8. Die Party

Clays Haus lag nordöstlich des Sees, in einer altehrwürdigen Gegend mit Backsteinvillen. Die Hausfront war dunkel, aber auf eine nach hinten gelegene Veranda ergossen sich Licht und Musik.

Autos drängten sich zweireihig auf dem seitlichen Rasen. Roses hohe Absätze versanken im Dreck. Sie trug die Schuhe zum ersten Mal, lief aber sehr geschickt damit.

»Du siehst unglaublich aus«, sagte David zum vierten Mal.

Sie trug ihr Partykleid, das knöchellange, hautenge Schwarze mit seitlichem Schlitz und rot eingefasstem Halsausschnitt. Ihre Lippen waren blutrot, und die Haare fielen offen und sorgfältig in Wellen gelegt zu beiden Seiten ihres Gesichts herab.

»Wie nennt man diesen Stil noch mal?«

»Pin-up«, sagte Rose.

Arm in Arm gingen sie die Auffahrt entlang, David in seinem gestärkten gelben Hemd und in Ripped-Jeans. In Roses Augen war er noch schöner als sonst – knackiger, wie frisch aus der Verpackung. Sie fragte sich, ob es wohl männliche Gefährten gab und ob sie so aussahen wie David.

Kids mit Plastikbechern in der Hand lümmelten am abgedeckten Pool und auf der Betontreppe, die zur Rückseite des Hauses führte. Rose roch süßlichen Rauch, den die Datenbanken als Cannabis identifizierten, ohne nähere Erläuterung. Die beiden betraten das Haus, das zum Bersten mit Leuten gefüllt war.

Rose klammerte sich an Davids Hand, während sie im Zickzack durch das Partyvolk kreuzten. Die Luft war von Schweiß und Zigarettenrauch geschwängert. Die Musik dröhnte, schlug in Wellen über ihnen zusammen. Ein Mädchen stolperte rückwärts und verschüttete seinen Drink nur wenige Zentimeter von Rose entfernt. Ein mondgesichtiges Mädchen, das Clay ähnelte, lag schlafend auf der Couch, mit über den Rand herabhängendem Arm und offenem Mund.

»Sun!«, rief Clay aus der Küche. Er drängte sich zwischen einem knutschenden Paar hindurch, walzte auf sie zu und zog David in eine kräftige Umarmung. Er trug einen Pulli mit Krawatte um den geröteten Hals. Auf seiner Wange waren Lippenstiftspuren.

Verschwörerisch legte er David eine Hand auf die Schulter. »Bruder, wir haben hier ein paar College-Schlampen an Bord.«

David räusperte sich. »Du erinnerst dich bestimmt an Rose?«

Clays Blick wanderte zu ihr hinüber, und es dauerte einen Moment, bis er ihre Anwesenheit registriert hatte. »Verdammt, klar, tu ich. Hübschestes Mädchen in Westtown. Komm, trink ein Bier.« Er drückte ihr einen zerknitterten Plastikbecher in die Hand. »Halt ihn schön fest und pass auf, dass dir keiner was reintut. Unser David ist ein Gentleman, aber ich übernehm keine Garantie für die restlichen Pfeifen hier.«

Rose schaute David an.

»Hör nicht auf ihn«, sagte er.

»Recht hat er: Hör nicht auf mich. Ich bin stockbesoffen. Na dann, amüsiert euch gut, ihr zwei.«

Er klatschte David auf den Hintern und versuchte es auch bei Rose, aber sie wich ihm aus.

»Wenn du das tust, bist du deine Hand los«, sagte David. »Im Ernst!«

Clay lachte. »Unschlagbar!«

Sie verschwanden in der Menge. »Die Leute schauen sich nach dir um«, sagte David in Roses Ohr.

»Mache ich irgendwas falsch?«

»Nein. Es ist, weil du mit mir hier bist.«

Er lotste sie an den Rand des Raums, platzierte sie so gegen den Türrahmen, dass die restlichen Partygäste sie zusammen mit ihm sehen konnten, und beugte sich zu ihr.

»Macht Spaß, oder?«

Rose sah andere Paare in der gleichen Position – das Mädchen stand an die Wand gelehnt, der Junge legte den Arm um sie. Sie nahm eine lässige Haltung ein und ahmte die anderen lächelnd nach.

»Ja.«

Ein Mädchen in lavendelfarbenem Sweater legte David im Vorübergehen eine Hand auf den Bauch. »Hey, David. Wie läuft’s so bei dir?«

Er grüßte sie mit einem Kopfnicken.

»Wer war das?«

»Ich hab keine Ahnung.«

»Du kennst eine Menge Leute.«

»Eine Menge Leute kennen mich.« Er musterte sie. »Du siehst absolut heiß aus.«

In der Küche ging etwas zu Bruch.

»Okay, wer hat diesen Schlaumeier angeschleppt?«, rief Clay, gefolgt von einem Chor betrunkenen Gelächters.

Rose nahm die anderen Mädchen in Augenschein. Sie entdeckte ihre Unvollkommenheiten, die Unebenheiten ihrer Haut, die Asymmetrie ihrer Gesichter. Sie selbst war schöner, ganz sicher. Die anderen staksten wackelig auf ihren hohen Absätzen umher, hatten ihr Make-up ungeschickt aufgetragen und verhielten sich, das war das Schlimmste von allem, nachlässig gegenüber ihren Begleitern. Sie, Rose, war eine bessere Freundin. Sie spürte, wie Davids Arm ihre Taille fester umfasste, und lehnte sich gegen diesen Halt. Dann warf sie ihre Haare über die Schulter und richtete einen schmelzenden Blick auf David.

»Wärst du lieber mit jemand anderem hier?«

»Keine Chance.«

Er küsste sie flüchtig auf den Hals und sandte damit einen vibrierenden Impuls durch die Dioden an ihrer linken Körperseite. Ihre Hautsensoren erwachten zum Leben, durch die neue Berührung aktiviert. Heute Abend, dachte sie.

»Ich hol mir mal ein Bier.«

Eine Welle der Enttäuschung überrollte Rose. »Oh. Okay.«

»Ich bin sofort zurück, versprochen.«

»Okay.«

Mit seinem Blick hielt er sie fest, während er sich nach hinten entfernte. Er ließ sie mit kribbelndem Körper am Türrahmen zurück, und ihre Sicherungssperren sprangen auf wie Knöpfe, eine nach der anderen.

***

Das Bierfässchen stand in der Küche.

Drei Mädels saßen mit überkreuzten Füßen entlang der Arbeitsplatte aufgereiht. Sie waren groß, dünn und blond. Lacrosse-Spielerinnen. Diejenige, die dem Fässchen am nächsten war, trug Pumps mit Lederriemen, die sich bis zur halben Höhe der Wade hochwanden. Sie lächelte David an. »Hey, erinnerst du dich noch an mich?«

Er drückte auf den Zapfhahn, und das Bier schäumte in seinen Becher.

»Ja«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Der Name fängt mit V an, richtig? Irgendwas Komisches?«

»Vonis.«

»Genau, Vonis.«

»Dann erinnerst du dich also tatsächlich an mich.«

David nippte am Schaum. »Ja, sag ich doch.«

Er machte Anstalten zu gehen, aber sie streckte ein Bein vor und versperrte ihm den Weg. Ihre Wade glänzte vor Schweiß.

»Dann unterhalt dich ein bisschen mit mir. Wer ist die Rothaarige, mit der du gekommen bist? Die ist echt schnuckelig.«

»Meine Freundin.«

»Ich dachte, du stehst auf Blondinen.«

»Ich bemühe mich, in alle Richtungen offen zu sein.«

»Freut mich zu hören.« Sie trank etwas Rotes aus einem durchsichtigen Plastikbecher. Ihr Atem roch nach Wodka.

»Lässt du mich vorbei?«

»Vielleicht.« Sie biss sich auf die Lippen. Davids Blick fiel auf ihren Mund. Er glänzte von Lipgloss. »Vielleicht möchtest du mich ja später treffen?«

Er nahm einen langen, gemächlichen Schluck. »Ich bin mit jemandem hier, schon vergessen?«

»Seit wann verlässt David Sun eine Party mit dem Mädel, mit dem er hergekommen ist?«

»Man verändert sich.«

Vonis glitt von der Arbeitsplatte. Sie war fast so groß wie David. Er spürte, wie sich ihr Arm um seine Hüften schlängelte.

»Bullshit«, flüsterte sie. Wodka und Moosbeere. Aus Davids Hemdkragen wallte Hitze. Er hatte das Gefühl, zu glühen. Ihr Körper fühlte sich gut an, schlank und fest. Sie legte seine Hand auf ihre Taille und lächelte. Ihr Blick war offen und vielversprechend.

»Hör zu, wir kennen uns nicht mal«, sagte er.

Ihr Körper, gerade noch eine einzige, langsam fließende Bewegung, erstarrte. »Was hast du eben gesagt?«

Davids Herzschlag setzte kurz aus. »Nichts.«

»Meinst du das etwa ernst?« Sie zog ihren Arm zurück. »Hast du gerade gesagt: ›Wir kennen uns nicht mal‹? Wo leben wir, in den Fünfzigern?« Sie lachte, ein kalter Klang. Wie knirschendes Eis.

David kippte sein restliches Bier in einem Zug hinunter und warf den Becher weg. »Verpiss dich, du Schlampe.«

»Verdammter Loser«, fauchte sie. Die anderen wurden aufmerksam.

David bahnte sich einen Weg aus der Küche und rammte einen Neuntklässler mit dem Ellbogen gegen die Wand.

»Schwuchtel!«, rief sie.

Er drehte sich nicht um.

»Wo ist denn dein Bier?«, fragte Rose.

Er packte sie am Arm, zog sie an sich und küsste sie. Sie schmolz dahin. Ihr Mund stand in Flammen.

»Lass uns nach oben gehen.«

»Okay«, flüsterte sie.

Der Flur im Obergeschoss war fast leer. Ein Mädchen saß auf der obersten Treppenstufe und weinte in sein Handy. Ein Typ mit Lederjacke schob seine Hand unter das sich bauschende weiße Kleid seiner Partnerin. David stieß die nächstgelegene Tür auf und zog Rose hinter sich her.

Es war ein Schlafzimmer, das von Clays Schwester, mit Baldachinbett und einem von Kleidungsstücken übersäten Boden. David schloss die Tür ab. Er drängte Rose gegen die Wand und küsste sie auf den Hals. Rose kratzte ihn, zerrte mit den Händen an seinem Hemd. Sie roch sauber, frisch, ihre Haut war heiß und trocken. David wurde schwindelig. Sein Gesicht prickelte.

»Oh, bitte«, stöhnte sie.

Sie drückte sich an ihn, fuhr ihm mit den Händen den Rücken hinauf. Ihre Lippen berührten sich. Davids Knie gaben nach.

»Geht’s dir gut?«

»Himmel, ja. Mach das noch mal.«

Sie wiederholte es. Diesmal teilten sich seine Lippen. Sie öffnete ihren Mund an seinem, ließ ihre Zungen aufeinandertreffen und einen blauen Funken erzeugen. David zog sich zurück, aber nicht ganz. Es fühlte sich an wie das Ablecken einer Batterie – eine beliebte Mutprobe in der Grundschule. Er schloss die Augen und küsste Rose erneut, ein echter Zungenkuss. Ihre weichen Lippen kamen ihm entgegen. Ihr Gesicht leuchtete. Es leuchtete im Dunkeln. Sein Gesicht ebenso. Ihre Wangen schienen durchsichtig wie bei Kindern, die sich eine Taschenlampe in den Mund halten.

»Himmelherrgott.« Er wischte Speichel von seinem Kinn. Seine Lippen waren taub.

»Hör nicht auf!«

»Es geht nicht.«

»Nein«, stöhnte sie in sein Hemd.

»Du bist noch nicht so weit. Ich kriege Stromstöße von dir.«

»Aber ich fühle mich, als wäre ich so weit.«

Sein Sack tat weh. Er rückte ihn zurecht.

»Tut es da unten weh?«

Er biss die Zähne zusammen. »Ja, genau. Es tut scheußlich weh, Süße.«

Rose gurrte. »Ach, Süßer, das tut mir so leid.«

»Es ist wie ein Schraubstock, verstehst du?«

»Aber was sollen wir denn tun?«

David überlegte. »Wie wär’s mit einer Strip-Show?«

»Einer was?«

Er legte sich rücklings aufs Bett. »Keine Berührungen. Nur … du allein. Ziehst dich aus. Weißt du noch, in diesem alten Film, den wir uns angeschaut haben, True Lies? Die eine Szene?«

Rose zupfte an ihrem Schulterträger. »Ahh, okay. Ich denke, das kann ich machen. Wir haben allerdings keine Musik.«

David schaltete den Radiowecker ein. Er drehte am Stellrädchen, bis er einen Jazzsender gefunden hatte. »Das ist gut.«

Leise, klagende Saxofonklänge tröpfelten aus den Lautsprechern. Rose drehte auf dem Absatz um und begann sich zu der Melodie zu bewegen.

»Ist das gut so?«

»Perfekt.«

Sie lehnte sich an den Bettpfosten und ließ sich langsam nach unten rutschen, wie Jamie Lee Curtis. »So?«

David drehte beinahe durch. Er schluckte die Trockenheit in seinem Hals weg. »Mhm-mhhhm.«

Sie rückte dicht an ihn heran, riskierte, dass sich ihre Körper berührten, ließ einen Atemhauch Abstand zwischen ihnen. Der seidige Stoff ihres Kleids raschelte und fiel herab wie ein schwarzer Vorhang.

»Du bist perfekt.«

»Nein, du.«

Lächelnd genoss sie die Wirkung, die sie auf ihn ausübte. Sie öffnete ihren BH und warf ihn aufs Bett. David sah aus, als würde er jeden Moment explodieren.

»Warum ist dir das nicht schon früher eingefallen?«, fragte sie kichernd.

»Hör nicht auf!«

Sie lachte wieder. »Okay, okay.«

Sie wand sich aus ihrem Tangaslip. Sie fühlte sich zerbrechlich, spürte die kühle Luft am ganzen Körper. Beschämend, meldete ihr Hirn, aber sie ignorierte es. Vor jedem anderen nackt zu stehen, war beschämend. Aber nicht vor ihm.

»Was denkst du?«

David starrte mit offenem Mund. Er kniff die Augen zusammen, schüttelte dann den Kopf.

Rose blinzelte. »Was ist los?«

Er beugte sich zur Seite und machte die Nachttischlampe an. In der plötzlichen Helligkeit hielt sich Rose die Hände vor den Körper.

»Lass mich sehen«, sagte er drängend.

Sie bewegte die Hände. David starrte, und sein Blick verfinsterte sich.

»Meinst du das ernst

»W-was?«

»Wieso hast du mir davon nichts gesagt?« Er stand auf und marschierte durch den Raum. »Und das in all der Zeit!« Er war empört, warf wilde Blicke. »Ich meine, verdammt noch mal, Rose!«

Sie sank auf dem Bett in sich zusammen. »Ich verstehe nicht.«

»Was sollte dann das Ganze? Dieses ganze affektierte Getue! Dieses ganze Getue von wegen ›wir zwei‹! Ist das ein idiotischer Witz?«

»Ich verstehe wirklich nicht, was du meinst.« Sie war den Tränen nahe. »Bitte sag es mir doch.«

»Reden wir vielleicht davon, dass man nicht bekommen hat, was man wollte!« Er stürmte zur Tür.

Rose griff hastig nach ihrem Kleid und hielt es vor sich.

»Was stimmt denn nicht mit mir?«

Er wirbelte zu ihr herum. »Als ob du das nicht wüsstest.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Du bist unvollständig, Rose. Du bist eine Barbie.«

»Ich …«

Er riss die Tür auf und warf einen letzten wütenden Blick über die Schulter.

»Was für eine Zeitverschwendung«, sagte er und verschwand.

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