2 Verleihen Sie Ihrem Nein Macht

Bereit zu sein ist schon der halbe Sieg.
Miguel de Cervantes Saavedra

Es ist nicht leicht, Nein zu sagen. Sie brauchen genug Selbstvertrauen, um auch angesichts einer heftigen Reaktion Ihres Gegenübers für sich selbst einzutreten. Sie brauchen Kraft, um Ihr Nein durchzuhalten, wenn der andere es partout nicht respektieren will. Genauso wichtig wie die Enthüllung des Jas ist es deshalb, dem Nein Macht zu verleihen.

Entwickeln Sie positive Macht

Wenn Sie aus Ihren Interessen eine klare und starke Absicht herausgefiltert haben, wird es Zeit, Ihre Absicht mit einem Plan B zu stützen, einer praktischen Strategie, die der Wahrung Ihrer Hauptinteressen dient, falls der andere sich weigert, Ihr Nein zu akzeptieren. Ein Plan B ist positive Macht. Während negative Macht vornehmlich bestrafen will, zeigt die positive Variante sich in der Fähigkeit, die eigenen Interessen und Bedürfnisse zu schützen und voranzutreiben.

Ein Beispiel vermag das enorme Potenzial positiver Macht am besten zu illustrieren. Es war einmal eine Frau, deren Familie gehörte einer aus rassistischen Gründen unterdrückten Minderheit an. Sie arbeitete als Schneidergehilfin in einem Kaufhaus. Das mächtige Nein, das sie der Rassendiskriminierung in ihrer Heimatstadt entgegensetzte, war der Beginn der Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten. Ihr Name war Rosa Parks.

Nach einem langen Arbeitstag im Dezember 1955 stieg Parks in einen Bus, um die Heimfahrt anzutreten. Zu dieser Zeit litten die Schwarzen in weiten Teilen der USA unter der Ungerechtigkeit legalisierter Rassentrennung in sämtlichen Bereichen des Gesellschaftslebens, unter anderem auch in öffentlichen Verkehrsmitteln. In einer Gesellschaft, die sich die Gleichheit aller Menschen auf die Fahne geschrieben hatte, wurden sie als Bürger zweiter Klasse behandelt. Was an jenem Abend geschah, beschreibt Parks folgendermaßen:

»Ich befand mich nicht ganz vorn im Bus, sondern wählte einen Sitzplatz neben einem Mann, der am Fenster saß – es war der erste Platz im Bus, wo ›Farbige‹ zugelassen waren. Drei Haltestellen weiter stiegen ein paar Weiße ein. Einer musste stehen, weil nicht genug Plätze frei waren. Als der Fahrer dies bemerkte, richtete er sich an uns (den schwarzen Mann und die beiden schwarzen Frauen auf der anderen Seite des Mittelganges) und forderte uns auf, dem Weißen einen Sitzplatz zu überlassen. Die anderen drei schwarzen Fahrgäste erhoben sich sofort. Als der Fahrer bemerkte, dass ich sitzen blieb, forderte er mich erneut auf, meinen Platz zu räumen, und ich sagte: ›Nein, das werde ich nicht tun.‹ ›Dann lasse ich Sie einsperren‹, lautete seine Antwort. Ich verkündete, dass er das ruhig tun solle. Er fuhr den Bus nicht weiter. Und viele Schwarze stiegen aus.

Ein paar Minuten später stiegen zwei Polizisten ein. Der Fahrer berichtete ihnen von meiner Weigerung, mich zu erheben. Der Polizist kam zu mir herüber und fragte mich nach dem Grund. Ich antwortete ihm, dass ich es nicht für meine Pflicht hielt, aufzustehen. ›Warum kommandiert ihr Weißen uns ständig herum?‹, fragte ich ihn. ›Keine Ahnung‹, antwortete er. ›Aber Gesetz ist Gesetz, und deshalb sind Sie jetzt verhaftet.‹ Nach diesen Worten erhob ich mich und verließ zusammen mit den beiden Polizisten den Bus.«

Rosa Parks wurde tatsächlich ins Gefängnis gebracht. Obwohl sie noch am gleichen Abend gegen Kaution freigelassen wurde, rüttelte ihre Verhaftung die Gemeinschaft der schwarzen Bürger Amerikas wach und löste einen beispiellosen elfmonatigen Busboykott aus, der von einem jungen Pfarrer namens Martin Luther King Jr. organisiert wurde, und der die Behörden schließlich zwang, die Rassentrennung innerhalb öffentlicher Verkehrsmittel aufzugeben.

Rosa Parks, die seither als Ikone der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung gilt, besaß zwei wichtige Eigenschaften der positiven Macht: eine starke Intention und einen praktischen Plan B, um sie zu stützen. Während ihrer jahrelangen Tätigkeit als Bürgerrechtsaktivistin hatte sie ihre Intention und Zielrichtung nicht nur mit Gleichgesinnten geteilt, sondern auch weiterentwickelt. In der beliebten Nacherzählung ihrer Geschichte wird ihre Weigerung aufzustehen als die spontane Handlung einer müden Näherin dargestellt. In Wirklichkeit jedoch war Parks eine erfahrene und ausgebildete Aktivistin mit festen Überzeugungen. Seit vielen Jahren schon war sie Mitglied der Ortsgruppe des NAACP (National Association for the Advancement of Colored People), einer nationalen Organisation, die sich für die Gleichbehandlung von Schwarzen einsetzt. Die Leiter der Ortsgruppe suchten schon seit langem nach einem Präzedenzfall, durch den sie die Legalität der Rassentrennung in Bussen anfechten und die öffentliche Meinung durch eine Reihe von Protesten für sich gewinnen konnten. Als sich die Gelegenheit bot, waren Parks und ihre Verbündeten zur Stelle und bereit, ihren Plan B auszuführen.

Eine Freundin beschrieb Parks einst als Frau, die Autoritäten in der Regel keineswegs missachtete, sondern die sich einfach nur weigerte, klein beizugeben, wenn sie sich einmal für einen Weg entschieden hatte. »Sie konnte einen ignorieren, ausweichend reagieren, aber niemals gab sie nach.« Parks kannte die Konsequenzen einer Inhaftierung und war bereit, ihren Fall, wenn nötig, bis hin zum Supreme Court, dem amerikanischen Oberlandesgericht, zu verfolgen. Und schließlich geschah genau das. Der Supreme Court beschloss die Aufhebung der Rassentrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln, und der Rest ist bekannt.

Parks Plan B sollte niemanden bestrafen, sondern das tiefere Ja hinter ihrem Nein schützen, ein Ja zur Würde und Gleichheit aller Menschen. Objektiv betrachtet hatte sie bei der Situation im Bus nur sehr wenig Macht. Trotzdem besaß sie die positive Macht, ihr Nein zu vertreten und ihr Ja damit zu stützen. Allein das war ausreichend, um eine Revolution im Namen der Menschenwürde auszulösen, die nicht nur landesweit, sondern auf der ganzen Welt ihren Nachhall fand.

Verwandeln Sie Furcht in Selbstvertrauen

Die meisten Menschen denken nur sehr ungern über einen Plan B nach, denn sie schrecken davor zurück, sich den »schlimmsten Fall« vorzustellen. Vielleicht halten sie es für unnötig oder illoyal oder verschieben es lieber auf später. Wenn Sie ein mächtiges Nein übermitteln wollen, gibt es meiner Erfahrung nach jedoch keine wichtigere und letztlich auch effektivere Übung für Sie. Denn zusätzlich zu der objektiven Kraft, die ein Plan B Ihnen verleiht, hilft er Ihnen, Ihre Furcht und Ihren Zorn in Zuversicht und Entschlossenheit zu verwandeln. Betrachten Sie den Entwurf eines Plan B nicht als Schwarzmalerei, sondern als alternative Erfolgsstrategie.

Wenn Sie glauben, von der Kooperation Ihres Gegenübers vollkommen abhängig zu sein, verwandeln Sie sich faktisch in seine Geisel. Angst und Wut sind die natürliche Folge, was zu unwillkürlichen Reaktionen wie Anpassung oder Angriff führt. Vielleicht liegt der größte Nutzen eines Plan B darin, dass er Ihnen die psychologische Freiheit gibt, die Sie benötigen, um effektiv Nein zu sagen – ohne sich anzupassen, auszuweichen oder anzugreifen.

Die Ironie an der Geschichte: Je notwendiger es für Sie ist, dass der andere tut, was Sie wollen, umso mehr Macht geben Sie ihm über sich und umso weniger Einfluss haben Sie selbst. Wenn Sie es nicht nötig haben, werden Sie den anderen in Konfliktsituationen viel eher dazu bringen, das zu tun, was Sie wollen.

Stellen Sie sich zum Beispiel folgende eheliche Auseinandersetzung vor. Joan war extrem unglücklich über die mangelnde Kommunikation mit ihrem Ehemann – nennen wir ihn John. Die emotionale Verbindung zu ihm war ihr ungeheuer wichtig und ihrer Ansicht nach führten sie so gut wie überhaupt keine wirklich tiefgehenden Gespräche. Jahrelang hatte Joan ihn kritisiert und ihn gebeten, doch mit ihr zu reden, aber je mehr sie an ihm herumnörgelte, umso stärker zog er sich zurück. Ihr Nein zu diesem Verhalten schien nur die gegenteilige Reaktion zu dem zu provozieren, was sie suchte. Ihre Ehe stand kurz vor dem Scheitern.

Nach mehreren Sitzungen bei der Eheberatung dachte Joan intensiv über ihren Plan B nach: über die Trennung von ihrem Mann, die sie eigentlich gar nicht wollte. Doch schließlich fand sie sich damit ab, dass dies eine realistische Lösung war, solange ihre grundlegenden Interessen nicht befriedigt wurden. Sie nahm all ihren Mut zusammen und stellte sich ihren Ängsten. Dann fühlte sie sich stark genug, auf andere und selbstbewusstere Art und Weise Nein zu sagen.

»Ich bin nicht mehr bereit, zu akzeptieren, wie selten wir uns unterhalten«, informierte sie ihren Mann ruhig. »Und ich bin nicht mehr bereit, dich dazu zu drängen. Aber glaube nicht, dass ich mich mit der Situation abgefunden habe, nur weil ich nicht mehr an dir herumnörgele oder dich kritisiere. Ich habe einfach nur keine Lust, hinterher auf bemitleidenswerte Weise dankbar zu sein, nur weil mein Partner sich vielleicht doch herablässt, mit mir zu reden. … Und was dich angeht, möchte ich nicht, dass du dich von einem kreischenden Eheweib die ganze Zeit über unter Druck gesetzt fühlst. Von heute an interpretiere ich das, was du tust, als Zeichen für deine Entscheidung, wie du wirklich leben willst. Und ich werde meine Entscheidung dementsprechend für mich treffen.«

Mit anderen Worten: Joan versuchte das Verhalten ihres Mannes nicht länger zu kontrollieren. Sie entschied einfach nur noch, wie sie handeln würde. Sie verpflichtete sich, ein anderes Leben zu führen, eines, das ihren Bedürfnissen gerecht wurde, unabhängig davon, wie John sich in Zukunft verhalten würde. Paradoxerweise trug dieser Ansatz zur Rettung der Ehe bei, und die beiden entwickelten eine tiefere Beziehung: Joans neues Selbstvertrauen und ihre Macht erlaubten es ihr, ihre destruktive Kritik einzustellen, wodurch John sich stärker öffnete und häufiger über seine Gefühle und Bedürfnisse sprach. Ein positives Nein brachte sie ihrem Mann näher, statt sie von ihm zu entfernen.

Die Herausforderung bei der Artikulation unseres Neins besteht darin, unser »Bedürfnis« zum Ausdruck zu bringen – also das Interesse, den Wunsch oder die Sorge –, ohne »Bedürftigkeit« zu signalisieren. Bedürftigkeit nämlich schafft für beide Beteiligten eine Stresssituation: Ihr Gegenüber hat das Gefühl, genötigt zu werden, und Sie selbst leiden unter Schwäche und Abhängigkeit. Sie haben vielleicht bestimmte Bedürfnisse, aber Sie »bedürfen« nicht seiner Mitarbeit. Natürlich wünschen Sie sich seine Kooperation sehr, aber falls Sie sie nicht erhalten, haben Sie alternative Möglichkeiten, um Ihre Bedürfnisse zu befriedigen.

Deshalb müssen Sie zuallererst einmal für sich selbst eintreten – so wie Joan es tat. Stellen Sie sich Ihren Ängsten vor Beziehungsverlust oder Konkurs, Ihren Befürchtungen vor der Reaktion des anderen auf Ihr Nein und vor seinen mutmaßlichen Vergeltungsmaßnahmen. Der nächste Schritt besteht darin, sich von Ihren Ängsten zu entfernen, Verantwortung für die Befriedigung der eigenen Interessen und Bedürfnisse zu übernehmen, und zwar mit oder ohne die Kooperation des anderen.

Entwerfen Sie einen Plan B

Die beste Alternative, um Ihre Interessen zu wahren, wenn der andere Ihr Nein nicht akzeptiert, besteht in einem Plan B. Er ist gleichbedeutend mit Ihrer Fähigkeit, sich um Ihre Bedürfnisse zu kümmern, unabhängig davon, ob Ihr Gegenüber sich entschließt, Ihre Interessen zu respektieren oder nicht. Im Buch Das Harvard-Konzept wird dies kurz »Beste Alternative« genannt (in der amerikanischen Ausgabe wird die Abkürzung BATNA verwendet für »Best Alternative to Negotiated Agreement«).

Wenn Sie sich nicht mehr von Ihrem Vorgesetzten schikanieren lassen wollen, besteht Ihr Plan B vielleicht darin, sich um eine Versetzung in eine andere Abteilung zu bemühen oder die Personalabteilung um Unterstützung zu bitten. Wenn Sie sich von den unangemessenen Forderungen eines Kunden nicht länger unter Druck setzen lassen wollen, kann Ihr Plan B die Suche nach einem neuen Kunden sein. Oder Sie bitten Ihren Chef um Hilfe, der sich wiederum mit dem Vorgesetzten Ihres Verhandlungspartners in Verbindung setzt, um eine Lösung zu finden. Diese Alternativen sind zugegebenermaßen nicht besonders attraktiv, trotzdem ist es wichtig, sie bei der Vorbereitung auf das Nein im Hinterkopf zu behalten. Wenn Ihr Gegenüber mehr Macht besitzt als Sie selbst, kann der Entwurf eines praktischen Plan B dazu beitragen, ein gewisses Gleichgewicht zwischen Ihnen beiden herzustellen, sodass Sie deutlich gelassener Nein sagen können.

Während ich mich im Namen meiner Tochter mit dem medizinischen System auseinandersetzte, machte ich die Erfahrung, dass ein Plan B von unschätzbarem Wert sein kann. Um beispielsweise für das Wohlergehen unserer Tochter zu sorgen, mussten meine Frau und ich feste Grenzen setzen, um wiederholte und häufig traumatische medizinische Untersuchungen zu verhindern, die vornehmlich den Medizinstudenten, aber nicht unserer Tochter zugute gekommen wären. Wenn die Ärzte diese Grenzen nach wiederholten höflichen Aufforderungen nicht respektierten, bestand unser Plan B darin, uns an die höchstmöglichen Verantwortlichen innerhalb des medizinischen Systems zu wenden und, falls nötig, Ärzte und Krankenhäuser zu wechseln.

Ein Plan B ist unabhängig von der Kooperation des anderen. Stellen Sie sich vor, Sie stünden auf der Reise des positiven Neins nunmehr an einer Weggabelung: Eine Straße führt zur Akzeptanz des Neins – nennen Sie es Plan A, wobei das A für Akzeptanz steht. Der andere Weg führt zu Ihrem Plan B, Ihrer »Besten Alternative«.

Die Geschichte des »Mannes, der Nein zu Wal-Mart sagte«, demonstriert, welche Macht ein Plan B haben kann. Jim Wier war CEO von Simplicity, einer Firma, der die qualitativ hochwertige Rasenmäher-Marke Snapper gehörte. Snapper machte Geschäfte mit Wal-Mart, die sich in einem Umfang von mehreren 10 Millionen Dollar bewegten. Wal-Mart bestand auf einer beträchtlichen Preisreduzierung und stellte als Gegenleistung dramatisch erhöhte Umsätze in Aussicht. In der Regel gilt es als geschäftlicher Selbstmord, Nein zu Wal-Mart zu sagen, und die meisten CEOs hätten dieses Angebot sowieso viel zu verlockend gefunden, um es ausschlagen zu können. Nicht so Jim Wier, der eine sehr genaue Vorstellung davon hatte, wohin ihn dieser Prozess in den kommenden zehn Jahren führen würde: Die Preise würden kontinuierlich weiter sinken, was unweigerlich auf Kosten der Qualität, Zuverlässigkeit und Haltbarkeit gehen würde, die die Snapper-Produkte in den Augen der Konsumenten bislang garantiert hatten. Obwohl Wal-Mart fast 20 Prozent des Firmenumsatzes abdeckte , sagte Wier Nein und nahm in Kauf, diese 20 Prozent über Nacht zu verlieren. Nur so konnte er Ja zu den wichtigen Werten sagen, für die Snapper stand, und damit – aus Wiers Sicht – das langfristige Überleben der Marke sichern.

Diese mutige Entscheidung konnte Wier nur deshalb treffen, weil er einen Plan B hatte. Dieser Plan sah vor, Snapper Rasenmäher ausschließlich über ein unabhängiges Händlernetzwerk zu vertreiben – 10 000 Händler, die das Produkt genau kannten, würden die Kunden im Umgang damit schulen und konnten einen zuverlässigen Reparaturservice anbieten. Wier kommentiert die weitere Entwicklung folgendermaßen: »Als wir die Händler davon informierten, dass Snapper nicht mehr über Wal-Mart vertrieben würde, waren sie sehr glücklich mit dieser Entscheidung. Meiner Auffassung nach haben wir einen Großteil unseres Marktsegmentes zurückgewonnen, weil wir die emotionale Unterstützung der Händler gewonnen hatten.«

Die beste Ausweichalternative statt armseligem Rückzug

Ihr Plan B ist ein Back-up, eine Sicherung. Eigentlich möchten Sie Kunden behalten, aber nur, wenn die Beziehung für beide Seiten lukrativ ist. Sie würden gern in Ihrem Job bleiben, wenn Ihr Vorgesetzter Sie so respektvoll behandelt, wie Sie es verdienen. Sie möchten Ihre Ehe aufrechterhalten, solange Sie sich darin sicher aufgehoben fühlen und nicht seelisch oder körperlich misshandelt werden. Aber wenn es den Anschein hat, dass Sie nicht bekommen, was Sie brauchen, können Sie auf Ihren Plan B zurückgreifen. Er ist der letzte Ausweg, wenn Ihr Gegenüber Ihr Nein nicht akzeptiert.

Der Plan B wird häufig mit einer Ausweichlösung verwechselt – einer Vereinbarung, mit der Ihr Gegenüber sich einverstanden erklären könnte, falls Ihr Nein sich als inakzeptabel erweist. Aber Ihr Plan B ist keine Ausweichlösung – kein Kompromiss und keine zweitbeste Möglichkeit. Ein Plan B ist überhaupt keine Option für eine Einigung, sondern eine Alternative, eine mögliche Vorgehensweise , die von der Zustimmung des anderen unabhängig ist. Wenn Sie mit diesem oder jenem Kunden keine Vereinbarung erzielen können, könnte Ihr Plan B darin bestehen, auf diesen spezifischen Geschäftsabschluss zu verzichten und sich einen anderen Kunden zu suchen. Letzten Endes benötigen wir für Optionen die Zustimmung oder Akzeptanz des anderen. Für einen Plan B benötigen wir das nicht.

Ihr Plan B kann also ein wertvoller Bezugspunkt sein, um einen jeglichen Vorschlag, den Sie im Rahmen Ihres positiven Neins machen, oder eine mögliche Vereinbarung, die Sie in Betracht ziehen, zu bewerten. Sie können sich stets die Frage stellen: »Welche Vorgehensweise kommt meinen Interessen eher zugute – wenn ich diese Vereinbarung akzeptiere oder wenn ich auf meinen Plan B zurückgreife?«

Stärkung statt Bestrafung

In schwierigen Situationen hält man den Plan B oft irrtümlich für eine Möglichkeit, den anderen für sein unangemessenes Verhalten zu bestrafen. Wenn Ihr Gegenüber nicht bereit ist, Ihre Interessen und Bedürfnisse zu respektieren, wenn Ihre erwachsene Tochter Ihre Bitte ignoriert, doch wenigstens vorher Bescheid zu sagen, bevor sie Ihnen das Enkelkind zum Babysitten bringt, wenn Ihr Kollege Sie weiterhin beleidigt, dann muss der Betreffende für sein Verhalten bezahlen.

Aber der Plan B hat nichts mit Strafe zu tun und ist auch kein Ventil für Ihre Enttäuschung und Ihren Zorn. Er hilft Ihnen einfach nur, Ihre Interessen zu wahren, auch wenn der andere nicht kooperiert. Im Falle Ihres erwachsenen Kindes, das die Enkeltochter häufig zum Babysitten bringt, ohne Ihnen vorher Bescheid zu sagen, könnte Ihr Plan B folgendermaßen aussehen: Sie sagen, dass es Ihnen leidtut, dass Sie aber mit einer Freundin verabredet sind, und verlassen dann das Haus. Im Falle Ihres Kollegen könnte Ihr Plan B darin bestehen, sein beleidigendes Verhalten bei der Personalabteilung oder einem Vorgesetzten zur Sprache zu bringen, die Ihren Kollegen veranlassen könnten, das Mobbing einzustellen.

Beim Plan B geht es nicht so sehr um die Macht über andere, sondern um die Macht, die eigenen Interessen zu vertreten. Dadurch wird er zur positiven Macht.

In dieser Phase Ihres positiven Neins ist es wichtig, Ihren Plan B einfach nur im Hinterkopf zu behalten. Wir werden in Kapitel 8 diskutieren, ob und wie Sie Ihren Plan B dem anderen gegenüber erwähnen sollten. An diesem Punkt dient er lediglich Ihrem eigenen Nutzen und der Stärkung Ihres Selbstvertrauens.

Optimieren Sie Ihren Plan B

Manchmal sind wir in der Bredouille, weil uns einfach kein attraktiver Plan B einfallen will. Lassen Sie sich dadurch nicht entmutigen, sondern betrachten Sie es als Anreiz, noch intensiver über die Verbesserung Ihres Alternativplans nachzudenken. Das folgende Beispiel vermag dies zu illustrieren.

Eine große amerikanische Firma hatte vor kurzem ein neues Produkt auf den Markt gebracht. Man hatte sich große Verkaufserfolge erhofft, aber die Absatzzahlen blieben deutlich hinter den Prognosen zurück, und der Wettbewerb war härter als erwartet. Da man wusste, dass viele Kunden vor dem hohen Preis zurückschreckten, versuchte man, Kosten zu sparen. Es stellte sich heraus, dass der Hauptkostenfaktor ein Ersatzteil war, das von einer in Europa ansässigen Firma hergestellt wurde.

Daraufhin bot man dem Lieferanten an, mithilfe eines Beraterteams Möglichkeiten zur Kostensenkung auszuarbeiten, doch die europäischen Verhandlungspartner reagierten auf diese Anfrage mit Empörung: »Wir sind nun schon seit über 200 Jahren im Geschäft. So alt sind die USA selbst kaum! Wir machen Ihnen ja auch keine Vorschriften, wie Sie Ihr Geschäft zu führen haben, also sagen Sie uns nicht, wie wir unseres führen sollen!« Die Firmenleitung war frustriert, aber es war offensichtlich, dass man kaum Einfluss nehmen konnte: Immerhin hatte man mit dem Lieferanten einen Zehnjahresvertrag unterzeichnet, der der europäischen Firma volle Kostenerstattung plus Überschussbeteiligung garantierte.

Also wandte man sich an meinen Kollegen Joe Haubenhofer um Hilfe. Als Joe sich mit den Firmenvertretern traf, um sie auf die Verhandlungen vorzubereiten, machten sie einen demoralisierten und hoffnungslosen Eindruck. Wie konnten sie in dieser Situation für ihre Interessen eintreten und tatsächlich Nein zu dem aufsässigen Verhalten des Lieferanten sagen? Sie hatten das Gefühl, dass ihnen die Hände gebunden waren, da sie von diesem Lieferanten absolut abhängig waren. Sie konnten nichts tun. Zumindest glaubten sie das, bis Joe sie fragte: »Wie sieht denn Ihr Plan B aus? Was wollen Sie unternehmen, wenn der Lieferant sich weigert, während der restlichen Vertragslaufzeit zu kooperieren?«

»Plan B?«, antworteten die Manager im Chor. »Das ist es ja! Wir haben keine Alternative! Wir stecken in diesem Zehnjahresvertrag fest, und es gibt keinen Ausweg.«

»Moment mal«, antwortete Joe. »Sie meinen, dass Ihre augenblicklichen Alternativen – nämlich vertragsbrüchig zu werden oder das Produkt vom Markt zu nehmen – besonders unattraktiv sind. Vielleicht sollten Sie sich die Zeit nehmen, noch einmal genau zu überprüfen, ob es nicht doch noch eine andere Möglichkeit gibt!?«

Die Manager stimmten zu – obwohl sie natürlich skeptisch waren. Eine Stunde später – mitten im intensivsten Brainstorming – stellte einer von ihnen folgende Frage: »Gibt es denn keine andere Fabrik auf der Welt, die die zur Herstellung dieses Produkts erforderliche Technologie besitzt?« Ein anderer antwortete: »Na ja, da kommt mir diese Fertigungsanlage im Mittelwesten in den Sinn, die vielleicht über die notwendige Ausrüstung verfügt. Aber wenn ich mich recht erinnere, wurde sie vom Betreiber geschlossen.«

Sofort wurde jemand mit der Aufgabe betraut, diese Angaben zu überprüfen. Noch am gleichen Tag erhielt man die Bestätigung, dass die Vermutung des Managers zutraf: Die Fabrikanlage verfügte über die geeignete Technologie und war geschlossen worden, stand aber zum Verkauf.

Innerhalb eines Tages hatte das Team einen Wirtschaftsplan ausgearbeitet, wie die Anlage erworben und wieder in Betrieb genommen werden konnte, um die notwendigen Ersatzteile in der richtigen Menge und zu einem vernünftigen Preis herzustellen. Das Konzept wurde dem Senior-Management vorgelegt und in aller Eile als Notfallplan genehmigt – als Plan B.

Dann bereitete man sich auf das bevorstehende Meeting mit dem Lieferanten vor. Mein Kollege Joe berichtete, dass es sich jetzt um ein vollkommen anderes Team zu handeln schien. Mit einem befriedigenden Plan B in der Hinterhand waren sie nicht mehr demoralisiert, sondern – im Gegenteil – voller Selbstvertrauen. Sie versuchten zunächst sorgfältig, die Interessen und die Sichtweise des Lieferanten einzuschätzen und neue, für beide Seiten vorteilhafte Optionen zu entwickeln, um die Kosten zu reduzieren und die Geschäftsbeziehung zu erhalten.

Letztlich mussten sie ihren Plan B niemals einsetzen oder auch nur erwähnen. Die sorgfältige Vorbereitung gab ihnen das nötige Selbstbewusstsein, um effektiv mit dem Lieferanten zu verhandeln und sich gemeinschaftlich auf eine Strategie zur Senkung der Produktionskosten zu einigen. Eben dieses Selbstvertrauen war, so berichteten die Verhandlungsführer später, der Schlüssel für ihren unerwarteten Erfolg. Nur dadurch konnten sie die negativ geladenen Gefühle von Angst und Resignation in Entschlossenheit und Bestimmtheit umwandeln.

Verschiedene Alternativen durch Brainstorming entwickeln

Bei der Ausarbeitung Ihres Plan B ist es sinnvoll, verschiedene Alternativen in Betracht zu ziehen. Die Manager in unserem Beispiel begannen mit einem Brainstorming und entwickelten so eine kreative Möglichkeit, an die bis dahin niemand gedacht hatte.

Das größte Hindernis, das Sie an der Entwicklung kreativer Alternativen hindert, ist jene leise Stimme im Hinterkopf, die Ihnen immer wieder zuflüstert: »Das wird nicht funktionieren!« oder »Das ist lächerlich!« Derlei Sätze ersticken jede Kreativität im Keim. Die Stimme kommt aus jenem Teil des Gehirns, in dem das kritische Bewertungs- und Urteilsvermögen sitzt. Was normalerweise nützlich und sogar notwendig ist, behindert in einer solchen Situation den kreativen Teil des Gehirns, der für die Entwicklung neuer Ideen zuständig ist. Das ganze Geheimnis des Brainstormings besteht darin, diese beiden kognitiven Funktionen voneinander zu trennen. Hier heißt es: erst erfinden, dann bewerten.

Die goldene Regel des Brainstormings besteht darin, Kritik eine Zeit lang aufzuschieben – egal, ob es nun ein paar Minuten oder ein paar Stunden sind. Bringen Sie so viele Ideen hervor, wie Sie können. Auch abwegige Vorstellungen sind willkommen – viele der besten Pläne wurzeln in den wildesten Vorschlägen. Danach erst nehmen Sie eine Bewertung vor: Sichten Sie die einzelnen Vorschläge und markieren Sie die vielversprechendsten – mit einem Sternchen.

Ein Brainstorming sollte man am besten zusammen mit anderen durchführen – mit Freunden, Kollegen, Partnern. Der Beitrag eines jeden Einzelnen wirkt anregend auf die anderen – wie ein Feuerwerkskörper, der, einmal entfacht, die anderen Feuerwerkskörper ebenfalls in Brand setzt.

Entwickeln Sie ein paar der Alternativen weiter und entwerfen Sie konkrete Pläne. Dieser Prozess greift mutmaßlich wilde Ideen auf und verwandelt sie in ernsthafte Handlungsstrategien, die Respekt und Unterstützung verlangen. Genau das taten die Manager, als sie nach dem scheinbar Unmöglichen suchten (nämlich einer anderen Bezugsquelle) und einen Wirtschaftsplan entwarfen, der der Firmenleitung unterbreitet werden konnte.

Bei der Präsentation von Alternativen gibt es die folgenden verschiedenen Möglichkeiten:


Tun Sie es selbst. Eine Alternative ist unilateraler, einseitiger Natur: Was können Sie selbst tun, um Ihre Interessen und Bedürfnisse zu befriedigen? Was, wenn Sie von dem anderen nicht länger abhängig sind? Wie können Sie ohne die Kooperation Ihres Gegenübers zurechtkommen? Die Manager im oben beschriebenen Fall beispielsweise entwarfen die Möglichkeit, das für die Produktion notwendige Ersatzteil unabhängig vom Lieferanten herzustellen.


Steigen Sie aus. Ein weiterer unilateraler Schritt zur Selbsthilfe ist der Ausstieg. Was würde es für Sie bedeuten, die Situation oder die Beziehung mit dem anderen aufzugeben? Ein Angestellter, der unter einem schwierigen Vorgesetzten zu leiden hat, könnte sich über alternative Jobangebote innerhalb oder außerhalb des Unternehmens schlaumachen. Ein Händler, der Nein zu einem schwierigen Kunden sagen muss, sieht sich nach anderen Kunden um. Eine Frau, die von ihrem Partner schlecht behandelt wird, kann sich vornehmen, mit ihren Kindern Zuflucht im Frauenhaus zu suchen. Eine Anwältin aus meinem Bekanntenkreis sollte an einem Projekt mitarbeiten, das sie »moralisch verwerflich und widerwärtig« fand. Sie konnte sich effektiv mit einem Nein dagegen verwahren, weil sie schon im Vorfeld die Entscheidung getroffen hatte, »zu kündigen, wenn mein Nein nicht akzeptiert werden würde«.


Die dritte Seite. Es gibt auch trilaterale Alternativen. Können Sie vielleicht einen Außenstehenden um Hilfe bitten, wenn Sie mit Ihrem Gegenüber auf den ersten Blick keine Einigung erzielen können? Wenn ein Nachbar ständig laute Musik spielt, könnten Sie vielleicht den Hausverwalter bitten, sich einzuschalten, oder das Thema bei der Eigentümerversammlung anzuschneiden. Wenn Ihr Kollege ständig die Sekretärin in Beschlag nimmt, sodass sie die Aufgaben, die sie für Sie zu erledigen hat, zugunsten seiner Arbeiten aufschiebt, müssen Sie sich vielleicht an Ihren gemeinsamen Vorgesetzten wenden. Und last, but not least kann Ihr Plan B auch in einer gerichtlichen Einigung bestehen – ähnlich wie bei Rosa Parks, die ihren Fall bis hin zum Supreme Court verfolgte.


Zwischenschritte und endgültige Pläne. Wenn Sie mit Ihrem Gegenüber keine Einigung erzielen können, müssen Sie auch nicht gleich auf Ihren kompletten Plan B zurückgreifen, sondern können einen kleineren Zwischenschritt anstreben. Sie können eine Folge von Plänen schmieden, die von der kleinstmöglichen Teillösung bis hin zum endgültigen, großen Plan reichen. Eine Restaurantkette sah sich mit der Herausforderung konfrontiert, einen Franchisenehmer abzumahnen, der den mit dem Firmennamen verbundenen Qualitätsstandards nicht gerecht wurde. Man entschloss sich, einen mittelfristigen Plan B in die Tat umzusetzen, und räumte dem Franchisenehmer eine Probezeit ein. Der letztendliche Plan B, falls der Franchisenehmer sein Restaurant nicht dem erforderlichen Niveau anpasste, bestand darin, ihm den Markennamen abzuerkennen.

Gewinnen durch Verbündete

Wenn Ihr Verhandlungspartner mehr Macht hat als Sie selbst, könnte Ihr Plan B darin bestehen, sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun.

In meinen Seminaren erzähle ich gern die Geschichte des weisen Zen-Lehrmeisters, der seinen Studenten eine Lektion erteilt, indem er einen von ihnen bewusst in die Zwickmühle bringt. Als ein Schüler eine Tasse Tee an die Lippen führt, sagt der Meister: »Wenn du diese Tasse Tee trinkst, schlage ich dich mit dem Stock. Und wenn du diese Tasse Tee nicht trinkst, schlage ich dich ebenfalls mit dem Stock.«

Dann stelle ich meinen Kursteilnehmern folgende Frage: »Was würden Sie tun, wenn Sie an der Stelle des Studenten wären?«

Die häufigste Antwort lautet: »Ich würde den Tee trinken. Wenn ich sowieso Schläge bekomme, kann ich ihn auch genießen.« Eine weitere häufige Antwort lautet: »Ich würde ihm den Tee ins Gesicht schütten.« Dies sind die beiden klassischen Antworten auf höhere Gewalt: Unterwerfung, weil man keine Wahl hat, und Angriff. Doch keine dieser beiden Alternativen ist wirklich befriedigend.

Dann fangen meine Seminarteilnehmer an, bei ihren Antworten ihre Fantasie einzusetzen: »Ich würde ihm den Tee anbieten.« »Ich würde ihn fragen, warum.« »Ich würde endlos für diese Tasse brauchen, damit er nicht sagen kann, ob ich trinke oder nicht trinke.« Und so weiter.

Doch so viele Antworten sie auch finden, fast immer übersehen sie eine weitere Alternative – nämlich die, sich Verbündete zu suchen. Meiner Ansicht nach liegt das daran, dass wir vor unserem geistigen Auge nur den Meister und den Studenten sehen. Allzu häufig vergessen wir, dass noch andere Lernende zugegen sind. »Helft mir, Freunde«, könnte man den anderen Anwesenden zurufen. Und obwohl der Meister mit dem Stock mächtiger sein mag als der Einzelne, ist er sicher nicht mächtiger als all seine Schüler zusammen.

Eine Koalition kann den Ausgleich herstellen. So empfiehlt es sich stets, sich folgende Fragen zu stellen: »Wer hat ähnliche Interessen wie ich selbst? Wen könnte ich dazu bringen, mit mir zusammenzuarbeiten, um dafür zu sorgen, dass meine Bedürfnisse respektiert werden?« Wenn Ihr Vorgesetzter Ihnen das Leben schwermacht, kann es hilfreich sein, sich Unterstützung bei Ihren Kollegen zu holen, damit Sie sich gemeinsam gegen sein Verhalten zur Wehr setzen können. Wenn ein betagtes Elternteil unbedingt weiter Auto fahren will, obwohl es für sich und andere eine eindeutige Gefahr darstellt, kann es hilfreich sein, sich die Unterstützung der Geschwister zu holen. Rosa Parks und ihre Gleichgesinnten nutzten die Macht einer breiten Basis aus verbündeten Schwarzen und sympathisierenden Weißen, um ihr Nein gegen die Rassentrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln zu stützen. Der amerikanische Bürgerrechtler Saul Alinsky betont in diesem Zusammenhang mehrfach, »dass Macht sich immer bei denen ansammelt, die Geld besitzen, und bei denen, denen Menschen folgen«. Mit anderen Worten: Er unterscheidet zwischen zwei Arten von Macht: der Macht des Geldes und der Macht von »Bürger-Organisationen«.

Stellen Sie sich selbst folgende Frage: »Wer könnte ein möglicher – wenn auch vielleicht unwahrscheinlicher – Verbündeter für mich sein?« Wenn Sie beispielsweise im Verkauf tätig sind, könnten die Endverbraucher Ihres Produkts bei den Einkäufern, die Sie so sehr unter Druck setzen, ein Wörtchen zu Ihren Gunsten mitreden. Wenn Sie in der Politik tätig sind, kann ein politischer Gegner ein – wenn auch ungewöhnlicher – Verbündeter sein, der Ihre Interessen in Bezug auf ein bestimmtes Gesetz teilt.

Ein hervorragendes Beispiel für eine Koalition als Plan B ist der Vorschlag eines Piloten in einer der ersten Passagiermaschinen, die Denver kurz nach dem entsetzlichen Anschlag vom 11. September verlassen sollten. Vor dem Abflug verkündete der Pilot den verängstigten Passagieren: »Wenn jemand versucht, die Maschine in seine Gewalt zu bringen, stehen Sie zusammen auf und nehmen, was immer Sie in der Hand haben, um es ihm an den Kopf zu werfen. Zielen Sie auf das Gesicht, damit die Betreffenden sich verteidigen müssen.« Der Pilot ermutigte die Passagiere, potenziellen Entführern Decken über den Kopf zu werfen und sie zu Boden zu ringen und sie dort bis zur Landung festzuhalten. »Wir, die Menschen, lassen uns nicht bezwingen«, erklärte er. »Alle Passagiere applaudierten«, gab ein Fluggast zu Protokoll. »Die Menschen weinten. Wir hatten das Gefühl, die Wahl zu haben. Wenn etwas geschah, waren wir nicht vollkommen machtlos.«

Genau das ist es: Denken Sie daran, dass Sie nicht allein sind.

Rechnen Sie mit Gegenmaßnahmen

Bei der Entwicklung eines Plan B sollten Sie sich grundsätzlich Gedanken darüber machen, welche Schritte Ihr Gegenüber unternehmen wird, um die eigene Macht zu erhalten. Was kann der andere unternehmen, um Sie wieder in die Knie zu zwingen, wenn Sie seine Forderungen abschlägig beantwortet haben? Und was können Sie unternehmen, um Ihrem Nein Macht zu verleihen, sodass Sie sich auch weiterhin behaupten können?

Entwaffnen Sie Ihr Gegenüber

Wenn unser Gegenüber uns wegen unseres Neins verletzt oder bedroht, ist unser erster Impuls der Gegenschlag. Eine effektivere Strategie jedoch besteht darin, die Auswirkungen seines Verhaltens zu mildern. Wenn Ihr Gegenüber Sie – wie in unserer Geschichte des Zen-Meisters – mit einem Stock schlagen will, schlagen Sie nicht zurück, sondern nehmen Sie ihm einfach den Stock weg. Mit anderen Worten: Greifen Sie den anderen nicht an, sondern entwaffnen Sie ihn.

Stellen Sie sich einmal folgende Situation vor: Sie verhandeln mit einem schwierigen Kunden, der eine unverhältnismäßig hohe Reduzierung des Preises von Ihnen verlangt. Wenn Sie ablehnend reagieren, können Sie sich angesichts früherer Erfahrungen jetzt schon ausmalen, dass er nicht nur zornig reagieren wird, sondern sich auch über Ihren Kopf hinweg an Ihre Chefin wenden wird, um sich durchzusetzen. Um dieser Taktik zu begegnen, können Sie sich bereits im Vorfeld mit Ihrer Vorgesetzten unterhalten und Ihr erklären, dass der Kunde sehr wahrscheinlich mit Rabattwünschen an sie herantreten wird. Bitten Sie Ihre Chefin, den Kunden höflich an Sie zurückzuverweisen. Wenn Sie in der Preisgestaltung einigermaßen flexibel sind, sollten Sie diejenige Person sein, die mit dem Kunden verhandelt; sonst wird er sich auch in Zukunft immer an die Chefin wenden und Sie auf die Rolle des Boten reduzieren. Wenn der Kunde nun tatsächlich damit droht, Ihre Vorgesetzte zu kontaktieren, können Sie ihm getrost antworten: »Jederzeit. Hier ist ihre Telefonnummer.« Und schon haben Sie dem Kunden den Stock aus der Hand genommen.

Die Strategie, den anderen zu entwaffnen, ohne ihn anzugreifen, wurde mit großer Wirkung im Jahr 1962 bei der Kubakrise eingesetzt. Ich hatte das große Privileg, bei einem Zusammentreffen in Moskau im Jahr 1989 anwesend zu sein, bei dem sich viele der noch lebenden politischen Entscheidungsträger versammelt hatten. Gebannt hörten meine Kollegen und ich zu, wie der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert McNamara, der ehemalige Sicherheitsberater McGeorge Bundy, der ehemalige sowjetische Außenminister Andrej Gromyko, der ehemalige Sowjetbotschafter Anatoly Dobrynin sowie andere Beteiligte versuchten, noch einmal nachzuvollziehen, was in jenen angespannten 13 Tagen wirklich geschehen war, als die Zukunft der Welt am seidenen Faden hing.

Ich habe vieles aus diesem Zusammentreffen gelernt, aber eine Lektion war die wichtigste: Ich erkannte, wie nahe wir, ohne es zu wollen, dem Weltuntergang durch die Nuklearkatastrophe gewesen waren, und wie glücklich wir uns schätzen können, dass die Unterhändler der USA und der damaligen Sowjetunion so geschickt mit ihrem Nein umgehen konnten. Die Fakten sind Ihnen wahrscheinlich bekannt: Die Amerikaner hatten entdeckt, dass die Sowjets per Schiff mit Atombomben bestückte Mittelstreckenraketen in Kuba stationiert hatten, die auf die USA gerichtet waren. Präsident Kennedy wusste, dass er die Sowjets aufhalten musste, war sich aber nicht schlüssig, wie er das bewerkstelligen konnte, ohne einen Dritten Weltkrieg anzuzetteln. Also betraute er seine engsten politischen und militärischen Ratgeber mit der Ausarbeitung eines Plans. Dieser Plan B, den sie für den Fall entwarfen, dass die Diplomatie fehlschlug, bestand in einer Invasion Kubas aus der Luft. Während dieser ersten beiden Verhandlungstage hatten sie keinen anderen Plan. Im Zuge unserer nachträglichen Analyse bei der Moskauer Konferenz stellte sich jedoch heraus, dass dieser Plan B, der beinahe in die Tat umgesetzt worden wäre, aller Wahrscheinlichkeit nach verheerende Folgen gehabt hätte. Der US-Regierung war damals nämlich nicht bekannt gewesen, dass die Sowjets über 40 000 Soldaten in Kuba stationiert hatten. Auch die Kubaner verfügten über eine 250 000 Mann starke, gut ausgebildete Truppe. Im Fall eines amerikanischen Angriffs waren die sowjetischen Streitkräfte autorisiert, Nuklearwaffen einzusetzen, von denen einige bereits aktiviert waren.

»Bei dieser Erkenntnis sträubten sich uns die Haare«, sagte Robert McNamara. »Wenn die USA tatsächlich in Kuba einmarschiert wären, wenn die Nuklearwaffen nicht abgezogen worden wären, wäre dies mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit der Beginn eines Nuklearkriegs gewesen.«

Unterstützt vom Bruder des Präsidenten, Robert Kennedy, suchten die politischen und militärischen Ratgeber glücklicherweise nach einem kreativeren Plan B, der sich nicht auf Angriff konzentrierte, sondern darauf, dem Gegner den Stock wegzunehmen. Der Plan bestand in einer von Kennedy als »Quarantäne« bezeichneten Seeblockade für Kuba, durch die die sowjetischen Boote daran gehindert werden sollten, weitere Nuklearwaffen nach Kuba zu bringen. Durch diese Blockade gelang es Kennedy, sein Nein zu unterstreichen und sich wertvolle Zeit für ein geheimes diplomatisches Treffen von Robert Kennedy und Anatoly Dobrynin zu erkaufen. Das Ergebnis war eine informelle Einigung: Sowjetische Raketen sollten aus Kuba abgezogen werden, und im Gegenzug verzichtete Präsident Kennedy auf eine Invasion und erklärte sich bereit, die amerikanischen Nuklearraketen aus der Türkei zu entfernen.

Ohne diesen konstruktiven Plan B und die geschickte Diplomatie, die daraus erwuchs, wären wir vielleicht heute nicht hier.

Stellen Sie sich vor, was schlimmstenfalls passieren könnte

Manchmal kann es auch nützlich sein, sich das Worst-Case-Szenario auszumalen. Was ist das Schlimmste, das Ihr Gegenüber Ihnen antun kann, wenn Sie Nein zu ihm sagen? Damit soll nicht unnötige Angst erzeugt werden, sondern wir sollen lernen, zwischen Befürchtungen und Realität zu unterscheiden. Wie ein Geschäftsführer einmal zu mir sagte: »Wenn ich bei geschäftlichen Verhandlungen an einem schwierigen Punkt angelangt bin, hilft es mir oft, mich zu fragen: ›Was kann mein Gegenüber mir schlimmstenfalls antun? Wenn man mich nicht im wahrsten Sinne des Wortes umbringt, werde ich es wohl überleben. Also wird schon alles gut werden.‹ Und dann entspanne ich mich und kann wirkungsvoller verhandeln.«

Ein Punkt für ihn. In angespannten Situationen erscheinen die Konsequenzen unseres Neins aufgrund unserer Befürchtungen oft viel größer und weitreichender, als sie es tatsächlich sind. Wenn wir einen klaren Kopf behalten, erkennen wir oft, dass die Folgen gar nicht so gravierend sind, wie unsere Fantasie es uns vorgaukelt. Und dann sind wir auf alles vorbereitet, was uns erwartet, und können mutig für uns und unsere Belange eintreten.

Überdenken Sie Ihre Entscheidung für das Nein

Nun, da Sie Ihr Ja enthüllt haben und einen starken Plan B entwickelt haben, um Ihrem Nein Macht zu verleihen, sind Sie in einer Position, in der Sie sich selbst folgende Frage stellen können: »Soll ich wirklich Nein sagen?« Vermutlich lautet die Antwort Ja, aber es empfiehlt sich trotzdem, während der Vorbereitungsphase noch einmal über Ihre Entscheidung nachzudenken. Immerhin könnte Ihr Nein beträchtliche Kosten und Risiken nach sich ziehen – für Sie selbst und für den anderen.

Nein zu sagen hat häufig eine Konfliktsituation zur Folge, und Sie sollten Ihre Schlachtfelder sorgsam auswählen. Im Folgenden stelle ich Ihnen drei Fragen vor, die Sie sich im Vorfeld selbst beantworten sollten.

Stellen Sie sich drei Fragen

Um zu entscheiden, ob Sie wirklich Nein sagen sollen, ist es klug, sich drei Fragen zu stellen: »Habe ich Interesse daran, Nein zu sagen? Habe ich die Macht? Habe ich das Recht


Habe ich Interesse daran, Nein zu sagen? Können Sie durch Ihr Nein wichtige Interessen wahren oder vorantreiben? Ist es eine mögliche Auseinandersetzung mit dem anderen wert, besonders jetzt, da Sie Ihre Interessen verstehen? Lauschen Sie Ihrer inneren Stimme. Wenn Ihre Absicht klar und stark ist, so ist das ein deutliches und gutes Zeichen, um auf dem einmal eingeschlagenen Weg weiter voranzuschreiten.


Habe ich die Macht? Können Sie Ihr Nein aufrechterhalten und die heftige Reaktion Ihres Gegenübers unbeschadet überstehen? Haben Sie einen fundierten Plan B? Wenn ja, so ist das ein gutes Zeichen. Machen Sie weiter.


Habe ich das Recht? Es kann durchaus vorkommen, dass wir uns fragen, ob wir überhaupt Nein sagen dürfen. »Habe ich das Recht, Nein zu sagen? Ist es in der vorliegenden Situation angebracht?«


Manchmal ist diese Frage sehr sinnvoll. Wenn wir ein Versprechen gegeben oder einen Vertrag unterschrieben haben, ist es vielleicht nicht angemessen, unsere Zusage zurückzuziehen. Aber in allzu vielen Situationen, in denen wir schlecht oder unangemessen behandelt werden oder uns mit unangemessenen Forderungen konfrontiert sehen, passen wir uns an, weil wir nicht sicher sind, ob wir überhaupt das Recht haben, Nein zu sagen. Wie oft fragen sich beispielsweise misshandelte Ehegatten, ob sie das Recht haben, ihren Partner zu verlassen. Sie haben es!

Letztlich kann die Antwort nur so lauten: Wir alle dürfen Nein sagen. Es gehört zu unserem fundamentalen Geburtsrecht. Freie Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Entscheidungen selbst treffen und die Konsequenzen auf sich nehmen.

Es ist nicht immer leicht, Nein zu sagen, besonders nicht zu Menschen, von denen wir abhängig sind. Im Zweifelsfall ist es hilfreich, uns nach eingehender Vorbereitung daran zu erinnern, dass wir ein zwingendes Interesse daran haben, Nein zu sagen, dass wir die Macht haben, Nein zu sagen, und das Recht. Wenn Ihre Interessen, Ihre Macht und Ihr Recht in Einklang miteinander stehen, kann nur noch wenig Sie aufhalten.

Denken Sie daran, dass es nicht Ihre Pflicht ist, Ja zu dem anderen zu sagen, egal, wer es ist. Sie müssen ihn lediglich respektieren, und das können Sie auch, während Sie Nein sagen. Und um das Thema Respekt geht es im folgenden Kapitel.