|139|Teil 3

Ja, aber …

|141|Und wenn die Gegenseite stärker ist?

Entwickeln Sie die »Beste Alternative« zur Verhandlungsübereinkunft (BATNA)2

Was nützt nun das Gespräch über Interessen, Optionen und Kriterien, wenn die Gegenseite in der stärkeren Position ist? Wenn sie reicher ist oder die besseren Verbindungen hat, wenn sie einen größeren Verhandlungsstab hat oder stärkere Waffen?

Keine Verhandlungsmethode kann Erfolge garantieren, wenn die Macht auf der Gegenseite liegt – schließlich können Sie auch nicht aus einem Buch über Gartenbau die Aufzucht von Lilien in der Wüste oder im Sumpf lernen. Wenn Sie in einem Antiquitätengeschäft ein Silbergeschirr im Wert von 10 000 Euro kaufen wollen und nur 100 Euro besitzen, können Sie kaum erfolgreiche Verhandlungen zur Überbrückung der Differenz erwarten. Bei jeder Verhandlung gibt es Realitäten, die einfach nicht zu ändern sind. Als Antwort auf schlichte Übermacht kann eine geschickte Verhandlungsart allenfalls zweierlei Ziele erreichen: Erstens, sie kann Sie vor einer Übereinkunft schützen, die Sie besser nicht eingehen sollten; und zweitens, sie kann noch das Beste aus der schlechten Ausgangslage machen, sodass Sie am Ende eine Übereinkunft erreichen, die Ihren Interessen so gut wie noch irgend möglich nützt. Sehen wir uns die beiden Zielsetzungen nun nacheinander an.

|142|Schützen Sie sich

Wenn Sie unbedingt ein bestimmtes Flugzeug erreichen wollen, scheint Ihnen dieses Ziel unter Umständen als ungeheuer wichtig. In der späteren Rückschau erkennen Sie dann, dass Sie ruhig auch das nächste hätten nehmen können. Beim Verhandeln sieht man sich oft in der gleichen Lage. Etwa wenn Sie befürchten, dass Sie bei einem wichtigen Geschäft, in das Sie viel persönlich investiert haben, nicht zu einer Übereinkunft gelangen. Dabei besteht dann die große Gefahr, dass Sie nur allzu bereit sind, sich den Standpunkt der Gegenseite zu Eigen zu machen – zu schnell auf alles eingehen. Der Sirenengesang »Lasst uns doch das Ganze beenden und uns einigen« wird dann schnell sehr überzeugend. Und am Ende haben Sie ein Abkommen, das Sie besser nicht abgeschlossen hätten.

Die Verwendung eines »Limits« und der Preis dafür

Viele Verhandelnde suchen sich im Allgemeinen gegen solche Ergebnisse durch die Festsetzung einer Art von »Limit«, des Mindestergebnisses sozusagen, zu schützen. Beim Einkaufen ist das etwa der höchste Preis, den man zahlen möchte; beim Verkaufen die niedrigste Summe, die man akzeptieren kann. Sie und Ihr Ehepartner fordern zum Beispiel 650 000 Euro für Ihr Haus, Sie sind sich aber einig, dass Sie keinesfalls unter 600 000 Euro heruntergehen werden.

Wenn man sich ein derartiges Limit setzt, kann man Druck und Versuchungen des Augenblicks leichter widerstehen. Im Fall des Hauskaufs kann möglicherweise der Käufer nicht mehr als 560 000 Euro bezahlen, und jeder der Beteiligten weiß auch, dass Sie das Haus im Vorjahr selbst für nur 520 000 Euro gekauft haben. In dieser Situation läge es ganz bei Ihnen – und nicht beim Käufer –, ein Übereinkommen zu erzielen; der Makler und auch alle anderen bei der Verhandlung werden Sie möglicherweise dazu drängen. Ihr |143|vorher festgesetztes Limit wird Sie dann möglicherweise vor einer Entscheidung bewahren, die Sie später bereuen würden.

Wenn bei der Verhandlung mehr als eine Person auf Ihrer Seite steht, sollte man ein solches Limit gemeinsam festsetzen – das verhindert, dass einer davon der Gegenseite signalisiert, man könne doch noch darunter abschließen. Es schränkt die Verfügungsmacht eines Rechtsanwalts, eines Maklers oder auch irgendeines anderen Agenten ein. »Holen Sie den höchsten Preis heraus, aber Sie sind nicht befugt, unter 400 000 Euro zu verkaufen.« Wenn Sie zum Beispiel im Rahmen von verschiedenen Arbeitnehmerorganisationen mit den Arbeitgebern verhandeln, mindert ein festgesetztes Limit das Risiko, dass einer der Beteiligten aufgrund von Angeboten der Gegenseite einen Alleingang unternimmt.

Allerdings fordert der Selbstschutz mithilfe eines Limits auch einen hohen Preis. Er schränkt nämlich auch Ihre Fähigkeit ein, von dem zu profitieren, was Sie erst während der Verhandlung erfahren. Ein Limit ist ja per definitionem eine unverrückbare Position. Derart, dass Sie Ihre Ohren an dieser Stelle verschließen müssen und dabei bleiben, dass nichts, was die Gegenseite vorbringt, Sie zur Erhöhung respektive Verminderung Ihres Limits veranlassen kann.

Ein Limit behindert auch die Ausbreitung jeglicher Fantasie. Es drängt den Anreiz zur Entwicklung einer maßgeschneiderten Lösung zurück, die unterschiedliche Interessen in einer für beide Seiten vorteilhaften Weise verbinden würde. Nahezu jede Verhandlung umfasst mehr als eine Variable. Statt Ihre Liegenschaft für 400 000 Euro zu verkaufen, könnte es Ihren Interessen dienlicher sein, wenn Sie bei 360 000 abschließen, dazu aber eine Wiederverkaufsklausel einsetzen, das Verkaufsdatum hinausschieben (und das Anwesen somit zunächst selbst weiter benutzen), das Recht auf Verwendung des Speichers als Lager für zwei Jahre festschreiben oder ein Rückkaufsrecht für zwei Hektar des Weidelandes fixieren. Wenn Sie stattdessen auf Ihrem Limit bestehen, werden Sie kaum eine fantasievolle Lösung solcher Art finden. Ein Limit – da von Natur aus starr – erweist sich meistens als zu unbeweglich.

|144|Darüber hinaus wird ein Limit sehr gerne zu hoch festgesetzt. Nehmen Sie an, Sie sitzen mit Ihrer Familie beim Frühstück und beschließen über den niedrigsten Preis, den Sie für Ihr Haus gerade noch akzeptieren wollen. Das eine Familienmitglied schlägt 430 000 Euro vor, das andere meint: »Wir sollten doch mindestens 500 000 Euro kriegen.« Das dritte wirft ein: »500 000 Euro für unser Haus? Das wäre ja glatter Diebstahl. Es ist mindestens 540 000 Euro wert.« Dagegen kann nun wiederum niemand aus der Runde etwas einwenden – zumal ja alle von einem höheren Preis profitieren würden. Hat man ein solches Limit aber erst einmal beschlossen, kann man es kaum mehr verändern, und das kann den Verkauf dann auf Jahre hinaus unmöglich machen. Unter anderen Umständen kann ein Limit durchaus auch einmal zu niedrig angesetzt sein; dann wäre es besser gewesen, nicht zu verkaufen, sondern zu vermieten.

Noch einmal also: Die Festsetzung eines Limits kann Sie zwar vor dem Abschluss eines schlechten Übereinkommens bewahren; aber es kann Sie gleichzeitig auch von der Entwicklung und Annahme eines Abkommens abhalten, das Sie klugerweise annehmen sollten. Eine willkürlich festgelegte »Grenzlinie« ist kein Maßstab für das, was Sie akzeptieren können.

Gibt es eine Alternative zum Limit? Gibt es eine Maßgabe für Übereinkünfte, die Sie sowohl vor der Annahme eines Abkommens schützt, das Sie besser nicht akzeptieren sollten, als auch vor der Ablehnung einer Einigung, die Sie unterschreiben können? Es gibt sie.

Verschaffen Sie sich Klarheit über Ihre Beste Alternative

Wenn Ihre Familie über den Mindestpreis für Ihr Haus entscheidet, wäre die richtige Frage nicht, was Sie bekommen »müssen«, sondern was Sie tun, wenn Sie das Objekt nicht innerhalb einer bestimmten Zeit verkauft haben. Wollen Sie es unentwegt weiter anbieten? Wollen Sie es vermieten, abreißen, das Grundstück zu einem Parkplatz machen, irgendwen frei darin wohnen lassen, wenn er es dafür neu |145|streicht, oder sonst etwas? Welche dieser Wahlmöglichkeiten ist die beste, wenn man alles in Rechnung zieht? Und in welchem Verhältnis steht diese Möglichkeit zum höchsten bisher eingegangenen Angebot? Es könnte sein, dass eine der Alternativen attraktiver ist als der Verkauf für 400 000 Euro. Andererseits kann der Verkauf für 350 000 Euro besser sein, als das Haus auf Dauer im Besitz zu haben. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass es irgendein willkürliches Limit gibt, das tatsächlich den Interessen der Familie entspricht.

Der Grund dafür, dass Sie über etwas verhandeln, liegt ja prinzipiell darin, dass für Sie etwas Besseres dabei herauskommt, als wenn Sie nicht verhandeln würden. Welche Ergebnisse sind das nun? Und welches sind dazu die Alternativen? Was ist für Sie die »Beste Alternative zur Verhandlungsübereinkunft«? Dies ist das Kriterium, an dem Sie jedes vorgeschlagene Abkommen messen sollten. Die Beste Alternative ist das einzige Kriterium, das Sie sowohl vor der Annahme allzu ungünstiger Bedingungen wie auch vor der Ablehnung von Konditionen bewahren kann, die Sie in Ihrem Interesse akzeptieren sollten.

Ihre Beste Alternative ist nicht nur der geeignete Maßstab, sondern hat auch den Vorteil, flexibel genug zur Erkundung fantasievoller Lösungen zu sein. Statt jede Lösung unterhalb Ihres Limits auszuschließen, können Sie jeden Vorschlag mit Ihrer Besten Alternative vergleichen und zusehen, was Ihren Interessen mehr dient.

Die Unsicherheit bezüglich einer unbekannten Besten Alternative

Wenn Sie nicht sorgfältig darüber nachgedacht haben, was Sie tun, sofern keine Übereinkunft zustande kommt, verhandeln Sie wie mit geschlossenen Augen. Dann sind Sie beispielsweise zu optimistisch und glauben, dass Sie viele andere Möglichkeiten besitzen: andere Häuser zum Verkauf, andere Käufer für Ihren Gebrauchtwagen, andere Klempner für die Installation, andere Arbeitsplätze, andere |146|Lieferanten usw. Selbst wenn die Alternative als solche feststeht, sehen Sie möglicherweise die Konsequenzen aus der nicht erreichten Übereinkunft zu rosig. Sie sind sich nicht über die ganze Härte eines Gerichtsverfahrens klar, über eine Scheidung, einen Streik, das Wettrüsten, einen Krieg.

Ein häufiger Fehler besteht darin, dass man, psychologisch gesehen, seine Alternativen immer bündelweise betrachtet. Sie reden sich ein: Wenn ich mit meiner Gehaltsforderung nicht durchkomme, kann ich immer noch nach Berlin ziehen oder nach München oder eine Umschulung vornehmen, mich als Sekretärin verdingen, als Landarbeiter, ich kann auch in Paris leben oder sonst etwas in der Art unternehmen. All das zusammen erscheint Ihnen in Ihrem Gehirn wahrscheinlich attraktiver als eine Arbeit unter solchen Bedingungen wie hier. Das Problem liegt darin, dass Sie eben dies alles nicht zusammen haben können. Wenn Sie nicht zu einem Arbeitsvertrag kommen, müssen Sie sich für genau eine der Alternativen entscheiden, sofern diese überhaupt realistisch sind.

In den meisten Fällen liegt die größere Gefahr jedoch darin, dass man sich zu sehr darauf festlegt, dass eine Übereinkunft getroffen werden muss. Wenn Sie keine Alternative zur Verhandlungslösung entwickelt haben, werden Sie über Gebühr pessimistisch sein hinsichtlich dessen, was passiert, wenn die Verhandlungen abgebrochen werden.

Die Beste Alternative ist also sehr wertvoll; trotzdem werden Sie möglicherweise zögern, Alternativen auszuforschen. Sie hoffen einfach, dass der nächste Käufer Ihnen ein attraktives Angebot für Ihr Haus macht. Vielleicht trauen Sie sich auch nicht an die Frage heran, was passiert, wenn die Verhandlungen scheitern. Sie denken etwa: »Wir wollen erst mal verhandeln und schauen, was geschieht. Wenn die Sache schlecht läuft, sehen wir weiter.« Es ist aber für eine kluge Verhandlungsführung unerlässlich, dass man wenigstens ansatzweise eine Antwort auf diese Frage hat. Denn Zustimmung oder Ablehnung hängt bei einer Verhandlung völlig davon ab, wie attraktiv die beste denkbare Alternative ist.

|147|Ziehen Sie einen Stolperdraht

Ihre Beste Alternative ist die zuverlässige Messlatte, an der Sie jedes vorgeschlagene Übereinkommen bewerten sollten; trotzdem mag Ihnen noch an einem weiteren Test gelegen sein. Um sich selbst davor zu warnen, dass ein mögliches Abkommen für Sie unattraktiv und damit riskant zu werden beginnt, ist es ganz nützlich, sich eine Übereinkunft vorzustellen, die weit vom besten Ergebnis entfernt, aber immer noch besser als die Beste Alternative ist. Ehe Sie diesen Stolperdraht dann übersteigen, sollten Sie die Verhandlungen eine gewisse Zeit aussetzen und sich die Lage vergegenwärtigen. Wie beim Limit, so kann man auch mit einem solchen Stolperdraht die Befugnisse eines Agenten einschränken: »Verkaufen Sie keinesfalls unter 190 000 Euro, ehe Sie nicht mit mir gesprochen haben.«

Ein solcher Stolperdraht bietet Ihnen einen weiteren Verhandlungsspielraum. Wenn Sie das Kriterium hinreichend fixiert haben und dann einen Vermittler anrufen wollen, so haben Sie gleich etwas, mit dem Sie ihn arbeiten lassen können. Sie haben sich noch einmal Bewegungsspielraum verschafft.

Machen Sie das Beste aus Ihren Möglichkeiten

Es ist eine Sache, sich gegen ein schlechtes Abkommen zu schützen; eine andere Sache ist es aber, das Beste aus seinen Möglichkeiten hinsichtlich einer Übereinkunft zu machen. Wieder liegt die Antwort bei der Besten Alternative.

Je attraktiver Ihre Beste Alternative,um so größer ist Ihre Macht

Meist glaubt man, die Verhandlungsstärke einer Partei sei bestimmt durch Hilfsquellen wie Reichtum, politische Verbindungen, physische |148|Kraft, Freunde, militärische Gewalt. Tatsächlich aber hängt die Verhandlungsstärke primär davon ab, wie attraktiv die Optionen bei einem Scheitern der Verhandlungen sind.

Ein Beispiel: Ein reicher Tourist will von einem Straßenverkäufer für wenig Geld einen kleinen Messingtopf kaufen. Der Händler ist vielleicht arm, aber er kennt den Markt. Bringt er den Gegenstand nicht an diesen Touristen los, dann sicher an einen anderen. Er weiß aus Erfahrung, wann und für wie viel er das Ding an irgendjemanden verkaufen kann. Der Tourist kann durchaus reich und »mächtig« sein, aber bei dieser Verhandlung ist er tatsächlich schwach, solange er nicht ungefähr weiß, was solch ein Gerät kostet und wie schwierig es sein wird, ein ähnliches anderswo aufzutreiben. Er ist sicher, dass er entweder eine gute Gelegenheit verpasst oder einen zu hohen Preis bezahlt. Der Reichtum des Touristen stärkt in keiner Weise seine Verhandlungsmacht. Wenn sein Reichtum auch noch sichtbar ist, wird das seine Möglichkeiten, den Gegenstand zu niedrigem Preis zu erstehen, schwächen. Möchte er seinen Reichtum auch in Verhandlungsstärke ummünzen, so muss er sich dazu bequemen, etwas über den Preis zu erfahren, den er anderswo für einen gleichen oder noch schöneren Messingtopf bezahlen müsste.

Stellen Sie sich vor, wie Sie sich fühlen, wenn Sie ein Gespräch über einen neuen Arbeitsplatz führen müssen, ohne anderweitige Offerten in der Rückhand zu haben. Denken Sie nur, wie die Gehaltsverhandlung dann verlaufen würde. Und nun überlegen Sie, wie das Ganze vor sich ginge, wenn Sie zwei weitere Angebote in der Tasche hätten. Wie sähen dann die Gehaltsgespräche aus? Der Unterschied zwischen beiden Situationen macht deutlich, was Verhandlungsstärke ausmacht.

Dies alles gilt nicht nur für Verhandlungen zwischen Einzelpersonen, sondern auch für solche zwischen Organisationen. Das relative Kräfteverhältnis zwischen einem großen Industriekomplex und einer Kleinstadt, die die Betriebssteuern erhöhen will, bestimmt sich nicht durch die jeweilige Höhe ihres Etats oder ihren politischen Einfluss, sondern durch ihre jeweils Beste Alternative. Es gibt einen Fall, in |149|dem eine Kleinstadt eine sogar außerhalb der Stadtgrenzen gelegene Firma von einer »freiwilligen« Zahlung von 300 000 Dollar jährlich auf 2,3 Millionen Dollar heraufhandelte. Wie hat sie das gemacht?

Die Stadtverwaltung wusste genau, was sie im Falle eines Scheiterns des Abkommens tun würde: Sie würde die Stadtgrenze einfach so weit ausdehnen, dass die Firma darin eingeschlossen würde und damit die volle Steuer von ca. 2,5 Millionen Dollar für Betriebe im Stadtgebiet zahlen müsste. Das Unternehmen andererseits war an den Firmensitz gebunden. Es hatte keine Alternative hinsichtlich des Abkommens erarbeitet. Auf den ersten Blick also schien zwar der Betrieb sehr mächtig, stellte die meisten Arbeitsplätze für die Bewohner der im Übrigen wirtschaftlich armen Stadt (sodass eine Schließung die Stadt ruiniert hätte); und tatsächlich trug schon die bisher bezahlte Steuer dazu bei, dass die Stadtväter ihre eigenen Gehälter zahlen konnten – die Stadtväter, die nun nach mehr riefen. Aufgrund des Fehlens einer Alternative half all diese Macht der Firma in diesem Falle allerdings wenig. Die Stadtverwaltung hatte die Beste Alternative entwickelt und besaß daher mehr Einfluss auf das Verhandlungsergebnis als eine der größten Firmen der Welt.

Entwickeln Sie Ihre Beste Alternative

Eine konsequente Analyse, was Sie im Falle des Scheiterns einer Übereinkunft tun können, stärkt unter Umständen Ihre Position ganz erheblich. Natürlich liegen die attraktiven Alternativen nicht so einfach in der Gegend herum und warten auf Sie. Normalerweise müssen Sie sie erst entwickeln. Dazu sind drei unterschiedliche Operationen vonnöten: 1. Sie müssen eine Liste von Aktionen erstellen, die Sie möglicherweise durchführen, wenn es zu keiner Übereinkunft kommt; 2. Sie müssen ein paar besonders vielversprechende Ideen weiterentwickeln und in praktische Optionen umwandeln; und 3. Sie müssen versuchsweise die beste dieser Möglichkeiten auswählen.

Zuerst also müssen Sie Erfindungsgabe zeigen. Wenn Ihnen die |150|Firma X bis zum Ende des Monats keine befriedigende Stelle anbietet, was könnten Sie dann alles unternehmen? Bei der Firma Y anheuern? In eine andere Stadt ziehen? Selbst ein Geschäft aufmachen? Oder was sonst? Für eine Gewerkschaft gibt es Alternativen zu einem Abkommen in Form von Streikaufrufen, tariflosem Weiterarbeiten, einen Schlichter bei einer Streikpause von sechzig Tagen anrufen, die Arbeiter zum Bummelstreik auffordern.

Zweite Etappe: Die besten dieser Einfälle weiterentwickeln und die aussichtsreichsten in realistische Optionen übersetzen. Wenn Sie daran denken, nach München überzusiedeln, sollten Sie von dort mindestens ein Stellenangebot besitzen. Haben Sie eine solche Offerte in der Hand (oder umgekehrt: haben Sie herausbekommen, dass es da gar keine Chance für Sie gibt), können Sie viel besser Vor- und Nachteile des Angebots aus Frankfurt abschätzen. Noch während der Verhandlungen sollte, im zweiten Beispiel, die Gewerkschaft den Gedanken an einen Schlichter oder an einen Streik in genaue Entscheidungen umsetzen, die sofort durchgeführt werden können. Sie kann zum Beispiel eine Urabstimmung vorbereiten für den Fall, dass es in der vorgesehenen Zeit zu keiner Einigung kommt.

Der letzte Schritt bei der Entwicklung der Besten Alternative besteht im Auswählen der besten Option. Wenn es keine Übereinkunft gibt, welche Ihrer realisierbaren Möglichkeiten werden Sie dann verfolgen wollen?

Wenn Sie das alles durchgespielt haben, besitzen Sie Ihre Beste Alternative. Vergleichen Sie jedes Angebot damit. Je besser Ihre Beste Alternative, um so mehr sind Sie in der Lage, die Bedingungen für jedes Verhandlungsergebnis zu verbessern. Sie werden zusätzliches Selbstvertrauen in den Verhandlungsprozess einbringen, wenn Sie wissen, was Sie im Falle eines Scheiterns tun. Man kann übrigens Verhandlungen auch leichter abbrechen, wenn man weiß, wie man dann weitermacht. Je stärker Ihre Bereitschaft ist, Verhandlungen auch scheitern zu lassen, um so machtvoller können Sie Ihre Interessen und die für Sie akzeptable Grundlage für ein Übereinkommen präsentieren.

|151|Inwieweit es wünschenswert ist, dass Sie Ihre Beste Alternative der Gegenseite offenbaren, hängt von Ihrer Einschätzung des Denkens der Partner ab. Wenn Ihre Beste Alternative besonders attraktiv ist – wenn zum Beispiel ein anderer Kunde schon nebenan wartet –, liegt es in Ihrem Interesse, die Gegenseite einzuweihen. Oder, wenn die anderen meinen, Sie hätten überhaupt keine oder keine gute Alternative, während Sie tatsächlich eine besitzen, dann sollten die Partner das durchaus wissen. Ist Ihre Beste Alternative allerdings schlechter als die Gegenseite annimmt, würde eine solche Offenbarung Ihre Position eher schwächen als stärken.

Untersuchen Sie auch die Beste Alternative der Gegenseite

Sie sollten sich auch ansehen, welche Alternativen zu einem Verhandlungsabkommen die Gegenseite hat. Auch die anderen können über Gebühr optimistisch hinsichtlich dessen sein, was sie im Falle eines Scheiterns tun können. Vielleicht haben auch sie nur eine vage Vorstellung, dass sie viele Wahlmöglichkeiten besitzen, und sehen auch nur alle diese Optionen zusammen, nicht aber, dass sie am Ende nur eine davon realisieren können.

Je mehr Sie über die Möglichkeiten der Gegenseite herausbekommen, um so besser sind Sie für die Verhandlungen gerüstet. Wenn Sie die Alternativen der anderen kennen, schätzen Sie viel realistischer ein, was Sie von den Verhandlungen überhaupt erwarten können. Wenn die Gegenseite ganz offenbar ihre Beste Alternative überbewertet, müssen Sie dafür sorgen, dass die Erwartungen heruntergeschraubt werden.

Vielleicht ist die Beste Alternative der anderen für sie besser als jede faire Lösung, die Sie selbst sich vorstellen können. Ein Beispiel: Sie gehören einer Gruppe von Einwohnern an, die besorgt ist über die Giftgase, welche möglicherweise von einem gerade im Bau befindlichen Kraftwerk verströmt werden. Die Beste Alternative der Kraftwerksgesellschaft besteht darin, entweder den Protest von |152|Ihnen allen zu ignorieren, oder mit Ihnen im Gespräch zu bleiben, während sie inzwischen den Bau fertig stellt. Damit die Gesellschaft Ihre Sorgen ernst nimmt, sollten Sie Klage mit dem Ziel einer Rücknahme der Baugenehmigung einreichen. Mit anderen Worten: Wenn die Beste Alternative der Gesellschaft so gut ist, dass sie sachbezogenes Verhandeln für unnötig hält, dann sehen Sie zu, dass die Gegenseite diese Einstellung ändert.

Wenn beide Seiten eine attraktive Beste Alternative haben, ist das beste Verhandlungsergebnis – für beide Seiten –, eben kein Übereinkommen zu treffen. In diesem Fall besteht das erfolgreiche Verhandeln in der freundschaftlichen und effektiven Entdeckung, dass der beste Weg zum Erfolg Ihrer beiderseitigen Interessen der ist, sich anderweitig umzusehen und nicht weiter nach Möglichkeiten zu einem Abkommen zu suchen.

Wenn die Gegenseite Macht besitzt

Wenn die Gegenseite »große Geschütze« auffährt, sollten Sie die Verhandlung nicht in ein Artillerieduell verwandeln. Je stärker die anderen im physischen oder ökonomischen Sinn erscheinen, um so mehr können Sie von sachbezogenem Verhandeln profitieren. Wenn die anderen Muskeln haben und Sie nur Prinzipien, dann kommen Sie um so besser weg, je umfangreicher Sie die Prinzipien in die Verhandlungen einbringen können.

Eine attraktive Alternative fördert sachbezogenes Verhandeln. Alle Hilfsquellen, die Sie besitzen, können Sie in Verhandlungsstärke verwandeln, wenn Sie Ihre Beste Alternative entwickeln und verbessern. Verwenden Sie Wissen, Zeit, Geld, Leute, Beziehungen und all Ihren Witz darauf, die für Sie beste und von der Zustimmung der Gegenseite unabhängige Lösung zu finden. Je leichter und unbeschwerter Sie aus der Verhandlung ausscheiden können, um so stärker ist Ihre Einflussmöglichkeit auf die Verhandlungen selbst.

Wenn Sie Ihre Beste Alternative entwickeln, so können Sie damit |153|nicht nur die Grenzlinie zu einem akzeptablen Abkommen herausfinden, sondern diese Grenze darüber hinaus auch noch zu Ihren Gunsten verschieben. Wenn Sie mit einem offenbar stärkeren Partner verhandeln, ist die Entwicklung Ihrer Besten Alternative die wohl wirkungsvollste Vorgehensweise, die es dabei gibt.