|212|Fragen über den Umgang mit Menschen

Frage 4: »Was mache ich, wenn Menschen das Problem sind?«

Einige Leute haben die Ermahnung »Behandeln Sie Menschen und Probleme getrennt voneinander« dahingehend interpretiert, die Probleme mit Menschen unter den Teppich zu kehren. Dies ist ausdrücklich nicht, was wir meinen. Menschliche Probleme erfordern oft mehr Aufmerksamkeit als Sachfragen. Die menschliche Neigung zu defensivem und reaktivem Verhalten ist ein Grund, warum so viele Verhandlungen platzen, wenn eine Übereinkunft ansonsten sinnvoll wäre. Bei Verhandlungen ignorieren Sie menschliche Themen – wie Sie die andere Seite behandeln – auf eigene Gefahr. Unser grundlegender Rat ist der gleiche, egal ob das Problem Mensch nur ein Punkt oder das Hauptthema Ihrer Verhandlungen ist:

Bauen Sie eine Arbeitsbeziehung auf, die unabhängig von Übereinstimmung oder Uneinigkeit ist

Je größer Ihre Meinungsverschiedenheit mit jemandem ist, um so wichtiger ist es, dass Sie damit gut umgehen können. Eine gute Arbeitsbeziehung kann mit Differenzen fertig werden. Sie kann nicht durch Zugeständnisse in Sachfragen erkauft werden oder dadurch, dass man so tut, als ob keine Meinungsverschiedenheiten existieren. Die Erfahrung lehrt, dass Beschwichtigung nicht oft erfolgreich |213|ist. Jetzt ein ungerechtfertigtes Zugeständnis zu machen wird den Umgang mit zukünftigen Differenzen wahrscheinlich nicht vereinfachen. Sie mögen denken, dass beim nächsten Mal die Gegenseite an der Reihe für ein Zugeständnis ist; sie wird aber wahrscheinlich denken, dass Sie wieder nachgeben werden, wenn sie stur genug ist. (Neville Chamberlains Zustimmung zur Besetzung des Sudetenlandes durch die Deutschen und die fehlende militärische Reaktion auf die nachfolgende Besetzung der gesamten Tschechoslowakei durch Hitler stärkten wahrscheinlich die Nazis in ihrem Glauben, dass eine Invasion Polens auch nicht zum Krieg führen würde.)

Sie sollten auch nicht versuchen, ein Zugeständnis in der Sache durch die Bedrohung der Beziehung zu erzwingen. (»Wenn du dich wirklich um mich sorgen würdest, würdest du nachgeben.« »Wenn du mir nicht zustimmst, ist es aus mit uns.«) Egal ob so ein Trick im Augenblick erfolgreich ist oder nicht, er wird die Beziehung beeinträchtigen. Für beide Seiten wird es eher schwieriger werden, mit zukünftigen Meinungsverschiedenheiten angemessen umzugehen.

Vielmehr müssen Sachfragen von Beziehungs- und Verfahrensfragen getrennt werden. Der Inhalt eines möglichen Abkommens muss von Fragen, wie Sie darüber reden und wie Sie mit der Gegenseite umgehen, getrennt werden. Beide Themenreihen müssen für sich selbst behandelt werden. Die folgende Liste illustriert die Unterscheidung:

Sachfragen

  • Begriffe

  • Bedingungen

  • Preise

  • Daten

  • Zahlen

  • Verpflichtungen

|214|Beziehungsfragen

  • Gleichgewicht der Emotionen und Vernunft

  • Leichtigkeit der Kommunikation

  • Ausmaß von Vertrauen und Zuverlässigkeit

  • Annahme- (oder Verweigerungs-)haltung

  • Jeweilige Betonung der Überzeugung (oder des Zwangs)

  • Umfang des gegenseitigen Verständnisses

Es wird oft angenommen, dass die Verfolgung eines guten Sachergebnisses und einer guten Beziehung austauschbar sind. Wir sind nicht dieser Meinung. Eine gute Arbeitsbeziehung neigt vielmehr dazu, das Erreichen guter Sachergebnisse zu erleichtern (für beide Seiten). Gute Sachergebnisse verbessern andererseits meist gute Beziehungen noch mehr.

Manchmal mag es gute Gründe geben zuzustimmen, sogar wenn nach Ihrer Überzeugung die Fairness etwas anderes diktieren würde. Wenn Sie zum Beispiel bereits eine ausgezeichnete Arbeitsbeziehung haben, mögen Sie durchaus entscheiden, bei einem Thema nachzugeben, in dem Vertrauen, dass bei einer zukünftigen Gelegenheit sich die andere Person daran erinnern wird, dass sie Ihnen »etwas schuldet« und sie ihrerseits Ihnen nachgibt. Oder Sie mögen vernünftigerweise zu dem Entschluss gelangen, dass unter Berücksichtigung aller Fakten eine oder mehrere Fragen es nicht wert sind, darüber zu streiten. Was wir sagen wollen ist, dass Sie nicht nachgeben sollten, um zu versuchen, eine Beziehung zu verbessern.

Verhandeln Sie über die Beziehung

Wenn trotz Ihrer Bemühungen, eine Arbeitsbeziehung zu etablieren und sachliche Meinungsverschiedenheiten für sich zu behandeln, menschliche Probleme weiterhin das Verfahren behindern, dann verhandeln Sie darüber – getrennt für sich. Bringen Sie Ihre Sorgen |215|über das Verhalten der Gegenseite zur Sprache und diskutieren Sie über sie wie über eine sachliche Differenz. Vermeiden Sie ein Urteil über die andere Seite oder scharfe Kritik ihrer Motive. Erläutern Sie vielmehr Ihre Wahrnehmungen und Gefühle und erforschen Sie die der Gegenseite. Schlagen Sie externe Kriterien oder faire Regeln vor, um zu bestimmen, wie Sie miteinander umgehen sollten, und lehnen Sie es ab, sich Taktiken der Druckausübung zu beugen. Gestalten Sie Ihre Diskussion so, dass Sie nach vorne sehen, nicht zurück, und handeln Sie nach der Annahme, dass die andere Seite nicht alle Konsequenzen, die Sie spüren, beabsichtigt haben mag, und dass sie ihren Ansatz ändern kann, wenn sie die Notwendigkeit hierfür einsieht.

Wie immer bei Verhandlungen müssen Sie Ihre Beste Alternative durchdacht haben. In manchen Fällen mag die Gegenseite nur dann zu der Einschätzung gelangen, dass Ihre Sorgen ein gemeinsames Problem sind, wenn sie erkennt, dass Ihre Beste Alternative, falls Sie keine für Sie befriedigende Lösung erreichen, nicht sehr gut für sie ist.

Unterscheiden Sie zwischen dem, wie Sie die Gegenseite behandeln und wie diese Sie behandelt

Es besteht keine Notwendigkeit, unkonstruktivem Verhalten nachzueifern. Dies mag zwar der Gegenseite »eine Lektion erteilen«, aber oft nicht die, die wir wollen. Auf die gleiche Art zu reagieren verstärkt in den meisten Fällen das Verhalten, das wir missbilligen. Es bestärkt die andere Seite in der Meinung, dass jeder sich so verhält und dass es die einzige Möglichkeit des Selbstschutzes ist. Unser Verhalten sollte das von uns bevorzugte Verhalten prägen und fördern, und es sollte jegliche Belohnung des Verhaltens, das uns missfällt, vermeiden, ohne unsere Sachinteressen zu gefährden.

|216|Gehen Sie mit offensichtlicher Irrationalität rational um

Das Verhalten in der Welt ist zum großen – vielleicht größten – Teil nicht sehr rational. Wie wir in Kapitel 1 des 2. Teils sagen, sind Verhandlungspartner zuerst Menschen. Wir handeln oft impulsiv und reagieren ohne sorgfältiges Nachdenken, vor allem, wenn wir verärgert, verängstigt oder frustriert sind. Und wir alle kennen Leute, die in jeder Situation offensichtlich irrational scheinen. Wie gehen Sie mit solchem Verhalten um?

Erkennen Sie erstens, dass, auch wenn Leute oft nicht rational verhandeln, es sich lohnt, wenn Sie selbst es versuchen. In einer psychiatrischen Klinik will niemand psychotische Ärzte haben. In ähnlicher Weise möchten Sie beim Umgang mit der Irrationalität der Verhandlungspartner so zweckgerichtet wie möglich sein.

Stellen Sie zweitens Ihre Annahme, dass andere irrational handeln, infrage. Vielleicht sehen sie die Situation anders als Sie. In den meisten Konflikten glaubt jede Seite, zu den Forderungen der anderen Seite aus gutem Grund »nein« zu sagen. Vielleicht hält sie Ihre gut abgesicherte Ausgangsposition für sachlich ungerechtfertigt; vielleicht bewertet sie Dinge anders, oder vielleicht gibt es ein Kommunikationsdefizit.

Manchmal haben Menschen Ansichten, die viele von uns als objektiv »irrational« ansehen, wie die Leute, die Angst vor dem Fliegen haben. Diese Menschen reagieren jedoch rational auf die Welt, wie sie sie sehen. Sie glauben, dass dieses Flugzeug abstürzen wird. Würden wir dies glauben, würden wir auch nicht fliegen. Es ist die Wahrnehmung, die verzerrt ist, nicht die Reaktion auf diese Wahrnehmung. Auch wenn man diesen Leuten erzählt, dass sie sich irren (und dies mit noch so vielen wissenschaftlichen Untersuchungen belegt), oder sie für ihren Glauben bestraft, wird dies kaum ihre Meinung ändern. Wenn Sie andererseits mit Einfühlung nachforschen und ihre Gefühle ernst nehmen und versuchen, ihre Gründe bis zu den Wurzeln zurückzuverfolgen, ist eine Änderung manchmal möglich. Wenn Sie mit ihnen arbeiten, mögen Sie bei ihnen einen logischen |217|Sprung entdecken, eine tatsächliche Fehlwahrnehmung oder eine traumatische Assoziation aus der Vergangenheit, die, einmal ans Licht gebracht, untersucht und von den Leuten selbst geändert werden kann. Im Wesentlichen suchen Sie nach den psychologischen Interessen hinter ihrer Position, um ihnen zu helfen, eine Möglichkeit zu finden, ihre Interessen in größerem Umfang effektiver zu verfolgen.

Frage 5: »Soll man auch mit Terroristen oder jemandem wie Hitler verhandeln? Wann ist es sinnvoll, nicht zu verhandeln?«

Gleich wie widerwärtig die andere Seite ist, die Frage, der Sie gegenüberstehen, ist nicht, ob Sie verhandeln sollen, sondern wie – es sei denn, Sie haben eine bessere Beste Alternative.

Soll man mit Terroristen verhandeln?

Ja. In der Tat, in dem Sinne, dass Sie ihre Entscheidungen zu beeinflussen suchen – und sie versuchen, Ihre zu beeinflussen –, verhandeln Sie mit ihnen, sogar wenn Sie nicht mit ihnen reden. Die Frage ist, ob man dies aus der Entfernung mittels Taten oder Worten tun soll (zum Beispiel »Wir werden nie mit Terroristen verhandeln!«) oder auf direktere Art und Weise. Im Allgemeinen ist Ihre Chance, Einfluss auszuüben, um so größer, je besser die Kommunikation ist. Wenn Probleme der persönlichen Sicherheit gelöst werden können, ist es sinnvoll, mit Terroristen in einen Dialog einzutreten, gleich ob sie Geiseln gefangen halten oder mit einer Gewalttat drohen. Wenn Sie überzeugende Argumente haben, werden Sie sie wahrscheinlich eher beeinflussen als umgekehrt. (Die gleichen Argumente gelten auch für den Umgang mit Verhandlungs»terroristen«, die schmutzige Tricks anzuwenden suchen.)

|218|Verhandeln heißt nicht, nachzugeben. Lösegeld zahlen oder einer Erpressung nachgeben ist teuer. Die Belohnung von Entführungen ermuntert zu weiterem Kidnapping. Durch Kommunikation kann es möglich sein, Terroristen (und mögliche zukünftige Terroristen) davon zu überzeugen, dass sie kein Lösegeld erhalten werden. Es kann auch möglich sein, etwas über deren legitime Interessen zu erfahren und eine Vereinbarung zu treffen, bei der keine Seite nachgibt.

Mithilfe algerischer Vermittler konnten die USA und Iran die Freilassung der amerikanischen Diplomaten im Januar 1981 aushandeln, die über ein Jahr lang in der US-Botshaft in Teheran festgehalten worden waren. Die Grundlage der Einigung war, dass jede Seite nur das bekam, zu dem sie berechtigt war. Die Geiseln würden freigelassen; Iran würde seine Schulden bezahlen; danach würden die Gelder, die die USA beschlagnahmt hatten, an Iran zurückgegeben; die Vereinigten Staaten würden die Regierung von Iran anerkennen und sich nicht in dessen innere Angelegenheiten einmischen und so weiter. Es wäre schwierig, wenn nicht unmöglich gewesen, eine Einigung ohne Verhandeln zu erreichen. Und trotz der groben Illegalität der Besetzung der amerikanischen Botschaft haben beide Seiten von den Verhandlungen profitiert, die schließlich im Herbst 1980 stattfanden.

Manchmal wird gesagt, Beamte sollen nicht mit politischen Terroristen reden, weil dies ihnen einen Status verleihen und ihre illegale Handlung belohnen würde. Es ist wahr, dass es einem hohen Regierungsbeamten scheinen mag, ein Zusammentreffen mit Terroristen könnte deren Bedeutung so weit erhöhen, dass der potenzielle Nutzen aufgewogen wird. Aber ein Kontakt auf einer professionellen Ebene ist völlig anders. Unterhändler der Polizei haben die Erfahrung gemacht, dass ein direkter persönlicher Dialog mit Kriminellen, die Geiseln gefangen halten, oft dazu führt, dass die Geiseln freigelassen und die Verbrecher gefasst werden.

Während der Entführung des Flugzeuges der Kuwait Airways 1988 fanden umfangreiche Verhandlungen mit den Entführern |219|statt, aber über zunehmend kleinere Probleme. Die Regierung von Kuwait sagte zu Beginn des Ereignisses rundheraus, dass sie keine Schiiten freilassen würde, die wegen terroristischer Akte verurteilt waren und in Kuwait im Gefängnis saßen, und sie wich von dieser Grundregel nicht ab. Aber lokale Behörden in Zypern und Algerien verhandelten ununterbrochen über Dinge wie die Erlaubnis zum Landen des Flugzeugs, Forderungen nach weiterem Treibstoff, Zugang zu Nachrichtenmedien und die Lieferung von Nahrungsmitteln. Für jede Transaktion erreichten die Behörden die Freilassung immer weiterer Geiseln. Gleichzeitig appellierten sie – als Moslembrüder – an das islamische Ideal der Gnade und des Propheten Mohammeds Mahnungen gegen Geiselnahme. Am Ende kamen alle Geiseln frei. Die Entführer durften auch Algerien verlassen, aber ihr anhaltender und beschämender Misserfolg in der Erreichung eines ihrer angekündigten Ziele hat zweifellos zu einem nachfolgenden Rückgang der Entführungen durch Terroristen geführt.

Soll man mit jemandem wie Hitler verhandeln?

Dies hängt von der Alternative ab. Einige Ihrer Interessen mögen es wert sein, für sie zu kämpfen oder sogar zu sterben. Viele Menschen sind der Meinung, dass die Befreiung der Welt vom Faschismus, Widerstand gegen Aggression gegenüber anderen Ländern und Beendigung des Völkermords zu dieser Kategorie gehören. Wenn solche Interessen auf dem Spiel stehen und nicht durch weniger kostspielige Mittel gewahrt werden können, sollten Sie darauf vorbereitet sein zu kämpfen, wenn dies hilft und – werden manche sagen – manchmal sogar, wenn es nichts nützt.

Andererseits ist Krieg ein schmutziges Geschäft, das zu oft romantisiert wird. Wenn Sie einen beträchtlichen Teil Ihrer Interessen durch gewaltlose Mittel erreichen können, sollten Sie diese Alternative ernsthaft überlegen. Wenige Kriege waren so einseitig wie die |220|Befreiung Kuwaits durch die Vereinten Nationen. Sogar dort hätte ein ausgehandelter Rückzug der irakischen Truppen aus Kuwait die Ölbrände in Kuwait, die Umweltschäden im Persischen Golf und das vom Krieg verursachte ungeheure menschliche Leid vielleicht verhindern können.

Am wichtigsten ist, ein Krieg garantiert keine besseren Ergebnisse, als durch andere Mittel erreicht werden könnten. Als Premier der Sowjetunion war Josef Stalin in vieler Hinsicht für die Welt so anstößig wie Hitler. Er annektierte mehrere Länder, verübte Völkermord und förderte eine zentralstaatliche Ideologie, die in der Praxis dem Nationalsozialismus sehr ähnlich war. Aber im Zeitalter der Wasserstoffbombe war die Eroberung der Sowjetunion wie die Deutschlands durch die Alliierten, keine realisierbare Alternative. Auch schienen die Grundsätze, die auf dem Spiel standen, keine gegenseitige Vernichtung zu rechtfertigen. Stattdessen wartete der Westen geduldig und standfest in seiner moralischen Opposition zum Sowjetkommunismus bis er von selbst zu zerfallen begann.

Sogar mit jemandem wie Hitler oder Stalin sollten wir verhandeln, wenn dies ein Ergebnis verspricht, das unter Berücksichtigung aller Einzelheiten unsere Interessen besser wahrt als unsere Beste Alternative. Ein Krieg ist in vielen Fällen tatsächlich ein Schritt zu einer Verhandlung. Die Gewalt soll die Beste Alternative der Gegenseite ändern, oder deren Wahrnehmung, sodass sie bereitwilliger unseren Bedingungen für den Frieden zustimmt. In solchen Fällen ist das Denken in Verhandlungsbegriffen wesentlich, sodass wir unser Angebot auf eine Weise formulieren und übermitteln, die nach vernünftiger Erwartung für die Gegenseite überzeugend sein wird.

Soll man verhandeln, wenn die Leute aus religiöser Überzeugung handeln?

Ja. Auch wenn die religiösen Überzeugungen der Menschen wahrscheinlich nicht durch Verhandlungen geändert werden, könnten |221|ihre Handlungen, sogar solche, die auf ihren Überzeugungen beruhen, beeinflusst werden. Dies war bei der Entführung des Kuwait-Airways-Flugzeugs der Fall. Ein zentraler Punkt, der es wert ist, wiederholt zu werden, ist, dass Verhandeln keine Gefährdung Ihrer Grundsätze erfordert. Öfter wird ein Erfolg durch das Finden einer Lösung erzielt, die mit den Grundsätzen beider Seiten übereinstimmt.

Viele Situationen scheinen nur »religiöse« Konflikte zu sein. Die Konflikte in Nordirland zwischen Protestanten und Katholiken und im Libanon zwischen Christen und Moslems sind keine Religionskonflikte. In beiden Fällen dient die Religion als praktische Grenzlinie zur Trennung einer Gruppe von der anderen. Diese Spaltung wird verstärkt, wenn sie dazu benutzt wird, die Menschen hinsichtlich ihres Wohnortes, ihrer Arbeitsstätte, ihrer Freundschaften und Stimmabgabe zu trennen. Verhandlungen zwischen solchen Gruppen sind höchst wünschenswert, da sie die Chance erhöhen, dass sie zu pragmatischen Übereinkommen führen können, die den beiderseitigen Interessen dienen.

Wann ist es sinnvoll, nicht zu verhandeln?

Ob Verhandlungen sinnvoll sind und wie viel Mühe Sie in sie investieren, hängt davon ab, für wie zufriedenstellend Sie Ihre Beste Alternative halten und wie wahrscheinlich es Ihrer Meinung nach ist, dass Verhandeln ein besseres Ergebnis bringen wird. Ist Ihre Beste Alternative gut und Verhandeln nicht vielversprechend, gibt es keinen Grund, viel Zeit in Verhandeln zu investieren. Andererseits, wenn Ihre Beste Alternative miserabel ist, sollten Sie bereit sein, etwas mehr Zeit zu investieren – sogar wenn das Verhandeln wenig aussichtsreich scheint –, um zu testen, ob etwas Befriedigenderes herauskommen könnte.

Für diese Analyse müssen Sie über Ihre Beste Alternative und die Ihrer Gegenseite sorgfältig nachgedacht haben. Sie sollten nicht |222|den gleichen Fehler wie die Bank machen, die mit einem bankrotten Energieunternehmen verhandelte. Die Bank war von Rechts wegen berechtigt, das Eigentum über das gesamte Unternehmen zu übernehmen, aber der Richter in diesem Prozess meinte, die Parteien sollten sich einigen. Die Bank bot die Übernahme von 51 Prozent der Aktien und die Herabsetzung der Zinsen für den Kredit an, aber das Unternehmen (das im Eigentum des Managements war) mauerte. Frustriert verbrachte die Bank Monate mit dem Versuch, das Unternehmen dazu zu bringen, Interesse an Verhandlungen zu zeigen. Verständlicherweise weigerte sich das Unternehmen – es sah seine Beste Alternative darin, einfach auf eine Preissteigerung für Öl zu warten. Dann könnte es den Kredit zurückzahlen, und das Management besäße weiterhin 100 Prozent des Unternehmens. Die Bank hatte weder über ihre eigene Beste Alternative noch über die des Unternehmens nachgedacht. Die Bank hätte mit dem Richter verhandeln und ihm erklären müssen, wie unfair und anfechtbar die Situation war. Aber die Bank dachte, ihre einzige Möglichkeit wäre die Verhandlung mit dem Unternehmen.

Regierungen machen oft den Fehler anzunehmen, dass sie eine bessere Beste Alternative haben als dies der Fall ist – wenn sie zum Beispiel durchblicken lassen, dass es immer eine »militärische Option« gibt, wenn »politische« und »ökonomische« Mittel in einer bestimmten Situation nicht zum Ziel führen. Es gibt nicht immer eine realisierbare militärische Option. (Bei den meisten Geiselnahmen gibt es keine militärische Option, die realistischerweise die sichere Befreiung der Geiseln versprechen kann. Kommandounternehmen wie die des israelischen Militärs auf dem Flughafen von Entebbe in Uganda – der von israelischen Ingenieuren entworfen und gebaut worden war – sind Ausnahmen und werden mit jedem Erfolg schwieriger, da die Terroristen sich an neue Taktiken anpassen.) Ob wir eine Möglichkeit zur Selbsthilfe haben oder nicht, hängt von der Situation ab: Kann das Ziel allein durch unsere eigenen Bemühungen erreicht werden oder muss jemand auf der Gegenseite eine Entscheidung treffen? Wenn das Letztere zutrifft, wessen Entscheidung |223|müssen wir dann beeinflussen, welche Entscheidung wollen wir, und wie, wenn überhaupt, kann militärische Stärke die Entscheidung mit beeinflussen?

Nehmen Sie nicht einfach an, dass Sie eine Beste Alternative haben, die besser ist als Verhandeln, oder dass Sie gar keine Beste Alternative haben. Denken Sie erst darüber nach und entscheiden Sie dann, ob Verhandeln sinnvoll ist.

Frage 6: »Wie soll ich meinen Verhandlungsansatz an die Unterschiede in Persönlichkeit, Geschlecht, Kultur und so weiter anpassen?«

In mancher Hinsicht sind die Menschen überall einander ähnlich. Wir wollen geliebt und von anderen Menschen geachtet werden, sorgen uns um unsere Selbstachtung und wollen nicht das Gefühl haben, übervorteilt zu werden. In anderer Hinsicht sind die Menschen – sogar solche mit ähnlichem Hintergrund – sehr verschieden. Einige gehen aus sich heraus, andere sind schüchtern; einige sind sprachgewandt und diskutierfreudig, andere mehr körper- und gefühlsbetont; manche Menschen sind frei heraus, andere mehr indirekt und taktvoll; manche genießen Konflikte, andere tun fast alles, sie zu vermeiden. Wenn Menschen verhandeln, haben sie unterschiedliche Interessen und Kommunikationsstile. Für sie mögen verschiedene Dinge überzeugend sein, und sie können auf unterschiedliche Arten Entscheidungen treffen. Wie sollen wir solchen Ähnlichkeiten und Unterschieden beim Verhandeln mit verschiedenen Menschen Rechnung tragen? Hierzu schlagen wir einige Grundsätze vor:

Finden Sie eine gemeinsame Linie

Bei jeder Verhandlung sollten Sie empfänglich sein für die Wertvorstellungen, Wahrnehmungen, Sorgen, Verhaltensnormen und Stimmungen |224|der Personen, mit denen Sie verhandeln. Passen Sie Ihr Verhalten entsprechend an. Wenn Sie mit jemandem verhandeln, ist es diese Person, die Sie zu beeinflussen suchen. Je erfolgreicher Sie mit der Denkweise dieser Person in Einklang kommen, um so wahrscheinlicher werden Sie zu einer Übereinkunft gelangen. Einige übliche Unterschiede, die das Verhandeln beeinflussen können, sind folgende:

  • Tempo: schnell oder langsam?

  • Förmlichkeit: groß oder gering?

  • Physische Entfernung während des Verhandelns: klein oder groß?

  • Mündliche oder schriftliche Vereinbarungen: welche sind mehr bindend und umfassender?

  • Kommunikationsstil: freimütig oder mehr indirekt?

  • Zeitrahmen: kurz- oder langfristig?

  • Umfang der Beziehung: nur geschäftsmäßig oder alles umfassend? Erwarteter Verhandlungsort: privat oder öffentlich?

  • Verhandlungspartner: gleichrangige oder die für die Aufgabe kompetentesten Leute?

  • Striktheit der Verpflichtungen: unveränderlich oder flexibel gemeint?

Passen Sie unseren allgemeinen Rat der besonderen Situation an

Dieses Buch gibt allgemeine Ratschläge. Sie werden nicht auf die gleiche Weise in jeder Lage bei jeder Person anwendbar sein. Aber die grundlegenden Vorschläge sind generell anwendbar. Außer bei einem zwingenden Grund, anders zu handeln, raten wir Ihnen, Ihren spezifischen Ansatz für jede Verhandlung nach diesen Vorschlägen auszurichten. Der beste Weg, diese allgemeinen Richtlinien umzusetzen, wird vom spezifischen Kontext abhängen. Wenn Sie einen situationsgerechten Ansatz entwickeln, überlegen Sie, wo Sie sind, mit wem Sie verhandeln, was in der Branche üblich ist, was Ihre Erfahrungen mit diesem Verhandlungspartner sind und so weiter.

|225|Schenken Sie den Unterschieden in Überzeugungen und Sitten Beachtung, aber werfen Sie Einzelpersonen nicht in einen Topf

Verschiedene Gruppen und Orte haben verschiedene Sitten und Überzeugungen. Lernen Sie sie kennen und respektieren Sie sie, aber hüten Sie sich davor, Annahmen über Einzelne zu treffen.

Einstellungen, Interessen und andere Charakteristika von Individuen sind oft völlig von denen einer Gruppe verschieden, zu der sie gehören. Zum Beispiel neigt der »durchschnittliche« Japaner zu mehr indirekten Methoden der Kommunikation und Verhandlung, aber bei einzelnen Japanern ist die gesamte Skala der Verhandlungsstile anzutreffen. Ein prominenter Minister der japanischen Regierung war für sein schroffes Verhandeln »nach amerikanischem Stil« berühmt – was für viele Amerikaner überhaupt nicht typisch ist. Gemäß verschiedenen Untersuchungen sammeln Frauen Informationen auf offenere und weniger strukturierte Weise als Männer, sie sind wahrscheinlich sensibler hinsichtlich Beziehungen und sie handeln gemäß einer Moralität, die verhältnismäßig mehr auf Fürsorge und Verpflichtung gegenüber anderen beruht und weniger auf Regeln und individuellen Rechten. Die gleichen Daten deuten jedoch darauf hin, dass eine große Anzahl von Personen beider Geschlechter sich genau anders verhält.4

Über jemanden Annahmen zu treffen aufgrund seiner/ihrer Gruppencharakteristika ist beleidigend und tatsächlich riskant. Es spricht dieser Person Individualität ab. Wir nehmen nicht an, dass unsere Überzeugungen und Gewohnheiten durch die Gruppen diktiert sind, zu denen wir zufälligerweise gehören; dieses von anderen anzunehmen ist erniedrigend. Wir werden alle von unzähligen Aspekten unserer Umwelt, Erziehung, Kultur und Gruppenidentität beeinflusst, aber auf keine für den Einzelnen vorhersagbare Weise.

|226|Stellen Sie Ihre Annahmen infrage und hören Sie genau zu

Gleich welche Annahmen Sie über andere treffen – ob Sie meinen, sie sind wie Sie oder völlig verschieden –, stellen Sie sie infrage! Seien Sie offen zu erfahren, dass sie nicht so sind wie Sie erwartet haben. Die große Bandbreite unter den Kulturen liefert Hinweise für die Art der Unterschiede, nach denen Sie suchen sollten, aber denken Sie daran, dass wir alle besondere Interessen und Qualitäten haben, die nicht in jedes Klischee passen.