7 Bleiben Sie Ihrem Ja treu

Zuerst ignorieren sie dich. Dann lachen sie über dich. Dann bekämpfen sie dich. Und dann gewinnst du.
Mahatma Gandhi

Nachdem Sie Ihr positives Nein übermittelt haben, liegt der Schluss nahe, dass der harte Teil der Arbeit damit vorbei ist. Doch dies ist ein Trugschluss. Sie haben zwar Nein gesagt, sind aber immer noch weit von einem gemeinsamen Ja entfernt. Jetzt stellt sich die Frage, wie Sie mit der Reaktion Ihres Gegenübers auf Ihr Nein umgehen und ihm dabei helfen, Ja zu Ihrem Vorschlag zu sagen. Sie haben Ihr Ja! Nein. Ja? vorbereitet und übermittelt und müssen es nun durchziehen.

Der erste Schritt dieser Phase des Durchziehens besteht darin, Ihrem zugrunde liegenden, eigentlichen Ja treu zu bleiben.

Die Herausforderung: Der Umgang mit der Reaktion des anderen

Auf einer Reklametafel las ich einmal die Worte: »Das einzige Wort, das ich hören will, ist Ja.« So empfinden wahrscheinlich viele Menschen . Es ist nicht leicht, mit einem Nein konfrontiert zu werden. Vielleicht ist Ihr Nein deshalb schmerzhaft für den anderen, weil er seine Erwartungshaltung ändern muss. Möglicherweise glaubt er, dass es wichtige Wertvorstellungen und Bedürfnisse gefährdet. Unter Umständen empfindet er Ihr Nein sogar als Bedrohung der eigenen Identität.

Natürlich werden Sie auf Widerstand stoßen. Vielleicht ignoriert der andere Ihre abschlägige Antwort. Möglicherweise bettelt, bittet oder fleht er Sie an, reagiert mit Schmollen oder holt zum Gegenschlag aus, indem er Ihnen droht oder Sie erpresst. Es ist durchaus denkbar, dass Ihr Vorgesetzter Ihnen antwortet: »Ein Nein akzeptiere ich nicht!« Oder Ihr Kunde reagiert mit einer Drohung: »Wollen Sie jetzt, dass unser Geschäft zustande kommt oder nicht? Sonst kann ich mich auch an Ihre Konkurrenz wenden!« Oder Ihr Partner erwidert: »Das meinst du wohl nicht ernst! Nach allem, was ich für dich getan habe, weigerst du dich, mir diesen kleinen Gefallen zu tun?« Und genau diese Art von Reaktionen sind es, vor denen Sie vielleicht Angst haben. Sie sind der Grund, warum Sie anfänglich mit Ihrem Nein gezögert haben.

Was schwierige Reaktionen auf ein Nein angeht, so ist die in dem Fernsehfilm Path to War dargestellte Unterhaltung zwischen Präsident Lyndon B. Johnson und seinem Redenschreiber Richard Goodwin kaum zu überbieten. Goodwin kommt ins Oval Office, um bei LBJ seinen Rücktritt zu ersuchen. Er will nicht weiter für den Präsidenten arbeiten. LBJ jedoch weigert sich, Goodwins Nein zu akzeptieren.


LBJ (sitzt an seinem Schreibtisch und unterzeichnet Kondolenzbriefe an Familien von in Vietnam gefallenen Soldaten): Ja, Dick?

Goodwin: Mr. President, wie Ihnen Bill Moyers bereits mitgeteilt hat, wurde mir ein Stipendium an der Wesleyan University in Connecticut angeboten.

LBJ: Schön für Sie. Ha, das bekommt man nicht alle Tage.

Goodwin: Nein, nein, ich habe großes Glück gehabt.

LBJ: Aber zögern Sie Ihre Absage nicht zu lange heraus, damit die Verantwortlichen das Stipendium anderweitig vergeben können.

Goodwin: Mr. President, ich habe das Angebot bereits angenommen.

LBJ: Kein Problem. Sie konnten ja nicht wissen, dass Sie hier unabkömmlich sind. Rufen Sie die Universität an, berufen Sie sich auf mich, und man wird Ihnen sicher keine Steine in den Weg legen.

Goodwin: Was meinen Sie mit unabkömmlich?

LBJ: Ich meine, dass Sie nicht gehen können! Ich komme nicht ohne Sie klar! Sie sind hier eine ziemlich wichtige Persönlichkeit. Und wie wichtig können Sie durch dieses Stipendium werden?

Goodwin (der unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her rutscht): Nun, Sie sind doch auch zurechtgekommen, bevor ich für Sie gearbeitet habe.

LBJ: Sie wollen mehr Geld? Ich habe jede Menge Geld. Ich werde eine Sonderzahlung durch die Johnson Foundation veranlassen.

Goodwin: Geld ist nicht das Thema, Mr. President – ich will dieses Stipendium einfach annehmen.

LBJ: Das können Sie nun mal nicht! Und jetzt machen Sie Ihren Anruf!

Goodwin (steht auf): Mr. President, äh, es tut mir sehr leid.

LBJ: Also Dick: Entweder bleiben Sie hier bei mir oder Sie gehen jetzt rüber ins Pentagon und holen sich ein Paar glänzende, schwarze Stiefel. Es gibt ein Gesetz – ich habe McNamara gefragt –, das besagt, dass wir Spezialisten einberufen können, die für das nationale Interesse von großer Bedeutung sind. Und genau das werde ich tun! Wenn Sie mir hier nicht dienen wollen, dann wissen Sie, wohin ich Sie schicken kann.

Goodwin: Sie würden mich zum General machen?

LBJ: Oh, Sie wollen doch gar kein General sein. Sie wollen ein Gefreiter sein, ein Marinesoldat … denn auf See findet der wahre Kampf statt. Ich weiß, dass Sie dort sein wollen, wo wirklich etwas passiert! Deshalb sind Sie doch so lange hier bei mir geblieben! Und jetzt hören Sie mir genau zu, Dick. Gehen Sie und nehmen Sie Ihr Stipendium an, aber an dem hier [hält die Briefe in die Höhe] haben auch Sie sich die Hände schmutzig gemacht. Sie und Moyers und Bundy und alle anderen wollen das Schiff verlassen! Und Sie ganz besonders! Aber auch wenn Sie sich in der großen Gesellschaft einen Namen machen, haben Sie Ihren Anteil an diesem Krieg! Sie können sich tausendmal auf einem Campus oder sonst wo verstecken, das ist eine Tatsache, die Sie nicht ändern können! Wegtreten!

LBJ setzt eine Kombination aus Schmeichelei, Komplimenten und Bestechung ein. Als seine Maßnahmen keine Wirkung zeigen, bedroht er Goodwins persönliches Überleben. Glücklicherweise sind die meisten Situationen nicht so problematisch wie diese, aber oft setzt sich die Reaktion auf eine abschlägige Antwort aus ähnlichen Elementen zusammen. Die Stärke des Neins wird auf die Probe gestellt, sodass man an dieser Stelle gern einen Rückzieher macht.

Wie können Sie verhindern, dass Ihr Gegenüber allzu heftig auf Ihr Nein reagiert und erreichen, dass er es letztlich sogar akzeptiert?

Durchschauen Sie die Stadien der Akzeptanz

Zunächst einmal müssen Sie verstehen, dass der andere eventuell Zeit braucht, um Ihr Nein zu verarbeiten. Sie haben ihn durch Ihre Reaktion mit einer neuen und unangenehmen Realität konfrontiert. Ihre Ablehnung ist eine schlechte Nachricht für ihn. Sie können nun Ihrerseits mit seiner Reaktion viel besser umgehen, wenn Sie sich vor Augen führen, dass es verschiedene emotionale Stadien gibt, die Menschen bei der Verarbeitung schlechter Nachrichten in der Regel durchmachen.

In den 70er Jahren veröffentlichte die Schweizer Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross ihre Studien zur Abfolge der emotionalen Reaktionen, die Menschen typischerweise erleben, wenn sie mit katastrophalen Neuigkeiten wie ihrem bevorstehenden Tod konfrontiert werden. Verglichen mit einer solchen Nachricht ist ein Nein natürlich eine Kleinigkeit, trotzdem konfrontiert es uns ebenfalls mit potenziellem Verlust und den dazugehörigen Gefühlen. Kübler-Ross’ Ergebnisse können wir deshalb auch in etwa auf unsere Situation anwenden. Natürlich gibt es keine feststehende Reihenfolge, und das Muster variiert von Mensch zu Mensch. Die emotionalen Phasen sind Vermeidung, Verleugnung, Angst, Zorn, Verhandeln, Trauer und Akzeptanz.

Die Akzeptanz-Kurve

Denken Sie einen Augenblick über LBJs Verhalten nach. Am Anfang ignoriert er Goodwins Rücktrittsgesuch einfach: »Aber zögern Sie Ihre Absage nicht zu lange heraus, damit die Verantwortlichen das Stipendium anderweitig vergeben können.« Als Goodwin sich dadurch nicht abwimmeln lässt, verlegt er sich auf aktive Verleugnung: »Kein Problem. Sie konnten ja nicht wissen, dass Sie hier unabkömmlich sind. Rufen Sie die Universität an, berufen Sie sich auf mich, und man wird Ihnen sicher keine Steine in den Weg legen.« Doch Goodwin beharrt weiter auf seinem Ansinnen, sodass LBJ die Stadien der Angst und des Zornes durchläuft: »Ich meine, dass Sie nicht gehen können! Ich komme nicht ohne Sie klar!« Dann beginnt LBJ zu verhandeln: »Sie wollen mehr Geld? Ich habe jede Menge Geld.« Als auch das nicht die gewünschte Wirkung zeigt, platzt LBJ vor Wut.

Stellen Sie sich folgende geschäftliche Situation vor. Ein wichtiger Kunde möchte, dass Sie ein Projekt in einem Zeitrahmen abwickeln, den Sie für unrealistisch halten. Sie erklären ihm, dass Sie das unmöglich schaffen können. Diese schlechten Nachrichten möchte Ihr Kunde nicht hören.

Zuerst verleugnet er vielleicht das Problem: »Ich weiß gar nicht, was daran so problematisch sein soll. Sie schaffen das schon! Da bin ich ganz sicher!« Sie aber bleiben beharrlich und erklären ihm noch einmal, warum die Deadline nicht zu halten ist. Diesmal reagiert Ihr Kunde mit sichtbarer Angst: »Es muss aber bis dahin fertig sein, sonst komme ich in Teufels Küche.« Seine Angst verwandelt sich in Verärgerung: »Wenn Sie nicht so lange für Ihr Angebot benötigt hätten, hätten wir genug Zeit gehabt!« Und der Ärger mündet in Drohungen: »Wenn Ihnen unsere Geschäftsbeziehung lieb ist, dann sollten Sie eine Möglichkeit finden, um das Projekt doch noch termingerecht abzuwickeln!« Sie sind der Überbringer schlechter Nachrichten, deshalb heißt das Spiel vielleicht bald: »Wenn dir die Botschaft nicht gefällt, töte den Boten!«

Ihnen wäre es verständlicherweise lieber, wenn Ihr Gegenüber die schlechten Nachrichten einfach und direkt akzeptieren würde. Aber menschliche Wesen sind keine Maschinen; sie haben emotionale Reaktionen und brauchen Zeit, um diese Reaktionen zu verarbeiten.

Vielleicht sind Sie ja nicht in der Lage, die natürliche Folge der Emotionen zu stoppen, aber Sie können dem anderen helfen, sie zu durchleben, damit er sich letztlich leichter damit tut, Ihr Nein zu akzeptieren.

Die einfachste Maßnahme, um dies zu bewerkstelligen, besteht darin, Ihre eigenen natürlichen Reaktionen zu kontrollieren. Denken Sie daran: Solange Sie nicht in der Lage sind, Ihr eigenes Verhalten zu beeinflussen, können Sie auch keinen Einfluss auf das Verhalten des anderen nehmen.

Geben Sie nicht nach und greifen Sie nicht an

Am anfälligsten für Zweifel und Rückzug sind wir sicherlich kurz nachdem wir Nein gesagt haben. Oft plagen uns Schuldgefühle und wir befürchten, die Gefühle des anderen zu verletzen. Unter solchen Umständen ist es gar nicht so einfach, bei seinem Nein zu bleiben.

Mir selbst geht es da nicht anders. Wenn ich auf Dienstreise bin, pflege ich meiner Tochter Gabriela am Telefon eine Gutenachtgeschichte vorzulesen. Wie die meisten kleinen Kinder ist sie eine hervorragende Verhandlungsführerin und lässt sich in keiner Weise davon beeindrucken, dass sie es mit einem Spezialisten auf diesem Gebiet zu tun hat.


»Noch eine Seite, und dann ist es Zeit zum Schlafen. Okay?«, sage ich.


»Oooooh … noch drei mehr«, antwortet sie.


»Okay, noch zwei«, sage ich.


»Okay.«


Nach den zwei Seiten sage ich: »Das war’s.«


»Warte, das waren doch im Leben keine zwei Seiten«, sagt sie.


»Doch«, sage ich. »Wir haben gerade die Seiten zehn und elf gelesen.«


»Ich meinte zwei ganze Seiten, also Vorder- und Rückseite.«


»Moment mal.«


»Ooooooh, nur dies eine Mal, och bitte, lieber Papi.«


Und so geht es weiter. Natürlich durchschaue ich ihre Strategie. Trotzdem fällt es mir schwer, Nein zu sagen, denn ich fühle mich schuldig, weil ich so viel von zu Hause weg bin.

Auch wenn der andere – wie LBJ – mit Zorn reagiert, ist die Versuchung groß, doch wieder einzulenken. Vielleicht befürchten wir, dass die Wut des anderen sich so sehr steigert, dass eine Einigung oder jede weitere Beziehung unmöglich wird. Wir hören also auf, unser Nein zu bekräftigen, und wechseln in den Anpassungsmodus, allerdings auf Kosten unserer Bedürfnisse und Werte. Aber es ist unklug, seine Prinzipien aufzugeben, nur weil man unter Druck gesetzt wird.

Eines der tragischsten Beispiele dieser Art von Anpassung war die Telefonkonferenz, die am Abend des 27. Januar 1986 vor dem Start des Space Shuttle Challenger stattfand. Auf Anfrage der NASA empfahlen die Ingenieure der Firma, die die Startraketen herstellten, den Flug zu verschieben. Sie befürchteten, dass die O-Ringe an den Dichtungen angesichts der zu erwartenden niedrigen Temperaturen porös würden. Als die NASA ihren Unmut darüber offiziell zum Ausdruck brachte, beriefen die Manager hastig einen Ausschuss ein und verwandelten das Nein in ein Ja. Der Start wurde nun doch befürwortet. Das Endergebnis kennen wir: Die Challenger startete am 28. Januar, die O-Ringe an den Feststoffraketen wurden porös, es entstand ein Leck und die Rakete explodierte, wobei sieben Menschen ums Leben kamen, genau wie die Ingenieure es anfänglich befürchtet hatten.

Wenn wir dem Druck von außen nicht nachgeben, besteht eine Alternative im Gegenangriff. Wie leicht bekämpfen wir Feuer mit Feuer! »Sie sind zu spät gekommen!«, tadelt der Lieferant den Kunden. Doch ein Gegenangriff macht den anderen nur noch wütender und steigert die Wahrscheinlichkeit, dass unser Nein zurückgewiesen wird. Wir liegen im Clinch miteinander, und unser positiver Vorschlag gehört der Vergangenheit an. Gandhi sagt hierzu: »Auge um Auge, und wir alle werden blind.«

Außerordentlich aufschlussreich ist dabei die Legende von Herkules. Eines Tages machte er sich daran, eine seiner zwölf Aufgaben zu erfüllen, und wurde auf seinem Weg von einem seltsam aussehenden Tier überrascht, dass sich plötzlich aufbäumte und ihn angriff. Herkules schlug das Tier mit seiner Keule. Zu Herkules’ Überraschung rannte das Tier nicht davon, sondern wuchs um die dreifache Größe an und wurde noch bedrohlicher. Herkules verdoppelte seine Anstrengungen und schlug das Tier erneut. Aber je stärker er zuschlug, umso größer wurde das Wesen, bis das Untier den gesamten Weg einnahm. Plötzlich erschien die Göttin Athene an Herkules’ Seite: »Hör auf, Herkules!«, rief sie. »Erkennst du es nicht? Der Name dieses Untiers ist Streit. Schlag es, und es wächst. Lass es in Ruhe, und es nimmt wieder seine ursprüngliche Größe an.«

Athene erinnert Herkules daran, wie wichtig es ist, nicht überzureagieren, sondern auf Kurs zu bleiben. Lassen Sie vom Streit ab. Ob Sie nun angreifen oder nachgeben – in beiden Fällen handelt es sich um eine Reaktion. Sie sind nicht mehr auf Kurs, konzentrieren sich nicht mehr auf Ihr Ziel, nämlich auf den Schutz Ihrer Hauptinteressen und Bedürfnisse. Wer nachgibt, belohnt das Fehlverhalten des anderen. Wer zum Gegenangriff übergeht, verstärkt es. In beiden Fällen unterbrechen Sie einen wichtigen Prozess: die Akzeptanz Ihres Neins durch Ihr Gegenüber.

Sie haben die Wahl. In dem Augenblick, da Sie auf die Reaktion des anderen reagieren, setzen Sie einen Teufelskreis aus Aktion und Reaktion in Gang, der für immer fortbestehen kann. Die Alternative besteht darin, nicht zu reagieren, sondern Ihrem eigentlichen Ja treu zu bleiben. Konzentrieren Sie sich auf das, was Ihnen am Herzen liegt. Mit anderen Worten: Gehen Sie auf den Balkon.

Gehen Sie auf den Balkon

In Kapitel 1 habe ich es bereits beschrieben: Der Balkon ist ein mentaler Ort der richtigen Perspektive, Ruhe und Selbstbeherrschung. Wer auf den Balkon geht, behält sein Ziel im Auge.

Halten Sie inne, bevor Sie antworten

Bewahren Sie angesichts der Wut und Panik des anderen Ruhe, die für Sie beide ausreicht. Ihre Ruhe kann ebenso ansteckend sein wie der Zorn oder die Furcht Ihres Gegenübers. Denken Sie daran durchzuatmen – in kritischen Momenten neigen wir dazu, unbewusst den Atem anzuhalten und unserem Gehirn den Sauerstoff vorzuenthalten, den es benötigt, um klar zu denken. Holen Sie also ein oder zwei Mal tief Luft, bis Sie wieder auf dem Boden der Tatsachen stehen. Halten Sie inne, bevor Sie antworten.

Bewusst und tief durchzuatmen ist eine einfache Technik, die eine physiologische Realität widerspiegelt. Zorn verursacht Herzrasen und einen erhöhten Blutdruck: Das Blut fließt schneller vom Gehirn zu unseren Extremitäten, damit wir flüchten oder kämpfen können. Dies ist nicht der beste Zeitpunkt, um Entscheidungen zu treffen. Indem wir innehalten, und sei es auch nur für wenige Sekunden, und ein paar langsame, tiefe Atemzüge tun, können wir unseren Puls verlangsamen und unsere verspannten Muskeln entspannen. Dann sind wir in der Lage, uns effektiver darauf zu konzentrieren, welche Antwort unseren Interessen am ehesten dient.

Kein Geringerer als Thomas Jefferson gab diesen Ratschlag in jenem mörderisch heißen Sommer des Jahres 1789, als Delegierte der Constitutional Convention – des Verfassungsausschusses – in Philadelphia mit den Grundsätzen und Formulierungen kämpften, die für die junge Nation gelten sollten. In hitzigen Debatten traten die Delegierten für ihre Interessen und Werte ein und sagten immer wieder Nein zu einzelnen Punkten. Inmitten dieser Auseinandersetzungen hatte Thomas Jefferson einen Rat für seine Kollegen parat: »Wenn Sie wütend sind, zählen Sie bis zehn. Wenn Sie sehr wütend sind, zählen Sie bis 100.«

Im modernen Zeitalter der E-Mails ist der verführerischste Button auf dem Bildschirm die Schaltfläche »Antworten«. Wenn der andere auf unser Nein mit einer wütenden Mail reagiert, fühlen wir uns sogleich versucht, eine scharfe Erwiderung zu verfassen und auf »Antworten« zu klicken. Oder noch schlimmer: Wir wählen »Allen Antworten «, wodurch der Konflikt rasch eskaliert und außer Kontrolle gerät. Bei der Antwort auf die Reaktion unseres Gegenübers ist die beste Schaltfläche auf dem Bildschirm »Speichern«. Formulieren Sie, speichern Sie ab und schauen Sie sich Ihren Text eine Stunde – oder besser einen Tag – später noch einmal ein. Dann fragen Sie sich, welche Antwort Ihren Interessen am ehesten dienlich ist. »Speichern« ist die Balkon-Schaltfläche.

Ehe ich mich zu einer impulsiven Reaktion hinreißen lasse, erinnere ich mich gern an den Lieblingssatz eines meiner Seminarteilnehmer. Dieser ältere Chirurg hatte es sich zum Prinzip gemacht, seinen Assistenten folgenden Rat zu geben, wenn diese bei einer Operation in Hektik geraten: »Machen Sie langsam. Wir haben es eilig!« Gerade weil man keine Zeit zu verlieren hat, keine Zeit für Fehler hat, muss man langsamer werden. Gerade, wenn wir schnell vorankommen wollen, müssen wir langsam gehen.

Nennen Sie das Spiel beim Namen

Während Sie vom Balkon auf das herabblicken, was unter Ihnen auf der Bühne passiert, können Sie die Züge der anderen beobachten und die Klugheit ihrer Tricks bewundern, sie aber gleichzeitig durchschauen und ihre eigentlichen Absichten erkennen. Wenn es Ihnen gelingt, ihre Provokation als Spiel zu betrachten, nehmen Sie sie wahrscheinlich nicht so persönlich. Außerdem fallen Sie auch nicht so leicht auf ihre Tricks herein.

Beobachten Sie, wie der andere versucht, Sie zu manipulieren. Beobachten Sie Ihre eigenen Gefühle und Empfindungen. Unter Druck leiden wir oft unter schwitzenden Händen, einer erhöhten Pulsfrequenz und einem flauen Gefühl in der Magengegend. Registrieren Sie Ihre Reaktionen. Dadurch können Sie sich langfristig selbst kontrollieren und beruhigen. Aus der Balkon-Perspektive können Sie sich ins Gedächtnis rufen, dass der Angriff nichts Persönliches ist – es geht um den anderen, nicht um Sie.

Auf dem Balkon kann es hilfreich sein, im Stillen das Spiel »beim Namen zu nennen«. Versehen Sie jede der Taktiken, mit denen Sie konfrontiert werden, mit einem entsprechenden Etikett. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie haben gerade Nein zu einem Kollegen gesagt, der sein Projekt bislang eher lässig gesehen hat, deshalb in die Bredouille gekommen ist und Sie nun um sofortige Hilfe bittet. Sie selbst haben zahlreiche Überstunden hinter sich, um Ihre eigenen Verpflichtungen zu erfüllen, und haben einfach nicht die Zeit, ihn zu unterstützen.


»Komm schon«, sagt George. »Bitte! Du bist doch das Finanzgenie der Firma. Ohne dich habe ich keine Chance. Nur du kannst mir helfen.«


Wie heißt das Spiel? Schmeichelei.


Wenn Sie Ihr positives Nein wiederholen, beharrt George: »Aber warum denn nicht? So viel Arbeit ist es doch gar nicht. Das schaffst du ganz leicht nebenher.« Wie heißt das Spiel? Verharmlosung. George führt seinen Freund aufs Glatteis.


Trotz Ihres wiederholten Neins werden weitere Taktiken angewandt, die Sie im Stillen jedes Mal wieder beim Namen nennen:


»Ich habe schließlich schon so viel für dich getan. Jetzt könntest du wirklich auch mal was für mich tun.« Spiel? Schuldzuweisung und emotionale Manipulation.


»Aber du hast doch gesagt, ich könnte dich jederzeit um Hilfe bitten.« Spiel? Falschdarstellung.


»Man kann also auf dein Wort nichts geben!« Spiel? Persönlicher Angriff.


»Was passiert wohl, wenn die anderen herausfinden, dass man deinem Wort nicht trauen kann?« Spiel? Drohung.


»Ich dachte, du bist mein Freund. Wir kennen uns doch schon so lange. Wir spielen zusammen Golf. Unsere Kinder sind miteinander befreundet.« Spiel? Schuldgefühle erzeugen.


»Wenn du das nächste Mal etwas von mir brauchst, werde ich an dein jetziges Verhalten denken!« Spiel? Drohung.


»Okay, ich mache dir folgenden Vorschlag. Fang einfach an, mir zu helfen, und sobald es zu viel wird, kannst du sofort aussteigen.« Spiel? Falsche Versprechungen. George führt seinen Gesprächspartner aufs Glatteis.


»Warte nur, bis der Chef das erfährt.« Spiel? Drohung.


Begegnen Sie dem Widerstand des anderen, indem Sie beharrlich jede Taktik beim Namen nennen, wodurch Sie die Wirkung, die sie sonst auf Sie hätte, neutralisieren. Vielleicht durchschauen Sie nicht sämtliche Schachzüge Ihres Opponenten, aber wenn Sie auch nur ein paar beim Namen nennen, so ist das bereits eine große Hilfe. Diese äußerst wirkungsvolle Technik erhöht Ihre emotionale Distanz und Selbstbeherrschung und verhindert ein reaktives Ja oder Nein Ihrerseits.

Kneifen Sie sich in die Handfläche

Von meinem peruanischen Freund Hernán lernte ich einen meiner Lieblingstricks, um auf Kurs zu bleiben, wenn ich provoziert werde. Ich kneife mir einfach in die Handfläche. Dadurch rufe ich mir meine eigentlichen Ziele ins Gedächtnis und kann ruhig bleiben. Ich erinnere mich an ein morgendliches Meeting, das ich mit ein paar wichtigen Medienvertretern in Venezuela hatte, welche das Rückrat der politischen Opposition zu Präsident Chávez bildeten. Sie waren sehr wütend und erregt über Chávez’ Verhalten. Als ich sie darauf hinwies, dass es strategisch günstiger für sie sein könnte, mit dem Präsidenten in Dialog zu treten, wurde ich von allen 15 mit skeptischen, wütenden Fragen bombardiert. Was für ein törichter Vorschlag! »Wie können Sie nur mit einem Kommunisten reden, einem Freund Castros?« Fast drei Stunden lang stand ich unter Beschuss und kniff mir unaufhörlich in die Hand, um ruhig zu bleiben. Das war gar nicht so einfach – bei zahlreichen Gelegenheiten ertappte ich mich dabei, dass ich reagieren wollte. Aber ich widerstand der Versuchung. Ich erkannte ihre Sorgen an und wiederholte meine eigene Sichtweise ruhig und stetig immer wieder. Sehr zu meiner eigenen Überraschung erfolgte irgendwann ein Umdenken: Die Medienvertreter baten mich schließlich sogar um die Vermittlung eines Dialogs mit dem Präsidenten.

Wenn Sie befürchten, der Provokation des anderen langfristig nicht standhalten zu können, sollten Sie einen Freund oder Kollegen hinzuziehen. Ob stillschweigend oder nicht: Ein Verbündeter erinnert Sie an Ihr eigentliches Ziel. Er kann die Situation eingehend beobachten und vermag Sie zu beruhigen, wenn Sie die Kontrolle verlieren. Mit anderen Worten: Ihr Freund kann Ihnen als Balkon dienen.

Nutzen Sie die Macht, nicht zu reagieren

Das bewusste Vermeiden einer Reaktion verleiht Ihnen ungeheure Macht.

In einem spätabendlichen Meeting mit Präsident Chávez und seinem Kabinett wütete dieser gegen seine politische Opposition. Eine geschlagene Stunde lang schleuderte er mir seinen Zorn und seine Frustration ins Gesicht. Er deutete an, dass ich genauso wie andere neutrale Beobachter mit Blindheit geschlagen sei. Natürlich hatte ich sofort das Gefühl, mich und meine Kollegen verteidigen zu müssen, aber ich spürte, dass ihn dies nur noch wütender machen würde. Ich fragte mich zudem, ob er mit seinem Verhalten nur Härte zur Schau stellen wollte, um seine Minister zu beeindrucken. Also holte ich tief Luft, kniff mir in die Handfläche, um mich zu konzentrieren, und wartete, dass er die verschiedenen Stadien von Wut über Trauer bis hin zu Akzeptanz durchlebte. Und tatsächlich: Nach einer Stunde wurde er ruhiger und fragte mich mit leicht gereizter und resignierter Stimme: »Ury, was würden Sie mir raten?« Auf diese Gelegenheit hatte ich gewartet. Jetzt hatte ich seine ganze Aufmerksamkeit. Nun konnte ich ihm das unterbreiten, was ich ihm von Anfang an hatte vorschlagen wollen, nämlich eine Auszeit über Weihnachten, sodass sämtliche Konfliktparteien etwas Zeit auf dem Balkon verbringen und die Menschen die Ferien genießen konnten. Schon bald danach unterhielt sich der Präsident in liebenswürdigem Ton mit mir. Er lud mich sogar ein, mir mit ihm die Gegend anzuschauen. Folgende Lektion lernte ich daraus: Vermeiden Sie es zu reagieren, schauen Sie sich das Drama genau an und warten Sie auf Ihre Gelegenheit zum Antworten.

Sobald Sie reagieren, überlassen Sie dem anderen die Kontrolle über die Situation. Wer nicht reagiert, hat mehr Macht und Einfluss. Nichts illustriert dieses Prinzip besser als die Entwicklungen in Südafrika während der politischen Übergangsphase von der Apartheid zur Mehrheitsregierung. Im April 1993 töteten Attentäter Chris Hani, einen äußerst populären und respektierten schwarzen Anführer. Tokyo Sexwale, ein führendes Mitglied des ANC (African National Congress) und enger Freund Hanis, beschreibt die darauf folgenden Geschehnisse: »Der Zwischenfall um Chris Hani hätte fast all unsere Bemühungen zunichte gemacht: unser Streben, unsere Versöhnung, unsere Entschlossenheit, ein vereintes Volk zu sein, und vor allem unsere Vision – von der Einführung der Demokratie, vom Ende des Krieges, vom Schweigen der Waffen und von Kindern, die Rosen in die Gewehrläufe stecken.

Sein Schädel war zerschmettert. Dieser Tag war einer der schlimmsten meines Lebens: An jenem Morgen weckte man mich mit der Nachricht, dass auf Chris geschossen worden sei. Ich rannte gleich hinüber (wir waren direkte Nachbarn) und erwartete, dass man mir sagen würde: ›Wir müssen Chris ins Krankenhaus bringen.‹ Aber als ich ihn sah, war mir sofort klar, dass er tot war. Was sagt man in solch einem Augenblick? Man hat die Wahl. Entweder man steht da und sagt vor den Hunderten von Medienvertretern: ›Auf in den Krieg!‹, womit man das Gefühl der Mehrheit, einer überwältigenden Mehrheit – und insbesondere der schwarzen Südafrikaner – in Worte gefasst hätte. Ich meine, Chris zu töten war eine unvorstellbare, wenn nicht gar die schlimmste Provokation, die man sich denken kann …

Wir hätten das Pulverfass täglich zünden können. Schon nach Nelson Mandelas Rückkehr aus der Transkei hätte Bürgerkrieg geherrscht. Immerhin waren wir zu diesem Zeitpunkt die Oberbefehlshaber unserer Truppen, und die Menschen wären uns gefolgt.«

Aber Sexwale, Mandela und die übrigen Mitglieder des ANC hielten ihre Gefühle unter Kontrolle: Sie richteten den Blick weiterhin auf ihr Ziel und entschieden sich bewusst dafür, nicht zu reagieren. Stattdessen rangen sie der Regierung eine kritische, strategische Konzession ab, wobei sie argumentierten, dass sie die lautstarken Racheforderungen des Volkes ohne ein sichtbares Zeichen des Erfolgs nicht effektiv würden ignorieren können. Um es noch einmal in Sexwales Worten zu sagen:

»Wir nutzten die Gunst der Stunde äußerst geschickt …, um [de Klerk, dem Präsidenten der weißen Minderheitsregierung] zu sagen: Setzen Sie an Chris’ Todestag einen Termin für Neuwahlen an … Denn ohne einen Wahltermin hätten wir den Menschen nichts sagen, ihnen keine Hoffnung geben können.«

Gegen die anfänglichen Einwände der Apartheidregierung wandte sich Nelson Mandela in einer Fernsehansprache an das gesamte Volk, um dessen Gefühle der Trauer und des Zorns und seinen Rachedurst zu beruhigen. Wie Sexwale es formulierte: »An jenem Abend war es offensichtlich – der Präsident spricht zum Volk. Damit war de Klerks Ende besiegelt. Wir mussten es durch eine Wahl nur noch formell bestätigen lassen.« Diese alles verändernde Wahl fand innerhalb eines Jahres statt.

Eine gewaltsame Reaktion hätte kurzfristig zwar eine Erleichterung bedeutet, langfristig hätten der ANC und das afrikanische Volk dabei jedoch nur verlieren können. Durch das bewusste Vermeiden einer Reaktion auf diese ernste und tragische Provokation besiegelten Mandela und seine Verbündeten das Ende des Apartheidregimes.

Wenn also Ihr Gegenüber heftig auf Ihr Nein reagiert, dann denken Sie daran, wie viel Macht und Einfluss Sie haben, wenn Sie selbst sich zu keinerlei unbedachter Reaktion hinreißen lassen. Manchmal fällt Ihnen die Belohnung in den Schoß, weil Sie etwas nicht tun.

Hören Sie respektvoll zu

Die vielleicht einfachste Möglichkeit, wie Sie dem anderen dabei helfen können, vom Widerstand zur Akzeptanz zu gelangen, besteht darin, respektvoll zuzuhören, genau wie Sie es in der Anfangsphase Ihres Neins taten. Verhalten Sie sich respektvoll, auch wenn man Sie provoziert. Denken Sie dabei daran, dass Sie sich nicht um der anderen willen, sondern um Ihrer selbst willen so verhalten. Bleiben Sie sich und Ihren Werten treu. Und bleiben Sie mit dem anderen in Verbindung.

Achten Sie beim Zuhören auf Ihre Schuldgefühle. Denken Sie daran, dass Sie für die Reaktion des anderen nicht verantwortlich sind. Betrachten Sie seine Reaktion auf Ihr Nein als naturgegeben und lassen Sie sie zu. Versuchen Sie nicht, ihn vor Gefühlen wie Enttäuschung oder Trauer zu bewahren; sie gehören zum Prozess der Akzeptanz dazu. Mitgefühl ist zwar eine schöne Sache, aber es schwächt Sie und kann dazu führen, dass Sie nachgeben. Seien Sie empathisch (also verständnisvoll), ohne Sympathie zu entwickeln (also den Schmerz Ihres Gegenübers wirklich nachzuempfinden). Auch Empathie ist eine Form des Respekts.

Wiederholen Sie das Gesagte des anderen mit Ihren Worten

Die meisten Konfliktsituationen sind nicht gerade von Verständnis und Respekt geprägt. Wenn Sie beides an den Tag legen, wird Ihr Gegenüber aufrichtig überrascht sein und sich entspannen. Hören Sie dem anderen genau zu und demonstrieren Sie ihm Ihre volle Aufmerksamkeit. Ein hervorragendes Hilfsmittel hierzu ist die Paraphrase – wiederholen Sie mit Ihren eigenen Worten, wie Sie ihn verstanden haben. Diese nützliche Technik wurde bereits im Mittelalter angewandt. An der Universität von Paris galt bei theologischen Debatten die Regel, das zu wiederholen, was der andere gesagt hatte, bis dieser davon überzeugt war, dass man ihn richtig verstanden hatte. Erst dann konnte man seine eigene Ansicht vortragen. Die Diskussion auf diese Weise zu verlangsamen kann maßgeblich zu einer Beschleunigung des Verstehens beitragen.

Wenn Sie allerdings auf mechanische oder unaufrichtige Weise paraphrasieren, erzielen Sie das Gegenteil der gewünschten Wirkung und gehen Ihrem Gegenüber auf die Nerven. Aufrichtig ausgeführt dient diese Technik drei nützlichen Zwecken. Sie zeigen Ihrem Gegenüber, dass Sie ihn verstehen wollen, was eine Geste des Respekts ist. Sie sorgt dafür, dass Sie auch tatsächlich verstehen, was gesagt wird. Und sie erlaubt es Ihnen, ein paar Sekunden lang auf den Balkon zu treten und nachzudenken, bevor Sie antworten.

Einige gebräuchliche Formulierungen, um den Prozess des Paraphrasierens zu beginnen, lauten:

 
  • »Ich will mich vergewissern, dass ich Sie richtig verstanden habe.«
  • »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollen Sie Folgendes sagen …«
  • »Helfen Sie mir, Sie zu verstehen. Wenn ich Sie nicht missverstanden habe, meinen Sie …«

Erkennen Sie den Standpunkt des anderen an – ohne Ihren eigenen aufzugeben

Ein weiterer Schritt, der über das Paraphrasieren hinausgeht, besteht darin, die Gültigkeit des Standpunkts Ihres Gegenübers anzuerkennen, ohne Ihren eigenen aufzugeben.

Diese Art von Anerkennung erlaubt es Ihnen, Ihre eigene Haltung zu unterstreichen und die des anderen trotzdem zu respektieren. »Ich verstehe, was Sie sagen wollen. Ihre Argumente sind nachvollziehbar. Aber ich sehe die Situation trotzdem anders.« Sie erkennen die Sichtweise des anderen an, aber Sie stimmen ihr nicht zu.

Betrachten wir die Unterhaltung zwischen einer Mutter und ihrer kleinen Tochter genauer:


Tochter: Ich hätte so gern eine kleine Schwester.

Mutter: Ich verstehe, wie sehr du dir ein Schwesterchen wünschst. Und ich wünschte, wir könnten dir diesen Wunsch erfüllen, Schatz, aber das ist unmöglich.

Tochter: Och bitte, Mama. Ich wünsche mir doch sooooooo sehr eine. Bitte!

Mutter: Du bist jetzt wirklich enttäuscht, nicht wahr, mein Schatz?

Tochter: Uhhuuu. (Sie fängt an zu weinen.)

Mutter: Es tut mir leid, dass du so traurig bist. Ich wünschte, Papa und ich könnten noch ein Kind bekommen, aber das geht nicht. (Die Tochter weint weiter.)

Mutter: Das ist sehr schlimm für dich, stimmt’s?

Tochter (nickt): Das ist nicht fair. Ich bin die Kleinste in der Familie. Und das will ich nicht sein.

Mutter: Du bist nicht gern die Jüngste, nicht wahr?

Tochter (schluchzend): Nein.

Die Mutter versucht nicht, mit ihrer Tochter zu streiten oder ihr einen Rat zu geben. Sie hört nur einfach zu und erkennt ihre Gefühle an. Sie versucht zu spiegeln, was sie hinter ihren Worten heraushört. Sie erlaubt ihrer Tochter, Enttäuschung und Trauer zu empfinden. Sie erkennt die Gefühle ihrer Tochter an, aber sie gibt nicht nach. Das ist Respekt. (Glücklicherweise konnte bei diesen Verhandlungen eine Lösung entwickelt werden. Die Familie schaffte sich einen Welpen an – der viel kleiner war als das Mädchen –, und die Tochter war glücklich.)

Ersetzen Sie »Aber« durch »Ja … Und«

Die meisten Menschen denken nur in den Kategorien Entweder-Oder. Entweder man selbst hat Recht oder der andere. Entweder die eigenen Interessen werden befriedigt oder die des anderen. Entweder bekommt man selbst, was man will, oder der andere. Raum ist nur für einen Standpunkt, deshalb muss der andere ausgemerzt werden. Eine solche insgeheim bei vielen Personen existierende Grundannahme schafft unnötig polarisierende Konflikte. Diese wiederum lenken die Aufmerksamkeit von unserem wahren Ziel ab, welches darin besteht, den anderen dazu zu bringen, unsere Bedürfnisse zu respektieren.

Versuchen Sie, Konfliktsituationen eher unter der Prämisse Sowohl-als-auch zu betrachten. Der andere hat einen Standpunkt und Sie ebenfalls. Das Wesen Ihres positiven Neins besteht nicht in der Zurückweisung des anderen, sondern in der Bekräftigung Ihrer grundlegenden Bedürfnisse und Werte.

Auf der konkreten Ebene wird diese Veränderung im Denken dadurch markiert, dass Sie das Wort »aber« durch die Formulierung »Ja … Und« ersetzen. Wenn Ihr Kunde einen Preisnachlass fordert und behauptet: »Ihre Preise sind viel zu hoch!«, ist die Versuchung groß, etwas zu erwidern wie: »Aber beachten Sie doch unsere hohen Qualitätsstandards, unsere Dienstleistungen, unsere Verlässlichkeit.« Aber ist jedoch ein Schlüsselwort, das Widerspruch signalisiert. Die Menschen mögen keinen Widerspruch, deshalb hören sie anschließend gar nicht mehr richtig hin. Wahrscheinlich fallen Ihre Argumente auf erheblich fruchtbareren Boden, wenn Sie zuerst einmal den Standpunkt des anderen anerkennen und dann anfangen, den Ihren darzulegen – nicht als Widerspruch, sondern als zusätzlichen Gedanken. »Ja, Sie haben Recht, unsere Produkte sind nicht ganz billig. Und wenn man die Qualität bedenkt, ebenso wie unseren Service und unsere Verlässlichkeit, werden Sie letztlich sicherlich feststellen, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.« Dies ist eine einfache, aber wirkungsvolle Veränderung in der Formulierung.

Sagen Sie: »Oh! Und? Nein.«

Die Anonymen Alkoholiker kennen eine nützliche Technik, um mit der Reaktion der anderen auf ein Nein umzugehen. Was immer der andere sagt, man reagiert zunächst mit einem der drei folgenden Worte:

 
  • Oh! Mit anderen Worten: Erkennen Sie den Standpunkt des anderen auf neutrale, nicht reaktive Weise an.
  • Und? Lassen Sie Ihr Gegenüber sämtliche Taktiken und Tricks herunterspulen und bleiben Sie völlig unbewegt.
  • Nein. Wiederholen Sie Ihr Nein.

Stellen Sie sich vor, ein Bekannter hat Sie gebeten, ihm Geld zu leihen, und Sie haben bereits Nein gesagt. Das Gespräch könnte also folgendermaßen verlaufen:


Bekannter: Ich habe kein Geld mehr.


Sie: Oh!


Bekannter: Ich bin völlig pleite.


Sie: Oh!


Bekannter: Ich brauche das Geld wirklich.


Sie: Oh!


|208|Bekannter: Du bist doch immer ein guter Freund gewesen.


Sie: Und?


Bekannter: Kannst du mir nicht etwas leihen?


Sie: Nein.


Natürlich muss der Dialog nicht immer so kurz angebunden sein, aber die Praxis ist einfach und leicht zu behalten. Besonders für Menschen, die notorisch zur Anpassung neigen, kann dies eine nützliche Übung sein, um den Standpunkt des anderen anzuerkennen, ohne ihn zu übernehmen.

Seien Sie standhaft wie ein Baum

Genau wie Bäume den Stürmen zu trotzen wissen, indem sie sich dem Wind beugen, ohne zu brechen, müssen wir gleichzeitig fest und flexibel sein, wenn wir jemandem standhalten wollen, der nicht bereit ist, unser Nein zu akzeptieren.

Die größte Herausforderung besteht darin, sich mit der Reaktion des anderen auseinanderzusetzen. Wie leicht ist es doch, nachzugeben oder anzugreifen – also Reaktion mit Gegenreaktion zu vergelten. Aber das ist gar nicht notwendig.

Sogar in der schwierigen Situation, die wir zu Beginn dieses Kapitels schilderten, fand Dick Goodwin, der junge Redenschreiber, der von seinem Amt zurücktreten wollte, einen Weg, seinem Ja treu zu bleiben. Trotz Präsident Johnsons Theatralik und Manipulationen gab Goodwin weder nach noch setzte er zum Gegenangriff an. Er blieb seiner ursprünglichen Absicht treu, trat zurück und nahm das Stipendium an. Und obwohl LBJ es ihm eine Zeit lang heimzahlte, indem er Goodwin aus seinem Büro verbannte, gab er letztlich nach und akzeptierte das Nein. Seine Antwort auf Goodwins schriftliches Rücktrittsgesuch verdeutlicht, dass sein Zorn sich zunächst in Trauer und schließlich in echte Akzeptanz verwandelte. »Lieber Dick«, schrieb LBJ. »Ich lese [Ihren Brief] mit ebenso tiefen wie gemischten Gefühlen – mit großem Bedauern für Ihre Entscheidung, mit Dankbarkeit für die Zuneigung, die darin zum Ausdruck kommt, und mit neuer Wertschätzung für den Mann, der ihn geschrieben hat.« Anschließend lud er Goodwin wieder ins Weiße Haus ein, damit er seine Rede zur Lage der Nation schrieb.

Wenn Sie die verschiedenen Phasen der Akzeptanz kennen und verstehen, so können Sie den emotionalen Prozess, den Ihr Gegenüber durchmachen wird, vorausahnen und sich das Drama wie ein Theaterzuschauer ansehen. Als unbeteiligter Beobachter geraten Sie nicht so schnell in Versuchung, nachzugeben oder anzugreifen. Diese Position erlaubt es Ihnen, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten und dann erst zu handeln. Indem Sie eine Gegenreaktion vermeiden, geben Sie der Angst und dem Zorn des anderen Gelegenheit abzuklingen, was wiederum den Weg ebnet, damit er die Realität Ihres Neins akzeptieren kann. Indem Sie den emotionalen Prozess Ihres Gegenübers respektieren, wie Goodwin es bei LBJ tat, verbessern Sie die Chancen, in Zukunft eine freundschaftliche Beziehung zu dem Betreffenden aufzubauen oder zu erhalten.

Wenn der andere sich jetzt jedoch immer noch weigert, Ihre Haltung zu akzeptieren, müssen Sie Ihr Nein unterstreichen, indem Sie Ihre ganze Macht einsetzen. Und genau mit diesem Thema befasst sich das folgende Kapitel.