3 Respekt als Schlüssel zum Ja

Nimm einem Menschen niemals seine Würde: Dem anderen bedeutet sie alles, dir bedeutet sie nichts.
Frank Barron

Nachdem Sie sich selbst auf das Neinsagen vorbereitet haben, besteht Ihre nächste Herausforderung darin, den anderen darauf vorzubereiten, Ja zu Ihrem Nein zu sagen. Mit anderen Worten: Wie können Sie es Ihrem Gegenüber leichter machen, Ihr Nein zu akzeptieren und Ihre Bedürfnisse zu respektieren? Wie können Sie einen Kommunikationskanal öffnen, der es dem anderen ermöglicht, Ihr Nein im Wesentlichen als positiv aufzufassen?

Das Problem bei den meisten Neins liegt darin, dass es bei unserem Gegenüber als persönliche Zurückweisung, als Affront ankommt. Auch wenn es gar nicht in unserer Absicht liegt, hört der andere möglicherweise die verborgene Botschaft heraus: »Du und deine Interessen sind unwichtig.« Es ist nur menschlich, sich angesichts eines Neins in einer wichtigen Sache beschämt, verletzt, ausgeschlossen oder sogar gedemütigt zu fühlen. Ein Nein ist negativ und ablehnend. Deshalb wird unser Gegenüber sich unseren Argumenten sehr wahrscheinlich verschließen und vielleicht zum destruktiven Gegenschlag ausholen, sodass unsere Beziehung Schaden nimmt.

Als ich eingeladen wurde, bei den heftigen politischen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition in Venezuela als neutraler Beobachter zu vermitteln, musste ich verblüfft feststellen, dass der leidenschaftliche Zorn der Anführer auf beiden Seiten nicht von den politischen Themen der Macht und Kontrolle bestimmt wurde, sondern von der Geringschätzung, die ihnen von ihren jeweiligen Gegnern entgegengebracht wurde. Der Präsident des Landes, Hugo Chávez, echauffierte sich mir gegenüber darüber, dass seine Feinde ihn als mono bezeichneten, als Affe also, was er durch eine affenartige Grimasse unterstrich. Gleichzeitig beklagte sich der Oppositionsführer bitter bei mir, dass er, als er versucht hatte, in der Kathedrale zu beten, wie er es sein ganzes Leben über getan hatte, auf offener Straße verhöhnt und bedroht worden war, und das nur, weil President Chávez ihn als »Volksfeind« denunziert hatte. Besonders auffällig auf beiden Seiten waren die Gefühle der Scham und Demütigung, die durch die offen zur Schau gestellte persönliche Geringschätzung hervorgerufen wurden – und sie erhöhten die Wahrscheinlichkeit zu Eskalation und Gewaltbereitschaft beträchtlich.

Ein Mangel an Achtung fordert auf allen Ebenen seinen Tribut, ob im Berufsleben oder in der Familie. Hören Sie sich in diesem Zusammenhang den Kommentar Lindas an, die ihre Tochter Emily durch ihr Nein auf sozialer Ebene bloßstellte. »Emily hatte ein paar Freundinnen da, und ich schimpfte sie in ihrem Beisein aus, dass sie erst ihre Hausaufgaben zu erledigen habe, bevor sie sich mit anderen traf. Später sagte Emily zu mir: ›Was glaubst du, wie ich mich fühle, wenn du mich vor meinen Freundinnen anschreist?‹ Plötzlich wurde mir klar, wie peinlich es für sie gewesen sein musste. Ich brauche mich schließlich nur zu fragen, wie ich empfände, wenn mich jemand im Beisein eines Kunden kritisieren würde. Außerdem erkannte ich, dass ich Emily viel eher zur Erledigung ihrer Hausaufgaben motivieren konnte, wenn ich sie respektvoll darum bat – und zwar unter vier Augen.«

Wenn wir den anderen dazu bewegen wollen, schließlich doch Ja zu sagen, besteht das Geheimnis darin, ihn nicht zurückzuweisen, sondern das Gegenteil zu tun: ihn zu respektieren. Unser Respekt, unsere Achtung sollte unserem Nein den Stachel nehmen und es kompensieren. Mit Achtung meine ich nicht Anpassung, sondern einfach nur die positive Aufmerksamkeit, die wir dem anderen schenken, indem wir ihm zuhören und ihn als gleichberechtigten Mitmenschen behandeln. Vermeiden Sie es, ihn in seiner Würde zu verletzen – schließlich wollen auch Sie sich Ihr Gefühl der Würde bewahren.

Nehmen Sie Ihren Mitmenschen gegenüber eine positive und respektvolle Haltung ein

Die Macht des Respekts und der Achtung lässt sich in einer Geschichte aus dem richtigen Leben zusammenfassen, die ich vor vielen Jahren hörte. Terry Dobson, ein junger Amerikaner, der in Japan Aikido, eine japanische Selbstverteidigungstechnik, erlernte, sah sich eines Tages mit der Herausforderung konfrontiert, Nein zum gefährlichen Verhalten eines Mitmenschen zu sagen.


Es war ein träger Frühlingsnachmittag. Der Zug schepperte und ratterte durch die Vororte Tokios. Unser Abteil war vergleichsweise leer – ein paar Hausfrauen mit ihren Kindern, ein paar alte Leute, die zu einem Einkaufsbummel unterwegs waren. Geistesabwesend sah ich die eintönigen Häuser und die staubigen Hecken an mir vorüberziehen.

An einer Haltestelle öffneten sich die Türen, und plötzlich wurde die Nachmittagsstille durch die wilden und unverständlichen Flüche eines Mannes durchbrochen, der ins Abteil taumelte. Er trug Arbeiterkleidung, war groß, betrunken und ungepflegt. Mit einem lauten Schrei versetzte er einer Frau, die ein Baby im Arm hielt, einen heftigen Schlag, sodass sie auf dem Schoß eines älteren Ehepaars landete. Wie durch ein Wunder blieb sie unverletzt.

Erschrocken sprang das Paar auf und stolperte in den hinteren Teil des Abteils. Der Arbeiter versuchte, der alten Frau noch einen Tritt zu versetzen, aber er verfehlte sie um Haaresbreite, sodass sie sich in Sicherheit bringen konnte. Das machte den Betrunkenen so wütend, dass er den Metallpfosten inmitten des Abteils packte und ihn aus seiner Verankerung zu lösen versuchte. Ich bemerkte, dass eine seiner Hände blutete. Der Zug fuhr weiter, und die Passagiere waren gelähmt vor Angst. Ich stand auf.

Damals, vor 20 Jahren, war ich noch jung und gut trainiert. Seit drei Jahren absolvierte ich fast täglich ein gut dreistündiges Aikido-Training. Ich fühlte mich einer Schlägerei durchaus gewachsen. Und ich hielt mich für einen harten Burschen. Das Dumme war nur, dass ich meine kämpferischen Fähigkeiten noch nie im richtigen Leben ausprobiert hatte. Eigentlich war es uns Aikido-Schülern verboten, zu kämpfen.

»Aikido«, so hatte mein Lehrer immer wieder betont, »ist die Kunst der Versöhnung. Wer dabei an Kampf denkt, zerstört seine Verbindung mit dem Universum. Wenn man versucht, Menschen zu beherrschen, ist man schon besiegt. Wir lernen hier, wie man einen Konflikt löst, nicht, wie man ihn anfängt.«

Ich hörte auf seine Worte und bemühte mich in der Regel sehr, seinen Rat zu befolgen. Ich pflegte sogar die Straßenseite zu wechseln, um die Kriminellen und Punks zu umgehen, die an den Bahnhöfen herumlungerten. Ich war von meiner eigenen Duldsamkeit begeistert und fühlte mich gleichzeitig hart im Nehmen und heilig. Tief im Herzen jedoch wünschte ich mir eine Gelegenheit, in der es absolut legitim war, die Schuldigen zu zerstören, um die Unschuldigen zu retten.

»Und jetzt ist diese Gelegenheit da!«, dachte ich nun bei mir und erhob mich. »Die Leute hier sind in Gefahr, und wenn ich nicht schnell etwas unternehme, wird wahrscheinlich jemand verletzt.«

Der Betrunkene sah mich aufstehen und hatte nun endlich eine Zielscheibe für seine Wut gefunden. »Aha!«, brüllte er. »Ein Fremder! Sie brauchen wohl ein paar Nachhilfestunden in japanischen Manieren!«

Ich hielt mich leicht am Haltegriff fest und warf ihm bedächtig einen ebenso geringschätzigen wie angeekelten Blick zu. Ich wollte diesen Kerl auseinandernehmen, aber er musste den ersten Schritt tun. Ich wollte, dass er vor Zorn raste, also schürzte ich die Lippen und warf ihm einen provozierenden Luftkuss zu.

»Okay!«, brüllte er. »Dir werde ich eine Lektion erteilen.« Und dann machte er sich bereit, sich auf mich zu stürzen.

Da rief plötzlich jemand: »Hey!« In dieser angespannten Situation klang es erschreckend laut. Ich erinnere mich an den seltsam fröhlichen, trällernden Unterton – wie jemand, der mit seinem Freund zusammen lange nach etwas Bestimmtem gesucht hat und sich freut, als der andere fündig wird: »Hey!«

Ich wirbelte nach links, der Betrunkene drehte sich nach rechts. Wir starrten einen kleinen, alten Japaner an. Er musste so um die 70 sein, dieser winzige Mann in seinem makellosen Kimono. Er schenkte mir keinerlei Beachtung, aber den Arbeiter strahlte er voller Entzücken an, als ob er mit ihm ein höchst wichtiges und höchst willkommenes Geheimnis teilen wollte.

»Komm mal her«, sagte der alte Mann mit leichtem Dialekt und winkte den Betrunkenen zu sich herüber. »Komm her und red mit mir.« Er winkte noch einmal.

Der große Mann ging zu ihm hinüber, als ob er von einem unsichtbaren Band gezogen würde. Angriffslustig pflanzte er sich vor dem Alten auf und übertönte mit seinem Gebrüll erneut das Klappern der Räder. »Warum zum Teufel sollte ich mit Ihnen reden?« Der Betrunkene wandte mir nun den Rücken zu. Wenn sich sein Ellbogen nur einen Millimeter in meine Richtung bewegt hätte, hätte ich ihn niedergebügelt.

Der alte Mann strahlte den Arbeiter immer noch an.

»Was hast du getrunken?«, fragte er hoch interessiert und mit blitzenden Augen. »Sake«, bellte der Arbeiter. »Aber das geht dich gar nichts an!« Ein paar Speicheltropfen spritzten auf den alten Mann.

»Oh prima«, sagte der Alte. »Das ist ja toll. Weißt du, ich trinke auch gern Sake. Jeden Abend wärmen meine Frau und ich (sie ist 76, weißt du) uns ein Fläschchen Sake auf und nehmen es mit hinaus in den Garten. Da setzen wir uns dann auf eine alte Holzbank. Wir betrachten den Sonnenuntergang und schauen uns unseren Dattelpflaumenbaum an. Den hat nämlich schon mein Urgroßvater gepflanzt, und wir fragen uns, ob er sich von den Winterstürmen des letzten Jahres erholen wird. Immerhin hatte er sich besser entwickelt, als ich erwartet hatte, besonders wenn man die schlechte Bodenqualität bedenkt. Es ist sehr befriedigend, ihn anzuschauen und dabei unseren Sake zu trinken. Überhaupt lieben wir es, da draußen zu sitzen und den Abend zu genießen – sogar bei Regen!« Er zwinkerte dem Arbeiter zu.

Der musste sich anstrengen, dem Redefluss des alten Mannes zu folgen, und seine Züge wurden weicher. Seine Fäuste entspannten sich. »Ja«, sagte er. »Ich liebe Dattelpflaumen auch …« Seine Stimme erstarb.

»Ja«, antwortete der alte Mann lächelnd. »Und ich bin überzeugt, dass du ebenfalls eine wunderbare Frau hast.«

»Nein«, antwortete der Arbeiter. »Meine Frau ist gestorben.« Und der große Mann begann ganz leise zu schluchzen und schwankte mit der Bewegung des Zuges sanft hin und her. »Ich hab keine Frau. Ich hab kein Haus. Ich hab keinen Job. Ich schäme mich so für mich selbst.« Tränen rannen seine Wangen hinab, verzweifeltes Weinen schüttelte seinen Körper.

Und jetzt war es an mir, mich zu schämen. Da stand ich nun, in meiner blank geputzten Unschuld und meiner Mach-diese-Welt-sicher-für-die-Demokratie-Selbstgerechtigkeit und fühlte mich plötzlich schmutziger, als er es war.

Der Zug hielt an meiner Haltestelle. Die Türen öffneten sich, und ich hörte den alten Mann noch mitfühlend vor sich hin glucksen: »Ach du je«, sagte er. »Du bist aber wirklich in einer schlimmen Lage. Komm, setzt dich zu mir und erzähl mir alles.«

Ich drehte mich um, um einen letzten Blick auf die beiden zu erhaschen. Der Arbeiter hatte sich auf dem Sitz ausgestreckt, sein Kopf ruhte im Schoß des alten Mannes. Der Alte streichelte sanft das schmutzige, verfilzte Haar.

Der Zug fuhr davon, und ich setzte mich erst einmal auf eine Bank. Was ich mit Muskelkraft hatte bewirken wollen, war mit netten Worten geleistet worden. Ich war soeben Zeuge des richtigen Einsatzes von Aikido in Auseinandersetzungen geworden: Das Wesen dieser Kampfsportart war die Liebe. Ab sofort würde ich diese Kunst mit einem vollkommen anderen Geist praktizieren müssen. Und es würde noch lange dauern, bevor ich Konflikte auf friedliche Weise würde lösen können.

 

Diese außergewöhnliche Geschichte illustriert eine alltägliche Möglichkeit: die überraschende Macht des Respekts. Der alte Mann benutzt ein paar einfache Gesten, um dem anderen seine Achtung zu schenken: Er ist aufmerksam, hört zu, zeigt Anerkennung und Bestätigung. Dadurch gelingt es ihm, einen vermeintlich gefährlichen Menschen zu entwaffnen und Nein zur Gewalt zu sagen. Die gleiche Macht des Respekts steht auch uns zur Verfügung.

Achtung ist eine positive Gesinnung, die jeder von uns jederzeit annehmen kann. Sie beginnt mit Selbstachtung.

Fangen Sie mit Selbstachtung an

Um unsere Mitmenschen respektieren zu können, müssen wir erst lernen, uns selbst zu achten, denn nur dann kann unser Respekt für andere aufrichtig und tief empfunden sein. Das gelassene Selbstvertrauen des älteren Herrn im Zug, ebenso wie seine Bereitschaft, einem vollkommen Fremden – der zu allem Überfluss noch potenziell gewalttätig war – von seinem Privatleben zu erzählen, zeigt, wie sehr dieser Mann sich selbst respektierte. Selbstachtung schafft den emotionalen und mentalen Raum, der es uns gestattet, den anderen wirklich wahrzunehmen. Deshalb geht es bei dem allerersten Schritt zum positiven Nein – beim Enthüllen unseres Jas – auch im Wesentlichen um Selbstachtung.

Zuallererst einmal müssen Sie sich selbst positive Aufmerksamkeit schenken – Ihren Gefühlen, Interessen und Ihren Bedürfnissen. Dann gehen Sie dazu über, den anderen zu respektieren. Sie erweitern Ihren Radius der Achtung, indem Sie ihn als Mitmenschen wahrnehmen, der ebenfalls Gefühle, Interessen und Bedürfnisse hat.

Respekt in dem Sinne, wie ich den Begriff hier benutze, muss nicht durch Wohlverhalten erworben werden; jeder Mensch hat ihn verdient, einfach nur, weil er menschlich ist. Sogar erbitterte Gegner können unter schwierigen Umständen diese grundlegende Art der Achtung füreinander aufbringen. Im Zweiten Weltkrieg beispielsweise unterzeichnete der britische Premierminister Winston Churchill einen Brief an den japanischen Botschafter, in dem er Japan mit typischen viktorianischen Schnörkeln den Krieg erklärte: »Ich verbleibe, Herr Botschafter, mit dem Ausdruck meiner Hochachtung, Ihr ergebener Diener Winston S. Churchill.«

Churchills Ansicht dazu war eindeutig: »Manchem sagte diese zeremonielle Wahrung der Form nicht zu. Wenn man aber schon jemanden umbringen muss, kostet es nichts, höflich zu bleiben.«

Churchill wusste, dass Achtung kein Zeichen für Schwäche oder Unsicherheit ist, sondern im Gegenteil aus Stärke und Selbstvertrauen erwächst. Achtung vor dem anderen entstammt direkt aus der Achtung für sich selbst. Sie zollen dem anderen Respekt, nicht um seinetwillen, sondern um Ihrer selbst willen. Respekt und Achtung sind ein Ausdruck Ihrer Persönlichkeit und Ihrer Werte.

Schauen Sie zweimal hin

Einem Menschen Respekt oder Achtung zu erweisen bedeutet nicht automatisch, dass Sie ihm persönliche Sympathie entgegenbringen – oft genug ist das Gegenteil der Fall. Es bedeutet auch nicht, dass Sie tun, was der andere will – auch hier trifft oft eher das Gegenteil zu. Wenn Sie jemandem Achtung entgegenbringen, so gestehen Sie ihm einen Wert als Mensch zu, genauso wie Sie selbst von Ihren Mitmenschen wertgeschätzt werden wollen. Der alte Japaner im Zug brachte dem Arbeiter Wertschätzung entgegen.

Der Begriff Respekt stammt aus dem Lateinischen. Die Vorsilbe re steht für »wieder« (wie in redigieren) und spectare bedeutet »ansehen« (verwandt mit spektakulär – aufsehenerregend). Jemanden zu respektieren bedeutet mit anderen Worten, noch einmal genau hinzuschauen oder – wie das Lexikon es formuliert – ihn zu »achten« im Sinne von aufmerksam beachten. Diese Aufmerksamkeit oder Achtsamkeit hilft Ihnen, einen zweiten Blick zu werfen und hinter dem aggressiven Verhalten oder der unangemessenen Forderung die menschliche Seite zu erkennen.

Indem wir den anderen respektieren, verschaffen wir uns selbst die Gelegenheit, jemanden, den wir aus Angst und Zorn gar nicht richtig wahrgenommen haben, noch einmal genau in Augenschein zu nehmen. Wir lernen, das wahre Wesen unserer Mitmenschen zu erkennen, ihren Bedürfnissen zu lauschen und nach dem Ausschau zu halten, was in ihrem tiefsten Inneren vor sich geht. Respektiert zu werden bedeutet gesehen und gehört zu werden – und diese Chance verdient ein jeder von uns.

Vielleicht empfinden wir im Augenblick für den anderen weder Achtung noch Respekt. Und obwohl wir wenig Einfluss auf unsere Gefühle haben, so haben wir doch Einfluss auf unser Verhalten. Grundlegender Respekt beginnt mit konkreten Verhaltensweisen wie Zuhören und Anerkennen, was letztlich tatsächlich zu einem echten Gefühl der Achtung führen kann (oder auch nicht). Das Wichtigste ist zunächst einmal, respektvoll zu handeln, egal was Sie empfinden.

Respektieren Sie andere um Ihrer selbst willen

Manchmal haben wir vielleicht gar keine Lust, dem anderen unsere Achtung zu schenken. »Nachdem er mir das angetan hat? Auf gar keinen Fall! Warum sollte ich?« Vielleicht haben wir das Gefühl, dass ausgerechnet dieser Mensch unseren Respekt gar nicht verdient hat, besonders, wenn er uns geringschätzig behandelt. Derlei Gefühle sind vollkommen natürlich. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir verstehen, dass die Achtung vor unserer Umwelt unseren eigenen Interessen dient.

»Wenn ich es mit einem bewaffneten Kriminellen zu tun habe, lautet meine Faustregel: Immer höflich bleiben«, erklärt Dominick Misino, der im Lauf seiner Karriere beim New Yorker Police Department bei mehr als 200 Geiselnahmen einschließlich einer Flugzeugentführung die Verhandlungen führte, ohne dass jemand ums Leben kam. »Das klingt abgedroschen, ich weiß, aber es ist sehr wichtig. Oft sind die Menschen, mit denen ich es zu tun habe, extrem gewaltbereit. Das liegt an ihrem hohen Maß an Angst: Ein bewaffneter Räuber, der sich in einer Bank verbarrikadiert hat, ist im Flucht-oder-Kämpfen-Modus. Um die Situation zu entschärfen, muss ich versuchen zu verstehen, was in seinem Kopf vor sich geht. Der erste Schritt dazu besteht darin, ihm meinen Respekt zu zeigen, wodurch ich ihm Aufrichtigkeit und Verlässlichkeit demonstriere.«

Verhandlungsführer bei Geiselnahmen wie Misino haben sich aufs Neinsagen spezialisiert. Sie können den Forderungen eines Geiselnehmers nicht nachgeben. Ihre Aufgabe besteht also darin, Nein zu sagen und trotzdem zum Ja zu gelangen – nämlich zu der sicheren Freilassung der Geiseln und der friedlichen Kapitulation des Geiselnehmers. Der erste und wichtigste Schritt besteht darin, dem Gewalttäter Achtung und Respekt entgegenzubringen.

Der offensichtlichste Grund, warum man seinen Mitmenschen Respekt zeigen sollte, ist der, dass es funktioniert. Im Rahmen meiner eigenen Arbeit als Vermittler bei Völkerkriegen musste ich mich immer wieder mit Anführern auseinandersetzen, an deren Händen Blut klebte. Ich billige ihr Verhalten nicht, vielleicht mag ich sie persönlich noch nicht einmal, aber wenn ich will, dass sie ein Nein zur Gewalt akzeptieren – um Waffenstillstandsvereinbarungen treffen zu können und das Leben von Kindern retten zu können –, gibt es, wie ich herausgefunden habe, nur einen Weg, der zum Erfolg führt: Ich muss respektvolles Verhalten zur Grundlage meiner Beziehung zu diesen Menschen machen.

Unser Gegenüber wird uns viel mehr Beachtung schenken, wenn wir zuerst ihm Beachtung schenken; andere werden uns wahrscheinlich viel eher zuhören, wenn wir zuerst ihnen zuhören. Kurz: Sie werden uns und unsere Interessen viel eher respektieren, wenn wir sie und ihre Interessen respektieren.

»Bei meinen Schülern verfolge ich einen strengen Grundsatz«, sagt Celia Carrillo, eine engagierte Lehrerin an einer Schule in einer sozial- und einkommensschwachen Gegend. »Um diesen Grundsatz durchzusetzen, brauche ich etwa zwei bis vier Wochen zu Beginn eines jeden Schuljahres. Ich stelle die Regel auf, dass niemand seine Mitschüler beschimpfen darf. Ich trichtere ihnen ein, was das Wichtigste ist: Respekt, Respekt, Respekt. Ich bin davon überzeugt, dass meine Kinder mich umso mehr achten, je mehr ich sie respektiere, darin sind sie alle gleich. Ich will keineswegs behaupten, dass ich die besten Schüler überhaupt habe, aber nach ihrem Abschluss finden sie meist problemlos einen Ausbildungsplatz. Sie werden mit offenen Armen aufgenommen, denn sie haben Respekt und Manieren gelernt. Kinder hungern oft förmlich nach Zuneigung und Achtung. Sie sind so sehr daran gewöhnt, von ihren Freunden oder Eltern angeschrien zu werden, dass sie mit großer Überraschung reagieren, wenn jemand sie anständig behandelt. Sie wissen es zu schätzen und sie lernen, anderen ihrerseits ebenfalls Achtung entgegenzubringen.«

Denken Sie daran, dass Ihr Gegenüber Ihr Nein wahrscheinlich gar nicht hören will. Durch eine respektvolle Behandlung ist er für Ihre Botschaft vielleicht trotzdem empfänglich. Er kann sie besser verstehen, statt sie von vornherein in Bausch und Bogen zu verdammen . Respekt kann die Intensität einer negativen Reaktion reduzieren und die Chance einer günstigen Antwort erhöhen. Je mächtiger Ihr beabsichtigtes Nein ist, umso mehr Achtung sollten Sie dem anderen erweisen.

»Sie hören uns nur deshalb zu, weil wir das tun, was sie sich am meisten wünschen: Wir respektieren sie«, sagte ein Mitglied der muslimischen Gemeinschaft in Frankreich, der bei den jugendlichen muslimischen Chaoten im November 2005 als Vermittler auftrat. »Wenn man ihnen Achtung entgegenbringt, behandeln sie einen ebenfalls respektvoll … Wir begaben uns mitten zwischen die feindlichen Fronten, und viele Jugendliche hörten uns zu. Am nächsten Tag wurde viel weniger Schaden angerichtet als an den Abenden zuvor.«

Achtung kann eine kurzfristige Verbindung zu dem anderen herstellen, aber auch zum Aufbau einer langfristigen Beziehung beitragen. Im Rahmen einer von Achtung geprägten Beziehung können wir den anderen erheblich stärker beeinflussen. Respekt ist wie ein Guthaben aus persönlichem gutem Willen, das man auf der Bank hinterlegt. Wenn man mit einer schwierigen Situation konfrontiert wird, kann man etwas davon abheben.

Er ist das preiswerteste Zugeständnis, das Sie dem anderen machen können. Er kostet Sie wenig und bringt viel Gewinn. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass der erfolgreichste Automobilhersteller weltweit, Toyota, den Respekt – für Angestellte, Geschäftspartner und natürlich Kunden – zu einem seiner Kernprinzipien erkoren hat.

Kurz gesagt: Respekt ist der Schlüssel, der das Tor zum Geist und zum Herzen Ihres Gegenübers öffnet. Sagen Sie sich dabei nicht, dass Sie dem anderen einen Gefallen tun, sondern sich selbst – denn letztlich kann er dazu beitragen, dass Ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Ein respektvoller Umgang miteinander ist nicht nur sinnvoll, weil er richtig ist, sondern auch, weil er wirkungsvoll ist. Respektieren Sie den anderen um Ihrer selbst willen.

Es gibt zwei Hauptwege, um Ihre positive Haltung des Respekts zu demonstrieren: Zuhören und Anerkennung.

Hören Sie aufmerksam zu

Der einfachste Weg, um dem anderen Ihre Achtung zu erweisen, besteht vielleicht darin, ihm mit positiver Aufmerksamkeit zuzuhören. Versuchen Sie genau herauszufinden, was der andere Ihnen zu vermitteln versucht. Achten Sie auf seine eigentlichen Interessen und Bedürfnisse. Denken Sie daran, dass Gott uns aus gutem Grund zwei Ohren und einen Mund geschenkt hat.

Vor vielen Jahren war ich bei einer Talkshow zu Gast. Eine Anruferin fragte um Rat, wie sie mit ihrem fünfjährigen Sohn umgehen sollte, der sie schier zur Verzweiflung brachte. »Er hört mir einfach nicht zu! Was kann ich tun?« Ich dachte einen Augenblick lang nach und fragte die Anruferin: »Na ja, hören Sie ihm denn zu?« Am anderen Ende der Leitung entstand eine Pause, bevor sie antwortete: »Nein, aber …«

Wenn der andere Sie beleidigt hat, haben Sie wahrscheinlich gar keine Lust, genau auf seine Worte zu achten. »Warum sollte ich?«, denken Sie vielleicht. »Er sollte lieber mir zuhören!« Aber das können Sie nur erwarten, wenn Sie mit gutem Beispiel vorangehen. Im Rahmen des positiven Neins kann Zuhören eine höchst effektive Methode sein, um den anderen dazu zu bringen, Ihre Botschaft zu verstehen.

Bei zähen Verhandlungen zwischen Gewerkschaft und Firmenleitung, die direkt in die Sackgasse eines destruktiven Streiks zu münden drohten, beschloss der Gewerkschaftsvertreter einen neuen Ansatz zu verfolgen, bevor er dem Management sein Nein entgegensetzte. Statt Klagen über die wirtschaftliche Misere mit ähnlichen Tiraden zu beantworten, hörte er einfach nur zu. Er schenkte den Worten der Firmenleitung aufrichtige Aufmerksamkeit. Er stellte viele Fragen. Seine Kontrahenten reagierten verblüfft – das war noch nie passiert. Nach eigener Aussage hatten sie plötzlich das Gefühl, dass man ihnen zuhörte und sie respektierte. Sie benutzten genau dieses Wort – respektieren. Im Gegenzug begannen auch sie, den Gewerkschaftsvertretern mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Diese überraschende Übung in gegenseitigem Zuhören erwies sich als der Wendepunkt der Verhandlungen. Der verheerende Streik, der allgemein erwartet wurde, konnte verhindert werden. Es ist zwar nicht ganz einfach, wirklich zuzuhören, aber es lohnt sich.

Zeigen Sie Ihre Achtung vor dem anderen, indem Sie ihn zu Wort kommen lassen. Vermeiden Sie Unterbrechungen. Im Gegenteil: Wenn der andere fertig ist, überraschen Sie ihn auf positive Weise mit der Frage, ob er möglicherweise noch weitere Anmerkungen zu machen hat. Es ist bemerkenswert, wie viel nützliche Information man durch einfaches Zuhören erhalten kann und wie viel effektiver Ihr Nein dadurch werden kann.

Hören Sie zu, um zu verstehen, nicht um zu widerlegen

In schwierigen Situationen hören wir häufig nur zu, um die Worte des anderen zu widerlegen. Wir betrachten unser Gespräch als Debatte, in der wir Punkte sammeln können. Bei einem Streitgespräch ist das sicher angemessen, aber mit echtem Zuhören hat es nur wenig zu tun. Hier liegt das Hauptaugenmerk nicht darauf, die Worte des anderen zu hören oder im Kopf zu behalten, sondern es geht vielmehr darum, ihre eigentliche Bedeutung zu erfassen.

»Unsere wahre Philosophie lautet: ›Rede mit mir‹«, erklärt Hugh McGowan, der bei zahlreichen Geiselnahmen als Verhandlungsführer eingesetzt wurde. »Sie lautet nicht: ›Ich bin am Telefon, also hör mir gefälligst zu, und lass jetzt sofort die Waffe fallen, sag ich dir! Bum, bum, Klappe zu, Affe tot.‹ Darum geht es uns nicht. Vielmehr lautet die Botschaft: ›Sehr geehrter Herr Geiselnehmer, Herr verbarrikadiertes Individuum, bitte teilen Sie mir mit, wo genau das Problem liegt. Was ist los? Was können wir unternehmen, um Ihnen in Ihrer Situation zu helfen? Reden Sie mit mir.‹«

Genau wie die Verhandlungsführer bei der Polizei ihr Nein dadurch beginnen, dass sie dem Geiselnehmer zuhören, so verschaffen auch Sie Ihrem Nein einen guten Start, wenn Sie sich in die Lage Ihres Gegenübers versetzen. Wenn Sie verstehen, wie er die jeweilige Situation empfindet, können Sie ihn oft viel besser beeinflussen und überreden, Ihrem Vorschlag zu folgen.

Genau wie Sie die Motive für Ihr eigenes Nein erkundet und Ihre eigentlichen Interessen, Bedürfnisse und Werte erforscht haben, so können und sollten Sie es auch bei dem anderen handhaben. Fragen Sie sich, welche tatsächlichen Interessen hinter seiner Bitte oder Forderung stehen. Welche Bedürfnisse könnten seinem problematischen Verhalten zugrunde liegen? Lassen Sie bei Ihrer Suche nach Antworten nicht locker. Vielleicht können Sie die Interessen Ihres Gegenübers ja nicht immer befriedigen, aber sie zu verstehen und ernsthaft zu berücksichtigen ist eine wichtige Voraussetzung, damit der andere Ihr Nein akzeptiert und die Beziehung zu ihm nicht leidet.

Möglicherweise befürchten Sie, dass es Ihre Urteilskraft und Entschlossenheit schwächt, wenn Sie sich in die Lage des anderen versetzen. Aber selbst, wenn es sich um Ihren Todfeind handelt, denken Sie immer an die goldene Regel der Kriegsführung: Lerne deinen Feind genau kennen!

Während seiner Inhaftierung lernte Nelson Mandela als erstes Afrikaans, die Sprache seiner Feinde. Viele seiner Anhänger waren überrascht, ja sogar schockiert, aber er ließ sich nicht beirren und forderte sie auf, es ihm gleichzutun. Anschließend befasste Mandela sich intensiv mit der Geschichte der Afrikaander und der Tragödie des Burenkriegs, wobei er ein grundlegendes Verständnis für ihren psychologischen und kulturellen Hintergrund entwickelte. Tatsächlich lernte er dadurch, die Afrikaander aus ganzem Herzen zu respektieren – wegen ihres Strebens nach Unabhängigkeit, wegen ihrer religiösen Hingabe und wegen ihres Mutes im Kampf. Dieses Verständnis für die andere Seite erwies sich später als enorm hilfreich, als er die Regierung davon überzeugen wollte, sein unverblümtes Nein zu dem grausamen und ungerechten System der Apartheid zu akzeptieren.

Stellen Sie klärende Fragen

Wenn Sie nicht wissen, warum der andere etwas Unangemessenes von Ihnen verlangt oder sich nicht korrekt verhält, sollten Sie sich nicht aufs Raten verlegen, sondern konkrete Fragen stellen. Formulierungen wie: »Worin liegt das Problem?« oder »Können Sie mir helfen, Ihre Bedürfnisse besser zu verstehen?« sind dabei sehr hilfreich.

Stellen Sie sich vor, Sie müssten einer spezifischen Anforderung Ihres Hauptkunden mit Nein begegnen. Mit diesem Dilemma sahen sich die Software-Entwickler einer großen, bekannten Computerfirma konfrontiert, deren Kunde permanent Lösungen verlangte, die auf seine spezifischen Geschäftsprozesse abgestimmt waren. Der Grund dafür lag darin, dass die Entscheidungsträger nur über ein begrenztes Verständnis der Software-Technologie verfügten. Lange Zeit sagten die Entwickler Ja, weil sie guten Kundendienst bieten wollten, aber die Lösungen erwiesen sich als zu zeitaufwändig und zu teuer. Der Kunde war unzufrieden und das Management der IT-Firma beklagte die Höhe der Kosten. Doch ein unverblümtes Nein hätte den Kunden ausgesprochen unglücklich gemacht.

Dann entdeckte das Software-Team die Vorzüge der Frage »Warum?«, durch die man die eigentlichen Bedürfnisse des Kunden herausfinden konnte. So stellte man beispielsweise die Frage: »Warum kann diese oder jene Funktion Ihnen helfen?« Zuerst reagierte der Kunde zögerlich. Man war es nicht gewohnt, mit Technikexperten über wirtschaftliche Bedürfnisse zu reden. Aber als man entdeckte, dass bereits diverse Programmfunktionen existierten, die für die eigenen Zwecke rekonfiguriert werden konnten – was sowohl Bearbeitungszeit als auch Kosten drastisch reduzierte –, zeigte man sich gleich viel aufgeschlossener. Und genau darin besteht die Macht der klärenden Fragen.

Manchmal liegt unserem Nein einfach ein Missverständnis zugrunde oder uns sind nicht sämtliche Fakten bekannt. Eine Methode, um Ihrem Gegenüber Achtung zu erweisen, besteht darin, immer das Günstigste von ihm anzunehmen – bis Sie die Fakten durch klärende Fragen überprüft haben.

Erkennen Sie den anderen an

Zuhören und Fragen sind ein guter erster Schritt, aber oft muss man weitergehen. In der Wirtschaft und in der Politik, ebenso wie zu Hause, nehmen die Menschen letztlich alles persönlich. Wenn Sie den anderen Menschen nicht zuerst anerkennen – egal wie Sie das Verhalten des Betreffenden bewerten –, können Sie nicht von ihm erwarten, dass er Ihr Nein hört, versteht und akzeptiert. Wenn Sie erreichen wollen, dass Ihr Gegenüber Ihr Nein annimmt, statt mit Vergeltung zu reagieren, müssen Sie alles daransetzen, damit es nicht als persönliche Zurückweisung verstanden wird. Dazu bedarf es einer zweifachen Botschaft: Sie sagen Nein zu dem problematischen Ansinnen oder Verhalten und Ja zu dem Menschen.

Anerkennung bedeutet nicht, dem anderen zuzustimmen. Es bedeutet auch nicht, irgendwelche substanziellen Zugeständnisse zu machen. Es bedeutet auch nicht, den anderen zu schätzen. Es bedeutet einfach nur Erkennen. Alle Menschen haben das grundlegende Bedürfnis, erkannt zu werden. Anerkennung bedeutet, den anderen nicht als Niemand, sondern als Jemand zu behandeln, als Mitmenschen, der existiert und der ebenso Bedürfnisse und Rechte hat wie jeder andere auch. Anerkennung ist wohlmöglich der Wesenskern des Respekts.

In einer angespannten Situation ist es natürlich und üblich, den anderen nicht anzuerkennen. Bei einer hitzigen Debatte zwischen den Anführern des Venezuela-Konflikts, der ich im Rahmen meiner Vermittlungsbemühungen beiwohnte, intervenierte der Rektor der Katholischen Universität von Caracas mit folgender energischer Äußerung: »Lassen Sie uns erst einmal drei Dinge klarstellen«, verkündete er. »Erstens: Der andere existiert. Zweitens: Die Interessen des anderen existieren. Und drittens: Die Macht des anderen existiert.« Damit traf er ins Schwarze, denn das Fehlen grundlegender gegenseitiger Anerkennung war ein zentrales Hindernis auf dem Weg zum Fortschritt in Venezuela. Die drei Merksätze des Monsignore sollte jedermann im Kopf behalten, der in einen Konflikt verwickelt ist, egal ob groß oder klein.

Rufen wir uns das Vorgehen von Bob Iger ins Gedächtnis, des Geschäftsführers der Disney Corporation und Nachfolgers von Michael Eisner, als er das Aufbegehren seiner Aktionäre in den Griff zu bekommen versuchte. Walt Disneys Neffe, Roy Disney, war frustriert und wütend über Eisners Firmenpolitik, ebenso wie über seine persönlichen Angriffe. Gemeinsam mit dem Investor Stanley Gold trat er vom Disney-Vorstand zurück und initiierte eine Web-Kampagne gegen Eisner. Diese hatte zur Folge, dass erschreckende 45 Prozent der Aktionäre bei der Jahreshauptversammlung ihn nicht zum Vorsitzenden wählten. Als dann Iger, Eisners bevorzugter Kandidat, zum CEO gewählt wurde, verklagten Roy Disney und Stanley Gold die Direktoren der Firma und warfen ihnen Wahlmanipulation vor. Igers erste Amtshandlung, nachdem er den Top-Job bekommen hatte, bestand deshalb darin, Roy Disney einen persönlichen Besuch abzustatten und ihn zu bitten, als Berater für die Firma tätig zu sein und den Titel Direktor im Ruhestand zu tragen. Mit anderen Worten, er erkannte die Sorgen Roy Disneys an und betonte den Wert seiner langjährigen loyalen Dienste, die er der Firma erwiesen hatte. Roy Disney erklärte sich einverstanden, das Aufbegehren der Aktionäre zu beenden und die Web-Site zurückzuziehen. »Mr. Iger musste nicht mehr tun, als Mr. Disney seine Achtung zu erweisen«, schrieb der Economist darüber. Mit etwas Respekt kann man eine Menge erreichen.

Erkennen Sie den Standpunkt des anderen an

Eine Methode, um die andere Person anzuerkennen, besteht darin, ihren Standpunkt anzuerkennen – ohne zuzustimmen.

So könnten Sie auf die Forderung des anderen folgendermaßen antworten: »Ich verstehe Ihr Problem. Ich kenne das selbst ebenfalls. Und ich kann Ihrer Bitte leider nicht nachkommen.« Oder Sie können für eine Einladung danken. »Ich freue mich sehr, dass Sie an mich gedacht haben. Bedauerlicherweise habe ich keine Zeit.«

Wenn Sie auf das unangemessene Verhalten eines anderen reagieren, können Sie zunächst einmal zu seinen Gunsten entscheiden. Wenn jemand in Ihrem Büro raucht, dann kann es nicht schaden, zunächst einmal davon auszugehen, dass der Betreffende die Regeln im Büro nicht genau kennt, bevor man ihn bittet, das Rauchen zu unterlassen: »Das ›Bitte nicht rauchen‹-Schild ist schwer zu sehen. Dürfte ich Sie bitten, draußen zu rauchen?« Auch wenn Ihr Gegenüber das Schild gesehen hat, hilft ihm dieser Ansatz, das Gesicht zu wahren, und gibt ihm eine zweite Gelegenheit, sich anders zu verhalten.

Wenn Sie sich in die Lage des anderen hineinversetzen, so können Sie eine bessere Verbindung zu ihm schaffen und Ihr Nein besser vermitteln. Schauen wir uns die Reaktion einer Frau an, die ihren Neffen mit einem entzündeten Streichholz ertappte. »Ah! Du hast es geschafft! Es brennt! Weißt du eigentlich, wie lange die Menschheit benötigt hat, um zu entdecken, wie man Feuer macht?«, rief sie aus. Doch dann erklärte sie mit fester Stimme, warum er nie wieder mit Streichhölzern spielen soll: »Jetzt weißt du ja, wie es geht, und ich möchte, dass du mir versprichst, dass du es nicht wieder tust. Es ist gefährlich, und das Haus kann dadurch abbrennen.« Statt gleich mit Furcht und Zorn zu reagieren, wie es leicht hätte passieren können, stellte sie mit ihm und seiner Freude über das Streichholz eine Verbindung her. Dann erst sagte sie Nein.

Zeigen Sie dem anderen, dass Sie ihn schätzen

Eines Tages nahm der Kommandeur eines US-Marinestützpunkts an einem meiner Harvard-Seminare teil. Er war den weiten Weg von seinem Stützpunkt in Japan gekommen, weil er seine Verhandlungstechniken verbessern wollte. Am Ende des Kurses sagte er mir, dass die Lektion, die ihn am meisten verblüfft hätte, die Bedeutung des Respekts gewesen sei. Plötzlich sei ihm klar geworden, dass er deshalb so viele Probleme im Umgang mit seinem halbwüchsigen Sohn hatte, weil er seinem Sohn nicht genug Achtung entgegenbrachte. Er beschloss, es in Zukunft besser zu machen und seinem Sohn zu zeigen, wie sehr er ihn schätzte und seinen Standpunkt respektierte, sogar während ihrer Auseinandersetzungen.

Wenn Ihr Nein zu Spannungen in der Beziehung führt, kann es hilfreich sein, diese Beziehung zunächst zu bestätigen. Einer meiner Freunde trennte sich auf Probe von seiner Partnerin. Die Spannungen waren so stark, dass die beiden noch nicht einmal über heikle finanzielle Themen reden konnten. Er stellte fest, dass es oft hilfreich war, zunächst die Beziehung zu bestätigen, bevor man sich über problematische Dinge unterhielt. Außerdem erwies es sich als sinnvoll, kleine Dinge zusammen zu tun, wie zum Beispiel gemeinsam mit ihrer Tochter eine Familienmahlzeit zuzubereiten, denn das erinnerte beide daran, was sie miteinander verband.

Den Wert des anderen zu bestätigen kann auch langfristig positive Folgen haben, denn es kann Widersacher dazu bringen, eine wirklich respektvolle Beziehung zueinander zu entwickeln. Das illustriert der Bericht von Danna Smith, die eine ökologische Kampagne gegen Staples, einen Büromaterial-Lieferanten, ins Leben rief, weil dieser Papierprodukte aus alten Baumbeständen verkaufte: »Während unserer Umweltkampagne legten wir großen Wert auf ein konstruktives Verhältnis zu den Entscheidungsträgern. Wir bemühten uns sehr, ihnen verständlich zu machen, dass wir in der Sache zwar hart bleiben wollten, dass wir aber die Menschen, die in der Firma arbeiteten, schätzten und wussten, dass es nicht ihre persönliche Absicht war, die Wälder zu zerstören.«

Für Umweltgruppierungen, die Geschäftsleute eher als Feinde zu betrachten pflegen, war dies ein ungewöhnlicher Kurs. Aber gerade dieser respektvolle Ansatz führte letztlich zum Erfolg: Man konnte Staples davon überzeugen, umweltfreundlichere Produktionsverfahren einzuführen. Oder, um es mit den Worten von Joe Vassaluzzo, dem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden von Staples, zu formulieren: »Die ursprünglich äußerst verfahrene Situation hat sich deutlich entspannt. Ich will damit nicht behaupten, dass ich mit allem einverstanden bin, aber durch die verbesserte Kommunikation verbesserte sich auch der Gedankenaustausch. Die Differenzen bleiben bestehen, aber in einem deutlich kooperativeren und positiveren Klima. Die Haltung beider Seiten hat sich zum Besseren gewandelt.« Und genau das kann ein bisschen Respekt bewirken.

Überraschen Sie Ihr Gegenüber durch Anerkennung

Unterschätzen Sie nicht die Macht, die Sie besitzen, wenn Sie andere mit einer Geste der Anerkennung überraschen.

Dies illustriert die Geschichte von Troy Chapman, mit dem ich während seiner langjährigen Haftstrafe in einem Bundesgefängnis korrespondierte. Chapman berichtet, wie »ein Mann ihn vom Bürgersteig wegzudrängen versuchte. Das ist nichts Ungewöhnliches, denn im Gefängnis versuchen die gleichzeitig verängstigten und zornigen jungen Insassen gern, sich als harte Burschen zu profilieren. Mit ähnlichen Situationen bin ich schon seit Jahren konfrontiert, und bislang gab es für mich immer nur zwei Handlungsalternativen: Rückzug oder Offensive. Doch diesmal hatte ich eine andere Idee: Ich erinnere mich noch genau an die Verwirrung in den Augen des Mannes, als ich vom Bürgersteig herunterging, ihn am Ellbogen berührte und sagte: ›Wie geht’s?‹ Ich trat beiseite, aber ich wich nicht zurück. Ich ließ mich auf ihn ein, aber auf einer anderen Ebene. Er war ziemlich ratlos, murmelte irgendeine Antwort und ging weiter. Aber ich hatte ihm in einer Sprache, die wir beide verstanden, deutlich zu verstehen gegeben: ›Ich brauche keinen Feind.‹«

Statt anzugreifen oder sich anzupassen, überraschte Chapman den anderen Mann, indem er ihn als gleichberechtigten Mitmenschen anerkannte. »Wie geht’s?« Tatsächlich spielte Chapman das »Feind-Spielchen« nicht mit, sondern wechselte zum »Respekt-Spiel«. Respekt ist die moralische Hochebene zwischen Zurückweichen und Offensive. Chapman sagte Nein zu der angriffslustigen Herausforderung, indem er Ja zu dem dahinterstehenden Menschen sagte. Und genau darin liegt die transformative Kraft der Anerkennung.

Eine der dramatischsten und überraschendsten Akte der Anerkennung auf dem Gebiet der internationalen Politik war im Jahr 1977 die Reise des ägyptischen Präsidenten Sadat nach Jerusalem. »Von diesem Besuch erhoffe ich mir«, sagte Sadat einem Zeitungsjournalisten während des historischen Fluges, »dass die psychologische Mauer [des Misstrauens], die unser Land vom Land Israel trennt, endlich niedergerissen wird.«

In seiner Rede vor dem israelischen Parlament, der Knesset, rief Sadat Israel auf, die Besetzung arabischen Landes aufzugeben, genau wie er es in Kairo getan hatte. Aber diesmal benutzte er dramatische Worte, um die Existenz seines Feindes anzuerkennen: »Der Staat Israel ist eine vollendete Tatsache, die von den Supermächten und von der ganzen Welt akzeptiert wird. Wir heißen Sie in der Staatengemeinschaft willkommen und wünschen uns, dass Sie in Frieden und Sicherheit unter uns leben können.« Durch sein Verhalten schuf er ein Klima beidseitigen Respekts, in dem Friedensgespräche überhaupt erst stattfinden konnten. Das Ergebnis war ein Friedensvertrag und der komplette Abzug israelischer Truppen und Siedlungen aus der Sinai-Halbinsel.

Die Macht der überraschenden Anerkennung können wir uns auch im Alltag zunutze machen. Wenn es Ihnen zu Hause, am Arbeitsplatz oder in der Welt schwerfällt, eine Verbindung zu Ihren Mitmenschen herzustellen, weil diese Ihnen kein Gehör schenken, sollten Sie sich folgende Frage stellen: »Was wäre das Äquivalent zu einem Flug nach Jerusalem?« Mit anderen Worten: Welche Handlungsweise würde die anderen so verblüffen, dass die Tür sich plötzlich öffnet und sie Ihr Nein hören?

Beginnen Sie Ihr positives Nein mit einem positiven Akzent

Der Zweck der Anerkennung besteht darin, ein konstruktives Klima zu schaffen, in dem man ein Gespräch mit dem anderen führen kann.

Ein lateinamerikanischer Geschäftsmann berichtete mir einst über schwierige Verhandlungen, die er und andere Geschäftsleute kürzlich mit dem Präsidenten des Landes führen mussten. Die Geschäftsleute beabsichtigten, in diesem Meeting über ihre Besorgnis hinsichtlich der ökonomischen Probleme des Landes zu sprechen und vorzuschlagen, bestimmte wirtschaftspolitische Grundsätze zu verändern. Mit anderen Worten: Sie sagten Nein zum Status quo. Während sie sich gleich mit den Tagesordnungspunkten befassten, erkannte unser Geschäftsmann – aus der Balkon-Perspektive –, dass der Präsident umso mehr in die Defensive ging, je intensiver die Geschäftsleute ihren Sorgen Ausdruck verliehen und ihm ihre Vorschläge unterbreiteten. Er fühlte sich persönlich angegriffen und attackierte nun seinerseits jeden einzelnen Sprecher.

Der Geschäftsmann unterbrach die Konferenz und sagte: »Es tut mir leid, Herr Präsident, aber wir hatten anscheinend einen schlechten Start. Eigentlich wollten wir Ihnen zunächst einmal danken für den bemerkenswerten Fortschritt, den Sie in Ihrer ersten Amtszeit durch Ihre wirtschaftlichen Reformen erzielt haben. Außerdem wollen wir herausfinden, wie wir als Geschäftsleute Ihnen helfen können, diese Reformen während Ihrer zweiten Amtszeit zu erweitern.« Auf diese Äußerung hin entspannte sich der Präsident sichtbar, das Meeting dauerte doppelt so lange wie ursprünglich geplant, und schließlich lud der Präsident die Geschäftsleute ein, als privatwirtschaftliche Berater in seiner Regierung zu fungieren.

Wenn Sie Nein sagen wollen, ist es nur allzu leicht, gleich in medias res zu gehen, genau wie unsere Geschäftsleute es in ihrer Konferenz mit dem Präsidenten taten. Sie selbst gehen davon aus, dass Ihr Gegenüber Ihre Intention als konstruktiv empfindet, aber der andere betrachtet Ihr Feedback – genau wie der Staatspräsident – als persönliche Zurückweisung. Deshalb ist es häufig klug, erst einmal einen positiven Akzent zu setzen und eine anerkennende Bemerkung zu machen.

»Ihre Präsentation war wirklich hervorragend, aber dieses Geschäft ist für uns nicht vielversprechend genug, um Ihr Angebot weiter zu verfolgen«, sagte ein Kunde zu einem meiner Seminarteilnehmer, der diese Äußerung später als besonders effektives Nein zitierte. »Ich fühlte mich geschätzt. Das Nein war direkt und präzise und wurde ohne negative Emotionen hervorgebracht.«

Eine Möglichkeit, um zu Beginn eines Gesprächs einen positiven Akzent zu setzen, besteht darin, den anderen explizit um seine Zeit und seine Aufmerksamkeit zu bitten: »Können wir uns vielleicht unterhalten?« oder »Ob Sie einen Augenblick Zeit für mich hätten?«. Ein respektvoller Ansatz bereitet den anderen darauf vor, Ihnen zuzuhören, und trägt dazu bei, dass er Ihr Nein als vernünftige und akzeptable Antwort auf seine Forderung oder sein Verhalten auffasst.

Stellen Sie sich vor, Sie würden Ihr Gegenüber zu einer konstruktiven Diskussion einladen – wie im Fußball zu einem Freundschaftsspiel. So kenne ich zum Beispiel einen Manager, der in solchen Fällen im breitesten schottischen Akzent und mit einem liebenswürdigen Lächeln Folgendes zu sagen pflegt: »Kommen Sie, reden Sie mit mir. Ich hätte da ein Hühnchen mit Ihnen zu rupfen.«

Ein wichtiger Bestandteil Ihrer Einladung sollte der Hinweis sein, dass es auch für den anderen Vorteile gibt, nicht nur für Sie selbst. So könnten Sie etwa zu Ihrem problematischen Kollegen sagen: »Ich würde gern über etwas mit dir reden, das uns meiner Meinung nach in die Lage versetzt, effektiver zusammenzuarbeiten.« Ihrem Lebensgefährten könnten Sie verkünden: »Ich möchte mit dir über etwas reden, das uns dabei hilft, besser miteinander zu kommunizieren.« Mit anderen Worten: Entwerfen Sie ein genaues Bild der positiven zukünftigen Entwicklung, die Sie sich für sich selbst und für Ihren Gesprächspartner wünschen.

Vorbereiten, vorbereiten, vorbereiten

Damit haben wir das Ende der Vorbereitungsphase erreicht. Sie haben Ihr Ja enthüllt. Sie haben Ihrem Nein Macht verliehen. Und indem Sie eine respektvolle Haltung eingenommen haben, haben Sie den anderen darauf vorbereitet, Ja zu sagen.

Egal wie geschickt Sie sind, es gibt einfach keinen Ersatz für effektive Vorbereitung und Übung im Vorfeld. An dieser Stelle möchte ich den Boxweltmeister Mohammed Ali zitieren, dessen Wahlspruch lautete: »Ich laufe lange auf der Straße, bevor ich im Rampenlicht tanze.«

Nun, da Sie sich auf das Neinsagen vorbereitet haben, ist es Zeit, Ihr positives Nein auch wirklich zu übermitteln. Wir treten also nun in die zweite Phase des Gesamtprozesses ein.