6 Der Magier

 

Das Schloß war beeindruckend. Es war nicht sonderlich groß, aber hoch und gut geschnitten. Es besaß einen tiefen Graben, eine dicke Außenmauer und einen hohen Innenturm mit einer Brüstung mit Zinnen. Es mußte wohl mit magischen Mitteln erbaut worden sein, denn sonst hätte auch eine ganze Armee von ausgezeichneten Handwerkern mindestens ein Jahr dazu gebraucht, es zu errichten.

Und doch sollte Humfrey nur ein Magier des Wissens, nicht des Bauens oder der Illusion sein. Wie konnte er mit Magie ein solches Bauwerk errichtet haben?

Egal, hier stand jedenfalls ein Schloß. Bink schritt zum Graben hinunter. Er hörte ein fürchterliches, galoppierendes Platschen, und kurz darauf kam ein Pferd hinter der Mauer hervor, das auf dem Wasser lief. Nein, kein Pferd, ein Hippocampus oder Seepferd, mit dem Kopf und den Vorderbeinen eines Pferdes und dem Schwanz eines Delphins. Bink kannte Delphine nur von Abbildungen her. Es war eine magische Fischart, die Luft atmete, anstatt Wasser.

Bink trat einen Schritt zurück. Das Ding sah gefährlich aus. Es konnte ihn zwar nicht an Land verfolgen, aber im Wasser konnte es ihn zu Staub zertrampeln. Wie sollte er nur den Graben überqueren? Es schien keine Zugbrücke zu geben.

Dann bemerkte er, daß das Hippocampus einen Sattel trug. O nein! Auf dem Wasserungeheuer reiten?

Aber so sollte es offenbar sein. Der Magier verschwendete seine Zeit nicht mit Leuten, die es nicht ernst meinten. Wenn er nicht einmal die Nerven besaß, auf einem Seepferd zu reiten, dann verdiente er es auch nicht, Humfrey zu Diensten zu sein. Auf perverse Weise ergab das durchaus Sinn.

Wollte Bink wirklich die Antwort auf seine Frage? Um den Preis eines einjährigen Dienstes?

Sabrina erschien vor seinem inneren Auge, und sie war so wirklich, so betörend, daß alles andere unwichtig wurde. Er schritt zu dem Hippocampus, das erwartungsvoll am Rand des Grabens im Wasser stand, und kletterte in den Sattel.

Das Geschöpf hob ab. Wiehernd jagte es um den Graben, anstatt sich auf die gegenüberliegende Seite zuzubewegen. Der Hengst war ausgesprochen fröhlich und aufgekratzt und benutzte das Wasser als regelrechte Rennbahn, während Bink sich verzweifelt am Sattelknauf festhielt. Die Vorderbeine des Tiers endeten nicht in Hufen, sondern in Flossen, mit denen es nach rechts und links Wasserfontänen emporwarf, die ihn durchnäßten. Der Schweif, der sich muskulös zusammenrollte, wenn das Wesen nicht in Bewegung war, streckte sich und peitschte das Wasser mit einer solchen Heftigkeit, daß der Sattel hin und her schaukelte und Bink jeden Augenblick hinunterzustürzen drohte.

»Wiiiiiaaaa! Wiiiiaaa!« brüllte das Ungeheuer freudig. Es hatte ihn genau dort, wo es ihn hinhaben wollte, im Sattel, bereit, abgeworfen zu werden. Sobald er die Wasseroberfläche berührte, würde es sich nach ihm umdrehen und ihn abwerfen. Was war er doch nur für ein Narr gewesen!

Moment mal! Solange er im Sattel blieb, konnte es ihm nichts anhaben. Und dazu mußte er sich nur festhalten, bis es ermüdete.

Doch das war leichter gesagt als getan. Das Hippocampus bäumte sich auf und tauchte wieder hinab, so daß er erst hoch in die Luft gehoben wurde, um dann im schäumenden Wasser unterzugehen. Es rollte seinen Schweif zu einer Spirale zusammen und schlingerte auf und ab, so daß er immer und immer wieder ins Wasser getaucht wurde. Bink fürchtete sich davor, daß es mit ihm am Boden des Grabens verweilen würde, so daß er nur die Wahl hatte, entweder loszulassen oder zu ertrinken. Doch der Sattel war gut befestigt, und sein Pferdekopf blickte stets in die gleiche Richtung wie Bink, so daß es genauso die Luft anhalten mußte wie er. Das Ungeheuer strengte sich ununterbrochen an, während Bink sich nur festzuhalten brauchte. Es verbrauchte mehr Kraft als er, folglich mußte es auch eher wieder atmen. Also konnte es ihn gar nicht ertränken – nachdem er erst darauf gekommen war.

Er brauchte also nur einen kühlen Kopf zu bewahren, dann mußte er einfach gewinnen. Was immer das auch wert sein mochte…

Schließlich gab das Tier es auf. Es plantschte zum Innentor hinüber und blieb still, während Bink abstieg. Er hatte die erste Hürde überwunden.

»Danke, Hip!« sagte er und verneigte sich leicht vor dem Seepferd. Es schnaubte und platschte schnell außer Reichweite.

Nun stand Bink vor einem riesigen Holztor. Es war verschlossen, und er hämmerte mit einer Faust dagegen. Doch es war so hart, daß seine Hand weh tat, und so dick, daß sein Hämmern stark gedämpft wurde und lediglich als leises Tipp-tipp-tipp zu hören war.

Er zog sein Messer und klopfte mit dem Griff gegen das Tor, da er seinen neuen Stab im Graben verloren hatte, doch das war auch nicht viel besser. Wenn eine Höhlung am lautesten widerhallte, dann war dieses Tor hier zweifellos aus dickem Holz. Es gab keinerlei Möglichkeiten, es aufzubrechen.

Vielleicht war der Magier nicht da? Aber dann müßte es doch Diener geben, die das Schloß bewachten.

Langsam wurde Bink wütend. Er hatte eine lange, gefährliche Reise hinter sich gebracht, um hierherzukommen, und er war bereit, einen Wucherpreis für ein kleines bißchen Information zu zahlen, und da war dieser verdammte Magier nicht einmal höflich genug, die Tür zu öffnen, wenn man anklopfte!

Nun, er würde trotzdem hineingelangen, irgendwie. Er würde einfach verlangen, empfangen zu werden.

Er musterte das Tor. Es war gute zehn Fuß hoch und fünf Fuß breit. Es schien aus handbehauenen Bohlen von acht mal acht zusammengesetzt worden zu sein und mußte mindestens eine Tonne wiegen. Scharniere besaß es nicht, was wiederum bedeutete, daß es nur zur Seite gleiten konnte. Doch das schied aus, denn das Portal war aus dickem Stein. Vielleicht, daß es hochgehoben wurde? Es waren keine Zugseile zu sehen. Natürlich konnte es sein, daß im Holz verborgene Schrauben angebracht waren, aber das erschien ihm doch mehr als umständlich und vor allem riskant. Manchmal ließen einen Schrauben in den unpassendsten Augenblicken im Stich. Vielleicht senkte sich das Tor ja auch in den Boden? Nein, der bestand auch aus Stein. Folglich mußte wohl jedesmal, wenn jemand eintreten wollte, das Ganze beiseite geschafft werden.

Idiotisch! Es mußte eine Attrappe sein! Es würde auch eine sinnvollere Öffnung geben, um einzutreten. Entweder eine magische oder eine körperliche. Er mußte sie nur finden.

Im Stein?

Nein, der war viel zu schwer, und wenn er es nicht sein sollte, dann war es ein Schwachpunkt, durch den ein Feind gewaltsam eindringen konnte. Es wäre sinnlos gewesen, ein solches Bollwerk von einem Schloß zu bauen, um es dann derartig angreifbar zu machen. Aber wo dann?

Bink tastete über das Holz der Torattrappe. Er entdeckte eine Ritze, fuhr mit dem Finger daran entlang: Es war ein Quadrat. Aha! Er drückte mit beiden Händen gegen die Mitte.

Das Quadrat bewegte sich nach innen und fiel schließlich aus seinem Rahmen. Zurück blieb ein Loch, durch das ein Mensch gerade hineinkriechen konnte. Da war also der Eingang!

Bink verlor keine Zeit. Er kletterte durch das Loch. Drinnen fand er sich in einer matt erleuchteten Halle wieder. Und vor ihm lauerte ein weiteres Ungeheuer.

Es war eine Manticora – ein Wesen von der Größe eines Pferdes, mit dem Kopf eines Menschen, dem Körper eines Löwen, den Flügeln eines Drachen und einem Skorpionschwanz. Es war eines der gefährlichsten magischen Ungeheuer, die es gab.

»Willkommen zum Essen, kleiner Krümel«, sagte die Manticora und reckte ihren segmentierten Schwanz in einem steifen Bogen über ihren Rücken. Sie hatte ein merkwürdiges Maul mit drei Zahnreihen, eine in der anderen, doch ihre Stimme war noch seltsamer. Es klang wie eine Mischung von Flöte und Trompete. In gewisser Weise klang sie sehr schön, aber unbegreiflich.

Bink zückte sein Messer. »Ich bin nicht dein Essen«, sagte er mit einem guten Teil mehr Überzeugungskraft, als er tatsächlich besaß.

Die Manticora lachte. Es klang säuerlich-ironisch. »Sonst wird dich wohl keiner verspeisen können, Sterblicher. Du bist hübsch emsig in meine Falle gelaufen.«

Das war er tatsächlich. Aber Bink hatte die Nase voll von diesen sinnlosen Hindernissen, und er vermutete insgeheim, daß sie wahrscheinlich gar nicht so sinnlos waren, auch wenn sich das paradox anmutete. Wenn die Ungeheuer des Magiers sämtliche Besucher verspeisten, dann hätte Humfrey nie etwas zu tun, würde nie etwas verdienen. Und wenn man den Berichten Glauben schenken durfte, dann war der Gute Magier ein ziemlicher Raffzahn, der in erster Linie lebte, um sich zu bereichern; er brauchte diese Wuchereinnahmen, um seinen Reichtum zu mehren. Also war das hier wahrscheinlich nur eine neue Prüfung, genau wie das Seepferd und das Tor. Bink mußte nur die Lösung finden.

»Ich kann jederzeit aus diesem Käfig hinausspazieren, wenn ich will«, sagte Bink herausfordernd. Er zwang sich dazu, nicht vor Zittern die Knie gegeneinanderzuschlagen. »Ist nichts für Leute meiner Größe. Ist mehr was für Ungeheuer wie dich. Du bist der Gefangene, Kauzahn!«

»Kauzahn!« wiederholte die Manticora ungläubig und zeigte dabei ungefähr sechzig ihrer Backenzähne vor. »Du Winselmännchen, dir verpass’ ich einen Millionen-Jahre-Traum!«

Bink lief auf die quadratische Öffnung zu. Das Ungeheuer jagte hinter ihm her und stach mit seinem Schwanz über den Kopf nach ihm.

Doch Bink hatte nur eine Finte geschlagen. Schon duckte er sich vor, auf die Löwenkrallen zu. Damit hatte das Ungeheuer nicht gerechnet, und es konnte nicht mehr mitten im Flug schwenken. Sein tödlicher Stachel grub sich in das Holz des Tores, und sein Kopf wurde durch die Öffnung gedrückt. Seine Löwenschultern verkeilten es säuberlich, und es flatterte hilflos mit den Flügeln hin und her.

Bink konnte nicht widerstehen. Er richtete sich auf, drehte sich um und schrie: »Du hast doch wohl nicht gedacht, daß ich die ganze weite Reise gemacht habe, nur um wieder umzukehren, du halbgares Ungeheuer!« Dann verpaßte er dem Wesen einen schnellen, harten Tritt ins Hinterteil, direkt unter den hochgereckten Schwanz.

Vom Tor erscholl ein Wut- und Schmerzensgebrüll. Doch da war Bink schon weg und lief die Halle entlang in der Hoffnung, daß es hier noch einen menschengroßen Ausgang gab, denn sonst…

Das Tor schien zu explodieren, und Bink hörte einen dumpfen Aufprall, als die Manticora auf den Boden rumste und sich wieder hochrappelte. Jetzt war sie aber wirklich wütend! Wenn es wirklich keinen Ausgang geben sollte…

Es gab einen. Die Herausforderung hatte darin bestanden, an dem Ungeheuer vorbeizukommen, nicht darin, es umzubringen.

Kein Mensch konnte ein solches Wesen mit einem Messer töten. Bink glitt durch das Gittertor, als die Manticora zu spät durch die Halle gestürmt kam, wobei von ihrem Schwanz Holzsplitter abfielen.

Jetzt war Bink im eigentlichen Schloß. Es war ziemlich dunkel und dumpf, und von menschlichen Bewohnern fehlte fast jede Spur. Wo war nur der Gute Magier?

Wenn das Geplänkel mit der Manticora noch nicht ausgereicht haben sollte, dann mußte Bink sich irgendwie anders bemerkbar machen. Er blickte sich um und entdeckte einen Strick, der von der Decke herabhing. Er zog kräftig daran und trat zurück, für den Fall, daß ihm sonst etwas auf den Kopf fiel. Diesem herrlichen Schloß traute er nicht besonders.

Eine Glocke ertönte: DONG-DONG, DONG-DONG.

Ein verrunzelter alter Elf kam herein. »Wen soll ich anmelden?«

»Bink vom Norddorf.«

»Drink von was?«

»Bink! B-I-N-K.«

Der Elf musterte ihn eindringlich. »Was wünscht Euer Meister

Bink?«

»Ich bin Bink! Ich suche magisches Talent.«

»Und was könnt Ihr dem Magier für seine unschätzbare Zeit als Gegenleistung bieten?«

»Das übliche: einen Jahresdienst.« Dann, leiser: »Das ist zwar Wucher, aber ich bin davon abhängig. Euer Meister schröpft die Leute ganz schön.«

Der Elf dachte nach. »Der Magier ist im Augenblick beschäftigt. Könnt Ihr vielleicht morgen wiederkommen?«

»Morgen wiederkommen!« explodierte Bink und dachte daran, was das Hippocampus und die Manticora mit ihm anstellen würden, wenn sie dazu noch einmal die Gelegenheit bekommen

sollten. »Will der alte Raffke nun mit mir ein Geschäft machen oder nicht?«

Der Elf blickte ihn mürrisch an. »Na gut, wenn Ihr das so seht… Dann folgt mir nach oben.«

Bink schritt hinter dem kleinen Mann her, eine Wendeltreppe empor. Je höher sie kamen, um so heller wurde das Innere des Schlosses, um so ausgeschmückter und wohnlicher.

Schließlich führte der Elf ihn in ein Studierzimmer voller Papiere. Er setzte sich hinter einen großen hölzernen Schreibtisch. »Also gut, Bink vom Norddorf. Du bist durch die Verteidigungsanlagen dieses Schlosses gedrungen. Weshalb meinst du nun, daß deine Dienste eine angemessene Entschädigung für die Zeit wären, die der alte Raffke auf dich verschwenden soll?«

Bink wollte wütend antworten, doch dann begriff er, daß dies der Gute Magier Humfrey selbst war. Er war verloren!

Jetzt konnte er nur noch offen antworten, bevor er hinausgeworfen wurde. »Ich bin kräftig und kann arbeiten. Das müssen Sie entscheiden, ob es sich für Sie lohnt oder nicht.«

»Du bist ein Schweinskopf und hast zweifellos einen geradezu bizarren Appetit. Wahrscheinlich kostest du mich schon an Verpflegung mehr, als du mir jemals einbringen würdest.«

Bink zuckte mit den Schultern, weil er wußte, daß es zwecklos war, sich über solche Punkte zu streiten. Damit würde er den Magier nur noch mehr aufbringen. Er war in die letzte Falle hineingelaufen: die Falle der Arroganz.

»Vielleicht könntest du Bücher schleppen und mir beim Lesen die Seiten umblättern. Kannst du lesen?«

»Etwas«, sagte Bink. Er war ein ganz guter Schüler des Zentaurenlehrers gewesen, aber das lag schon Jahre zurück.

»Beleidigen kannst du einen offensichtlich auch ganz gut. Vielleicht könntest du ja Eindringlinge beschwatzen, mich nicht mit ihren kleinkarierten Problemchen zu belämmern.«

»Vielleicht«, stimmte Bink grimmig zu. Offensichtlich war er ganz schön durchgerasselt. Und das so kurz vorm Ziel!

»Na, dann komm, wir brauchen ja nicht den ganzen Tag zu vertun«, bellte Humfrey und sprang von seinem Stuhl hoch. Jetzt merkte Bink, daß er kein wirklicher Elf war, sondern ein sehr kleiner Mann. Natürlich konnte ein Elf, der ein magisches Wesen war, nicht auch noch Magier sein. Das hatte ihn auch verwirrt, obwohl er diese Prämisse zunehmend bezweifelte. Xanth konfrontierte ihn mit immer neuen Spielarten der Magie, die er vorher nicht für möglich gehalten hatte.

Der Magier hatte sein Angebot also angenommen. Bink folgte ihm ins Nebenzimmer. Es war ein Labor, dessen Regale zum Bersten voll mit magischen Utensilien waren, die sich auch überall auf dem Boden stapelten. Nur eine kleine Fläche war frei.

»Stell dich an die Seite«, sagte Humfrey barsch, obwohl Bink kaum Platz hatte, um sich überhaupt zu bewegen. Der Magier war nicht gerade das, was man eine betörende Persönlichkeit nennen konnte. Für ihn ein Jahr lang arbeiten zu müssen, war bestimmt kein Zuckerschlecken. Doch wenn Bink erfahren wollte, daß er magisches Talent besaß, und zwar ein gutes, dann konnte das die Sache wert sein.

Humfrey nahm eine winzige Flasche aus dem Regal, schüttelte sie und setzte sie auf den Boden, mitten in ein Pentagramm hinein. Dann machte er mit beiden Händen ein Zeichen und murmelte irgend etwas in einer Geheimsprache.

Der Deckel der Flasche ging auf, und Rauch trat hervor. Er dehnte sich zu einer recht großen Wolke aus, dann verdichtete er sich zu der Gestalt eines Dämons: Seine Hörner waren sehr klein, und anstelle eines spitzen Stachels endete sein Schwanz in einem weichen Haarknäuel. Außerdem trug er eine Brille, die wohl aus Mundania importiert worden sein mußte, wo man solche Geräte dazu verwendete, die Augen der dortigen Bürger zu verstärken. Jedenfalls behaupteten das die Legenden. Bink wäre fast herausgeplatzt vor Lachen. Ein kurzsichtiger Dämon, das mußte man sich nur einmal vorstellen.

»O Beauregard«, summte Humfrey, »ich beschwöre dich im Namen der Autorität, die mir der Vertrag verliehen hat: Sage uns, welches magische Talent dieser Junge, Bink vom Norddorf in Xanth, besitzt!«

Das war also das Geheimnis des Magiers: Er war ein Dämonenbeschwörer. Das Pentagramm war dafür gedacht, die Dämonen aufzunehmen, wenn sie aus ihren magischen Flaschen traten. Schließlich war selbst ein gelehrter Dämon immer noch ein Geschöpf der Hölle.

Beauregard blickte Bink mit seinen bebrillten Augen an. »Tritt ein in meine Domäne, damit ich dich richtig anschauen kann«, sagte er.

»Äh… nö!« rief Bink.

»Du bist aber eine ganz schön harte Nuß«, meinte der Dämon.

»Ich habe dich nicht um ein Persönlichkeitsprofil gebeten!« fauchte Humfrey. »Was hat er für ein magisches Talent?«

Der Dämon konzentrierte sich. »Er hat Magie… starke Magie… aber…«

Starke Magie! Binks Herz schlug höher.

»Aber ich kann nicht feststellen, welche«, sagte Beauregard. Er blickte den Guten Magier an und schnitt eine Grimasse. »Tut mir leid, Holzkopf, da muß ich passen.«

»Dann verschwinde gefälligst, du Nichtsnutz!« bellte Humfrey und klatschte verblüffend laut in die Hände. Offenbar war er es gewöhnt, beleidigt zu werden, es gehörte wohl zu seinem Lebensstil. Vielleicht hatte Bink wieder einmal Glück gehabt.

Der Dämon löste sich in Rauch auf und verschwand wieder in seiner Flasche. Bink starrte die Flasche an und versuchte etwas darin zu erkennen. War da nicht eine winzige Gestalt, die über einem noch winzigeren Buch gebeugt dasaß und las?

Der Magier blickte Bink an. »Also hast du eine starke Magie, die sich nicht bestimmen läßt. Wußtest du das? Bist du hierhergekommen, um mir die Zeit zu stehlen?«

»Nein«, erwiderte Bink. »Ich war mir nie sicher, ob ich überhaupt Magie hatte. Sie ist jedenfalls nie zutage getreten. Ich habe gehofft, daß ich welche hätte… aber ich hatte befürchtet, keine zu besitzen.«

»Gibt es da irgend etwas, was die Undurchsichtigkeit erklären könnte? Vielleicht ein Gegenzauber?«

Es war offensichtlich, daß Humfrey alles andere als allmächtig war. Aber nun, da Bink wußte, daß er ein Dämonenbeschwörer war, erschien ihm das auch begreiflich. Niemand beschwor einen Dämon, ohne einen guten Grund dafür zu haben. Der Magier verlangte so viel für seine Dienste, weil er auch ein großes Risiko einging.

»Ich wüßte nichts dergleichen«, sagte Bink. »Abgesehen vielleicht von dem Heilwasser, das ich getrunken habe.«

»Davon hätte sich Beauregard nicht täuschen lassen dürfen. Er ist ein ziemlich gebildeter Dämon, ein echter Magiegelehrter. Hast du etwas von dem Wasser dabei?«

Bink reichte ihm die Feldflasche. »Ich habe noch etwas aufgehoben. Man weiß ja nie, ob man es nicht noch mal brauchen kann.«

Humfrey nahm die Feldflasche entgegen, träufelte etwas Wasser auf seine Handfläche und leckte daran. Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Die übliche Formel«, sagte er. »Aber divinatorische oder Informationsmagie kann es eigentlich nicht verhunzen. Ich habe ein ganzes Faß von ähnlichem Zeug unten im Keller. Selbst gebraut, aber natürlich frei vom Selbstschutzzauber des Quells, versteht sich. Aber behalte das hier ruhig, es kann sehr nützlich sein.«

Der Magier hängte einen Zeiger, der an einem Bindfaden befestigt war, vor eine Wandtafel, auf der das lächelnde Gesicht eines Cherubs und das grollende Gesicht eines Teufels aufgemalt waren. »Dann spielen wir mal zwanzig Fragen.«

Er machte Zeichen mit den Händen und beschwor den Zeiger. Bink merkte, daß er wohl zu voreilige Schlüsse gezogen hatte. Humfrey beschwor keineswegs nur Dämonen. Aber auf Informationsmagie hatte er sich tatsächlich spezialisiert. »Bink vom Norddorf«, summte er. »Hast du dich auf ihn eingestellt?«

Der Zeiger drehte sich und zeigte auf den Cherub.

»Hat er Magie?«

Wieder der Cherub.

»Starke Magie?«

Cherub.

»Kannst du feststellen, welche?«

Cherub.

»Sagst du mir, was für eine Magie es ist?«

Der Zeiger drehte sich auf den Teufel zu.

»Was ist das bloß!« rief Humfrey wütend. »Nein, du Idiot, das war keine Frage, das war ein Ausruf! Ich verstehe nicht, wieso ihr Geister euch vor der Antwort drücken wollt.« Zornig führte er einen Entlassungszauber durch und wandte sich wieder an Bink. »Da ist irgend etwas mächtig komisch bei der Sache! Aber jetzt fühle ich mich herausgefordert. Ich werde dich mit einem Wahrheitszauber beschwören. Wir werden der Sache schon noch auf den Grund gehen!«

Wieder wedelte der Magier mit seinen kurzen Armen, murmelte eine übel klingende Beschwörung – und mit einemmal fühlte Bink sich sehr seltsam. Er hatte noch nie diese merkwürdige Form der Magie erlebt, die mit Gesten, Formeln und Geräten arbeitete. Er kannte nur angeborene Talente, die dann funktionierten, wenn man es wollte. Der Gute Magier schien so etwas wie ein Wissenschaftler zu sein – obwohl Bink auch nicht so recht wußte, was dieses mundanische Wort bedeutete.

»Wer bist du?« verlangte Humfrey zu wissen.

»Bink vom Norddorf.« Das war die Wahrheit, aber diesmal sagte Bink es, weil der Zauber ihn dazu zwang, nicht aus freien Stücken.

»Weshalb bist du gekommen?«

»Um festzustellen, ob ich magisches Talent besitze und was das wohl für eins sein mag. Damit ich Xanth nicht verlassen muß und heiraten…«

»Genügt. Die schmutzigen Einzelheiten interessieren mich nicht.« Der Magier schüttelte den Kopf. »Also hast du die ganze Zeit die Wahrheit gesagt. Das Geheimnis wird immer dunkler, die Spannung wächst. Also – was ist dein Talent?«

Bink öffnete den Mund, der Zauber zwang ihn zum Sprechen – doch da ertönte das Brüllen eines Tiers.

Humfrey zuckte zusammen. »Oh, die Manticora hat Hunger. Zauber – verschwinde! Warte hier, während ich sie füttere.« Dann war er auch schon fort.

Was für ein ungünstiger Augenblick für die Manticora, Hunger zu bekommen! Aber Bink konnte es dem Magier kaum verdenken, sich so damit zu beeilen, das Ungeheuer zu füttern. Wenn es aus seinem Käfig ausbrechen sollte…

Bink war sich nun selbst überlassen. Er ging im Raum umher und vermied es sorgfältig, nichts dabei anzufassen. Er kam an einen Spiegel. »Spieglein, Spieglein an der Wand«, sagte er scherzhaft, »wer ist die Schönste im ganzen Land?«

Der Spiegel bewölkte sich, dann wurde er wieder klar. Eine große, fette, warzenübersäte Kröte blickte ihn an. Bink zuckte zusammen. Dann begriff er, was geschehen war: Das hier war ein magischer Spiegel. Er hatte ihm die Schönste von allen gezeigt – von allen Kröten.

»Ich meine, die schönste Menschenfrau«, erklärte er.

Nun blickte Sabrina ihn an. Zuerst hatte Bink ja gescherzt, doch er hätte eigentlich begreifen müssen, daß der Spiegel ihn ernst nehmen würde. War Sabrina wirklich das schönste aller Mädchen? Objektiv gesehen, war das unwahrscheinlich. Der Spiegel zeigte sie, weil sie in seinen voreingenommenen Augen die Schönste war. Ein anderer Mann …

Das Bild verwandelte sich. Nun blickte Wynne ihn an. Ja, auch sie war schön, wenn auch viel zu dumm, als daß sie sich gelohnt hätte. Aber manche Männer würden wahrscheinlich auch das mögen. Andererseits…

Jetzt sah er die Magierin Iris in ihrer verführerischsten Illusion. »Na, wird auch langsam Zeit, daß du dich für mich entscheidest, Bink«, sagte sie. »Ich kann dich immer noch…«

»Nein!« rief Bink, und das Spiegelbild verschwand.

Er beruhigte sich etwas und sah dann den Spiegel erneut an. »Kannst du auch informative Fragen beantworten?« Natürlich konnte er es, sonst würde er nicht hier hängen.

Der Spiegel bewölkte sich und wurde wieder klar. Nun erschien ein Bild des Cherubs, was Ja bedeutete.

»Warum haben wir solche Schwierigkeiten dabei, mein Talent zu bestimmen?«

Diesmal erschien ein Fuß im Spiegel, eine Pfote – ja, eine Affenpfote.

Bink starrte sie eine Weile an und versuchte herauszubekommen, was sie bedeutete, doch das wollte ihm nicht gelingen. Der Spiegel war wahrscheinlich verwirrt und gab ein Bild wider, das nichts mit

der Frage zu tun hatte.

»Was habe ich für ein Talent?« fragte er schließlich.

Der Spiegel zerbrach.

»Was machst du da?« fragte Humfrey hinter ihm.

Bink zuckte schuldbewußt zusammen. »Ich… ich hab’ wohl

Ihren Spiegel zerbrochen«, sagte er. »Ich hab’ nur…«

»Du hast nur dumme, direkte Fragen an ein Instrument gerichtet, für das Feinfühligkeit erforderlich ist«, sagte Humfrey zornig. »Hast du wirklich geglaubt, daß der Spiegel dir offenbaren könnte, wovor Beauregard sich gedrückt hat?«

»Es tut mir leid«, sagte er lahm.

»Du machst mehr Ärger, als du jemals wert sein wirst. Aber eine Herausforderung bist du auch. Also machen wir weiter.« Wieder machte er seine Gesten und summte seine Formeln, um den Wahrheitszauber erneut aufzubauen. »Was ist dein…«

Ein Klirren. Das Glas war aus dem Rahmen gefallen. »Dich habe ich nicht gefragt!« schrie Humfrey den Spiegel an. Er drehte sich wieder zu Bink um. »Was…«

Ein Zittern. Das Schloß wankte. »Ein Erdbeben!« rief der Magier. »Es kommt alles auf einmal!«

Er schritt durch den Raum und lugte durch eine Scharte. »Nein, das war nur der unsichtbare Riese, der vorbeigezogen ist.«

Wieder wandte Humfrey sich an Bink. Diesmal blickte er ihn durchdringend an.

»Das ist kein Zufall. Irgend etwas hindert dich – und auch sonst alles und jeden – daran, diese Antwort zu geben. Irgendeine sehr mächtige, nicht identifizierte Magie. Ich habe gedacht, daß es nur drei lebende Leute dieses Ranges gäbe, aber offenbar ist da noch ein vierter.«

»Drei?«

»Humfrey, Iris, Trent. Aber keiner von denen besitzt eine Magie

diesen Typs.«

»Trent! Der Böse Magier?«

»Du wirst ihn vielleicht böse nennen. Ich habe ihn nie so erlebt.

In gewisser Weise waren wir sogar Freunde. Auf unserem Niveau gibt es eine Art Kameradschaft…«

»Aber er ist doch vor zwanzig Jahren ins Exil geschickt worden!«

Humfrey blickte Bink schief an. »Für dich sind Exil und Tod wohl das gleiche, wie? Er lebt in Mundania. Meine Informationen erstrecken sich nicht bis über den Schild hinaus, aber ich bin

sicher, daß er noch lebt. Er ist ein außergewöhnlicher Mann. Aber jetzt besitzt er natürlich keine Magie mehr.«

»Oh.« Gefühlsmäßig waren Exil und Tod für Bink tatsächlich das gleiche gewesen. Das hier war eine gute Erinnerung: Hinter dem Schild gab es auch Leben. Er wollte zwar immer noch nicht dorthin, aber es machte die Aussicht darauf etwas weniger schlimm.

»Auch wenn es mich mächtig wurmt, aber ich wage es nicht, noch weiter nachzuhaken. Ich bin nicht ausreichend gegen Einmischungsmagie geschützt.«

»Aber warum sollte jemand versuchen, mich daran zu hindern zu erfahren, was ich für ein Talent habe?« fragte Bink verwirrt.

»Nein, du weißt ja, welches Talent du hast. Du kannst es nur nicht sagen – nicht einmal dir selbst. Das Wissen liegt tief in dir begraben. Und da wird es wohl auch bleiben, wie es so aussieht. Ich bin einfach nicht bereit, das Risiko auf mich zu nehmen, nicht für einen bloßen Jahresvertrag. Da würde ich garantiert zusetzen.«

»Aber warum sollte ein Magier… ich meine, ich bin doch ein Niemand! Was für einen Nutzen sollte irgend jemand daraus ziehen, mich daran zu hindern…«

»Vielleicht ist es gar kein Jemand, sondern ein Ding, das einen Zauber über dich verhängt hat. Einen Unwissenheitszauber.«

»Aber warum?«

Humfrey zog eine Grimasse. »Junge, du fängst an, dich zu wiederholen. Es könnte sein, daß dein Talent eine Bedrohung für irgend etwas Mächtiges darstellt. So, wie ein silbernes Schwert eine Bedrohung für einen Drachen ist, auch wenn es nicht in seiner Nähe ist. Also schützt sich dieses Wesen, indem es dein Wissen um dein Talent blockiert.«

»Aber…«

»Wenn wir das wüßten, dann wüßten wir auch, was du für ein Talent hast«, schnauzte Humfrey und beantwortete damit Binks unausgesprochene Frage.

Doch Bink blieb stur. »Wie kann ich dann mein Talent unter Beweis stellen, um in Xanth bleiben zu dürfen?«

»Du hast wirklich Probleme«, sagte Humfrey in einem Ton, als sei das lediglich von akademischem Interesse. Er zuckte mit den Schultern. »Ich würde die Frage ja beantworten, wenn ich könnte, aber ich kann eben nicht. Natürlich brauchst du für meine Bemühungen nichts zu bezahlen, weil ich ja nicht alles geleistet habe, was gefordert wurde. Ich gebe dir einen Brief mit. Vielleicht erlaubt dir der König ja doch noch, in Xanth zu bleiben. Ich meine zu wissen, daß die Bestimmungen verlangen, daß jeder Bürger im Besitz von magischen Kräften ist, nicht aber, daß er sie auch öffentlich unter Beweis stellt. Manchmal kann auf eine Vorführung verzichtet werden. Ich erinnere mich an einen jungen Mann, der nach Belieben die Farbe seines Urins verändern konnte. Da hat man sich auch mit einer eidesstattlichen Erklärung begnügt, anstatt eine öffentliche Vorführung zu verlangen.«

Das Scheitern schien den Magier erheblich milder gestimmt zu haben. Er servierte Bink ein leckeres Essen aus braunem Brot und Milch. Das stammte aus seiner eigenen Brotfruchtbaumplantage und seinem Rehfliegenstall. Beim Essen war er beinahe geschwätzig und gesellig. »Hier kommen so viele Leute her und verschwenden ihre Fragen«, vertraute er Bink an. »Der Trick liegt nicht unbedingt darin, die richtige Antwort zu finden, sondern die richtige Frage. Du bist die erste Herausforderung gewesen, die mir seit Jahren untergekommen ist. Die letzte war… laß mal überlegen… der Amarant. Da war so ein Bauer, der wissen wollte, wie er eine wirklich überragende Pflanze entwickeln konnte, die Gemüse und Getreide abgab, damit er seine Familie besser ernähren konnte und ein bißchen mehr vom Leben hatte. Ich habe den magischen Amarant für ihn aufgespürt, und jetzt hat er sich über ganz Xanth ausgebreitet und wahrscheinlich sogar noch weiter. Man kann daraus ein Brot machen, das sich vom echten so gut wie überhaupt nicht unterscheiden läßt.« Der Magier zog eine Schublade auf und holte einen besonderen Laib hervor. »Schau mal, der hat keinen Stengel. Er ist gebacken worden, nicht gewachsen.« Er brach ein Stück für Bink ab, der es dankbar entgegennahm. »Also, das war mal eine richtige Frage! Die Antwort hat dem ganzen Land Xanth gedient, nicht nur dem Individuum. Viel zu viele Wünsche sind von der Affenpfotenart…«

»Die Affenpfote!« rief Bink. »Als ich den magischen Spiegel befragt habe, da hat er mir…«

»Natürlich. Das Bild stammt aus einer Geschichte aus Mundania. Sie hielten sie für reine Erfindung, aber hier in Xanth gibt es solche Magie.«

»Aber was…?«

»Willst du doch noch einen Jahresdienst ableisten?«

»Ah, nö, dafür nicht.« Bink konzentrierte sich darauf, das neue Brot zu kauen. Es war härter als echtes Brot.

»Dann sage ich es dir kostenlos. Es bedeutet einfach eine Art von Magie, die dir mehr Unheil bringt als Gewinn, obwohl sie dir wortwörtlich das gibt, was du verlangt hast. Magie, ohne die man besser dran wäre.«

War Bink besser dran, sein Talent nicht zu kennen? Das hatte der Spiegel ihm offensichtlich sagen wollen. Und doch – wie konnte das Exil, das ihn dieses Talents gänzlich berauben würde, besser sein als das Wissen darum? »Kommen denn sehr viele Leute mit Fragen, ob dumme oder andere?«

»Seit ich dieses Schloß gebaut und versteckt habe, nicht mehr so viele. Nur die wirklich Entschlossenen gelangen noch hierher. So

wie du.«

»Wie haben Sie es gebaut?« Solange der Magier redete…

»Die Zentauren haben es gebaut. Ich habe ihnen gesagt, wie sie sich von einem Ungeziefer in ihrer Gegend befreien konnten, und da haben sie mir ein Jahr lang gedient. Es sind handwerklich hochbegabte Geschöpfe, und sie haben ganze Arbeit geleistet. Ab und zu mache ich die Wege hierher unbegehbar, verhänge

Verwirrungszauber und so, damit ich nicht von unernsthaften Gaffern belästigt werde. Ist schon eine gute Stelle.«

»Die Ungeheuer!« rief Bink. »Das Hippocampus, die Manticora – dann leisten die also auch einen Jahresdienst ab und halten Leute mit unwichtigen Fragen fern?«

»Natürlich. Hast du geglaubt, daß sie nur zu ihrem Vergnügen hier sind?«

Bink dachte darüber nach. Er erinnerte sich noch sehr gut an die unheilige Freude, mit der das Seepferd herumgetobt war. Aber trotzdem würde es wohl das offene Meer einem Schloßgraben vorziehen.

Er hatte sein Brot aufgegessen. Es war tatsächlich fast so gut gewesen wie echtes. »Mit Ihrem Wissen könnten Sie… da könnten Sie doch König werden!«

Humfrey lachte ohne jede Bitterkeit. »Welcher vernünftige Mensch würde schon König werden wollen? Das ist ein langweiliger, anstrengender Beruf. Ich bin kein Herrscher, sondern ein Gelehrter. Der größte Teil meiner Arbeit besteht darin, meine Magie sicher und wirkungsvoll zu machen, sie zu läutern, damit sie in größerem Rahmen anwendbar wird. Es bleibt noch viel zu tun, und ich werde alt. Ich kann mir nicht durch Ablenkungen die Zeit stehlen lassen. Sollen doch die die Krone nehmen, die sie unbedingt haben wollen.«

Bink dachte verwirrt darüber nach, wer Xanth wohl regieren wollte. »Die Magierin Iris…«

»Das Problem der Illusion ist, daß man schnell anfängt, sich selbst etwas vorzumachen«, sagte Humfrey ernst. »Iris braucht eher einen guten Mann als Macht.«

Das konnte selbst Bink einsehen. »Aber warum heiratet sie dann nicht?«

»Sie ist eine Magierin, und zwar eine recht gute. Sie besitzt Fähigkeiten, von denen du gar nichts ahnst. Sie braucht einen Mann, den sie respektieren kann, einen, der noch stärkere Magie besitzt als sie. In ganz Xanth gibt es nur einen, der mehr magische Fähigkeiten hat als sie, und das bin ich. Aber ich gehöre zu einer anderen Generation, ich wäre viel zu alt für sie, selbst wenn ich heiraten wollte. Und außerdem würden wir natürlich nicht zusammenpassen, denn unsere Talente sind zu verschieden. Ich arbeite mit der Wahrheit, sie arbeitet mit der Illusion. Ich weiß zuviel, sie bildet sich zuviel ein. Also arbeitet sie mit niedrigeren Talenten in der Hoffnung zusammen, daß es vielleicht doch klappen könnte.« Er schüttelte den Kopf. »Eigentlich ist es wirklich schade. Der König läßt nach und hat keinen Thronfolger. Und weil es gefordert ist, daß die Krone nur an einen vollen Magier geht, ist es durchaus möglich, daß der Thron ihren Intrigen zum Opfer fallen könnte. Nicht jeder junge Mann besitzt deine Integrität und deine Loyalität gegenüber Xanth.«

Bink fror unwillkürlich. Humfrey wußte von Iris’ Angebot, von ihrer Begegnung! Der Magier beantwortete nicht nur Fragen gegen Entlohnung, er hielt sich auch über alles auf dem laufenden, was in Xanth vorging. Doch er schien sich nicht wirklich darum zu kümmern oder einzumischen. Er sah nur zu. Vielleicht erforschte er den Hintergrund der Suchenden, während sie von dem Seepferd, der Mauer und der Manticora aufgehalten wurden, bis er damit fertig war. Vielleicht hortete er auch sein Wissen für den Fall, daß ihm jemand die Frage stellte: »Was ist die größte Gefahr für Xanth?« um dann die Belohnung für seine Antwort zu kassieren.

»Wenn der König stirbt, werden Sie dann die Krone annehmen?« fragte Bink. »Sie haben doch gesagt, daß es ein mächtiger Magier sein muß, und zum Besten von Xanth wäre es da doch…«

»Da stellst du mir eine Frage, die genauso schwer zu beantworten ist wie die, die dich hierhergeführt hat«, meinte Humfrey mit trüber Miene. »Ich habe durchaus ein bißchen Patriotismus in mir, aber andererseits mische ich mich aus Prinzip nicht in den natürlichen Lauf der Dinge ein. Das Bild von der Affenpfote hat schon etwas Wahres an sich, die Magie hat ihren Preis. Ich schätze, wenn es absolut keine Alternative gäbe, dann würde ich die Krone wohl annehmen. Aber zuvor würde ich ziemlich eifrig nach einem größeren Magier suchen, der diese Tretmühle auf sich nehmen würde. Wir haben schon seit einer Generation kein überragendes Talent mehr gehabt. Langsam wird eins überfällig.« Er musterte Bink nachdenklich. »Es sieht so aus, als hinge solch eine Magie auch irgendwie mit dir zusammen, aber solange wir sie nicht bestimmen können, können wir sie auch nicht bezähmen. Deshalb bezweifle ich, daß du der Thronerbe sein könntest.«

Bink explodierte fast vor ungläubigem Lachen. »Ich? Da beleidigen Sie aber den Thron!«

»Nein, du hast Qualitäten, die für den Thron eine Ehre wären – wenn du nur ein definiertes und kontrollierbares magisches Talent hättest. Die Magierin hat wohl eine bessere Wahl getroffen, als sie wußte oder wollte. Doch es gibt ganz offensichtlich eine Gegenmagie, die dich bremst – obwohl ich nicht behaupten würde, daß derjenige, der diese Gegenmagie verhängt hat, nicht auch einen guten König abgäbe. Es ist wirklich sehr seltsam und aufregend.«

Bink war versucht von dem Gedanken, ein mächtiger Magier zu sein, König zu werden und über Xanth zu herrschen. Doch merkwürdigerweise stieß ihn der Gedanke schon bald wieder ab. Tief in seinem Inneren wußte er, daß ihm dazu die nötigen Fähigkeiten fehlten, was immer Humfrey auch gesagt haben mochte. Es war nicht nur eine Frage der Magie, sondern auch des Lebensstils und des Ehrgeizes. Er würde niemals einen Menschen zum Tod oder zur Verbannung verurteilen können, selbst wenn er wissen sollte, daß dieses Urteil gerecht war. Er würde auch keine Armee in eine Schlacht führen oder den Tag damit verbringen können, miteinander zankende Bürger wieder zu versöhnen. Schon die reine Last der Verantwortung würde ihn schon bald zu Boden drücken. »Sie haben recht. Kein vernünftiger Mensch würde König werden wollen. Ich möchte nur Sabrina heiraten und mich niederlassen.«

»Du bist ein sehr vernünftiger Bursche. Bleib über Nacht, dann sage ich dir morgen früh, wie du direkt nach Hause kommst, und ich gebe dir auch Schutzmittel gegen die Gefahren mit, die unterwegs lauern.«

»Etwa ein Mittel gegen Nickelfüßler?« fragte Bink hoffnungsfroh. Er dachte an die Gräben, die er mit Cherie, der Zentaurin, überquert hatte.

»Ganz genau. Du wirst deinen Verstand zwar trotzdem beisammenhalten müssen, schließlich ist für Dummköpfe kein Weg sicher, aber nach zwei Tagesmärschen müßtest du wieder zu Hause sein.«

Bink blieb über Nacht. Er stellte fest, daß er das Schloß mitsamt seinen Bewohnern richtig mochte. Selbst die Manticora war jetzt freundlich, nachdem der Magier ein Machtwort gesprochen hatte. »Ich hätte dich nicht wirklich aufgefressen, obwohl ich zugeben muß, daß ich ein bis drei Augenblicke versucht war, es zu tun, nachdem du mich in den… äh, Schwanz getreten hast«, erzählte sie Bink. »Meine Aufgabe ist es, jene abzuhalten, die es nicht ernst meinen. Schau mal, ich bin gar nicht gefangen.« Sie drückte gegen das Gitter, und das Innentor schwang auf. »Außerdem ist mein Jahr sowieso bald um. Fast tut es mir leid.«

»Welche Frage hast du denn gestellt?« fragte Bink etwas nervös und versuchte, sich nicht allzu offensichtlich fluchtbereit zu halten. Auf offener Strecke wäre er kein Gegner für eine Manticora.

»Ich habe gefragt, ob ich eine Seele besitze«, antwortete das Ungeheuer ernst.

Wieder mußte Bink sich zusammenreißen. Einen Jahresdienst für die Beantwortung einer philosophischen Frage? »Was hat er dir geantwortet?«

»Daß nur die eine Seele besitzen, die sich um sie sorgen.«

»Aber… aber dann hättest du doch gar nicht erst zu fragen brauchen. Du hast ein Jahr für nichts bezahlt.«

»Nein. Ich habe ein Jahr für alles bezahlt. Wenn ich eine Seele besitze, dann bedeutet das, daß ich niemals wirklich sterben werde. Mein Körper mag vielleicht verwesen, aber ich werde wiedergeboren werden. Und wenn nicht, dann wird mein Schatten unbeglichene Rechnungen einlösen, oder ich lebe auf ewige Zeiten im Himmel oder in der Hölle. Meine Zukunft ist gesichert, ich werde nie der Vergessenheit anheimfallen. Es gibt keine wichtigere Frage oder Antwort. Und doch mußte diese Antwort richtig formuliert werden, ein einfaches Ja oder Nein hätte mir nicht genügt. Es hätte ein bloßes Raten sein können oder auch nur die persönliche Meinung des Magiers. Eine detaillierte Abhandlung über alle Einzelaspekte hätte alles nur vernebelt. Humfrey hat die Antwort so gegeben, daß ihre innewohnende Wahrheit für sich selbst sprach. Jetzt werde ich nie wieder zweifeln müssen.«

Bink war bewegt. Wenn man es so betrachtete, dann ergab das schon einen Sinn. Humfrey hatte gute Arbeit geleistet. Er war ein ehrlicher Magier. Er hatte der Manticora – und Bink selbst ebenfalls – etwas Lebenswichtiges über Xanth mitgeteilt. Wenn selbst die wildesten, zusammengesetzten Ungeheuer eine Seele hatten, mit allen Konsequenzen, wie konnte man sie dann noch als böse verdammen?