4 Illusion

 

Bink nahm seine Reise wieder auf – aber auf der falschen Seite der Schlucht. Wenn Donalds Gehöft doch nur auf der Südseite gelegen hätte!

Es war seltsam, wie alle über die Schlucht Bescheid wußten und sie wie selbstverständlich hinnahmen – nur im Norddorf wußte niemand davon. War das vielleicht eine Verschwörung des Schweigens? Das war unwahrscheinlich, denn die Zentauren wußten offenbar auch nichts davon, und die waren gewöhnlicherweise immer sehr gut auf dem laufenden. Die Schlucht existierte schon mindestens zwei Jahre, da der Schatten sich dort so lange aufgehalten hatte, und wahrscheinlich noch viel länger, denn der Spaltendrache mußte sein ganzes Leben schon dort gewesen sein.

Es mußte ein Zauber sein – ein Unwissenheitszauber, der bewirkte, daß nur die Leute, die in unmittelbarer Nähe der Schlucht lebten, von ihr wußten. Diejenigen, die fortgingen – vergaßen sie einfach. Offensichtlich hatte es in den letzten Jahren keinen freien Pfad mehr vom nördlichen ins südliche Xanth gegeben.

Nun ja, das ging ihn eigentlich nichts an. Er mußte nur irgendwie drumherumgehen. Er wollte nicht noch einmal versuchen, sie zu durchqueren, denn es war nur einer unglaublichen Reihe von Zufällen zu verdanken, daß er noch lebte, und Bink wußte, daß der Zufall ein sehr unzuverlässiger Verbündeter war.

Das Land hier war grün und hügelig, und die kopfhohen bonbongestreiften Farne wuchsen so dicht nebeneinander, daß es unmöglich war, sehr weit in die Ferne zu blicken. Es gab nun keinen ausgetretenen Pfad mehr, den er entlangschreiten konnte. Einmal verirrte er sich, offenbar war er von einem Abwehrzauber abgelenkt worden. Einige der Bäume schützten sich vor Belästigungen, indem sie die Reisenden dazu brachten, einen Umweg zu machen, um ihnen auszuweichen. Vielleicht war es der Silbereiche dadurch gelungen, so lange unentdeckt zu bleiben. Wenn man an eine solche Baumgruppe geriet, so konnte es vorkommen, daß man weit fortgelenkt wurde oder andauernd im Kreis ging. Es war oft schwierig, aus einer solchen Falle wieder zu entkommen, denn man nahm sie nicht so ohne weiteres wahr; der Reisende dachte dann, daß er tatsächlich auch dort hinging, wo er hinwollte.

Ein anderes Mal entdeckte er einen ausgezeichneten Pfad, der genau in die richtige Richtung führte, aber der war derart vorzüglich, daß er argwöhnisch wurde und ihn lieber mied. Es gab eine Menge Kannibalenpflanzen, die einen Weg sehr verlockend zu gestalten wußten, bis sich die Falle hinter einem schloß.

So dauerte es drei Tage, bis er wirklich Fortschritte gemacht hatte, aber er war immer noch in guter Verfassung, wenn man von seiner Erkältung absah. Er fand ein paar Nasenfroh, die seine Nase freimachen halfen, und einen Pillendosenbusch mit Kopfschmerztabletten. In unregelmäßigen Abständen gab es auch Farbfruchtbäume, die grüne, gelbe, orange und blaue Früchte trugen. Er hatte das Glück, jede Nacht eine Unterkunft zu finden, weil er ganz offensichtlich ein recht harmloser Geselle war, aber manchmal mußte er auch ein paar Stunden dafür arbeiten. Die Menschen hier im Hinterland besaßen kaum Talente, ihre Magie war eher belangloser Art, und so lebten sie im Grunde ein mundanisches Leben und hatten immer etwas zu tun, bei dem ihnen Hilfe willkommen war.

Schließlich senkte sich das Land zum Meer hinab. Xanth war eine Halbinsel, die niemals ordentlich kartographiert worden war, und zwar aus naheliegenden Gründen. Das bewies schon die Schlucht. Folglich kannte man seine genaue Größe nicht, und sie ließ sich vermutlich auch gar nicht richtig feststellen. Allgemein gesprochen, handelte es sich um ein Oval, das sich von Norden nach Süden erstreckte, und im Nordwesten durch eine schmale Landbrücke mit Mundania verbunden war. Wahrscheinlich war es früher einmal eine Insel gewesen und hatte die für Inseln typische Existenz entwickelt, die von Außeneinflüssen weitgehend unberührt blieb. Nun hatte der Schild diese Isoliertheit wiederhergestellt, indem er das Land an der Brücke mit seinem Todesvorhang abschirmte und jede Besatzung eindringender Schiffe sofort ausradierte. Damit noch nicht genug, machte die Sage von zahlreichen gefährlichen Seeungeheuern die Runde, die vor den Küsten lauerten. Nein, Mundania machte keine Invasionsversuche mehr.

Bink hoffte, daß ihm das Meer gestatten würde, die Schlucht zu umgehen. Der Drache konnte wahrscheinlich nicht schwimmen, und die Seeungeheuer näherten sich dem Land fast gar nicht. Es mußte einen schmalen Abschnitt geben, in dem weder Drache noch Seeungeheuer eine Gefahr darstellten. Vielleicht ein Strand, den er entlangwandern konnte, so daß er ins Wasser entweichen mochte, wenn sich der Schrecken der Schlucht vom Land her näherte, und wo er vor den Gefahren des Meeres aufs Land flüchten konnte.

Da lag er auch schon vor ihm: Ein wunderschöner Streifen weißen Sandes, der sich von einer Seite der Schlucht zur anderen erstreckte. Er konnte es kaum glauben, daß er so viel Glück haben sollte, aber er wollte lieber nicht allzulange darüber nachdenken.

Bink rannte auf den Strand zu. Zehn Schritte lang war alles in Ordnung – dann verlor sein Fuß den Halt, berührte etwas Feuchtes, und er fand sich im Salzwasser wieder.

Der Strand war eine Illusion. Er war in eine höchst einfache Falle geraten. Was war leichter und besser für ein Seeungeheuer, als sein Opfer auf einen Strand zu locken, der direkt in tiefem Wasser endete?

Bink schwamm hastig auf die Küste zu, die er nun als felsigeÖde erkannte, an der sich die Wellen brachen. Es war ganz und gar kein sicherer Ort, um an Land zu gehen, aber es war seine einzige Wahl. Er konnte nicht zu dem ›Strand‹ zurück, auf dem er gekommen war, denn dieser schien nun nicht einmal mehr in der Illusion zu existieren. Entweder war er irgendwie über das Wasser getragen worden, oder er war geschwommen, ohne sich dessen bewußt zu werden. Jedenfalls war dies keine Art von Magie, mit der er noch nähere Bekanntschaft zu machen wünschte.

Etwas Kaltes, Flaches und ungemein Kräftiges wickelte sich um einen seiner Knöchel. Bink hatte seinen Stab verloren, als ihn der Drache in der Schlucht angegriffen hatte, und er hatte sich noch keinen neuen geschnitzt. Alles, was er besaß, war sein Jagdmesser. Es war eine armselige Waffe gegen ein Seeungeheuer, aber er mußte es damit versuchen.

Er zog das Messer aus seiner Scheide, hielt die Luft an und hieb damit in die Richtung seines Fußknöchels. Das, was ihn umschlang, fühlte sich wie Leder an, und er mußte richtig daran sägen, um es zu durchtrennen. Diese Ungeheuer waren aber auch überall zäh!

Etwas Riesiges, Unklares kam unter Wasser auf ihn zugeschossen und zog die Zunge ein, die er gerade bearbeitete. Riesige Zähne blitzten auf, als sich das gewaltige Maul öffnete. Bink verlor die allerletzten Nerven: Er begann zu schreien.

Sein Kopf war unter Wasser, und der Schrei führte zu einer Katastrophe. Das Wasser schoß in seinen Mund und seinen Rachen.

Kräftige Hände drückten rhythmisch auf seinen Rücken und pumpten Wasser heraus und Luft hinein. Bink keuchte, würgte und hustete. Er war gerettet! »Ich… es geht mir gut!« japste er.

Die Hände ließen ihn los. Bink setzte sich auf und blinzelte.

Er befand sich an Bord einer kleinen Yacht. Die Segel waren aus grellbunter Seide, das Deck aus poliertem Mahagoni. Der Mast bestand aus Gold.

Aus Gold? Aus Goldbeschichtung vielleicht. Reines Gold wäre viel zu schwer gewesen und hätte eine Schlagseite verursacht.

Erst jetzt schaute er auf die Person, die ihn gerettet hatte, und wunderte sich noch mehr. Es war eine Königin.

Jedenfalls sah sie aus wie eine Königin. Sie trug eine kleine Platinkrone und eine reichbestickte Robe, und sie war schön. Vielleicht nicht so schön wie Wynne; diese Frau war älter und hatte Haltung. Die makellose Kleidung und ihr Verhalten machten die reine wollüstige Unschuld Wynnes wett. Das Haar der Königin hatte den sattesten Rotton, den er je gesehen hatte – ganz wie die Pupillen ihrer Augen. Es war schwer, sich vorzustellen, was diese Frau wohl auf diesem von Seeungeheuern heimgesuchten Meer

tun mochte.

»Ich bin die Zauberin Iris«, sagte sie.

»Äh, Bink«, sagte er unbeholfen. »Aus dem Norddorf.« Er war noch nie einer Zauberin begegnet und hatte nicht den Eindruck, daß er für diese Gelegenheit richtig angezogen war.

»Ein Glück, daß ich zufällig vorbeikam«, bemerkte Iris. »Du hättest in Schwierigkeiten kommen können!«

Das war ja wohl die Untertreibung des Jahres! Bink war völlig erledigt gewesen, und sie hatte ihm sein Leben wiedergeschenkt. »Ich war am Ertrinken. Ich habe Sie überhaupt nicht gesehen. Nur ein Seeungeheuer«, sagte er und wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Wie konnte er diesem königlichen Geschöpf dafür danken,

daß es sich seine zierlichen Hände damit beschmutzt hatte, jemanden wie ihn zu retten?

»Du warst wohl auch kaum dazu in der Lage, überhaupt irgend etwas zu erkennen«, meinte sie und streckte ihren Körper, so daß ihre ausgezeichnete Figur sich besonders vorteilhaft ausnahm. Er hatte sich geirrt, sie war Wynne in keiner Hinsicht unterlegen und auf jeden Fall wesentlich intelligenter. Eher wie Sabrina. Der Geist einer Frau, dachte er, machte einen großen Teil ihrer Anziehungskraft aus. Das war die Lektion des Tages.

An Bord der Yacht befanden sich auch Seeleute und Diener, doch sie blieben unauffällig im Hintergrund, und Iris stellte die Segel selbst ein. Sie war ganz gewiß keine untätige Frau!

Die Yacht segelte aufs Meer hinaus. Bald kamen sie an eine Insel

– und was für eine Insel das doch war! Überall üppige Vegetation, Blumen in allen Farben und Größen: Gänseblümchen mit Polkatupfern, so groß wie Teller, Orchideen von unbeschreiblicher Schönheit, Tigerlilien, die gähnten und schnurrten, als das Boot sich näherte. Gut gepflegte Pfade führten von der goldenen Pier zu einem Palast aus reinem Kristall hoch, der wie ein Diamant in der Sonne funkelte.

Wie ein Diamant? Bink vermutete jedenfalls, daß es ein Diamant sei, denn er brach das Licht auf tausend Facetten. Der größte, vollkommenste Diamant, den es je gegeben haben mochte.

»Ich schätze, ich verdanke Ihnen mein Leben«, sagte Bink und wußte immer noch nicht, wie er mit der Situation klarkommen sollte. Es schien lächerlich, seine Dienste zum Holzhacken oder Misten anzubieten, um sich seine Unterkunft zu verdienen; auf diesem schönen Eiland gab es keine solch grobschlächtigen Dinge wie Feuerholz oder Tiermist! Wahrscheinlich konnte er ihr den größten Gefallen damit tun, daß er sein durchnäßtes, verwirrtes Selbst so bald wie möglich aus ihrer Gegenwart entfernte.

»Das tust du wohl«, sagte sie und sprach dabei verblüffend normal. Er hatte irgendwie erwartet, daß sie distanzierter wäre.

»Aber mein Leben ist nicht allzuviel wert. Ich besitze keine magischen Kräfte, und ich werde wohl aus Xanth vertrieben.«

Bink hatte erwartet, daß sein Geständnis sie beunruhigen würde; er hatte es gemacht, um von vorneherein nicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu handeln. Es konnte ja sein, daß sie ihn irrtümlicherweise für jemanden hielt, der von großer Bedeutung war. Aber ihre Reaktion überraschte ihn.

»Bink, ich bin froh, daß du das gesagt hast. Es zeigt, daß du ein guter, ehrlicher Bursche bist. Die meisten magischen Talente sind sowieso völlig nutzlos. Was nützt es, einen rosa Fleck auf einer Wand erscheinen lassen zu können? Das mag zwar Magie sein, aber sie bewirkt nichts. Du hast mit deiner Kraft und deiner Intelligenz wesentlich mehr anzubieten als die überwiegende Mehrheit der Bürger.«

Bink war erstaunt und beglückt von diesem unerwarteten und vermutlich auch unverdienten Lob. Was die Fleck-auf-der-Wand-Magie anbelangte, so hatte sie natürlich recht; das hatte er selbst auch schon oft gedacht. Natürlich war es eine Allerweltsaussage, die abwertender Art war und mit der man ausdrückte, daß jemand allenfalls Hinterwäldlermagie beherrschte. Es war also keine besonders differenzierte Bemerkung, aber sie bewirkte doch, daß er sich etwas wohler fühlte.

»Komm«, sagte Iris und nahm ihn bei der Hand. Sie führte ihn über die Gangway auf die Pier und dann zum Hauptweg, der zu dem Palast führte.

Der Duft der Blumen war beinahe betäubend. Rosen aller Farben gaben ihre Gerüche von sich, und Pflanzen mit schwertförmigen Blättern waren noch häufiger; ihre Blüten sahen aus wie vereinfachte Orchideen und leuchteten, genau wie die Rosen, ebenfalls in allen Farben. »Was sind das für welche?« fragte er.

»Iris, natürlich«, sagte sie.

Er mußte lachen. »Natürlich!« Schade, daß es keine Blumenart gab, die ›Bink‹ hieß.

Der Weg führte durch eine blühende Hecke, schlängelte sich an einem Teich mit Springbrunnen vorbei und endete am üppig verzierten Säulenvorhof des Kristallpalasts. Es war also doch kein richtiger Diamant. »Komm in meinen Empfangsraum«, sagte die Zauberin lächelnd.

Binks Füße zögerten. Er hatte schon einmal die Geschichte von der Spinne und der Fliege gehört. Hatte sie sein Leben nur gerettet, um…

»Herrje!« rief sie. »Bist du etwa abergläubisch? Niemand wird dir etwas tun.«

Sein Zögern schien unsinnig zu sein. Warum sollte sie ihn erst retten, um ihn dann reinzulegen? Sie hätte ihn auch ersticken lassen können, anstatt das Wasser aus ihm herauszupumpen; dann wäre das Fleisch genauso frisch geblieben. Oder sie hätte ihn fesseln und von den Seeleuten an Land bringen lassen können. Sie brauchte ihn nicht zu täuschen. Er war bereits in ihrer Gewalt – wenn dem wirklich so sein sollte. Aber trotzdem…

»Ich sehe, daß du mir nicht vertraust«, sagte Iris. »Was kann ich denn tun, um dein Vertrauen zu gewinnen?«

Dieses direkte Angehen des Problems beruhigte ihn nicht gerade. Und doch mußte er sich der Sache wohl stellen – oder in sein Schicksal vertrauen. »Sie… Sie sind eine Zauberin«, sagte er. »Sie haben anscheinend alles, was Sie brauchen. Ich… was wollen Sie dann noch mit mir?«

Sie lachte. »Ich will dich jedenfalls nicht auffressen, da kannst du sicher sein!«

Aber Bink konnte nicht lachen. »Manche Magie… manche Leute werden tatsächlich aufgefressen.« Er hatte wieder eine Vision von einer monströsen Spinne, die ihn in ihr Netz locken wollte. Wenn er den Palast erst einmal betreten hatte…

»Also gut, dann setz dich hier in den Garten«, sagte Iris. »Oder wo immer du dich sicher fühlen magst. Wenn ich dich nicht von

meiner Ehrlichkeit überzeugen kann, dann kannst du mein Boot nehmen und davonfahren. Das ist ja wohl fair, nicht wahr?«

Es war zu fair, es führte dazu, daß er sich wie ein undankbarer Grobian vorkam. Nun kam Bink der Gedanke, daß die ganze Insel eine Falle sein könnte. Er konnte nicht bis zum Festland schwimmen – nicht bei all den Seeungeheuern –, und die Mannschaft der Yacht könnte ihn immer noch festhalten, wenn er versuchen sollte, zurückzusegeln.

Na ja, Zuhören konnte ja nicht schaden. »Also gut.«

»Nun, Bink«, sagte sie eindringlich, und in ihrer Intensität war sie so schön, daß sie äußerst eindringlich wirkte. »Du weißt doch, daß zwar jeder Bürger von Xanth magisches Talent besitzt, daß diese Magie aber sehr enge Grenzen hat. Manche besitzen mehr Magie als andere, aber dennoch beschränkt sich auch ihr Talent auf einen bestimmten Typ von Magie. Selbst die Magier unterliegen diesem Naturgesetz.«

»Ja.« Das klang einleuchtend – aber was sollte es?

»Der König von Xanth ist ein Magier – aber seine Macht erstreckt sich lediglich auf Wettereffekte. Er kann eine Windhose beschwören oder einen Tornado oder auch einen Hurrikan oder eine Dürre oder einen zehntägigen Regen – aber er kann nicht fliegen oder Holz in Silber verwandeln oder mit magischen Mitteln ein Feuer entzünden. Er ist ein Spezialist für die Atmosphäre.«

»Ja«, stimmte Bink zu und erinnerte sich an Donalds Sohn, der Windhosen machen konnte. Der Junge besaß ein gewöhnliches Talent, der König hatte ein gewaltiges – und doch unterschieden sie sich nur graduell, nicht prinzipiell voneinander.

Natürlich war das Talent des Königs mit der Zeit schwächer geworden; vielleicht konnte er mittlerweile nur noch eine Windhose zaubern. Es war schon ganz gut, daß Xanth von dem Schild beschützt wurde!

»Wenn du also das Talent eines Einwohners von Xanth kennst, dann kennst du auch seine Grenzen«, fuhr Iris fort. »Wenn du einen Mann siehst, der einen Sturm beschwört, dann brauchst du dir keine Sorgen darüber zu machen, daß er unter deinen Füßen eine magische Grube entstehen lassen oder dich in eine Kakerlake verwandeln könnte. Niemand besitzt mehrere verschiedene Grundarten von Talenten.«

»Außer vielleicht der Magier Humfrey«, sagte Bank.

»Er ist ein mächtiger Magier«, stimmte sie ihm zu. »Aber selbst er hat seine Grenzen. Sein Talent ist die Divination, das Hellsehen, beziehungsweise das Wissen. Ich glaube nicht, daß er wirklich in die Zukunft blickt, nur in die Gegenwart. Und seine sogenannten hundert Zauber beziehen sich auch darauf. Keiner davon ist Aktivmagie.«

Bink wußte nicht genug über Magier Humfrey, um das widerlegen zu können, aber es klang richtig. Er war beeindruckt davon, wie gut sich die Zauberin über die Magie ihres Kollegen auf dem laufenden hielt. Gab es zwischen den Besitzern großer magischer Kräfte so eine Art beruflicher Rivalität? »Ja, Talente treten in Typen auf. Aber…«

»Mein Talent ist die Illusion«, lenkte sie elegant zu einem anderen Thema über. »Diese Rose…« Sie pflückte eine hübsche rote Rose und hielt sie ihm unter die Nase. Was für ein süßer Duft! »Diese Rose ist in Wirklichkeit…«

Die Rose verblaßte. Plötzlich hielt sie einen Grashalm in der Hand. Er roch sogar nach Gras.

Bink blickte sich enttäuscht um. »Das alles hier ist Illusion?«

»Das meiste davon. Ich könnte dir den ganzen Garten zeigen, wie er in Wirklichkeit ist, aber das wäre nicht annähernd so hübsch.« Der Grashalm in ihrer Hand verwandelte sich in eine Iris. »Das sollte dich überzeugen. Ich bin eine mächtige Zauberin. Deshalb kann ich ein ganzes Gebiet als etwas erscheinen lassen, was es nicht ist, und jede Einzelheit würde dabei echt sein. Meine Rosen duften wie Rosen, meine Apfelstrudel schmecken wie Apfelstrudel. Mein Körper…« Sie machte eine Pause und lächelte leise. »Mein Körper fühlt sich wie ein Körper an. Alles scheint echt zu sein – und ist doch nur Illusion. Das heißt, alles hat eine stoffliche Grundlage, aber meine Magie verschönert es, verändert es. Das ist mein Talentkomplex. Deswegen besitze ich kein anderes Talent – und so weit kannst du mir folglich trauen.«

Bink war sich da nicht so sicher. Eine Illusionszauberin war die letzte Person, der man überhaupt irgendwie trauen konnte! Und doch verstand er jetzt, was sie meinte. Sie hatte ihm ihre Magie gezeigt, und es war unwahrscheinlich, daß sie bei ihm noch eine andere Magie anwenden würde. Er hatte zwar noch nie daran gedacht, aber es stimmte, daß jeder in Xanth immer nur einen Typ von Talent besaß.

»Also gut, ich vertraue Ihnen«, sagte Bink zweifelnd.

»Gut. Dann komm mit in meinen Palast, dort werde ich dir alle deine Bedürfnisse erfüllen.«

Das war unwahrscheinlich. Niemand konnte ihm ein eigenes magisches Talent geben. Humfrey mochte sein Talent vielleicht entdecken – um den Preis eines Jahresdienstes! –, aber das würde lediglich enthüllen, was dort war, es wäre kein Neuerschaffen.

Er ließ sich von ihr in den Palast führen. Auch drinnen war er reich ausgestattet. Regenbogenfarbige Lichtstreifen fielen durch die Dachprismen, und die Kristallwände bildeten Spiegel. Das mochten Illusionen sein, doch er sah seine Widerspiegelung darin und merkte, daß er viel gesünder und mannhafter wirkte, als er sich fühlte.

Anstelle von Stühlen oder Couchen waren in den Ecken weiche hübsche Kissen aufgebaut. Plötzlich fühlte Bink sich sehr müde. Er mußte sich unbedingt eine Weile hinlegen! Aber dann sah er vor seinem geistigen Auge das Skelett im Pinienwald. Er wußte nicht mehr, wie er sich fühlen durfte.

»Jetzt wollen wir dir mal diese nassen Kleider ausziehen«, sagte Iris bekümmert.

»Äh, die werden schon von alleine trocken«, sagte Bink, der sich nicht nackt vor einer Frau zeigen wollte.

»Glaubst du, ich will meine Kissen ruinieren lassen?« fragte sie geradezu hausfrauenhaft. »Du bist im Salzwasser herumgetrieben, du mußt das Salz abspülen, bevor es anfängt zu jucken. Geh ins Bad und zieh dich um; dort wartet eine trockene Uniform auf dich.«

Eine Uniform, die auf ihn wartete? Als wenn sie ihn erwartet hätte. Was konnte das bedeuten?

Zögernd ging Bink davon. Das Badezimmer war angemessen palastartig. Die Wanne war so groß wie ein kleines Schwimmbecken, und die Kommode war von der eleganten Art, wie sie die Mundanier angeblich verwendeten. Fasziniert sah Bink zu, wie das Wasser im Becken umherkreiste und wie durch Magie in einem tieferliegenden Rohr verschwand.

Es gab auch eine Dusche; ein Wasserstrahl wie bei einem Regen kam aus der erhöhten Öffnung und spülte ihn ab. Das war recht lustig, obwohl er sich nicht sicher war, daß er so etwas gerne täglich haben würde. Oben mußte irgendwo ein großer Wassertank sein, der den nötigen Druck für diese Geräte erzeugte.

Er trocknete sich mit einem flauschigen Handtuch ab, das mit Blumenmustern (natürlich Iris) geschmückt war.

Die Kleider hingen an einem Haken hinter der Tür: eine prinzenhafte Robe und Knickerbocker. Knickerbocker? Na ja, wenigstens waren sie trocken, und hier im Palast würde ihn schon keiner damit sehen. Er zog die Uniform an und trat in die reichverzierten Sandalen, die auf ihn warteten. Er befestigte sein Jagdmesser und versteckte es unter seinem Umhang.

Nun fühlte er sich schon besser, aber seine Erkältung wurde immer schlimmer. Sein Kratzen im Hals war einer laufenden Nase gewichen; er hatte zuerst gedacht, daß dies nur an der Reizung durch das Salzwasser gelegen haben konnte, doch das erwies sich nun als Irrtum. Er wollte nicht andauernd die Nase hochziehen, aber er besaß auch kein Taschentuch.

»Hast du Hunger?« fragte Iris aufmerksam, als er herauskam. »Ich mache dir ein Bankett.«

Bink war allerdings hungrig, denn seit er die Schlucht entlanggegangen war, hatte er nur sehr sparsam aus seinem Verpflegungsbeutel gelebt. Nun war sein Beutel von Salzwasser durchtränkt; das würde es schwieriger machen, in Zukunft die Verpflegung zu sichern.

Er lag halb versunken in den Kissen und hatte seine Nase hochgelegt, damit sie nicht ständig tropfte. Ab und zu wischte er sie heimlich mit einer Kissenecke ab, wenn es gar nicht anders ging. Er döste ein wenig, während sie sich in der Küche zu schaffen machte. Nun, da er wußte, daß alles nur Illusion war, erkannte er auch, warum sie so viel körperliche Arbeit selbst tun mußte. Die Seeleute und die Gärtner waren ein Teil dieser Illusion; Iris lebte allein. Also mußte sie sich auch selbst bekochen. Die Illusion konnte ihr ein schönes Aussehen bescheren, die Konsistenz und den Geschmack verändern, aber sie würde sie nicht vor dem Verhungern retten.

Warum heiratete Iris nicht oder tauschte ihre Fähigkeiten gegen eine fähige Hilfskraft? Viel Magie war äußerst unpraktisch und zu kaum etwas zu gebrauchen, doch ihre Magie war ungewöhnlich. Jeder konnte in einem Kristallpalast leben, wenn er mit dieser Zauberin zusammenwohnte. Bink war sich sicher, daß viele Leute das mögen würden. Der Schein war ja ohnehin oft wichtiger als die Wirklichkeit. Und wenn sie dafür sorgen konnte, daß gewöhnliche Kartoffeln schmeckten wie ein Festbankett und Medizin wie Süßigkeiten – o ja, das war wirklich ein Talent, das sich vermarkten ließ!

Iris kam mit einer dampfenden Platte zurück. Sie hatte sich eine Hausfrauenschürze angezogen, und ihre kleine Krone war verschwunden. Sie sah jetzt weniger königlich und wesentlich weiblicher aus. Sie stellte alles auf einen niedrigen Tisch, und sie setzten sich mit gekreuzten Beinen einander gegenüber auf die Kissen.

»Was möchtest du?« fragte sie lächelnd.

Bink wurde wieder nervös. »Was gibt es denn?«

»Was immer du willst.«

»Ich meine – in Wirklichkeit?«

Sie zog eine Schnute. »Wenn du es unbedingt wissen willst: gekochten Reis. Ich habe einen Sack mit hundert Pfund von dem Zeug, den ich aufkriegen muß, bevor die Ratten hinter das Geheimnis der illusionären Katze kommen, die ich dort als Wachposten aufgestellt habe, und alles wegknabbern. Ich könnte natürlich dafür sorgen, daß die Rattenköttel wie Kaviar schmecken, aber das wär' mir nicht so lieb. Aber du kannst alles haben, was du willst – absolut alles.« Sie atmete tief durch.

Jedenfalls hatte er diesen Eindruck – und sie schien das nicht nur auf das Essen zu beziehen. Zweifellos war sie hier auf dieser Insel ziemlich einsam und begrüßte es, Besuch zu empfangen. Die örtlichen Bauern mieden sie vermutlich – dafür würden ihre Frauen schon sorgen! –, und Ungeheuer gaben keine besonders gute Gesellschaft ab.

»Drachensteak«, sagte er. »Mit scharfer Sauce.«

»Der Mann hat Mut«, murmelte sie und hob die silberne Haube hoch. Das reiche Aroma dampfte hervor, und da lagen zwei gegrillte Drachensteaks in scharfer Sauce. Sie legte eins davon routiniert auf Binks Teller und das andere auf ihren eigenen.

Zweifelnd schnitt Bink sich ein Stück ab und probierte es. Es war das beste Drachensteak, das er je gegessen hatte – was allerdings nicht viel heißen wollte, da Drachen sich nur sehr selten erlegen ließen; er hatte erst zweimal welches gegessen. Es galt allgemein als Binsenweisheit, daß mehr Menschen von Drachen verspeist wurden als Drachen von Menschen. Und die Sauce – er mußte nach dem Glas Wein greifen, das sie ihm gefüllt hatte, um die Schärfe zu löschen. Aber es war eine köstliche Schärfe, die einen sehr aromatischen Nachgeschmack hatte.

Trotzdem hatte er immer noch Zweifel. »Oh… würde es Ihnen vielleicht etwas ausmachen…«

Sie zog eine Grimasse.

»Nur einen Augenblick!«

Das Steak löste sich in langweiligen Kochreis auf und wurde dann wieder zu Drachenfleisch.

»Danke«, sagte Bink. »Es ist immer noch ein bißchen schwer, daran zu glauben.«

»Noch etwas Wein?«

»Ah, berauscht der?«

»Nein, leider nicht. Man kann ihn den ganzen Tag trinken, ohne etwas zu merken, es sei denn, man läßt sich von der eigenen Einbildungskraft berauschen.«

»Freut mich zu hören.« Er nahm das elegante Glas entgegen und nippte an der funkelnden Flüssigkeit. Er hatte das erste Glas viel zu schnell heruntergestürzt, um auf den Geschmack zu achten. Vielleicht war es ja in Wirklichkeit Wasser, aber es schien ausgezeichneter blauer Wein zu sein, wie er zu Drachenfleisch allgemein empfohlen wurde, vollmundig und mit lieblichem Aroma. Genau wie die Zauberin selbst.

Zum Nachtisch gab es selbstgebackene Schokoladenstreuselkekse, die leicht angebrannt waren. Diese Einzelheit machte das Ganze so realistisch, daß er seinen Unglauben kaum noch aufrechterhalten konnte. Sie verstand offensichtlich etwas vom Kochen und Backen, sogar in der Illusion.

Sie räumte das Geschirr ab und kehrte zurück, um ihm auf den Kissen Gesellschaft zu leisten. Nun trug sie ein Nachthemd mit weitem Ausschnitt, und er sah mehr als deutlich, wie wohlgeformt sie war. Natürlich konnte das auch eine Illusion sein – aber wenn es sich genauso anfühlte, wie es aussah, wer wollte sich dann beschweren?

Dann tropfte seine Nase beinahe auf das einladende Nachthemd, und er riß sie mit einem Ruck hoch. Er hatte ein bißchen zu genau hingesehen.

»Bist du unglücklich?« fragte sie voll Mitgefühl.

»Oh, nein, meine Nase… sie…«

»Nimm doch ein Taschentuch«, sagte sie und reichte ihm eins, das mit reichen Rüschen verziert war.

Bink haßte es, ein solches Kunstwerk dafür zu benutzen, um sich seine Nase zu schnauben, aber das war immer noch besser, als die Kissen zu beschmieren.

»Äh, kann ich noch irgend etwas tun, bevor ich gehe?« fragte er verlegen.

»Du denkst zu kleingeistig«, sagte Iris und lehnte sich mit ernstem Gesichtsausdruck vor, wobei sie wieder tief durchatmete. Bink spürte, wie er vom Halsansatz aufwärts rot wurde. Sabrina schien sehr weit fort zu sein – und außerdem würde sie sowieso nie so etwas anziehen.

»Ich habe es Ihnen doch gesagt… Ich muß zu dem Guten Magier Humfrey, um meine Magie zu finden… oder ins Exil geschickt zu werden. Ich glaube eigentlich nicht, daß ich magische Fähigkeiten besitze, deshalb…«

»Ich könnte es so einrichten, daß du hierbleiben darfst, auch ohne das Talent«, sagte sie und rückte näher.

Sie hielt ihn ganz offensichtlich zum Narren. Aber warum sollte solch eine intelligente, talentierte Frau ausgerechnet an einem Niemand wie ihm interessiert sein? Bink putzte sich wieder die Nase. An einem erkälteten Niemand. Die Illusion mochte ihr Aussehen ja außerordentlich verschönern, aber es war offensichtlich, daß ihr Geist und ihr Talent echt waren. Sie dürfte eigentlich keinerlei Verwendung für ihn haben.

»Du könntest Magie machen, die jeder sehen kann«, fuhr sie auf ihre überzeugende Weise fort und rückte immer näher. Sie fühlte sich wirklich echt an – erschreckend echt. »Ich könnte eine

Illusionsvorstellung geben, die niemand durchschauen kann.« Er wünschte sich, daß sie das nicht ausgerechnet gesagt hätte, während sie ihn so intim berührte. »Ich kann auch auf Entfernung zaubern, deshalb kann keiner feststellen, ob ich etwas damit zu tun habe. Aber das ist noch das geringste. Ich kann dir Reichtum und Macht und Bequemlichkeit verschaffen – alles echt, keine bloßen Illusionen. Ich kann dir Schönheit und Liebe geben. Alles, was du dir als Einwohner und Bürger von Xanth nur wünschen magst…«

Bink wurde noch mißtrauischer. Was hatte sie nur vor? »Ich bin verlobt…«

»Selbst das«, stimmte Iris ihm zu. »Ich bin nicht eifersüchtig. Du kannst dir deine Verlobte als Konkubine halten, vorausgesetzt, du hängst es nicht an die große Glocke.«

»Als Konkubine!« explodierte Bink.

Sie blieb ungerührt. »Weil du mit mir verheiratet wärst.«

Bink starrte sie fassungslos an. »Warum sollten Sie jemanden heiraten wollen, der keine magischen Fähigkeiten besitzt?«

»Damit ich Königin von Xanth werden kann«, sagte sie schlicht.

»Königin von Xanth! Dazu müßten Sie den König heiraten.«

»Ganz genau.«

»Aber…«

»Eines der verschrobenen, veralteten Gesetze von Xanth befiehlt, daß der offizielle Herrscher männlichen Geschlechts sein muß. Auf diese Weise sind manche völlig qualifizierte und geeignete weibliche Kandidaten mit magischen Fähigkeiten nie zum Zuge gekommen. Der jetzige König ist alt und senil und hat keine Erben. Es wird Zeit für eine Königin. Aber zunächst muß es einen neuen König geben. Dieser König könntest du sein.«

»Ich! Ich habe doch überhaupt keine Ahnung vom Regieren!«

»Ja. Folglich würdest du mir die langweiligen Einzelheiten des Regierungsgeschäfts überlassen.«

Nun begriff er langsam. Iris wollte Macht. Alles, was sie dazu brauchte, war eine geeignete Galionsfigur. Jemand, der untalentiert und naiv genug war, um leicht gelenkt werden zu können. Damit er sich niemals einbildete, wirklich König zu sein. Wenn er mit ihr zusammenarbeitete, dann würde er von ihr abhängig werden. Aber es war ein faires Angebot. Es war eine echte Alternative zum Exil, egal, wie es um seine eigenen magischen Fähigkeiten nun wirklich stehen mochte.

Es war das erstemal, daß er sein magisches Gebrechen als etwas Positives ansah. Iris wollte keinen unabhängigen Mann oder einen legitimen Bürger, denn einen solchen hätte sie nicht dauerhaft in ihrer Gewalt. Sie brauchte einen magischen Krüppel wie ihn, weil er ohne sie nichts wäre, nicht einmal ein Bürger.

Das nahm der Sache viel von ihrer Romantik. Die Wirklichkeit schien immer reichlich prosaischer zu sein als die Illusion. Und doch bestand die einzige Alternative dazu darin, sich wieder in die Wildnis zu stürzen, um sich auf eine Mission zu begeben, von der er insgeheim überzeugt war, daß sie fruchtlos bleiben würde. Er hatte bisher sowieso schon mehr Glück als Verstand gehabt. Seine Chancen, es auch nur bis zum Schloß des Magiers Humfrey zu schaffen, standen nicht besonders gut, vor allem deshalb, weil er nun noch den Rand der wilden Landesmitte durchqueren mußte. Das Angebot der Magierin nicht anzunehmen wäre närrisch.

Iris beobachtete ihn aufmerksam. Als er sie anblickte, flackerte ihr Neglige und wurde durchsichtig. Illusion oder nicht – dieser Anblick war jedenfalls atemberaubend. Und was machte es schon für einen Unterschied, ob das Fleisch nun echt war oder nur so aussah? Er hatte nun keinen Zweifel mehr über das, was sie ihm nun – sofort und auf der Stelle – anzubieten bereit war. Sie würde nur zu sehr daran interessiert sein zu beweisen, wie gut sie es konnte, genau wie bei der Mahlzeit. Denn sie brauchte seine Bereitschaft, mitzuarbeiten.

Es war wirklich sehr überzeugend. Er würde Bürger werden können und könnte Sabrina behalten, denn es war ja klar, daß die Magierin als Königin niemals preisgeben würde, daß…

Sabrina. Wie würde sie wohl zu diesem Arrangement stehen?

Er wußte es. Sie würde dagegen sein, von Anfang an. Nichts in der Welt würde sie vom Gegenteil überzeugen. Was manche Dinge anging, war Sabrina ziemlich zugeknöpft und auf Anstand

bedacht…

»Nein«, sagte er laut.

Iris’ Neglige wurde wieder undurchsichtig. »Nicht?« Plötzlich klang sie wie Wynne, als er dem schwachsinnigen Mädchen gesagt hatte, daß sie ihn nicht begleiten durfte.

»Ich will kein König werden.«

Iris’ Stimme klang jetzt sehr beherrscht und sanft. »Glaubst du nicht, daß ich es schaffen könnte?«

»Doch, das glaube ich schon. Aber es liegt mir einfach nicht.«

»Was liegt dir denn, Bink?«

»Ich glaube, ich will mich einfach nur wieder auf den Weg machen.«

»Einfach nur auf den Weg machen«, wiederholte sie gepreßt. »Warum denn?«

»Meine Verlobte hätte es wohl nicht besonders gern, wenn ich…«

»Sie hätte es nicht besonders gern!« Iris fing allmählich recht ordentlich zu dampfen an, wie der Spaltendrache. »Was kann sie dir denn bieten, das ich dir nicht sogar hundertfach bieten könnte?«

»Na ja, zum Beispiel Selbstwertgefühl«, erwiderte Bink. »Sie will mich um meiner selbst willen, nicht, um mich zu benutzen.«

»Quatsch! Alle Frauen sind im Prinzip gleich. Sie unterscheiden sich nur äußerlich und durch ihre Talente voneinander. Alle benutzen sie die Männer.«

»Vielleicht. Ich bin überzeugt, daß Sie mehr davon verstehen als ich. Aber ich muß jetzt los.«

Iris wollte ihn mit sanfter Hand zurückhalten. Ihr Neglige war verschwunden. »Warum bleibst du nicht über Nacht? Damit du siehst, was ich dir bieten kann? Wenn du dann morgen früh immer noch gehen willst…«

Bink schüttelte den Kopf. »Ich bin sicher, daß Sie mich über Nacht überzeugen könnten. Deshalb muß ich jetzt gehen.«

»Was für eine Offenheit!« rief sie betrübt. »Ich könnte dir eine Erfahrung bescheren, wie du sie dir niemals hättest träumen lassen.«

In ihrer raffinierten Nacktheit regte sie seine Phantasie sowieso schon mehr an, als ihm guttat. Doch er nahm sich zusammen. »Meine Integrität könnten Sie mir niemals wiedergeben.«

»Du Idiot!« schrie sie plötzlich. Ihr Gesinnungswandel war erschreckend. »Ich hätte dich den Seeungeheuern überlassen sollen.«

»Das waren auch nur Illusionen«, sagte er. »Das haben Sie alles nur ins Spiel gebracht, damit ich Sie treffen sollte. Der Strand, die Bedrohung, alles nur Illusion. Es war Ihr Ledergürtel, der sich um meinen Knöchel gewickelt hatte. Meine Rettung war keineswegs ein Zufall, denn ich war nie wirklich in Gefahr.«

»Aber jetzt bist du in Gefahr«, sagte sie zähneknirschend. Ihr hübscher Torso bedeckte sich plötzlich mit dem Kampfpanzer einer Amazone.

Bink zuckte mit den Schultern und erhob sich. Er schnaubte sich die Nase. »Leben Sie wohl, Magierin.«

Sie musterte ihn forschend. »Bink, ich habe deine Intelligenz unterschätzt. Ich bin aber sicher, daß ich dir ein noch besseres Angebot machen kann, wenn du mir nur sagst, was du willst.«

»Ich will zum Guten Magier.«

Wieder schnaubte sie vor Wut. »Ich werde dich vernichten!«

Bink verließ sie.

Die Kristalldecke des Palastes zersprang. Glassplitter brachen ab und stürzten auf ihn herab. Bink beachtete sie nicht, denn er wußte ja, daß sie unwirklich waren. Er ging unbeirrt weiter. Er war ziemlich nervös, wollte es sich jedoch um keinen Preis anmerken lassen.

Er hörte ein lautes, unheilverkündendes Malmen, so als berste Stein. Er zwang sich dazu, nicht emporzublicken. Die Wände rissen auseinander und stürzten nach innen. Das restliche Dach fiel herab. Der Lärm war ohrenbetäubend. Bink war unter Trümmern begraben, doch er ging weiter und spürte nichts. Trotz des erstickenden Geruchs von Staub und Gips und des anhaltenden Grollens abrutschender Trümmerstücke fiel der Palast nicht wirklich zusammen. Aber Iris war tatsächlich eine wunderbare Meisterin der Illusion! Der Anblick, die Geräusche, der Geruch, der Geschmack – alles, außer der Festigkeit für den Tastsinn. Denn es mußte erst etwas zum Fühlen vorhanden sein, bevor sie es so verwandeln konnte, daß es sich anfühlte wie etwas ganz anderes. Deshalb fehlte diesem ganzen Zusammenbruch das Greifbare.

Er schlug mit dem Gesicht auf eine Wand. Es tat kaum weh, aber es verblüffte ihn, und er rieb sich blinzelnd die Wange. Es war ein Holzpaneel, von dem sich die Farbe abpellte. Die echte Wand des wirklichen Hauses. Die Illusion hatte sie verborgen, doch nun trat die Wirklichkeit hervor. Zweifellos hätte sie auch dafür sorgen können, daß sich die Wand anfühlte wie Gold oder Kristall oder sogar wie schleimige Würmer, aber die Illusion brach langsam zusammen. Er würde schon hinausfinden.

Bink tastete sich die Wand entlang und beachtete die schrecklichen Bilder und Geräusche nicht weiter. Er hoffte nur, daß sie nicht die Art verändern würde, wie sich die Wand anfühlte, um ihn dadurch in die Irre zu führen. Angenommen, sie würde sich in eine Reihe von Mausefallen verwandeln oder in einen Distelbusch, so daß er die Hand fortziehen mußte?

Er fand die Tür und riß sie auf, ohne daß sie zu sehen gewesen wäre. Er hatte es geschafft! Einen Augenblick sah er sich um. Iris stand voller Wut hinter ihm. Sie war eine Frau mittleren Alters, die zu Übergewicht neigte; sie hatte einen abgetragenen Hausmantel an, und auf dem Kopf trug sie ein ausgebeultes Haarnetz. Sie hatte tatsächlich die körperlichen Eigenschaften, die sie ihm mit ihren Kunststückchen vorgegaukelt hatte, aber mit Vierzig wirkten sie weitaus weniger verführerisch als mit illusionären Zwanzig.

Er trat hinaus. Es blitzte und donnerte, so daß er unwillkürlich zusammenzuckte. Doch er erinnerte sich daran, daß Iris eine Meisterin der Illusion war, nicht aber der Unwetter, und ging weiter.

Der Regen trommelte auf ihn nieder, und auch Hagelkörner prasselten auf ihn herab. Er spürte, wie das eisige Wasser auf seiner Haut auftraf, wie die Körner ihn piekten – und doch besaßen sie keinerlei Substanz, und nachdem er sich daran gewöhnt hatte, fühlte er sich nicht mehr naß an und auch nicht wundgescheuert. Iris’ Magie war wirklich sehr kraftvoll, sie stand wohl gerade auf ihrem Höhepunkt, doch auch die Illusion hatte ihre Grenzen, und seine eigene Ungläubigkeit nahm ihr viel von ihrer Wirkung.

Plötzlich hörte er einen Drachen fauchen. Wieder zuckte er zusammen. Ein feuerspeiendes, geflügeltes Untier kam auf ihn zu, kein bloßer Dampfdrache wie der Spaltendrache, sondern ein echter Flammer. Er schien wirklich zu sein. War er es nun, oder war es nur eine Illusion? Wahrscheinlich doch wohl letzteres, aber er durfte das Risiko nicht eingehen. Er ging in Deckung.

Der Drache stürzte auf ihn zu, verfehlte ihn jedoch. Er spürte den Wind und die Hitze. Er wußte immer noch nicht, was es nun mit ihm auf sich hatte, aber das würde er schon anhand seiner Reaktionen feststellen können. Echte Feuerspeier waren ziemlich dumm, verglichen mit anderen Drachen, weil die Hitze ihre Gehirne schrumpfen ließ. Wenn dieser hier sich intelligent verhalten sollte…

Sofort wirbelte das Ungeheuer herum und stürzte erneut auf ihn zu. Bink machte einen Scheinausfall nach rechts und sprang zur Linken. Der Drache ließ sich davon nicht täuschen, er jagte direkt auf ihn zu. Das war also die Intelligenz der Magierin, nicht die des Tieres.

Binks Herz klopfte wild, doch er zwang sich dazu, aufrecht zu stehen und dem Untier die Stirn zu bieten. Er hob einen Finger und machte eine obszöne Geste. Der Drache riß das Maul auf und stieß eine enorme Wolke aus Flammen und Rauch aus, die Bink sofort umhüllte, jeden Teil des Körpers versengte – und ihn völlig unversehrt ließ.

Er hatte alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Er war sich seiner Sache fast völlig sicher gewesen, doch noch immer zitterte er vor Erregung, denn keines seiner Sinnesorgane hatte die Echtheit der Illusion bezweifelt. Nur sein Gehirn hatte ihn geschützt und ihn davor bewahrt, sich zitternd und bebend dem Willen der Magierin zu unterwerfen oder sich in die Arme irgendeiner tödlichen Gefahr treiben zu lassen. Illusionen konnten durchaus töten – wenn man sie nur beachtete.

Etwas beruhigt schritt Bink weiter. Wenn es hier in der Nähe einen echten Drachen gegeben hätte, dann wäre ein unwirklicher nicht nötig gewesen. Folglich waren alle Drachen hier nur Trug.

Er stolperte. Illusionen konnten ihm allerdings auf andere Weise schaden, etwa indem sie gefährliche Risse im Boden zudeckten, so daß er möglicherweise in eine Kluft oder in einen Brunnen stürzte. Er mußte wirklich aufpassen, wohin er seinen Fuß setzte.

Als er sich auf den Boden zu konzentrieren begann, fiel es ihm auch leichter, die Illusion zu durchschauen. Iris’ Talent war wohl phänomenal, aber wenn es darum ging, die ganze Insel abzudecken, mußte es sich notgedrungen ausdünnen. Während er sich auf einen kleinen Ausschnitt konzentrieren konnte, mußte sie sich mit vielerlei befassen. Hinter der Fassade der Blumengärten lauerte die dschungelhafte Wildnis der Insel. Der Palast war lediglich eine baufällige Bude, so wie die Gehöfte, an denen er unterwegs vorbeigekommen war. Warum sollte man schließlich auch ein gutes Haus errichten, wenn es viel leichter war, eine Illusion aufzubauen?

Auch seine geliehene Kleidung hatte sich verwandelt. Inzwischen trug er einen groben Frauenschal und, wie er zu seinem Entsetzen feststellen mußte, Schlüpfer. Richtige mädchenhafte Spitzenschlüpfer aus Seide. Sein niedliches Taschentuch war tatsächlich das, was es darstellte. Offenbar genehmigte sich die Magierin durchaus Echtes, und Spitzentaschentücher konnte sie sich leisten. Und Schlüpfer.

Er blieb zögernd stehen. Sollte er umkehren, um seine eigene Kleidung zurückzuholen? Er wollte Iris zwar nicht noch einmal treffen, aber andererseits wollte er in diesen Sachen auch nicht gerade in die Wildnis hinausgehen oder dort gar Leuten begegnen…

Vor seinem inneren Auge sah er sich bereits, wie er vor den Guten Magier Humfrey trat und um Hilfe bat:

BINK: Sir, ich bin unter großen Gefahren durch Xanth gereist, um darum zu bitten…

MAGIER: Ein neues Kleid zu bekommen? Vielleicht einen Büstenhalter? Hohoho!

Bink seufzte und merkte, wie er rot wurde. Er kehrte um.

Iris sah ihn sofort, als er die Hütte betrat. Ein Hoffnungsflackern überzog ihr Gesicht, und dieser kurze Ausdruck der Ehrlichkeit überzeugte ihn mehr als alle Illusionen. Bink schätzte menschliche Gefühlsäußerungen. Er kam sich vor wie ein schrecklicher Verbrecher.

»Hast du es dir anders überlegt?« fragte sie. Plötzlich war sie wieder verführerisch jung, und um sie herum bildete sich wieder ein Teil des glitzernden Palastes.

Damit war die Entscheidung gefallen. Sie war ein künstliches Wesen, und er zog die Wirklichkeit vor, selbst die Wirklichkeit einer Bretterbude mitten im Unkraut. Schließlich besaßen die meisten Bauern in Xanth auch nichts Besseres. Wenn die Illusion zu einer unabdingbaren Krücke des Lebens wurde, dann verlor dieses Leben seinen Wert. »Ich will nur meine Sachen holen«, sagte Bink. Obwohl seine Entscheidung nun unwiderruflich gefällt war, kam er sich immer noch wie ein Halunke vor, weil er ihre hochtrabenden Pläne derart durchkreuzte.

Er ging ins Badezimmer – das sich als Anbau entpuppte. Die sagenhafte Toilette stellte sich als ganz gewöhnliches Brett heraus, in das ein Loch gesägt worden war. Darunter summten fröhlich die Fliegen. Die Badewanne war in Wirklichkeit eine umgebaute Pferdetränke. Wie hatte er dann duschen können? Er erblickte einen Eimer. Hatte er etwa Wasser über seinen Kopf geschüttet, ohne es zu wissen? Seine Kleider lagen auf der Erde in einem Bündel.

Er begann damit, sich umzuziehen, und stellte fest, daß die ganze Anlage nichts als eine Öffnung an der Hinterwand der Hütte war. Iris sah ihm zu. Hatte sie ihn schon zuvor beim Umkleiden beobachtet? Wenn dem so gewesen sein sollte, dann mußte er es wohl als Kompliment werten, denn danach waren ihre Annäherungsversuche viel direkter und körperlicher geworden.

Wieder fiel sein Blick auf den Eimer. Irgend jemand mußte ihn einfach mit Wasser übergossen haben, und er war sich jetzt sicher, daß er es nicht selbst getan hatte. Die einzige andere Person, die da in Frage kam – autsch!

Aber er wollte sich ihr nicht noch einmal so offen zeigen, auch wenn es offensichtlich war, daß er keine körperlichen Geheimnisse mehr vor ihr hatte. Er hob seine Sachen auf und schritt zur Tür.

»Bink…«

Er blieb stehen. Das übrige Haus bestand aus mattem, altem Holz, von dem sich die Farbe pellte. Auf dem Boden lag Stroh, und durch die Ritzen schimmerte Licht. Doch die Magierin selbst war wunderschön anzusehen. Sie hatte kaum etwas am Körper und wirkte wie üppige achtzehn Jahre.

»Was suchst du bei einer Frau?« fragte sie ihn. »Üppigkeit?« Sie wurde extrem gut gebaut, mit einer etwas übertriebenen Sanduhrfigur. »Jugendlichkeit?« Plötzlich sah sie aus wie vierzehn, sehr schlank, ohne Rundungen und sehr unschuldig. »Reife?« Jetzt war sie sie selbst, aber besser gekleidet. »Kompetenz?« Nun war sie sehr konservativ gekleidet, war etwa fünfundzwanzig und recht wohlgeformt, trug aber einen sehr sachlichen Ausdruck im Gesicht. »Gewalttätigkeit?« Wieder die Amazone, robust, aber immer noch hübsch.

»Ich weiß es nicht«, sagte Bink. »Da würde mir die Wahl ziemlich schwerfallen. Manchmal das eine, manchmal das andere.«

»Du kannst alles haben«, sagte sie. Die betörende Vierzehnjährige verschwand. »Keine andere Frau kann dir das versprechen.«

Plötzlich war Bink stark versucht, ihr doch nachzugeben. Es gab Zeiten, da er sich so etwas wünschte, obwohl er es niemals offen einzugestehen gewagt hätte. Die Magie der Magierin war wirklich machtvoll, die stärkste, der er je begegnet war. Gut, es war alles Illusion, aber in Xanth herrschten doch überall die Illusionen, und sie waren durchaus legitim. Es war niemals möglich, genau zu wissen, was eigentlich wirklich war. Die Illusion war vielmehr ein Teil der Realität von Xanth, ein entscheidender Teil. Iris konnte ihm Reichtum und Macht und den Bürgerstatus bescheren, und sie konnte ihm jede Art von Frau sein, die er sich wünschte. Oder alle Arten auf einmal.

Und wenn sie ihre Illusion politisch einsetzte, dann konnte sie mit der Zeit eine richtige Wirklichkeit aufbauen. Sie konnte einen echten Kristallpalast erbauen lassen, mit allem, was dazugehört, das wäre ihr als Königin durchaus möglich. So gesehen, bot sie durchaus Realität an, wobei ihre Magie nur ein Mittel zu diesem Zweck war.

Aber was hatte sie wirklich vor?

Es war durchaus denkbar, daß die Realität ihrer geheimsten Gedanken alles andere als lieblich war. Er konnte sich niemals sicher sein, sie ganz zu verstehen, folglich würde er ihr auch niemals vertrauen können. Er war sich gar nicht sicher, daß sie eine gute Königin abgeben würde, dazu interessierte sie sich viel zu sehr für das Intrigenspiel der Macht, als für das Wohl des Landes Xanth.

»Es tut mir leid«, sagte er und wandte sich ab.

Sie ließ ihn gehen. Kein Palast mehr, kein Sturm. Sie hatte seine Entscheidung akzeptiert – und gerade das reizte ihn wieder auf perverse Weise. Er konnte nicht behaupten, daß sie böse war. Sie war nur eine Frau mit einem bestimmten Verlangen, und sie hatte ihm ein Geschäft vorgeschlagen. Sie war auch reif genug, sich dem Unabdingbaren zu unterwerfen, sobald sich ihr Gemüt erst wieder beruhigt hatte. Doch er zwang sich dazu, weiterzugehen, verließ sich lieber auf seine Logik als auf das Schwanken der Gefühle.

Er ging zu dem zerfallenen Pier hinunter, an dem das Ruderboot vertäut war. Das Schiff sah nicht sehr vertrauenerweckend aus, aber wenn es ihn hierhergebracht hatte, dann würde es ihn auch wieder zurückbringen.

Er kletterte in das Boot und trat sofort in eine Pfütze. Das Boot war leck. Er ergriff einen rostigen Eimer und schöpfte etwas von dem Wasser, um es über Bord zu schütten. Dann setzte er sich hin und packte die Ruder.

Iris mußte ganz schön hart gearbeitet haben, um dieses Boot zu rudern und dabei auszusehen wie eine müßige Königin. Sie besaß offenbar eine ganze Menge praktischer Talente, die ihre Magie ergänzten. Wahrscheinlich würde sie doch eine ganz gute Herrscherin über Xanth abgeben – wenn sie jemals einen Mann fand, der ihr Spiel mitspielte.

Warum hatte er sich geweigert, das zu tun? Während er ruderte, dachte er gründlicher darüber nach und blickte zu der Insel der Illusionen zurück. Seine oberflächlichen Begründungen genügten wohl für den Augenblick, nicht aber, um endgültige Entscheidungen zu treffen. Er mußte doch irgendeine Begründung dafür haben, der er sich verpflichtet fühlte und die mit dem, was er an die Oberfläche ließ, nicht unbedingt etwas zu tun haben mußte. Es konnte nicht bloß seine Erinnerung an Sabrina sein, so bezaubernd die auch sein mochte, denn Iris war genauso weiblich wie Sabrina und noch viel, viel magischer als sie. Es mußte irgend etwas anderes sein, etwas Diffuses, aber ungemein Wichtiges. Ah, er hatte es! Es war seine Liebe zu Xanth.

Er durfte sich nicht zum Werkzeug der Zersetzung seines Heimatlandes machen lassen. Obwohl der gegenwärtige König unfähig war und sich vielerlei Probleme zusammenbrauten, blieb Bink der überlieferten Ordnung dennoch treu. Die Zeit der Anarchie und des Faustrechts war vorbei. Es gab genaue Richtlinien für die Erlangung von Autorität und Würde, und man mußte sie respektieren. Bink war bereit, alles zu tun, um in Xanth zu bleiben – nur nicht dazu, es zu verraten.

Der Ozean war ruhig. Die tödlichen Klippen der Küste waren auch eine Illusion gewesen. Schließlich gab es sogar einen kurzen Strand, doch nicht dort, wo er vorher gewesen zu sein schien. An einer Seite des Abgrunds führte ein Landvorsprung schräg ins Wasser hinein. Den war er entlanggelaufen, bis er einfach am Ende baden gegangen war. In vielerlei Hinsicht.

Er ruderte auf die südliche Küste zu. Sollte er der Magierin nun das Boot zurückbringen?

Das ging nicht. Wenn sie kein zweites Boot besaß, dann mußte sie eben hierherschwimmen, um es zu holen. Das tat ihm zwar leid, aber er wollte nicht noch einmal zur Insel der Illusion zurückkehren. Mit ihren Fähigkeiten konnte sie wahrscheinlich alles Seegetier verscheuchen, das ihr bedrohlich wurde, und er war sich sicher, daß sie eine gute Schwimmerin war.

Er zog seine eigenen Kleider an, so salzverkrustet diese auch sein mochten, nahm seinen Rucksack auf und wandte sich gen Westen.