|120|Bestehen Sie auf der Anwendung neutraler Beurteilungskriterien

Wie gut Sie auch immer die Interessen der Gegenseite verstehen, wie genial Sie auch die Interessen zusammenbringen, wie hoch Sie auch die künftigen gegenseitigen Beziehungen einschätzen mögen – immer werden Sie mit der harten Wirklichkeit einander widerstreitender Interessen konfrontiert sein. Und keine noch so schöne Rede vom beiderseitigen »Gewinn« kann das aus der Welt schaffen. Sie wünschen eine niedrigere Miete; der Vermieter eine höhere. Sie möchten, dass die Waren morgen geliefert werden; der Händler will das erst nächste Woche tun. Sie möchten unbedingt das große Büro mit der schönen Sicht; Ihr Partner ebenfalls. All das kann man nicht unter den Teppich kehren.

Bloße Willensentscheidungen kommen teuer

Üblicherweise suchen Verhandlungspartner solche Konflikte durch das Feilschen um Positionen zu lösen – mit anderen Worten, indem sie über das reden, was sie akzeptieren wollen und was nicht. Mancher Verhandlungspartner fordert wesentliche Zugeständnisse oft nur, weil er eben darauf besteht: »Der Preis ist 120 Euro, und dabei bleibt’s.« Ein anderer macht vielleicht ein großzügiges Angebot, weil er auf irgendeinen Vorteil oder auf Freundschaft hofft. Ob das Ganze nun zu einem Wettbewerb darüber wird, wer der hartnäckigste ist oder wer der großzügigste sein mag – solche Verhandlungsprozesse beziehen sich nur auf das, was jede Seite als Übereinkunft haben |121|möchte. Das Ergebnis leitet sich von einer Interaktion zwischen zwei menschlichen Wesen her – fast so, als ob die Verhandlungspartner auf einer einsamen Insel leben würden, ohne Geschichte, ohne Sitten und ohne moralische Prinzipien.

Wie schon am Anfang des Buches diskutiert, verursacht die Beilegung von Differenzen auf der Basis des Willens hohe Kosten. Kaum eine Verhandlung wird effektiv oder gütlich verlaufen, wenn Sie nur Ihren Willen gegen den der anderen setzen, gleichgültig, ob am Ende Sie nachgeben oder die anderen. Ob Sie einen Platz zum Essen suchen, ein Geschäft organisieren oder über das Sorgerecht für Ihr Kind verhandeln: Sie werden kaum ein vernünftiges Übereinkommen auf der Grundlage objektiver Prinzipien zustande bringen, wenn Sie nicht einen entsprechenden Standard in Ihre Verhandlung einbauen.

Hat die Lösung von Differenzen durch Willenskampf also hohe Kosten zur Folge, so sollte der bessere Ansatz darin bestehen, dass man auf einer vom beiderseitigen Willen unabhängigen Basis verhandelt – das heißt also, auf der Basis von objektiven Kriterien.

Das Argument für die Anwendung objektiver Kriterien

Nehmen Sie einmal an, Sie haben einen Festpreis beim Bau Ihres Hauses abgeschlossen. Darin wird zwar das Fundament als solches erwähnt, nicht aber, wie tief es genau sein soll. Der Bauunternehmer plant 0,80 m. Sie halten jedoch 1,25 m entsprechend dem Bautyp für angemessener.

Nehmen wir an, der Bauunternehmer sagt: »Ich habe Ihnen Stahlträger für das Dach zugesagt. Da könnten Sie mir auch die Fundamenttiefe überlassen.« Nun würde kein rechter Hauseigner hier nachgeben. Er will keinen Kuhhandel, aber er besteht darauf, dass der Streit auf der Grundlage objektiver Sicherheitsstandards entschieden wird. »Schauen Sie, es kann ja sein, dass ich Unrecht habe. |122|Vielleicht reichen 80 cm aus. Was ich möchte, sind Fundamente, die fest und tief genug sind und das Haus sicher tragen. Gibt es da nicht genaue staatliche Bauvorschriften? Wie tief sind die Fundamente in anderen Häusern hier in der Gegend? Gibt es hier Erdbeben? Wo, meinen Sie, könnten wir Kriterien zur Lösung dieser Fragen herbekommen?«

Einen guten Vertrag auszuarbeiten ist genauso schwer wie ein gutes Fundament zu bauen. Wenn man sich nun aber in dem Fall des Hauseigentümers und des Bauunternehmers so gut auf objektive Standards verlassen kann, warum dann nicht auch bei Geschäftsabschlüssen, kollektiven Verhandlungen, Rechtsabkommen und internationalen Verhandlungen? Warum soll man nicht darauf bestehen, dass ein ausgehandelter Preis auf Kriterien wie Marktwert, Wiederbeschaffungskosten, Verkehrswert oder Konkurrenzangebote gründet, anstatt auf irgendwelchen Forderungen des Verkäufers?

Kurz gesagt: Der Ansatz besteht darin, dass sich Ihre Lösung auf Prinzipien gründet und nicht durch gegenseitigen Druck zustande kommt. Konzentrieren Sie sich auf die Sachlage und nicht auf den Eifer der Partner. Seien Sie offen für Vernunftgründe, aber verschließen Sie sich jeglicher Drohung.

Sachbezogenes Verhandeln bringt auf gütliche und wirkungsvolle Weise vernünftige Übereinkünfte zustande

Je stärker Sie die Kriterien der Fairness, der Effektivität oder der wissenschaftlichen Sachbezogenheit bei Ihrem speziellen Problem zum Tragen bringen, um so wahrscheinlicher werden Sie am Ende zu einem vernünftigen und fairen Resultat gelangen. Je mehr Sie und die Gegenseite sich auf frühere und auf die allgemein übliche Praxis beziehen, um so größer ist Ihre Chance, von der vorangegangenen Erfahrung zu profitieren. Steht ein Abkommen mit früheren Fällen im Einklang, ist es auch weniger angreifbar. Wenn ein Mietvertrag |123|Standardbedingungen enthält oder ein Kaufvertrag mit der industriellen Praxis übereinstimmt, ist das Risiko geringer, dass einer der Verhandlungspartner sich schlecht behandelt fühlt oder später das Ganze revidieren möchte.

Fortwährender Kampf um die Oberhand bedroht die Beziehungen. Sachbezogenes Verhandeln dagegen schützt sie. Man kommt mit den Leuten viel besser aus, wenn beide Seiten objektive Kriterien zur Lösung des Problems diskutieren, als wenn man den anderen zum Nachdenken zwingen will.

Strebt man eine Übereinkunft durch die Diskussion objektiver Kriterien an, so vermindert man auch die Anzahl der Bindungen, die jede Seite zuerst einmal eingeht und dann wieder abbauen muss, um sich auf eine Lösung zuzubewegen. Beim Feilschen um Positionen verbringen die Verhandlungspartner viel Zeit mit der Selbstverteidigung und mit dem Angriff auf die Gegenseite. Wer stattdessen objektive Kriterien verwendet, nutzt normalerweise seine Zeit effektiver durch Gespräche über mögliche Prinzipien und Lösungen.

Unabhängige Kriterien wirken sich noch viel entscheidender aus, wenn mehr als zwei Parteien im Spiel sind. In solchen Fällen ist das Feilschen um Positionen ganz besonders schwierig. Das erfordert nämlich Koalitionen unter den Parteien; und je mehr Parteien einer Position zugestimmt haben, um so schwieriger wird es, diese wieder zu verändern. Dementsprechend werden die Einnahme und die Veränderung von Positionen besonders zeitraubend und schwierig, wenn jeder Verhandlungspartner vor der Annahme einer Position mit dem Auftraggeber Rücksprache halten muss oder Vorgesetzte zur Klärung der Sachlage aufsuchen muss.

Eine Episode aus der Seerechtskonferenz illustriert die Vorteile der Verwendung objektiver Kriterien. An einem bestimmten Punkt schlug Indien, als Vertreter der Dritten Welt, eine Vorauszahlung für Gesellschaften zur Erschließung der Meeresbodenschätze von 60 Millionen Dollar pro Schürfplatz vor. Die Vereinigten Staaten wiesen den Antrag zurück. Sie wollten keinerlei Vorauszahlung. |124|Beide Seiten beharrten auf ihrem Standpunkt. Die Sache wurde zur Frage der Willensstärke.

Dann bemerkte jemand, dass das »Massachusetts Institute of Technology« (MIT) ein ökonomisches Modell für den Bergbau auf dem Meeresgrund entwickelt hatte. Dieses Modell wurde nach und nach von den Parteien als objektiv anerkannt und sah eine bestimmte Art der Bewertung jeder einzelnen Schürfung vor. Der indische Delegierte erkannte, dass die in seinem Vorschlag vorgesehene, für viele schockierende Vorauszahlung – die fünf Jahre vor jeder Rendite hätte beglichen werden müssen – möglicherweise den Abbau für jede Minengesellschaft unmöglich gemacht hätte. Beeindruckt gab er seine Position auf. Andererseits wurden durch die MIT-Studie auch die amerikanischen Delegierten aufgeklärt, die bisher ihre Informationen nur sehr eingeschränkt durch die Bergwerksgesellschaften bezogen hatten. Das MIT-Modell belegte, dass eine Vorabzahlung auf jeden Fall möglich sein musste. Als Ergebnis änderten auch die USA ihre Position.

Niemand musste nachgeben. Keiner erschien als der Schwächere – sondern nur als vernünftig. Nach langer Verhandlung erreichten die Parteien ein vorläufiges Abkommen, das für alle Seiten befriedigend war.

Das MIT-Modell vergrößerte die Chance zu einer Übereinkunft und senkte das teure Schachern um Positionen. Es führte zu einer besseren Lösung, die sowohl die Gesellschaften zum Abbau anlocken wie auch beträchtliche Einnahmen für die Nationen der Welt schaffen würde. Das Vorhandensein eines objektiven Modells zur Prognose der Konsequenzen aller Vorschläge erleichterte die Überzeugung der Parteien, dass sie ein faires vorläufiges Abkommen gefunden hatten. Im Lauf der Zeit erzeugte das Modell engere Beziehungen zwischen den Verhandlungspartnern und machte es wahrscheinlicher, dass die Übereinkunft auch über das Versuchsstadium hinaus dauerhaft sein würde.

|125|Die Entwicklung objektiver Kriterien

Wenn man sachbezogen verhandelt, stellen sich zwei Fragen: Wie kann man objektive Kriterien entwickeln? Und wie verwendet man sie beim Verhandeln?

Welche Verhandlungsmethode Sie auch verwenden – Sie tun gut daran, sich die Sache vorher zu überlegen. Das ist jedenfalls beim sachbezogenen Verhandeln richtig. Entwickeln Sie also vorher einige alternative Kriterien und durchdenken Sie Ihre Anwendung für den jeweiligen Fall.

Faire Kriterien

Üblicherweise werden Sie mehr als ein objektives Kriterium finden, das sich als Basis für eine Übereinkunft eignet. Nehmen Sie beispielsweise an, dass Ihr Auto beschädigt wurde, und Sie reichen den Fall bei der Versicherung ein. In der Auseinandersetzung mit dem Sachbearbeiter führen Sie etwa folgende Maßstäbe für den Wert Ihres Autos an: 1. den Neuwert minus Abnutzung; 2. den Verkaufswert des Wagens; 3. den Listenpreis für Autos dieses Modells und Alters; 4. den Beschaffungspreis für ein vergleichbares Auto; und 5. was das Gericht als Wert für das Auto wohl festsetzen würde.

In anderen Fällen könnten Sie die Übereinkunft zum Beispiel auf folgenden Kriterien aufbauen:

  • Marktwert

  • frühere Vergleichsfälle

  • wissenschaftliches Gutachten

  • Kriterien von Sachverständigen

  • Auswirkungen

  • Kosten

  • mögliche Gerichtsurteile

  • moralische Kriterien

  • |126|Gleichbehandlung

  • Tradition

  • Gegenseitigkeit usw.

Auf alle Fälle müssen objektive Kriterien unabhängig vom beiderseitigen Willen sein. Im Idealfall – was einem vernünftigen Übereinkommen besondere Sicherheit verleiht – sollten objektive Kriterien nicht nur willensunabhängig sein, sondern auch gesetzlich legitimiert und praktisch durchführbar. Bei einer Grenzauseinandersetzung beipielsweise kann man sich leichter auf irgendwelche Geländemerkmale wie einen Flusslauf einigen als auf einen Meter östlich des Flussufers.

Objektive Kriterien sollten, zumindest theoretisch, beiden Seiten passen. Sie können das testen, indem Sie es von beiden Seiten her anwenden: dann sehen Sie, ob es fair und unabhängig vom Willen beider Parteien ist. Wenn Ihnen zum Beispiel ein Immobilienmakler ein Haus verkauft und Ihnen dabei einen Standard-Vertrag vorschlägt, sollten Sie so klug sein und nachsehen, ob die Firma selbst denselben Vertrag benutzt, wenn sie ihrerseits ein Haus kauft. Drei Negativbeispiele: der Nahe Osten, Nordirland, Zypern; dort wird zwar von einer Vielzahl von Leuten die Selbstbestimmung als Fundamentalrecht reklamiert – aber sie selbst verweigern eben dieses Recht zahlreichen ihrer Mitbürger.

Faire Verfahrensweisen

Um Ergebnisse zu erzielen, die unabhängig vom Willen der Beteiligten sind, kann man die fairen Kriterien sowohl für die Inhalte wie auch für die Verfahrensweise zur Abstimmung der sich widersprechenden Interessen anwenden. Nehmen Sie zum Beispiel die uralte Methode, ein Stück Kuchen zwischen zwei Kindern zu teilen: Das eine zerschneidet den Kuchen, das andere darf sich ein Stück auswählen. Keines der beiden kann sich über eine ungerechte Teilung beklagen.

|127|Diese einfache Vorgehensweise wurde bei den Seerechtsverhandlungen benutzt – eine der kompliziertesten Verhandlungen, die es je gab. Die Verhandlungen waren an dem Punkt festgefahren, wo es Streit um die Zuweisung der Schürfrechte in der Tiefsee gab. Unter den Bedingungen des vorläufigen Abkommens sollte die Hälfte der Schürfplätze von privaten Gesellschaften und die andere Hälfte von der »Enterprise«, einer Bergwerksgesellschaft im Besitz der Vereinten Nationen, belegt werden. Da die privaten Minengesellschaften der reichen Nationen die Technologie und auch das »Know-how« zur Wahl der besten Schürfplätze hatten, fürchteten die ärmeren Nationen, dass die weniger gut ausgestattete »Enterprise« schlecht abschneiden würde.

Die Lösung sah dann vor, dass eine private Schürfgesellschaft der »Enterprise« jeweils zwei mögliche Abbauplätze vorschlagen sollte. »Enterprise« sollte den einen für sich wählen und der anderen Gesellschaft eine Lizenz zum Abbau des anderen gewähren. Da die Privatgesellschaft ja die Wahl von »Enterprise« nicht kennt, wird sie wohl allen Grund haben, beide Schürfplätze in aussichtsreicher Lage zu wählen. Durch diese ganz einfache Prozedur wurde die größere Erfahrung der privaten Gesellschaften zu beiderseitigem Vorteil genutzt.

Eine Variante des Verfahrens »der eine schneidet, der andere wählt« besteht darin, dass die Parteien zuerst darüber verhandeln, was sie jeweils für ein faires Arrangement halten, ehe sie sich für spezifische Rollen entscheiden. In der Auseinandersetzung über das Sorgerecht bei Kindern sollten sich die Eltern beispielsweise zuerst über die Besuchsmodalitäten und -häufigkeiten des anderen Partners einigen. Das gibt beiden den Ansporn zu einer fairen Besuchsregelung.

Denken Sie bei den Verfahrensvorschlägen immer an alle möglichen Arten zur Beilegung von Differenzen: Platztauschen, Losziehen, Dritte entscheiden lassen usw.

Das Platztauschen ist oft bei Erbangelegenheiten der beste Weg, wenn viele einzelne Erbstücke allen gemeinsam hinterlassen wurden. |128|Danach können sie ja untereinander handeln, wenn sie wollen. Man kann auch vor jeder Festlegung einen Teilungsversuch unternehmen und sehen, was dabei herauskäme. Losziehen, Münzen werfen und andere Verteilungsformen sind im Ganzen durchaus fair. Mag sein, dass am Ende nicht für jeden das Gleiche herauskommt, aber jeder hat zumindest die gleiche Ausgangschance.

Eine recht häufig angewendete Prozedur mit fast unendlichen Variationsmöglichkeiten besteht darin, einem Dritten die Schlüsselrolle bei der Entscheidung zuzuweisen. Die Parteien einigen sich zum Beispiel darauf, eine spezielle Frage einem Experten vorzulegen, der daraufhin einen Rat erteilt oder die Entscheidung trifft. Man kann auch einen Moderator befragen, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Oder man kann das Ganze auch einem Schiedsrichter zur sachgerechten und bindenden Entscheidung vorlegen.

Im amerikanischen Baseball gibt es beispielsweise einen Schiedsspruch, der das letzte, beste Angebot bei Auseinandersetzungen um Spielergehälter festlegt. Der Schiedsmann muss zwischen dem letzten Angebot der einen und der letzten Offerte der Gegenseite entscheiden. Der Grundgedanke dabei ist der, dass Druck auf die beiden Parteien entsteht, ihre Angebote gewissermaßen an der Vernunft zu orientieren. Das führt beim Baseball (und auch anderweitig, zum Beispiel in Staaten, wo diese Schiedsform bei bestimmten Tarifstreitigkeiten vorgeschrieben ist) offenbar öfter zum Ausgleich als in Vergleichsfällen, wo man sich auf konventionelle Schiedssprüche verlässt. Wer von den Beteiligten nicht mitmacht, stellt dabei jedoch den Schiedsrichter manchmal vor eine unerfreuliche Wahl.

Verhandeln mithilfe objektiver Kriterien

Wenn Sie eine Reihe objektiver Kriterien und Verfahrensweisen ausgemacht haben, wie können Sie diese nun in die Diskussion mit der Gegenseite einbringen?

 

|129|Sachbezogenes Verhandeln hat drei Grundelemente:

  1. Funktionieren Sie jeden Streitfall zur gemeinsamen Suche nach objektiven Kriterien um.

  2. Argumentieren Sie vernünftig – und seien Sie selbst offen gegenüber solchen Argumenten, die auf einsichtigen Kriterien beruhen und die sagen, wie man sie entsprechend umsetzen soll.

  3. Geben Sie niemals irgendwelchem Druck nach, beugen Sie sich nur (sinnvollen) Prinzipien.

Kurz: Legen Sie sich entschieden, aber flexibel auf die Verwendung objektiver Kriterien fest.

Funktionieren Sie jeden Streitfall zur gemeinsamen Suche nach objektiven Kriterien um

Wenn Sie um ein Haus verhandeln, sagen Sie am besten: »Sehen Sie, Sie fordern einen hohen Preis, und ich biete einen niedrigen. Wir wollen herausfinden, welcher Preis nun fair ist. Welche objektiven Kriterien wären hier wohl am wichtigsten?« Sie und die Gegenseite mögen durchaus unterschiedliche Interessen haben, aber nun haben Sie beide ein gemeinsames Ziel: einen fairen Preis zu bestimmen. Beginnen Sie etwa selbst mit der Darlegung des einen oder anderen Kriteriums – den Hauswert abzüglich Abnutzung und Inflation, Vergleichswerte anderer kürzlich verkaufter Häuser in der Umgebung, eine unabhängige Schätzung – und fordern Sie nun den Verkäufer auf, seine Vorstellungen darzulegen.

 

Fragen Sie: »Wie denken Sie darüber?« Wenn der Verkäufer dann Stellung bezieht, etwa: »Der Preis ist 750 000 Euro«, dann fragen Sie weiter: »Wie kommen Sie gerade auf diesen Preis?« Behandeln Sie das Problem so, als ob sich der Verkäufer selbst um einen fairen Preis bemühen würde, den er auf objektiven Kriterien aufbaut.

 

|130|Einigen Sie sich zuerst über die Prinzipien Ehe Sie sich den möglichen Bedingungen zuwenden, sollten Sie sich über die Kriterien einigen, die Sie anwenden wollen.

Jedes Kriterium, das die Gegenseite vorschlägt, wird zu einem Ansatz, mit dem Sie sie überzeugen können. Ihre Argumentation wird noch viel durchschlagender, wenn Sie auf Kriterien aufbauen, die die Gegenseite selbst vorgeschlagen hat.

Die anderen tun sich wesentlich schwerer zu widersprechen, wenn Sie deren Kriterien auf das Problem anwenden. »Sie sagen, dass das Haus von Familie Meier nebenan für 340 000 Euro verkauft wurde. Und Sie sind der Meinung, dass auch Ihr Haus unter den Bedingungen bewertet werden soll, wie sie hier üblich sind, nicht wahr? Gut, dann sehen wir uns mal an, für wie viel das Haus von Müllers an der nächsten Ecke und das von Schmidt zwei Straßen weiter verkauft wurden.« Schwierig wird Nachgeben immer dann, wenn man den Vorschlägen anderer Leute folgen soll. Hat man aber die Kriterien selbst ins Spiel gebracht, so bedeutet Nachgeben nicht einen Akt der Schwäche, sondern ist Ausdruck von Korrektheit: Man steht zu seinem Wort.

Argumentieren Sie vernünftig – und seien Sie solcher Argumentation gegenüber selbst offen

Eine Verhandlung wird dann zur gemeinsamen Suche – wie viele objektive Kriterien Sie auch in der Hand haben –, wenn Sie mit aller Offenheit in die Verhandlung gehen. Bei vielen Verhandlungen benutzen die Menschen frühere oder irgendwelche anderen Kriterien schlichtweg als Argumente zur Zementierung der eigenen Position. Eine Polizeigewerkschaft besteht zum Beispiel auf einer bestimmten Gehaltserhöhung und rechtfertigt ihre Position mit den Forderungen der Kollegen aus anderen Regionen. Missbraucht man Kriterien auf diese Weise, halten meist auch die anderen noch mehr an ihren Positionen fest.

|131|Noch einen Schritt weiter zurück: Manche Leute beginnen von vornherein mit der Ankündigung, dass das Ganze sowieso ein Streit um Prinzipien sei (und legen damit ihre Position fest), und weigern sich, die Gegenseite überhaupt wirklich anzuhören. »Das ist eine Frage des Prinzips« lautet der Schlachtruf bei »heiligen Kriegen« mit ideologischem Charakter. Praktische Unterschiede arten in prinzipielle Differenzen aus, binden die Verhandlungspartner eher als dass sie sie befreien.

Genau das ist kein sachbezogenes Verhandeln. Wenn Sie darauf beharren, dass eine Übereinkunft auf objektiven Kriterien beruhen muss, so heißt das nicht, dass Sie nur auf den Kriterien bestehen sollen, die Sie vorgeschlagen haben. Die Existenz eines legitimen Kriteriums schließt nicht aus, dass es noch andere gibt. Und was die andere Seite für fair hält, muss noch lange nicht von Ihrer Seite aus fair erscheinen. Verhalten Sie sich wie ein Richter: Auch wenn Sie natürlich der einen Seite zugeneigt sind, sollten Sie bereitwillig auf Argumente eingehen, die eine Anwendung anderer Kriterien oder eine andere Anwendung der vorliegenden Kriterien befürworten. Wenn beide Seiten mit unterschiedlichen Standards zusammenkommen, suchen sie nach einer objektiven Grundlage für ihre Entscheidung – etwa danach, welche Kriterien die Parteien früher gemeinsam angewendet haben oder welches Kriterium allgemein verbreiteter ist. Ebenso wie die Hauptsache nicht auf der Grundlage bloßer Willenskämpfe entschieden werden soll, darf auch die Frage nach den verwendeten Kriterien nicht bloß von der Willkür der einen oder anderen Seite abhängen.

Es mag vorkommen, dass in einem gegebenen Fall zwei Kriterien (wie der Marktwert und der Abschreibungswert) unterschiedliche Ergebnisse zeitigen, die aber beiden Parteien gleichermaßen legitim erscheinen. In diesem Falle ist es wiederum vollkommen gerechtfertigt, die Differenz zu teilen oder irgendeinen anderen Kompromiss dazwischen zu finden. Das Ergebnis ist immer noch unabhängig von der Willkür beider Parteien.

Wenn Sie jedoch nach eingehender Diskussion der Sachlage bei |132|einem Streitfall noch immer nicht die von der Gegenseite vorgeschlagenen Kriterien als angemessen anerkennen können, so schlagen Sie einen Test darüber vor. Einigen Sie sich auf eine Person, die Sie beide als fair einschätzen, und geben Sie ihr eine Liste der vorgeschlagenen Kriterien. Lassen Sie diese Person entscheiden, welche sie für die fairsten oder angemessensten hinsichtlich der vorliegenden Situation hält. Da man objektiven Kriterien ja unterstellt, dass sie legitim sind, und da Legitimität die Anerkennung durch viele Menschen bedeutet, ist eine solche Nachfrage durchaus fair. Sie bitten dabei übrigens die dritte Person nicht um Beilegung Ihrer Auseinandersetzung – sondern lediglich um einen Rat, welches Kriterium zur Beilegung verwendet werden sollte.

Der Unterschied zwischen der Suche nach Übereinstimmung hinsichtlich der verwendeten Prinzipien zur Sachentscheidung und der Benutzung von Prinzipien lediglich zur Stützung von Positionen ist manchmal subtil, aber immer bedeutungsvoll. Wer sachbezogen verhandelt, ist offen für eine inhaltliche, vernünftige Überzeugungsarbeit. Wer nur um Positionen feilscht, ist dies gerade nicht. Die Kombination aus Offenheit gegenüber Vernunftgründen und dem Beharren auf Lösungen auf der Grundlage objektiver Kriterien macht das sachbezogene Verhandeln so überzeugend und bringt die Gegenseite auch mit solcher Effektivität zum Mitspielen.

Geben Sie niemals irgendeinem Druck nach

Nehmen wir noch einmal den Fall mit dem Bauunternehmer. Was ist, wenn er Ihnen anbietet, dass er Ihren Schwager bei sich anstellt unter der Bedingung, dass Sie bei der Tiefe des Fundaments nachgeben? Darauf sollten Sie antworten: »Ein Arbeitsplatz für meinen Schwager hat doch nichts damit zu tun, ob das Haus sicher auf einem derartigen Fundament steht.« Was weiter, wenn der Unternehmer nun eine Preiserhöhung androht? Dann sollten Sie so antworten: »Wir müssen das Ganze sachlich entscheiden. Sehen wir einmal, was |133|andere Unternehmer für eine entsprechende Arbeit fordern«, oder: »Bringen Sie mir Ihre Kalkulation und wir werden einen fairen Profit für Sie aushandeln.« Wenn der andere dann mit Worten ankommt wie: »Na, Sie werden mir doch vertrauen, oder?«, dann sollten Sie dagegenhalten: »Vertrauen ist eine ganz andere Sache. Hier geht es darum, wie tief die Fundamente sein müssen, damit das Haus sicher steht.«

Druck kann verschiedene Formen haben: Bestechung, Drohung, manipulativer Vertrauensappell oder schlicht Weigerung, sich von der Stelle zu bewegen. In all diesen Fällen lautet die prinzipielle Antwort gleich: Fordern Sie die Gegenseite zum vernünftigen Argumentieren auf, schlagen Sie mögliche objektive Kriterien vor und bestehen Sie darauf, auf deren Grundlage weiter zu verhandeln. Geben Sie niemals irgendwelchem Druck nach, unterwerfen Sie sich nur vernünftigen Prinzipien.

Wer wird nun bei einer solchen Verhandlung am Ende gewinnen? Das lässt sich nicht generell voraussagen, aber ganz allgemein haben Sie einen gewissen Vorteil. Denn zusätzlich zu Ihrer Willenskraft haben Sie auch noch die Macht der Legitimität und eine überzeugende Wirkung dadurch, dass Sie Offenheit zeigen gegenüber vernünftigen Argumenten. Sie können sich leichter der Willkür verweigern, als die Gegenseite sich der Entwicklung objektiver Kriterien entziehen kann. Wenn Sie sich weigern nachzugeben (ausgenommen seien klare Vernunftgründe), so ist das eine Position, die Sie besser – öffentlich wie privat – verteidigen können, als wenn Sie sich gegen die Entwicklung einsichtiger Vernunftargumente sperren.

Schließlich werden Sie jedenfalls im Hinblick auf die verfahrensmäßigen Fragen gewinnen. Normalerweise können Sie den Prozess vom Feilschen um Positionen hinlenken zur Suche nach objektiven Kriterien. In diesem Sinn dominiert das sachbezogene Verhandeln als Strategie gegenüber dem Feilschen um Positionen. Wer darauf besteht, dass die Verhandlung sachbezogen sein muss, bringt meist die anderen zum Mitziehen, zumal das dann zur einzigen Möglichkeit wird, ihre substanziellen Interessen zu entwickeln.

|134|Inhaltlich empfiehlt sich das sachbezogene Verhandeln ebenfalls. Speziell wer sich durch ein nur um Positionen feilschendes Gegenüber eingeschüchtert fühlt, bekommt durch das sachbezogene Verhandeln immer die Möglichkeit, die eigene Position zu halten und dennoch fair zu bleiben. Das Prinzip dient dazu, dem Druck eines hartnäckigen Partners nicht nachzugeben. Das Ganze ist dann eine Form von »Recht macht stark«.

Wenn am Ende die Gegenseite sich aber überhaupt nicht bewegen will und auch keine überzeugende Basis für ihre Position entwickelt, dann gibt es schlichtweg keine Verhandlung mehr. Das ist dann etwa so, als ob Sie in ein Geschäft mit festen Warenpreisen gehen. Dann können Sie nur entscheiden, ob Sie kaufen wollen oder nicht. Bevor Sie allerdings mit dem Verhandeln aufhören, sollten Sie noch einmal prüfen, ob Sie nicht doch noch ein objektives Kriterium übersehen haben, unter dem das Angebot der anderen Seite als fair angesehen werden könnte. Finden Sie eines und können Sie damit doch noch zu einem Übereinkommen (statt zu gar keinem) kommen, so akzeptieren Sie es. Ist das Kriterium brauchbar, so vermeidet man damit den Nachteil, sich einer willkürlichen Position zu unterwerfen.

Rückt die Gegenseite nicht von ihrer Position ab und finden Sie keine Möglichkeit, dies zu akzeptieren, dann sollten Sie abschätzen, ob es besser ist, die ungerechtfertigte Position der Gegenseite in Kauf zu nehmen oder sich der besten sich bietenden Alternative zuzuwenden. Wägen Sie die sachlichen Vorteile ab gegenüber der Verbesserung Ihres guten Rufs als sachbezogener Verhandlungspartner, wenn Sie die Verhandlung in dieser Situation abbrechen.

Wenn Sie während einer Verhandlung die Diskussion von der Frage, was die Gegenseite unbedingt will, verlagern zur Frage, auf welche Weise man die Sache am besten entscheidet, so ist damit der Streitfall natürlich noch nicht entschieden, und dieses Vorgehen garantiert auch keineswegs ein vorteilhafts Resultat für Sie. Auf alle Fälle haben Sie damit jedoch eine Strategie, die Sie entschieden verfolgen können, ohne den hohen Preis zu zahlen, den das Feilschen um Positionen kostet.

|135|»Die Gepflogenheiten der Firma« – Ein konkreter Fall

Sehen wir uns einen authentischen Fall an, in dem die eine Seite das Feilschen um Positionen betrieb, die andere aber das sachbezogene Verhandeln. Der geparkte Wagen von Tom, einem unserer Kollegen, war von einem Lastwagen völlig ramponiert worden. Das Auto war versichert, aber die Höhe des Schadens sollte Tom nun mit dem Sachbearbeiter der Versicherung aushandeln.