigt.

Nun war es wieder soweit. Es konnte mir nicht schlimmer gehen als so und ich wusste wieder nicht, wohin und mit wem reden. Ich schwieg und vertuschte und tat so, als sei alles in Ordnung. Fast ein ganzes Jahr habe ich das ausgehalten, dann habe ich versucht, mir einige Anziehsachen zurechtzulegen, sonst nichts, nur meine Kleidung. Ich wollte weg, ich hielt es nicht mehr aus. Er war so gemein. Eines Nachts schlug er mich, jagte mich die Treppe runter und sperrte mich im Nachthemd aus dem Haus. Ich wagte nicht zu rufen, damit in der Nachbarschaft keiner was mitkriegt, weil ich mich so schämte. Es war kalt in dieser Nacht und ich bin dann zu unserem Hund in die Hütte gekrochen und habe die Nacht dort zugebracht.

Ein andermal, ich war in der Dusche, er hatte eine neue Idee. Er machte die Dusche auf und hat mich von oben bis unten angepinkelt. Es war schrecklich und ich wusste nicht einmal, was ich nun wieder gemacht habe, was ihm nicht gepasst hat.

Wenn er abends besoffen ins Bett kam, dann hat er mich mit den Füßen aus dem Bett geschoben und in die Ecke der Schlafstube getreten und dort musste ich hocken bleiben, solange es ihm gefiel.

Wenn aber jemand auf Besuch kam, dann tat er freundlich und jeder kannte ihn ja auch nur als den prima netten Kumpel. Keiner kannte ihn so, wie ich.

Hätte ich versucht, jemand zu erzählen, wie es mir geht, mir hätte doch niemand geglaubt. Das hat er mir auch ständig zu verstehen gegeben. Ich war doch diejenige, welche schon solange in der Psychiatrie und also nicht richtig im Kopf war.

Ich wusste, ich brauche nichts zu sagen, mir wird keiner glauben. Mein Vater ist auch ein Säufer und Weiberheld und jeder redet über ihn, also was soll dann schon die Tochter viel taugen.

Ja, ich habe also ein paar Kleinigkeiten zusammengepackt, um hier weg zu gehen. Ich hatte Pech, er hat es mitbekommen und ich habe die schlimmste Prügel meines Lebens bezogen. Mein Körper war grün und blau geschlagen. Er drosch auf mich ein und da er ein Riesenkerl war, hatte er viel Kraft. Ich wollte zum Fenster raus springen, aber er hat mich noch am Arm erwischt und mich zu Boden geschlagen, ich rannte in die Dusche und machte sie zu, er zertrat die Glastür und die Scherben flogen mir nur so um die Ohren.

Er zerrte mich in die Schlafstube, warf mich auf das Bett und stellte sich über mich und trat und schlug auf mich ein. Bei einem Schlag zielte er auf mein Gesicht, hielt die Faust kurz vorher an und sagte: „In die Fresse schlage ich dir nicht, das kann man sehen. Den Gefallen tu ich dir nicht.“ Er schlug überall hin, nur nicht da, wo es zu sehen war. Als er genug hatte, jagte er mich die Treppe runter und stieß mich zur Haustür raus. Dann ging er wieder rein und schloss zu. Da stand ich und heulte und war doch froh, dass Schluss war mit den Schlägen.

Ich hatte nichts, kein Geld, keine Ausweise, nichts anzuziehen aber ich hatte eines, mein Moped stand im Hof und der Zündschlüssel steckte. Ich dachte nur noch – weg, nichts wie weg hier. Und setzte mich auf das Moped und ließ es den Berg runter rollen, damit er mich nicht hört und mit dem Auto hinterher kommt. Unten ließ ich es an und fuhr, ich wusste erst nicht, wohin. Dann bin ich auf Arbeit gefahren, in mein Büro und habe mich erst einmal dort versteckt, den Schlüssel hatte ich ja.

Am nächsten Tag konnte ich für 4 Wochen bei einer Kollegin untertauchen. Ich schlief im Zimmer ihrer großen Tochter, die im Internat war. In der Zwischenzeit versuchte ich mir eine Wohnung zu suchen. Mein Betrieb half mir dabei und so hatte ich auch schnell eine Wohnung. Aber, oh Gott, was soll ich da reinstellen, ich habe kein Geld, keine Möbel, einfach gar nichts.

In dieser Wohnung wohnte eine alte Dame, welche verstorben ist und es war niemand da, der all diese Sachen, die in der Wohnung waren, haben wollte. Ich wollte – und war froh. Die Dame war sehr sauber und ordentlich und es war eine richtig süße altmodische Einrichtung da und Wäsche und so hatte ich also schon mal einen neuen Anfang, obwohl ich doch gerade noch mit gar nichts dagestanden habe.

Mein Mann brachte es fertig, auf meiner Arbeitsstelle im Hausflur irgendwelchen alten Krempel abzustellen und ein Schild daran, auf dem stand, dass dieser Kram mir gehöre. Ich weiß nicht, wo er den Müll herhatte, es war nichts, was uns gehörte. Es war nur, um mich auf Arbeit unmöglich zu machen und zu blamieren. Meine Kollegin Elke ließ den Schrott sofort wegbringen und entsorgen. Ich war ihr sehr dankbar dafür. Mein Mann versucht noch einige Male, mich zu erreichen, mich zu sprechen, doch ich ließ mich nicht drauf ein. Ich wusste, er würde mich wieder rumkriegen, dass ich mit heimgehe. Ich wollte das auf gar keinen Fall und deshalb wollte ich nicht mehr mit ihm sprechen, ihm keine Chance lassen, mich wieder in seine Gewalt zu bekommen.

Es war gut, dass das Moped da stand und der Zündschlüssel steckte, ich wäre sonst nicht fort, wäre heute noch dort und würde immer wieder denken – es wird schon wieder besser. Ich sei selber an allem schuld. Er meint das nicht so usw.

Ich hätte es nicht geschafft, loszukommen. Ich hätte nicht den Mut dazu aufgebracht, es wirklich zu wagen und nun war ich endlich weg und sicher vor seinen Schlägen und Fußtritten und Vergewaltigungen.

Ich habe direkt die Scheidung eingereicht. Was dann auf mich zukam, war eine harte Zeit. Ich bekam nichts – wir hatten ein Haus gebaut – ich bekam nichts.

Es gab keine Gerechtigkeit, es war einfach alles ungerecht. Es gab aber Westgeld und ich hatte keins, aber mein Mann hatte welches von seinem Bruder und konnte so gut gegen mich arbeiten.

Es war so, nach der Scheidung stand ich mit nichts da, ich bekam einfach gar nichts, durfte sogar noch die gesamten Anwaltskosten zahlen und die Gerichtskosten, weil ich zum Schluss so dastand, als hätte ich Schuld am Scheitern dieser Ehe. Das Attest vom Arzt war verschwunden, keine Rede davon. Vom Hausbau – keine Rede davon. Mein ganzes Geld hätte ich nur für mich ausgegeben für Trinken und Süßigkeiten und Klamotten. Also, keinerlei Ansprüche.

Es war so und ich konnte die Ungerechtigkeit kaum fassen. Doch nach einiger Zeit dachte ich nur noch, egal, Hauptsache ist doch, ich bin da raus und es geht mir jetzt besser.

Ich war allein. Hatte eine kleine Wohnung. Hatte meine Arbeit und kam mit der Einsamkeit überhaupt nicht zurecht. Ich habe gearbeitet und daheim nur geheult. Warum? Ich weiß es nicht. Ich war so allein. Ich war noch nie ganz allein für mich. Ja, ich war zwar in dem Gartenhäuschen bei meinem Vater allein, aber da war er und meine Stiefmutter und ich musste immer zu Hause sein, immer alles so machen, wie die es wollten und auch parat sein, wenn mein Vater mich „brauchte.“ Aber jetzt war ich ganz allein. Keiner redete mit mir. Keiner meckerte mit mir. Keiner sagte mir, was ich machen soll. Ich sah, wie ringsum alle zufrieden und glücklich waren, wie sie lachten, wie sie ihre Leute hatten und fühlte mich schrecklich einsam. Denn ich hatte nie jemanden. Nie hatte ich Freundinnen.

Ich schaffte mir eine Katze an und stürzte mich verbissen in die Arbeit und bald gab es nur noch die Arbeit und sonst nichts. Es hat sowieso nichts gegeben, aber so konnte ich doch die Zeit ausfüllen und fühlte mich nicht so schrecklich einsam. Die Scheidung war sehr schnell erledigt – komischerweise (na ja, was Westgeld so alles beschleunigen und beeinflussen kann).

Ich hätte doch jetzt erst mal so richtig das Alleinsein genießen und es mir gut gehen lassen können. Keiner, der mir weh tut. Nur ich allein – das könnte doch auch schön sein – oder? Ich kam damit nicht zurecht. Ich ging auf Arbeit und danach verkroch ich mich sofort wieder in meiner Wohnung, schloss sie ab und heulte mir die Augen aus. Es wurde immer schlimmer.

Eines Tages nahm ich mir auf dem Heimweg aus dem Eckladen eine Flasche Wein mit und dachte, da trinke ich heute Abend mal gemütlich ein Glas Wein und lasse es mir gut gehen. Die Flasche war am Morgen leer und mir war nicht besonders gut, aber im Laufe des Tages war die Übelkeit dann weg und zum Feierabend kaufte ich mir wieder Wein, diesmal waren es 2 Flaschen und ich trank sie aus.

Am nächsten Morgen war mir schlecht, ich kam nicht aus dem Bett, habe mich übergeben müssen und konnte nicht auf Arbeit. Später klingelte es an meiner Tür. Mein Kollege stand draußen und rief mich. Ich war erschrocken. Verhielt mich ganz still. Er durfte nicht mitbekommen, was hier los ist. Es war einfach zu peinlich und ich schämte mich fürchterlich und ekelte mich vor mir. Immer habe ich es gehasst, wenn jemand besoffen war und eine Fahne hatte und nun, was habe ich getan? Wie tief bin ich gesunken, um jetzt hier so zu liegen, nicht fähig aufzustehen, weil ich noch besoffen bin.

Mein Kollege rief einmal und noch einmal, dann ging er wieder. Ich habe dann versucht, mich einigermaßen in Ordnung zu bringen und für den Tag einen Arzt aufgesucht und mich krankschreiben lassen. Ich habe die Wahrheit gesagt, er hätte sowieso den Alkohol gerochen und er kannte mich. Es war peinlich und ich schäme mich heute noch dafür, aber es war mir eine Lehre bis heute.

Noch einmal werde ich mir nicht mit Alkohol zu helfen versuchen. Ich habe nie wieder mehr, als nur ein Glas Wein getrunken und so wird es bleiben. Es hat nie jemand etwas von diesem Ausrutscher erfahren außer meinem Arzt und jetzt hier im Buch. Ich bin froh, dass ich sofort zur Vernunft gekommen bin und mich der Alkohol dermaßen abgestoßen hat. Wäre das nicht so gewesen, wer weiß, wo ich dann gelandet wäre.

Aber so waren es nur zwei Tage meines Lebens – zwei Tage für die ich mich schäme, die sich aber nie wiederholen werden.

Ja, das war sie – meine erste Ehe. 7 Jahre verlobt, 2 Jahre verheiratet, dann geschieden. Und ich denke, ich habe massig Glück gehabt, denn der nächsten Freundin meines Ex ging es nicht besser und ich kann sie nur bedauern und hoffe, sie hat den Absprung eher geschafft als ich. Mich musste man wirklich mit Füßen treten und verprügeln, damit ich kapiere, dass ich da weg muss.

23.8.2002

Nach meinem letzten Klinikaufenthalt war ich nun acht Wochen zu Hause, es sollten acht Wochen Therapiepause werden. Es war sehr schwer ich habe gekämpft, um diese Zeit durchzustehen und mich nicht eher wieder in der Klinik einfinden zu müssen. Ich wollte das einfach schaffen, diese Zeit durchzuhalten.

Mein Arzt gab mir seine Telefonnummer und wir vereinbarten für jede Woche einen Tag und Uhrzeit zum Anrufen. Ich hätte mich ja von mir aus nicht gemeldet, egal wie schlecht es mir auch gegangen wäre. Doch so habe ich jede Woche auf den Anruf gewartet, konnte ihn kaum erwarten, es war so wichtig, wenigstens ein bisschen reden zu können und nicht alles in mir vergraben zu müssen, wodurch es mir dann immer schlechter ging. So war es schon kaum zum zurechtkommen, obwohl ich das nie zugegeben hätte.

Mein Mann war während dieser Zeit, in der ich zu Hause war, in der Klinik und wurde wegen Angstzuständen und Depressionen behandelt. Er hatte einen sehr guten Therapeuten. Ich habe diesen Mann gesehen und sofort gedacht, dass es gut für meinen Mann wäre, von ihm behandelt zu werden. Und so bat ich auch darum.

Mein Mann wurde von ihm behandelt und es funktionierte so gut, wie in den vielen letzten Jahren nicht. Der Therapeut erreichte meinen Mann gut und konnte prima mit ihm arbeiten, so dass mein Mann in den 7 Wochen, die er stationär war, sehr viel für sich erreichen konnte.

Ich bin froh, dass das so gut geklappt hat, denn es war nur die Pause, in der mein behandelnder Arzt in Urlaub und zu einer Schulung war. Ich wollte diese Zeit nicht in der Klinik bleiben, sondern sehen, wie ich draußen zurechtkommen kann.

Die erste Woche war ich noch mit meinem Mann zusammen zu Hause und da haben wir versucht, es uns schön zu machen. Es war aber für beide anstrengend. Es war nur ein gegenseitiges Rücksicht nehmen aufeinander. In der Hinsicht müssen wir sowieso noch viel lernen.

Dann ging mein Mann in die Klinik. Die erste Woche konnte ich es genießen, allein zu Hause zu sein, mit meinen Tieren zu schmusen, den Haushalt mal wieder von oben bis unten zu durchforsten. Ich hatte mir sehr viel vorgenommen, doch die Luft war so schnell raus und dann war es nur noch eine einzige Quälerei. Wäre unser Hund nicht gewesen, ich hätte mich keinen Schritt vor die Tür bewegt, aber so musste ich. Ich habe es dann ständig getan, immerzu zwischendurch mal raus, damit der Kopf wieder etwas klar wird. War ich wieder eine Weile zu Hause, dann ging es wieder rund, alles war wieder da und ich allein – keinen zum Reden.

Ich war allein mit den Tieren – mit denen konnte ich wenigstens noch schmusen und mich so etwas trösten. Ich habe oft und viel geweint. Der Fernseher lief nur noch oder das Radio, gehört oder gesehen habe ich aber nichts – Ich war in einer anderen Welt.

Dann bekam ich von einem Bekannten diesen Computer, auf dem ich bisher alles, was ich für das Buch sammele, aufschreibe. Das war eine Rettung für mich. Ich habe nur noch geschrieben, konnte gar nicht mehr aufhören, nur wenn ich mal mit dem Hund raus musste. Es war wie eine Sucht, ich konnte reden ohne, dass jemand zum Zuhören da war und ohne dass ich mich schämen musste. Es war wirklich wie eine Sucht. Ich konnte nicht mehr aufhören zu schreiben und schrieb und schrieb. Natürlich wurde dadurch auch immer mehr wieder aufgewühlt und es konnte mir nicht besser gehen, doch aufhören zu schreiben, das ging auch nicht. Ich schrieb und schrieb und saß den ganzen Tag am Computer. Leider kann ich aber nur gut Schreibmaschine schreiben und irgendeinmal hatte ich dann alles so verstellt und vertippt, dass ich gar nicht mehr damit klar kam und nichts mehr funktionierte.

Jetzt stand ich wieder da und wusste nicht, wohin mit alldem, was in mir brodelte. Nun fehlte mir mein Therapeut (der Computer) – es ging nichts mehr, ich kam nicht mehr klar mit ihm und mir Hilfe zum Erklären holen, hatte nicht viel Sinn.

Ich war überhaupt nicht in der Lage, irgendetwas Erklärendes aufzunehmen. Ich begriff nichts, mein Kopf ging zu und ich konnte nichts aufnehmen. Also, Pause mit Schreiben und dadurch wieder alles in mir behalten. Es ging mir auch total schlecht dadurch, ich bin richtig unruhig geworden und stimmungsmäßig total abgestürzt. Mir ging es einfach ganz schlecht, ich habe nichts mehr gemacht, war zu nichts mehr in der Lage, habe nur noch geheult und versucht, wenn mein Mann anrief, mich zu verstellen und so zu tun, als ginge es mir super. Die Wochenenden, wenn er heimkam, waren schon schwieriger, da musste ich ja funktionieren, so tun als ginge es mir gut und ihn verwöhnen, damit er sich zu Hause erholen kann.

Das vorletzte Wochenende, als er heimkam, ich weiß nicht, warum, aber wir hatten darum gebeten, dass er nicht, wie gewöhnlich vom Samstag zum Sonntag sondern, dass er bereits am Freitag bis Samstag abends heim darf, hat es mich dann total erwischt. Am Freitagvormittag versuchte ich wohl irgendwie, alles noch schnell in den Griff zu bekommen, dass es ordentlich aussieht und man nicht sieht, ich bin nicht so richtig fit. Ich bin dabei aber glaube ich total durchgedreht, vor Angst, ich schaffe es nicht und dann kam noch ein Flashback dazwischen, mit dem ich nicht allein zurechtkam und ich geriet so in Panik. Ich dachte nur noch: „Was tue ich jetzt, damit ich mich nicht umbringe?.““

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Helmut wollte ich nicht anrufen und wahrscheinlich ist er inzwischen auch schon unterwegs nach Hause. Dann kam ich auf die Idee, meine Freundin Resi anzurufen. Ich konnte nicht reden am Telefon, ich habe bloß geheult und gesagt, dass ich nicht allein bleiben kann, weil es mir so schlecht geht.

Es dauerte keine l0 Minuten und Resi und ihr Mann waren da. Sie suchten erst einmal nach meinen Medikamenten und gaben sie mir – ich habe einfach nichts mehr gerafft, ich war total hinüber, nur noch am heulen und zittern. Resi meinte dann, dass sie mich mitnehmen und sie Helmut anrufen, damit er weiß, wo ich bin. Also bin ich mit zu Resi und Alfons gefahren und sie haben mich auf ihre Couch gepackt und ich habe geheult, bis ich irgendwann eingeschlafen war. Helmut haben sie nicht mehr erreichen können und er war sauer, als er heimkam und ich nicht da war, er hatte Angst um mich und wusste nicht, wo ich bin. Doch dann haben unsere Nachbarn ihm Bescheid gesagt, wo ich bin. Ich war nicht in der Lage anzurufen und Resi hatte es doch ständig versucht, aber er war ja schon unterwegs gewesen zu mir nach Hause. Er kam dann zu Resi und Alfons die erzählten ihm dann, was los war und wie ich angerufen habe und um Hilfe gebeten habe, weil ich nicht mehr wusste, wie ich zurechtkommen soll. Mein Mann beruhigte sich dann und mit der Zeit kam ich dann auch wieder zu mir und war auch wieder etwas ruhiger durch die Medikamente und weil ich nicht allein war. Weil ich etwas geschlafen hatte, haben sich meine Nerven wieder etwas beruhigt.

Wir saßen noch eine Weile zusammen, Helmut trank einen Kaffee und dann fuhren wir nach Hause.

Natürlich wollte Helmut dann am Samstagabend nicht wieder wegfahren und mich allein lassen. Ich sagte, ich bin nicht allein, ich kann Resi anrufen und auch dich anrufen, wenn es nicht mehr geht und dann kannst du immer noch heimkommen. Jetzt aber fährst du erst mal wieder in die Klinik und siehst zu, was du noch für dich selbst tun kannst. Ich schaffe es jetzt schon wieder und passe besser auf mich auf. Wenn ich merke, es geht mir nicht gut, dann hole ich mir eher Hilfe. Helmut wollte aber, dass ich sofort wieder in die Klinik gehe und so rief er an, um zu fragen ob ein Bett frei sei für einen Notfall. Es war dann auch ein Bett frei, aber auf Station A und da sagte ich sofort, nein, da gehe ich nicht hin. Ich wollte nicht auf A, nicht wieder auf eine andere Station. Ich war jetzt schon auf B und vorher immer nur auf Station D. Es war schon schwer für mich, auf Station B zu gehen. Warum? Na, weil da anderes Personal ist und ich mich wieder an jemand Anderes als Bezugspfleger gewöhnen musste und, weil jetzt wieder eine Station mehr über mich Bescheid wusste.

Es ist sowieso schon schlimm genug, zu wissen die und die wissen das alles von mir und jetzt sind es inzwischen schon 3 Stationen im Haus, auf denen ich war, also weiß fast das ganze Personal des Hauses meine Geschichte. Ich schäme mich immer, wenn ich weiß, die wissen über mich Bescheid und es ist immer schwer, wenn ich am Schwesternzimmer vorbeigehen muss, da wäre ich am liebsten einfach unsichtbar.

Es ist schwierig, wenn ich weiß, wie viele über mich Bescheid wissen und, was sie wohl über mich denken. Es ist mir peinlich und ich kann nur zu ganz wenigen Vertrauen haben und ihnen richtig in die Augen sehen. Vor den meisten möchte ich mich lieber verkriechen. Und nun soll ich wieder auf eine neue Station im Haus. Es ist die einzige Station, auf der ich noch nicht gewesen bin und ich will da auch auf keinen Fall hin. Warum? Weil ich einfach nicht will, dass noch mehr über mich Bescheid wissen, noch mehr meine Geschichte erfahren. Und, weil ich nicht wieder mit neuen Leuten zu tun haben möchte, mit Schwestern, die ich nicht kenne und Pflegern, die ich überhaupt nicht kennenlernen möchte. Nein, ich gehe auf keinen Fall auf A, da warte ich, bis auf D oder B ein Bett frei ist und solange kann mein Mann seine Therapie fortsetzen. Ich sprach dann auch noch mit dem Therapeuten meines Mannes und erkundigte mich, wie er einschätzt, wie lange mein Mann noch benötigt, um seine Ziele zu erreichen. Herr H. teilte mir mit, dass es sich maximal noch um 2 Wochen handeln würde. Auf einmal wusste ich wieder, was ich will und, vor allem, dass ich es bis dahin auch noch schaffe, zu Hause zurecht zu kommen. Die Entscheidung fiel, mein Mann fuhr wieder zurück und ich lehnte das Bett auf Station A ab. Es war sowieso für mich am 23.8.2002 ein Bett eingeplant, da ich dann wieder in die Klinik sollte zur weiteren Behandlung. Ich hatte ja nur eine Pause gemacht (eine schwere Pause). Aber ich habe sie trotz diesem Einbruch dann doch noch geschafft und bin erst am 23.8. wieder in die Klinik rein. Ich glaube, ich hätte es auch keinen Tag länger ausgehalten. Ich habe nur noch geheult und war überhaupt nicht richtig da, immer wie weggetreten. Nichts habe ich mehr richtig mitbekommen, konnte mich auf nichts konzentrieren.

Ich war froh, wieder hier zu sein, ich wollte weiter machen, damit der ganze Mist endlich mal aufhört und ich endlich mal leben kann wie ein normaler Mensch ohne Flashbaks ohne Wegtreten, eben einfach mit freiem Kopf und mal lustig und echt sein können. Ja, das wollte ich erreichen, mich so zu fühlen, wie ein normaler Mensch. Nicht immer leer, traurig oder wie lebendig-tot sein. Ich will endlich leben können! Mein Kopf zerspringt mir fast, ich habe Angst, ich drehe durch. Ich möchte mich am liebsten schneiden, umbringen, einfach alles beenden.

Jeder glaubt, ich bin so, wie sie mich sehen oder kennen. Keiner kennt mich. Sie kennen nur die Rolle die ich spiele. Ich bin nicht so lieb, nett, brav. Ich möchte am liebsten alles kaputtmachen. Ich möchte, dass mich keiner mag, denn die, die mich leiden können, wissen nicht, dass ich nicht so bin und würden mich verachten, über mich reden, mir aus dem Weg gehen, sich vor mir ekeln, wenn sie alles wüssten. Immer, schon als Kind hatte ich diese Angst, jemand merkt, wie ich wirklich bin und diese Angst habe ich heute noch. Auf der anderen Seite möchte ich am liebsten, dass jeder, der mich leiden kann, weiß, was ich für eine bin und nichts mehr von mir hören und sehen will. Dann könnte ich Schluss machen, brauchte keine Angst zu haben, jemand zu enttäuschen, etwas Falsches zu machen.

So dachte ich zu dieser Zeit – ich konnte und wollte nicht mehr und hoffte doch noch, es wird vielleicht anders. Na ja, nun war ich jedenfalls erst mal wieder in der Klinik und nicht, wie es sein sollte, wieder auf Station B, sondern auf Station C.

Auf Station C war ich bisher noch nicht und wollte dort auch nicht sein, aber es war nichts frei außer auf C. Ich kam in ein 2-Bett-Zimmer. Es lief wieder einfach „beschissen.“ Eine Nacht war ich auf dem Zimmer, habe gut geschlafen, bis mich Schwester M. weckte, weil ich laut geschrieen habe.

Ab dem Zeitpunkt habe ich nicht mehr geschlafen. Ich habe mir die Kopfhörer aufgesetzt und Musik gehört und so die Zimmernachbarin (Bettnachbarin) nicht mehr gestört. Bei der Visite am nächsten Tag wurde mir dann durch Herrn Dr. K. gesagt, dass ich heute noch verlegt werde in ein anderes Zimmer und er redete etwas von „Eine Hand wäscht die Andere.“

Ich wusste nicht, wie das gemeint war und war auch nicht in der Lage, danach zu fragen. Die nette Mitpatientin hatte natürlich auch schon auf der ganzen Station herumerzählt, dass ich in der Nacht so geschrieen habe und sie war sogar so dreist, über mich weiter zu reden, wenn ich vorbeiging. Ja, sie war ja auch eine „feine Dame“ und ich nur so ein dummes irres Würstchen. Sie zeigte deutlich, dass sie ja wohl etwas Besseres ist, als ich. War auch prima für mich, ich fühle mich eh immer wie der letzte Dreck und durch sie wurde es mir noch bewusster, dass ich der letzte Dreck bin. Sie hat mich genauso behandelt. Ich konnte mir also keinen Reim darauf machen, warum eine Hand die Andere waschen sollte bzw. was damit gemeint war. Ich war in dieses 2-Bett-Zimmer aufgenommen worden, da war das zweite Bett noch leer. Im Laufe des Tages kam dann die andere Patientin. Also, als Zweite in dieses Zimmer. Nun war mir dann doch klar, ich sollte ja aus dem Zimmer raus, weil ich gestört habe durch mein nächtliches Schreien. Die Dame hatte sich also deswegen beschwert.

Ich habe dann als die Patientin spazieren gegangen ist schnell meine Sachen zusammengesucht und ins Nebenzimmer, in das ich verlegt wurde, gebracht. Gefühlt habe ich mich wie ein Verbrecher und war froh, dass sie nicht da war, als ich die Flucht ins Nachbarzimmer ergriff. Ich kam mir schlimm vor. Immer durch mich, weil ich nachts schreie, solcher Ärger. Am liebsten wäre ich wieder heimgegangen. Nun war ich eben im Nachbarzimmer und dachte, na ja, dann eben hier, hoffentlich störe ich hier nicht wieder. Was mit „die eine Hand wäscht die andere“ gemeint war, habe ich dann allerdings auch bald begriffen, als ich die Mitpatientin in diesem Zimmer kennenlernte. Sie hieß Eva. Sie sprach mich alle 2 Minuten an und immer bekam ich zu hören, dass sie nicht mehr leben will. Das passt prima, zwei, die lieber tot sein wollen. Ich bin auf der Flucht und weiß nicht, wohin. Bin ich im Zimmer, kann ich keine Ruhe finden, weil Eva mich wirklich regelmäßig aller zwei Minuten irgendeinen Blödsinn fragt und ich antworten muss. Sie fragt mich auch solchen Blödsinn, ob ich noch meine Periode habe und lauter anderen aus der Luft gegriffenen Blödsinn. Eva tut mir ja leid, es geht ihr sehr schlecht, aber sie lässt mich einfach nicht in Ruhe, redet immer und immer wieder, auch, wenn ich so tue, als wolle ich schlafen. Sie gibt keine Ruhe. Ich bin fix und fertig und fliehe einfach nur, laufe herum und versuche mich vor ihr zu verstecken. Sie sucht mich und fragt alle, wo ich denn bin. Es ist schlimm. Mir dröhnt der Kopf so schon und ich denke, ich drehe durch und dann das noch. Das war also damit gemeint. „Eine Hand wäscht die andere. Du schreist nachts, also kannst du auch am Tag was aushalten.“ Demnach war ich selber schuld daran, dass ich jetzt nicht zur Ruhe kommen konnte.

Am liebsten wäre ich weggelaufen oder hätte mich umgebracht – ich fühlte mich bestraft und wagte nicht einmal etwas zu sagen, wie schlimm es war mit Eva, weil sie laufend sagt, sie will tot sein. Ich wagte nichts zu sagen, weil ich dachte, ich bin selbst schuld, dass ich zu ihr gelegt wurde. Aber wenn es noch lange so weiter geht, dann bringe ich mich wirklich um, denn ich drehe durch, ich halte das nicht mehr aus und kann nicht einmal etwas sagen. Gehe ich aus dem Zimmer, dann tue ich so als sei alles in bester Ordnung und in meinem Kopf ist alles irre und ich habe Angst er platzt mir und leben will ich auch nicht mehr. Und dann ist da noch die nette ehemalige Mitpatientin aus dem vorhergehenden Zimmer, sie fragt jeden laut im Flur, ob er mich nachts schreien gehört hat und als ich durch den Flur gehe, bringt sie es sogar fertig, als ich vorbei gehe, Eva zu fragen, ob sie denn schlafen könne, wenn ich nachts so schreie. Ich habe mich umgedreht, die Frau angesehen, konnte aber nichts sagen. Am liebsten wäre ich weggelaufen, aber ich war auch wütend wegen der Dreistigkeit, über jemanden zu reden, der gerade vorbeigeht.

Es ist schon toll, was es für Leute gibt. Ich weiß nicht, was Eva geantwortet hat, das habe ich nicht gehört. Ich habe mich so über die Unverschämtheit dieser Frau geärgert, sie tut gerade so, als würde ich aus lauter Spaß nachts schreien und die Leute munter machen damit.

Was soll ich sagen, da muss ich wohl durch, ich bin ja selbst schuld. Wer nachts schreit und die Anderen nicht zur Ruhe kommen lässt, über den muss man eben tratschen, wie über einen bunten Hund. Im Zimmer habe ich keine Ruhe durch Eva und außerhalb des Zimmers bin ich nur Gesprächsthema der Mitpatienten – ich habe mich gefühlt, als wäre ich schuldig und ich war es ja auch, weil ich nachts durch mein Schreien die Anderen im Schlaf störe. Und nun muss ich eben Eva am Tag aushalten und nachts damit klarkommen, dass ich jede Nacht geweckt werde, sobald ich schreie und das ist meist kurz nach dem Einschlafen der Fall. Ich kann also nachts nicht schlafen und am Tag nervt mich Eva. Ich kann nicht mehr und ich kann nichts sagen.

Ich habe einfach nicht das Recht dazu – ich störe doch selbst so sehr!

Das Einzelgespräch bei Herrn Dr. S. war für mich ein völliges Durcheinander, ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich hatte nach dem Umzug früh in das andere Zimmer gestern das Gefühl, gehabt, bestraft zu werden, weil ich Frau M. gestört habe. Sie hat mich auch so behandelt, wie ich es eben wert bin. Nicht beachten, besser noch – verachten, übersehen – also schuldig gesprochen. Der Umzug ins andere Zimmer war diesmal für mich wie eine Schande. Es war anders als sonst.

Oft musste ich schon verlegt werden, weil ich nachts so schreie, aber nie hat mich jemand so behandelt. Meist kam ich mit den Anderen sehr gut aus und wir haben es bedauert, nicht mehr in einem Zimmer sein zu können. Doch es war immer klar, ich störe. Aber ich bin nie so verachtend behandelt worden, wie dieses Mal. Ich fühlte mich bestraft.

Ich kam mir vor, wie damals als kleines Mädchen, als meine Mutti mich einfach so weggegeben hat. Weggeschickt, bestraft, ausradiert, vergessen, nicht mehr da. Es ist schon so, ich bin ja auch Schuld daran gewesen, dass Vati in den Knast kam und ich ihn der Mutti weggenommen habe. Er hat ja immer gesagt, er hat mich viel lieber als Mutti, ich wollte das nicht. Es war nicht richtig. Ich habe aber nicht gewagt, Mutti zu sagen, dass er mich lieber hat als sie. Ich wollte ihr doch nicht weh tun. Also habe ich ihn ihr weggenommen. So habe ich immer gedacht. Er war ihr Mann und nicht mein Mann, sondern mein Stiefvater. Ich war schuld daran, weil ich es Mutti nicht gesagt habe. Ich musste es Vati ja auch versprechen, dass ich nicht verrate dass er mich viel lieber habe als Mutti. Aber ich habe Mutti viel lieber gehabt, als Vati und ich habe mich geschämt und ein schlechtes Gewissen gehabt, wegen dem Geheimnis, was ich versprechen musste. Ich wollte nie, dass er mich lieber hat, ich wollte das alles nicht, aber was sollte ich denn machen?

Ich hatte ein schlechtes Gewissen und ich habe mich geschämt, weil ich es versprochen hatte, nichts zu verraten. Er hat gesagt, Mutti wäre dann ganz traurig und er käme ins Gefängnis, wo er doch nichts dafür kann, weil er mich viel lieber hat. Ich wollte Mutti nicht wehtun, wollte sie nicht enttäuschen.

Ich war 13 Jahre alt, als ich es verriet und musste deswegen bestraft werden. Also, weg mit ihr! Die ist schlecht!

Wenn ich nicht Schuld gewesen wäre, wäre ich dann bestraft worden?

Wenn ich nicht schuld gewesen wäre, hätte meine Mutti mich dann weggegeben? Hätte ich dann daheim bleiben können?

Jetzt, wo ich 50 Jahre alt bin, sagt Mutti mir, dass sie mich lieb hat. Damals hat sie nur gemeckert, immer habe ich alles falsch gemacht, nie war etwas richtig. Heute sagt sie, ich war ein sehr braves Kind. Super – und so ein braves Kind gibt man von heute auf morgen einfach weg und fragt nie wieder danach. Löscht es einfach aus seinem Leben aus. Macht man das mit braven Kindern?

Weil ich jetzt im Krankenhaus bin, mache sie sich Sorgen. Ich bin eben schlecht, mache meiner lieben Mutti Sorgen. Dabei hätte sie sich doch nie wieder nach mir umgesehen, wenn ich nicht damals während meinem Studiumsoviel Sehnsucht gehabt hätte und ihr deshalb geschrieben habe und später dann hingefahren bin. Es waren 10 Jahre vergangen, ohne dass ich eine Mutti hatte.

Als ich bei ihr auftauchte, tat sie so, als hätten wir uns gestern erst gesehen und ich wäre nie weg gewesen. Das tolle ist – ich habe dieses doofe Spiel mitgespielt. Es tat so weh und ich hätte so viele Fragen gehabt. Ich habe keine Fragen gestellt und nicht erzählt, was mit mir alles passiert ist. Und sie hat auch nie gefragt, wie es mir ergangen ist in den ganzen Jahren. Dieses Scheißspiel – Es war nichts – es ist nichts – alles ist in Ordnung. Ich musste mir dann immer anhören, ich mache ihr Sorgen, wenn ich mal wieder stationär war. Das läuft heute noch so und ich hasse es und ich hasse mich dafür, dass ich mich schuldig fühle deswegen. Ich schäme mich, weil sie sich angeblich Sorgen macht, wenn die schlechte Tochter wieder in der Klinik ist. Warum bin ich denn in der Klinik? Wo war sie denn damals? Hat sie sich da auch Sorgen gemacht? Aber ich bin die Schlechte in diesem Spiel.

„Warum hast du nie etwas gesagt?“ Ja, warum nicht? Damals hat sie das nicht gesagt, da hat sie, als ich doch nicht schwanger war, gesagt: „Und dafür das ganze Theater?“ – und fort war ich. Ich habe etwas falsch gemacht. Ich war schuld. Ich war böse. Ich habe ja auch gut aufgepasst, dass keiner etwas merkt und nichts verraten. Wie verlogen! Ich habe aufgepasst, dass keiner etwas merkt und Ich habe mir gewünscht, dass mir jemand hilft. Hätte ich was gesagt, hätte mir jemand geholfen.

ICH habe nichts gesagt.

27.8.2002

Ich finde, alles ist total durcheinander. Mir geht es nicht gut. Ich hatte gehofft, wenigstens mal eine Nacht schlafen zu können, ohne jemand zu stören. War wohl nichts. Eva sagte mir heute Morgen, ich hätte die ganze Nacht geweint und sie konnte deswegen nicht schlafen. Sie ist heute verlegt worden, ihr geht es noch schlechter, sie ist als Dauerpatientin im Heimbereich aufgenommen worden. Ich habe immer Angst, ich drehe auch mal so durch, weil mein Kopf immer so schlimm ist. Heute morgen ging es mir sehr schlecht und ich war nicht in der Lage, aufzustehen. Hatte so einen dumpfen Kopf und starke Kopfschmerzen, also blieb ich noch liegen und habe versucht, noch etwas zu ruhen, meist werden dann auch die Kopfschmerzen erträglicher. Eva schien dies aber gar nicht zu gefallen, ständig sprach sie mich an und wollte, dass ich aufstehe. Mir ging es immer schlechter und irgendwann hatte ich nur noch ein dumpfes Gefühl im Kopf und hörte, dass jemand sagt und immer wieder sagt, ich solle den Schlafanzug ausziehen und dann weiß ich nichts mehr, weiß nicht was passiert ist. Ich kam erst wieder zu mir, als die Schwester vor mir stand und ich merkte, ich saß im Wäscheraum in der Ecke hinter dem Wäschewagen. Anscheinend hatte ich mich versteckt, weil ich den Schlafanzug ausziehen sollte und Angst bekommen habe. Es war mir sehr peinlich, denn ich saß da vormittags im Schlafanzug im Wäscheraum und alle haben geguckt, was da los ist. Die Schwester wollte etwas in den Wäschesack werfen und war erschrocken, weil ich da unten in der Ecke saß und nicht ansprechbar war.

Ich habe gedacht, na toll, jetzt passieren dir wirklich richtig blöde Sachen und bald denken sie, ich habe einen echten Hieb weg und stecken mich in die Geschlossene. Ich hatte richtig Angst, was nun passieren wird, es passierte gar nichts. Herr Dr. S. hat mich nicht in die Geschlossene gesteckt oder irgendetwas gesagt, was mir Angst machte. Ich bin ja auch nur abgedreht, weil ich so benommen war und dann dieses ständige „zieh den Schlafanzug aus“ von Eva gehört habe, dabei wollte sie nur, dass ich aufstehen soll. Aber das wurde mir dann erst später klar. Ich war danach schon völlig durch den Wind und hatte noch das Einzel vor mir und ich sagte Herr Dr. S., ich könne mich entscheiden, ob ich ins Einzelzimmer auf Station B gehen will. Wenn ich nicht in dieses Zimmer gehe, dann käme da ein starker Schnarcher rein. Ich dachte mir, super, wenn ich jetzt sage, ich gehe hoch auf B, dann sind die, die den Schnarcher im Zimmer behalten müssen auf mich sauer. Sind auch schöne Aussichten. Und außerdem ist das Einzelzimmer ja eigentlich für Privatpatienten und ich bin keine Privatpatientin, da bekommt dann Herr Dr. S. mit dem Chefarzt Ärger, das will ich auch nicht. Egal, wie ich überlegt habe, ich habe nur Schwierigkeiten gesehen und wollte das alles nicht. Aber ich wollte auch niemanden mehr im Schlaf stören. Ich traute mich nicht zu sagen, ich möchte das Einzelzimmer haben. Ich habe es doch nicht verdient, wie eine Privatpatientin ein Einzelzimmer zu haben. Da steckte ich echt in einer Zwickmühle. Schwester Erika und Schwester Hedi haben mir gesagt, ich soll sagen, was ich will. Ich kann es schlecht. Ich weiß nur, ich will niemanden stören. Außerdem kann ich sehr gut mit Schwester Erika und Schwester Hedi reden, es ist so, als würde ich sie schon ein Leben lang kennen. Ich habe einfach totales Vertrauen zu den Beiden und sie werden mir fehlen, wenn ich wieder umziehen muss und sie sind nicht auf der anderen Station.

Für heute habe ich mich nicht entscheiden können und inzwischen ist das zweite Bett auch wieder belegt worden in meinem jetzigen Zimmer auf Station C. Heute bleibe ich also noch hier und – ich habe Angst vor der Nacht, Angst, die neue Mitpatientin zu stören. Es ist ein Teufelskreis, ich bin müde, traue mich nicht zu schlafen, weil ich nicht durch mein Schreien stören will und, wenn ich dann wirklich mal schlafen kann, dann werde ich geweckt, weil ich schreie und es ist auch wieder nichts mit Schlafen. Ich würde am liebsten Schluss machen, so fertig bin ich von alle dem.

Das Einzel war heute auch so, dass ich weggetreten bin. Ich konnte mich nicht gut konzentrieren und irgendwie konnte ich nur noch erfassen, Herr Dr. S. sagte, dass ich mich wie ein kleines Kind verhalten würde und deswegen immer wegtreten würde und auch deswegen nachts die Alpträume hätte. So, dachte ich, jetzt ist es also klar, ich bin selber schuld, dass ich die schlimmen Träume habe und ständig schreie und dadurch nachts störe.

Was soll ich denn ändern, ich bin so, wie ich bin und ich reiße mich doch ständig zusammen, um erwachsen zu sein. Und nun bekomme ich das gesagt. Ich habe das nicht gedacht, dass ich daran selbst schuld bin und was soll ich denn anders machen. Ich würde zu gerne nachts schlafen und keinen stören. Dann bekomme ich das gesagt. Ich weiß gar nichts mehr – habe ich wieder nur die Hälfte gehört oder nur gehört, dass ich schuld bin. Ich will nicht mehr, ich will weg, dann wäre dieser ganze Zirkus wegen mir nicht und ich hätte endlich meine Ruhe. Ich will einfach nur weg sein, verschwinden – tot sein, nicht mehr leben. Das halte ich nicht mehr aus.

Ich habe gedacht, Herr Dr. S. hilft mir und dann sagt er, ich sei selber schuld an allem. Ich kann das nicht verstehen und ich weiß nicht, ob ich es richtig verstanden habe. Ich weiß gar nichts mehr. Am Ende des Einzels wollte Herr Dr. S. wieder wissen, ob er sich auf mich verlassen könne, dass ich mir nichts antue. Ich hasse das, ich wollte nicht, dass er das wieder fragt. Eigentlich müsste er wissen, dass er das nicht mehr zu fragen braucht. Ich habe es doch versprochen – leider.

Ich habe es schon so oft bereut, es versprochen zu haben. Ich habe es nur ihm versprochen und ich hasse es, weil ich gerade da das Versprechen halten muss, er ist doch immer für mich dagewesen und hat mir bis jetzt immer geholfen und, er hat mir geglaubt und vor allen Dingen, er hat sich so oft, wenn ich nicht mehr wollte, nicht mehr konnte immer wieder die Zeit genommen, mir zu helfen. Jeden könnte ich enttäuschen, aber wegen ihm kann ich es nicht tun. Ich habe es ihm versprochen und wäre froh, ich hätte es nie getan aber er ist der Einzige, mit dem ich so reden kann, weil ich ihm vertraue. Nicht, weil ich ihn gern habe, nein, dass ist Quatsch, sondern weil ich ihm vertrauen kann und, weil er echt ist. Ich kann nicht gemein und undankbar sein, ich bin ihm doch dankbar, also muss ich mein Versprechen einhalten.

Wie oft wünschte ich mir, er würde sich vor mir ekeln, wegen all dem, so wie ich mich vor mir ekele. Er weiß doch den meisten Dreck, sogar dass mit den Hunden. Mir geht es so schlecht und ich wünschte, er wäre nicht da und ich könnte verschwinden, ganz, für immer – endlich Ruhe. Keinen mehr stören, nicht mehr aufpassen müssen, nichts verkehrt zu machen, kein Versprechen mehr.

Letzte Nacht habe ich mich wieder geschnitten, es hilft mir aber nicht, es ist zu wenig. Ich muss mich dann immer und immer wieder schneiden, doch ich darf nicht so schneiden, dass ich endlich Ruhe habe, ich habe es versprochen.

Sch..., dass ich es versprochen habe. Ich war heute nach dem Einzel so wütend, weil er wieder gefragt hat, ob er sich auf mich verlassen kann. Ich war deswegen wütend, nur deswegen. Wütend auf ihn, der es doch gar nicht verdient hat, weil er mir doch helfen will. Und dann bin ich wütend auf mich, weil ich nicht verstehe, wieso ich auf Herrn Dr. S. wütend bin und nicht auf die, die mir all das angetan haben. Ich will doch Wut auf diese Schweine haben, aber das funktioniert nicht, es tut nur weh und ich bin enttäuscht und traurig.

Schon daran müsste Herr Dr. S. doch erkennen, dass ich ganz anders bin, als er denkt. Aber er kapiert es einfach nicht, wie schlecht ich bin und was für Eine ich bin. Es ist zum verzweifeln. Wie oft habe ich schon versucht, dass er endlich kapiert, ich bin schlecht, ich bin nicht so, wie er denkt. Er kapiert es einfach nicht, auch wenn ich noch so viel erkläre und verrate von mir. Nach dem Einzel bin ich, weil er mich wieder gefragt hat, so wütend deswegen gewesen, dass ich die Treppe runter gegangen bin und dort auf die Möbel, die da unten standen eindrosch und das Bett gegen die Wand knallte und dagegen trat. Plötzlich stand er auf der Treppe und sagte einfach nur: „Klasse!“ Ich war wie gelähmt und habe mich so geschämt. Ich dachte nur, er findet es klasse, dass ich hier so herumwüte und herumtrete, dabei weiß er gar nicht, dass ich es gemacht habe, weil ich so wütend auf ihn bin. Ich habe mich so geschämt deswegen und dachte nur: „Wenn er wüsste, warum ich so wütend bin, würde er sicher nicht mehr: Klasse sagen.“

Es ist mir danach auch gar nicht gut gegangen, weil ich nicht begreifen konnte, wieso ich auf ihn wütend sein konnte und nicht auf die Anderen, die es doch eigentlich verdienten. Das war so schlimm für mich und ich kam mir dadurch einfach nur noch schlechter vor. Als ich dann wieder ins Zimmer zurückkam, lernte ich dann auch die neue Mitpatientin kennen. Sie kam mir ziemlich resolut vor und ich sah eine weitere Katastrophe auf mich zukommen. Ich drehe durch, wenn noch jemand meckert und sich beschwert. Ich weiß jetzt schon, das halte ich nicht aus und habe jetzt schon Angst.

29.8.2002

Es kam genauso und doch etwas anders. Die neue Mitpatientin ist in der Nacht zwei Mal durch mich gestört wurden und das ziemlich heftig. Ich kann das ja verstehen. Ich schnarche ja nicht, sondern ich schreie und das ist schon etwas anderes. Mir hat einmal ein Mann, der im Nebenzimmer lag und mich öfter nachts schreien gehört hat, gesagt, es ist nicht so, dass es ihn stört, sondern es tut ihm weh, wenn ich so schrecklich schreie. Das geht unter die Haut und lässt einen nicht gleich wieder zur Ruhe kommen.

Sie reagierte ganz anders als ich erwartet hatte, hat mir einfach nur gesagt, dass sie nachts zweimal munter geworden ist durch meine Schreie. Sie war nicht unfreundlich, nicht ärgerlich. Ich wusste aber, sie hat zu Hause einen kranken Mann und ist deshalb total überfordert und benötigt dringend Ruhe und viel Schlaf, deshalb ist sie hier.

Ich werde nun heute doch fragen, ob ich hoch auf B in das Einzelzimmer kann. Ich weiß nicht, wohin mit mir, wenn es mir schlecht geht, weil ich nicht will, dass es jemand mitbekommt von den Mitpatienten und diese mich dann trösten oder bedauern und das macht es für mich dann noch schlimmer.

In letzter Zeit „verschwinde“ ich dann, trete einfach ganz mit dem Kopf weg. In den letzten Tagen ist das sehr oft und sehr lange passiert, viel mehr als sonst. Ich muss auch versuchen, zu klären, was bei mir abläuft, wenn ich so wütend auf Herrn Dr. S. werde, denn ich schäme mich dafür, weil es nicht richtig ist und er es einfach nicht verdient. Ich kapiere es einfach nicht, was da bei mir abläuft.

Nach dem Einzelgespräch:

Ich habe versucht, alles anzusprechen und fühle mich jetzt etwas besser. Nun bin ich froh, darüber gesprochen zu haben und hoffe, Herr. Dr. S. hat mein Durcheinander, was ich heute geredet habe, sortieren und verstehen können.

Ich brauche seine Hilfe

Ich will ihn überzeugen, wie schlecht ich bin, damit er mich verachtet

Ich will leben

Ich will frei sein, um Schluss machen zu können

Wieso bin ich hier, wenn ich so oft denke, tot sein ist besser?

Ich begreife dieses Chaos nicht, verstehe nicht, was da abläuft und bin völlig durcheinander. Ich weiß nicht einmal mehr, ob ich mir selbst immer trauen kann, ob ich mich noch auf mich verlassen kann und mir nichts antue.

30.8.2002

Letzte Nacht habe ich geschlafen wie eine Tote. Ich war voll erledigt von der Anstrengung gestern Nachmittag im Cafe. Ich war allein im Cafe und wollte nur etwas Ruhe und für mich sein und saß dort auch allein am Tisch und habe gemerkt, dass ich einen Flashback bekomme. Ich habe so sehr versucht, nicht rein zu rutschen. Es hat mich unheimlich viel Kraft gekostet, doch ich habe es geschafft. Ich wollte nicht, dass ich hier im Cafe einen Flashback bekomme, weil ich dann auch immer schreie und es dauert eine Weile, ehe ich wieder zurück komme oder mir jemand heraus hilft. Es wäre mir unheimlich peinlich, wenn das hier passiert wäre. Ich habe nicht mehr rufen können, war schon total erstarrt, konnte aber immer noch dagegen arbeiten. An einem etwas entfernten Tisch saß ein Mitpatient von meiner Station und ich versuchte ihn durch Blicke zu erreichen und dass er mir hilft, auf Station zurück zu kommen. Es dauerte lange, ehe er mal in meine Richtung sah, denn er saß mit anderen Patienten am Tisch und unterhielt sich angeregt. Es war ein langer Kampf, solange klar zu bleiben und mich irgendwie festzuhalten, damit ich nicht in den Flashback tauche.

Endlich sah er mal in meine Richtung, ich konnte nur noch Zeichen mit der Hand geben, dass er doch bitte mal zu mir kommen möge, was er auch direkt tat. Ich konnte nur noch mühsam mitteilen, was los ist und dass ich schnellstens hier raus will und auf Station. Georg rief oben auf Station an und es kam auch sofort ein Pfleger und holte mich ab. Ich konnte kaum noch laufen, so starr und verspannt war ich inzwischen, aber der Pfleger sprach die ganze Zeit mit mir und so konnte ich mich auf die Fragen fixieren und bin dageblieben und, bis wir oben waren, bin ich nicht rein gerutscht. Aber ich war total erschöpft. Ich wollte nicht ins Zimmer, weil ich da noch unten auf C war und nicht allein im Zimmer und ich wollte nicht, dass die Mitpatientin sich erschreckt. Also setzte ich mich in den Raucherraum, er war leer und ich somit ganz allein. Ich war dankbar darüber, habe mich hingesetzt und war völlig erschöpft, habe auch nicht mehr versucht, dagegen anzukämpfen, mir fehlte die Kraft. So saß ich also allein im Raucher und der Flashback überfiel mich doch noch. Es war mir jetzt egal, ich hatte nichts mehr dagegen zu setzen. Ich wollte nur noch, dass es vorbeigeht, endlich vorbei geht und ich wieder Ruhe habe. Ich rutschte rein und war also wieder Kind und erlebte eine dieser schlimmen Situationen mit meinem Opa und seinem Freund. Ich war dort und es passierte wieder als sei es jetzt gerade und ich habe geschrieen und geweint. Mein Opa und sein Freund habe mir sehr viel Schlimmes angetan, mir weh getan und ihren Spaß dabei gehabt.

Opas Freund war besonders schlimm, er genoss es richtig, wenn ich es vor Schmerzen nicht mehr aushalten konnte und er war eklig, immer stank er nach Schweiß und war dreckig und ich hatte riesige Angst vor ihm. Er war es auch meistens, der mir die Pistole in den Mund steckte und abdrückte oder unten rein steckte und abdrückte. Immer dachte ich, jetzt ist es aus, jetzt bringt er mich um. Er sagte es auch immer und ich habe wirklich manchmal gehofft, dass er es tut und ich dann keine Angst mehr zu haben brauche. Aber immer drückte er ab und ich hatte Angst, dann lachte er höhnisch, weil ich vor Angst geweint und gewimmert habe. Das habe ich gerade wieder erlebt und die Angst gespürt und, was danach kam, wenn Beide zusammen waren. Sie legten mich auf den Tisch, banden mir die Hände fest und Einer stand unten und Einer an meinem Kopf, dann steckten sie jeder ihr Ding in mich rein, unten und in den Mund. Es ist schrecklich und mir tat immer alles weh, mein Hals, ich habe gedacht, es ist alles kaputt. Am schlimmsten war es immer, ich musste den Dreck runter schlucken. Ich wollte immer ausspucken. Es ging nicht, er blieb immer solange in meinem Mund, bis ich es runter geschluckt habe, wenn es zu lange dauerte, dann hielt er mir einfach die Nase zu und ich musste schlucken oder ich bekam keine Luft mehr. Und genau das hat sich in diesem Flashback wieder abgespielt, habe ich so wie damals wieder erlebt.

Ich kam wieder zu mir und war immer noch allein im Raucherraum. Ich fühlte mich so kaputt, so erschlagen, als wäre es wirklich gerade wieder passiert. Was soll ich machen, reden? Mit wem? Das kann man nicht erzählen, es zu schlimm, es ist zu eklig und ich schäme mich. Heulend gehe ich mir eine Tavor zur Beruhigung holen und verkrieche mich in mein Bett in der Hoffnung, die Tavor hilft mir, es aus dem Kopf zu bekommen. Ich konnte mich kaum noch rühren im Bett, so weh tat mir alles. Die Tavor brachte langsam Entspannung und ich bin eingeschlafen.

Letzte Nacht war ich ruhig, habe nicht geschrieen, habe tief und fest geschlafen. Aber heute früh waren wieder diese schrecklichen dumpfen Kopfschmerzen da, besser gesagt, sie sind immer noch da – das heißt, es ist noch nicht zu Ende, dabei bin ich schon so kaputt. Ich kann nicht noch mehr aushalten, will nicht noch mehr aushalten müssen. Ich will meine Ruhe haben, einfach nur meine Ruhe.

Ich habe gemalt, wie immer, wenn ich nicht weiß, wie ich klar kommen soll und nicht reden kann darüber, dann male oder schreibe ich. Meist aber habe ich gemalt. Ich habe das Bild gemalt und danach wurden die Kopfschmerzen stärker. Es hat nicht geholfen, dass ich gemalt habe. Ich habe auch nicht das gemalt, aber für mich ist es in dem Bild drin. Wem soll ich denn erzählen, was los war damals – das geht nicht. Ich habe es ja nicht einmal geschafft, es auf das Bild zu bringen, was passiert ist. Nun schreibe ich es hier und denke, das kann ich nicht tun, es ist zu eklig und ich schäme mich dafür, aber ich schreibe es, weil es wichtig ist, dass es aufgeschrieben wird. Weil es wichtig ist, es loszuwerden und nicht allein damit leben zu müssen, es bringt mich sonst um. Und es kann nicht sein, dass etwas, was mir angetan wurde und vielleicht auch jemand anderem angetan wird einfach verschwiegen wird. Es soll uns ja zum Schweigen bringen. Aber je länger wir schweigen, je länger wird es passieren – wir müssen reden, damit das, was sich kaum einer vorzustellen wagt, das es passiert auch an die Öffentlichkeit kommt, damit es verhindert wird, das es so weitergeht und viele so leiden müssen.

Das ist es. Der Hund und Opas Freund zusammen. Opas Freund steckte mir seinen Penis in den Mund und dann war der Hund unten in mir. Es tat weh, schrecklich weh. Ich konnte nicht schreien, hatte den Mund voll. Zwischendurch schlug er mich mit dem nassen Handtuch, das tat auch sehr weh. Ich konnte nicht schreien, hatte den Mund voll und ich habe geweint. Opa war immer stolz darauf, auf die Idee mit dem nassen Handtuch gekommen zu sein. Er wusste, Schläge mit dem nassen Handtuch tun sehr weh, es gibt aber hinterher keine blauen Flecken, keine Striemen. Man kann also hinterher nichts sehen. Es hätte auch keiner was gesehen. Zu Hause hat keiner danach geguckt und sonst habe ich aufgepasst, dass ich mich nicht zeigen muss, weil ich immer dachte, jeder sieht mir an, was ich für eine bin, wie dreckig und eklig ich bin.

In der Schule im Sport habe ich immer lange Sportsachen getragen und die meist schon drunter getragen, so dass ich mich nicht umkleiden musste vor den anderen aus meiner Klasse.

Nach dem Ganzen, was da passiert war, haben sie mich dann in der Ecke draußen mit dem Gartenschlauch mit eiskaltem Wasser sauber gespritzt. Das fanden die Zwei auch lustig. Das war der letzte Flashback und mir tut jetzt noch der Unterleib weh, so als wäre gerade dieses verdammte Hundevieh in mir gewesen. Ich möchte es raus schreien, was passiert ist, schäme mich aber deswegen und schweige und behalte es in mir. Ich habe das Gefühl, ich werde verrückt, ersticke daran. Der Flashback ist zwar jetzt vorbei, aber ich habe immer noch das Gefühl, als wäre ich 7 oder 8 Jahre alt, habe den Penis im Mund, habe Angst, er stößt mir durch den Kopf und er spielt dabei mit der Pistole auf mir herum. Mal setzt er sie da an und drückt ab, mal dort und ich habe immer Angst, weil er immer so tut, als wäre sie geladen. Der Lauf der Pistole auf der Brust, dem Bauch, dann tiefer, wieder zurück und ab und zu mal das verdammte „Klick.“

Ich habe Angst, Riesenangst und dann wieder denke ich, schieß endlich richtig, dann bin ich hier weg und es tut mir nichts mehr weh, nichts ist mehr eklig und ich müsste auch nie wieder Angst haben.

Diese ganze Erinnerung verfolgt mich nun schon seit gestern und die Kopfschmerzen sind heute auch da und ich denke, ich kriege alles wieder in den Kopf, kriege es nicht los. Es wird wieder so da sein, als würde es gerade passieren. Ich habe Angst, ich drehe durch, werde einfach so verrückt, weil ich das nicht aushalten kann. Gestern war ich schon so zerschlagen und fertig davon. Das nimmt mir die Kraft, die ich sowieso kaum noch habe. Damals – heute. Heute – damals. Es ist alles durcheinander. Es ist, als wäre es Eins, als wäre ich dort und als wäre ich so weh überall davon wie damals.

Diese verdammten Kopfschmerzen machen mir Angst, weil sie ein Zeichen für einen Flashback sind und dann ist es ganz richtig da, wenn der Flashback da ist. Es ist die Hölle, ich will nicht wieder einen Flashback haben, ich will es nicht wieder erleben und spüren müssen. So ist es zwar auch da, aber ich bin auch da – extra, nicht mittendrin. Mittendrin ist furchtbar und ich wäre lieber tot, als wieder und wieder dieses Schlimme durchzustehen. Es war grauenvoll, eklig und ich schäme mich so sehr dafür.

30.8.2002

Heute habe ich das Bild und das, was ich geschrieben habe, Herrn Dr. S. gezeigt und lesen lassen. Ich hatte Angst davor und wusste lange nicht, ist es richtig oder nicht richtig. Will ich das oder will ich das nicht, dass er weiß, was damals passiert ist. Oh, ich hatte verdammte Angst, er ekelt sich vor mir und verachtet mich deswegen. Es war schwierig, aber ich habe es geschafft, das Bild und was ich aufgeschrieben habe, ihm zu geben. Wenn ich das jetzt lese, dann kommt es mir so vor, als wäre es eine Ewigkeit her, dass ich das Bild gemalt habe. Ich habe es so weit weggeschoben, damit ich es aushalten kann. Nun ist es wieder weit weg und ich spüre es nicht mehr. Ich bin wieder taub, mein Kopf dumpf, wie Watte. Es kommt mir nicht vor, als wäre es diese Woche alles passiert, es kommt mir vor, als wäre alles ganz weit weg und eine Ewigkeit her. Ich habe kein Zeitgefühl – es passiert zu viel und zu schnell hintereinander, so dass ich es nicht ertragen und kaum verkraften kann. Immer wieder habe ich gedacht, ich will nicht mehr leben, kann nicht mehr leben. Ich bin eklig. Ich bin dreckig.

Das Gefühl durchzudrehen, einfach irre im Kopf zu werden, wird immer stärker. Manchmal schlage ich meinen Kopf gegen die Wand und hoffe, es hört auf, dieser Druck, diese Kopfschmerzen. Oft schneide ich mich mit einer Rasierklinge in die Arme. Ich schneide inzwischen immer mehr und immer tiefer. Am Anfang hat mir das Schneiden geholfen, es hat mir die Schmerzen und den Druck weggenommen. Mir ging es dann immer richtig gut – eben einfach entspannt. Jetzt schneide ich immer öfter und die Wirkung wird immer geringer.

Wenn ich überlege, wie es dazu kam, dass ich mich das erste mal selbst verletzt habe, dann sehe ich auch, wie falsch ich damals reagiert habe. Aber das habe ich auch erst in den letzten 2 Jahren erkennen können, dass es nur dadurch passiert ist, weil ich mich nicht behaupten konnte, mich nicht durchsetzen konnte oder auch nur ein bisschen wütend sein konnte. Es war im Krankenhaus in G. Ich war den ersten Tag da und es war Mittagessen. Ich ging in den Speiseraum hinter. Es war ein schmaler Raum, auf beiden Seiten Tisch an Tisch und die Stühle standen so eng aneinander, dass man nicht aufstehen konnte, ohne dass der Rückennachbar auch aufstehen musste um Platz zu machen. Es waren immer Vierertische und zwischen zwei Tischen standen also 4 Stühle und dass so eng, dass sie Lehne an Lehne standen. Es war einfach sehr eng.

Auf der psychiatrischen Station waren Männer und Frauen – kein Problem. Aber zu diesem Zeitpunkt waren so viele auf Entzug da und es waren ungepflegte, nach Schweiß riechende und schmuddelig angezogene Typen dabei. Für mich ist Schweißgeruch und unmittelbares, also so enges Zusammensitzen ein Problem und dann sollte ich auch noch einen Platz einnehmen (die Schwester wies mir den Platz zu), der an der Wand war, also ich in der Ecke und neben mir und hinter mir nur Männer. Ich sagte der Schwester, dass ich mich da nicht hinsetzen könne, so eingeengt von Männern und bat, ob ich nicht an dem Tisch auf dem Flur oder im Zimmer essen könne. Die Schwester fragte nicht einmal wieso und sagte einfach nur: „Nein!“ Ich war nicht in der Lage zu sagen, warum ich nicht da sitzen könne und sagte nur: „Dann kann ich nicht essen.“ Die Antwort der Schwester war: „Dann eben nicht.“ Ich drehte mich herum und bin Richtung Zimmer gelaufen, es war ganz vorn am Eingang und als ich vorn war, bin ich weiter gelaufen, raus, raus in den Park.

Ich wollte weg. Nur noch weg von hier. Ich habe geweint und hatte Angst. Ich versuchte aus dem Park raus zu kommen, hoch zu dem Felsen wollte ich und einfach runter springen. Ich weiß nicht, ich habe einfach nur noch reagiert, bin gelaufen und immer wieder auf Zaun gestoßen und konnte nicht aus dem Gelände raus kommen. Ich wurde immer aufgeregter und hatte nur noch einen Gedanken – Fort! Fort! Fort! Ich kam nicht aus dem Park raus, irrte dort herum und dann stand da so etwas wie eine Grableuchte am Wegrand. An der Leuchte waren ringsum 4 Glasscheiben. So eine gelbe Glasscheibe zog ich heraus und warf sie auf den Weg, damit sie kaputt geht. Ich tat das einfach so – wieso, weiß ich nicht. Es passierte einfach. Dann sah ich die Glasscherben liegen und hob mir ein paar auf.

Jetzt hatte ich etwas in der Hand, jetzt konnte ich Schluss machen. Jetzt brauchte ich mich nicht mehr so zu ärgern, weil die Schwester mich zwingen wollte, mich dort hinzusetzen – zwischen die drei Männer. Ich hatte das Glas in der Hand und ich wusste jetzt, was ich wollte – mir nie wieder etwas gefallen lassen. Ich werde jetzt Schluss machen – dann brauche ich mir nie wieder etwas gefallen zu lassen. Heute weiß ich, ich war damals wütend, sehr wütend. Ich fing an, mich zu schneiden, doch das blöde Glas war nicht sehr scharf. Aber trotzdem ich merkte, wenn ich mich schneide, dann werde ich ruhig – es beruhigte mich. Ja wirklich, es beruhigte mich, wenn ich mich verletzte und ich schnitt mich an den Armen kreuz und quer und an den Beinen, ich schnitt mich einfach darauf los und es tat gut. Ich war danach so ruhig und fühlte mich wieder besser.

Ich weiß nicht, wie lange ich da herum saß und ruhig und zufrieden war. Auf einmal stand der Arzt der Station und eine Schwester vor mir und der Arzt verlangte, dass ich ihm die Glasscherben geben sollte. Ich wollte das nicht, ich wollte sie behalten. Aber als er ein zweites Mal sagte, ich solle ihm die Scherben geben, gab ich sie ihm brav wie ein kleines Mädchen. Dann brachten sie mich direkt runter in die Geschlossene und meine Sachen wurden auch runter gebracht. Ich bekam Medikamente zur Beruhigung und sah dann zu, wie meine ganzen Sachen durchsucht worden, ob nicht irgend etwas Gefährliches dabei war. Die Nagelfeile und meine Nagelschere wurden mir weggenommen. Es war mir egal. Ich legte mich auf das Bett, das andere Bett im Zimmer war noch leer und so schlief ich bald ein.

Keiner hat mich gefragt, warum und weshalb ich so reagiert habe. Ich wusste es eigentlich selbst nicht. Aber heute weiß ich, ich war verdammt wütend und wusste nicht, wohin mit meiner Wut und habe sie gegen mich gerichtet. Ja, das war dann meine erste Erfahrung mit Selbstverletzung. Ich habe gemerkt, wie ruhig das machen kann, wie es Schmerzen wegnehmen kann, wie der Kopf frei wird, wie ich mich selbst bestrafen kann.

Zwei Tage später kam ich wieder hoch auf Station und welch ein Witz, ich konnte es nicht glauben, jeder konnte sich zu jeder Mahlzeit dahin setzen, wo er wollte. Es gab keine festen Plätze. Als ich die Schwestern wieder sah, konnte ich nicht einmal mehr feststellen, welche mir verboten hatte, diese eine Mahlzeit im Flur oder im Zimmer einzunehmen. Es war soweit weg und ich erkannte die Schwester nicht einmal mehr. Meine Arme und Beine waren aber noch total zerschnitten und zerkratzt.

Damals waren es aber noch keine tiefen Schnitte. Das Glas war auch nicht sehr scharf. Später und jetzt sind sehr tiefe Schnitte daraus geworden, um die Wirkung von damals zu erzielen und ich nehme nur Rasierklingen dazu, weil sie richtig scharf sind.

Hätte das sein müssen? Hätte die Schwester nicht einfach erlauben können, dass ich diese eine Mahlzeit im Flur oder im Zimmer zu mir nehme? Hätte ich nicht besser reagieren können? Ich konnte damals nicht anders reagieren, mir ging es einfach zu schlecht und ich war nicht stark genug, um etwas zu fordern oder auf etwas, dass mich betraf, zu bestehen. Jetzt schneide ich mich seit 4 Jahren und komme immer noch, wenn es mir schlecht geht, nicht davon los. Wenn ich die Schmerzen in den Armen nicht mehr aushalten kann oder mein Kopf zu schlimm ist, dann kämpfe ich wirklich, um es nicht zu tun, aber schaffe es selten. Die längste Zeit, dass ich mich nicht geschnitten habe, waren 4 oder 5 Wochen. Es ist sehr schwer, davon loszukommen. Ich möchte es gern und ärgere mich immer, wenn ich wieder versagt habe. Die letzten zwei Jahre war es aber oft so, dass ich mich geschnitten habe, um meinen schlimmen Zustand auszuhalten zu können und mich nicht umzubringen.

Jetzt bin ich seit dem 23.8.2002 wieder hier auf Station B und schaffe es einfach nicht, morgens pünktlich aufzustehen und an der Morgenrunde, dem Frühsport oder dem Frühstück teilzunehmen. Ich bin einfach nicht in der Lage dazu, weil ich morgens immer so kaputt bin von der Nacht und es vor Kopfschmerzen kaum aushalten kann. Ich gehe abends schon spät ins Bett, meistens erst nach 23.00 Uhr. Oft höre ich noch etwas Musik, um die Gedanken zu vertreiben. Aber das nutzt mir einfach nichts, die Gedanken, Erinnerungen kommen und sind dann da und es dauert ewig, bis ich einschlafen kann. In den letzten Wochen habe ich immer so gegen 0.30 Uhr das letzte mal auf den Wecker geschaut und gehofft, endlich einschlafen zu können. Habe ich dann endlich etwas geschlafen, dann ist es um 3.00 oder gegen 3.30 Uhr wieder vorbei mit Schlafen und ich bin wieder munter und das Gedankenkarussell läuft wieder an. Morgens, wenn es dann Zeit ist, aufzustehen, dann bin ich so richtig fertig und die Kopfschmerzen erschlagen mich fast.

In der letzten Zeit habe ich verschiedene Schlafmedikamente (Rohypnol, Dominal, Stillnox usw.) ausprobiert, die haben überhaupt nichts gebracht, es war so, als hätte ich gar nichts eingenommen, ich habe auch nur maximal 2-2 1/2 Stunden Schlaf bekommen. Nur mit den Medikamenten bin ich morgens noch benommener gewesen. Ich habe mir immer und immer wieder vorgenommen, morgen früh schaffe ich es, pünktlich aufzustehen und habe mir den Wecker gestellt, den ich dann am Morgen abgestellt habe, weil ich liegen bleiben musste wegen der schrecklichen Kopfschmerzen. Jeden Morgen habe ich dann ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht richtig funktioniere, weil ich nicht folge und alles richtig mache. Aber was soll ich sagen? Ich komme mir immer so blöd vor, wenn ich klingeln soll und Bescheid sagen soll, dass es mir nicht gut geht und ich noch nicht aufstehen kann.

Die Anderen hier sind auch krank und schaffen es und ich nicht. Es ist mir peinlich und macht mir ein schlechtes Gewissen. Ich denke immer, alle denken bestimmt, ich bin bloß zu faul und will nur keinen Morgenspaziergang oder die Morgenrunde mitmachen. Kopfschmerzen sieht man nicht, ein gebrochenes Bein sieht man und da brauchte ich kein schlechtes Gewissen haben. Ich habe immer alles geschafft, aber in den letzten 2 Jahren ist es mir morgens einfach nicht möglich, pünktlich aufzustehen, auch wenn ich munter bin. Die Kopfschmerzen sind da. Manchmal habe ich auch Glück und kann so zwischen 7.oo und 9.oo Uhr noch ein wenig schlafen, aber das ist selten. Meistens liege ich wach und warte einfach ab, bis die Kopfschmerzen weniger werden und ich es schaffe, aufzustehen.

Wie lange habe ich eigentlich schon diese verdammten Kopfschmerzen? Ich werde morgens munter, mein Kopf ist wie Blei und ich bin nicht in der Lage aufzustehen und den Tag anzufangen. Manchmal möchte ich am liebsten gar nicht mehr aufstehen, weil die Kopfschmerzen zu meinem Begleiter geworden sind, einfach immer da sind. Wenn es geht und ich noch im Bett bleibe, dann gehen sie etwas zurück, so dass ich wenigstens damit existieren und herum laufen kann. Seltsam ist, dass die Kopfschmerzen meistens bis 9 oder 10 Uhr morgens so stark sind, dann weniger werden und ich es so schaffe, aufzustehen und meinen Haushalt oder zur Zeit hier, das wenige zu tun, was ich zu tun habe (Waschen, Anziehen, Medikamente holen, so aufzutreten, als ginge es mir gut).

3.9.2002

Letzte Nacht habe ich wieder nur 2 Stunden geschlafen, hatte mir gegen 21.00 Uhr bei der Nachtschwester 1mg Rohypnol geben lassen und bin dann endlich um 23.30 Uhr eingeschlafen, jedenfalls habe ich da das letzte Mal auf den Wecker geschaut, um zu sehen, wie spät es ist. Um 1.45 Uhr war ich wieder wach. Ich war so müde und wusste, ich kann nicht mehr einschlafen, also versuchte ich es, indem ich mir noch l mg Rohypnol geben ließ. Es hat gar nichts gebracht – ich lag weiter wach bis morgens und hatte dann dazu schreckliche Kopfschmerzen. Natürlich bin ich dann früh wieder nicht pünktlich auf die Füße gekommen. Ich wusste, ich muss Bescheid geben, dass ich noch liegen bleiben muss, weil es mir nicht gut geht. Aber ich habe es so satt, jeden Tag zu sagen: „Ich kann nicht aufstehen, ich habe noch solche Kopfschmerzen“ Ich habe es satt, einfach satt, weil es mir so verdammt schwer fällt, zu sagen: „Es geht nicht. Ich kann nicht!“ Es ging immer alles, ich konnte immer alles und jetzt komme ich mir so schrecklich schlecht vor, weil ich nicht mehr so kann, wie ich sollte oder wie es erwartet wird. Na ja, jedenfalls kam dann Schwester Inge zu mir ins Zimmer und sagte mir, ich solle mich doch dann früh melden, dass es mir nicht gut geht und sie es wissen.

Das war schon schlimm für mich. Ich wusste doch, dass ich mich melden soll und habe es nicht getan. Später war dann die Visite und in der Visite bekam ich von Herrn Dr. S. auch noch einmal gesagt, dass ich mich melden müsse. Das kleine Mädchen, das ich dann immer bin, wusste, ich habe nicht gefolgt, ich war nicht brav, habe die Großen geärgert und bekomme jetzt Schimpfe. Dabei will ich immer brav sein, so wie früher – ich musste brav sein, sonst wurde es ganz schlimm für mich. Nun, hier wurde es nicht ganz schlimm für mich – aber die Gefühle waren so wie ich mich als Kind gefühlt habe. Mein Gott, soll ich wirklich jeden Tag sagen müssen: „Ich habe solche Kopfschmerzen, ich kann nicht.“ Wenn die wüssten, wie schwer es ist, das zu tun und wenn die wüssten, wie ich mir dabei vorkomme. Aber das können die nicht wissen. Nur ich weiß es und deshalb ist es eben einfach zu schwierig, mich zu melden. Lieber würde ich aufstehen und mich mit den schlimmen Kopfschmerzen den ganzen Tag herum plagen, statt zu klingeln und zuzugeben, dass ich nicht okay bin.

Heute früh kam es dann eben von 2 Seiten und sie hatten ja Recht. Es ist nun mal so, dass sich jeder melden soll, wenn er nicht fähig ist seine Therapie einzuhalten. Aber ich kann mich nun mal nicht jeden Tag mit demselben Gejammer melden, ich komme mir dabei so schrecklich faul vor. Aber es war nicht richtig von mir. Jetzt denke ich, wenn ich mich geschnitten hätte, dann wären die Kopfschmerzen vielleicht nicht so stark und ich hätte aufstehen können und ich bin wütend auf mich deswegen. Jeden Tag läuft es gleich ab, ich kann nicht aufstehen, liege bis gegen 9 oder 10.00 Uhr im Bett, quäle mich dann aufzustehen und gegen Mittag sind die Kopfschmerzen dann auf einmal fast weg und ich denke, mir geht es gar nicht so schlecht, ich muss mich nur zusammenreißen. Dabei ist es morgens wirklich sehr schlimm. Es ist ein echtes Problem von mir zuzugeben, dass es mir schlecht geht. Je schlechter es mir geht, je mehr achte ich darauf, dass es keiner merkt.

Was mich auch total nervt ist, dass mir fast jede Mitpatientin sagt, mir sehe man es nicht an, dass es mir nicht gut geht, weil ich so blendend aussehe. In letzter Zeit sage ich dann immer: „Je besser ich aussehe, je schlechter geht es mir.“ Klingt blöd – ich weiß, aber genau darauf achte ich. Keiner soll merken, wie es mir geht, wie es in mir aussieht – genauso, wie ich es als Mädchen und fast mein Leben lang tun musste, damit keiner merkt, was für Eine ich bin. Genau das ist es. Es ist gerade passiert und 5 Minuten später bin ich wieder im Hof oder auf dem Spielplatz gewesen und keiner hat gemerkt, was ich gerade Schlechtes getan habe. Ich habe so aufpassen müssen, dass keiner merkt, wie schlecht ich bin, wie dreckig ich bin und wie eklig ich bin. Ich habe immer gut aufgepasst. Ich weiß, ich war immer neben mir und habe jede Bewegung, jedes Wort genau kontrolliert, um genauso zu sein, wie alle anderen Mädchen, die draußen waren. Ich war nicht genauso, ich musste aber genauso sein. Ich musste ja schweigen, ich hatte ja Angst.

Heute verhalte ich mich noch genauso, sobald ich aus meinem Zimmer gehe, spiele ich eine Rolle – die Rolle, normal zu sein.

Es wird mir in letzter Zeit aber immer mehr möglich, bei bestimmten Personen zuzugeben, wie es mir wirklich geht, aber meist bagatellisiere ich dann auch noch und tu so, als sei es nur halb so schlimm, obwohl es mir total beschissen geht und ich Angst habe, total zusammenzubrechen.

22. l0.2002

Seit mehreren Nächten konnte ich nicht schlafen, ich war am Ende meiner Kräfte und konnte doch nicht liegen bleiben oder sitzen, so unruhig war ich. Jeden Tag habe ich gedacht, heute haut es mich um, heute kann ich schlafen.

Abends im Bett, ich lag da, war müde und in meinem Kopf raste alles durcheinander herum. Erinnerungen, die Gedanken, die Tagesereignisse, alles lief im Kreis ohne Ende und ohne Anfang in meinem Kopf herum. Nur, wenn ich mich mal hinsetzen konnte und gemalt habe (darüber gemalt habe, wie ich mich fühle), dann habe ich mich auf dieses Bild konzentriert und wurde ruhig und konnte mich entspannen, konnte es herauslassen, in das Bild.

Es war so, als würde ich mich mit dem Malen dieser Bilder entlasten können. Es gab eine Zeit, da habe ich am Tag und auch in der Nacht gemalt. Was ich nicht sagen konnte, habe ich gemalt. Ich habe gemalt, wie ich mich fühlte, wie es in meinem Kopf aussieht und das ich Angst habe, verrückt zu werden oder auch, wenn ich tot sein wollte. Ich habe das alles gemalt. Die Nacht vom 21.l0. zum 22.10.10.2002 konnte ich wider einmal nicht schlafen. Wieder so eine lange schreckliche Nacht vor mir. In den letzten 6 Wochen schleppe ich etwas mit mir herum, worüber ich es einfach nicht schaffe, zu sprechen. Ich kann das doch nicht erzählen, das kann ich doch keinem zumuten. Ist genug, wenn ich es erlebt habe und ich kann doch damit nicht noch jemand anderes belasten.

Was soll der von mir denken oder die? Es geht einfach nicht, ich muss es allein aushalten. Es wird in letzter Zeit immer schlimmer, dieses Gefühl, daran zu ersticken. Es ist zum verrückt werden, denke ich. Jeder kann hier über seine Probleme reden, aber ich muss diese Qual allein ertragen. Ich kann doch nicht einfach hingehen und reden, was sollen denn die von mir denken, was ich für eine bin – ich schäme mich viel zu sehr, um den Mund aufmachen zu können.

Es geht mir aber immer schlechter damit und das ist nur noch da und füllt mich aus, als gäbe es nichts anderes mehr in dieser Welt, als diese schrecklichen Erinnerungen. Ich denke einfach, nein, das kann ich doch nicht machen, ich kann doch dann niemanden mehr ansehen und was denken die dann von mir? Ich halte es so nicht mehr aus, ersticke daran, kann nicht mehr und kann es doch keinem zumuten. Nicht einmal Herrn Dr. S. aufschreiben, ich schäme mich zu sehr.

5 Wochen habe ich gebraucht, um das in meinem Tagebuch aufzuschreiben. Ich bin fast daran erstickt und hatte so wahnsinnige Angst, es schwarz auf weiß auf Papier zu bringen. Vorgestern Abend habe ich es dann geschafft, alles aufzuschreiben. Ich hatte wirklich gehofft, es hilft mir, wenn ich es rausschreibe und vielleicht so loswerde. Es hat mir nicht geholfen, immer noch ging es mir so schlecht.

Ich kann doch darüber nicht reden.

Ich kann doch damit niemand belasten.

Ich ersticke, je länger ich alles in mir zurückhalten muss.

Das alles aufzuschreiben hat mir nicht geholfen, gar nicht. Mir ging es immer noch genauso schlecht. Es machte mich wütend, weil hier jeder über seine Probleme reden kann, nur ich kann es nicht, weil es eben nicht zumutbar ist, so was zu erzählen. Ich hatte das Gefühl, ich bestehe nur noch daraus und fühlte mich nur noch in dieser Situation. Mein Kopf fühlte sich an, als wollte er jeden Moment zerplatzen und ich dachte, gleich werde ich verrückt.

Ich kann es einfach nicht mehr aushalten. Dieses: „Das kannst du niemandem zumuten, das musst du allein aushalten.“ Es erschlug mich fast. Ich wollte lieber sterben, als reden, weil ich mich zu sehr schämte. Heute Morgen im Einzelgespräch konnte ich wieder nicht darüber reden, weil ich mich zu sehr geschämt habe, wegen dem, was damals passiert ist. Herr Dr. S. redete und redete und ich hing mit meinen Gedanken immer in dieser Situation, über die ich nicht reden konnte. Ich versuchte, mich zusammenzureißen, mich auf das Gespräch zu konzentrieren, kam aber nicht weg von dem, was mich so belastete. Ich gab mir auch noch Mühe, dass er nicht merken sollte, dass ich nicht folgen konnte und ganz woanders war. Herr Dr. S. sollte ja auch nicht merken, da ist noch etwas, denn ich hätte es ja nicht erzählen können. Am liebsten wäre ich weggelaufen, weil ich gemerkt habe, ich habe mich nicht richtig im Griff. Ich fing an zu heulen und konnte dem Gespräch gar nicht mehr folgen.

Von dem Einzelgespräch weiß ich nichts mehr, ich habe nichts aufnehmen können. Ich hatte immer nur im Kopf, wie soll es weitergehen. Ich kann nicht reden und wenn ich rede, dann ekelt er sich vor mir und ich habe doch nur Herrn Dr. S., der mir helfen kann. Was soll ich also tun?

Später habe ich mich aber auch geärgert darüber, weil ich, wenn es so läuft, nichts für mich tun kann, wenn ich in den Gesprächen nicht aufnahmebereit bin und durch dieses Schweigen so blockiert bin, dass ich nicht weiterkomme. Wenn ich also nicht sage, was los ist, kann das so noch ewig laufen und mir wird es nie besser gehen. Herr Dr. S. hat auch schon bemerkt, dass irgendetwas das Vorwärtskommen stört, dass da etwas sein muss, was mich blockiert. Ich habe deswegen auch ein schlechtes Gewissen bekommen, wie ein kleines Kind, was unehrlich ist. Ich hätte nicht gedacht, dass es so zu merken ist und das ich deswegen einfach nicht von der Stelle komme.

Auf Grund dessen habe ich mich dann nach langer und reiflicher Überlegung trotz „Stufe“ (ich durfte wegen Suizidgefahr die Station nicht ohne Begleitung verlassen), gewagt, mich um 17.00 Uhr abends noch mal runter zu Herrn Dr. S. vor die Tür zu stellen.

Ich hatte mein Tagebuch dabei und wollte ihn lesen lassen, was los ist, warum es mir so schlecht ging und weshalb ich nicht mehr folgen konnte. Es war noch ein Patient zum Gespräch bei ihm drin und ich habe die ganze Zeit, die ich draußen gewartet habe, es waren ca. 40 Minuten, gekämpft, ob ich bleibe oder wieder auf mein Zimmer gehe. Außerdem hatte ich Angst, Ärger zu bekommen, weil ich ja die Station nicht allein verlassen durfte. Ich habe gewartet und je länger ich gewartet habe, umso unsicherer bin ich geworden. Am liebsten wäre ich weggelaufen, aber ich wusste, das ist falsch, ich muss mit ihm sprechen und zwar heute noch, wenn er Zeit für mich hat.

Dann ging endlich die Tür auf, der andere Patient wurde verabschiedet und Herr Dr. S. bat mich ins Zimmer rein. Ich habe mich erst mal für die späte Störung entschuldigt, es war inzwischen fast 18.00 Uhr und ich bin einfach oben abgehauen. Ich habe ihn gefragt, ob er ein paar Minuten Zeit für mich hat und gesagt, dass ich ohne mich abzumelden oben abgehauen bin und nun Angst habe Ärger zu bekommen. Ich hatte aber auch Angst, sie lassen mich heute nicht mehr zu ihm und bis morgen könnte ich es nicht mehr aushalten, ohne Dummheiten zu machen. Ich musste einfach sehen, dass ich heute noch eine Lösung finde, weil ich nicht weiß, wie ich das weiter aushalten und schaffen kann. Es ist zu schwer.

Ich wusste einfach, wenn ich es heute nicht noch versuche, dann wird die nächste Nacht zur Hölle und dann ist es das Wenigste, wenn ich nicht schlafen kann – es wird schlimmer, wenn ich nicht versuche, mir Hilfe zu holen. Ich hatte wirklich Angst vor dieser Nacht und vor meinen Reaktionen!

Herr Dr. S. hatte, wie immer Zeit für mich und ich bin sehr dankbar dafür, weil ich schon ein paar Mal zu ihm gegangen bin, wenn ich wirklich nicht mehr zurecht gekommen bin und wenn es zu schlimm war und ich wusste, ich schaffe es jetzt nicht mehr ohne seine Hilfe.

Als ich vor der Tür gestanden habe, habe ich die ganze Zeit, fast ein 1Stunde überlegt, ob ich wieder weglaufen oder ob ich bleiben soll. Ich hatte mein Buch dabei und wusste, was drin steht. Ich wusste, ich kann es nicht erzählen und fürchtete mich davor, es lesen zu lassen. Ich schämte mich so sehr. Ich hatte vor, ihm das Buch nur zu geben und gleich wieder zu verschwinden. Ich habe nur erklärt, wie das letzte bzw. die letzten Einzelgespräche für mich gelaufen sind und, dass ich so nicht mehr weiter weiß und kann. Wenn ich das jetzt nicht lesen lasse, dann weiß ich nicht mehr weiter, denn das, was im Buch steht, füllt mich zu sehr aus, besitzt mich, beherrscht mich und erstickt mich, wenn ich es nicht loswerde. Aber es ist so, dass ich nur, indem ich es lesen lasse, was ich da geschrieben habe, erklären kann, wie schlecht es mir geht. Das ich nicht mehr weiß, wohin mit mir, wenn ich mich ständig in dieser Situation fühle. Ich komme da nicht mehr raus, hänge da fest. Es geht nicht mehr, ich halte es nicht mehr aus, ohne Angst davor, verrückt zu werden oder mich umbringen zu wollen.

Ich will es niemanden zumuten und schweige und bin zugleich wütend, weil es so schlimm ist, dass ich es niemandem zumuten kann und schweigen muss.

Die Angst durchzudrehen ist so stark, wie der Ekel, der Schmerz, die Angst, die Scham. Alles ist da und ich weiß nicht, wohin mit mir und dem Ganzen.

Ich will mich nicht umbringen, aber wenn es so ist, will ich am besten weg (tot) sein.

Manchmal schaffe ich es kurz, mich auszuklinken, mich ruhig zu machen, wegzutreten. Aber nur kurz und dann ist es wieder da. Oft war es so, ich hatte den Wunsch, zu schreien, zu heulen, um mich zu schlagen, drauflos zu treten. Ich kann nichts davon – es geht nicht, es geht einfach nicht. Es ist einfach grauenvoll, diesen Kopf zu haben und nicht zu wissen, wohin damit. Am liebsten hätte ich meinen Kopf gegen die Wand geschlagen, um alles zu vertreiben. Hab es auch probiert -. es funktioniert nicht. Nachts oder am Tag – egal, es war immer da, immer in meinem Kopf, immer in meinen Gedanken. Seit 6 Wochen weiß ich es wieder und lebe damit und muss schweigen und halte es nicht mehr aus, zu schweigen. Egal, was jetzt passiert, ich lasse es Herrn Dr. S. lesen. Ich werde ja sehen, wie der dann auf mich reagiert – umbringen kann ich mich dann immer noch, wenn er sich vor mir ekeln sollte und mich verachtet.

Ich habe Angst davor, dass das passiert. bin ich doch auf seine Hilfe angewiesen. Nun habe ich es geschafft, solange zu warten, bis ich ins Zimmer hereingebeten werde. Ich wollte doch nur das Buch abgeben, aber ich sollte mich setzen. Ich sagte, dass ich nicht dabei sein will, wenn er das da liest. Ich will nicht sehen, wie er darauf reagiert, wie er dann von mir denkt. Ich wollte nur das Buch abgeben und schnell weg.

Doch Herr. Dr. S. bat mich Platz nehmen und sagte, er hätte jetzt Zeit und würde es sofort in meinem Beisein lesen. Das war es ja gerade, was ich nicht wollte. Ich wünschte mir, ich könnte mich in Luft auflösen, aber das ging ja nicht und so saß ich ihm gegenüber im Stuhl und wagte kaum zu atmen. Ich beobachtete einfach nur sein Gesicht als er las, was ich da geschrieben habe.

Ich konnte sehen, wie er ein paar Mal mit dem Kopf zurückzuckte und an manchen stellen mit dem Kopf schüttelte. Ich schämte mich und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Nur funktioniert das nicht so, wie man sich das wünscht. Ich schämte mich so für das, was da stand und dafür, dass ich ihn damit belastet habe. Zugleich war mir aber auch klar, ich kann es nicht mehr aushalten, wenn es nur in meinem Kopf ist. Es wird mir nicht besser gehen, wenn ich mich nicht anvertrauen kann, es verschweige, eher mache ich dann wirklich Schluss mit mir, weil ich es nicht mehr aushalten kann. Ich habe ja nur noch diesen Gedanken im Kopf und er wird immer stärker, wenn ich nichts tue.

Wir haben dann kurz darüber gesprochen, soweit man eben darüber sprechen kann und Herr Dr. S. sagte mir auch, dass er jetzt verstehen könne, wieso diese Störung in den Einzelgesprächen eingetreten ist. Er sagte, er hätte wohl bemerkt, dass ich irgendwo hängen geblieben bin und sich in letzter Zeit nichts bewegt hat.

Als ich wieder hoch in mein Zimmer bin, war ich erleichtert, endlich nicht mehr allein damit dazustehen, keine Angst mehr haben zu müssen, deswegen durchzudrehen. Und vor allem habe ich gesehen, dass er nicht von mir angewidert ist, weil das passiert ist. Ich weiß noch nicht, wie es sein wird, ihm morgen unter die Augen zu treten, ob ich mich nicht zu sehr schäme, aber heute geht es mir erst einmal etwas besser. Ich habe nicht mehr das Gefühl, mich vor Scham und Ekel und Schande umbringen zu müssen.

Als es das erste Mal so passierte, dachte ich es sind wie immer nur Opa und sein Freund da, aber es war komisch, es standen noch so viele Autos auf dem Hof und die Hunde liefen auch frei herum, also durfte niemand auf das Grundstück, sie würden ihn beißen.

Ich habe niemand gesehen als sie mich ins Haus brachten. Ich wurde in einem Zimmer ganz nackt ausgezogen, meine Sachen mussten ja so bleiben, damit man nichts daran sehen konnte, was passiert ist, da hat Opa immer aufgepasst. Ich bekam meine Sachen weggenommen und stand ganz nackt da, In dem Raum waren eine Sofaliege, ein kleiner Tisch und ein Sessel.

Es war nicht sehr warm und mir wurde langsam kalt und ich hatte Angst. Was wird jetzt passieren? Ich spürte nur, es wird anders, anders als sonst und ich bekam schreckliche Angst. Zuerst kam dann Opas Freund in das Zimmer. Ich konnte ihn nie leiden. Er war so gemein und er stank immer nach Schweiß und nach Schnaps. Er war gemein, richtig gemein, er tat mir gerne weh und lachte, wenn ich weinte. Es machte ihm richtig Spaß und, wenn ich versuchte, nicht zu weinen, nicht zu zeigen, wie weh er mir tat, dann wurde er noch gemeiner, solange, bis er es schaffte, dass ich heulte und dann erst war er zufrieden. Er war ein richtiger gemeiner Teufel, ein stinkender Teufel.

Er kam also ohne Opa ins Zimmer und, wenn Opa nicht dabei war, dann war er immer besonders fies und grob, drehte mir die Arme nach hinten, drückte mich über den kleinen Tisch und drang von hinten in mich ein. Ich wusste, ich darf nicht schreien, er hätte mich zusammengetreten, einfach so. Das hat er schon oft getan. Ich bis meine Zähne zusammen, bis er damit fertig war. Er war aber noch nicht ganz fertig. Ich bekam das Sch... Ding auch noch in den Mund und musste es aushalten. Dann sagte er, er würde mich jetzt für draußen fein machen und beschmierte mich von oben bis unten mit dem Zeug.

Er sagte, das haben die gern. Ich wusste nicht, wer das gern haben sollte, ich jedenfalls nicht. Ich fühlte mich dreckig, eklig und habe gefroren und Angst davor gehabt, was nun noch passiert. Ich wünschte mir, Opa käme rein und würde mich wieder mitnehmen, aber er kam nicht. Ich fürchtete mich immer mehr, wusste ich doch nicht, was auf mich zu kommt Es kam schlimmer, als ich es mir je vorstellen konnte und was kann man sich schon mit 11 oder 12 Jahren vorstellen an solchen Dingen – eigentlich gar nichts.

Nun zu dem, was ich hier erzählen wollte. Ich stand also zitternd und voll mit dem seinen Dreck beschmiert in diesem Zimmer und hatte Angst und er freute sich, das konnte ich wohl sehen und das war für mich ein Grund, mich noch mehr zu fürchten.

So nackt, wie ich war, bekam ich einen Strick, so wie eine Hundeleine um den Hals gebunden und er zog zum Spaß ein paar Mal daran. Warum einen Strick um den Hals? Ich hatte große Angst und dachte, jetzt ist es soweit, jetzt bringen sie mich um.

Keiner war da, der mir helfen konnte, ich hoffte Opa käme und hätte etwas dagegen. Aber als er kam, lächelte er nur und meinte, es wird lustig werden. Ich glaubte nicht, dass es lustig werden wird und hatte riesige Angst. Dann wurde ich so nackt, beschmiert und mit dem Strick um den Hals nach draußen gezerrt.

Ich habe mich kaum getraut aufzusehen, weil ich mich so geschämt habe, aber als ich dann versuchte festzustellen, wo ich bin, konnte ich einen großen Saal erkennen, so wie ein Zuschauerraum mit vielen Stühlen und kleinen Tischen. Ich stand vorne auf einer kleinen Erhöhung, so etwas wie eine Bühne. Es war völlig ruhig im Raum und obwohl ich, weil mich das Licht geblendet hat, wenig sehen konnte, konnte ich doch sehen, dass da lauter Leute saßen, sogar einige Frauen waren da. Weil ich zu lange nach den Leuten gesehen habe, wurde ich auf den Boden runter gedrückt mit dem Strick um den Hals. Ich habe mich so geschämt vor den vielen Leuten so dreckig und ganz nackt zu sein, es war so peinlich. Keinen hat das aber gestört, sie fingen an, sich leise zu unterhalten, als wäre ich gar nicht da für sie, doch sie beobachteten jede meiner Bewegungen. Ich versuchte von der Bühne weg zu kriechen, kam aber nicht weit, dann wurde ich an dem Strick um den Hals zurück gerissen, also gab ich es auf und blieb ganz ruhig liegen und versuchte mich so klein wie möglich zu machen und dahin zu sehen, wo niemand zu sehen war.

Ich begreife nicht, wie so viele Männer und Frauen da sitzen können und keiner denkt, das ist nicht richtig, dass dürfen die nicht tun. Ich begreife das nicht. Man denkt doch immer, es gibt jemand, der dir hilft, wenn etwas passiert, was nicht richtig ist. Und das hier war gar nicht richtig.

Aber es interessierte keinen, ob es richtig ist, sie wollten etwas sehen und sahen zu, als säßen sie im Kino. Die haben da gesessen und gestiert und gesoffen. Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass mir doch noch jemand helfen wird, aber keiner ist aufgestanden und hat etwas dagegen getan. Stattdessen haben sie mir zugeblinzelt, gelacht und sich amüsiert. Ich habe mir gewünscht, zu verschwinden, tot umzufallen – aber meine Wünsche gingen nicht in Erfüllung. Ich bekam immer mehr Angst, weil jetzt alle ruhig wurden und warteten. Auf was, wusste ich nicht. Dann ging die Tür auf und Opas Freund brachte die beiden großen schwarzen Hunde herein. Er kam mit einem von den Viechern zu mir und ich konnte nicht weg, ich war festgebunden. Ich hatte riesige Angst und wusste nicht, was jetzt passieren soll, sollen die mich jetzt tot beißen? Nein, das sollten sie nicht. Ich merkte jetzt, was passieren soll, weil die Leute die Hunde anfeuerten und einer wurde auch losgelassen und kam auf mich zu und die Leute tobten vor Begeisterung und sagten, was der Hund tun soll. Er schnupperte eine Weile an mir herum mir wäre lieber gewesen, er hätte mich tot gebissen. Aber er tat etwas ganz anderes. Nun, es ist doch nicht so einfach, das jetzt hier aufzuschreiben. Ich habe Schwierigkeiten, weiter zu schreiben. Ich habe mir vorgenommen, es zu schreiben, es alle lesen zu lassen auch, wenn ich mich noch so sehr schäme, dass mir das passiert ist und viele sich vor mir ekeln würden, wenn sie wüssten, die ist das also, die da drüben auf der Straße einkaufen geht.

Ja, man sieht es leider keinem an, der so etwas tut oder dem so etwas passiert. Es waren ganz normale Leute, wie man sie überall trifft und auch mit ihnen redet und lacht. Vielleicht haben sie sogar Familien und kleine Kinder und jetzt sitzen sie hier, sind voll konzentriert auf das, was da passiert und ich weiß nun genau, da ist keiner, der mir helfen wird.

Gib die Hoffnung niemals auf

Ich hatte furchtbare Angst und nun ahnte ich, was die sehen wollen und was mir passieren wird. Ich wusste nicht, dass man vor so einem Haufen Menschen so weh getan bekommen kann, wie es nun passieren wird. Er zerrt mich an dem Strick am Hals in die Mitte der Bühne oder freie Fläche des Raumes. Alle haben geguckt und alle haben gesehen, wie ich mich geschämt habe und das ich nackt, dreckig und mit einem, Strick um den Hals dastand und zitterte vor Angst. Die haben da gesessen und gestiert und gesoffen, Ich habe so gehofft, wenigstens Einer wird mir helfen. Keiner hat mir geholfen. Ich konnte nicht aufstehen und ausreißen und schreien, das wurde mir abgewöhnt. Die Zähne habe ich zusammengebissen und die Tränen liefen mir und ich habe immer mit den Augen gesucht, ob da nicht doch jemand ist, der mir hilft. Im Film, da kommt meist im richtigen Augenblick jemand und greift ein, bevor etwas Schlimmes passiert. Das war leider kein Film – es war nur die grauenvolle Realität. Ich lag da und war ausgeliefert. Kann nichts dagegen tun, was nun passieren wird. Ich habe mir gewünscht, zu verschwinden, tot umzufallen – aber meine Wünsche gingen nicht in Erfüllung.

Ich hatte Angst. Alle waren ruhig und gespannt auf das, was nun kommt. Die Leute waren so gespannt und begeistert und nun brauchte ich nicht mehr zu suchen, ob ich jemanden finde, der mich ansieht und mir helfen wird. Nein, sie waren viel zu begeistert und neugierig auf die jetzt folgende Vorstellung. Ich dachte nur noch, dass es keine Wunder gibt. Und dann sah ich, wie der erste Hund losgelassen wurde und zu mir gelaufen kam. Ich konnte nicht weg, meine Füße waren inzwischen auch gefesselt und am Strick, den ich am Hals hatte, wurde ich festgehalten, damit ich nicht weg kriechen kann.

Der erste große Hund stürzt sich auf mich, krallt sich mit seinen Pfoten auf meinem Rücken fest und tut es wie bei einer Hündin. Es tut weh, die Pfoten, die sich an meinem Rücken festkrallen und das Ding, das viel länger ist, als bei einem Mann und viel spitzer. Es tut weh und ich heule vor Schmerzen und vor Scham und dann gehe ich weg, gehe aus mir raus, weil es zu schlimm ist und weil ich es nicht mehr aushalten kann. Ich sehe es von oben. Sehe, wie begeistert die Leute sind und wie sie den Hund anfeuern und johlen. Der Hund ist jetzt fertig, kann aber nicht weg sein Penis ist noch so angeschwollen, dass er nicht zurückziehen kann und nun eine Weile fest hängt, bis der Schwellkörper zurückgegangen ist. Es ist peinlich und es ist eklig, ich sehe es von oben und kann auch die Leute sehen, die ganz begeistert sind von dem, was sie zu sehen bekommen. Ich spüre jetzt nichts mehr, bin wie taub und sehe nur diesem Irrwahn da unten zu. Ich sehe nur zu und höre das Johlen der Männer und das begeisterte Kreischen der Frauen. Sehe den ekligen Haufen (mich und diesen großen Hund) am Boden liegen. Es sind 4 Frauen, ich kann sie jetzt gut sehen und es tut ihnen nicht leid – sie finden es klasse, sie lachen. Der Hund rutscht von mir runter und ist frei, ich nicht. Dann bringen sie den „braven“ Hund raus und ich denke, es ist jetzt vorbei und auch ich kann weg. Aber so ist es nicht, alle schreien nach dem zweiten Hund. Ich wünschte mir, ich wäre auf der Stelle tot und müsste nicht alles noch einmal erleben. Mein Rücken ist doch schon so zerkratzt und brennt und unten tut mit auch alles schrecklich weh. Aber die Leute wollen noch nicht, dass es zu Ende ist und mich fragt keiner. Der zweite Hund wird hereingebracht. Ich liege am Boden und kann mich kaum bewegen vor Schmerzen, doch Opas Freund zieht mich an dem Strick am Hals von Boden hoch, so dass ich auf den Knien zum hocken kommen muss und bringt mich dann wieder in die vom Hund benötigte Stellung.

„Hilft mir denn keiner?“

Ich kann gar nichts dagegen tun. Weinen kann ich, weinen tu ich, doch das stört keinen. Schreien darf ich nicht, dass weiß ich, da bekomme ich Schläge und mein Rücken tut mir so genug weh. Ich versuche nicht zu schreien, als der zweite Hund seine Pfoten auf meinem Rücken einkrallt und in mich einzudringen versucht und es dann auch schafft. Ich schreie doch – ich höre mich schreien – vor Schmerz. Ich höre die Leute schreien – vor Begeisterung. Ich will wegkriechen, kann nicht, bin festgebunden. Ich versuche mich so zu drehen, dass ich diese verfluchten Leute nicht mehr sehen muss und sie nicht mein Gesicht sehen können.

Keiner ist da, der das nicht richtig findet.

Keiner ist da, der mir hilft!

Es ist vorbei, der zweite Hund ist fertig und ich liege allein vorne im Dreck, nackt, beschmiert und mein Rücken brennt von den Pfoten. Ich denke, jetzt, jetzt endlich ist es vorbei und sie werden mich in Ruhe lassen. Ich kann mich nicht bewegen. Ich kann nicht aufstehen, will einfach nur zusammengerollt liegen bleiben und sterben. Aber sie lassen mich nicht in Ruhe, ich habe ja den Strick am Hals und an dem werde ich raus gezogen aus dem Saal und im Flur hebt mich jemand hoch, ich kann nicht sehen und will auch nicht sehen, wer es ist. Auch der wird mir nicht helfen, er hat eher Angst, sich an mir zu beschmutzen. Er trägt mich in einen Raum mit einer Badewanne und legt mich da rein. Es ist Wasser drin. Mit Seife werde ich dann von einer Frau gewaschen, mir tut alles weh und ich weine. Sie ist nicht freundlich, sie tut mir eher weh.

Ich dachte in der Wanne, gleich kann ich mich anziehen und Opa bringt mich heim und ich kann in mein Bett. Es ist nicht vorbei, viele Männer kommen noch, einer nach dem Anderen und ich spüre nichts mehr. Nicht mehr, wenn ich zwischendurch wieder in diese Wanne gehoben werde, damit ich sauber bin für den Nächsten. Ich spüre nichts mehr und mir ist alles egal, Hauptsache ist doch, ich lebe noch (für mich wäre es besser tot zu sein, ich habe es mir so sehr gewünscht). Ich weiß nicht, wie viele. Ich konnte danach nicht mehr laufen, nur noch kriechen.

Ich habe mir so gewünscht, jetzt in den Tod kriechen zu können, einfach so immer weiter, bis ich da bin und meine Ruhe habe. Als ich heimkam am Sonntagabend sagte ich Mutti, es war ein schönes Wochenende und schleppte mich in mein Bett. Beim Ausziehen achte ich darauf, dass keiner mich nackt sieht und etwas merken könnte. Meine Brüder sind wieder einmal sauer mit mir, weil Opa nur seine „Vorziehpuppe“ nämlich nur mich mitgenommen hat. Wie froh wäre ich gewesen, wenn ich nicht mit Opa mitgemusst hätte, aber ich darf doch nicht sagen „Ich will nicht“, dann reden meine Brüder eben nicht mit mir, ich bin sowieso ganz kaputt und müde und will meine Ruhe haben. Soll mir doch egal sein, ob sie mit mir reden oder nicht. Nein, ist es nicht, es tut mir weh. Ich bin doch so allein und keiner ist da, der mir glauben würde, dem ich das erzählen könnte, der mir glauben wird, der mir helfen wird.

Weil ich mich kaum rühren kann und mir auch alles weh tut, muss ich im Bett bleiben und Mutti schreibt für die Schule eine Entschuldigung dass ich nicht kommen kann, weil ich die Grippe hätte. Ich bin froh, dass ich im Bett bleiben kann, habe keinen Hunger, will nichts essen, will lieber sterben.

Jetzt, wo ich hier sitze und das aufschreibe, ist es lange her – doch es ist so, als würde es gerade wieder passieren – immer wieder.

Ich kann nicht genau sagen, wie alt ich da bin 9 oder 10 oder 11 oder 12 Jahre alt. Dieses, was ich eben beschrieben habe passierte einige Male und ich schäme mich jedes Mal sehr, wenn ich dran denke. Ich wünschte mir, es wäre nie passiert. Doch es ist passiert und ich muss damit klarkommen. Ich weiß nicht wie? Einige Male habe ich mich schon schlimm verletzt, um den Schmerz zu betäuben. Das, was ich damals erlebt habe, ist wie Gift und gerade jetzt beim Schreiben, heule ich wieder, obwohl ich schon so oft in den letzten Tagen daran gedacht habe und mich damit konfrontiert habe, damit es mich nicht immer wieder so erwischen und umhauen kann. Aber ich schaffe es noch nicht, den richtigen Abstand zu halten dazu. Werde ich es je schaffen?

Ich schäme mich so sehr und ich wünsche mir nur eines so sehr, dass dies nie passiert wäre. Doch es ist passiert und ich muss jetzt damit klarkommen, damit leben. Ich weiß nicht wie? Manchmal möchte ich den Kopf gegen die Wand schlagen, dass ich keinen Gedanken mehr spüren kann. Ich habe es auch schon versucht, nur außer Kopfschmerzen habe ich nichts erreicht. Tabletten (Tavor) hilft eine Zeitlang und dann ist es wieder da. Ich muss so lernen, damit zurecht zu kommen.

Wie? Weiß ich nicht. Manchmal möchte ich um mich treten – traue mich aber nicht. Es tut so weh. Das Schlimmste, ich habe so vielen in die Augen gesehen, wie die Gesichter aussahen weiß ich nicht, ich habe ihnen nur in die Augen gesehen und gebettelt, sie sollen mir helfen. Reden konnte ich nicht, durfte ich nicht. Ich habe mit den Augen um Hilfe gebettelt und einen nach dem Anderen angesehen und gehofft, einen zu finden der mir hilft.

Hat keiner verstanden, was ich wollte? Oder wollte keiner verstehen, was ich wollte? Nach einer Weile habe ich ja meinen Körper nicht mehr gespürt, es tat nichts mehr weh und es tat doch so schrecklich weh. Ich war so allein, so schmutzig und jeder hat mit mir gemacht, was er wollte. Opa war da, hat mir nicht geholfen.

Ich denke oft daran, wie Opa und sein Freund mir die Pistole in den Mund gesteckt haben und abdrückten. Hätten sie es doch nur einmal richtig getan, dann müsste ich nicht heute hier leben und hier liegen, mich quälen lassen, schämen und ekeln. Ich weiß noch, wie lieb ich meinen Opa immer hatte. Er war mein liebster Opa. Oma hat immer nur gemeckert, ich wäre fett und faul und wie meine Mutter. Mutti meckerte nur, egal, wie viel Mühe ich mir gab, alles schön zu machen, damit sie sich freut, aber für sie war ich auch nur immer die kleine Dicke oder die faule Trine.

Der Einzige der nie mit mir gemeckert hat, war Opa und er hat mich lieb gehabt, bis er dann nicht mehr immer lieb war. Jetzt, wo ich das alles verraten und aufgeschrieben habe, habe ich wieder Angst, er kommt und bringt mich um. Ich weiß ja, dass er längst tot ist, aber die Angst vor ihm ist noch nicht tot.

Herr Dr. S. hat heute gesagt Opa ist tot. Opa hat aber gesagt, wenn er es nicht tut, dann muss ich es selbst tun. Ich will mich nicht umbringen, doch wenn es mir so richtig schlecht geht, dann traue ich mir selbst nicht, dass ich etwas tue, was ich eigentlich nicht will. Ich will mich nicht umbringen, ich will nicht machen, was Opa mir gesagt hat. Ich habe immer noch diese schreckliche Angst vor ihm und wie idiotisch, manchmal und das nicht selten, ist er noch mein lieber Opa und ich habe Angst, weil ich etwas verraten habe und auch von seinem Freund. Opa seinen Freund hasse ich, aber ich habe auch unendliche Angst vor ihm.

Opa habe ich immer noch lieb (jeder wird jetzt sagen; ist die vielleicht doof!) Aber es ist so, ich habe auch immer und immer wieder gehofft, dass er mir doch noch hilft, wenn es ganz schlimm war. Ich sitze hier im Krankenhaus im Bett und es ist l.00 Uhr durch und ich schreibe. Ich möchte so gerne nach Hause, möchte, dass es mir gut geht, aber mein Kopf ist so schlimm. Ich will Computer lernen und dieses Buch schreiben und dann denke ich ganz plötzlich nur noch ans Sterben, ans Wegsein, daran, mich umzubringen.

Ja, ich habe versprochen, es nicht zu tun. Ich will es auch nicht, ich habe doch meinen Mann, meine Tiere und mir kann es doch gut gehen. Nur mir geht es mit all dem Schlimmen, das ich erlebt habe, nicht gut!

Oftmals habe ich Angst, ob ich mir selber trauen kann, ob ich mich auf mich verlassen kann und mich nicht in einer Kurzschlussreaktion, wenn ich denke, jetzt drehe ich durch, einfach umbringe. Ich habe so oft das Gefühl, jetzt werde ich gleich verrückt, jetzt knallt es gleich in meinem Kopf und ich bin verrückt und eines weiß ich, ehe ich verrückt werde, dann werde ich mich umbringen. Ich will nicht als Irre durch die Gegend laufen.

Es ist so oft so, dass ich einfach nicht mehr klar denken kann, mich nicht mehr halten kann und einfach nur noch abrutsche und denke, es wird nie wieder anders und ich will nicht mehr leben.

Das, was ich hier beschrieben habe ist das Schlimmste für mich (dachte ich damals). Nicht nur, weil es mir so passiert ist, sondern weil ich erlebt habe, wie viele Menschen einfach nur zusehen und sogar noch Genuss daran finden können, wenn anderen weh getan wird.

Ich wünschte mir, alle die mich da vorne liegen sahen und denen ich um Hilfe bittend in die Augen gesehen habe, ständen Einer nach dem Anderen jetzt vor mir. Ich würde sie anspucken und ins Gesicht schlagen. Ich wünschte mir, ich könnte dies tun. Ich würde es können!

Heute habe ich den ganzen Tag den Kloß im Hals, so dass ich kaum reden konnte. Ich habe mich so geschämt und furchtbar schlecht war mir auch. Es fing an, dass wieder meine Arme und Beine, der Nacken und alles steif wurden. Ich bekam Angst, aber ich weiß auch, dass es nichts Schlimmes ist und wieder weggeht. Ich muss diese Angst nicht haben. Das Andere war schlimm.

Ich habe heute auch 2 Bilder gemalt:               

17.10.2002

Ich kann nicht mehr.

Helft mir – keiner hat geholfen.

Ich kann nicht mehr: ich liege da vorne, nackt, dreckig, kaputt und hoffe, es ist vorbei, es war da noch nicht vorbei.

Von dieser Situation komme ich nicht weg, ich hänge da so drin und kämpfe, um da raus zu kommen. Ich schaffe es nicht und ich wage es nicht, meinem Arzt davon zu berichten, ich schäme mich zu sehr und ich möchte nicht noch jemand anderen damit belasten.