16.12.2002

Morgen gehe ich nach Hause. Ich freue mich sehr darauf. Jetzt, nach dem Mittagessen liege ich auf dem Bett und bin vollkommen aufgedreht, es ist die Freude, dass ich es überstanden habe.

Ich weiß genau, es ist alles dagewesen, es ist nichts mehr in mir drinnen. Ich werde es kennen, wenn es mich erwischt, werde dagegen kämpfen können und damit umgehen können. Wieso ich das weiß? Ganz einfach, ich habe nie gemalt, aber als es mir so schlecht ging, da musste ich malen. Wenn ich meine Bilder sehe, dann sind es teilweise Bilder, die ein kleines Mädchen gemalt haben könnte und teilweise sind es sehr schlimme Bilder. Ich könnte keines noch einmal malen, es ging nur zu dieser Zeit, als es mir so schlecht ging und jedes Bild nur zu seiner Zeit. Auch die Verse, meist habe ich direkt zum Bild etwas geschrieben, um zu beschreiben, was in mir vorgeht, was ich fühle und denke. 20 Minuten später hätte ich das nicht mehr geschrieben, es kam aus mir heraus, genauso, wie die Bilder aus mir herauskamen. Wenn ich mich hingesetzt habe an den Tisch, dann war es, weil es mir so schlecht ging und ich etwas loswerden wollte. Nicht alles ging mit Reden loszuwerden. Mit Malen kam ich wieder zur Ruhe und es war befreiend für mich.

Jetzt kann ich mich an den Tisch setzen, die Kreide in die Hand nehmen und versuchen zu malen, es geht nicht, es ist vorbei. Ich bin froh darüber. Die Bilder waren wichtig für mich.

Sie waren ein Teil der Verarbeitung, ich habe sie immer, wenn ich ein Bild fertig hatte mit Klebestreifen im Zimmer an den Schrank geklebt und so konnte ich sie immer sehen vom Bett aus und auch so den ganzen Tag. Sie waren wichtig. Ich habe sie zu unterschiedlichen Zeiten abgenommen, je nachdem, wie lange ich es gebraucht habe, um damit klarzukommen. Manche waren mir so schlimm, dass ich sie sofort wieder abgenommen und mit ins Einzel genommen habe und manchmal auch dort gelassen habe.

Mein erstes Bild ist vor 2 Jahren, es war in der ersten Ergotherapie entstanden. Ich dachte, ich versuche es einmal mit Malen, nachdem ich immer in der Tongruppe war und dort zuletzt eine Skulptur und eine „Kniende“ geformt hatte. Die „Kniende“ habe ich dann immer so herum hingestellt, dass ich nur den Rücken gesehen habe, von vorn konnte ich sie nicht ertragen. Sie hatte keine Hände und „das Andere“ habe ich auch weggelassen. Ich konnte sie nicht ertragen. Die Skulptur tat mir genauso weh. Ich wollte also nicht mehr in Ton gehen und entschied mich für das Malen.

Das erste Mal, ich stand am Tisch, hatte mir Papier auf eine Sperrholzplatte aufgezogen und habe angefangen zu malen. Am Tisch standen noch andere Patientinnen und Patienten. Ich habe also gemalt und dann sah ich auf einmal, was ich gemalt habe und war erschrocken. Ich habe mich schnell umgesehen, ob jemand mein Bild gesehen hat und habe mich geschämt und nur noch gedacht: „Nein, jetzt weiß jeder, was mit dir los ist.“ Schnell habe ich es rumgedreht und wollte nur noch weg. Ich habe das Bild nicht mitgenommen, nicht mehr sehen wollen. Konnte es nicht ertragen. Ein paar Tage später im Einzel, wieso weiß ich nicht, kam ich auf das Bild zu sprechen oder wurde ich darauf angesprochen. Ich weiß es nicht mehr genau. Herr Dr. S. fragte mich, ob ich dieses Bild holen würde und ihm zeigen könnte.

Na ja, was sollte ich sagen. Ich wollte das Bild ja eigentlich nicht mehr sehen, habe es aber nicht geschafft, zu sagen, dass ich das nicht möchte. Ich habe es geholt und nach einer Weile hat es Herr Dr. S. dann in seinen Schrank gestellt, weil ich es nicht mehr ertragen konnte. Jetzt denke ich, dass das Bild die letzten 2 Jahre sehr wichtig war. Ich glaube zwei- oder sogar dreimal hat Herr Dr. S. dieses Bild, nachdem er mich gefragt hat, ob ich damit einverstanden sei, aus dem Schrank geholt und ich habe es angesehen. Ich war wirklich damit einverstanden und nicht nur brav, aber ich hatte Angst vor dem Bild, weil ich wusste, wie ich mich in Ergo gefühlt habe.

Ich konnte es nicht sehen, ich fing an zu weinen und wurde so klein und alles war da. Die Augen konnte ich nicht ertragen, ich habe nur meine Augen gesehen und dann gesagt, dass es so schlimm ist, sie zu sehen, obwohl es doch nur zwei schwarze Punkte sind. Ich konnte das Bild nicht aushalten. Jetzt steht es in meinem Zimmer, seit Freitag und ich kann es aushalten.

Ich sehe es mir bewusst an und kann es ertragen. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um mein erstes Bild ertragen zu können.

Auch daran erkenne ich, dass ich es geschafft habe. Es war nicht nur einmal, dass ich darauf angesprochen wurde, ob es denn gut sei, wenn ich meine Bilder den ganzen Tag am Schrank vor meinen Augen habe. Das erste Male sprach mich Herr Dr. S. deswegen an und ich war so betroffen deswegen. Ich dachte: „Jetzt habe ich es endlich geschafft, dass ich mich nicht mehr verstecken muss und nun soll ich mich doch wieder verstecken.“ Ich habe nichts dazu gesagt. Ich habe alle Bilder abgenommen und eine Sonne gemalt und einen Kinderreigen aus bunten Strichmännchen und diese zwei Bilder an den Schrank geklebt.

Innerlich habe ich inzwischen gekocht (es war Wut, doch ich wusste es nicht, jetzt weiß ich, dass es Wut war, weil ich dachte, ich soll mich wieder verstecken).

Kurze Zeit später kam Herr Dr. S. in mein Zimmer und hat die Sonne und den Kinderreigen gesehen – nichts gesagt und gelächelt. Ich wusste, er hat mich verstanden und er musste auch lachen.

Ich war froh, dass er mich verstanden hat, ohne dass ich etwas erklären musste. Ich hätte es zu diesem Zeitpunkt noch nicht tun können. Später sprachen mich dann noch Schwester M. und Schwester H. deswegen an und ich konnte sagen: „Nein, ich hänge sie nicht ab. Es ist für mich wichtig, dass sie da hängen und jedes Bild braucht seine Zeit, bis ich es wegräumen kann.

Ich konnte es erklären, konnte sagen, was ich will! Jetzt hängt kein Bild mehr am Schrank, schon eine ganze Zeit nicht mehr. Jedes Bild hatte seine Zeit – des wegen weiß ich, ich habe es geschafft. Ein Problem habe ich allerdings noch – ich bin ja froh, dass ich es habe! Aber es ist schon auch ein großes Problem.

Wohin mit meiner Wut?

Ich habe geschrieben, ich liege auf dem Bett und bin völlig aufgedreht und dass ich mich freue, dass ich morgen heimgehen kann. Es ist nicht nur Freude, ich habe auch eine richtige starke Wut in mir und wenn ich den Schrank vor meinen Augen sehe, den ich immer im Rücken hatte, wenn es mir schlecht, sauschlecht ging, denn dann stand ich immer mit dem Rücken am Schrank. Jetzt könnte ich meine Schuhe dagegen schmeißen, könnte dagegen treten. Aber das tut man nicht. Ich tu es auch nicht. Aber ich habe Wut und die, wegen denen ich diese Wut habe, die sind nicht mehr da.

Wohin soll ich mit meiner Wut?

Ich wollte diese Wut immer haben, habe gedacht, ich bin nicht normal, weil ich keine Wut habe und nun muss ich lernen, mit der Wut zu leben. Es ist gut Wut zu haben und sich normal zu fühlen. Die Wut ist ein neues riesiges Gefühl für mich, wegen dem ich die letzten 10 Jahre gedacht habe, ich bin nicht normal.

Ja, auch damit muss ich erst leben lernen. Es wäre so gut, wenn ich jetzt noch jemand dafür verurteilen könnte, doch das ist nicht möglich (Verjährung, keine Beweise, manche habe ich nicht einmal gesehen, weil mir die Augen verbunden waren und weil es so lange einfach weg war, in mir vergraben).

Ja, wohin mit der Wut?

In dieses Buch, damit es alle lesen können und es weniger passiert!

Die Kindheit war verschwunden, als ich sie in meiner Therapie wieder gefunden habe, dachte ich, ich kann es nicht aushalten, muss mich umbringen, dabei war es vorbei.

Man muss sich nicht umbringen, wenn man es in der Kindheit überlebt hat.

Aber das zweite Mal Erleben ist schlimmer, doch es ist zu schaffen – mit der richtigen Hilfe! Die richtige Hilfe hatte ich – danke!

Hier sind Gedichte von mir, die ich in meiner Not geschrieben habe:

Mein Gefühl im Kopf

Mein Gefühl im Kopf.

Keine Gedanken, nur Dreck und Schmerz,

Schwärze und Blitze.

Es ist nicht auszuhalten!

Ich habe Angst, ich werde verrückt.

Keine Gedanken, nichts Fassbares.

Einfach nur dieser schreckliche dumpfe. wattige Kopf.

Ich halte es nicht mehr aus –

Es soll endlich aufhören!

30.01.2002 Tina

 

Innen und Außen

Das ist mein Gefühl – innen.

Außen, das ist die Maske, die Rolle,

das was alle zu sehen bekommen.

Es ist heute so wie damals.

Ich bin so, wie auf dem Bild – 12 Jahre!

Damals habe ich meine Mutti verloren.

Die Hoffnung verloren, die Rolle gespielt, die zu spielen war – bis heute.

Es muss mir keiner glauben.

Es hört sich ja auch idiotisch an – ich weiß, aber innen bin ich noch 12 Jahre und muss leben wie eine Erwachsene, eine 50zig-jährige.

Das ist so.

Es muss mir keiner glauben, aber es ist so!

30.01.2002 Tina

 

Am 23.10.2002 ist mein größter Wunsch in Erfüllung gegangen – ich habe meine Wut gefunden.

Immer habe ich gesagt: „Ich will doch nur normal sein!“

Ich will doch nur so sein, wie die anderen, die anderen, denen es auch passiert ist. Mein Leben lang habe ich keine Wut gehabt. Ich hatte Wut, wenn etwas Ungerechtes geschah, nicht mir, da war ich immer nur enttäuscht und traurig und es tat weh. Wenn jemand Anderem etwas Ungerechtes geschah, da konnte ich wütend sein. Ich hatte Wut, wenn ich ständig las, das wieder ein Täter als psychisch krank erklärt wurde und in die Psychiatrie kam, statt in den Knast, wo er hingehört.

Wer fragt danach, wie lange die Opfer psychiatrische Hilfe brauchen. Die Opfer haben lebenslänglich, doch die Täter kommen mit ein paar Jahren Knast davon und können sich dann wieder ein Opfer suchen.

Es ist in der letzten Zeit nur noch so zu lesen gewesen. Ich hatte Wut, wenn wieder ein Kind dran glauben musste. Dieses Leben ist ausgelöscht und der Täter bekommt nur ein paar Jahre Haftstrafe für ein Menschenleben, dass er bewusst gequält und zerstört, ja sogar ganz vernichtet hat. Ist das gerecht?

Es ist verdammt noch einmal nicht gerecht. Wie viele Mädchen sind in den letzten Jahren umgebracht wurden und die, die es überlebt haben sind wirklich Überlebende.

Wie oft habe ich gedacht, ich wäre lieber tot, wie diese kleinen Mädchen. Die, die überlebt haben, sie werden nie wieder so sein, wie sie waren. Das ganze Leben ist verändert, nichts stimmt mehr.

Es gibt keine Sicherheit mehr, kein Vertrauen mehr. Es ist immer da, man fühlt sich schlecht und weiß nicht, wieso. Alles ist leer und taub, die meiste Zeit fühlt man sich, als wäre man lebendig tot und das normale Leben rauscht an dir vorbei und du verstehst nicht, wieso können die lachen, wieso können die lustig sein. Es ist nicht so, dass du es nicht auch sein willst. Du bist es einfach nicht und weil es dumm aussieht, dann tust du eben so, als seiest du auch lustig. Es ist verdammt anstrengend, so zu leben und irgendwann bist du so kaputt davon, dass du dieses Leben nicht mehr führen kannst oder nicht mehr führen willst.

Die Nacht von 22.10. zum 23.10.2002, war am Anfang so wie viele der vorhergehenden Nächte. Ich war müde, wollte schlafen und konnte und konnte wieder einmal nicht einschlafen. Es war aber doch keine Nacht, wie die vorhergehenden, sie wurde ganz anders. Ich werde sie so schnell nicht vergessen und möchte sie auch gar nicht mehr vergessen, deswegen möchte ich auch darüber erzählen. Nachdem ich es geschafft hatte, nicht wegzulaufen und Herrn Dr. S. das Letzte, den letzten Flashback, lesen ließ, dachte ich, ich fände nun Ruhe, könnte endlich einmal schlafen. Ich war so müde. Seit Tagen schon habe ich überhaupt nicht geschlafen und hoffte nun endlich schlafen zu können.

Es war als hätte ich eine große Last nicht mehr allein zu tragen, als hätte ich einen Teil davon abgegeben. Schon so lange habe ich es im Kopf, laufe ständig damit herum und weiß nicht wohin damit, habe oft das Gefühl, ich drehe gleich durch, weil ich es nicht mehr aushalten kann, nicht reden zu können.

Ich konnte 6 Wochen nicht einmal darüber schreiben, habe es einfach nicht geschafft, es auf Papier zu bringen. Es war zu schlimm.

Als ich nun im Bett lag, dachte ich, gleich werde ich einschlafen. Ich schlief nicht ein.

Ich lag im Bett und die Gedanken rotierten in meinem Kopf. Stunde um Stunde verging. Kurz vor 24.00 Uhr bin ich dann aufgestanden und habe ein Bild gemalt. Es war fast dasselbe Bild, wie ich es schon einmal gemalt und dann von meiner Wand wieder abgenommen habe, weil ich es nicht ertragen konnte. Ich habe es mit zu Herrn Dr. S. runter zum Einzelgespräch genommen und dort gelassen, um es nicht mehr sehen zu müssen. Es ist das Bild vom letzten Flashback.

Ich hatte nicht vor, dieses Bild noch einmal zu malen, es war einfach wieder da auf dem Papier, dabei war ich doch froh, dass ich es nicht mehr sehen musste und nun lag es wieder vor mir. Gut, dachte ich, dann muss ich eben dadurch, bis ich es ertragen kann und habe es an die Wand gehangen. Mir ging es nicht gut, doch ich legte mich wieder ins Bett und betrachtete das Bild.

Mein Bild – mein Flashback – meine Erinnerung. Auf dem Bild liege ich am Boden und will weg kriechen. Immer wieder habe ich das Bild vor mir gesehen und dann im Kopf die Realität – ich will weg kriechen und kann nicht mehr, habe keine Kraft mehr dazu. Mir ging es immer schlechter, alles wurde immer stärker. Mein Kopf dröhnte und ich dachte, jetzt drehe ich nun doch durch. Ich wusste nicht wohin mit mir und mit meinem Kopf. Zum Nachtpfleger? Nein, geht nicht. Was soll ich dem denn sagen? Ich kann doch darüber nicht reden und schon gar nicht mit einem Mann, wenn doch nur Schwester Hedi da wäre, da könnte ich hingehen und reden.

Nein, ich stand allein in meinem Zimmer und dachte, jetzt drehe ich gleich durch, halte das alles nicht mehr aus. Das Bild an der Wand machte alles nur noch schlimmer und ich nahm es wieder ab und legte es in eine Schublade, damit ich es nicht mehr sehen konnte. In meinem Kopf war es aber noch da und nicht nur das Bild, sondern das ganze verfluchte „Damals.“ Meine Gedanken gingen durcheinander, mal dachte ich daran, mal dachte ich daran, aber es waren alles Erinnerungen von früher. Auch mein Teddy kam und ich setzte mich hin und musste schreiben, was damals geschah.

Das war der Abschied von meinem Teddy:

„Mein Teddybär“

23.10.2002 Tina (50 Jahre alt)

Er hatte mich lieb.

Er hat mir immer zugehört. 

Er hat mich getröstet, wenn ich traurig war.

Er war immer für mich da.

Er hat mir geglaubt.

Er hat mir nie wehgetan.

Er war nie ungerecht zu mir.

Er gab mir Wärme und Sicherheit, ließ mich nie allein.

Er starb für mich – wurde zerrissen vor meinen Augen.

Ich sollte wissen, was mir passiert, wenn ich nicht schweige.

Heimlich warf ich ihn in einer Tüte in die Mülltonne. Er war mein Teddybär – ich habe ihn geliebt, gebraucht.

Er war weg und ich musste schweigen, wo er ist.

In meinem Kopf war er da, ich wusste nur nicht, wo.

Konnte ihn nicht mehr finden.

Jetzt weiß ich wieder wo er ist – was geschah.

Es tut immer noch weh!

Mein Teddybär war ein Held!

Er fehlt mir.

In meinen Träumen und Wünschen hat er mich befreit.

Er war ein ganz besonderer kleiner weißer Teddybär!

Ich musste ihn wegwerfen.

Jetzt ist er wieder da und ich werde ihn nie vergessen.

Ja, jetzt denke ich daran, wie viel er mir bedeutet hat, wie ich mich an diesen kleinen Teddy geklammert habe. Wie allein wäre ich ohne ihn gewesen. Ich hatte einfach verdrängt, was mit ihm geschah und das Schlimmste, ich selbst musste ihn wegwerfen. Wie hätte ich denn erklären können, was mit ihm passiert ist, wieso er so kaputt ist. Ich durfte doch nichts sagen. Ich habe solange gebettelt, als ich ihn im Schaufenster sitzen sah. Ich hatte ihn mir so sehr gewünscht und nun war er einfach kaputt, zerrissen und ich konnte nicht sagen warum und bitten, dass ihn mir jemand wieder ganz macht. Wer auch, da war sowieso niemand, der ihn mir wieder ganz gemacht hätte. Alle hätten gedacht, ich habe ihn selber kaputtgemacht und hätten mit mir geschimpft, dabei war er mein Wichtigstes, was ich besaß. Jetzt sitze ich hier in der Nacht allein in diesem Zimmer, heule und denke an meinen kleinen Teddy.

Es ging mir immer schlechter und ich dachte, wie soll ich es nur schaffen, dass es mir wieder besser geht, Ich habe doch keine Kraft mehr und wozu auch?

Es war bereits 2.00 Uhr nachts und ich war immer noch wach, mein Kopf war ein einziges Chaos. Diese verdammten Nächte, die Ruhe, das Alleinsein.

Alle schlafen und ich kann mit niemandem reden, um mich da herauszuholen, ich rutsche und rutsche immer mehr da rein.

Ich möchte gerne schlafen, habe aber auch Angst vor dem Schlafen wegen den Albträumen und Flashbacks. Meist, wenn ich wirklich mal schlafen kann, dann ist es gerade mal so eine Stunde und dann werde ich geweckt, weil ich einen Alptraum oder Flashback habe und laut schreie vor Angst und Schmerz. Meistens versuche ich dann munter zu bleiben aus Angst, weiter zu träumen oder aus Angst, die anderen Patienten in ihrer Nachtruhe zu stören.

Seit Wochen und Monaten ist das nun so und es macht mich auch wütend, wenn ich tatsächlich mal etwas schlafen konnte und dann geweckt werde, weil ich schreie – ich muss doch auch etwas schlafen können und auf der anderen Seite bin ich froh, wenn ich da raus geholt werde und das Grauen aufhört. Heute wird es wohl wieder so eine Nacht werden, wenn es mir überhaupt gelingt, einzuschlafen.

Ich kann nicht einschlafen und ich werde langsam wütend deswegen. Ich bin so müde und ich muss schlafen, sonst gehe ich doch vor die Hunde. Ich habe Angst, ich breche total zusammen oder drehe eben einfach durch, wenn ich nicht endlich mal wieder etwas Schlaf bekommen kann.

Was soll ich tun? Die Erinnerungen erschlagen mich. Ich möchte davor fliehen. Ich habe sie satt. Die Angst durch zu drehen wird immer größer. Ich will dass es endlich aufhört. Soll ich mir bei der Nachtwache 2 mg Tavor holen?

Tavor können abhängig machen, aber Tavor machen auch den Kopf frei und das Gefühl verrückt zu werden, verschwindet. Der Kopf wird einfach nur klar, leer und die ganze schreckliche Vergangenheit ist mal für einige Zeit weg. Eine Pause – kein Gedankenkarussell – keine Angst – kein Flashback – einfach nur Ruhe und vielleicht sogar einschlafen können. Was soll ich tun?

Schon wieder Tavor? In letzter Zeit habe ich so viele davon geschluckt, nur, um zu überleben, nur um mich nicht einfach umzubringen. Ich will es aber auch so schaffen, ohne Chemie, ohne Tavor. Es muss doch so auch einmal aufhören und ich hasse die ganze Chemie. Neurocil ist auch so in der Wirkung, es macht ruhig, löscht die verfluchten Erinnerungen und ich kann schlafen. Doch Neurocil macht am nächsten Tag einen total benommenen Kopf und man kann sich kaum auf den Beinen halten. Dafür macht es aber nicht abhängig. Tavor hat nicht solche bescheuerten Nebenwirkungen.

Ja, was mache ich? Ich habe mich die ganze Zeit, wo es mir so beschissen ging, für Tavor entschieden, es aber nur genommen, wenn es mir ganz schlecht ging, wenn ich mich umbringen wollte oder Angst davor hatte, mich umzubringen.

Zeitweise hatte ich es auch fest angesetzt.

Heute Nacht denke ich, nehme ich kein Tavor – ich will es nicht?

Ich will auch nicht hinter zur Nachtwache gehen und sagen, wie es mir geht, ich kann es gar nicht so erklären, wie es ist. Ich nehme heute kein Tavor, ich habe es satt, Tavor zunehmen. Ich habe es satt, dass es mir so schlecht geht.

Weiß nicht, was ich tun soll. Wieder stehe ich auf aus dem Bett und weiß, diese Nacht kann ich abhaken, das gibt wieder nichts mit Schlafen.

Was soll ich bloß tun? Wo soll ich bloß hin mit mir? Ich laufe im Zimmer hin und her und weiß nicht, was ich tun soll, ich bin so kaputt, ich bin so müde und stehe hier im Zimmer und kann nicht schlafen.

Auf einmal bin ich wütend, hier zu sein, mich so zu fühlen, wie ich mich fühle, nicht schlafen zu können und das es immer da ist und mich verfolgt. Ich fühle mich so verdammt ausgeliefert und habe es satt, dass das so ist. Ich war mal stark, ich war mal fit, ich war mal lustig, ich war mal gesund und konnte arbeiten gehen.

Alles ist anders, das ganze Leben stimmt nicht mehr – alles ist nur Fassade, nur so tun, als ob... ein falsches Spiel spielen, lächeln, wenn einem zum weinen ist.

Ich habe das alles satt, das ist doch kein Leben, das ist nur Quälerei.

Ich setze mich an den Tisch in meinem Krankenzimmer und schreibe einfach darauf los und dann steht folgendes auf dem Papier:

Ich wünschte, ich könnte mir die Haare waschen und den ganzen Dreck aus meinem Kopf raus waschen!

Ich wünschte, ich könnte die Erinnerungen aus mir herausnehmen, auf den Boden werfen und einfach so zertreten, dass sie nie wieder auftauchen!

Ich wünschte, die Schweine ständen jetzt vor mir und ich könnte sie anspucken, nach ihnen schlagen und treten!

Ich wünschte, ich könnte endlich wieder schlafen, ohne dieses ganze verdammte Grauen immer mit ins Bett zu nehmen!

Ich wünschte, ich brauchte mich nicht mehr zu schneiden, um die Schmerzen aushalten zu können.

Ich wünschte, ich brauchte nicht mehr so zu tun, als ginge es mir gut, keine beschissene Rolle mehr zu spielen.

Ich wünschte, ich wäre ganz normal - einfach ganz normal!

Ich wünschte, ich brauchte keine Tavor mehr zunehmen, ich will mich nicht abhängig davon machen.

Nein – ich nehme heute keine davor mehr.

T – Terror im Kopf

A - Angst

V – Verzweiflung, es hört ja doch nie auf!

O – ohnmächtig ausgeliefert sein, wenn die Vergangenheit zuschlägt

R – Ruhe im Kopf durch Tavor, aber leider nur durch Tavor!

Ich war auf einmal wütend über das alles, über das was ich in letzten 2 Jahren noch einmal an Hölle erleben musste und immer wieder erlebe und darüber, dass ich in den letzten 10 Jahren zum Dauergast in der Psychiatrie geworden bin.

Hätte ich nur vorher gewusst, was da auf mich zukommt, als ich sagte, ich muss reden können, ich kann nicht mehr. Hätte ich das alles gewusst, dann hätte ich mich umgebracht – hätte es nicht erfahren wollen, nicht wissen wollen und schon gar nicht noch einmal durchleben wollen.

Über all das war ich so wütend und so stand ich mitten in der Nacht in meinem Zimmer und war einfach nur wütend. Einfach nur wütend!

Ich kannte dieses Gefühl gar nicht und dachte, ich werde verrückt, wusste nicht wohin, hätte gegen den Schrank treten können, doch so etwas tut man nicht. Ich hätte schreien können, doch es war Nacht und alle schliefen, also schön leise sein und nicht schreien.

Das war ganz eigenartig, es war neu für mich. Ich fühlte die Wut kommen und spürte, wie die Hilflosigkeit, Ohnmacht, Trauer, Enttäuschung und der Schmerz verdrängt wurden durch diese Wut.

Ich lief in meinem Zimmer herum, wie ein Tiger im Käfig und versuchte, mich zu beruhigen. Was sollte ich denn anderes tun, als mich zu beruhigen. Zum Anschreien war doch niemand da, wen sollte ich schlagen? Es hatte mir doch keiner was getan. Also versuchte ich, meine Wut zu unterdrücken und mich so wie immer zu verhalten.

Auf Grund der schlaflosen Nacht war ich heute Morgen ausnahmsweise mal in der Lage, an der morgendlichen Patientenrunde um 6.45 Uhr teilzunehmen, bei der ich in der Regel fehlte, weil ich gerade dann für kurze Zeit endlich ein bisschen schlafen konnte.

Heute also war ich fit. Es war komisch, ich fühlte mich nicht so zerschlagen, wie sonst, wenn ich nicht geschlafen hatte. Heute war ich fit und habe gewartet, dass die Morgenrunde beginnt. Ich habe mich schon in den Fernsehraum gesetzt und gewartet, dass die anderen bald auftauchen. Doch niemand kam. Ich blieb allein. Stattdessen kam ein Patient, den konnte ich überhaupt nicht ausstehen. Warum – na ja, er hatte so ein machohaftes Getue an sich und in irgendeiner Art und Weise bewegte er sich so, wie mein großer Bruder (gebeugte Haltung und nicht zu hören, wenn er kommt). Ich kann ihn eben einfach nicht ausstehen und versuche jeglichem Gespräch mit ihm aus dem Weg zu gehen. Und nun saß ich in der Ecke im Fernsehraum und der Typ kommt rein, auf mich zu und fängt an zu quatschen.

Ich dachte, lass ihn reden, hör nicht zu, er geht schon wieder. Aber der steigerte sich immer weiter in seinen Scheiß und wurde immer wütender. Was ich aufschnappte war, dass er seine ganze Familie in den Knast bringen will wegen falscher uneidlicher Aussage und er turnte vor mir in seiner Wut hin und her und kam immer näher.

Mit der Zeit war mein gutes Gefühl weg und ich bekam es langsam mit der Angst zu tun und wollte aus der Ecke weg. Ich hoffte, einer käme in den Fernsehraum und ich könnte die Gelegenheit nutzen und dem dämlichen Gequatsche und dem vor Wut tobenden Kerl entkommen. Keiner kam – ich schaffte es nicht, aufzustehen und wegzugehen. Tolle Leistung! Ich wusste wieder einmal, hier muss ich weg und kam nicht weg. Konnte nicht das tun, was ich wollte, einfach aufstehen und weggehen.

Dann klingelte es in meinem Kopf, heute war keine Patientenrunde, sondern heute war Puls und Blutdruck messen angesagt. Ich habe das zu spät gerafft, sonst wäre ich nicht im Fernsehraum geblieben.

Als ich es dann endlich durch einen anderen Patienten, der rauchen ging, schaffte, aufzustehen und mit ihm den Raum zu verlassen, war ich so fix und fertig von dem Gequassel und dazu hatte ich noch eine verdammte Wut auf mich, wieder einmal nicht das getan zu haben, was ich wollte. Aber ich habe mich nicht getraut, der war in seiner Erzählerei so wütend geworden, so dass ich vor dieser Wut Angst hatte und wie gelähmt war.

Vor dem ganzen Mist ging es mir gut, ich hatte nicht, wie sonst jeden Morgen Kopfschmerzen und war völlig benommen im Kopf. Im Gegenteil ich fühlte mich gut, hatte bereits geduscht und wollte den Tag genießen. Es tat nämlich gut, sich nach langer Zeit wieder einmal so zu fühlen. Ich hatte mich wohl gefühlt, wie lange nicht mehr.

Und nun ist das gute Gefühl futsch – ich bin aufgeregt, habe Kopfschmerzen. Wieso verdammt noch einmal konnte ich nicht zu dem blöden Kerl sagen, er solle mich ganz einfach in Ruhe lassen. Ich habe immer Angst, unhöflich zu sein und schaffe es nicht, das zu tun, womit es mir besser geht und das aus Rücksicht auf die Anderen. Ja, nun hatte ich es wieder. Mir ging es vorhin noch gut und nun ist mein Kopf wieder zu, die Schmerzen und die Anspannung sind auch wieder da.

Eine Stunde laufe ich nun schon so herum und ich werde immer wütender, dass es mir heute Morgen so gut ging und jetzt nicht mehr. Ich bin jedes Mal so froh, wenn ich mal keine Schmerzen spüre und mein Kopf mal frei ist und dann ist da so ein Idiot und quatscht mich voll und ich bin zu blöd, um ihn wegzuschicken.

Selber Schuld – verdammt noch mal! Das musste nicht sein, mir konnte es noch gut gehen, wenn ich es geschafft hätte, den Kerl abzuservieren. Ich habe es nicht geschafft.

Um 11 Uhr habe ich den Termin für das Einzelgespräch bei Herrn Dr. S..

Seit fast 2 Jahren habe ich nun jeden Tag ein Einzel und kämpfe und quäle mich herum, um die verdammte elende Quälerei endlich soweit in den Griff zu kriegen, dass ich wenigstens wieder etwas zurechtkomme und leben kann ohne ständig den Wunsch zu haben, nicht mehr leben zu wollen. Bis zum Einzel dauert es noch 2 Stunden und mir geht es nicht gut. Ich kann gar nicht einmal sagen, wie es mir richtig geht. Es ist so eine Mischung aus Angst, Verzweiflung und Wut und ich weiß nicht, was ich sagen soll und wie ich es erklären soll.

Ich gehe auch nicht zur Schwester, was hätte ich denn sagen sollen? Ich gehe in mein Zimmer. Mir ist zum Heulen und ich bin wütend deswegen. Ich weiß ja nicht einmal wieso mir zum Heulen ist.

Auf Station ist niemand, alle sind in Therapie (Arbeitstherapie oder Selbstsicherheitstraining) Nur ich bin auf Station, Arbeitstherapie kann ich nicht mitmachen wegen meiner Schmerzen in den Armen.

Oh, wie oft war ich deswegen verzweifelt, weil ich gar nichts machen konnte. Es ist so schlimm, wenn man vor Schmerzen in den Armen nichts machen kann, keinen Handgriff im Haushalt, keine Handarbeit und manchmal ist es zu schwer, ein Buch in den Händen zu halten um zu lesen. Ja und durch die Schmerzen war ich halt meistens die Einzige auf Station und konnte nicht viel tun, außer malen und das tat ich auch, wenn ich gar nicht mehr mit mir zurechtkam.

Ich wusste also, ich bin wieder mal allein auf Station, nur die Schwestern sind im Stationszimmer. Mir ging es nicht gut, doch ich wusste nicht, was sie mir hätten helfen können, also ging ich nicht hin, sondern blieb in meinem Zimmer und schloss die Tür.

Ich war unruhig, dachte, ich drehe gleich durch, wusste nicht, was ich tun sollte. Plötzlich verspürte ich eine Wut in mir aufsteigen, wie ich sie nie in meinem Leben gekannt habe. Gegen den Schrank wollte ich treten, schreien wollte ich, mit den Händen gegen den Schrank schlagen. Nichts ging! Ich hatte Angst es zu tun.

Ich hatte Angst, jemand erwischt mich und schimpft mit mir oder bestraft mich, weil ich bockig bin. (Das darf man doch nicht! Das ist ungezogen! So benimmt man sich nicht!) Ich wollte so sehr schreien und hatte Angst davor zu schreien, der Schrei saß in meinem Hals und ich dachte ich ersticke daran.

Das Verlangen nach Treten, Schreien, Schlagen wurde immer stärker – ich war allein, meine Zimmertür war zu. Keiner konnte mich sehen. Keiner konnte mich hören. Keiner konnte mir helfen und ich wusste nicht wohin mit all dem, was in mir tobte. Ich hatte das Gefühl an all dem zu ersticken, mein Kopf war als wolle er explodieren. Ich dachte, wieder so ein verfluchter Flashback und stand auf einmal wieder wie immer, wenn ein Flashback kam, mit dem Rücken am Schrank. Mein Kopf fing an zuzugehen und ich spürte aber auch gleichzeitig das Verlangen „Nein, ich will nicht!“ zu schreien. Ich bekam keinen Ton heraus.

Mein Hals wurde zugeschnürt, ich spürte die Hände, die mir die Luft abdrücken. Ich dachte, ich ersticke jetzt und dann passierte es. Der erste Schlag, die flache Hand gegen den Schrank, dann die andere Hand.

Ich stand mit dem Rücken am Schrank und ein Schlag mit der flachen Hand folgte der anderen. Klatsch, Klatsch, Klatsch immer im Wechsel, einmal rechts, einmal links. Meine Hände brannten und taten mir weh, doch ich konnte nicht aufhören. Ich schlug und schlug und heulte und dann schrie ich auf einmal, hörte mich schreien. Vor lauter Wut trat ich gegen den Schrank, schrie und heulte zu gleicher Zeit. Ich spürte so eine unbändige Wut und ich wollte sie loswerden.

Ich glaube, dass ich anfangen konnte zu schlagen, war nur möglich, weil ich wusste, mich hört keiner, alle sind weg, ich bin allein. In all meiner Wut hörte ich dann weit entfernt Elke fragen: „Tina, was ist denn los mit dir? Kann ich dir helfen?“

In dieser grenzenlosen Wut, die ich hatte, fand ich kaum die Luft, um zu sagen: „Ich habe so eine riesige Wut!“

Ich schrie und schlug weiter um mich und Elke holte eine Schwester.

Die Wut war so stark, ich dachte, sie zerreißt mich, sie zersprengt mich. Ich bestand nur noch aus Wut, es war wie ein Vulkanausbruch, so heiß und unbekannt und unbeherrschbar für mich. Die Wut hat mich so beherrscht, jede Faser in mir war voller Wut. Als Schwester Bianca kam, trat ich gerade mit voller Wucht gegen den Heizkörper und sie versuchte mich eiligst aus dem Zimmer und dem Gebäude in den Park zu bringen. Im Park konnte wohl nichts demoliert werden.

Im Flur und im Haus waren Mitpatienten, ich sah sie und sah sie aber auch nicht. Es war alles ein Nebel aus Wut, riesiger Wut und Kraft und Energie.

Ich habe immer wieder heulend gesagt: „Ich habe so eine riesengroße Wut auf die Verbrecher.“ Ich habe geheult und geschrieen und dann spürte ich, wie meine Hände zu Fäusten wurden, mit denen ich schlagen wollte, doch wen???

Es war keiner da, nicht eines von diesen Schweinen. Ich habe mir so gewünscht, jetzt müsste einer hier sein und ich könnte auf ihn los dreschen, ich würde auf ihm herum trampeln, ich würde ihn umbringen. Ich würde solange darauf los schlagen, bis ich nicht mehr könnte.

Ich habe geschrien: „Verfluchte Schweine! Verfluchte Hunde! Verfluchte Verbrecher!“

Keiner hat mir geholfen.

Ich wünschte, wenigstens einer wäre hier und ich könnte ihn dafür schlagen, ihn die Schmerzen, die ich damals spüren musste, als er zusah, spüren lassen, es ist keiner da. Es ist keiner da – es ist zu lange her.

Und ich stehe da mit meiner unbändigen Wut und weiß nicht, wohin damit. Verflucht noch einmal, wo soll ich mit meiner Wut hin. Ich habe geheult vor Wut, weil ich nicht wusste wohin mit meiner Wut – keiner der sie verdiente war da.

Ich stand allein mit meiner Wut und das machte mich wahnsinnig. So ist es doch immer – die kommen einfach so davon und ich stehe da und bin allein mit meiner Wut. Ich habe geschrieen, es ist so ungerecht, wo soll ich jetzt mit meiner Wut hin? Ich hatte das Gefühl, ich werde daran ersticken und habe geschrieen, einfach nur noch geschrien.

Es war so ein starkes, übermächtiges Gefühl, ich dachte, ich bestehe nur noch daraus und wusste nicht wohin damit, habe nur noch geschrieen, einfach nur geschrieen, bis ich nicht mehr konnte. Als Schwester Bianca wieder mit mir ins Haus gehen wollte, war es kurze Zeit so, als hätte ich wieder die Hände meines Opas um den Hals und er drückt zu, weil ich schreie und schreien will. Ich habe das Gefühl zu ersticken und huste und schnappe nach Luft und ich bekomme fürchterliche Angst. Schwester Bianca versucht mich zu beruhigen. Sie sagt: „Da sind keine Hände, es passiert ihnen nichts.“ Ich höre sie das sagen und spüre doch die Hände am Hals aber ich kann auch zurückkommen schaffe es aus dieser Angst herauszukommen.

Nun kommt meine Wut wieder, weil ich gerade wieder spüren musste, wie viel Macht mein Opa noch über mich hat, wie viel Angst er mir noch machen kann und wie wenig ich dagegen setzen kann.

Ich habe es satt, ständig das Gefühl zu haben, erwürgt zu werden, dabei sind in Wahrheit keine Hände und kein Opa da, aber es passiert trotzdem. Ich frage mich, wie kann das sein? Es macht mich wütend!

Ich will das nicht mehr! Ich will endlich leben! Ich will normal leben können!

Ich habe so eine riesige Wut, dass ich denke, sie zerfetzt mich gleich. Einem Stier in der Arena kann es nicht schlimmer ergehen, er sieht rot, stürzt sich drauf und nichts ist, wo er sich drauf stürzen kann – er rennt ins Leere, immer wieder ins Leere und wird wütender und wütender, bis er sich nicht mehr bewegen kann, weil er keine Kraft mehr hat..

Ich war auch völlig außer Atem, so als hätte ich Hochleistungssport betrieben. Die Schwester kommt mit mir hoch auf Station und Herr Dr. S. war gerade da gewesen, um mich abzuholen, da ich die Station zur Zeit wieder einmal nicht allein verlassen darf, weil ich die „Stufe“ habe.

Schwester Bianca fragt mich, ob sie mich runter bringen soll zum Einzelgespräch. Immer noch außer Atem vor Wut, nicke ich nur und wir gingen wieder die 2 Etagen runter. Immer noch habe ich voller Wut geschnauft und nach Luft geschnappt und meine Fäuste wieder und wieder geballt ich wusste nicht, wohin ich schlagen, wen ich schlagen sollte, keiner war da.

Diese verdammten Schweine lernen nie meine Wut kennen.

Ich kann keinem auch nur ein bisschen von dem, was sie mir angetan haben, zurückzahlen. Verdammt, das ist so ungerecht!

Ich dachte, egal, wie es mir geht, ich muss zum Einzel, es ist wichtig. Ich will weiterkommen und versuchte, mich zu beruhigen.

Als ich dann unten ankam bei Herrn Dr. S. habe ich immer noch geschnauft, wie ein wütender Stier und war nicht viel ruhiger. Herr Dr. S. hat die Situation sofort erfasst und ist nicht mit mir in sein Sprechzimmer, sondern in die Sporthalle. Dort sahen wir uns erst einmal um, was brauchbar dazu war, meine Wut herauszulassen.

Er schlug mir einen Hockeyschläger vor. Ich lehnte ihn ab, nein, damit kann ich nicht schlagen. Ich habe damals damit geschlagen als dann plötzlich mein Opa in meinem Zimmer saß und mir sagte: Wenn er mich nicht umbringt, dann müsse ich es selbst tun. Ich habe Angst vor dem Hockeyschläger gehabt, ich wollte ihn nicht wieder in die Hände nehmen.

Jetzt denkt vielleicht jeder, die ist vielleicht doof, was soll schon mit dem Schläger sein – ich wollte ihn aber nicht mehr – ich verband ihn irgendwie mit dem „Besuch“ meines Opas in meinem Zimmer und der Angst, die ich damals hatte.

Ich konnte nichts zum Schlagen nehmen, ich wollte meine Hände, nur meine eigenen Hände zum Schlagen benutzen, auch wenn sie jetzt schon brannten wie Feuer und geschwollen waren. Ich wollte mit meinen Händen zuschlagen. Ich konnte mich nie mit meinen Händen wehren, immer waren sie festgebunden – vielleicht deswegen. Es tat so gut, die Hände zu benutzen!

Herr Dr. S. holte einen Wagen mit lauter Liegematten herein und ich drosch auf diesen Haufen drauflos, habe geschrieen und geheult und die Schweine verflucht, die mir all das angetan haben, was mich bis heute nicht richtig leben lässt. Ich habe solange geschlagen, bis ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, bin auf die Knie gefallen und habe mit den Händen weiter auf die Matten los gedroschen, immer wieder und immer wieder, wie ein Automat, der nicht aufhören kann. Ich konnte auch nicht aufhören – meine Hände brannten wie Feuer und fühlten sich wie zwei riesige Klumpen an. Es war mir egal – ich hatte immer noch Wut. Vor allem, weil keiner, zu dem diese Wut gehörte, da war. Es ist so ungerecht

Darf ich sagen: „Nein, Opa, ich mag das gar nicht!“ Nein ich fühlte, ich durfte es nicht sagen, es hätte ihn auch gar nicht interessiert. Verdammt wir fühlen uns selbst schuldig, weil wir uns nie gewagt haben zu sagen, ich will das nicht, weil wir Angst hatten, es zu sagen. Und, wenn wir es doch versucht haben zu sagen, wer hat schon darauf gehört. Die haben doch mit uns gemacht was sie wollten. Wir haben uns nicht gewagt, uns gegen die Erwachsenen, die ja sonst lieb zu uns sind, bös zu werden, zu schimpfen, oder zu sagen: „Nein, ich will nicht, ist eklig, ist pfui!“

Sie sind die Erwachsenen und wir die kleinen Kinder, die wissen ganz genau, das ist nicht richtig und reden uns ein, sie haben uns zu lieb, deswegen müssen sie das tun. Sie entschuldigen sich noch bei uns, weil sie uns wehtun und sagen sie können nichts dafür. Also, wer kann dann etwas dafür? Wahrscheinlich wir – es liegt an uns. Ich traue mich nicht mehr nein zu sagen, nach dem ich es einmal versucht hatte und alles nur noch schlimmer wurde. Nun schäme ich mich, weil ich nicht sage, ich will das nicht. Und – wie logisch – ich sage nicht mehr – „Ich will das nicht „ also fühle ich mich schuldig, schäme mich, bin selber Schuld daran, was da täglich mit mir passiert. Und zum Schluss denken wir nur noch, ich habe nichts gesagt, also bin ich selbst schuld. Ich habe nichts gesagt, also hatte ich wohl gar nichts dagegen. Also war es wohl gar nicht so schlimm.

Nein – keine ist Schuld daran, wenn ihr so etwas passiert! KEINE!

Ich war 3 Jahre alt und es geschah zum ersten Mal. Es war mein allerliebster Opa, ich hatte ihn wirklich am liebsten. Ich konnte nicht begreifen, was da auf einmal geschah, was er da tat. Oh verdammt, es tat so sehr weh und war richtig eklig.

Ich hatte Angst vor meinem Opa. Ich hatte noch nie Angst vor meinem Opa. Aber heute hatte ich Angst vor ihm und ich war froh, als er wieder lieb zu mir war und sagte: „Es ist nichts passiert, es ist nicht schlimm und beim nächsten mal wird es schöner.“ Ich wollte kein nächstes Mal. Ich wollte nur, dass er wieder so lieb ist, wie immer und das war er dann auch jedes Mal danach. Was hätte ich denn tun können? Sagen durfte ich nichts. Er sagte mir, es würde mir sowieso keiner glauben und dann schämte ich mich auch viel zu sehr um etwas zu sagen.

Was hätte ich denn tun können? Heute frage ich mich, wieso habe ich damals nichts gesagt? Ich weiß es nicht. Später kamen dann noch andere dazu und es passierte jeden Tag. Es war eben so, ich kannte es nicht anders, wusste nicht, ob es woanders auch so ist – habe mich aber aus Scham auch nie getraut, zu fragen.

Meine Mutter sagte einmal: „Mädchen, warum hast du nie etwas gesagt?“

Klasse! Wunderbar!

Mit dieser Frage hat sie mich schuldig gesprochen – ich fühlte mich sowieso immer schon schuldig, aber von meiner Mutter hatte ich gehofft, sie hilft mir. Doch diese Frage ist doch eine Schuldzuweisung. Denn, hätte ich was gesagt, hätte sie mir geholfen, also bin ich selber Schuld, dass es so weiterging und weiterging, bis ich 23 Jahre alt war. Ich bin Schuld – weil ich geschwiegen habe. Wie kriegen die das nur hin, dass wir denken, wir sind selbst schuld daran oder noch eine andere Variante.

Die Variante meines Stiefvaters: „Meine kleine Prinzessin.“

Ich kann nichts dafür, ich habe dich viel lieber als Mutti, aber das darf keiner erfahren. Denn, wenn es jemand erfährt, dann bringt sich die Mutti um, ich komme ins Gefängnis und ihr 3 ins Kinderheim.

Diese Variante funktionierte auch prima, man bekommt als Kind die Verantwortung über das Schicksal der Familie übertragen und aus Angst um Mutti und die Brüder, schweigt man – wie man eben schweigen soll, damit sie mit uns tun können, was sie wollen. Ich habe immer gedacht, ich bin selbst schuld, weil es so viele gewesen sind. Vati, Opa, Bruder, die Freunde meines Bruders usw. Gefragt, ob ich das möchte, hat mich aber auch nie jemand – nie! Sie haben es eben einfach getan.

All das platzte aus mir heraus und ich hätte noch weiter reden können immer weiter und weiter, aber ich war so außer Atem und ich wusste jetzt, ich bin nicht schuld, genau so wenig Schuld, wie jede Andere, der so etwas passiert

Das zu kapieren ist so wichtig, ist lebenswichtig – weil wir immer die Schuld zugesprochen kriegen, meist schon durch die Täter, den lieben Opa, den lieben Vati oder den lieben eigenen großen Bruder. Und, wenn wir Pech haben, da gibt es dann noch Mütter, die sagen, du lügst, so etwas macht der oder der nicht, du lügst, erzähl so was nie wieder.

Die Mutti lässt dich im Stich. Dein Vertrauen ist hin und dann gibst du dir doch selbst die Schuld, weil ja die „liebe Mama“ gesagt hat, du lügst, es ist nicht wahr.

Es ist so einfach, nicht zu helfen!

Es ist so schwer zu helfen!

Wieso? Denk doch nach, kommt es raus, gibt es großes Theater, viel Unruhe, evtl. Gefängnis für Vater und, wer versorgt dann die Familie? Was ist also wichtiger? Lieber ruhig sein, schweigen, wegsehen – nicht auffallen, so trifft es eben nur einen, nämlich dich und nicht die ganze liebe Familie. „Da bist du wenigstens nicht Schuld am Unglück der Familie.“

So einfach ist das und so schnell ist oft geklärt, ob geholfen wird, oder ob weggesehen wird. Ist schon toll, wenn man später so die Prioritäten erkennt und feststellt, warum es weiterging, weggesehen wurde und keiner geholfen hat.

Ja, meine Mutter hätte mir auch nicht geholfen, wenn ich sie nicht unbewusst, dadurch, dass ich es zuerst in meiner Angst der Mutter meiner Freundin erzählt habe, gezwungen hätte, zu reagieren, denn sonst hätte es die Mutter meiner Freundin angezeigt. Aber so war ich dann eben auch sehr schnell weg vom Fenster.

Meine Mutter wusste nichts Besseres zu tun, als mich sofort nach der Verhandlung wegzugeben und sich nie wieder nach mir umzusehen. Ich war einfach weg von zu Hause, mich gab es nicht mehr. So kann man auch jemand fürs Reden bestrafen.

Ich hatte keine Mutter mehr, keine Brüder mehr und niemanden mehr, den ich kannte. Ich kam einfach woanders hin und sie war mich los. Ich hätte ja auch besser den Mund halten können oder?

Das alles ging mir durch den Kopf als ich so wütend war und ich dachte auch daran, ich wurde bestraft, wurde verurteilt, weil ich so ein verdammtes Schwein, das sich an meiner Pflegetochter vergriffen hatte, angezeigt habe. Ich wurde angezeigt wegen falscher Beschuldigung usw.

Ich wurde bestraft, nicht der Täter, der hat gelacht und konnte heimgehen. Zur Berufungsverhandlung war er dann leider tot. Klasse – so konnte er nicht mehr verurteilt werden. Ja, so ist das, wenn Männer Anwälte und Richter sind und auf dem Jugendamt Frauen sitzen, die nur ihren Stuhl warm halten, statt ihre Arbeit zu machen.

Was ich auch noch satt habe ist, dass jeder, der gesehen hat, wie schlecht es mir ging, meinte, er müsste mich bedauern. Streicheln, Küsschen, Umarmungen und ich habe es gehasst, dieses Mitleid, dieses bedauert werden. Ich habe es gehasst und mich dadurch immer schlechter gefühlt und immer gedacht: „Verdammt, wie können die alle Mitleid haben, wo ich doch gar nicht wütend bin, dass mir das passiert ist.“ Jede Mitpatientin, der ich über den Weg lief, drückte mich, streichelte mich, gab mir Küsschen wie einem kleinen Mädchen. Das hat mir immer mehr ein schlechtes Gefühl gegeben, weil ich mich schuldig fühlte ohne Wut. Früher, als ich klein war, da war auch keiner da, der Mitleid hatte und jetzt will ich auch nicht behandelt werden wie ein kleines Mädchen. Es macht mich wütend immer so behandelt zu werden.

Ich will das nicht, ich habe es satt und, was würden die wohl denken, wenn die wüssten, dass ich nicht gesagt habe, ich will das nicht und nie, bis heute nie wütend deswegen war. Was würden die wohl dann denken? Wie würden die mich wohl dann ansehen? Wie würden die mich wohl dann behandeln? Mit Sicherheit nicht mehr mit Streicheleinheiten.

Ich bin nicht so, wie die denken. Ich bin nicht normal!

Alle, die ich bisher getroffen habe und mit denen ich mich hier in den letzten 10 Jahren unterhalten habe, hatten Wut. Nur ich nicht. Keiner weiß, wie das ist, sich so zu fühlen „so schuldig, ohne Wut“. Alle bedauern dich, du willst es nicht, weil du kein Recht hast, bedauert zu werden, weil du ja nicht einmal ein bisschen wütend bist. Das ist doch nicht normal! Immer habe ich gesagt, ich will nichts, ich will doch nur normal sein und mich nicht ständig schämen müssen, verstellen müssen, weil ich eben nicht wütend bin. Immer und immer wieder war ich fassungslos und konnte es nicht begreifen und habe mich schuldig gefühlt deswegen. Habe aber nie etwas gesagt, nie gewagt, zu sagen wie ich bin.

Doch, meinem Therapeuten habe ich ein paar Mal versucht klarzumachen, dass ich gar nicht so bin, wie er mich einschätzt. Ich bin schlecht, ich muss nicht bedauert werden. Er hat mich nie begriffen, mir nie glauben wollen, wie ich wirklich bin. Das hat mich echt sauer gemacht. Sonst habe ich nie gewagt, zu sagen, wie ich wirklich bin, dass ich nicht normal bin, dass ich so eine bin, der das nie etwas ausgemacht hat. Ich will nur eines, sie sollen mich behandeln, wie einen erwachsenen Menschen Und vor allem so, wie sie jeden anderen auch behandeln. Ich hasse es und es macht alles für mich noch viel schlimmer, bedauert und gehätschelt und getätschelt zu werden.

Aber wer kann das schon begreifen, wie man sich da fühlt.

Ich habe alles so satt, die Erinnerungen, die Flashbacks, die Schmerzen, die Nächte ohne Schlaf und ich will nur eines, endlich normal leben, mich normal fühlen können

Das alles habe ich gesagt und dann habe ich gemerkt, ich habe keine Schmerzen mehr in den Armen.

Ich bin normal – ICH HABE WUT – ich bin nicht anders – ich muss mich nicht schämen.

Ich habe vor Freude geheult, weil auch ich endlich Wut habe. Ja, ich habe die Wut gefunden. Nein, das ist nicht richtig ausgedrückt, die Wut ist aus mir heraus gebrochen, ist aus meinem Inneren explodiert. Ich hätte nie gedacht, dass ich so eine riesige Wut haben kann, dass sie da ist, in mir ist.

Ich bin also doch nicht schlecht.

ICH BIN NORMAL.

Es war so ein Gefühl, als wäre ich endlich frei und ich fühlte mich so frei, so lebendig, so wütend, so gut, so normal. Ich brauchte keine Rolle mehr zu spielen – ich bin echt. Ich brauche mich nicht mehr zu verstecken, zu verstellen.

Es tat so gut, all das zu erkennen, zu spüren, zu fühlen.

Ich habe gelacht, ich habe mich gut gefühlt, mich stark gefühlt, nicht mehr lebendig – tot, leer.

Und, was noch toller war, ich kam auf Station hoch und keiner kam mehr und hat mich bedauert wie ein kleines Mädchen und gestreichelt. Es war super – ich war stark, sie haben mich alle normal behandelt!

Endlich!

Am 23.10.2002 war der Tag, an dem ich so sehr glücklich war – ich hatte meine Wut gefunden. Die Tage, die darauf folgten, fühlte ich mich wie ein neuer Mensch – ich war glücklich, ich hatte einen klaren freien Kopf, ich war einfach voller Energie und Pläne. Es ging mir so gut und ich war so glücklich darüber.

Aber ich konnte trotzdem nicht schlafen, immer noch nicht schlafen. Herr Dr. S. meinte, es läge am zu hohen Adrenalinspiegel und das würde sich nun auch langsam in den Normalzustand verändern und dann auch soweit, dass ich wieder schlafen kann. Mir ging es ja nicht schlecht, ich fühlte mich gut, hatte gute Laune. Aber ich wurde immer kaputter, ich konnte vor lauter freudiger Unruhe nicht sitzen, nicht liegen, nur herum laufen, reden und in Aktion sein. Das war so anstrengend. Doch ich fühlte mich einfach super, obwohl ich körperlich total kaputt war und mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Aber es tat so gut, so lebendig zu sein. Alle freuten sich mit mir, wie gut es mir ging. Nur schlafen möchte ich gerne noch können und ich hoffe ständig darauf, dass der Schlaf auf normalen Weg, also ohne Einsatz von Medikamenten, kommen wird. Aber jede Nacht umsonst.

5 Nächte habe ich nun schon nicht geschlafen und am Tag lege ich mich auch nicht hin, damit ich nachts schlafen kann. Inzwischen ist der 28.10.2002 und ich denke, wenn ich nur noch schlafen könnte, dann ist alles gut, dann kann ich endlich heim und werde nicht mehr auf den Gedanken kommen, mich umbringen zu wollen.

Als ich heute in das Einzelgespräch gegangen bin, war ich müde, aber gut drauf, habe gestrahlt und den Tag schön gefunden. Ich saß noch nicht richtig, da stellte mir Herr Dr. S. eine Frage. Ich tat so, als hätte ich sie nicht richtig gehört. Doch ich hatte sie beim ersten Mal bereits sehr gut verstanden.

Die Frage war ganz einfach und lautete folgendermaßen: „Haben sie eigentlich auf alle Wut?“

Die Frage hat mich erschlagen, hat mich stumm gemacht. Ich konnte erst gar nichts sagen – mir liefen nur die Tränen. Ich war so enttäuscht, weil ich nicht auf alle Wut hatte. Ich fand das so schlimm, es tat so weh. Ich war also doch nicht so, wie ich gehofft hatte. Ich bin eine, die macht sogar noch Unterschiede bei denen, die ihr das antaten. Das ist doch nicht zu fassen. Ich kann das einfach nicht fassen. Ich habe nicht mehr geredet, ich habe nur noch geheult und wollte weg, nur weg, in mein Zimmer.

Das darf doch alles nicht wahr sein, ich hatte mich so gefreut, normal zu sein, wütend zu sein und nun? Ich bin wütend auf die Zuschauer, auf die, die danach noch kamen und auf Opa seinen fiesen stinkenden Freund.

Und die Anderen? Nichts? Es ist noch genauso, wie vorher. Es macht mich nur traurig und ich bin enttäuscht und es tut weh, aber ich bin nicht böse deswegen. Ich will aber böse sein deswegen, ich will aber wütend sein deswegen. Man muss doch wütend deswegen sein oder? So waren meine Gedanken.

In meinem Zimmer war ich so wütend auf mich und so enttäuscht von mir, dass ich sofort meine Rasierklingen suchte und mich richtig viel und tief geschnitten habe, um mich zu beruhigen und mich nicht vor lauter Enttäuschung umzubringen.

Ich habe mir eine Einkauftüte genommen, den rechten Arm darüber gehalten und mich geschnitten und geschnitten, richtig tiefe und lange Schnitte.

Das Blut lief und alles war voller Blut, der Boden der Tüte füllte sich und es war nicht genug für mich.

Es klopfte an meinem Zimmer und Herr Dr. S. kam. Er sagte: „Ich bin zu spät, hatte ich es mir doch denken können.“ Zuerst holte er aus dem Schwesternzimmer Verbandsmaterial, dann nahm er die Tüte und brachte sie weg und dann begann er mir den Arm mit Klammerpflaster zu behandeln. Es war mir so peinlich, das wollte ich nicht. Niemand sollte das viele Blut sehen. Niemand sollte meine „Schweinerei“ wegmachen, doch Herr Dr. S. schüttete das Blut ins Waschbecken, reinigte dann das Becken und entsorgte die Tüte. Nachdem mein Arm verbunden war und alles sauber war, beruhigte ich mich auch langsam. Wobei nun mein vordergründiges Problem war, dass ich mich schämte, weil Herr. Dr. S. die ganze Sauerei beseitigt hat, die ich angerichtet habe. Das war mir wirklich peinlich, denn es war noch nie jemand dazugekommen, wenn ich mich geschnitten habe.

Ich weiß nicht mehr, was an dem Tag noch passiert ist – ich weiß nichts mehr. Ich weiß nur noch, mein Kopf war nicht mehr klar und ich hatte Druck. Die Schmerzen in den Armen waren wieder da und das Schlimmste, ich habe mich so sehr geschämt. Ich wollte mit niemand mehr reden, niemand mehr sehen.

Diese Texte habe ich dann in meiner Verzweiflung geschrieben:

Missbrauch – selber schuld!?

Du warst mein liebster Opa,

Ich war dein liebstes Mäuschen.

Du hast gelächelt, als du mir weh tatest,

in mich eindrangst.

Du hast gesagt, es ist schön und gefällt dir,

ich habe geweint, es war nicht schön, sondern tat weh.

Als es vorbei war, nahmst du mich in die Arme und

beruhigtest mich – das war schön.

Es ist schön und dir gefällt es auch bald besser,

sagtest du mir. Ich sagte nichts.

Es passierte immer wieder.

Dass es mir nicht gefällt, sagte ich nie.

Es gefiel mir auch nie.

Doch ich schwieg.

Opa hat mich lieb und ich wollte nicht ungezogen sein.

Ich habe meinen Opa auch lieb, weil er mich tröstet und nie schimpft.

Und Opa weiß ja gar nicht, dass es mir nicht gefällt.

Er ist doch mein lieber Opa gewesen

Und ich bin selbst schuld, ich habe doch nie gesagt, es ist nicht schön.

Heute, wo ich groß bin, denke ich, ich bin schuld daran, was passierte.

Ich habe es zugelassen und verheimlicht, geschwiegen, so getan, als würde es gar nicht passieren.

Ich möchte wütend sein auf meinen Opa – bin es nicht.

Ich habe ihn noch lieb und fühle mich schuldig            

Und schäme mich, weil ich nicht wütend bin.

Normal ist man doch wütend? Oder????

30.10.2002 Tina

Meine kleine Prinzessin     

Es ist schön, eine Prinzessin zu sein.

Ich war Vatis kleine Prinzessin.

Er sagte, er hat mich lieber als Mutti.

Ich wollte das nicht, ich habe Mutti doch lieb.

Gesagt habe ich nichts, ich habe mich geschämt deswegen.

Ich wusste es ist nicht richtig, dass er mich lieber als Mutti hat.

Als es dann passierte, war es, weil er mich zu lieb hatte.

Er sagte, er kann doch nichts dafür, wenn er mich zu lieb hat.

Gesagt habe ich nichts, ich habe mich geschämt.

Es passierte immer wieder, jeden Tag.

Er sagte, es darf keiner wissen, dass er mich so lieb hat.

Er sagte, Mutti würde traurig werden und sich umbringen, wir kämen ins Heim

und er ins Gefängnis. Und das alles nur, weil er mich zu lieb hat.

Er kann doch nichts dafür – sagte er.

Gesagt habe ich nichts, ich habe mich geschämt.

Ich schäme mich heute noch,

ich habe ihn doch auch lieb gehabt, doch das wollte ich nicht.

Jeder normale Mensch müsste doch wütend sein! Ich bin es nicht, ich schäme mich dafür.