11
»Wo zum Teufel sind Sie gewesen?«
Ich wandte mich erstaunt um. Es war Ray, dessen zerschundenes Gesicht etwa fünfzehn Zentimeter von meinem entfernt war. Er hatte das Pflaster von seiner Nase entfernt, aber es sah immer noch so aus, als stecke in seinen Nasenlöchern Watte. Seine Haut roch medizinisch, der gleiche Duft, der in einer Notaufnahme vorherrscht, eine Zusammensetzung aus gleichen Teilen Alkohol, Verbandsmaterial und chirurgischem Nähzeug. Er hielt mich immer noch mit seiner verletzten Hand umklammert, wobei seine geschienten Finger steif abstanden.
»Wo ich gewesen bin? Wo sind Sie gewesen?« Unsere Stimmen hallten im Treppenhaus wider wie das Kreischen einer Vogelschar. Wir blickten beide nach oben und senkten unsere Lautstärke auf heiseres Flüstern. Ray drängte mich in die Nische, den der letzte Treppenabsatz dort bildete, wo die Stufen an der Wand endeten.
»Herrgott, diese Typen sind hinter Ihnen her«, zischte er. »Irgend so ein Heini mit einem Walkie-talkie hat mich massiv ins Verhör genommen. Ich warte am Haustelefon, und er fragt mich, ob ich etwas dagegen hätte, >kurz ins Büro zu kommen<. Was hätte ich denn machen sollen? Er weiß, wer Sie sind, und er will wissen, was Sie hier tun.«
»Weshalb hat er Sie gefragt?«
»Er hat sich umgehört. Die Kellnerin muß ihm gesagt haben, daß sie uns zusammen gesehen hat. Es war nicht schwer, mich ausfindig zu machen. Mit einer solchen Visage? Ich habe ihm gesagt, daß Sie Privatdetektivin seien und verdeckt an einem Fall arbeiten, über den ich nicht sprechen dürfte.«
»Für wen hat er Sie denn gehalten, für einen Polizisten?«
»Ich habe ihm erzählt, daß ich im Zuge eines Zeugenschutzprogramms in einen anderen Bundesstaat gebracht werden solle. Ich mußte es so darstellen, als wäre alles streng geheim und ginge um Leben und Tod.«
»Das können sie Ihnen nicht abgenommen haben. Wie haben Sie sich losgeeist?«
»Es ist ihnen scheißegal, wer ich bin. Sie wollen mich nur loswerden. Ich habe gesagt, ich würde in mein Zimmer hinauffahren und meine Sachen holen. Dann haben sie mich zum Aufzug begleitet, und sowie sie mich allein ließen, habe ich mich umgedreht und bin wieder nach unten gefahren. Ist das der Matchsack? Geben Sie her.«
Ich riß ihn aus seiner Reichweite. »Hören Sie mal, Sie Komiker. Schwören Sie auf einen Stapel Bibeln, daß Sie mir die Wahrheit gesagt haben? Suchen wir wirklich nach Bargeld und nicht nach Drogen oder Diamanten oder gestohlenen Dokumenten, hm?«
»Es ist Geld. Ich schwöre es. Sie haben es nicht gefunden?«
»Ich habe überhaupt nichts gefunden. Um wieviel geht es eigentlich?«
»Achttausend Dollar, mittlerweile vielleicht ein bißchen weniger.«
»Das ist alles?«
»Kommen Sie. Das ist eine Menge, wenn man keinen Cent hat, so wie ich.«
»Irgendwie hatte ich den Eindruck, daß es mehr sei«, sagte ich.
Unsere Stimmen hatten wieder zu hallen begonnen. Er legte sich einen Finger auf die Lippen.
»Woher stammt denn das Geld?« flüsterte ich heiser.
»Das sage ich Ihnen später. Sehen wir erst mal zu, daß wir einen Weg hier herausfinden.«
»Unter diesem Flur verläuft ein Betriebskorridor, aber er ist von hier aus nicht zugänglich«, erklärte ich.
»Wie wär’s mit dem Stockwerk darüber?«
»Das wird nicht gehen.« Er begann die Stufen hinaufzusteigen, aber ich packte ihn am Arm. »Moment mal. Immer mit der Ruhe. Wir brauchen einen Plan.«
»Wir brauchen das Geld«, korrigierte er mich, »bevor uns das Wachpersonal wieder auf den Fersen ist. Vielleicht hat diese Huckaby das Geld ja bei der Geschäftsleitung deponiert.«
»Das kann nicht sein. Ich stand mit ihr in der Schlange, als sie sich hier eingetragen hat. Sie hat keine Wertsachen deponiert. Das hätte ich gesehen.«
»Wo ist es dann? Sie wird das Geld nicht aus den Augen lassen. Wenn wir herausfinden, wo sie es hat, können Sie es sich schnappen und abhauen.«
»Oh, ich kann das? Das ist ja reizend. Und was ist mit Ihnen?«
»Ich habe bildlich gesprochen«, meinte er.
»Jedenfalls ist das Geld nicht in ihrem Zimmer, denn das habe ich durchsucht.«
»Dann muß sie es bei sich haben.«
»Hat sie nicht. Das habe ich Ihnen doch gesagt. Ah!« Ich vernahm das Geräusch, das ein Einfall auslöst, wenn das Gehirn zündet, eine winzige Implosion, wie eine spontane Selbstentzündung an der Schädelbasis. »Moment mal. Ich hab’s. Ich glaube, ich weiß, wo es ist.«
Ich klopfte an Laura Huckabys Tür. Eine Weile geschah gar nichts. Vermutlich blickte sie durch den Spion, um zu sehen, wer es war. Ray stand links von der Tür an der Wand und trug einen gequälten Gesichtsausdruck zur Schau. »Ich weiß, woher Gilbert das Datum meiner Haftentlassung kannte«, sagte er tonlos. »Ich wollte es Ihnen eigentlich nur im Notfall sagen.«
»Still«, sagte ich ganz leise. Ich hatte keine Ahnung, wo sein Problem lag — vom Offensichtlichen abgesehen. Er hatte sich auffällig heftig dagegengestemmt, mit mir hier heraufzukommen, und alle möglichen Gründe dafür angeführt, daß ich es allein tun sollte. Ich war unerbittlich gewesen. Zum einen konnten wir ja, wenn wir erwischt wurden, so tun, als gingen wir gerade. Und zum anderen wollte ich jetzt, da Chester erbost war, nicht die alleinige Verantwortung auf mich nehmen. Wie zuvor öffnete Laura die Tür einen Spalt breit und ließ die Kette vorgelegt.
Ich hielt ihr den Matchsack entgegen. »Hi, ich bin’s. Ich bin gerade nicht im Dienst. Ich habe das hier in der Hotelhalle gefunden.«
»Ist das meiner?«
»Ich glaube schon. Lag er nicht gestern abend in Ihrem Wandschrank?«
»Wie ist er denn von dort verschwunden?«
»Keine Ahnung. Ich habe ihn im Vorübergehen gesehen und dachte, ich klopfe mal bei Ihnen«, sagte ich. »Es ist doch Ihrer, oder nicht?«
Sie musterte ihn rasch. »Einen Moment bitte. Ich sehe mal nach.« Sie ließ die Tür offenstehen, nach wie vor durch die Kette gesichert, während sie in die Ankleideecke ging und den Schrank aufmachte. Ray und ich wechselten einen Blick. Ich wußte, daß sie ihren Matchsack nicht finden würde, wartete aber pflichtbewußt und spielte die Farce bis zum Ende mit. Mit verblüffter Miene kam sie wieder an die Tür. »Es muß wohl meiner sein.« Es war offensichtlich, daß sie mir kein Vertrauen schenken wollte, aber was blieb ihr schon anderes übrig? Aus ihrer Sicht war sie zum Opfer unerklärlicher Ereignisse geworden. Ein verschwundener Schlüssel, ein fehlendes Päckchen und jetzt der wandernde Matchsack.
»Ich kann ihn hier draußen abstellen. Soll ich das tun?«
»Nein, ist schon in Ordnung.« Sie schloß die Tür und ließ die Kette aus der Schiene gleiten. Dann öffnete sie die Tür exakt so weit, daß der Matchsack hindurchpaßte, und streckte die Hand aus, als wolle sie ihn mir abnehmen. Ich legte eine Hand um die Türkante und hinderte sie so daran, die Tür zu schließen.
Die Geste schien sie zu überrumpeln, und sie sagte gereizt: »He!«
Ich hoffte, daß mein Lächeln beruhigend wirkte. »Darf ich hereinkommen? Wir müssen uns unterhalten.« Ich drückte die Tür auf.
»Verschwinden Sie«, sagte sie und drückte dagegen.
Wir kämpften um die Tür, aber inzwischen hatte sich Ray eingeschaltet, und sie gab nach wortlosem Ringen auf. Langsam wurde ihr klar, daß etwas ganz massiv im argen lag.
»Mein Name ist Kinsey Millhone«, sagte ich, als wir das Zimmer betraten. »Und das ist mein Freund Ray.«
Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete Rays verletztes und geschwollenes Gesicht. »Was soll das?«
»Wir haben eine Besprechung über das Geld einberufen«, sagte ich nur. »Nur zwischen Ihnen, mir und ihm.«
Sie wirbelte herum und eilte hastig auf den Nachttisch zu, wo sie den Telefonhörer packte. Ray fing sie ab und drückte auf die Gabel, bevor sie »0« wählen konnte.
»Immer mit der Ruhe. Wir wollen nur mit Ihnen reden«, sagte er. Er nahm ihr den Hörer aus der Hand und legte ihn auf den Apparat zurück.
»Wer sind Sie? Was soll das Ganze; wollen Sie mich erpressen?«
»Ganz und gar nicht«, sagte ich. »Wir sind Ihnen von Kalifornien aus gefolgt. Ihr Freund Gilbert hat Geld gestohlen, und Ray möchte es gern zurückhaben.«
Ihr Blick heftete sich zuerst auf mich und wechselte dann ruckartig zu ihm, während sie zu begreifen begann. »Sie sind Ray Rawson.«
»Genau.«
Sie ließ eine Hand nach oben schnellen, als wollte sie ihn ins Gesicht schlagen. Ray hielt sie in der Bewegung auf und bekam den Schlag auf den Arm. Mit seiner heilen Hand packte er sie am Handgelenk. »Laß das«, sagte er.
»Nimm deine dreckigen Pfoten von mir.«
»Gib uns einfach das Geld, dann lassen wir dich in Ruhe.«
»Es gehört nicht dir. Es gehört Gilbert.«
Ray schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Die Kohle gehört mir und einem Mann namens Johnny Lee. Johnny ist vor vier Monaten gestorben, also gebe ich seinen Anteil an seinen Sohn und seinen Enkel weiter. Gilbert hat versucht, uns übers Ohr zu hauen.«
»Du verdammter Scheißkerl! Das stimmt nicht! Das Geld gehört ihm, und das weißt du ganz genau. Du bist derjenige, der gesungen hat. Sein Bruder ist deinetwegen ums Leben gekommen.«
»Das ist doch Schwachsinn. Hat er das behauptet?«
»Ähm — ja. Er hat mir gesagt, es sei irgendein Trick gewesen und daß das Ganze abgekartet war. Du hast den Bullen einen Tip gegeben, und Donnie ist bei der Schießerei getötet worden«, sagte sie.
»Moment mal, Leute. Was wird hier eigentlich gespielt?« sagte ich.
Ray gab sich ungerührt und ignorierte mich vollkommen, während er sich auf sie konzentrierte. »Er hat dich angelogen. Das mußte er wahrscheinlich tun, damit du mitmachst, stimmt’s? Denn wenn du die Wahrheit wüßtest, würdest du ihm nicht helfen. Hoffe ich.«
»Du Arschloch. Er hat mir schon gesagt, daß du genau das versuchen würdest: die Wahrheit so lange verdrehen, bis sie dir in den Kram paßt.«
»Du willst die Wahrheit wissen? Ich sage sie dir. Möchtest du hören, was passiert ist?«
Sie hielt sich die Ohren zu, als wolle sie ihn aussperren. »Das brauche ich mir nicht anzuhören. Gilbert hat mir gesagt, was passiert ist.«
Ich hob die Hand. »Würde mir bitte mal einer von euch erklären, worum es hier geht? Kennt ihr euch?«
»Nicht direkt«, sagte Ray. Er wandte sich um, um sie anzusehen, und die Blicke der beiden verhakten sich ineinander. Rays Blick wanderte wieder zu mir. »Sie ist meine Tochter. Ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen.«
Sie stürzte sich auf ihn und hämmerte mit den Fäusten auf seine Brust. »Du bist ein solches Dreckschwein«, schrie sie und brach unvermittelt in Tränen aus.
Ich sah vom einen zum anderen. Zwar stand ich nicht mit offenem Mund da, aber es fühlte sich so an.
Ray nahm sie in die Arme. »Ich weiß, Baby, ich weiß«, murmelte er und tätschelte sie. »Ich habe ein so schlechtes Gewissen wegen alledem.«
Es dauerte vermutlich weitere fünf oder sechs Minuten, bis Lauras Tränen versiegten. Ihr Gesicht war an seine Schulter gepreßt, wobei ihr gewölbter Bauch die Umarmung linkisch aussehen ließ. Ray hatte seine zerschlagene Wange auf ihr wirres Haar gebettet, das sich mittlerweile zum größten Teil gelöst hatte und in dunklen, kastanienbraunen Klumpen herabhing. Ray quoll angesichts ihrer geräuschvollen Unglücksäußerung, die sie mit einem kindlichen Mangel an Zurückhaltung auszudrücken verstand, beinahe über vor Zerknirschtheit. Keiner von beiden war an den körperlichen Kontakt gewöhnt, und ich hatte den Verdacht, daß die vorübergehende Verbindung keineswegs eine Lösung bedeutete. Wenn ihre Entfremdung ein Leben lang gedauert hatte, bedurfte es mehr als eines Bilderbuch-Moments, um alles in Ordnung zu bringen. Unterdessen verdrängte ich jeglichen Gedanken an meine Cousine Tasha und meine Entfremdung von meiner Großmutter.
Ich ging ans Lenster und sah auf den kahlen Streifen texani-scher Landschaft hinaus. Ich fühlte mich genauso trocken. Ebenso wie in Kalifornien war auch hier die großzügige Verwendung importierten Wassers das einzige Mittel, durch das der Wüste Land abgerungen werden konnte. Wenigstens verstand ich jetzt, warum er nicht mit nach oben kommen wollte. Er muß den Moment gefürchtet haben, in dem sie sich gegenüberstehen würden, vor allem, nachdem er begriffen hatte, wie Gilbert Hays sie benutzt hatte. Warum müssen die rührendsten Momente im Leben so oft auch die deprimierendsten sein?
Hinter mir schien das Weinen langsam nachzulassen. Sie sprachen im Murmelton miteinander, und ich hörte höflich weg. Als ich mich wieder umwandte, saßen die beiden Seite an Seite auf einem der Doppelbetten. Lauras Tränen hatten sich in Streifen durch die vielen Schichten Make-up gegraben und alte Blutergüsse zum Vorschein gebracht. Es war eindeutig, daß sie erst kürzlich ein blaues Auge gehabt hatte. Ihr Kiefer war in einem Mattgrün gefärbt, das zu den Rändern hin gelb wurde, Farben, die sich in den frischeren Verletzungen im Gesicht ihres Vaters wiederholten. Seltsamer Gedanke, daß derselbe Mann sie beide geschlagen hatte. Er musterte ihr Gesicht, und das verfehlte seine Wirkung nicht. »Hat er dir das angetan? Denn wenn er es war, dann bringe ich ihn um, das schwöre ich bei Gott.«
»Es war nicht so«, sagte sie.
»Es war nicht so. Schwachsinn.«
Ihre Augen flossen erneut über. Ich ging in die Ankleideecke und holte ein paar Papiertaschentücher. Als ich zum Bett zurückkam, nahm mir Ray den Packen ab und reichte ihr die Tücher. Sie schneuzte sich und sah mich dann vorwurfsvoll an. »Sie sind gar nicht das Zimmermädchen«, sagte sie zornig. »Sie haben nicht einmal die Betten richtig gemacht.«
»Ich bin Privatdetektivin.«
»Ich wußte doch, daß einem in diesem Hotel nicht das Bett aufgedeckt wird. Ich hätte mich auf meinen Instinkt verlassen sollen.«
»Wie wahr«, sagte ich. Ich setzte mich auf das andere Bett. »Würde mich jetzt bitte einer von euch aufklären?«
Ray wandte sich mit einem erwartungsvollen Blick zu mir. »Moment mal. Was ist mit der Abmachung?«
»Die Abmachung?«
»Ich weiß nicht, wo das Geld ist. Ich dachte, es wäre irgendwo hier oben.«
»Ah, das Geld. Warum fragen Sie nicht sie?«
»Mich? Ich habe es nicht. Wovon reden Sie überhaupt?«
»O doch, Sie haben es.« Ich streckte die Hand nach Lauras Bauch aus und klopfte gegen die Wölbung. Das dumpfe Geräusch war nicht ganz das, was man von warmem, mütterlichem Fleisch erwarten würde. Aufgebracht schlug sie meine Hand weg. »Lassen Sie das!«
Ray riß die Augen auf. »Es ist in ihrem Bauch? Sie meinen, in den Hintern geschoben?«
»Nicht ganz. Der Bauch ist nicht echt.«
»Woher wissen Sie das?«
»Sie hat Tampons im Matchsack. Wenn sie schwanger wäre, bräuchte sie die nicht. Frauensache«, antwortete ich.
»Ich bin schwanger. Was bilden Sie sich eigentlich ein? Das Baby kommt im Januar. Am sechzehnten, genauer gesagt.«
»Wenn dem so ist, dann ziehen Sie doch bitte Ihr Kleid hoch, damit wir es strampeln sehen können.«
»Das muß ich nicht tun. Ich finde es unerhört, daß Sie so etwas verlangen.«
»Ray, ich sage Ihnen, sie hat das Geld in einer Art Gurt. So hat sie es auch ins Flugzeug gebracht, ohne daß es beim Sicherheitscheck auffiel. Bei achttausend in einem Matchsack hätten sie womöglich zu viele Fragen gestellt.«
»Das ist ja albern. Es gibt kein Gesetz, das es verbietet, Bargeld in einen anderen Bundesstaat zu transportieren.«
»O doch, wenn das Geld gestohlen ist«, sagte ich in meinem gekonntesten Gouvernanten-pfui-bäh-Tonfall. Ehrlich, wir beide waren wie Schwestern, wir zankten uns wegen allem.
»Kommt schon, Ladies. Bitte.«
Ich ballte die Hand zur Faust. »Soll ich sie in den Bauch boxen? Das wäre ein guter Test.«
»Herrgott noch mal! Das geht Sie nichts an.«
»O doch. Chester hat mich engagiert, damit ich das Geld finde, und genau das habe ich getan.«
»Ich — habe — das — Geld — nicht«, sagte sie überdeutlich.
Ich zog meine Faust wieder ein.
»Okay! Verdammt noch mal. Es ist in einer Leinenweste, die man vorne aufschnallt. Ich hoffe, jetzt sind Sie zufrieden.«
Ich genoß ihre Pikiertheit. Als ob ich diejenige gewesen wäre, die sie angelogen hatte. »Na, das ist ja toll. Dann lassen Sie mal sehen. Ich bin neugierig, wie es aussieht.«
»Ray, würdest du ihr sagen, daß sie die Finger von mir lassen soll?«
Ray sah mich an. »Lassen Sie es. Das ist doch unsinnig. Ich dachte, Sie hätten gesagt, daß Sie die Geschichte hören wollten.«
»Das will ich auch.«
»Dann Schluß mit dem Quatsch und weiter im Text.« Er sah wieder seine Tochter an. »Du fängst an. Ich möchte Gilberts Version hören. Er sagt was — daß ich die anderen verraten hätte?«
»Ich muß mir erst das Gesicht waschen. Ich fühle mich gräßlich«, sagte sie. Ihre Nase war rot und die Augen von ihrem Gefühlsausbruch geschwollen. Sie stand auf und ging in die Ankleideecke, wo sie Wasser ins Waschbecken laufen ließ.
»Ihre Tochter? Das hätten Sie mir aber sagen können«, meinte ich.
Ray wich meinem Blick aus wie ein Hund, der auf dem guten Teppich das Bein gehoben hat.
Als Laura zurückkam, ließ er sie auf dem Bett Platz nehmen, während er sich den Schreibtischstuhl nahm und ihn näher heranzog. Ihr Teint, der nun frei von Make-up war, wies all die fleckigen Unregelmäßigkeiten auf, die zu erwarten gewesen waren. Sie warf mit zweifelnder Miene einen Blick auf Ray. Dann nahm sie ein Papiertaschentuch und wickelte es sich um den Zeigefinger. Nun, da sie im Mittelpunkt des Geschehens stand, gab sie sich seltsam zögerlich. »Gilbert sagt, daß 1941 ein Bankraub stattgefunden hat.«
»Das stimmt.«
Ich warf ihm einen raschen Blick zu. »Das stimmt?«
»Ihr wart insgesamt zu fünft. Du, Gilbert, sein Bruder Donnie, der Typ, den du erwähnt hast...«
»Johnny Lee«, ergänzte Ray.
»Genau. Der und ein Mann namens McDermid.«
»Eigentlich waren wir zu sechst. Zwei McDermids, Frank und Darrell«, verbesserte Ray.
Sie zuckte die Achseln und nahm die Korrektur zur Kenntnis, die ihre Auffassung des Ereignisses offenbar nicht beeinflußte. »Gilbert behauptet, daß du den Bullen einen Tip gegeben hättest und sie mitten während des Einbruchs aufgetaucht seien. Es kam zu einer Schießerei, und sein Bruder Donnie kam ums Leben. Genau wie McDermid und ein Polizist. Das Geld verschwand, aber Gilbert war überzeugt davon, daß du und Johnny wüßtet, wo es versteckt war. Johnny saß zwei Jahre im Gefängnis, und als er herauskam, ist er untergetaucht. Gilbert konnte ihn nicht aufspüren, also hat er gewartet, bis du rausgekommen bist, ist dir gefolgt, und siehe da, da war das Geld. Gilbert hat sich nur seinen Anteil genommen. Tja, und vermutlich auch den Anteil seines Bruders. Er findet, daß du und Johnny jahrelang den Nutzen davon hattet und ihm nun rechtmäßig der Rest zusteht.«
»Könnte ich bitte etwas klären?« sagte ich zu Laura.
»Sicher.«
»Ich nehme an, es war Ihre Mutter, die Ihnen gesagt hat, wann Ray aus dem Gefängnis entlassen würde?«
Sie nickte. »Sie hat es mir anvertraut. Gilbert hatte mir bereits erzählt, was passiert war, und ich war wütend. Ich meine, es war schon schlimm genug, daß mein Vater sein ganzes Leben im Gefängnis war, aber auch noch zu erfahren, daß er alle seine Freunde verraten hatte? Das war das Mieseste vom Miesen.«
»Baby, ich muß dir etwas sagen. Ich weiß nicht, was du für eine Beziehung zu Gilbert hast, aber bist du eigentlich nicht auf die Idee gekommen, daß er sich dir nur genähert hat, um an mich heranzukommen?«
»Nein. Ganz und gar nicht. Das kannst du nicht wissen«, sagte sie.
»Sieh dir mal die Fakten an. Ich meine, es liegt doch auf der Hand«, meinte er. »Hat er nicht von Anfang an nach mir gefragt? Vielleicht nicht namentlich, aber eben nach der familiären Situation, bla bla bla, nach deinem Vater und deinem Stiefvater und dergleichen?«
»Und wenn schon? Jeder fragt zu Anfang solche Dinge.«
»Tja, kommt dir das nicht seltsam vor? Da stellt sich >ganz zufällig< heraus, daß wir beide vor gut vierzig Jahren zusammen ein Ding gedreht haben?«
»Eigentlich nicht. Gilbert kannte Paul von der Arbeit... das ist mein Stiefvater«, sagte sie beiseite zu mir. »Ich nehme an, daß Paul irgendwann den Namen Rawson erwähnt hat.«
»O ja, bestimmt«, sagte Ray bissig. »Als ob dein Stiefvater herumsäße und mit seinen Arbeitskollegen über mich palavern würde.«
»Was macht es schon?« sagte Laura. »Irgendwie kam es eben zur Sprache. Vielleicht war es Karma.«
Rays Miene war ungeduldig — er nahm ihr das nicht eine Minute lang ab — , machte aber eine Drehbewegung mit der Hand, die bedeutete: »Weiter mit der Geschichte.«
»Ich spreche nicht weiter, wenn du dich so benimmst, Ray«, sagte sie geziert. »Du hast mich nach meiner Sicht gefragt, und davon versuche ich dir zu erzählen, okay?«
»Okay. Du hast recht. Es tut mir leid. Aber laß mich folgendes fragen...«
»Ich behaupte nicht, sämtliche Einzelheiten zu kennen«, warf sie ein.
»Das ist mir klar. Ich frage ja nur nach der Logik. Hör mal, wie kommt es denn nach Gilberts Weisheit — falls er die Wahrheit sagt — dazu, daß ich vierzig Jahre im Gefängnis verbracht habe? Wenn ich gesungen hätte, hätte ich einen Handel vereinbart. Ich wäre keinen einzigen Tag gesessen. Oder ich hätte meine Beteiligung herabgespielt und wäre ins Bezirksgefängnis gegangen, nur damit es gut aussieht.«
Laura schwieg, und ich sah ihr an, daß sie darum rang, eine Erklärung zu liefern, die sinnvoll war. »Das weiß ich auch nicht. Dazu hat er sich nie geäußert.«
»Tja, denk mal drüber nach.«
»Ich weiß, daß Gilbert nicht lange in Haft war«, sagte sie zögerlich.
»Ja, aber er war auch erst siebzehn. Er war noch Jugendlicher, und das war seine erste Straftat. Johnny war immer der Überzeugung, daß es der jüngere McDermid war, Darrell. Frank war viel zu aufrichtig. Darrell war derjenige, der vor Gericht gegen uns ausgesagt hat und schließlich weniger als ein Jahr absitzen mußte. Willst du wissen, warum? Weil er uns ans Messer geliefert hat und sie ihm im Ausgleich dafür ein geringfügigeres Strafmaß zugestanden haben. Gilbert will mir die Schuld in die Schuhe schieben, weil der kleine Scheißkerl gierig ist und eine Rechtfertigung dafür haben möchte, daß er sich die ganze Beute allein unter den Nagel reißt. Übrigens, du hast es nicht erwähnt, seid ihr beiden verheiratet?«
»Wir leben zusammen.«
»Ihr lebt zusammen. Das ist ja reizend. Ein Jahr, zwei Jahre?«
»Ungefähr«, sagte sie.
»Weißt du denn nicht, wie er ist?«
Laura sagte nichts. Den blauen Flecken zufolge wußte sie eine ganze Menge über Gilbert. »Ich glaube nicht, daß er gelogen hat. Du bist der Lügner.«
»Warum wartest du mit deinem Urteil nicht ab, bis du meine Schilderung hörst?«
Ich hielt eine Hand hoch. »Äh, Ray? Werde ich mich über das, was als nächstes kommt, wundern? Wird es irgendwie alles ganz neu sein und mich tierisch ärgern?«
Er lächelte dämlich. »Warum?«
»Weil ich mich langsam frage, wie viele Versionen der Geschichte sie erzählen. Das ist meiner Zählung nach die dritte.«
»Damit hat sich’s. Es ist die letzte. Bei Gott.«
Ich sah Laura an. »Der Mann lügt wie gedruckt.«
»Ich habe nicht gelogen«, widersprach er. »Ich habe vielleicht ein paar Dinge unerwähnt gelassen.«
»Eine Schießerei mit der Polizei? Was haben Sie sonst noch unerwähnt gelassen? Interessiert mich brennend«, sagte ich.
»Auf den Sarkasmus kann ich verzichten.«
»Und ich kann auf die Märchen verzichten! Sie haben behauptet, Gilbert sei ein ehemaliger Zellengenosse.«
»Irgendwas mußte ich Ihnen ja sagen«, meinte er. »Kommen Sie. Es ist nicht so leicht. Ich habe vierzig Jahre lang den Mund gehalten. Johnny Lee und ich haben geschworen, daß wir nie etwas verraten würden. Das Problem ist nur, daß er gestorben ist, ohne mir dringend notwendige Informationen zu geben.«
»Langsam wird’s gemütlich«, sagte ich. Ich beugte mich hinüber, zog die Kissen unter der Tagesdecke hervor, lehnte sie gegen den Kopfteil und streifte die Schuhe ab, bevor ich es mir bequem machte. Es war wie eine Gutenachtgeschichte, und ich wollte sie nicht verpassen.
»Haben Sie’s bequem?« fragte er.
»Ganz hervorragend.«
»Johnny hat sich diesen Plan einfallen lassen und mich dazu überredet, mitzumachen. Sie müssen ein wenig Hintergrundwissen dazu haben. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.«
»Wenn Sie zur Abwechslung mal die Wahrheit sagen wollen, nehmen Sie sich ruhig Zeit«, sagte ich.
Ray stand auf und begann hin und her zu gehen. »Ich überlege gerade, wie weit ich ausholen soll. Versuchen wir’s mal so. Im Winter 1937 trat der Ohio über seine Ufer. Ich glaube, es fing irgendwann im Januar zu regnen an, und das Wasser stieg immer weiter. Schließlich standen flußaufwärts und — abwärts an die zwölftausend Morgen Land unter Wasser. Damals war Johnny in der staatlichen Besserungsanstalt in Lexington. Nun, die Insassen zettelten einen Aufstand an. Sechzig von ihnen brachen aus, und Johnny Lee war einer von ihnen. Er schafft es bis Louisville und taucht in dem Trubel unter. Er fängt an, bei den Hilfsmaßnahmen gegen die Überschwemmung mitzuarbeiten.« Er hielt inne und sah von Laura zu mir. »Nur Geduld«, sagte er. »Ihr müßt nämlich begreifen, wie dieser Plan überhaupt zustande kam.«
»Nichts dagegen«, sagte sie.
Er sah mich an.
»Erzählen Sie nur weiter«, sagte ich.
»Okay. Also, Tausende von Freiwilligen strömten in die Stadt. Und niemand stellte Fragen. Johnny hat erzählt, wenn man einfach mit anpackte, kümmert es keinen, wer man war oder woher man kam. Er rudert also durchs Westend und rettet Leute von Hausdächern. An den meisten Stellen reicht das Wasser bis zum ersten Stock — ich habe Fotos davon gesehen — , also so hoch wie Verkehrsampeln. Gräßliche Geschichte. Johnny hat sich aus vier Fässern und ein paar Kisten ein Boot gebaut und rudert mitten auf der Straße entlang. Für ihn war es ein Riesenspaß. Er ist sogar hinterher noch dageblieben und hat beim Aufräumen geholfen, und dabei hat er sich diesen Bruch ausgedacht.«
»Viele Gebäude sind eingestürzt. Ich meine, die ganze Innenstadt stand wochenlang unter Wasser, und als der Fluß zurückging, haben sie Mannschaften aufgestellt, die alles reparieren sollten. Johnny war schlau. Er wußte alles mögliche. Er erzählte herum, daß er auf dem Bau gearbeitet hätte, und so hat man ihn mitarbeiten lassen. Jedenfalls, wie er da so eines Tages in einem Keller herumkriecht, fällt ihm auf, daß er auf die Unterseite einer Bank blickt. Der Strom ist schon seit Tagen ausgefallen, eine Menge Ablaufkanäle sind unbrauchbar geworden, und das ganze Wasser fließt an den Fundamenten vorbei. Oben in der Wand ist ein Riß, den er beiseitigen soll. Er pfuscht irgend etwas hin, auf das ein Fachmann nie hereinfallen würde, aber es ist ja keiner da. Alle haben viel zuviel zu tun, um auf ihn zu achten. Und so erzählt er ihnen, er hätte ihn beseitigt, obwohl er doch nichts anderes getan hat, als ihn zu kaschieren. Er zeichnet sogar die Inspektion mit gefälschten Unterschriften ab. Nicht daß tatsächlich jemand dagewesen wäre, der seine Arbeit überprüft hätte.«
»Als wir zwei uns kennenlernen... das ist dann vier Jahre später. Damals hat man große Tresorräume an Ort und Stelle gegossen, mit Fünfer-Stahlbeton, also mit fünf Achtel Durchmesser, in der Mitte zehn Zentimeter, mit mehreren versetzten Schichten. Verstehen Sie, nicht daß ich der Experte wäre. Ich habe das alles von ihm gelernt. Dieser spezielle Tresorraum wurde während der Depression gebaut — als eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme — , und so können Sie sich vorstellen, wie gut er wirklich konstruiert war. Zu einem solchen Tresorraum kann man sich Zutritt verschaffen, wenn man das Werkzeug und die Zeit dazu hat. Er hat gesagt, er hätte es schon immer im Hinterkopf gehabt, aber er wußte, daß er im Fall des Falles Unterstützung bräuchte, und da komme ich mit ins Spiel.«
»Johnny fängt also an, mit seinem Maurerwerkzeug am Fundament zu arbeiten. Nachts und an den Wochenenden schleicht er sich durch den Keller des benachbarten Gebäudes ein und bearbeitet den Unterbau. Es kostet ihn schätzungsweise einen Monat, aber schließlich kommt er direkt am Boden des Tresorraums an.
Heutzutage macht man solchen Mist mit High-Tech-Ausrüstung, aber damals war ein erfolgreicher Bankraub das Ereignis ungetrübten Muts und harter Arbeit. Man mußte geduldig und geschickt sein. Johnny hielt die Alarmanlage für problematischer als den Tresorraum. An diesem Punkt mußten wir noch ein paar Knaben einsteigen lassen, weil wir ihre Hilfe brauchten. Johnny hat bei einem Schlosser gelernt, daher hatte er sämtliche Handbücher studiert und wußte genau, was uns erwartete, aber wir brauchten einen Fachmann für Alarmanlagen, der die Anlage außer Betrieb setzte. Ich hatte mit einem Mann im Gefängnis gesessen, den ich für vertrauenswürdig hielt. Das war Donnie Hays, und er brachte seinen Bruder Gilbert mit. Wie sie schon gesagt hat, ist Donnie inzwischen tot, und bei Gilbert kann ich mich hierfür bedanken.« Er hielt seine verletzte und bandagierte Hand in die Höhe.
Ich sah, wie Lauras Aufmerksamkeit sich verlagerte, und sie wechselte einen Blick zu mir. Offenbar war sie zuvor noch nicht auf die Idee gekommen, daß Gilbert der Urheber der Verletzungen in Ray Rawsons Gesicht war.
»Johnny hat noch zwei Jungs namens McDermid mitmachen lassen. Ich glaube, sie waren Vettern, mit denen er in Lexington eingesessen hat. Donnie Hays setzte die Alarmanlage außer Betrieb, und wir machten uns mit Schneidbrennern und Vorschlaghämmern ans Werk und hämmerten drauflos wie die Verrückten, bis wir schließlich durchkamen. Johnny hatte angefangen, Banksafes aufzubohren, und wir anderen räumten die Beute beiseite, während er die Fächer aufmachte und den Inhalt ausräumte.«
»Moment mal. Wer ist eigentlich Farley? Was hat er mit dem Ganzen zu tun?« wollte ich wissen.
»Gilberts Neffe«, antwortete Laura. »Wir sind zu dritt an die Westküste gefahren.«
»Oh. Entschuldigen Sie die Unterbrechung. Erzählen Sie weiter.«
»Auf jeden Fall haben wir eine regelrechte Kette gebildet und Bargeld und Schmuck aus den Banksafes gezerrt, die Schätze in Leinensäcke gestopft und sie dann durch das Loch nach unten und hinaus zu dem Auto gereicht, das in der Gasse wartete. Wir haben geschuftet wie die Tiere, und alles schien wie geplant zu laufen, bis auf einmal die Bullen auftauchen und die Hölle losbricht. Dann geht die Schießerei los, bei der sowohl Frank McDermid als auch Donnie Hays ums Leben kommen, genau wie dieser eine Bulle. Ich war damals ein Heißsporn und habe den Schuß abgefeuert, der den Bullen erwischt hat. Gilbert wurde gefaßt, ebenso Darrell McDermid. Später hörte ich, daß Darrell bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, aber das wurde mir nie bestätigt.«
»Sie und Johnny wurden nicht gefaßt?« fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Damals nicht. Er und ich konnten entkommen, aber wir wußten, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis sie uns faßten. Wir waren verzweifelt, wie wir da auf diesem Haufen Zeug saßen und angestrengt einen sicheren Aufbewahrungsort dafür suchten, bevor uns die Bullen auf den Fersen waren. Wir beschlossen, uns zu trennen. Johnny sagte, er wüßte den idealen Ort, um das Geld zu verstecken, meinte aber, es sei besser, wenn nur einer von uns davon wußte. Ich hätte ihm mein Leben anvertraut. Er schwor, er würde es nicht anrühren, bis wir beide frei seien und es nutzen könnten. Wir gingen jeder seiner Wege, und als wir gefaßt wurden, hatte er nichts in Händen. Die Bullen schlugen ihn nach allen Regeln der Kunst zusammen und versuchten, aus ihm herauszupressen, wo er die Beute versteckt hatte, aber er sagte kein Sterbenswort. Schließlich gestand er den Einbruch, erzählte aber nie jemandem, was mit dem Geld geschehen war. Der Witz daran war, daß seine Verurteilung verworfen wurde, weil die Bullen das Geständnis aus ihm herausgeprügelt hatten.«
»Unterdessen hegten wir beide den Verdacht, daß es Darrell war, der uns verpfiffen hatte. Wie gesagt, nachdem wir festgenommen worden waren, sagte er vor Gericht gegen uns aus. Er schwor Stein und Bein, daß nicht er es war, der uns ans Messer geliefert hatte, und versuchte, seinem Bruder Frank die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Johnny und ich wurden zu fünfundzwanzig Jahren bis lebenslänglich verurteilt, aber Johnnys Strafe wurde in der Revision aufgehoben. Er geht nach Hause zu seiner Familie, während ich mir den Hintern im U.S. Penitentiary in Atlanta, Georgia, plattsitze. Johnny kehrte später zurück und holte sich genug von dem Haufen, um sich und meine Ma, die immer noch in Kentucky lebt, zu unterstützen.« Er wies auf ihren Bauch. »Das ist der Rest.«
»Moment mal. Woher wollen Sie so genau wissen, daß es achttausend sind?«
»Weil er mir gesagt hat, wieviel er geholt hat und was er seither ausgegeben hat. Ich habe ein bißchen subtrahiert und ausgerechnet, was noch da sein mußte.«
»Wo ist der Rest?«
»Naja. Ich schätze, es ist immer noch da, wo es war.«
Ich starrte ihn an. »Ich hoffe, Sie wollen mir nicht erzählen, daß er gestorben ist, ohne jemandem mitzuteilen, wo er es versteckt hat.«
Ray zuckte verlegen die Achseln. »So in etwa.«