NACHWORT

 

Dieses Buch entsprang der Phantasie, die sich an der wahren Geschichte der Dorfbewohner von Eyam in Derbyshire entzündet hat.

Meinen ersten Besuch in Eyam im Sommer 1990 verdanke ich reinem Zufall. Damals hatte ich als Nahostkorrespondentin für das Wall Street Journal in London gearbeitet. Zwischen Aufenthalten in heißen Problemzonen wie Gaza und Bagdad versuchte ich, draußen in der englischen Landschaft wieder zu mir zu kommen. Während einer dieser Wanderungen, von den Engländern euphemistisch »Spaziergänge« genannt, stieß ich auf einen faszinierenden Wegweiser, der auf ein Pestdorf aufmerksam machte. In der dortigen Pfarrkirche St. Lorenz entdeckte ich auf einer Schautafel die leidvolle Geschichte der Dorfbewohner und ihres außergewöhnlichen Entschlusses.

Dieser entsetzliche Bericht berührte mich so sehr, dass er mir nicht mehr aus dem Sinn ging. Während ich im Laufe der nächsten Jahre über die Tragödien unserer heutigen Zeit berichtete, die sich zum Beispiel in Bosnien oder Somalia abspielten, drehten sich meine Gedanken immer wieder um Eyam, bis mir klar wurde, dass ich eigentlich nur einen Wunsch hegte: diese Geschichte zu erzählen. Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als ich meinen Wohnsitz in Virginia auf dem flachen Land aufschlug, in einem Dorf, das ungefähr die Größe von Eyam hatte. In diesem Umfeld nahm die Geschichte der Quarantäne und ihrer Folgen immer konkretere Züge an. Ich wurde nachdenklich. Was würde in jemandem vorgehen, der sich zu einer solchen Entscheidung durchringt und letztlich feststellen muss, dass binnen eines Jahres zwei Drittel seiner Nachbarn tot sind? Wie würden unter diesen Umständen der Glaube, familiäre Beziehungen und Gesellschaftsstrukturen überleben?

Im vorletzten Sommer bin ich für tiefer gehende historische Recherchen wieder nach Eyam gefahren und habe dabei die Bilder der kargen, aber schönen Landschaft des Peak Districts erneut auf mich wirken lassen. Ich habe lange mit dem Dorfchronisten John G. Clifford gesprochen, Verfasser des informativen Buchs Die Pest in Eyam 1665-1666. Dabei habe ich auch das kleine, aber hervorragend betreute Dorfmuseum besucht. William Styron schrieb einmal, ein Verfasser von historischen Romanen arbeite dann am besten, wenn er historische Dokumente »häppchenweise« zu sich nähme. Obwohl über Eyam eine Menge geschrieben worden ist – Bücher, Theaterstücke, ja sogar eine Oper –, gibt es nur spärlich Fakten. In Eyam selbst wird noch immer über spezielle Themen diskutiert: Wie groß war die Dorfbevölkerung vor der Pest? Wie kam die Krankheit hierher? Wie viele sind gestorben? Gleichzeitig gibt es einen üppigen Anekdotenschatz, der über die Zeitläufe hinweg tradiert wurde und aus dem ich mich reichlich bedient habe: die Rolle, die ein von Flöhen wimmelndes Tuch als Überträger der Pest gespielt hat; der habgierige Totengräber, der einen Mann lebendig verscharrt hat; der kluge Hahn, der im Voraus wusste, wann die Gefahr endgültig gebannt war.

Für alles Übrige habe ich mich in medizinische Traktate, Tagebücher und Predigtsammlungen aus dem 17. Jahrhundert sowie in Texte zur Sozialgeschichte vergraben. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich je ein Buch wie die Geschichte des Bleiberghaus in den Penninen besitzen würde, das nun neben anderen Wälzern in meiner Bibliothek steht. Anys Gowdies »Beichte« lehnt sich an den Bericht eines schottischen Hexenprozesses an, der in der mitreißenden Dokumentensammlung History Laid Bare von Richard Zack über Sexualität zu finden ist. (Zwischen der Gowdie-Beichte und vielen ähnlichen, die man unter Folterqualen abgetrotzt hatte, gibt es einen Unterschied: Die Angeklagte behauptete höchst beredt, sie hätte den Geschlechtsverkehr mit dem Teufel in vollen Zügen genossen. Meistens wurde nämlich ruchbar, Satan sei ein lausiger Liebhaber gewesen.)

Einige Dorfbewohner von Eyam habe ich zwar namentlich genannt, aber nur dann, wenn meine Erzählung nicht allzu sehr von bekannten Lebensdetails abweicht. Wenn etwas meiner Phantasie entsprungen ist, habe ich bewusst den Namen geändert oder einen gänzlich neuen verwendet. Zum Beispiel spiegeln sich in der Figur des Michael Mompellion nur die positiven Charakterzüge und Taten des echten Vikars von Eyam wider, jenes heldenhaften William Mompesson, der an einen Heiligen erinnert. Die dunkle Seite, die ich seinem fiktiven Abbild gegeben habe, ist reine Erfindung. William Mompesson und seine Frau Catherine hatten zwei Kinder, die er aus Eyam fortschaffen ließ, noch ehe die Quarantäne beschlossene Sache war. Catherine blieb aus freien Stücken, half den Kranken und starb selbst an der Pest. Nach ihrem Tod schrieb William Mompesson in einem seiner Briefe: »Meine Magd erfreute sich weiterhin guter Gesundheit, was sich als Segen erwies. Hätte sie verzagt, wäre es mir übel ergangen …« Ich versuchte, mir vorzustellen, wer diese Frau gewesen sein mag, wie sie gelebt haben könnte, und was sie empfunden haben mag. Und damit hatte mein Roman seine tragende Stimme gefunden.

Der englische Titel des Buches fiel mir ein, als ich versuchte, Worten nachzuspüren, wie sie Anna gehört haben könnte, mit allen damit verbundenen religiösen Untertönen. Einem weltlich geprägten Menschen wie mir kam es schon immer merkwürdig vor, dass Dryden sich bei seiner Beschreibung des Schreckensjahres 1666 für den lateinischen Ausdruck »Annus mirabilis« entschieden hat. Für ein Jahr, dem die Pest, der Große Brand (von London, A. d. Ü.) und der Krieg mit Holland ihre Stempel aufgedrückt hatten. Aber Anna hätte sicher fest daran geglaubt, dass Gottes Wege wundersam sind und voller Geheimnisse. Darüber hinaus wären ihr auch die Worte Gottes an Moses vertraut gewesen: »Und diesen Stab nimm in deine Hand, mit dem du Zeichen tun sollst.«

 

Geraldine Brooks