Jahr Zwei, 28. Oktober, Mittag I

»Nun, Professor, wie sieht es aus? Erfolge?«

Charmant, wie er nun einmal war, kam Marschall Gärtner im Labor sogleich zur Sache. Lässig lehnte er an einem der Arbeitstische und fegte sich mit dem Handrücken demonstrativ imaginäre Staubfussel von der Uniformbluse.

Der Professor und seine Kollegin hatten in der letzten Woche fast pausenlos an einer Lösung für Gärtners Wunsch, zombifizierte Supersoldaten zu kreieren, gearbeitet. Der Professor zog die Hände aus den fest montierten Schutzhandschuhen des Sterilarbeitsplatzes, wo er bis eben das Serum portioniert hatte, und setzte seine Schutzbrille ab.

Alle Behälter waren verschlossen und der Bereich wurde nun automatisch sterilisiert.

»Ich muss sagen«, gab Professor Ethelston zurück, »meine Kollegin Doktor Newark hat vortreffliche, ja, geradezu überragende Arbeit geleistet. Sie hat ein exakt auf Ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Genom konstruiert, und wir konnten es auf ein modifiziertes Z1V31-Virus transferieren, das wir als Vektor einsetzen wollen. Wir sind bereit für eine erste Testreihe.«

Der Gesichtsausdruck des Marschalls erhellte sich merklich.

»Sehr gut. Das nenne ich Einsatzbereitschaft. Unsere Freiwilligen stehen auch schon seit gestern bereit. Sollen wir dann? Bitte folgen Sie mir, und vergessen Sie Ihr Serum nicht, wir können im Grunde sofort beginnen.«

Der Professor begann damit, ein Dutzend Spritzbestecke fertig zu machen, und legte die aufgezogenen Spritzen mit je fünf Milliliter Inhalt auf eine größere Nierenschale. Dazu Tupfer und Aderpresse.

Als er die Flasche mit dem Kodan-Desinfektionsmittel in der Hand hielt, schüttelte er den Kopf, und stellte die Flasche wieder hin.

Doktor Newark bestückte ein Datentablett mit den Testdateien und fragte:

»Werden wir im Testbereich Videoaufzeichnungen durchführen können? Ich hätte gern Videos für die Nachbereitung.«

›Du glaubst gar nicht, was du hier alles auf Video bekommen kannst, Schätzchen‹ dachte der Marschall und nickte.

Als beide Wissenschaftler die notwendigen Utensilien beieinander hatten, folgten sie dem Marschall durch eine Reihe von schmalen Gängen in unterschiedlichen Ebenen des weitläufigen Gebäudetraktes, bis sie schließlich vor einem durch Panzertüren abgesperrten Bereich stehen blieben.

Marschall Gärtner zog eine Magnetstreifenkarte durch einen Schlitz, ließ seine Iris scannen und drückte seine rechte Hand auf einen Scanner, bis ein Piepton ihm anzeigte, dass der Scan abgeschlossen war. Lautlos und scheinbar schwerelos öffnete sich die schwere Panzertür und die drei betraten den besonders gesicherten Bereich, in dem auch ihr Forschungsobjekt namens Gap untergebracht war.

Sie wandten sich nach links in einen Gang, der sie zu einem großen, zusätzlich mit starken Gittern gesicherten Raum führte, in dem zwölf spezielle, schwenkbare Haltevorrichtungen in einer Reihe aufgestellt waren. Dabei handelte es sich um tischähnliche Liegen mit starken Metallschellen für Hals, Arme, Oberkörper und Beine der Probanden. Vor jedem der Tische stand ein uniformierter Soldat ohne Rangabzeichen, die Männer hatten Haltung angenommen, als der Marschall den Raum betrat.

»Soldaten. Rührt euch.« Marschall Gärtner ging die Phalanx ab und baute sich dann mittig vor seinen Männern auf. Er hielt eine kurze Ansprache:

»Männer. Ihr habt euch freiwillig gemeldet, um als Pioniere einen mutigen Schritt zu tun, der uns als führende Spezies auf unserem Planeten bestätigen wird. Wie ihr wisst, haben unsere Feinde aufgerüstet, indem sie eine neue Art von Zeds erschufen, quasi ein Upgrade durchgeführt haben. Viele eurer Kameraden fallen derzeit an der Ostfront, weil der Feind seine biologische Wunderwaffe dort einsetzt. Wir werden es uns nicht bieten lassen, ihm gegenüber im Nachteil zu sein, und wir werden hart und unbarmherzig zurückschlagen. Ihr werdet den ersten Zug von Supersoldaten bilden, der diesem Feind siegreich entgegentreten wird.«

Er drehte sich um und deutete auf Ethelston und Newark, als er weiter sprach.

»Es ist unseren Wissenschaftlern gelungen, die hervorstechendsten Eigenschaften der Struggler-Zeds aus ihrer DNA zu extrahieren und sie in einem speziellen Serum für uns verfügbar zu machen. Wir werden euch nun mit ebendiesen Eigenschaften ausrüsten und euch stärker, schneller und widerstandsfähiger machen, als es je ein Mensch gewesen ist. Ihr stellt eine neue Generation von Kämpfern dar, die Nephilim. Wie es im Ersten Buch Mose steht, werdet ihr die Gottessöhne sein und die Spitze unserer Truppen bilden und diese Zeds ein für alle Mal ausradieren!«

»Jawohl, Herr Marschall!«, tönte es unisono von den zwölf Soldaten, die ohnehin schon ziemliche Kraftpakete waren.

»Ich bin stolz auf euch, Männer. Auf eure Positionen!«

Alle Soldaten knallten die Hacken zusammen und salutierten.

»Zu Befehl!«

Jeder von ihnen legte sich nun auf einen der Tische und die Wissenschaftler begannen damit, die Fixierungen anzubringen.

Die Gurte und Schnallen waren aus ultrafestem, aber flexiblem Material gefertigt, um den zu erwartenden Zuwachs an Muskelmasse zu kompensieren. Losgelassen werden sollten die ersten Nephilim erst, wenn das Experiment als geglückt gelten konnte. Dann wurden allen Probanden EEG- und EKG-Sonden angelegt und die Apparate dazu aktiviert.

Über jedem Kopfende flammten Monitore auf, die permanent die Lebenszeichen des jeweiligen Probanden anzeigten. Als die Prozedur abgeschlossen war, gingen Doktor Newark und Professor Ethelston zu jedem einzelnen Soldaten und verabreichten ihm intravenös eine Dosis des Z1V34-Serums, dann begaben sie sich zu Marschall Gärtner an das Steuerpult.

Die Tische wurden hydraulisch geschwenkt, so dass die Soldaten nun in einer fast aufrechten Position standen.

»Wie lange dauert es, bis wir eine Reaktion sehen?«, fragte der Marschall.

»Nun«, antwortete Professor, »da es sich beim Vektor um das ursprüngliche Virus handelt, das etwas langsamer als die Folgevarianten reagiert, kann es einige Minuten dauern, bis die Wirkung eintritt.«

Der Marschall nickte und nahm das zum Anlass, eine Zigarre aus der Brusttasche seiner Uniform zu ziehen. Er bot dem Professor eine an, doch der lehnte dankend ab.

Gärtner begann, die Zigarre in seiner Hand zu beschneiden, und ließ die Abschnitte achtlos zu Boden fallen.

Doktor Newarks Stimme ließ ihn aufschauen.

»Ach. Und mir bieten Sie keine an, was? Sie sind mir ja ein schöner Gentleman.«

Gärtner schaute die Frau völlig irritiert an und zog langsam eine zweite Cohiba aus seiner Tasche, die er ihr mit fragendem Blick hinhielt.

Doktor Newark verschränkte die Arme und meinte trotzig:

»Danke, aber: Nein Danke. Ich rauche nicht.«

Dann drehte sie sich um und kümmerte sich um die Anzeigen auf dem Pult hinter ihr. Marschall Gärtner wäre beinahe sein Lungentorpedo aus dem Mund gefallen. Er steckte die Zigarre wortlos wieder ein und schüttelte den Kopf.

Dann klappte er sein Benzinfeuerzeug auf und schmauchte an der Havanna, bis die Glut stark genug war. Er tat einen guten Zug und blies eine gehörige Rauchwolke in die Richtung, in der Newark stand. Da sollte ihm einer helfen, die Weiber zu verstehen. Das hätte seine Ehefrau – Gott hab sie selig – sich nicht getraut. Andererseits imponierte die Doktorin ihm aber auch, denn die Frau hatte Schneid, das musste man ihr wohl oder übel lassen.

Gerade wollte Gärtner eine passende Äußerung in den Raum schleudern, als es eine Reaktion bei den Probanden gab.

Die medizinischen Geräte piepten und ratterten, die Bildschirmanzeigen veränderten sich sprunghaft und überall blinkten rote Lichter. Die Probanden begannen, epileptisch zu zucken, bei mindestens der Hälfte von ihnen setzte starke Schaumbildung vor dem Mund ein. Ihre Absätze knallten auf die Beinablagen, überall an den Körpern traten Adern deutlich hervor, in ihren Beinkleidern zeigten sich dunkle Urinflecken.

Die Soldaten starben.

Einer nach dem anderen.