5
Pläne
Ich hatte das Tryllisch-Lehrbuch, das Tove mir gegeben hatte, in meine Tasche gesteckt, um mich zu beschäftigen, während Aurora noch einmal die letzten Details der Hochzeitsfeier durchging. Morgen würde ich heiraten, also hoffte ich, dass alles gut vorbereitet war. Wir hatten keine Zeit mehr, noch irgendetwas zu organisieren.
Ich saß in einem Sessel, das Lehrbuch aufgeschlagen auf dem Schoß: Willa und Aurora gingen mit rund zwanzig Hochzeitsplanern die Checkliste durch. Aurora hatte sogar Duncan eingespannt, der gerade den Tischschmuck auf Vollständigkeit überprüfte.
Manchmal baten sie mich um Hilfe, und dann sprang ich bereitwillig auf, aber meiner Meinung nach war Aurora ganz froh darüber, dass ich mich nicht in ihre Planung einmischte.
All meine Brautjungfern waren hier und die meisten sah ich heute zum ersten Mal. Willa war meine Trautzeugin und hatte den Rest meines Gefolges ausgewählt, da sie alle infrage kommenden Mädchen kannte. Aurora hatte darauf bestanden, dass die Hochzeit riesig werden musste, also hatte ich zehn Brautjungfern.
»Morgen findet die Hochzeit des Jahrhunderts statt, und du steckst die Nase in ein Buch«, seufzte Willa gegen Abend. Aurora hatte alles zweimal überprüft und außer ihr, Willa, Duncan und mir waren alle nach Hause gegangen.
»Ich muss das lernen.« Ich deutete auf mein Buch. »Nur so kann ich alte Verträge und Abkommen lesen. Wie man eine Riesenparty organisiert, muss ich nicht wissen. Dafür habe ich ja Aurora und dich.«
»Richtig.« Willa lächelte mich an. »Ich glaube, es ist alles vorbereitet. Du wirst morgen eine wundervolle Hochzeit feiern.«
»Danke«, sagte ich und klappte mein Buch zu. »Ich weiß wirklich zu schätzen, was du für mich getan hast.«
»Na hör mal. Das hat doch Spaß gemacht.« Sie lachte. »Wenn ich selbst schon keine Märchenhochzeit haben kann, dann sollte ich wenigstens eine planen dürfen, richtig?«
»Nur weil du keine Prinzessin bist, musst du doch nicht auf eine Märchenhochzeit verzichten«, sagte ich und stand auf.
Sie lächelte mich traurig an, und mir wurde klar, in welches Fettnäpfchen ich da gerade getreten war. Willa, eine Tryll-Marksinna, führte eine Beziehung mit meinem Bruder Matt, einem Menschen. Wenn jemand davon erfuhr, würde man sie beide verbannen. Sie würde ihn niemals heiraten dürfen.
»Sorry«, sagte ich geknickt.
»Ach was«, winkte sie ab. »Wir wissen alle, dass du dein Bestes tust.«
Sie sprach von meinen Anstrengungen für die Gleichstellung von Tryll, Trackern und Mänsklig. Uns liefen scharenweise die Bürger davon, weil sie sich in Menschen verliebten und lieber ins Exil gingen, als ihre Liebe aufzugeben. Niemand hatte sich dafür entschieden, zu bleiben.
Es war in jeder Hinsicht sinnvoller, den Leuten nicht vorzuschreiben, wen sie lieben durften und wen nicht. Das klappte sowieso nicht. Es wäre viel besser, diese Liebe zu legalisieren und unseren Bürgern zu ermöglichen, bei uns zu bleiben und weiterhin als nützliche Mitglieder der Tryll-Gesellschaft zu leben.
Ich hatte es noch nicht geschafft, alle davon zu überzeugen, da ich zu viel Kraft und Energie auf das Vittra-Problem verwenden musste. Wenn das erst gelöst war (falls es überhaupt eine Lösung dafür gab), würde ich die Gleichstellung aller Bewohner von Förening zu meiner obersten Priorität machen.
»Sind wir hier fertig?«, fragte ich.
Willa nickte. »Jawohl. Du musst nur noch ins Bett gehen, gut schlafen und dich morgen früh hübsch machen. Und vergiss nicht, es heißt ›Ja, ich will.‹«
»Ich glaube, das kriege ich hin«, sagte ich und ließ mir meine Zweifel nicht anmerken.
»Brauchst du mich noch, Aurora?«, fragte Willa auf dem Weg zur Tür.
»Ich mache das hier nur noch fertig«, sagte Aurora, ohne den Blick von dem Ordner zu lösen, der vor ihr lag. »Aber danke.«
»Danke«, sagte ich. »Dann bis morgen.«
»Schlaft gut, Prinzessin«, sagte Aurora, schaute auf und lächelte mir zu.
Duncan und ich brachten Willa zur Tür, und sie versuchte weiterhin, mich davon zu überzeugen, dass ich morgen eine Menge Spaß haben würde. Am Eingangstor umarmte sie mich fest und versprach mir, es werde alles nach Plan laufen.
Aber das tröstete mich nicht. Was wäre, wenn das Schicksal den Plan hatte, dass alles in einer Katastrophe endete? Das würde es mir auch nicht leichter machen.
»Soll ich mit reinkommen?«, fragte Duncan vor meinem Zimmer.
»Heute nicht«, sagte ich mit einem Kopfschütteln. »Ich brauche ein bisschen Zeit für mich.«
»Das verstehe ich.« Er lächelte mich beruhigend an. »Dann bis morgen.«
»Danke.«
Ich schloss die Tür hinter mir, schaltete das Licht an und starrte auf den riesigen Ring an meinem Finger. Er war das Symbol dafür, dass ich Tove gehörte, einem Mann, den ich nicht liebte. Ich ging zu meiner Kommode, um meinen Schmuck abzulegen, und starrte dabei weiterhin auf den Ring. Ich konnte nicht anders, als ihn schnell von meinem Finger zu ziehen. Er war wunderschön und Tove hatte ihn mir in einem sehr schönen Augenblick überreicht. Aber inzwischen verabscheute ich das Ding.
Als ich den Ring auf die Kommode legte, schaute ich dabei in den Spiegel und unterdrückte nur mühsam einen Aufschrei. Finn saß auf meinem Bett. Seine nachtdunklen Augen trafen meinen Blick und mir stockte der Atem.
»Finn!«, keuchte ich und wirbelte herum. »Was machst du hier?«
»Ich habe deinen Geburtstag verpasst«, sagte er, als beantworte das meine Frage. Er senkte den Blick und schaute auf die kleine Schachtel, die er in der Hand hielt. »Ich habe dir etwas mitgebracht.«
»Du hast ein Geschenk für mich?« Ich lehnte mich an die Kommode und hielt mich an ihr fest.
»Ja.« Er nickte und schaute weiterhin auf die Schachtel. »Ich habe es vor zwei Wochen in der Nähe von Portland gekauft und wollte es dir eigentlich an deinem Geburtstag geben.« Er biss sich auf die Lippe. »Aber jetzt weiß ich nicht mehr, ob ich es dir überhaupt geben soll.«
»Was meinst du damit?«, fragte ich verwirrt.
»Es fühlt sich nicht richtig an.« Finn rieb sich das Gesicht. »Ich weiß gar nicht genau, was ich hier mache.«
»Ich auch nicht«, sagte ich. »Versteh mich nicht falsch, ich freue mich darüber, dass du hier bist. Aber … ich verstehe nicht, warum.«
»Ich weiß.« Er seufzte. »Dein Geschenk. Es ist ein Ring.« Sein Blick wanderte zu dem Verlobungsring auf meiner Kommode. »Aber du hast schon einen.«
»Warum hast du mir einen Ring gekauft?«, fragte ich vorsichtig und mein Herz setzte einen Schlag aus. Finns Verhalten verwirrte mich völlig.
»Ich will dir keinen Antrag machen, falls du dich das gefragt hast«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Ich habe den Ring gesehen und musste an dich denken. Aber irgendwie kommt mir das Ganze jetzt geschmacklos vor. Dass ich mich am Abend vor deiner Hochzeit in dein Zimmer schleiche, um dir einen Ring zu schenken.«
»Du hast dich wirklich in den Palast geschlichen?«, fragte ich.
»Ja, und ich weiß nicht, was ich hier mache.« Finn schaute zu Boden und lachte bitter. »Das stimmt nicht. Ich weiß genau, was ich hier mache, ich weiß nur nicht, warum.«
»Und was machst du hier?«, fragte ich leise.
»Ich …« Finn starrte einen Moment lang ins Leere, schaute dann zu mir hoch und stand auf.
»Finn, ich …«, begann ich, aber er brachte mich mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Ich weiß, dass du morgen Tove heiraten wirst«, sagte er. »Du musst es tun, das wissen wir beide. Es ist das Beste für dich, und nur das will ich.« Er schwieg einen Augenblick. Dann fuhr er fort. »Aber ich will dich auch für mich.«
Ich hatte mir so sehnlich gewünscht, dass Finn zugab, was er für mich empfand. Und er hatte sich ausgerechnet den Vorabend meiner Hochzeit dafür ausgesucht. Es war zu spät, um noch etwas zu ändern, um die Hochzeit abzusagen. Selbst wenn ich das gewollt hätte.
»Warum sagst du mir das jetzt?«, fragte ich mit Tränen in den Augen.
»Deshalb.« Finn kam zu mir und blieb ganz dicht vor mir stehen.
Er schaute auf mich herab und seine dunklen Augen zogen mich wie immer in ihren Bann. Dann wischte er mir zärtlich eine Träne von der Wange.
»Warum?«, fragte ich mit zitternder Stimme.
»Ich wollte, dass du es weißt«, sagte er, als verstehe er es selbst nicht ganz.
Dann legte er die Schachtel auf die Kommode, umfasste meine Taille und zog mich an sich. Ich ließ die Kommode los und schmiegte mich an ihn. Schwer atmend blickte ich zu ihm auf.
»Ab morgen gehörst du einem anderen«, sagte Finn. »Aber heute Nacht bist du bei mir.«
Sein Mund fand meinen, und er küsste mich mit der wilden Leidenschaft, die ich so an ihm liebte. Ich schlang die Arme um ihn und drückte ihn so fest wie möglich an mich. Er hob mich hoch, ohne den Kuss zu unterbrechen, und trug mich zum Bett.
Er legte mich auf die Kissen und war einen Augenblick später auf mir. Ich liebte es, das Gewicht seines Körpers auf mir zu spüren. Seine Bartstoppeln kitzelten meine Haut, als er mein Gesicht und meinen Hals mit Küssen bedeckte.
Seine Hände wanderten zu den Trägern meines Kleides und streiften sie mir über die Schultern, und ich realisierte überrascht, was heute Nacht geschehen würde. Er hatte sich bislang immer gezügelt, bevor die Leidenschaft ihn übermannte, aber nun ließ er die Hände zu meinen Brüsten gleiten, während er mich küsste.
Ich zog ihm so eilig das Hemd aus, dass dabei ein Knopf abriss. Dann streichelte ich seine Brust und genoss es, seine glatten Muskeln und das Hämmern seines Herzens zu spüren. Finn küsste mich hungrig und seine nackte Haut glühte auf meiner.
Mein Herz hob sich vor Freude, und eine immense Erleichterung durchströmte mich, als mir klar wurde, dass mein erstes Mal mit Finn stattfinden würde. Aber meine Freude verschwand genauso schnell wieder, als mir noch etwas anderes klar wurde.
Mein erstes Mal mit Finn würde auch gleichzeitig unser letztes Mal sein.
Ich musste morgen Tove heiraten, und selbst wenn ich nicht verlobt wäre, konnten Finn und ich niemals zusammen sein.
Unsere letzte Begegnung hatte vor fast drei Monaten am Vorabend meiner Verlobungsfeier stattgefunden. Damals hatten wir uns in der Bibliothek geküsst. Danach war Finn entsetzt darüber gewesen, dass er seine Gefühle für mich einen Augenblick lang über seine Pflichten gestellt hatte. Er hatte den Palast eilig verlassen und sich freiwillig gemeldet, um die Changelings aufzuspüren und nach Hause zu bringen.
Seitdem hatten wir keine zwei Worte miteinander gewechselt. Ich war hiergeblieben und hatte die schwierigsten Entscheidungen meines Lebens getroffen, und das hatte ich alles ohne ihn tun müssen.
Wenn ich heute Nacht mit Finn schlief, würde sich das morgen wiederholen, wie immer wenn wir uns zu nahe kamen. Finn würde morgen wieder verschwinden, sich vor Scham irgendwo verkriechen und mich meiden.
Und diesmal war ich nicht bereit dazu, dies auszuhalten. Er wollte, dass ich mich ihm mit Haut und Haaren hingab, würde das selbst aber niemals tun. Er würde wieder aus meinem Leben verschwinden. Ich brauchte ihn hier, an meiner Seite. Ich wollte, dass Finn sich gegen seine Ehre und für mich entschied, aber er konnte mir nur eine einzige Nacht bieten.
Und diese Nacht würde nichts bedeuten. Morgen würde ich Tove heiraten, wie Finn das wollte, und es würde mir nur noch schwererfallen als ohnehin schon.
»Was ist los?«, fragte Finn, dem die Veränderung in mir aufgefallen war.
»Ich kann nicht«, flüsterte ich. »Es tut mir leid, aber ich kann das nicht tun.«
»Du hast recht. Verzeih mir.« Finn schaute mich voller Scham an und kletterte eilig von mir herunter. »Ich habe nicht nachgedacht. Entschuldige.«
»Nein, Finn.« Ich setzte mich auf und zog mein Kleid wieder hoch. »Du musst dich nicht entschuldigen. Aber … ich kann das einfach nicht mehr.«
»Das verstehe ich.« Er strich sich das Haar glatt und wich meinem Blick aus.
»Nein, Finn. Was ich meine, ist …« Ich schluckte mühsam und stieß zitternd den Atem aus. »Ich kann dich nicht mehr lieben.«
Er blickte erstaunt und verletzt zu mir, sagte aber nichts und blieb regungslos stehen.
»Da hast gesagt, heute Nacht gehöre ich dir und ab morgen einem anderen, aber so funktioniert das nicht, Finn.« Tränen liefen mir über die Wangen und ich wischte sie ungeduldig weg. »Ich gehöre niemandem, und du kannst mich nicht einfach für dich beanspruchen, wenn dich deine Gefühle übermannen.
Und ich weiß, dass du das auch gar nicht willst«, fuhr ich fort. »Wir wollten beide nicht, dass es darauf hinausläuft. Wir waren nur zusammen, wenn sich gerade die Gelegenheit dazu bot. Gestohlene Augenblicke, heimliche Küsse. Ich verstehe, warum es so war. Und ich gebe dir auch keine Schuld, aber … ich kann das einfach nicht mehr.«
»Ich wollte nicht …« Finn verstummte und fuhr dann fort. »Ich wollte das nicht für dich. Ich meine, die Sache zwischen uns, was auch immer sie sein mag. Du verdienst viel mehr, als ich dir jemals geben kann, und viel mehr Liebe, als ich dir geben darf.«
»Ich versuche, das zu ändern«, sagte ich. »Und ich muss zugeben, dass meine Motive nicht ganz uneigennützig waren. Ich wollte die Gesetze ändern, damit ich eines Tages mit dir zusammen sein darf. Aber … darauf kann ich nicht zählen. Und so heirate ich morgen einen anderen.«
»Ich habe nichts anderes von dir erwartet, Prinzessin«, sagte Finn leise. »Und es tut mir leid, dass ich dich durcheinandergebracht habe.« Er ging zur Tür, blieb dann stehen und sagte, ohne mich anzusehen. »Ich wünsche dir alles Glück der Welt für deine Ehe. Ich hoffe, ihr beide werdet ein wunderbares Leben führen.« Dann ging er.
Ich versuchte, meine Tränen herunterzuschlucken. Ich wollte Willa morgen nicht mit einem roten, geschwollenen Gesicht schockieren. Ich ging zu meinem Schrank, zog mein Kleid aus und schlüpfte in einen Schlafanzug. Auf dem Weg zurück zum Bett fiel mir die Schachtel auf, die auf meiner Kommode stand. Das Geschenk von Finn.
Langsam klappte ich den Deckel hoch. In der Schachtel lag ein schmaler Silberring mit einem herzförmigen Granaten, meinem Geburtsstein. Und aus irgendeinem Grund brach sein Anblick mir das Herz. Ich legte mich schluchzend auf mein Bett und trauerte um eine Beziehung, die ich nie wirklich gehabt hatte.