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Verschnaufpause

Glücklicherweise gab es zwischen Trauung und Empfang eine kurze Pause, in der die Stühle umgeräumt und die Tische aufgestellt wurden. Ich wusste nicht genau, was frisch getraute Bräute in dieser Zeit üblicherweise taten, aber ich verbrachte sie mit Willa, eingeschlossen im nächst gelegenen Badezimmer.

Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht, und das half mir, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, auch wenn es Willa fast wahnsinnig machte. Als ich mich besser fühlte, trocknete ich mir das Gesicht mit einem Papiertuch ab, und sie erneuerte hektisch mein Make-up.

Als wir das Badezimmer verließen, war es gerade Zeit für Toves und meinen großen Auftritt als frisch gebackenes Ehepaar. Wir betraten den Saal und Garrett stand auf und stellte uns als Prinz Tove und Prinzessin Wendy Kroner vor. Alle applaudierten erneut.

Ich wusste nicht, wie die Organisatoren das in so kurzer Zeit geschafft hatten, aber der Ballsaal sah umwerfend aus. Wäre ich die Art Mädchen gewesen, die seit ihrer Kindheit von einer Märchenhochzeit träumte, dann hätte ich mir das Fest genau so vorgestellt. Die Kronleuchter, die während der Trauzeremonie gebrannt hatten, waren ausgeschaltet worden und überall glitzerten Lichterketten. Auf den Tischen leuchteten brennende Kerzen und überall duftete es nach den Lilien, die den Saal schmückten.

Alle Gäste sahen zu, wie Tove und ich zu »At Last« von Etta James unseren ersten Tanz tanzten. Ich hatte es ihm überlassen, das Lied auszuwählen, und er war ein Fan von Etta James. Willa hatte uns unzählige Tanzstunden aufgezwungen, weil sie wollte, dass wir dabei perfekt aussähen, und deshalb tanzten wir ziemlich gut zusammen. Es fehlte nur … die Magie.

Nach unserem Tanz begann das Orchester, etwas von Bach zu spielen. Ich hätte gerne den ganzen Abend nur mit Tove getanzt, aber sobald unser Song endete, strömten die Gäste auf die Tanzfläche. Ich würde mit allen tanzen müssen, die mich dazu aufforderten.

Garrett stahl sich den nächsten Tanz mit mir und Aurora tanzte mit Tove. Meine eigene Mutter würde wahrscheinlich nicht mit ihm tanzen können, aber sie war zum Empfang geblieben. Ich vermutete, dass sie den ganzen Abend lang bleiben würde, wie erschöpft und geschwächt sie auch sein mochte. Nach Orens Kommentar musste sie beweisen, dass sie immer noch bei Kräften war, selbst wenn das nicht stimmte.

Willa forderte mich einmal zum Tanzen auf, was mich freute. Sie brachte mich zum Lachen, und das hatte ich wirklich nötig. Vor lauter Anspannung waren meine Schultern so verkrampft, dass ich morgen höllische Schmerzen haben würde.

Als mich ein Markis über die Tanzfläche drehte, sah ich aus dem Augenwinkel Matt, Rhys, Rhiannon und Duncan an einem Tisch im hinteren Teil des Saals sitzen. Ich hätte gerne eine Tanzpause eingelegt und ein bisschen Zeit mit ihnen verbracht, aber wenn ich aufgehört hätte, zu tanzen, hätte ich die Tische abklappern und auch mit den anderen Gästen plaudern müssen. Und das war das Einzige, was noch schlimmer war, als zu tanzen.

Es überraschte und ärgerte mich, wie viele Leute diese Gelegenheit nutzten, um mit mir über Gesetze zu reden, die sie verabschiedet haben wollten. Oder darüber, in welchen Familien sie ihre Kinder untergebracht haben wollten. Oder darüber, dass die Steuern zu hoch waren. Obwohl alles in meinem Leben inzwischen politisch motiviert war, wäre es schön gewesen, wenigstens ein paar Tänze lang nicht daran zu denken.

Irgendwann forderte mich natürlich auch der Kanzler zum Tanz auf. Ich versuchte, den Abstand zwischen uns möglichst groß zu halten, aber er versuchte ständig, mich an sich zu drücken. Es war auch so schon schwer genug, seinen Oberkörper nicht zu berühren, da sein Bauch so weit vorstand. Seine fleischige Hand würde wahrscheinlich einen Schweißabdruck auf meinem Rücken hinterlassen, so fest hielt er mich.

»Ihr seht heute Nacht wirklich ganz bezaubernd aus, Prinzessin«, sagte der Kanzler und starrte mich ekelhaft lüstern an. Ich bekam eine Gänsehaut.

»Danke.«

»Aber ich wünschte, Ihr hättet mein Angebot angenommen.« Er leckte sich über die bereits schweißfeuchten Lippen.

»Wisst Ihr noch? Als wir das letzte Mal zusammen getanzt haben, schlug ich vor, dass Ihr und ich …«

»Verzeihung«, sagte Tove, der plötzlich an meiner Seite aufgetaucht war. »Ich würde gerne mit meiner Frau tanzen, falls es Ihnen nichts ausmacht.«

»Bitte sehr.« Der Kanzler verbeugte sich und trat beiseite, machte sich aber nicht die Mühe, seinen Ärger zu verbergen.

»Danke«, sagte ich und legte meine Hand in Toves.

»Tanz bloß nicht mehr mit ihm«, bat Tove flehentlich. »Ich bitte dich. Halt dich von ihm fern.«

»Sehr gerne«, sagte ich und schaute ihn forschend an. »Warum?«

»Dieser Mann ist unerträglich.« Er zog eine Grimasse und schaute in Richtung des Kanzlers, der sich bereits das nächste Stück Hochzeitstorte in den Mund schob. »Er hat die ekelhaftesten, perversesten Gedanken, die ich jemals gehört habe. Und in deiner Nähe werden sie unglaublich laut. Was er alles mit dir machen will … Abscheulich!« Tove schüttelte sich.

»Was?«, fragte ich. »Woher weißt du das? Ich dachte, du könntest nicht Gedanken lesen.«

»Das kann ich auch nicht«, sagte Tove. »Ich höre nur, was andere projizieren, und wenn er erregt ist, tut er das offenbar. Aber das Schlimmste ist, dass ich den ganzen Morgen Dinge bewegt habe, um meine Fähigkeiten zu schwächen. Ich höre fast nichts außer ihm. Ihn dafür umso lauter.«

»Ist er echt so schlimm?«, fragte ich voller Ekel darüber, dass dieser Mann mich gerade angefasst hatte.

Tove nickte. »Er ist scheußlich. Wir müssen dafür sorgen, dass er sobald wie möglich abgewählt wird. Und aus Förening verschwindet. Ich will ihn nicht mehr in unserer Nähe haben.«

»Du hast recht«, nickte ich. »Ich arbeite schon an einer Strategie, um ihn loszuwerden.«

»Gut.« Tove lächelte mich an. »Siehst du? Wir arbeiten schon zusammen.«

Durch den Saal ging ein Raunen, und ich drehte mich um, weil ich wissen wollte, was los war. Dann sah ich ihn. Er schritt zwischen den Tischen hindurch, als spüre er die unzähligen Augen nicht, die ihn anstarrten.

Loki hatte sich aus seinem Versteck im Dienstbotenquartier gewagt. Seit ich ihm Asyl gewährt hatte, wurde er nicht mehr bewacht und durfte sich in Förening frei bewegen, aber ich hatte ihn eigentlich nicht zu meiner Hochzeit eingeladen.

Tove und ich tanzten weiter, aber ich sah Loki unverwandt an. Er umrundete die Tanzfläche und ging zum Buffet, aber er wendete den Blick nicht von mir ab. Er holte sich ein Glas Champagner, aber nicht einmal beim Trinken löste er den Blick von mir.

Ein Markis bat um den nächsten Tanz, und es fiel mir kaum auf, dass ich den Partner wechselte. Ich versuchte, mich auf mein Gegenüber zu konzentrieren, aber irgendetwas an der Art, wie Loki mich ansah, ließ mich einfach nicht mehr los.

Inzwischen spielte das Orchester moderne Stücke. Die Noten hatte wahrscheinlich Willa ihnen gegeben, denn ihrer Meinung nach wäre der Abend viel zu langweilig geworden, wenn nur klassische Musik gespielt worden wäre.

Das Raunen hatte sich gelegt und meine Gäste tanzten und plauderten wieder. Loki trank noch einen Schluck Champagner, stellte dann das Glas ab und betrat die Tanzfläche. Alle Tanzpaare machten ihm Platz, ob aus Respekt oder aus Furcht konnte ich nicht erkennen.

Er war ganz in Schwarz gekleidet, sogar sein Hemd war schwarz. Ich wusste nicht, wo er die Sachen herhatte, aber sie standen ihm ungeheuer gut.

»Darf ich um diesen Tanz bitten?«, fragte Loki meinen Partner, schaute aber dabei nur mich an.

»Äh, ich weiß nicht, ob das angebracht …«, stammelte der Markis, aber ich hatte mich bereits von ihm gelöst.

»Ist schon in Ordnung«, sagte ich.

Unsicher gab der Markis mich frei und Loki nahm meine Hand. Als er mir die andere Hand auf den Rücken legte, durchfuhr mich ein Schauder, aber ich ließ mir nichts anmerken und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Du weißt schon, dass du eigentlich nicht eingeladen bist?«, fragte ich, aber er lächelte nur und wir begannen zu tanzen.

»Du kannst mich ja rauswerfen lassen.«

»Vielleicht sollte ich das.« Trotzig reckte ich das Kinn vor und er musste lachen.

»Wenn die Prinzessin es wünscht«, sagte er, machte aber keine Anstalten, zurückzuweichen, was mich aus unerfindlichen Gründen sehr froh machte.

»Du hast also noch nichts von dem kleinen Zwischenfall bei der Trauung gehört?«, fragte ich, um ihn in ein Gespräch zu verwickeln. »Oren wollte mir persönlich alles Gute wünschen.«

»Ich habe die Wachen darüber reden hören«, sagte Loki, und seine Miene wurde ernst. »Sie haben gesagt, du hast dich großartig verhalten und ihm die Stirn geboten.«

»Ich habe es jedenfalls versucht«, sagte ich achselzuckend. »Er sucht nach dir.«

»Der König?«, fragte Loki, und ich nickte. »Wirst du mich an ihn ausliefern?«

»Das weiß ich noch nicht genau«, neckte ich ihn, und er lächelte wieder schelmisch. »Wo hast du denn den Anzug her?«

»Ob du es glaubst oder nicht, den hat mir deine nette Freundin Willa geschenkt«, sagte Loki. »Sie hat mir gestern Abend einen ganzen Haufen Klamotten vorbeigebracht. Ich habe sie gefragt, warum sie so großzügig zu mir sei, und sie sagte, sie habe Angst, ich werde sonst nackt im Palast herumwandern.«

Ich lächelte. »Zuzutrauen wäre es dir schon. Aber warum trägst du Schwarz? Hast du nicht gewusst, dass du auf eine Hochzeit gehst?«

»Ganz im Gegenteil«, sagte er und versuchte, unglücklich dreinzuschauen. »Ich bin in Trauer wegen deiner Hochzeit.«

»Oh, weil jetzt alles zu spät ist?«, fragte ich.

»Nein, Wendy. Es ist nie zu spät.« Sein Tonfall war spielerisch, aber sein Blick war ernst.

»Darf ich ablösen?«, fragte der Trauzeuge.

»Nein, dürfen Sie nicht«, sagte Loki. Ich war bereits stehen geblieben, aber er zog mich in seine Arme zurück.

»Loki«, sagte ich entgeistert.

»Ich tanze jetzt mit ihr«, sagte Loki und sah den Trauzeugen an. »Sie dürfen übernehmen, wenn ich fertig bin.«

»Loki«, stöhnte ich, aber er wirbelte bereits mit mir weiter. »Das kannst du nicht machen.«

»Natürlich kann ich das.« Er grinste. »Ach, Wendy, nun guck doch nicht so entsetzt. Ich bin der rebellische Prinz des verfeindeten Königreichs. Schlechter kann mein Ruf hier nun wirklich nicht mehr werden.«

»Meiner aber«, sagte ich spitz.

»Das würde ich niemals zulassen«, sagte Loki, und jetzt blickte er mich entsetzt an. »Ich zeige diesen Anfängern nur, wo der Hammer hängt.«

Er begann, mich in großen Zirkeln über die Tanzfläche zu drehen, und mein Kleid wirbelte um mich herum. Loki war ein begnadeter Tänzer, schnell und anmutig. Alle waren stehen geblieben und glotzten uns an, aber das war mir egal. Genau so sollte eine Prinzessin an ihrem Hochzeitstag tanzen.

Das Lied endete und das Orchester begann ein Mozart-Stück zu spielen. Loki verlangsamte seine Schritte, bis wir beinahe standen, aber er hielt mich immer noch in den Armen.

»Danke«, sagte ich lächelnd. Meine Wangen glühten vom Tanzen und ich war ein bisschen atemlos. »Das war wundervoll.«

»Gern geschehen«, sagte er und betrachtete mich eingehend. »Du bist so schön.«

»Hör auf«, sagte ich und wendete den Blick ab. Meine Wangen wurden noch röter.

»Wieso wirst du denn rot?«, fragte Loki und lachte leise. »So etwas sagen diese Leute dir doch sicher tausendmal am Tag.«

»Das ist nicht dasselbe«, flüsterte ich.

»Nicht dasselbe?«, wiederholte Loki. »Warum nicht? Weil du weißt, dass sie es nicht so ernst meinen wie ich?«

Wie waren stehen geblieben und sahen uns schweigend an. Garrett kam zu uns. Sein Lächeln reichte nicht bis zu seinen Augen.

»Darf ich ablösen?«

»Ja«, sagte Loki, und von der Intensität, mit der er mich gerade betrachtet hatte, war nichts mehr zu sehen. Er grinste Garrett strahlend an. »Sie gehört Ihnen, edler Herr. Passen Sie gut auf sie auf.«

Er tätschelte Garrett gönnerhaft den Arm, lächelte mich dann noch einmal an und machte sich auf den Weg zur Bar.

»Hat der dich belästigt?«, fragte Garrett, als wir zu tanzen begannen.

»Äh, nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Er hat nur …« Ich verstummte, weil ich nicht wusste, was genau er getan hatte.

Ich beobachtete, wie Loki ein zweites Glas Champagner leerte und dann den Ballsaal so plötzlich verließ, wie er gekommen war.

»Bist du sicher?«, fragte Garrett.

»Aber ja. Es ist alles in Ordnung.« Ich lächelte ihm beruhigend zu. »Warum? Bekomme ich Ärger, weil ich mit ihm getanzt habe?«

»Ich glaube nicht«, sagte er. »Es ist deine Hochzeit. Du sollst ja auch ein bisschen Spaß haben. Es wäre zwar schöner, wenn du den mit dem Bräutigam hättest, aber …«

»Ist Elora sauer?«, fragte ich.

»Elora hat nicht mehr die Kraft, wütend zu werden«, sagte Garrett beinahe traurig. »Mach dir keine Sorgen deswegen. Du hast schon genug um die Ohren.«

»Danke«, sagte ich.

Ich schaute über die Tanzfläche. Willa tanzte wieder mit Tove, und als sie meinen Blick auffing, schaute sie mich sehr konsterniert an. Aber Tove schien nicht sauer zu sein, und das war wenigstens etwas.