Jahr Zwei, 18. Oktober, Morgen II

»Tango-Hotel-Charly-Pantafive-Oktoeight! Hier Basis. Durchbruch bei Wologda. Drei Einheiten mit ADS werden im Bereich Nischnij Nowgorod benötigt. Die Grenztruppen haben den Bereich geräumt, beginnen Sie Operation Silent Sheriff!«

Leutnant Hjalma Kristoferson, der norwegische Kommandant der 58. Hubschrauberkampfgruppe, meldete sich bei der Basis:

»Tactical Helicopter Counterstrikegroup five-eight. Hier Kristoferson. Wir haben maximal noch für drei Flugstunden Sprit. Wir müssen reinkommen! Habt ihr keine andere Einheit in der Nähe?«

»Hier Basis. Negativ. Sorry, Männer, aber ihr seid die Einzigen im näheren Einsatzgebiet. Wie ist euer Waffenstatus?«

»ADS bei einhundert Prozent. Was ist mit fünf-sechs? Die sind doch näher dran.«

»Negativ. Fünf-sechs und fünf-sieben sind am Boden, Triple O.«

»Alle Maschinen außer Betrieb? Wir sind auf fast achthundert Kilometern die einzige Einsatzgruppe, die noch fliegt? Out-Of-Order. Ich fasse es nicht!«

Während er sich weiter mit dem Operator herumstritt, der seinen Arsch irgendwo in der Nordsee höchstwahrscheinlich an irgendeiner Heizung rieb, drückte der Pilot den Steuerungshebel seines Helikopters nach rechts und drehte dadurch ab in Richtung Wolganiederung. Dann sprach er zu seinen Flügelmännern, die wie er jeweils einen Sikorsky Black Hawk steuerten, der mit Active Denial Systems ausgestattet die Ostgrenze und den großen Zaun zu bewachen und zu verteidigen hatte.

»Jack, Gonzales, vorbereiten für Aktion Silent Sheriff. Wir fliegen in Richtung Nischnij Nowgorod und bekämpfen dort in der Nähe einen Zed-Durchbruch. Alle Waffen sofort präjustieren und mit einhundertsiebzehn Gigahertz fahren. Angriff nach Muster Delta Zwo, keine Selektion.«

Die beiden anderen Helikopter bestätigten und die Waffenwarte fuhren die Mikrowellenstrahler langsam hoch, die unter den Maschinen angebracht waren. Die ADS bestanden im Grunde aus modifizierten Mikrowellenstrahlern, wie sie in moderateren Versionen in der Aufruhrbekämpfung eingesetzt worden waren und zum Teil auch noch wurden.

Die Geräte sahen aus wie simple Hochton-Peak-Hörner, jedoch handelte es sich um hochfrequente Mikrowellenabstrahler. Während die ursprünglichen Prototypen der ADS-Waffen im zweistelligen Megahertzbereich strahlten und zum Beispiel bei Aufständischen für extreme Muskelschmerzen sorgten, wenn sie eingesetzt wurden, handelte es sich bei dieser Weiterentwicklung um ausnahmslos tödliche Waffen, die nur zur Bekämpfung von Zombiegruppen eingesetzt wurden. Natürlich konnten man die Zeds nicht töten, aber ihr Gehirn mit extrem hochfrequenter Mikrowellenstrahlung zu beschießen, bewirkte, dass ihr fauliges Fleisch augenblicklich von innen heraus zu kochen begann. Und ein Zed mit weichgekochtem Gehirn und durchgegarten Beinen griff niemanden mehr an.

Einsätze wie dieser jetzt kamen in der Regel ein- bis zweimal täglich vor, wenn an irgendeiner Stelle kleinere Gruppen von Zeds den Zaun überwunden hatten oder es versuchten, um im Siedlerland auf Nahrungssuche zu gehen. Reine Routine.

Eine knappe Stunde später erreichten die Helikopter das Einsatzgebiet und bildeten ein Dreieck. Die Maschinen steuerten um ein Waldgebiet herum und verminderten ihre Flughöhe, um eine optimale Angriffsposition zu erreichen. Als die Hubschrauberpiloten zum Angriff übergehen wollten, stockte ihnen der Atem.

Waren es üblicherweise ein bis mehrere Dutzend Zeds, die unter Verlusten den mit Hochspannung und Minengürteln gesicherten Zaun überwanden, bot sich ihnen hier ein vollständig anderes Bild.

Der Zaun war auf einer Länge von vielleicht vierhundert Metern über und über mit den Kadavern von Walkern bedeckt, und zwar von oben bis unten. Er glich im Erscheinungsbild dem Kadaverwall, der sich etwa fünfzig Meter weiter im Zombieland auftürmte und auf den die Grenzposten turnusmäßig die Reste der zerstörten Zeds stapelten.

Dieser mächtige gefrorene Berg aus liquidierten Zeds zog sich fast über die gesamte Länge des Zauns, dahinter folgten das Minenfeld und das Zombieland, die No-Go-Area.

Auf der Siedlerseite des großen Zaunes bewegte sich diesmal jedoch ein riesiges Kontingent von Walkern und Huntern, es mochten Hunderttausende sein, die über ihre verendeten Artgenossen hinweg geklettert und in das New World Territorium eingedrungen waren.

Als Leutnant Kristoferson dies erkannte, stiegen in seiner Erinnerung Bilder aus einem Dokumentarfilm auf, den er als junger Mensch gesehen hatte. Der Film handelte von brasilianischen Raub-Ameisen, die einen Fluss überqueren mussten, um einem Feuer zu entkommen. Um den ganzen Staat zu retten, warfen sich unzählige Ameisen in die Fluten und klammerten sich mit ihren Kiefern aneinander. So bildeten sie eine lebendige Brücke über den ganzen Fluss, um Staat und Königin in Sicherheit zu bringen. Als der Fluss überquert war, konnten sich die Ameisen, welche die Brücke gebildet hatten, nicht retten; sie trieben in den Fluten davon.

Die Szenerie hier am Zaun ähnelte derjenigen am Fluss auf seltsam krude Weise. Nur, dass die Walker, die auf dem Starkstrom-Zaun und im Minenfeld ihre gottlose Existenz verloren hatten, nicht auf der Flucht für das Überleben ihrer Königin verreckt waren, sondern um den nachfolgenden Artgenossen einen Weg in die Weidegründe zu öffnen.

»Wo ist nur eure gottverdammte Königin?«, murmelte Kristoferson.

»Haben Sie was gesagt, Leutnant?«, fragte der Waffenwart über Bordfunk.

»Nein, alles in Ordnung. Angriff vorbereiten und ersten Anflug berechnen.«

Die Hubschrauber flogen in Formation eine Schleife, gingen noch weiter herunter und aktivierten ihre Mikrowellenkanonen. Unsichtbar und absolut tödlich brach die Strahlung über die Zeds aus weniger als einhundert Metern Höhe herein.

Zunächst konnte man keine Veränderung bemerken. Ohne Pause strömten hechelnde, geifernde und mit grotesk ausladenden Bewegungen ihrer Extremitäten vorandrängende Zeds in das Siedlungsgebiet der New World hinein.

Ihre Glieder zuckten, ihre Köpfe wackelten unkontrolliert, und der typische, roboterhafte Gang verlieh den Walkern unfreiwillig etwas diabolisch Komisches. Dazwischen konnte man Gruppen von Hunter-Zeds, den Jägern unter den Zombies, ausmachen, die immer wieder anhielten und schnüffelnd ihre zum Teil abgefrorenen oder verfaulten Nasen in den Wind hielten, obschon sie keine Witterung aufnehmen konnten.

Die hässlichen Löcher, die mitten in den Fratzen, die einmal Gesichter gewesen waren, klafften, zuckten irre hin und her. Wenn die völlig entseelten Walker, die sich nicht darum scherten, ob vor ihnen jemand stehenblieb oder weiterlief, den Huntern zu nahe kamen, schnappten diese nach ihnen und rissen nicht selten ein Stück Aas aus ihnen heraus, um es gleichgültig und doch gierig zu verschlingen. Die Herde schob sich weiter und weiter in das Siedlungsgebiet vor, eine schmutzige braune Spur hinterlassend.

Mit einem Mal geriet der Vortrieb der Untoten etwas ins Stocken. An der Spitze der Horde verlangsamte sich das Tempo, erste Dampfschwaden stiegen auf. Da die Mikrowellen mit den Wassermolekülen reagierten, begann zuerst der Schnee zu verdampfen, dann erhitzte sich das Wasser in den Körpern der Zeds.

Durch die hochfrequente Bestrahlung und die dadurch ausgelöste Molekülschwingung entstand spontan große Hitze im Gewebe, denn die Bewegungsenergie der Wassermoleküle wurde in Wärme umgewandelt. Im nächsten Schritt, einige Sekunden später, begann das Wasser im Muskelgewebe der Zeds zu kochen und sprengte ihre Zellen.

Die Haut der Zeds, ohnehin schon fahl und graubraun verfärbt, hellte sich mit einem Mal auf und weißlich-schmieriger Schaum trat durch die Poren aus, begleitet von dünnen Wasserdampffontänen, die wie winzige Geysire aus dem Fleisch der Zeds an die Oberfläche brachen.

Der ohnehin schon schlaksige Gang der Untoten verlangsamte sich bei Walkern und Huntern gleichermaßen und kam schließlich zum Erliegen, denn ihr gar gekochtes Fleisch war nicht mehr zur Kontraktion fähig. Nach und nach blieben sie stehen, brachen zusammen und blieben im angetauten Schneematsch liegen.

Durch die extrem niedrigen Temperaturen begann der Schnee sofort wieder zu gefrieren, wenn der Abstrahlbereich der ADS-Waffen mit den Hubschraubern weiterwanderte, um mehr und mehr Zeds zu erledigen. Die Besatzungsmitglieder der Helikopter öffneten nun die Seitentüren und brachten links und rechts weitere Strahlendeflektoren in Anschlag, die sie über ein Kugelgelenk manuell lenken konnten.

So fielen vor und hinter den Helikoptern ebenso wie rechts und links von den Maschinen nach und nach die Zombies um und wurden von den nachrückenden Kreaturen einfach überrannt und in den matschigen Untergrund getreten.

»Yeah, Flight Boss! Wir kochen die Wichser weich! Den Rest besorgen die Mistkäfer!«

Es war der rechte Flügelmann von Leutnant Kristoferson, der sich im Funk da so gehenließ. Der Norweger rief ihn zur Ordnung:

»Gonzales, reißen Sie sich mal ein bisschen zusammen, Mann. Konzentration, bitte!«

»Jawohl, Herr Leutnant. Zu Befehl«, kam es zurück.

»Angriffsformation ändern. Wir bilden eine Diagonale. Gonzales, Sie übernehmen die Spitze. ADS auf hundertfünfundzwanzig Prozent fahren. In acht Minuten brechen wir ab und gehen auf Heimatkurs.«

»Verstanden.«

Der rechts von Leutnant Kristoferson fliegende Helikopter beschleunigte etwas, so dass sich die von den Strahlenwaffen abgedeckte Fläche erhöhte. Mit einem Mal hörte Kristoferson seinen linken Flügelmann im Funk, er klang hysterisch.

»Flight Boss! Ich werde angegriffen. Wiederhole: angegriffen!«

»Was ist los, Jack?«

»Da unten ist ein Struggler, außerhalb des Strahlungsbereiches und er schleudert mit etwas … verdammt … es … aaaaarghhhh!«

Der Funkkontakt riss ab und die Maschine am linken Flügel begann zu trudeln, schließlich gierte sie nach rechts weg, stürzte ab und explodierte am Boden in einem Feuerball. Kristoferson riss die eigene Maschine hoch, um nicht von dem Feuerball in Mitleidenschaft gezogen zu werden, und versuchte dann, den Helikopter wieder auf Kurs zu bringen.

Aus den Augenwinkeln sah er, was Jack in seinen letzten Sekunden zu berichten versucht hatte. Unten am Boden, nur wenige Meter außerhalb des Strahlungsbereiches, stand ein gewaltiger Struggler, der etwas in Richtung von Gonzales' Hubschrauber schleuderte. Es handelte sich um ein zerlumptes, zerfleddertes Bündel mit dürren Armen und Beinen.

Die Bestie schleuderte in der Tat einen Hunter-Zed in Richtung des Hubschraubers, und zwar in einer Art und Weise, dass er auf Flughöhe mit seinem perversen Wurfgeschoss exakt die offene Seitenluke von Gonzales' Maschine traf. Der Hunter verschwand mit schlackernden Armen und Beinen in der Öffnung und stürzte sich im Inneren der Maschine sofort auf die Besatzung, eine Sekunde später war ein zweiter Zombie auf demselben Weg. Kristoferson mochte nicht glauben, was er dort sah.

Diese monströse Bestie da unten berechnete in Sekundenbruchteilen Flugbahn und Höhe des Hubschraubers, griff sich einen seiner Artgenossen und warf diesen in einer einzigen fließenden Bewegung über einhundertfünfzig Meter weit in eine Öffnung, durch die er selbst kaum hindurch passte. Noch während der Leutnant darüber nachdachte, was zur Hölle da vorging, drehte sich der Helikopter um seine Längsachse und richtete seine immer noch aktive Strahlenwaffe auf die Maschine des Flight Boss'.

Leutnant Hjalmar Kristoferson spürte einen furchtbaren, brennenden Schmerz im gesamten Körper, so als würden eine Million Nadeln gleichzeitig in seine Haut stechen.

Sein Blick trübte sich, die Glaskörper seiner Augen wurden milchig. Der Sehnerv verweigerte den Dienst und der lähmende Schmerz brachte ein Gefühl, als würde der gesamte Körper brennen.

Das Blut, das schäumend aus seinen Ohren kochte, verhinderte, dass der Flight Boss die furchtbaren Schreie seiner Besatzungsmitglieder hörte, die ebenfalls gerade von innen heraus gekocht wurden.

›Ich bin in der Hölle‹, war der letzte Gedanke, den Kristofersons sterbendes Gehirn noch formulierte, bevor er die Flugkontrolle verlor und sein Hubschrauber – ebenso wie die beiden anderen zuvor – in einer gewaltigen Explosion am Boden zerschellte.

Die abstürzenden Maschinen rissen Hunderte von Zeds mit sich in den Schlund der Zerstörung, aber die Bedrohung durch die Strahlenkanonen war damit zunächst eliminiert. N’kial, der Struggler, der die Attacke auf die Hubschrauber erdacht und ausgeführt hatte, ließ ein archaisches Siegesgebrüll erklingen, und in seinem Kopf war die Stimme des Meisters, der ihn mit Wohlwollen bedachte ob seiner Kraft und List im Kampfe.

Tausende von Zeds, die um den mächtigen Struggler herumstanden, warfen sich zu Boden und stöhnten, krächzten, kreischten, um dem gewaltigen Krieger, der unter ihnen wandelte, Respekt zu zollen. Eine Gruppe von ihnen trug den vom Aufprall arg geschundenen Leichnam eines Bordschützen herbei, der vor dem Absturz seiner Maschine aus ihr heraus zu Boden gestürzt war. Sie kredenzten dem Struggler den Körper als ein Opfer, eine Gabe der Besänftigung und als Zeichen seiner Führerschaft.

Kein einziger Zed hatte seine Zähne in den zerschmetterten Leib mit den verrenkten Gliedmaßen geschlagen, dies stand allein dem großen Krieger zu, der die Feinde besiegt hatte. N’kials Gebrüll hallte durch die schneebedeckten Ebenen. Dann stürzte er sich auf den Leichnam und labte sich am noch warmen Fleisch des Toten.