16 Der König

 

Plötzlich tauchte ein Flugdrache auf. »Schöner Vogel, dich werd’ ich verspeisen!« sagte er.

Bink wich zur Seite aus, doch da hatte das Ungeheuer ihn auch schon eingeholt. »Du kannst mir nicht entkommen«, sagte es. Es sperrte sein Maul auf. Darin blitzten zahllose Zähne.

Würde seine barmherzige Mission hier enden, so kurz vor dem Ziel? Bink flatterte angestrengt mit den Flügeln und stieg weiter auf. Er hoffte, daß der schwere Drache nicht so weit emporfliegen konnte. Doch sein verletzter Flügel – die ehemalige Hand, die Trents Schwert geritzt hatte – minderte seine Kraft, so daß das Raubtier ihm mühelos folgen konnte. »Gib doch auf, du Dummerjan!« sagte es. »Du wirst es nie schaffen!«

Plötzlich begriff Bink, was los war. Drachen redeten nicht so, jedenfalls keine Feuerspeier. Die hatten nicht genügend kühlen Verstand und auch nicht die Stimmorgane dafür. Sie waren einfach zu leicht und zu heiß, um schlau zu sein. Das war gar kein Drache, sondern eine Illusion der Zauberin. Sie wollte ihn immer noch aufhalten und hoffte wohl, daß Trent wieder um den Thron marschieren würde, wenn Chamäleon sterben sollte. Trent hätte

dann sein Bestes versucht und wäre gescheitert. Realist, der er war, wäre er seinem alten Ziel dann wieder nachgegangen. Auf diese Weise hätte Iris immer noch ihren Traum von der Macht verwirklichen können. Natürlich hätte sie ihm nie etwas von ihrem Anteil an dem Unglück erzählt.

Bink hätte sich lieber mit einem echten Drachen herumgeplagt. Da er ein Phönix war und kein sprechender Vogel, konnte er nur dem Guten Magier von dem berichten, was vorgefallen war. Alle anderen würden ihn nicht verstehen können. Wenn er jetzt zu Trent zurückkehrte, dann würden sie zuviel Zeit verlieren – und außerdem könnte Iris ihn auch dort noch aufhalten. Das hier war sein Privatkrieg, sein Duell mit der Zauberin, und er mußte es ganz allein gewinnen.

Abrupt änderte er seinen Kurs und jagte auf den Drachen zu. Wenn er sich verschätzt haben sollte, dann würde er im Feuer des Feuerspeiers enden, und alles wäre verloren. Doch er flog mitten durch das Trugbild hindurch.

Sieg!

Iris rief ihm etwas höchst Undamenhaftes zu. Was war sie doch nur für ein keifendes Fischweib, wenn man ihre Pläne durchkreuzte! Doch Bink beachtete sie nicht weiter und flog davon.

Plötzlich bildeten sich dicke schwarze Wolken und verdeckten das Schloß. Luftstrudel wirbelten umher, und er war zu schwach, um höher zu fliegen, er mußte durch den Sturm hindurch. Um ihn herum krachte es donnernd, und die Blitze zischten durch den dichten Dunst. Er konnte verbranntes Metall riechen. Es war offensichtlich ein magischer Sturm, und zwar einer der schlimmsten Sorte: voller dämonischer Fratzen und buntem Hagel. Es war ein Supertornado, der ihn vernichten würde.

Aber Magie konnte ihm doch gar nichts anhaben! Fast wäre er zu Boden gestürzt, als ihm das wieder einfiel. Das hier war ein magischer Sturm, also hatte er nichts zu befürchten.

Außerdem gab es überhaupt keinen echten Wind, das war wieder nur eine Illusion. Er mußte einfach nur im Direktflug auf das Schloß zufliegen, ohne sich von optischen Eindrücken ablenken zu lassen. Also schoß er in die Wolke hinein.

Wieder hatte er recht gehabt. Es gab keinerlei wirklichen Sturm, so überzeugend alles auch ausgesehen hatte. Schon bald würde er das Schloß des Magiers erreicht haben.

Immerhin lichtete sich das Grau nicht wieder. Wie sollte er das Schloß erreichen, wenn er es überhaupt nicht sehen konnte? Iris konnte ihm zwar nichts vormachen, aber blenden konnte sie ihn auf jeden Fall. Vielleicht schützte ihn persönlich sein Talent ja vor Magie, aber das schien sich nicht auf das Wohlergehen anderer zu beziehen, egal wie Bink für sie empfinden mochte. Er würde auch dann überleben, wenn Chamäleon starb. Er wäre zwar vielleicht todunglücklich darüber, aber rein technisch gesehen, wäre dann alles in Ordnung.

Verdammt, Talent! dachte er wütend. Kümmere dich mal weniger um technische Einzelheiten als um mein allgemeineres Wohlbefinden! Wenn ich finden sollte, daß mein Leben nicht mehr lebenswert sein sollte, dann werde ich mich mit mundanischen Mitteln umbringen. Ich brauche Chamäleon. Wenn du es also zuläßt, daß diese feindselige Magie mich daran hindert, Chamäleon zu retten, wo willst du dann noch bleiben?

Noch immer blieb alles um ihn herum grau. Sein Talent war offenbar kein denkendes Wesen. Also war es letztlich doch nutzlos. Es war eine ziellose Magie, wie ein bunter Fleck auf der Wand.

Er blinzelte und blickte um sich, entschlossen, es aus eigener Kraft zu schaffen. Er war bisher im Leben auch ohne Wissen um sein Talent ausgekommen, also würde es in Zukunft wohl kaum anders sein. Irgendwie mußte er es schaffen.

War er wirklich direkt auf das Schloß zugeflogen? Er glaubte es, aber sicher war er sich nicht. Die Wolken hatten ihn abgelenkt, und es war durchaus möglich, daß er die Orientierung verloren hatte und vom Kurs abgekommen war. Trent hätte ihn besser in

eine zielsichere Brieftaube verwandelt. Doch ein solcher Vogel wäre nicht auffällig genug gewesen, um die Aufmerksamkeit des Guten Magiers auf sich zu lenken. Na ja, darüber nachzudenken, was hätte sein können oder müssen, war jetzt sinnlos. Er war das, was er nun einmal war, und damit hatte er sich abzufinden. Wenn er jetzt das Schloß verfehlte, dann würde er dennoch versuchen, es wiederzufinden.

Er flog tiefer, um irgendein Landschaftsmerkmal auszumachen. Doch die Wolke umhüllte ihn weiterhin. Er konnte nicht das geringste sehen. Wenn er zu tief flog, dann würde er möglicherweise gegen einen Baum prallen. Hatte Iris also doch gewonnen?

Dann stieß er durch die untere Wolkenschicht und erblickte das Schloß. Er schoß darauf zu – und hielt entsetzt inne. Das war ja gar nicht die Residenz des Guten Magiers! Das war Schloß Roogna! Er war in die völlig falsche Richtung geflogen, nach Westen, anstatt nach Osten. Die Zauberin hatte das bestimmt gemerkt und den Nebel aufrechterhalten, damit er in die falsche Richtung weiterflog, bis es zu spät war. Wieviel wertvolle Zeit hatte er wohl schon vergeudet? Wenn er nun umkehrte und in die entgegengesetzte Richtung flog, würde er es dann innerhalb der ihm gesetzten Zeit noch schaffen? Vorausgesetzt, daß er sich in dem Nebel überhaupt zurechtfand? Oder wäre Chamäleon dann schon tot, nur wegen seiner Verspätung?

Er hörte ein leises Schnauben. Sofort hörte er von allen Seiten um sich herum weiteres Schnauben. Wieder senkte sich die untere Wolkenschicht, um ihm die Sicht zu versperren.

Irgend etwas hier stimmte nicht! Er hätte das Geräusch vielleicht überhaupt nicht bemerkt, wenn da nicht der angestrengte Versuch gewesen wäre, die Richtung zu verheimlichen, aus der es gekommen war. Warum sollte die Zauberin ihn daran hindern, auf Schloß Roogna zu landen? Gab es dort vielleicht auch Heilwasser, mit dem die Zombies wieder auf Vordermann gebracht wurden?

Also war das Schnauben irgendwie wichtig. Aber woher stammte es wohl? Auf Roogna gab es keinen Wassergrabendrachen; Zombies konnten sowieso nicht besonders gut schnauben. Und doch hatte irgend etwas dieses Geräusch von sich gegeben, wahrscheinlich ein Lebewesen. Zum Beispiel ein Flügelpferd, oder –

Da begriff er, was geschehen war. Das hier war überhaupt nicht Schloß Roogna, sondern doch das Schloß des Guten Magiers. Die Zauberin hatte es nur wie Schloß Roogna erscheinen lassen, damit er umkehrte. Sie war eine Meisterin der Illusion, und er ließ sich immer wieder von ihr täuschen. Doch der Hippocampus im Graben hatte geschnaubt und damit alles verraten. Er war also doch in die richtige Richtung geflogen, vielleicht von seinem Talent gesteuert. Sein Talent hatte bisher stets unmerklich funktioniert. Es bestand kein Grund, weshalb es das jetzt nicht mehr tun sollte.

Bink konzentrierte sich auf die Richtung, aus der das erste Geräusch gekommen war. Sofort verschwand der Nebel wieder. Offenbar konnte die Zauberin ihre Trugbilder in unmittelbarer Nähe eines konkurrierenden Zauberers nicht so ohne weiteres aufrechterhalten, zumal wenn dieser sich auf die Wahrheit spezialisiert hatte.

»Dich krieg’ ich noch!« schrie ihre Stimme von oben. Dann war der Himmel wieder klar.

Bink kreiste über dem Schloß, das nun wieder in seiner wirklichen Gestalt zu sehen war. Er zitterte noch von der Anstrengung und dem Schock. Das war wirklich knapp gewesen! Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn er die andere Richtung gewählt hätte…

In einem der hohen Türme war ein offenes Fenster, und er flog hindurch. Ein Phönix war ein kraftvoller, ausdauernder Vogel, der sich gut unter Kontrolle hatte. Selbst mit seinem verletzten Flügel hätte er wahrscheinlich jeden Drachen ausstechen können, wenn es allein um Reichweite gegangen wäre.

Seine kleinen Augen brauchten einen Augenblick, bis sie sich an die Dunkelheit im Inneren des Turms gewöhnt hatten. Er flatterte von einem Zimmer ins nächste und entdeckte schließlich den Magier, der über einem dicken Buch brütete. Einen Augenblick lang erinnerte der kleine Mann ihn an Trent, wie er in der Bibliothek von Schloß Roogna gesessen hatte. Beide interessierten sich sehr für Bücher. Waren sie beide zwanzig Jahre wirklich miteinander befreundet gewesen, oder waren sie nur Kollegen?

Humfrey blickte hoch. »Was machst du denn hier, Bink?« fragte er überrascht. Er schien Binks Gestalt nicht zu bemerken.

Bink versuchte zu reden, doch es gelang ihm nicht. Der Phönix war ein stiller Vogel, dessen Magie nicht darin bestand, mit Menschen sprechen zu können, sondern darin, daß er das Feuer überlebte.

»Komm hier rüber vor den Spiegel«, sagte Humfrey und stand auf.

Bink gehorchte. Als er sich dem Spiegel näherte, sah er ein Bild darin. Dieser Spiegel war offenbar ein Zwillingsstück zu dem vorigen, den er zerbrochen hatte, denn er konnte keinerlei Risse oder Kittstellen darin entdecken.

Er sah die Wildnis. Chamäleon lag nackt und schön auf dem Boden und blutete, obwohl ihr Unterleib mit einer primitiven Wundkompresse aus Blättern und Moosen bedeckt war. Vor ihr stand Trent mit gezücktem Schwert und sah einen wolfsköpfigen Mann an, der auf ihn zukam.

»Ja, ich verstehe«, sagte Humfrey. »Der Böse Magier ist zurückgekehrt. Dumm von ihm. Diesmal wird man ihn nicht wieder ins Exil schicken, man wird ihn hinrichten. Gut, daß du mich gewarnt hast, er ist wirklich gefährlich. Ich sehe, daß er das Mädchen erstochen und dich verwandelt hat, aber du hast offensichtlich fliehen können. Gut, daß du so gescheit warst, hierherzukommen.«

Bink versuchte wieder, etwas zu sagen, doch immer noch ohne Erfolg. Er tänzelte auf und ab.

»Willst du mir noch mehr erzählen? Komm mit.« Der gnomartige Magier nahm ein Buch aus einem Regal und legte es auf das andere, das noch auf dem Tisch lag. Er schlug es auf: die Seiten waren leer. »Sprich«, sagte er.

Bink versuchte es erneut. Es war zwar nichts zu hören, aber er sah, wie die Worte in säuberlicher Schrift auf den Seiten erschienen:

Chamäleon liegt im Sterben! Wir müssen sie retten!

»Ach so, ja natürlich«, meinte Humfrey. »Ein paar Tropfen Heilwasser werden da schon genügen. Natürlich verlange ich meinen Lohn dafür. Aber zuerst müssen wir uns mit dem Bösen Magier befassen, was bedeutet, daß wir zunächst ins Norddorf müssen, um einen Betäuber zu holen. Mit meiner Magie bin ich Trent nicht gewachsen!«

Nein! Trent versucht sie zu retten! Er ist nicht…

Humfrey furchte die Stirn. »Du sagst, daß der Böse Magier dir geholfen hat?« fragte er erstaunt. »Das kann ich nur schwer glauben, Bink.«

So schnell wie möglich erklärte Bink Trents Gesinnungswandel.

»Also gut«, sagte Humfrey schließlich resigniert. »Ich verlasse mich also auf dein Wort, daß er in diesem Fall auch in deinem Interesse handelt. Aber ich habe den Verdacht, daß du ein bißchen naiv bist, und jetzt weiß ich nicht, wer mir meinen Lohn zahlen wird. Der Böse Magier wird bestimmt mit Leichtigkeit entkommen, wenn wir einen Umweg machen. Aber wir müssen ihn einfangen, damit ihm ein gerechter Prozeß gemacht wird. Er hat das Gesetz Xanths gebrochen und muß sofort in Gewahrsam genommen werden. Es würde uns nichts nutzen, wenn wir Chamäleon retteten, während Xanth in Gefahr ist, von einem machtgierigen Eroberer unterdrückt zu werden.«

Bink wollte noch so viel sagen, aber Humfrey gab ihm keine Gelegenheit mehr dazu. Wahrscheinlich war er ja auch wirklich naiv. Sobald der Böse Magier Zeit genug zum Nachdenken gehabt hatte, würde er sich wohl wieder eines anderen besinnen. Er stellte eine große Bedrohung für Xanth dar. Und doch wußte Bink auch, daß Trent das Duell gewonnen hatte, so daß er selbst, als der Verlierer, sich nicht mehr in die Angelegenheiten des Magiers einmischen durfte. Er hoffte, daß Trent entkommen würde.

Humfrey führte ihn in den Keller des Schlosses, wo er etwas Flüssigkeit aus einem Faß zapfte. Er träufelte einen Tropfen davon auf Binks Flügel, der sofort heilte. Den Rest gab er in eine kleine Flasche und steckte sie in seine Jackentasche.

Dann ging der Gute Magier an einen Schrank und holte einen Plüschteppisch hervor. Er rollte ihn aus und setzte sich mit gekreuzten Beinen darauf. »Los, komm schon drauf, du Spatzenhirn!« bellte er. »Da draußen gehst du nur verloren, besonders wenn Iris sich wieder am Wetterbericht zu schaffen macht!«

Verblüfft stelzte Bink auf den Teppich und stellte sich mit dem Gesicht zum Magier auf. Der Teppich erhob sich, und Bink breitete erschreckt seine Flügel aus. Er krallte sich am Teppich fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Das war also ein fliegender Teppich!

Das Ding schwenkte im Gleitflug durch ein Tor und ging sofort in größere Höhe. Als es sich stabilisiert hatte, beschleunigte es. Bink, der mit dem Rücken zur Flugrichtung stand, mußte die Flügel eng anlegen und sich mit seinen Krallen tief in die Wolle bohren, um nicht vom Wind davongeweht zu werden. Er sah, wie das Schloß hinter ihnen immer kleiner wurde.

»Das ist nur so ein Gerät, das ich anstelle eines Jahresdienstes angenommen habe«, erklärte Humfrey im Plauderton. Er nieste. »Ist schon einige Jahre her. Hab’ nie viel Gebrauch davon gemacht. Ist bloß ein Staubfänger. Aber das hier ist ja wohl ein Notfall.« Er blickte Bink kopfschüttelnd an. »Du behauptest tatsächlich, daß der Böse Magier dich nur verwandelt hat, damit du schneller bei mir bist? Du brauchst nur einmal den Schnabel zu senken, wenn du ja sagen willst, und zweimal für nein.«

Bink nickte einmal.

»Aber Chamäleon hat er erstochen?«

Wieder ein Nicken. Aber das war ja nur ein Teil des Ganzen.

»Er wollte sie nicht wirklich erstechen? Weil er eigentlich dich erstechen wollte und sie dazwischengetreten ist?«

Wieder mußte Bink mit Ja antworten. Was für eine belastende Aussage!

Humfrey schüttelte wieder den Kopf. »Es ist leicht, alles zu bedauern, nachdem man einen Fehler begangen hat. Allerdings war er früher, als ich ihn noch kannte, ein Mann, dem Mitleid durchaus nicht fremd gewesen ist. Trotzdem, ich glaube kaum, daß er jemals ruhen wird, bevor er sein Ziel erreicht hat. Und solange er am Leben ist und sich in Xanth aufhält, müssen wir immer in Ungewißheit leben. Das ist ein schwieriger Fall. Man wird alles gründlich untersuchen und erforschen müssen.«

Eine solche Untersuchung würde Trents sicheren Tod bedeuten. Der alte König würde darauf erpicht sein, diese große Bedrohung seiner schwächer werdenden Macht auszuschalten.

»Und Trent weiß auch, was passieren wird, wenn die Behörden ihn erwischen sollten?«

Das wußte Trent mit Sicherheit. Bink nickte wieder einmal.

»Und du – willst du auch, daß er stirbt?«

Nein. Bink schüttelte energisch den Kopf.

»Oder ins Exil geschickt wird?«

Darüber mußte er einen Augenblick nachdenken. Dann

schüttelte er wieder den Kopf.

»Natürlich nicht. Du brauchst ihn ja auch, damit er dich wieder in einen Menschen verwandelt. Dadurch hat er möglicherweise ein Druckmittel, das ihm einen Verhandlungsvorteil verschafft. Vielleicht lassen sie ihm sein Leben als Gegenleistung für derartige Dienste. Aber danach wird er mit ziemlicher Sicherheit entweder ins Exil geschickt – oder geblendet!«

Geblendet! Aber dann begriff Bink die schreckliche Logik hinter diesem Gedankengang. Wenn er erst einmal blind war, dann konnte Trent niemanden mehr verwandeln, da er seine Opfer dafür ja sehen mußte. Doch was für ein entsetzliches Schicksal!

»Ich merke schon, daß dir dieser Gedanke auch nicht eben behagt. Aber man wird einige harte Fakten gegeneinander abwägen müssen«, meinte Humfrey. »Es dürfte schon schwieriger werden, dein Leben zu retten, denn du bist ein illegaler Einwanderer. Vielleicht fällt mir ja auch ein Kniff ein.« Er runzelte wieder die Stirn. »Es tut mir wirklich leid, Trent in einer solchen Klemme zu sehen. Er ist wirklich ein großer Magier, und wir sind immer gut miteinander ausgekommen und haben uns nie in die Angelegenheiten des anderen gemischt. Aber das Wohlergehen Xanths steht an oberster Stelle.« Er lächelte kurz. »Natürlich gleich nach meinem Lohn.«

Bink fand das nicht besonders komisch.

»Na ja, glücklicherweise wird uns diese Angelegenheit ja bald aus den Händen genommen werden. Was kommen wird, wird kommen.«

Dann schwieg er. Bink beobachtete die Wolken. Diesmal waren es echte. Der Teppich schwebte über der Spalte, und Bink fühlte sich trotz seiner Schwingen nicht gerade sicher. Als der Teppich durch eine kleine Wolke stieß, sackte er plötzlich und sehr beunruhigend ein Stück ab. Offenbar gab es hier Luftlöcher. Doch Humfrey wirkte nicht beunruhigt. Mit geschlossenen Augen saß er da und dachte nach.

Es wurde immer schlimmer. Der Teppich besaß keinerlei Intelligenz und jagte geradewegs auf das ihm befohlene Ziel zu, ohne zu versuchen, den immer dichter werdenden Wolkenbänken

auszuweichen, die auf einen sich zusammenbrauenden Sturm hinwiesen.

Dann stieß der Teppich durch den Nebel, und Bink erblickte das unter ihnen liegende Norddorf.

Die Fenster des königlichen Palastes waren schwarz verhangen. »Ich glaube, es ist bereits geschehen«, sagte Humfrey, als sie vor dem Palasttor landeten.

Einer der Dorfältesten kam sofort auf sie zu. »Magier!« rief er. »Wir wollten gerade nach Ihnen schicken. Der König ist tot!«

»Na, dann wählen Sie mal schnell einen Nachfolger«, erwiderte Humfrey eisig.

»Es gibt keinen – außer Ihnen!« sagte der Älteste.

»Kalbskopf! Als wenn das eine Empfehlung wäre!« bellte Humfrey. »Was soll ich denn mit einem Thron? Das ist doch eine anstrengende, langweilige Arbeit, die mich nur von meinen Studien abhalten würde.«

Doch der andere blieb standhaft. »Wenn Sie mir keinen anderen geeigneten Magier zeigen können, dann gebietet es das Gesetz, daß Sie das Amt annehmen.«

»Das Gesetz kann mich mal…« Humfrey unterbrach sich selbst. »Aber wir haben Dringenderes zu tun. Wer verwaltet die Geschäfte in der Übergangszeit?«

»Roland. Er kümmert sich gerade um das Begräbnis.«

Bink zuckte zusammen. Sein Vater! Aber er begriff sofort, daß der alles vermeiden würde, was den Anschein erwecken könnte, daß er Partei war. Es war wohl besser, wenn man ihm gar nicht erst erzählte, daß Bink wieder in Xanth war.

Humfrey blickte Bink kurz an. Er schien das gleiche zu denken. »Na ja, ich glaube, ich habe schon einen Dummen gefunden«, sagte der Gute Magier. »Aber zunächst muß er erst ein bestimmtes technisches Hindernis überwinden.«

Bink hatte eine schreckliche Vorahnung. Nicht mich! versuchte er zu sagen, aber er konnte immer noch nicht sprechen. Ich bin kein

richtiger Magier! Ich verstehe nichts von den Geschäften eines Königs. Ich will Chamäleon retten. Und Trent entkommen lassen.

»Aber erst müssen wir ein paar andere Dinge erledigen«, fuhr Humfrey fort. »Der Böse Magier Trent, der Verwandler, ist wieder in Xanth, und ein Mädchen liegt im Sterben. Wenn wir uns beeilen, dann erwischen wir beide noch, bevor es zu spät ist.«

»Trent!« Der Älteste war schockiert. »Was für ein Zeitpunkt für ihn, hier aufzutauchen!« Er lief in den Palast zurück.

Kurz darauf hatte er eine kleine Streitmacht zusammengestellt. Man gab dem Reisezauber des Dorfes den genauen Ort an, und er begann damit, die Leute dorthin zu projizieren.

Roland ging als erster. Mit etwas Glück würde er den Bösen Magier überraschen und ihn betäuben, so daß seine Magie wirkungslos wurde. Dann konnten die anderen nachkommen. Als nächstes wurde der Gute Magier projiziert, der mit seinem Heilwasser Chamäleon retten mußte – sofern sie noch lebte.

Bink erkannte, daß dieser Plan, sollte er Erfolg haben, verhindern würde, daß Trent einen von ihnen verwandeln würde. Doch wenn sie den Bösen Magier in Unkenntnis der Sachlage töteten, bevor er Bink wieder verwandelt hatte, dann würde er für immer als Phönix weiterleben müssen. Dann wäre Chamäleon zwar geheilt, aber ebenfalls allein. Und sein Vater wäre dafür verantwortlich. Gab es da keinen Ausweg?

Nun ja, es konnte ja sein, daß es schiefging. Vielleicht verwandelte Trent Roland und Humfrey. Dann würde Bink zwar seine menschliche Gestalt wiedererlangen, Chamäleon aber würde sterben. Das nutzte auch nichts. Vielleicht war Trent ja bereits geflohen, bevor Roland eintraf. Dann würde Chamäleon geheilt werden, Trent würde auch überleben – aber Bink würde ein Vogel bleiben.

Egal, wie es ausging, irgendeiner, der Bink lieb war, mußte dabei geopfert werden. Es sei denn, daß es Humfrey irgendwie gelang,

alles wieder in Ordnung zu bringen. Doch wie sollte das gehen? Einer nach dem anderen verschwanden die Ältesten, und schließlich war Bink an der Reihe. Der Zauberer machte eine Gebärde…

Als erstes erblickte Bink den Kopf des Wolfsmenschen. Das Wesen war offenbar zum Angriff übergegangen und war von Trents sirrender Klinge gefällt worden. Es lagen auch eine Reihe von Raupen herum, die vorher noch nicht dagewesen waren. Trent selbst stand wie steifgefroren da, er wirkte konzentriert, als sei er eben dabei, einen Zauber zu verhängen. Und Chamäleon…

Bink flatterte auf sie zu. Sie war geheilt! Die schreckliche Wunde war verschwunden, und sie stand verwirrt da.

»Das ist Bink«, sagte Humfrey zu ihr. »Er ist fortgeflogen, um Hilfe zu holen. Er hat es gerade noch geschafft.«

»Oh, Bink!« rief sie, hob ihn auf und drückte ihn an ihre nackte Brust. Als Vogel mit empfindlichem Gefieder empfand Bink das als gar nicht so angenehm, wie es sonst der Fall gewesen wäre. »Verwandle dich wieder!«

»Ich fürchte, das kann nur der Verwandler tun«, bemerkte Humfrey. »Und dem Verwandler muß zuerst der Prozeß gemacht werden.«

Und wie würde dieser Prozeß wohl enden? Warum war Trent nicht geflohen, als er noch dazu in der Lage war?

Das Verfahren verlief schnell und sachkundig. Die Ältesten stellten dem gelähmten Magier Fragen, die er natürlich nicht beantworten konnte. So konnte er sich auch nicht selbst verteidigen. Humfrey ließ den Reisezauberer den magischen Spiegel herbeizaubern – nein, Munly war es, der Zeremonienmeister bei Binks eigener Verhandlung, der den Spiegel besorgte. Binks Vogelhirn war durcheinander. Munly zauberte kleinere Gegenstände herbei. Er hielt den magischen

Spiegel hoch, damit alle die Bilder sehen konnte, die sich in ihm zeigten.

Darin waren Szenen von der Reise des Trios durch Xanth zu erkennen. Nach und nach trat alles zum Vorschein, doch Binks Talent wurde nicht enthüllt. Der Spiegel zeigte, wie sie einander in der Wildnis geholfen hatten, wie sie auf Schloß Roogna gelebt hatten – das führte zu erstaunten Ausrufen, denn niemand wußte, daß dieses alte, legendäre Schloß noch existierte –, wie sie gegen den Zapplerschwarm gekämpft hatten – wieder heftige Reaktionen! Wie sie sich schließlich duellierten. Wie sich die Zauberin Iris eingemischt hatte. Und wie – Bink wurde fast wahnsinnig vor Zorn und Verlegenheit – Bink und Chamäleon sich geliebt hatten. Der Spiegel war wirklich gnadenlos.

Der ganze Ablauf des Geschehens war sehr belastend für Trent, denn es gab nur Bilder, keine Sprache. Aber so war es doch gar nicht wirklich! wollte Bink rufen. Er ist ein guter Mensch. In vielen Punkten hat er doch recht. Wenn er mich und Chamäleon nicht verschont hätte, dann hätte er Xanth erobern können.

Endlich zeigte das Bild die letzte Duellszene: Trent, wie er Bink verwundete, den letzten Stoß führen wollte – und innehielt. Seht ihr, er hat mich verschont. Er ist nicht böse. Nicht mehr. Er ist nicht böse!

Aber niemand hörte ihn. Die versammelten Ältesten blickten einander an und nickten ernst. Binks Vater Roland und Munly, der Freund der Familie, waren dabei und sagten nichts.

Dann fuhr der Spiegel fort und zeigte, was geschehen war, nachdem Bink fortgeflogen war. Die Ungeheuer der Wildnis hatten frisches Blut gewittert und waren näher gekommen. Trent hatte gerade noch genügend Zeit gehabt, um Chamäleon zu verbinden, als die Gefahr zu groß wurde, um sie zu ignorieren. Er hatte sich vor ihr aufgestellt und die Ungeheuer mit dem gezückten Schwert verjagt – und diejenigen, die dennoch angriffen, in Raupen verwandelt. Zwei Wolfsköpfe hatten ihn mit gebleckten Zähnen und sabbernden Lefzen angegriffen, und er hatte einen davon ebenfalls in eine Raupe verwandelt, während er dem

anderen den Kopf abschlug. Trent hatte so wenig getötet wie möglich.

Er hätte weglaufen können, selbst dann noch, rief Bink. Er hätte Chamäleon von den Ungeheuern auffressen lassen können. Er wäre in den magischen Dschungel entkommen. Ihr hättet ihn niemals gefangen. Er ist ein guter Mensch geworden. Doch er wußte, daß er nicht dazu in der Lage war, diesen guten Menschen zu verteidigen. Chamäleon war natürlich zu dumm, um das zu tun, und Humfrey kannte nur einen Teil der Geschichte.

Schließlich zeigte der Spiegel noch, wie Roland eingetroffen war, der auf seine Weise genauso stark und imponierend aussah wie der Böse Magier, nur daß er ein paar Jahre älter war. Er war mit dem Rücken gegen Trent an diesen Ort gekommen – unmittelbar vor einer angreifenden zweiköpfigen Schlange, deren jeder Kopf einen Durchmesser von über einem Meter hatte. Roland, der nervös die Wildnis gemustert hatte, weil ihm ein naher Gewirrbaum einen Schreck eingejagt hatte, hatte weder den Magier noch die Schlange hinter sich bemerkt.

Der Spiegel gab wieder, wie Trent auf die Schlange zugelaufen war, sie am Schwanz herumgerissen hatte, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und wie er sie dann, als sie sich aufgestachelt auf ihn stürzen wollte, in eine weitere Raupe verwandelte. In eine zweiköpfige Raupe.

Roland hatte sich wirbelnd herumgedreht. Einen Augenblick lang hatten die beiden Männer einander in die Augen gesehen. Sie ähnelten sich sehr. Da hatte Roland geblinzelt, und Trent war auf der Stelle gelähmt worden. Die Lähmung war schneller gewesen als die Verwandlung.

Aber stimmte das denn wirklich? Trent hatte doch nicht einmal den Versuch gemacht, sich zu wehren, dachte Bink wütend. Er hätte meinen Vater anstelle der Schlange verwandeln können oder er hätte einfach zusehen können, wie die Schlange Roland angriff.

»Haben die Ältesten genug gesehen?« fragte Humfrey sanft.

Und wenn ich den Thron um den Preis von Trents Leben bekommen könnte, ich würde ihn nicht annehmen, dachte Bink voller Zorn. Der Prozeß war eine Farce gewesen. Man hatte Trent nicht einmal gestattet, sich selbst zu verteidigen. Wollten sie ihn genauso loswerden wie Bink damals? Völlig gedankenlos, sturen Paragraphen folgend, ohne sich über die wahren Hintergründe Klarheit zu verschaffen?

Die Ältesten wechselten wieder ernste Blicke. Schließlich nickten sie.

Laßt ihn doch wenigstens etwas sagen! schrie Bink stumm.

»Dann ist es wohl das beste, den Zauber wieder zu lösen«, sagte Humfrey. »Bei der Urteilsverkündung muß er frei von Magie sein, so will es unser Brauch.«

Gott sei Dank!

Roland schnippte mit den Fingern. Trent rührte sich. »Ich danke Ihnen, ehrenwerte Älteste von Xanth«, sagte er höflich. »Sie haben mir einen fairen Prozeß gemacht, und ich erwarte bereitwillig Ihr Urteil.«

Trent verteidigte sich ja nicht einmal! Wie konnte der Böse Magier dieses schweigende, schrecklich einseitige Ritual nur widerspruchslos hinnehmen?

»Wir stellen fest, daß Sie die Exilbestimmungen verletzt haben«, sagte Roland. »Darauf steht die Todesstrafe. Aber wir befinden uns in einer recht einmaligen Lage, und Sie haben sich wesentlich verändert, seit wir Sie das letzte Mal gesehen haben. Sie waren schon immer mutig, intelligent und magisch stark. Jetzt zählen auch Treue, Ehre und Barmherzigkeit zu Ihren Eigenschaften. Es ist mir auch nicht entgangen, daß Sie das Leben meines Sohnes verschont haben, der Sie törichterweise herausgefordert hat, und ebenso, daß Sie seine Braut vor den Gefahren des Dschungels beschützt haben. Sie sind nicht unschuldig daran gewesen, aber das haben Sie wieder wettgemacht. Folglich erlassen wir Ihnen diese Strafe und gestatten Ihnen, in Xanth zu bleiben, allerdings unter zwei Bedingungen.«

Sie würden Trent also nicht töten. Bink hüpfte fast vor Freude. Doch dann begriff er, daß es Einschränkungen geben würde, um zu verhindern, daß Trent jemals den Thron erlangte. Humfrey hatte von Blendung gesprochen, um ihm das Zaubern zu verbieten. Bink konnte sich lebhaft vorstellen, was es bedeutete, ein Leben ohne Magie zu führen. Trent wäre dazu gezwungen, irgendeine körperliche Arbeit anzunehmen und sein Leben in Schande zu verbringen. Die Ältesten waren zwar fast alle ziemlich alt, aber deswegen keineswegs weich. Kein noch so gerissener Bürger haute sie mehr als einmal übers Ohr.

Trent verneigte sich. »Ich danke Ihnen aufrichtig, Älteste. Ich nehme Ihre Bedingungen an. Wie lauten Sie?«

»Erstens«, sagte Roland, »daß Sie heiraten.«

Trent blickte verblüfft auf. »Ich kann ja verstehen, daß man von mir verlangt, daß ich alle früheren Verwandlungen wieder rückgängig mache und mich meines Talents in Zukunft nicht mehr bediene – aber was hat das Heiraten damit zu tun?«

»Sie räsonnieren!« sagte Roland scharf. Und Bink dachte: Trent hat es noch nicht begriffen. Sie brauchen keine Einschränkungen zu verhängen, wenn sie ihn blenden. Dann wird er sowieso hilflos sein.

»Verzeihung, Ältester. Ich werde heiraten. Wie lautet die zweite Bedingung?«

Jetzt kommt es! Am liebsten hätte Bink alle Geräusche ausgeschaltet, als wenn er damit das Urteil mildern könnte. Doch dieses magische Talent besaß er leider nicht.

»Daß Sie den Thron von Xanth annehmen.«

Binks Schnabel klappte herunter. Auch Chamäleon sperrte den Mund auf. Trent stand da, als sei er wieder steif gefroren.

Dann kniete Roland nieder, und die anderen Ältesten folgten langsam und schweigend seinem Beispiel.

»Der König ist tot, müssen Sie wissen«, erklärte Humfrey. »Es ist von größter Wichtigkeit, daß ein guter Mensch, der auch ein starker Magier ist, das Amt übernimmt. Einer, der zu führen versteht, der maßhalten kann und doch auch dazu fähig ist, Xanth mit wilder Entschlossenheit zu verteidigen. So wie etwa während einer Invasion der Zappler oder ähnlicher Bedrohungen. Einer, der auch einen möglichen Erben haben könnte, damit Xanth nicht wieder in die gleiche schwierige Lage kommt wie jetzt. Es ist nicht nötig, daß wir diesen Monarchen lieben, aber wir müssen ihn unbedingt haben. Ich bin dazu wohl kaum geeignet, denn ich könnte den Regierungsgeschäften wohl nicht die erforderliche Aufmerksamkeit und genügendes Interesse entgegenbringen. Und die Zauberin Iris ist auch nicht geeignet, selbst wenn sie keine Frau wäre, denn sie versteht nicht, maßzuhalten. Die einzige andere Person in Xanth, die das Kaliber eines Magiers hätte, besitzt weder die Persönlichkeit noch das Talent, die ein solches Amt erfordert. Folglich braucht Xanth Sie, Magier. Sie können nicht ablehnen.« Und dann kniete auch Humfrey nieder.

Der Böse Magier, der nun nicht mehr böse war, verneigte in schweigender Zustimmung den Kopf. Nun hatte er Xanth doch noch erobert.

Die Krönungszeremonie war äußerst prunkvoll. Das Zentaurenkontingent paradierte mit unfaßbarer Präzision im Marschschritt vorüber, und aus ganz Xanth strömten Menschen und intelligente Tiere herbei, um den Feierlichkeiten beizuwohnen. Der Magier Trent, der nun »Verwandlerkönig« hieß, nahm sowohl die Krone als auch die Braut entgegen, und beide strahlten.

Natürlich gab es unter den Zuschauern auch manche stichelnde Bemerkung, aber die meisten Bürger waren der Meinung, daß Trent sich weise entschieden hatte. »Wenn sie zu alt sein sollte, um ihm einen Erben zu bescheren, dann können sie immer noch einen Jungen mit Magierformat adoptieren.«

»Schließlich ist er ja der einzige, der sie in seiner Gewalt hat, und unter Langeweile wird er bei ihr nicht zu leiden haben.« Man wußte noch nichts von all den inneren und äußeren Bedrohungen Xanths.

Bink, der seine alte Gestalt wiedererlangt hatte, blickte allein auf die Stelle, wo früher Justin Baum gestanden hatte. Er freute sich für Trent, und der Mann würde sicherlich einen prächtigen König abgeben. Und doch litt er unter einer gewissen ernüchterten Enttäuschung. Was sollte er, Bink, denn nun tun?

Drei Jungen kamen vorbei: Zink, Jama und Potipher. Sie wirkten gedemütigt. Sie wußten, daß die Zeit der wilden Streiche nun vorüber war, denn jetzt gab es wieder einen mächtigen König. Wenn sie sich nicht benahmen, dann drohte ihnen die Verwandlung.

Schließlich trabten zwei Zentauren auf ihn zu. »Ich freue mich ja so, dich wiederzusehen, Bink!« rief Cherie. »Ist doch wirklich wunderbar, daß du nun doch nicht ins Exil gemußt hast!« Sie knuffte ihren Begleiter in die Rippen. »Nicht wahr, Chester?«

Chester zwang sich ein gequältes Lächeln ab. »Hm, ja, klar doch«, murmelte er.

»Du mußt uns unbedingt mal besuchen«, fuhr Cherie fröhlich fort. »Chester spricht so oft von dir!«

Chester machte eine leicht würgende Bewegung mit seinen kräftigen Händen. »Hm, klar«, wiederholte er etwas heiterer.

Bink wechselte lieber das Thema. »Wißt ihr eigentlich, daß ich Herman dem Einsiedler in der Wildnis begegnet bin?« fragte er. »Er ist als Held gestorben. Er hat seine Magie dazu eingesetzt…« Er unterbrach sich, als ihm einfiel, daß die Zentauren Magie bei einem Zentauren für obszön hielten. Das würde sich sicherlich auch bald ändern, wenn Trent die Archive auf Schloß Roogna ersteinmal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte. »Er hat den Kampf gegen die Zappler organisiert. Ich hoffe, daß sein Name in Zukunft bei euch in Ehren gehalten werden wird. Er hat Xanth gerettet.«

Erstaunt sah er, wie Chester lächelte. »Herman war mein Onkel«, sagte er. »Er war wirklich ein Original. Früher haben mich die Kleinen immer aufgezogen, weil er verbannt wurde. Und jetzt ist er ein Held, sagst du?«

Cheries Lippen wurden schmaler. »In Gegenwart von Stuten redet man bei uns nicht über Obszönitäten«, warnte sie ihn. »Komm jetzt!«

Chester mußte sie begleiten, doch er blickte sich noch einmal kurz um. »Ja, klar doch«, sagte er zu Bink. »Komm bald mal vorbei, um uns zu besuchen. Erzähl uns alles, was Onkel Herman getan hat, um Xanth zu retten.«

Dann waren sie weg. Plötzlich fühlte Bink sich sehr wohl. Chester war nun wirklich das letzte Wesen, bei dem er Gemeinsamkeiten erwartet hätte, aber er war froh, daß es so gekommen war. Bink wußte eine ganze Menge darüber, wie das war, wenn man wegen irgendeines angeblichen Vergehens gehänselt wurde. Und er war auch begierig darauf, einem dankbaren Publikum von Herman, dem magischen Einsiedlerzentauren, zu berichten.

Nun kam Sabrina auf ihn zu. Sie war noch immer genauso schön wie immer. »Bink, es tut mir leid, was damals passiert ist«, sagte sie. »Aber jetzt, wo alles wieder in Ordnung ist…«

Sie glich Chamäleon in ihrer schönen Phase, und intelligent war sie auch. Eine geeignete Braut für beinahe jeden Mann. Aber Bink kannte sie inzwischen zu gut. Sein Talent hatte ihn davor bewahrt, sie zu heiraten – indem es sich selbst verheimlicht hatte. Wirklich schlau, dieses Talent!

Er blickte sich um und sah den neuen Leibwächter, den Trent auf seine Empfehlung hin eingestellt hatte. Das war der Mann, der alles orten konnte, sogar Gefahr, bevor sie akut wurde. Der Soldat steckte nun in einer prachtvollen königlichen Uniform und hielt sich kerzengerade. »Crombie!« rief Bink.

Crombie kam zu ihm herüber. »Hallo, Bink! Ich hab’ Dienst, deshalb kann ich nicht lange bleiben. Stimmt irgend etwas nicht?«

»Ich wollte dich nur dieser schönen Dame vorstellen«, sagte Bink. »Das ist Sabrina. Sie macht hübsche Holographien in die

Luft.« Er drehte sich zu Sabrina um. »Crombie ist ein guter Mensch und ein fähiger Soldat, der in der Gunst des Königs steht, aber er traut Frauen nicht so recht. Ich glaube, er hat einfach noch nicht die richtige kennengelernt. Ich finde, ihr beiden solltet euch mal besser kennenlernen.«

»Aber ich dachte…« fing sie an.

Crombie blickte sie mit einem gewissen zynischen Interesse an, und sie erwiderte seinen Blick. Er begutachtete ihre äußeren Reize, die nichts zu wünschen übrigließen; sie begutachtete seine Stellung im Palast, die auch nichts zu wünschen übrigließ. Bink war sich nicht sicher, ob er gerade etwas Schönes getan oder einen Beutel voller Kirschbomben in eine Latrine geworfen hatte. Aber das würde sich mit der Zeit schon herausstellen. »Auf Wiedersehen, Sabrina«, sagte Bink und wandte sich ab.

König Trent ließ Bink zu einer königlichen Audienz rufen. »Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat, bis ich mich wieder um Sie kümmern konnte«, sagte er, als sie allein waren. »Aber es gab noch einige Präliminarien, die erst erledigt werden mußten.«

»Die Krönung. Die Hochzeit«, stimmte Bink zu.

»Die auch. Aber vor allem ein gefühlsmäßiges Sich-Wiederfinden. Die Krone ist mir ja ziemlich unvermutet angetragen worden, wie Sie wissen.«

Das wußte Bink. »Wenn ich Euer Majestät eine Frage stellen dürfte…«

»Warum ich Chamäleon nicht im Stich gelassen und in die Wildnis geflohen bin? Das will ich nur Ihnen allein beantworten, Bink. Wenn man einmal völlig von moralischen Bedenken absieht, was ich übrigens nicht getan habe, dann habe ich mir meine Chancen ausgerechnet, wie man das in Mundania nennt. Als Sie zum Schloß des Guten Magiers geflogen sind, da habe ich Ihre Erfolgschancen auf etwa drei zu eins zu Ihren Gunsten eingeschätzt. Wären Sie gescheitert, so wäre ich ohnehin in Sicherheit gewesen. Es wäre also sinnlos gewesen, Chamäleon im Stich zu lassen. Ich wußte, daß Xanth einen neuen König brauchte, denn dem Sturmkönig ging es allen Berichten zufolge immer schlechter. Die Chancen, daß die Ältesten keinen geeigneteren Magier für das Amt finden würden als mich, standen ebenfalls drei zu eins. Und so weiter. Alles in allem waren die Chancen, daß ich durch Dableiben den Thron erlangen würde, neun zu sieben, die für eine Hinrichtung drei zu dreizehn. Das war günstiger, als sich allein durch die Wildnis schlagen zu müssen, was ich mit eins zu eins bewerten würde. Verstehen Sie, was ich meine?«

Bink schüttelte den Kopf. »Diese Zahlen… ich begreife nicht…«

»Dann glauben Sie mir einfach, daß es eine pragmatische Entscheidung war, ein kalkuliertes Risiko. Humfrey war mein Freund, ich war mir sicher, daß er mich nicht verraten würde. Er wußte, daß ich mir meine Chancen ausgerechnet hatte, aber das machte keinen Unterschied, denn gerade einen solchen kühlen Rechner braucht Xanth ja auch als König, und das wußte er auch. Also hat er mitgespielt. Nicht daß ich beim Prozeß keine Sorgen

gehabt hätte. Roland hat mich wirklich ins Schwitzen gebracht.«

»Mich auch«, sagte Bink.

»Aber auch wenn die Chancen anders gestanden hätten, hätte ich so gehandelt.« Trent furchte die Stirn. »Und ich muß Sie ersuchen,diese Schwäche nicht in der Öffentlichkeit bekanntzumachen. Man will keinen König haben, der sich von persönlichen Erwägungen leiten läßt.«

»Ich werde nichts verraten«, sagte Bink, aber bei sich dachte er, daß das kein allzu großer Fehler war. Immerhin hatte er ja Chamäleon gerettet.

»Und nun zum Geschäftlichen«, fuhr der König lebhaft fort. »Ich werde Chamäleon und Ihnen natürlich Dispens gewähren, damit Sie in Xanth bleiben dürfen, ohne wegen des Bruchs der Exilbestimmungen bestraft zu werden. Nein, das hat überhaupt nichts mit Ihrem Vater zu tun. Ich wußte ja nicht einmal, daß Sie Rolands Sohn sind, bis ich ihn wiedergesehen habe und die

Familienähnlichkeit erkannte. Er hat mit keinem Wort Ihr verwandtschaftliches Verhältnis erwähnt. Da hat er persönliches Interesse wirklich geschickt aus dem Spiel gehalten. In der neuen Regierung wird Roland ein wichtiges Amt bekleiden, das kann ich Ihnen versichern. Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus. Es wird in Zukunft weder Verbannung noch Einwanderungsbeschränkungen gegen Mundania geben, es sei denn, es ist Gewalttätigkeit im Spiel. Das bedeutet natürlich auch, daß es Ihnen erlassen wird. Ihr magisches Talent unter Beweis und zur Schau zu stellen. In ganz Xanth wissen nur Sie und ich Genaueres darüber. Chamäleon war zwar anwesend, als es entdeckt wurde, aber sie war nicht dazu in der Lage, alles zu begreifen. Humfrey weiß nur, daß Sie Magie vom Magierformat besitzen. Also wird das unser Geheimnis bleiben.«

»Och, mir macht das nichts aus, wenn…«

»Sie verstehen mich nicht richtig, Bink. Es ist äußerst wichtig, daß die Art Ihres Talents geheim bleibt. Das liegt in seiner Natur, das gehört zu seinem Wesen. Wenn man es preisgibt, dann wird es wirkungslos. Deshalb schützt es sich selbst ja auch so geschickt, um nicht entdeckt zu werden. Wahrscheinlich durfte ich auch nur deshalb davon erfahren, damit ich es vor anderen schütze, und das habe ich jetzt auch vor. Niemand wird davon erfahren.«

»Ja, aber…«

»Ich sehe, daß Sie mich immer noch nicht ganz verstehen. Ihr Talent ist bemerkenswert und sehr subtil. Alles in allem hat es Magierformat und ist jeder anderen Magie in Xanth gewachsen. Alle anderen Bürger, ob sie nun lediglich Flecken auf Wände zaubern können oder ob sie Magier sind, können zu Opfern jener Arten von Magie werden, die sie selbst nicht praktizieren. Iris kann verwandelt werden, mich kann man lähmen, Humfrey kann durch Illusionen verwirrt werden – Sie merken schon, was ich meine. Nur Sie sind von Grund auf vor allen anderen Formen der Magie sicher. Man kann Sie in die Irre führen, man kann Sie demütigen oder sogar erheblich behindern, aber man kann Ihnen niemals

wirklich körperlich schaden. Das ist ein sehr breitgefächerter Schutz.«

»Ja, aber…«

»Es kann sogar sein, daß wir niemals ergründen können, wie weit er eigentlich reicht. Denken Sie doch nur einmal daran, wie wir wieder in Xanth eingedrungen sind, ohne daß auch nur einer von Ihrem Talent erfahren hätte. Es ist möglich, daß unser ganzes Abenteuer bloß eine einzige Spielart Ihres Talents war, das sich manifestierte. Chamäleon und ich waren vielleicht lediglich Werkzeuge, die Sie wieder sicher nach Xanth bringen sollten. Allein wären Sie auf Schloß Roogna vielleicht gefangen gewesen, oder die Zappler wären nicht besiegt worden. Also war ich da, um Ihnen den Weg frei zu machen. Vielleicht hat Ihr Talent Sie sogar vor meinem mundanischen Schwert beschützt, indem es dafür sorgte, daß Chamäleon den tödlichen Hieb auffing. Denn ich habe Ihre Magie ja zum größten Teil über meine eigene entdeckt, weil sie meine beeinflußt hat. Weil ich ein Magier bin, konnte Ihr Talent mich nicht überwältigen, wie das vielleicht bei einem anderen Bürger von Xanth gelungen wäre. Aber es hat Sie trotzdem geschützt. Es konnte mich nicht zur Strecke bringen, denn ich war ja in der Lage, Sie zu verwunden, also hat es sich auf meine Seite geschlagen und versucht, unseren Streit dadurch zu schlichten, daß es mich auf eine Weise zum König gemacht hat, die Sie akzeptieren konnten. Vielleicht war es ja Ihr Talent, das mich dazu bewogen hat, mich eines anderen zu besinnen und Sie nicht zu töten. Deshalb nehme ich auch an, daß es die Entscheidung Ihres Talents gewesen ist, daß ich von ihm erfahre – denn dieses Wissen, wie Sie ja gesehen haben, hat dazu geführt, daß sich meine Einstellung Ihnen gegenüber und auch gegenüber Ihrer persönlichen Sicherheit geändert hat.«

Er machte eine Pause, doch Bink erwiderte nichts. Das war ein ganz schöner Haufen Informationen, um ihn so ohne weiteres zu verdauen! Er hatte geglaubt, daß sein Talent begrenzt sei, daß es sich nicht um die kümmerte, die ihm nahestanden, doch offenbar hatte er es ziemlich unterschätzt.

»Sie sehen also«, fuhr Trent fort, »daß meine Krönung möglicherweise das Beste war, was Ihrem Wohlergehen widerfahren konnte. Vielleicht gehörten Ihre ganze Verbannung und der Tod des Sturmkönigs zu diesem Zeitpunkt ebenfalls zu diesem magischen Plan. Ihre Verbannung hat mich wieder nach Xanth geführt – ohne meine Armee, in Ihrer Begleitung. Ich möchte jedenfalls nicht darauf wetten, daß das ein bloßer Zufall gewesen ist; Ihr Talent bedient sich auf höchst komplizierte Weise des Zufalls. Ich will mich nicht gegen Sie stellen, um dann plötzlich krank zu werden und zu sterben wie mein Vorgänger, nachdem er sich gegen Sie gestellt hatte. Nein, Bink, selbst wenn ich nicht schon Ihr Freund wäre – Ihr Feind möchte ich bestimmt nicht sein! Also werde ich zu einem bewußten Werkzeug der Wahrung Ihres Geheimnisses und der Förderung der allgemeinen Wohlfahrt, so gut, wie ich es nur kann. Da ich weiß, was Sie für Xanth empfinden, werde ich versuchen, der bestmögliche König zu werden und ein neues Goldenes Zeitalter einzuleiten, auf daß Sie niemals direkt oder indirekt durch meine Fehler bedroht werden mögen. Verstehen Sie mich jetzt?«

Bink nickte. »Ich glaube schon, Euer Majestät.«

Trent stand auf und klopfte ihm herzlich auf den Rücken. »Gut! Dann sollte wohl alles am besten so gut laufen wie möglich!« Er hielt inne und dachte kurz nach. »Haben Sie sich schon für eine Beschäftigung oder einen Beruf entschieden, Bink? Ich kann Ihnen alles bieten, bis auf die Krone selbst, obwohl selbst die vielleicht einmal…«

»Nein!« rief Bink heftig. Dann mußte er sich selbst beschwichtigen, als er Trents breites Grinsen sah. »Ich meine ja, ich habe schon an eine Arbeit gedacht. Ich… Sie haben mal gesagt…« Bink zögerte verlegen.

»Sie scheinen nicht besonders gut zugehört zu haben. Was Sie wünschen, das werden Sie auch bekommen – sofern es in meiner gegenwärtigen Macht steht. Aber mein Talent ist die Verwandlung, nicht das Hellsehen. Sie müssen es schon aussprechen. Also, heraus damit!«

»Na ja, als wir in der Wildnis darauf gewartet haben, daß Chamäleon… Sie wissen schon, kurz vor den Zapplern… Wir haben über das Geheimnis gesprochen, das…«

Trent hob seine königliche Hand. »Reden Sie nicht weiter. Hiermit ernenne ich Sie, Bink vom Norddorf, zum Offiziellen Erforscher Xanths. Alle Geheimnisse und Rätsel der Magie sollen Ihr Forschungsbereich sein. Sie werden alles so lange untersuchen wie nötig, und Sie werden mir persönlich Bericht erstatten, auf daß Ihre Ergebnisse in die königlichen Archive aufgenommen werden. Ihr geheimes Talent qualifiziert Sie auf einmalige Weise, die verbotensten Winkel von Xanth zu erforschen, denn ein anonymer Magier bedarf keiner Leibwächter. Es ist schon lange an der Zeit, daß diese Winkel entdeckt und erkundet werden. Ihre erste Aufgabe wird darin bestehen, die wahre Quelle der Magie Xanths aufzuspüren.«

»Ich… äh, danke, Euer Majestät«, sagte Bink erfreut. »Ich glaube, diese Aufgabe gefällt mir wesentlich besser als das königliche Amt.«

»Vielleicht können Sie sich ja denken, wie sehr mich das auch freut«, erwiderte Trent lächelnd. »Und jetzt – ab zu den Mädels!«

Der Reisezauberer projizierte sie, und plötzlich standen sie vor dem Haupteingang von Schloß Roogna.

Die Zugbrücke war repariert worden und glänzte mit allen ihren polierten Bohlen und Messingknäufen. Der Graben war gesäubert und mit Wasser angefüllt, in denen nun die erlesensten Ungeheuer herumschwammen. Die Spitzen des Fallgatters glitzerten, und von den höchsten Zinnen flatterten bunte Fahnen. Es war ein Schloß, dessen alter Glanz wiederhergestellt worden war.

Bink blickte zur Seite, wo sich etwas zu bewegen schien. War dort etwa ein kleiner Friedhof? Irgend etwas bewegte sich doch dort, etwas Knochenweißes, das eine Bandage hinter sich herzog. O nein!

Da öffnete sich der Boden. Mit einem letzten fröhlichen Winken sank der Zombie in seine Ruhestätte.

»Ruhe in Frieden«, murmelte Trent. »Ich habe Wort gehalten.«

Und wenn er das nicht getan hätte? Wären die Zombies dann etwa auf das Schloß zumarschiert, um ihr Recht zu fordern? Das gehörte mit Sicherheit zu den Geheimnissen, die Bink nicht erforschen wollte.

Sie betraten das Schloß und wurden in der Empfangshalle von allen sechs Gespenstern begrüßt, die nun menschliche Gestalt hatten. Milly verschwand hastig, um der Königin die Ankunft des Königs zu melden.

Dann kamen Iris und Chamäleon gemeinsam ins Zimmer gerauscht. Sie trugen fürstliche Kleider und Sandalen. Die Zauberin war in ihrer natürlichen Gestalt, aber sie war derart gut frisiert und gekleidet, daß sie keineswegs unattraktiv war. Chamäleon steckte nun fast wieder in ihrer »mittleren« Phase durchschnittlicher Schönheit und Intelligenz.

Die Königin heuchelte keine Zuneigung für Trent. Es war eine Zweckheirat gewesen, genau wie vorgesehen. Doch ihre Freude an ihrer Stellung und am Schloß war ganz offensichtlich echt.

»Das ist ja ein wunderbarer Bau!« rief Iris. »Chamäleon hat mich herumgeführt, und die Gespenster haben uns bei der Toilette beraten. So viel Platz und Prunk, wie ich immer gewollt habe – und dabei ist alles auch noch echt! Und das Schloß möchte uns so gerne gefallen – ich weiß, daß es mir hier ausgezeichnet gefallen wird.«

»Das ist gut«, erwiderte Trent ernst. »Und nun leg dein schönes Gesicht an, wir haben Gäste.«

Die ältere Frau verschwand, und sofort erschien an ihrer Stelle eine betörend schöne, üppige junge Frau mit tiefem Ausschnitt.

»Ich wollte Chamäleon nicht verlegen machen, weißt du, jetzt in ihrer durchschnittlichen Phase.«

»Du kannst sie in keiner Phase verlegen machen. Und jetzt entschuldige dich bei Bink.«

Iris machte einen atemberaubenden Knicks vor Bink. Sie war bereit, alles zu tun, um Königin – und Mensch – zu bleiben. Trent konnte sie in eine warzige Kröte verwandeln oder auch in eben die Gestalt, der sie gerade glich. Wahrscheinlich konnte er sie auch jung genug machen, um einen Erben zu gebären. Trent war der Herr, und Iris schien keinerlei Neigung zu verspüren, das in Frage zu stellen. »Es tut mir leid, Bink, wirklich. Ich habe beim Duell und danach einfach die Beherrschung verloren. Ich wußte ja nicht,daß Sie die Ältesten holen wollten, um Trent zum König zu machen.«

Das hatte Bink auch nicht gewußt. »Vergeßt es, Euer Majestät«, sagte er verlegen. Er blickte Chamäleon an, die jetzt Dee so sehr glich, dem Mädchen, das er auf Anhieb gemocht hatte, Crombies Unkenrufen zum Trotz. Er spürte einen Anfall von Schüchternheit.

»Machen Sie schon«, flüsterte Trent ihm ins Ohr. »Jetzt ist sie klug genug.«

Bink dachte daran, welch eine entscheidende Rolle Chamäleons Suche nach einem Zauber, der sie normal machen würde, in seinem Abenteuer gespielt hatte. Dabei war sie doch völlig zufriedenstellend und sogar eine Herausforderung, so wie sie war. Wie viele Leute suchten doch ihr Leben lang nach ihren Zaubern – nach irgendeinem Vorteil, wie etwa einem Silberbaum oder politischer Macht und unverdienter Bewunderung, während sie in Wirklichkeit doch nur eines hätten zu sein brauchen – zufrieden mit dem, was sie hatten? Manchmal war das, was sie hatten, wesentlich besser als alles, was sie haben wollten. Chamäleon hatte geglaubt, daß sie normal werden wollte; Trent hatte geglaubt, daß er eine bewaffnete Eroberung wollte; und Bink selbst hatte geglaubt, daß er ein vorzeigbares magisches Talent haben wollte. Alle meinten, daß sie irgend etwas wollten, daß ihnen irgend etwas fehlte. Doch Binks wirkliches Ziel hatte schließlich darin bestanden, Chamäleon und Trent und sich selbst so zu bewahren, wie sie eben waren, und Xanth dazu zu bringen, sie als solche anzunehmen.

Er hatte Chamäleon in ihrer dummen Phase nicht ausnutzen, nicht überrumpeln wollen. Er wollte sicher sein, daß sie verstand, bevor er… bevor er…

Plötzlich verspürte er ein Kitzeln in der Nase. Er mußte niesen. Wie peinlich!

Iris knuffte Chamäleon mit ihrem Ellenbogen.

»Ja, natürlich will ich dich heiraten, Bink«, sagte Chamäleon.

Trent prustete laut. Da küßte Bink sie schon – sein gewöhnliches, ungewöhnliches Mädchen. Sie hatte ihren Zauber schon gefunden, sie hatte ihn über ihn verhängt. Es war der gleiche wie Crombies Fluch – die Liebe.

Und endlich begriff Bink auch das Omen: Er war der Falke, der Chamäleon fortgetragen hatte. Sie würde sich nie wieder befreien können.

 

 

 

 

ENDE