4 Artikulieren Sie Ihr Ja

Bei der Verfolgung Deiner Ziele sei wie ein Baum.
Fest verwurzelt, zupackend, nach oben strebend.
Beuge Dich den Winden des Himmels.
Und lerne Ruhe.
Grabwidmung an Förster Richard St. Barbe Baker

Die Übermittlung des positiven Neins ist die Krux des Gesamtprozesses und erfordert ebenso viel Geschicklichkeit wie Takt. Der Prozess beginnt mit einer Bestätigung (Ja!), geht weiter mit dem Setzen einer Grenze (Nein.) und endet mit einem Vorschlag (Ja?).

Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie wollten die Einladung Ihrer Gemeinde, vor dem Lokalausschuss eine Rede zu halten, ausschlagen. »Ich freue mich, von Ihnen zu hören, und weiß die wertvolle Arbeit, die Sie leisten, zu schätzen. Aus familiären Gründen übernehme ich momentan keine zusätzlichen Verpflichtungen. Wenn Sie im nächsten Jahr immer noch Interesse an meiner Mitarbeit haben, denke ich gern noch einmal darüber nach. Vielen Dank, dass Sie an mich gedacht haben.« Nach dem ersten Akzent aus Akzeptanz und Respekt beginnen Sie Ihr positives Nein, indem Sie Ihr Ja! zu den eigenen Interessen (»Familie«) artikulieren. Dann bekräftigen Sie Ihr Nein mit sachlichen Worten, die niemanden persönlich zurückweisen (»Ich übernehme momentan keine zusätzlichen Verpflichtungen«). Es folgt die Präsentation eines Ja?, einer alternativen Lösung (»Wenn Sie im nächsten Jahr immer noch Interesse an meiner Mitarbeit haben …«). Das Ende knüpft an den Anfang an. Sie setzen erneut einen Akzent aus Respekt für Ihr Gegenüber (»Danke, dass Sie an mich gedacht haben.«).

Auch wenn Sie, wie wir noch sehen werden, diese Folge nicht immer und unter allen Umständen einhalten müssen, handelt es sich hier um das Drei-Phasen-Modell des positiven Neins, dem respektvolle Gesten vorangeschickt und nachgestellt werden.

Im Verlauf der nächsten drei Kapitel werden wir nacheinander jeden einzelnen der drei Bestandteile des positiven Neins erforschen. Lassen Sie uns mit dem ersten Teil beginnen, mit der Artikulation des Jas.

Der Sinn des Jas

Warum nicht sofort zum Nein kommen? Die kurze Antwort lautet, dass man auf das Nein vorbereiten muss, um damit erfolgreich zu sein.

Ein Mann aus meinem Bekanntenkreis hatte einen Sohn, der eine Ausbildung bei der amerikanischen Luftwaffe absolvierte. Er war sehr stolz auf seinen Sprössling und setzte viel Hoffnung in ihn. Eines Tages, mitten in seiner Ausbildung, rief der Sohn ihn jedoch an und erklärte: »Mir ist klar geworden, dass ich mich in Bezug auf meine Zukunftsplanung getäuscht habe. Ich möchte etwas anderes sein und deshalb die Akademie verlassen. Sie bereitet mich nicht auf das Leben vor, das mir vorschwebt.« Obwohl diese Nachricht für den Vater schockierend und enttäuschend war, zitierte er genau diese Äußerung seines Sohnes als das beste Nein, mit dem er jemals konfrontiert wurde. »Warum?«, fragte ich ihn. »Weil es aus tiefstem Herzen kam und gut überdacht war«, antwortete der Vater. Das Nein seines Sohnes war deshalb so wirkungsvoll, weil es in dem Ja zu sich selbst und zu dem, was er vom Leben verlangte, verwurzelt war.

Vergleichen Sie dies mit einem Nein, das einer meiner Kunden von seiner Bank erhielt: »Der Kreditvertrag, den wir mündlich vereinbart hatten, kam nicht zustande, weil unser wichtigster Geldgeber einen Rückzieher machte. Der Bankier setzte uns telefonisch mit folgenden Worten davon in Kenntnis: ›Ich rufe Sie an, um Ihnen mitzuteilen, dass unsere Vereinbarung hinfällig ist. Ich kann Ihnen den Grund nicht erläutern, aber es liegt nicht an Ihnen. Es hat andere Ursachen.‹ Keine weitere Erklärung. Ich fühlte mich vollkommen machtlos.« Das Fehlen jeglicher Erklärung machte das Nein besonders hart.

Wenn ich meine Seminarteilnehmer frage, welches Nein für sie im Leben am härtesten war, nennen diese besonders häufig das Nein, das ihnen im Teenageralter von ihren Eltern entgegengebracht wurde. »Nein, und zwar weil ich es sage!« Dieses Nein fußt ausschließlich auf der Macht des anderen und zeigt keinerlei Sorge um den Mitmenschen. Meine Seminarteilnehmer sind längst erwachsen, arbeiten oft in leitender Stellung, und doch erinnern sie sich noch heute mit einer Mischung aus Frustration und Zorn an diese Neins. Eine Managerin, der die Eltern die lang geplante, selbst finanzierte Reise nach Europa verboten, die sie nach dem High-School-Abschluss antreten wollte, schrieb dazu: »Dieses rigorose Vorgehen habe ich meinen Eltern nie verziehen.«

Ihr ursprüngliches Ja hat zwei grundlegende Funktionen: Es bekräftigt Ihre Absicht und es erklärt dem anderen, warum Sie sich für ein Nein entschieden haben.

Bekräftigen Sie Ihr Ja

Angst und Schuldgefühle stehen unserem Nein oft im Wege. Wenn Sie Ihr Ja bekräftigen, so verwurzeln Sie Ihr Nein in der Macht Ihrer positiven Absicht und demonstrieren Ihre hohe Bereitschaft, sich um Ihre eigenen Belange zu kümmern. Ihr Ja verleiht Ihrem Nein Überzeugung und Stärke.

Nachdem Nelson Mandela verhaftet und im Jahr 1964 in Südafrika wegen Hochverrats angeklagt worden war, bestand er darauf, vor Gericht eine öffentliche Erklärung abzugeben. Damit handelte er dem Rat seiner Anwälte zuwider, die befürchteten, dass eine solche Erklärung sein Todesurteil zur Folge haben würde. Er glaubte daran, dass er die Gelegenheit, seine Absicht den Menschen in Südafrika öffentlich zu bekunden, nicht vorüberziehen lassen durfte. Sie war es wert, sein Leben zu riskieren. Seine Schlussworte sind eine Zusammenfassung seines Jas: »Mein Leben lang habe ich mich diesem Kampf des afrikanischen Volkes gewidmet. Ich habe gegen weiße Vorherrschaft gekämpft und ich habe gegen schwarze Vorherrschaft gekämpft. Ich habe das Ideal der Demokratie und der freien Gesellschaft hochgehalten, in der alle Menschen in Harmonie und mit gleichen Möglichkeiten zusammenleben. Es ist ein Ideal, für das ich zu leben und das ich zu erreichen hoffe. Doch wenn es sein soll, so bin ich auch bereit, für dieses Ideal zu sterben.«

Ihre Absicht zu bekräftigen ist eine kreative Handlung. Sie unternehmen den ersten Schritt, um eine neue Wirklichkeit zu schaffen. Mandela hatte das verstanden und war bereit, für diese neue Wirklichkeit einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung sein Leben zu opfern. Sein Instinkt erwies sich als richtig. Sein beredtes Ja! zur Freiheit hallte in ganz Südafrika, ja sogar in der ganzen Welt wider, bis zu jenem Tag, da die Freiheit sich durchzusetzen vermochte.

Das Wesen eines positiven Neins besteht darin, zu bekräftigen, ohne zurückzuweisen – also die eigenen Interessen zu vertreten, ohne Ihr Gegenüber als Menschen abzulehnen. Sie stehen auf eigenen Beinen, ohne dem anderen auf die Zehen zu treten. Ihr ursprüngliches Ja ist der Schlüssel, um dieses prekäre Gleichgewicht zu erreichen.

Erklären Sie Ihr Nein

Oft besteht die Gefahr, dass Ihr Gegenüber Ihr Nein missversteht und Ihnen falsche Motive unterstellt. Deshalb bietet Ihr Ja Ihnen eine hervorragende Gelegenheit, den anderen über die Motive für Ihr Nein aufzuklären. Sie können ihm zeigen, dass Sie ihn nicht persönlich ablehnen, sondern einfach nur das zu schützen versuchen, was Ihnen wichtig ist.

Betrachten wir den Fall eines leitenden Angestellten, der viel auf Geschäftsreisen war und die meisten seiner Mahlzeiten in Restaurants einnahm. Seit vielen Jahren war er herzkrank, weshalb er weder tierische noch pflanzliche Fette zu sich nehmen durfte. Häufig, wenn er einem Kellner seine ernährungsspezifischen Bedürfnisse erklärte, traf er auf Widerstand und auf die Unfähigkeit, seinen Anweisungen zu folgen. Die meisten verstanden sein Nein einfach nicht, hielten es für eine Art Spleen, mit dem er ihnen das Leben schwermachen wollte. Er fühlte sich versucht, in die Offensive zu gehen, aber eine Auseinandersetzung wäre für sein Herz auch nicht gut gewesen.

Also beschloss er eines Tages, seine Erklärung optisch zu untermauern. Er nahm sich einen Stift und zeichnete etwas auf die Serviette. Dann sagte er ebenso höflich wie entschieden: »Sehen Sie her. Dies sind die drei Venen, die zu meinem Herzen führen. Eine ist zu 100 Prozent, die zweite zu 85 Prozent und die dritte zu 65 Prozent verstopft. Die Ärzte sagen, wenn ich Butter oder Öl zu mir nehme, muss ich sterben. Dürfte ich Sie also bitten, diesen Fisch zurückzunehmen und mir einen fettfrei gegrillten Fisch zu bringen?« Der Angestellte stellte fest, dass der Kellner auf diese Erklärung unweigerlich mit Bereitwilligkeit und Zuvorkommen reagierte.

Wie können Sie selbst dieses ursprüngliche Ja konkret übermitteln? Dabei stehen Ihnen drei grundsätzliche Hilfsmittel zur Verfügung: Die Der-Die-Das-Aussage, die die Fakten erläutert, die Ich-Botschaft, die Ihre Interessen und Bedürfnisse erklärt, und die Wir-Aussage, die auf gemeinsame Interessen und Standards eingeht. Bei der Gestaltung Ihres Jas sollten Sie diejenige Aussageform – oder die Kombination aus Aussageformen – auswählen, die Ihnen in Ihrer speziellen Lage am nützlichsten erscheint.

Machen Sie Der-Die-Das-Aussagen

Wie gehen Sie mit unhöflichem, beleidigendem oder ausfallendem Verhalten oder mit unangemessenen, unerwünschten Forderungen um? Die erste natürliche Reaktion der meisten Menschen besteht darin, dem anderen die Schuld zuzuweisen: »Das Produkt konnte nicht rechtzeitig ausgeliefert werden, weil Ihr Team so lang benötigt hat, um sich zu organisieren, und weil Sie zu viele Veränderungen eingeführt haben.«

Solche Du-Aussagen treiben den anderen jedoch automatisch in die Defensive, sodass er instinktiv negativ reagiert. Eine neutralere und effektivere Methode, um die gleiche Information zu vermitteln, besteht darin, die persönliche Anrede durch den Artikel zu ersetzen, also nicht von »du« oder »Sie« zu sprechen, sondern neutral von »der«, »die« oder »das«: »Das Produkt konnte aufgrund der vielen Veränderungen, die eingeführt wurden, nicht rechtzeitig ausgeliefert werden.« Durch Der-Die-Das-Aussagen vermeiden wir eine Verschmelzung von Person und Verhalten. Sie stellen lediglich ein einfaches Ja zu den Tatsachen dar. Keine Schuldzuweisung, keine Verurteilung, nur die klaren Fakten. Beachten Sie: Eine Der-Die-Das-Aussage muss nicht unbedingt ein »der«, »die« oder »das« enthalten. Im Vordergrund stehen die Neutralität der Aussage und ihr Bezug zu den Tatsachen.

Halten Sie sich an die Fakten

Ihr Gegenüber sieht die Dinge möglicherweise ganz anders als Sie. Je objektiver Sie die Situation also beschreiben, umso schwieriger ist es für den anderen, Ihre Worte infrage zu stellen, und umso leichter ist es für ihn, sich auf ein Gespräch einzulassen.

Meine Freundin Katherine versuchte einst, mit ihrem Kollegen Tom zusammen eine kleine Freiwilligen-Agentur zu betreiben. Sie stellte bald fest, dass er ständig Entscheidungen traf, ohne sich vorher mit ihr abzusprechen. Das ärgerte sie so sehr, dass sie ihn eines Tages zur Rede stellte: »Tom, du preschst ständig voran und triffst Entscheidungen, ohne mich vorher zu fragen. Du bist sehr unhöflich!« Tom ging natürlich gleich in die Defensive, und ein nutzloser Streit mit gegenseitigen Schuldzuweisungen war die Folge.

Bei ihrem zweiten Versuch, Tom zum Umdenken zu bewegen, änderte Katherine ihre Strategie. Zunächst einmal sprach sie sich anerkennend über seine Arbeit aus. Dann konzentrierte sie sich auf das konkrete Problem, das sie gerade mit ihm hatte, wobei sie sich ausschließlich an die Fakten hielt: »Vor zwei Wochen wurde ein Gruppenmeeting einberufen, über das wir beide vorher noch gar nicht gesprochen hatten. Und vergangenen Freitag wurde der Veranstaltungskalender von unserer Homepage entfernt und auf eine andere Seite übertragen. Ich kann mich auch in diesem Fall nicht daran erinnern, über diese Entscheidung befragt worden zu sein.« Da Tom nun mit den reinen Fakten konfrontiert wurde, konnte er genau verstehen, welche Verhaltensweisen es waren, die Katherine belasteten.

Entscheidend ist die einfache und neutrale Beschreibung des problematischen Verhaltens – ohne Ressentiments oder spitze Bemerkungen. Sorgen Sie für klare, simple Worte.

Wenn Sie erregt sind, weil Ihr Gegenüber beispielsweise ein Versprechen gebrochen hat, möchten Sie Ihrem ersten Impuls folgend vielleicht so etwas sagen wie: »Du hast dein Versprechen nicht gehalten! Dir kann man nicht trauen!« Wenn Sie aber erreichen wollen, dass das Verhalten Ihres Gegenübers sich ändert, ist es wirkungsvoller, die fragliche Person nicht offen anzugreifen, sondern sich ausschließlich auf die problematische Verhaltensweise zu konzentrieren. Erinnern Sie den anderen an das Versprechen, das er gegeben hat. »Als wir Sonntagabend beim Abendbrot saßen, habe ich deine Worte so verstanden, dass du am Dienstagmorgen den Müll herausstellen würdest. Aber als ich heute nach Hause kam, stellte ich fest, dass der Müll immer noch in der Garage steht. Und er stinkt!« Ihre Worte sollten klar und deutlich sein und sich ausschließlich an die Fakten halten.

Wenn Ihr Nein für den Empfänger eine schlechte Nachricht ist, ist es oft besonders schwer zu übermitteln. Ein sachbezogener Ansatz kann auch hier wesentlich dazu beitragen, dass Ihr Gegenüber das Nein akzeptiert. »Charlie, es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir die fragliche Position als Schulleiter Al übertragen haben. Wir haben uns deshalb so entschieden, weil er als Vertreter der Schulleitung bereits einige Erfahrung gesammelt hat. Angesichts Ihrer hervorragenden Qualifikationen ist uns diese Entscheidung nicht leichtgefallen.« Charlie erklärte mir, dass er zwar enttäuscht war, die Absage jedoch als sehr effektives Nein empfunden habe: »Ich konnte die Entscheidung nur respektieren. Sie war fair und vernünftig und hielt sich an die Fakten.«

In manchen Situationen ist unverblümte Offenheit unumgänglich. »Ich will aufrichtig zu Ihnen sein«, sagt der Chef zu dem Angestellten, der die erwartete Beförderung nicht erhält. »Ihre beruflichen Leistungen entsprechen einfach nicht unseren Anforderungen.« Vielleicht hört der Angestellte das nicht gern, aber letztlich nützt ihm diese Aussage mehr als eine ausweichende Antwort seines Vorgesetzten. Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit wirken oft hervorragend, zumindest solange Sie Ihre Offenheit mit Mitgefühl und Respekt kombinieren.

Gehen Sie hart mit dem Problem um, nicht aber mit dem Menschen.

Achten Sie auf Ihre Worte

Nur weniges ist schwieriger – und wichtiger – als zu lernen, wie man das Verhalten des anderen beschreibt, ohne es zu verurteilen oder zu verdammen.

Als meine Tochter Gabriela in den Kindergarten ging, war am Schwarzen Brett genau zu lesen, was man nicht tun durfte: kein Schubsen, kein Treten, kein Stoßen und Schlagen, kein Beißen und so weiter. Die meisten von uns sagen Nein ohne zu schubsen, zu treten, zu stoßen, zu schlagen oder zu beißen, dafür aber greifen wir unser Gegenüber auf deutlich subtilere Weise an – mit Worten, durch unseren Tonfall und unsere Körpersprache. Um uns neu zu konditionieren, müssen wir lernen, die destruktive Wirkung unserer Worte ebenso zu erkennen wie die indirekte Art, wie wir Schuldzuweisungen vornehmen:


Dem anderen sagen, was er tun »soll«. Schuldzuweisungen erfolgen häufig durch die Benutzung der Worte »sollte« oder »sollte nicht«, die meistens mit einer Verurteilung einhergehen. »Du solltest lernen, wie man sich besser benimmt!« oder »Das solltest du nicht tun!«. Eine neutralere Formulierung sähe folgendermaßen aus: »Dieses Verhalten schafft Probleme für uns beide.« Als sehr nützlich hat sich die Strategie erwiesen, das Wort »sollte« beim Gespräch mit dem anderen ganz zu meiden. Dadurch wird sich die Aufnahmebereitschaft Ihres Gegenübers ungemein steigern.


Verurteilende oder subjektive Sprache. Wenn Sie das Verhalten des anderen beschreiben, passiert es leicht, dass Sie ihn verurteilen. Denken Sie an Katherines Worte: »Tom, du preschst ständig voran und triffst Entscheidungen, ohne mich vorher zu fragen. Du bist sehr unhöflich!« Der Begriff »voranpreschen« ist nicht nur ausgesprochen subjektiv gefärbt, er stellt auch eine Verurteilung dar. Sie klagt Tom an, sie zu schnell vor vollendete Tatsachen zu stellen. »Vorangehen« wäre eine neutralere Formulierung für die Beschreibung des gleichen Verhaltens gewesen. Genauso ist »sehr unhöflich« eine Verurteilung. Katherine unterstellt Tom eine boshafte Absicht, die vielleicht gar nicht existiert.


Häufig ist die Verurteilung offensichtlich. So zum Beispiel bei einer Äußerung wie »Das ist doch unvernünftig!« oder »Du benimmst dich einfach scheußlich«. Oder: »Lächerlich!« Manchmal jedoch ist sie eher indirekt und heimtückisch, wenn auch immer noch eindeutig negativ. Bei einer Diskussion zwischen zwei Partnern über das übliche Entgelt, das sie von ihrem gemeinsamen Kunden für ihre Dienste verlangen wollten, sagte der eine zum anderen: »Das Honorar, das du in Rechnung stellen willst, ist doch total mickrig! Damit gebe ich mich nicht zufrieden!« Eine neutralere Formulierung könnte lauten: »Ich glaube, wir haben für unsere Dienstleistungen ein deutlich höheres Honorar verdient.«

Zwar mag es auf den ersten Blick etwas Befriedigendes haben, den anderen zu verurteilen, auch wenn es nur insgeheim durch eine kleine Nuance erfolgt, doch diese entgeht der Aufmerksamkeit des anderen nur selten. Ein solches Verhalten weckt Ärger und Groll, drängt unser Gegenüber in die Defensive und macht es umso schwieriger für ihn, das wahre Problem wirklich zu verstehen. Durch Verurteilung ziehen wir unsere eigene Botschaft in den Schmutz. Viel wirkungsvoller ist es, die Fakten offen zu benennen und die anderen ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen zu lassen. Statt Ihrem Kunden zu erklären: »Ihre Forderung ist vollkommen unvernünftig!«, sollten Sie sich an die Tatsachen halten. »Wenn wir die Änderungen vornehmen, die Sie von uns fordern, so verzögert dies die Auslieferung des Produkts an Sie um drei Monate und erhöht die Kosten um 100 000 Dollar.«

Sie können entweder über den anderen zu Gericht sitzen oder wirkungsvoll Nein sagen, aber nicht beides gleichzeitig.


Kategorische Aussagen. »Immer musst du an meinem Essen herummeckern. Nichts ist dir jemals gut genug!«, sagt ein Ehepartner ärgerlich zum anderen. »Was willst du eigentlich?«, lautet die Antwort. »Du bist immer so empfindlich. Letztlich regst du dich doch über alles, was ich tue, auf!« »Da haben wir es ja schon wieder, immer machst du mich nieder!«, schreit der erste. Und so geht es immer weiter. Kategorische Aussagen bringen vielleicht Ihre emotionale Situation zum Ausdruck, aber sie sagen weder etwas über die Art des Problems noch helfen sie, es zu lösen.

Achten Sie auf Ihre Sprache: »Nie«, »immer«, »nichts« und »alles« sind keine faktenorientierten Beobachtungen, sondern reine Übertreibungen. Aus einer oder ein paar Beleidigungen wird eine kategorische Schlussfolgerung gezogen, mit der der andere in eine Schublade gepackt wird, aus der es kein Entkommen gibt. Ein korrigierbares Problem wird so zu einer Riesensache aufgebauscht, die man unmöglich bewältigen kann. Natürlich geht der andere sofort in Verteidigungsposition, weist die kategorische Unterstellung als unwahr zurück und ignoriert die konkrete Kränkung, die der Auseinandersetzung zugrunde liegt.

Überlegen Sie sich doch einmal, was hätte passieren können, wenn der erste Partner einfach nur die Fakten beschrieben hätte. »Gestern Abend habe ich gesehen, wie du das Essen, das ich für dich gekocht hatte, einfach dem Hund gegeben hast. Und heute Abend tust du das Gleiche. Das kränkt mich.« Derlei urteilsfreie Sprache – die natürlich eher in einem neutralen Ton als mit sarkastischer Stimme vorgebracht werden sollte – wird bei Ihrem Gegenüber wahrscheinlich eine ganz andere Reaktion hervorrufen, nämlich eine, auf deren Basis man ein konstruktives Gespräch führen kann.

Kurz gesagt: Beschuldigen Sie niemanden, beschämen Sie niemanden. Sprechen Sie Ihre Wahrheit offen an, aber seien Sie dabei nicht grausam. Nehmen Sie das Problem in Angriff und nicht die Person. Als Merksatz gilt: Sag, was du meinst, meine, was du sagst. Aber sag’s nicht gemein.

Formulieren Sie Ich-Botschaften

Ein weiteres nützliches Hilfsmittel, um Ihr Ja rüberzubringen, ist die Ich-Botschaft. Eine Ich-Botschaft beschreibt Ihre eigenen Erfahrungen, statt sich mit den Versäumnissen des anderen zu befassen. Da Ich-Botschaften sich auf Ihre Gefühle und Bedürfnisse beziehen, wird es Ihrem Gegenüber schwerer fallen, sie infrage zu stellen.

Eine Ich-Botschaft kann zum Beispiel folgendermaßen mit einer Der-Die-Das-Aussage kombiniert werden:

 
  • Beschreiben Sie die Fakten: »Wenn Situation X eintritt …«
  • Schildern Sie Ihre Gefühle: »Ich fühle Y …«
  • Beschreiben Sie Ihre Interessen: »Denn ich wünsche mir oder brauche Z.«

Als beispielsweise Katherine sich eine Woche später wieder mit Tom traf, sagte sie: »Es tut mir leid, dass ich letzte Woche so wütend geworden bin. Wenn eine wichtige Entscheidung getroffen wird, ohne dass man mich um Rat fragt, kann ich mich schon mal ganz schön aufregen, denn ich habe dann das Gefühl, ausgeschlossen zu werden. Ich möchte an Entscheidungen beteiligt werden.« Die Kombination von »ich« und »der/die/das« klärte nicht nur, welche Verhaltensweise sie wütend gemacht hatte, sie erleichterte es Tom auch, ihre Beanstandung zu akzeptieren.

Beachten Sie jedoch, dass ein Satz nicht automatisch eine Ich-Botschaft wird, nur weil Sie eine Verurteilung mit einem »Ich« kombinieren. »Ich finde, du bist ein Idiot!« ist keine Ich-Botschaft. Das Gleiche gilt für das Wort »fühlen«. Auch die Äußerung »Ich habe das Gefühl, dass du ein Lügner bist!« ist alles andere als wertfrei. Achten Sie auf Du-Botschaften, die sich als Ich-Botschaften tarnen.

Eine Ich-Botschaft ist nicht nur eine mechanische Neuformulierung. Ihre Stimmlage und Haltung sind sogar noch wichtiger als die Worte selbst. Wut, Angst oder Schuldgefühle kommen leicht wieder an die Oberfläche, auch wenn Sie noch so geschickt formulieren. Deshalb ist eine gewisse innere Vorbereitung ungeheuer wichtig, denn sie ermöglicht es Ihnen, negative Emotionen in positive Absicht zu verwandeln.

Sprechen Sie über Ihre Gefühle

Der Dichter William Blake schrieb einst voller Scharfblick folgende Worte: »I was angry with my friend: / I told my wrath, my wrath did end. / I was angry with my foe: / I told it not, my wrath did grow.« Übersetzt bedeuten diese Worte so viel wie: »Ich war wütend auf meinen Freund: / Ich sprach darüber, mein Zorn verschwand. / Ich war wütend auf meinen Feind: / Ich sprach nicht darüber, mein Zorn wuchs.«

Nachdem Sie versucht haben, die Fakten möglichst objektiv darzustellen, ist nun die Zeit für mehr Subjektivität gekommen. Solange es in Ihrem kulturellen Umfeld angemessen ist, sollten Sie in diesem Stadium vornehmlich in der ersten Person Singular sprechen. Statt zu sagen: »Du hast mich enttäuscht!« oder sogar »Die Situation ist enttäuschend!«, sagen Sie lieber: »Ich fühle mich enttäuscht.« Hier haben Sie die Gelegenheit, Ihre ureigenste Wahrheit zum Ausdruck zu bringen.

Dabei besteht keinerlei Notwendigkeit, den anderen ins Unrecht zu setzen. Auch wenn Sie glauben, im Recht zu sein, haben Sie es noch lange nicht nötig, dem anderen seinen Irrtum minutiös nachzuweisen. Katherine muss Tom nicht beweisen, dass er sich irrte, als er sie von den Entscheidungen ausschloss. Eine Auseinandersetzung nach dem Motto »Ich habe Recht und du nicht« kann sich bis in alle Ewigkeit hinziehen und führt nie zu einer Lösung. Selbst wenn der andere eindeutig im Irrtum ist, ist es oft nicht produktiv, die Diskussion auf diese Weise zu führen. Was in diesem Augenblick viel wichtiger ist als Recht und Irrtum sind die jeweiligen Gefühle und Bedürfnisse – Ihre eigenen und die des anderen.

Übernehmen Sie die Verantwortung für Ihre Gefühle. Katherine artikulierte ihr Bedürfnis, einbezogen zu werden. Damit räumte sie Tom gegenüber ein, dass sie gerade dann sehr empfindlich reagierte, wenn sie ausgeschlossen wurde.

Seine Gefühle auf kontrollierte Weise zu beschreiben oder zum Ausdruck zu bringen ist etwas ganz anderes, als ihnen impulsiv Luft zu machen und den anderen als Blitzableiter zu benutzen. Psychologen haben herausgefunden, dass es kontraproduktiv ist, seinen Ärger an dem anderen auszulassen, weil es keineswegs zur Beruhigung beiträgt. Statt die Wut zu lindern, steigern derlei Ausbrüche sie nur und sorgen für eine Verlängerung der ärgerlichen Stimmung. Eine effektivere Methode hingegen besteht darin, erst einmal auf den Balkon zu gehen, sich einen klaren Kopf zu verschaffen und sich die eigenen Ziele vor Augen zu führen. Dann kann man wieder auf den anderen zukommen und einfach nur beschreiben, wie man sich fühlt.

Indem Sie Ihre individuelle Wahrheit formulieren, können Sie den anderen oder die Situation oft äußerst wirkungsvoll beeinflussen. Eine Trainerin von Impact Bay Area, einer Organisation, die Frauen in effizienter Selbstverteidigung gegen körperliche Angriffe unterrichtet, berichtet von folgendem Erlebnis: »Ein besonders mächtiges Nein durchbricht die Fassade, die viele Angreifer bei gewaltsamen Begegnungen aufrechtzuerhalten versuchen. Sie wollen so lang wie möglich so tun, als ob es sich um eine normale soziale Interaktion handelte. Wer Nein sagt, der zerstört diese Illusion, indem er die Geschehnisse beim Namen nennt. Die Wahrheit zu sagen (zum Beispiel durch Worte wie: ›Ich fühle mich nicht wohl, weil es schon spät ist und Sie mir zu nahe kommen. Würden Sie bitte Abstand halten?‹) trägt häufig zur Entschärfung der Situation bei. Damit signalisiert man, dass man zu seiner Wahrheit beziehungsweise seiner Version des Zusammentreffens steht, statt zuzulassen, dass der Angreifer die Situation auf seine Weise interpretiert (beispielsweise: ›Du wolltest doch, dass ich dich anmache.‹).«

Man kann aber nicht nur negative Gefühle, sondern auch positive zum Ausdruck bringen. »Der Kunde forderte einen erheblichen Preisnachlass«, berichtete mir ein Manager. »Ich antwortete ihm: ›Wir sind aus tiefstem Herzen davon überzeugt, dass unsere Marke und unsere Technologie ihren Preis wert sind. Ich will Ihnen auch erklären, warum.‹ Dieser Ansatz half dem Kunden zu verstehen, mit welchem leidenschaftlichen Engagement wir hinter unserem Produkt standen, und trug dazu bei, dass die Entscheidungsträger seinen Wert ebenfalls zu würdigen lernten.«

Beschreiben Sie Ihre Interessen

Nachdem Sie Ihre Gefühle beschrieben haben, können Sie nun Ihre Interessen näher erläutern – schlicht, klar und deutlich.

Mein Sohn Chris kam an einem Wochenende vom College nach Hause und beschrieb mir zwei unterschiedliche Nein-Varianten, die er kürzlich von zwei jungen Frauen erhalten hatte, an denen er ein romantisches Interesse bekundet hatte. Die erste Frau schickte eine Freundin vor, um ihm ein paar diskrete Hinweise zu geben, dass sie kein Interesse an einer Beziehung hätte. In einer Gesellschaft, in der indirekte Kommunikation zum guten Ton gehört, wäre ein solches Verhalten sicher in Ordnung gewesen, aber vor dem Hintergrund unserer eher direkten Kommunikationskultur erlebte Chris dieses Verhalten als merkwürdig. Schließlich war das Thema doch nicht so problematisch, dass man nicht offen darüber reden konnte. Das Erlebnis trug zur völligen Entfremdung zwischen ihm und der jungen Frau bei.

Die zweite Frau verhielt sich vollkommen anders. Sie traf sich mit ihm und schilderte ihm ihre eigentlichen Interessen. Sie kannte noch nicht allzu viele Leute in der Stadt und wollte ihren Bekanntenkreis erweitern, weshalb sie für eine romantische Beziehung noch nicht bereit war, aber gern mit ihm befreundet bleiben wollte. Chris war zwar enttäuscht, fühlte sich ihr als Freund jedoch näher.

Der Unterschied in den beiden Neins lag in der Ich-Botschaft, die die zweite Frau machte, um ihm ihre Situation deutlich zu machen. Sie schützte ihre Interessen und stärkte gleichzeitig die Beziehung, statt sie zu schwächen, indem sie ihm ihre Gefühle aufrichtig erklärte.

Die Artikulation Ihres Jas kann eine große Veränderung bewirken, besonders für Menschen, die sich sonst eher anpassen oder Konflikten ausweichen. Bei meiner Freundin Frances wurde eines Tages Brustkrebs diagnostiziert. Sie fühlte sich von ihrem Chirurg nicht gut behandelt, denn nach ein paar besorgniserregenden Befunden ließ er sie zwei angstvolle Wochen lang auf die Untersuchungsergebnisse einer Biopsie warten. Zuerst wollte sie diese schlechte Behandlung schon akzeptieren, weil sie Angst hatte, dass sich der Arzt sonst gar nicht mehr um sie kümmern würde, aber dann beschloss sie, das Problem offen anzusprechen und die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Für Frances bedeutete das, ihrem Arzt ihre Sorgen mitzuteilen. Sie schilderte ihm die Fakten, beschrieb ihre Erfahrungen und verkündete ihm schließlich: »Ich verdiene eine qualitativ hochwertige medizinische Betreuung, und ich habe mein Vertrauen in Ihre diesbezüglichen Fähigkeiten verloren.« Frances griff ihn nicht an, sondern trat lediglich für sich selbst ein und bekräftigte ihre Interessen.

Und die Folge? Nachdem Frances Ja zu ihren eigenen Bedürfnissen gesagt hatte, war sie sehr erleichtert und voller Energie und Tatendrang. Besonders auffällig aber war ihre gesteigerte Selbstachtung. Sie hatte die Freiheit gewonnen, ihren Plan B zu verfolgen, nämlich sich einen neuen medizinischen Betreuer zu suchen. Sie machte sich auf die Suche nach, wie sie es formulierte, »einem Dreamteam aus Ärzten, das in Sachen medizinische Betreuung und Kompetenz überdurchschnittliches Engagement an den Tag legt«. Die Arzthelferin des ersten Arztes sprach sich sehr positiv über Frances’ Worte aus. Sie glaubte fest daran, dass ihre Zivilcourage zukünftigen Patientinnen nur zugute kommen würde.

Sie selbst kennen das sicher auch: Sie zögern oder machen sich Gedanken, wie der andere auf Ihr Nein reagieren wird, auch wenn Sie ein erklärendes Ja voranschicken. Bei dieser Art von Zweifeln sollten Sie sich immer ins Gedächtnis rufen, dass Sie für die Reaktion des anderen nicht verantwortlich sind. Sie sind verantwortlich dafür, Ihre eigenen Gefühle und Interessen offen zur Sprache zu bringen. Sie sind für eine respektvolle Ich-Botschaft verantwortlich, und dann muss der andere entscheiden, wie er antworten will.

Machen Sie Wir-Aussagen

Wenn Sie sich unbehaglich fühlen, weil Sie sich nur auf Ihre eigenen Interessen stützen, und sich Sorgen machen, dass Ihr Nein einseitig oder selbstsüchtig oder nicht teamgemäß erscheint, können Sie den Rahmen vom »Ich« zum »Wir« erweitern. Appellieren Sie an gemeinsame Interessen, an gemeinsame Prinzipien oder einen allgemein akzeptierten Standard. Mit anderen Worten: Machen Sie eine Wir-Aussage.

Appellieren Sie an gemeinsame Interessen

Meist stehen Sie mit Ihren Interessen keineswegs allein da. Oft teilen Sie sie mit einer größeren Gemeinschaft, also entweder mit Ihrer Familie, Ihrer Firma oder Gemeinde. Vielleicht ist Ihnen der Gedanke unangenehm, zu einem Kunden zu sagen: »Ich kann dieses Produkt nicht individuell an Ihre Bedürfnisse anpassen, denn das würde unseren Profit mindern.« Aber Sie könnten Ihre eigenen Interessen als die der gesamten Kundenbasis darstellen: »Um die niedrigen Preise halten zu können, die unsere Kunden mittlerweile von uns erwarten, kann ich keine individuell angepassten Versionen anbieten. Aber vielleicht wären Sie ja daran interessiert, wenn wir Lösungen für Ihr spezielles Problem entwickeln, bei denen unsere serienmäßigen Produktkomponenten zum Einsatz kommen?«

Lassen Sie mich an dieser Stelle das Beispiel einer leitenden Angestellten zitieren, die an einem meiner Seminare teilnahm. Als ihre Vorgesetzten ihr einen neuen Job anboten, ging sie bei der Erklärung ihrer Ablehnung nicht nur auf ihre eigenen Interessen, sondern auch auf die ihrer Kollegen ein: »Ich arbeite für eine große Firma, wo es der Karriere sehr schaden kann, wenn man ein neues Job-Angebot ablehnt. Ich hatte gerade eine neue Position übernommen, hatte ein neues Haus gekauft, war umgezogen. An einem Donnerstag erhielt ich dann einen Anruf. Man verlangte von mir, für ein Interview am Freitag durch die halbe USA zu fliegen … und dann am Montag meine neue Position anzutreten. Es wäre eine horizontale Entwicklung gewesen, in der verarbeitenden Industrie, wo ich schon zwölf Jahre Berufserfahrung gesammelt hatte. Ich antwortete nur: ›Ich muss eine Nacht darüber schlafen.‹ Man signalisierte mir, dass dies unmöglich sei, da die Tickets schon für den darauffolgenden Tag ausgestellt worden seien. ›Geben Sie mir also eine Stunde‹, gab ich nach. Und sie stimmten zu.

Ich befürchtete, dass ein Nein meine Chancen auf eine Beförderung für immer zerstören würde. Wie konnte ich also auf eine Weise ablehnen, die meiner Firma zugute kam? Ich dachte wirklich eine ganze Stunde darüber nach, dann rief ich zurück. Zuerst dankte ich ihnen, dass sie mich für die neue Position in Betracht gezogen hatten. Dann wies ich darauf hin, dass ich ja bereits jahrelange Erfahrungen in der verarbeitenden Industrie gesammelt hatte. Wenn ich diese Stelle jetzt übernahm, würde ich einem anderen Kollegen die Gelegenheit, sich in der Herstellung zu profilieren, rauben. Aber die Firma brauchte frisches Blut, um im Bereich Produktion auf dem neuesten Stand und konkurrenzfähig zu bleiben. Und schließlich sagte ich: ›Deshalb würde ich diese Gelegenheit lieber jemand anderem bieten und die Stelle nicht besetzen.‹ Das ist mittlerweile fünf Jahre her. Und seit diesem Tag wurden mir zahlreiche weitere Jobangebote unterbreitet.«

Berufen Sie sich auf gemeinsame Standards

Eine weitere Methode, um Ihr Gegenüber mit Ihrem Ja! zu überzeugen, besteht darin, sich auf gemeinsame Standards oder Werte zu berufen, wie Gleichheit, Fairness oder Qualität.

Dies illustriert ein Beispiel aus der Geschäftswelt, das durch den Management Researcher Jim Collins und sein Team näher untersucht wurde. Zu dem Zeitpunkt, da George Cain CEO von Abbott Labs wurde, dümpelte die Firma schläfrig im unteren Viertel der Pharmaindustrie herum. Eine der Hauptursachen für die mittelmäßigen Leistungen war, wie Cain bald erkannte, die dort herrschende Vetternwirtschaft: Erstklassige Positionen wurden – ungeachtet der persönlichen Fähigkeiten – Familienmitgliedern zugeschanzt. Collins schreibt hierzu: »Cain war nicht der Mann, der seine Leute durch bloßes Charisma mitriss, aber er verfügte über etwas weit Wirkungsvolleres: extrem hohe Leistungsmaßstäbe.«

Cains Nein zur Vetternwirtschaft begann mit einer Wir-Aussage, einem starken Ja! zu Spitzenleistungen. Obwohl er ebenfalls zur Familie gehörte und der Sohn eines früheren Abbott-Präsidenten war, machte er sämtlichen Mitarbeitern einschließlich der Familienangehörigen klar, dass sie ihre Jobs nur dann würden behalten können, wenn sie das Potenzial hatten, innerhalb ihres Verantwortungsbereiches zum besten Mitarbeiter der ganzen Branche zu avancieren, was, wie Collins bemerkt, »einige Jahre für ziemliche Anspannung im Cain-Clan gesorgt haben dürfte. (›Tut mir leid, dass ich dich feuern musste. Noch etwas Truthahn?‹)«. Aber letztlich waren die Familienmitglieder glücklich über die finanziellen Ergebnisse, denn durch sein Ja zu Spitzenleistungen und sein Nein zur Vetternwirtschaft verwandelte Cain Abbott Labs in ein äußerst leistungs- und gewinnorientiertes Untenehmen.

Die Besinnung auf gemeinsame Standards trug wesentlich zur Entschärfung eines internationalen Vorfalls während der Kuba-Krise im Jahr 1962 bei, die einen Dritten Weltkrieg hätte auslösen können. Die folgende Geschichte ereignete sich während der gleichen Serie von Konferenzen, die ich in einem der vorigen Kapitel schilderte. Unter den zahlreichen geheimen Gesprächen trug sich eines – das vielleicht unbekannteste – an Bord eines sowjetischen U-Bootes zu, das mit Nukleartorpedos bewaffnet und im Nordatlantik stationiert war. Ein amerikanisches Kriegsschiff attackierte das Unterseeboot mit Wasserbomben, um es zum Auftauchen zu zwingen, damit man es orten konnte. Für den russischen Kapitän, der mit hohen Temperaturen und immer knapper werdenden Sauerstoffreserven zu kämpfen hatte, schrie dieser Angriff geradezu nach Vergeltung. Er befahl, die Nukleartorpedos in Gefechtsstellung zu bringen.

Die Dienstanweisung bei der Russischen Marine – also der gemeinsame Verhaltensstandard – besagte, dass zwei weitere Offiziere dem Abfeuern der Nuklearwaffen zustimmen mussten. Einer der beiden stimmte sofort zu: »Die pusten wir jetzt weg!«, schrie er. »Vielleicht müssen wir ja jetzt wirklich sterben, aber wir werden sie alle versenken! Wir werden unserer Marine keine Schande machen!« Der zweite Kapitän, Vasili Arkhipov, jedoch sagte Nein. Er erinnerte die beiden anderen daran, dass die Marine-Dienstvorschrifften ein Abfeuern der Waffen nur erlaubten, wenn die Schiffshülle beschädigt war, was nicht der Fall war. »Arkhipov gehörte zu jenen Männern, die stets einen kühlen Kopf bewahren«, erklärte Jahre später ein guter Freund von ihm. »Der Kapitän hatte die Beherrschung verloren. Die Situation war sehr angespannt, und alle fluchten. Doch nach Arkhipovs Weigerung beruhigten sich, Gott sei Dank, alle wieder.«

»Wenn dieser Torpedo abgeschossen worden wäre, hätte dies der Beginn eines Atomkriegs sein können«, kommentierte Robert McNamara diesen Vorfall nach über 30 Jahren. Ein normaler Mann, der zum richtigen Zeitpunkt und auf die richtige Weise Nein sagte, könnte also die Welt gerettet haben.

Artikulieren Sie Ihr Ja, ohne »Ja« zu sagen

Wenn Sie nicht aus bestimmten Gründen, sondern nur aus einem Bauchgefühl heraus Nein sagen, besteht keine Notwendigkeit, Gründe oder Entschuldigungen zu erfinden. Stellen Sie sich doch beispielsweise einmal vor, Sie hätten ein unbehagliches Gefühl dabei, einem Freund eine bedeutende Geldsumme zu leihen. Fieberhaft denken Sie über mögliche Entschuldigungen nach, um seiner entsprechenden Bitte nicht nachkommen zu müssen: »Vielleicht brauche ich das Geld selbst.« »Meine Frau wäre damit nicht einverstanden.« »Ich möchte dich nicht erinnern müssen, wenn du vergisst, es mir zurückzuzahlen.« Keine dieser Gründe entspricht tatsächlich der Wahrheit, die einfach nur lautet, dass Sie kein gutes Gefühl beim Verleih des Geldes haben. Es ist also an der Zeit, Ihrer Intuition zu trauen, die Ihnen eine vollkommen legitime Begründung für ein Nein bieten kann. Sie könnten also einfach nur sagen: »Tut mir leid. Ich fühle mich einfach nicht wohl dabei.« Oder: »Tut mir leid. Das kann ich nicht.« Und es dabei belassen.

Wenn jemand Sie um etwas bittet, was Sie nicht tun wollen, so ist die beste Antwort meist die direkteste: »Diese Art von Arbeit ist nichts für mich.« Genug gesagt. Es besteht keine Notwendigkeit für lange Reden oder Entschuldigungen, die Ihrem Nein nur die Kraft rauben würden. Genauso wenig müssen Sie durch zahlreiche »Ähs« und »Hmms« Zeit schinden. Ihre Erklärung sollte so kurz und prägnant wie möglich sein. Häufig gilt: Je kürzer sie ist, umso stärker ist sie auch.

Zwar gehört es zum respektvollen Umgang miteinander, die eigenen Interessen darzulegen, manchmal ist es jedoch am effektivsten, gar keine Erklärung abzugeben. Ein Leitsatz der Anonymen Alkoholiker lautet: »Nein ist ein vollständiger Satz.« Unter bestimmten Umständen müssen Sie dem anderen Ihr Nein also nicht erklären. Die Ablehnung eines alkoholischen Getränks beispielsweise müssen Sie nicht rechtfertigen. Ein einfaches, höfliches »Nein, danke« tut es auch. Sie kennen Ihr Ja – das ist besonders wichtig –, aber manchmal behalten Sie es einfach für sich, denn es geht nur Sie selbst etwas an und sonst niemanden.

Der Fotograf Philip Halsman war berühmt dafür, dass er die meisten Menschen bat, in die Luft zu springen, damit er sie so fotografieren konnte. Richard Nixon, J. Robert Oppenheimer, Grace Kelly, der Herzog und die Herzogin von Windsor und viele andere Prominente waren damit einverstanden, sich in dieser Pose ablichten zu lassen. Eines Tages, am Ende eines Fotoshootings des Pianisten Van Cliburn, bat er den Musiker ebenfalls, ihm diesen Gefallen zu tun – und Van Cliburn weigerte sich. Halsman schildert es folgendermaßen: »Ich fragte ihn höflich, welche Gründe er hatte, nicht zu springen. Der Künstler legte die Arme auf den Rücken, hob das Kinn und sagte: ›Eine Erklärung ist nicht notwendig.‹«

Von dieser sachlichen, affirmativen Antwort war Halsman so beeindruckt, dass er Van Cliburn in dieser Pose fotografierte und es an exponierter Stelle in seinem Buch mit Fotos von springenden Prominenten veröffentlichte, uns zwar unter dem Titel: »Van Cliburn springt nicht.« Halsman verstand, dass der Pianist zu seinen eigenen, einzigartigen Vorlieben und seinem Bedürfnis nach Privatsphäre Ja sagte. Gerade deshalb war Halsman eher erfreut als beleidigt, obwohl die Ablehnung ohne Erklärung erfolgte.

Ja! ist eine Wert-Aussage

Die Artikulation Ihres Jas kann – wenn es Ihren tiefsten, inneren Prinzipien entspringt – die Reaktion Ihres Gegenübers auf Ihr Nein maßgeblich beeinflussen. Vor langer Zeit erzählte mir Bob Woolf, einer der besten Sportagenten seiner Zeit, eine Geschichte, die diese Wahrheit veranschaulicht.

Als Larry Bird, der Basketball-Superstar, gerade am Anfang seines kometenhaften beruflichen Aufstiegs stand, bekam Bob Woolf einen Anruf von einem Komitee bedeutender Mitbürger aus Birds Heimatstadt Terre Haute in Indiana. Sie fragten Bob, ob er daran interessiert sei, sich als Agent für Larry Bird zu bewerben. Bob Woolf sagte natürlich zu. Er flog hin und brachte ein anstrengendes, achtstündiges Interview mit dem Komitee hinter sich, zu dem nicht nur der Dekan der Sportlichen Fakultät an der örtlichen Universität gehörte, sondern auch der Bankdirektor des Ortes, der Besitzer des städtischen Kaufhauses sowie andere Stadtälteste. Sie wollten einfach alles wissen. Nachdem man sich über Monate hinweg Hunderte von Bewerbern angesehen hatte, kürzte das Komitee die Liste erst auf 25, dann auf 15 und schließlich auf drei zusammen. Bob hatte sein letztes Gespräch in Terre Haute, und es verlief so positiv, dass er gleich danach seine Frau in Boston anrief: Er war fast sicher, dass er den Job bekommen würde.

Er hatte gerade aufgelegt, als das Komitee sich telefonisch bei ihm anmeldete. Kurze Zeit später drängten sich zehn Mann in sein Hotelzimmer und sagten: »Wir möchten wissen, welches Honorar Sie verlangen, wenn Sie Larry repräsentieren … Geben Sie uns eine Zahl. Wir müssen genau wissen, um welchen Betrag es sich handelt. Mr. Katz [der andere Kandidat] hat uns seinen Preis genannt, und jetzt brauchen wir den Ihren.«

Bob spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte. Er hatte immer eine prozentuale Beteiligung und niemals einen Pauschalbetrag erhalten. Dieses geschäftliche Arrangement hatte sich auch bei den anderen von ihm betreuten Sportlern als äußerst fair erwiesen.

»Hören Sie«, antwortete Bob. »Ich weiß, Sie haben Ihre Gründe, mir diese Frage zu stellen, und natürlich respektiere ich Larrys Wunsch, im Voraus genau wissen zu wollen, wie viel ihn meine Dienste kosten. Aber ich möchte mit Larry auf der gleichen Basis arbeiten, die ich auch mit meinen anderen Kunden vereinbart habe. Wir einigen uns erst am Ende der Verhandlungen, wenn Larry einen Vertrag hat, auf ein Honorar für mich. Ich kann Ihnen jetzt keine konkrete Zahl nennen. Es wäre meinen anderen Kunden gegenüber nicht fair, wenn ich besondere Konzessionen machte, nur um mit Larry zusammenzuarbeiten. Ich wünsche mir sehr, ihn zu repräsentieren. Ich halte das für eine besondere Gelegenheit und Auszeichnung. Aber ich kann Ihnen einfach nicht die Antwort geben, die Sie hören wollen.«

Mit anderen Worten: Bob erklärte das Ja hinter seinem Nein.

Der Vorsitzende des Ausschusses starrte Bob an. »Nun ja, vielleicht sollte ich Ihnen die Konsequenzen Ihres Verhaltens nochmals vor Augen führen«, sagte er. »Wir bitten Sie noch einmal, uns eine konkrete Zahl zu nennen, dann können wir die Sache in trockene Tücher bringen. Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass Sie Larry Bird wahrscheinlich nicht als Agent vertreten werden, wenn Sie uns keinen festen Betrag nennen. Also bitte, sagen Sie uns Ihren Preis.«

Bob atmete tief durch. »Das kann ich nicht. Ich wiederhole nochmals: Meine Honoraransprüche werden sich in einem vernünftigen Rahmen bewegen, und ich werde hart für Larry arbeiten. Aber ich werde Larry Bird nicht anders behandeln als jeden anderen Sportler, für den ich arbeite, und ich bin bereit, die Konsequenzen zu tragen.«

Man verabschiedete sich, und das Komitee verließ das Hotelzimmer.

»Lange stand ich da und starrte die Tür an«, erinnerte sich Bob. »Ich hatte mich zwar rechtschaffen verhalten, fühlte mich aber trotzdem elend.« Erneut telefonierte er mit seiner Frau: »Du glaubst nicht, was gerade passiert ist!«, sagte er. Sein Sohn kam ebenfalls an den Apparat und versuchte, ihn zu trösten. »Ist schon in Ordnung, Dad. Ich bin stolz auf dich. Du hast deine Prinzipien, und ich bin froh, dass du ihnen gefolgt bist.«

Fünf Minuten später klingelte das Telefon wieder.

»Hier spricht Lu Meis. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass wir unsere Entscheidung getroffen haben. Wir finden, dass wir nicht bis morgen früh warten sollten, um es Ihnen zu sagen.«

»Ja?« Bob wappnete sich gegen schlechte Nachrichten.

»Wir haben uns für Sie entschieden.«

Bob traute seinen Ohren nicht. »Sie machen Witze!«

»Nein, Bob«, sagte Meis. »Wir wissen, wie gern Sie Larry vertreten wollen, wie viel es Ihnen bedeutet und wie viel Zeit und Mühe Sie in Ihre Bewerbung investiert haben. Gerade vor diesem Hintergrund fanden wir es beeindruckend, dass Sie für Ihre Position eingetreten sind und sich trotz aller Widrigkeiten nicht davon haben abbringen lassen. Sie sind der Mann, den wir uns für die Verhandlungen, die in Larrys Namen mit Red Auerbach anstehen, wünschen.«

Mit anderen Worten: Man wollte einen Agenten engagieren, der zugunsten eines tief verwurzelten Ja in der Lage war, Nein zu sagen.

Zusammenfassend können wir Folgendes festhalten: Ihr Nein beginnen Sie am besten mit einem Ja. Ihr Ja kann die Form einer Der-Die-Das-Aussage, einer Ich-Botschaft oder einer Wir-Aussage oder einer Kombination aus diesen drei Varianten annehmen. Dabei geben Sie Ihrem Gegenüber keine Schuld und beschämen ihn nicht. Sie weisen ihn nicht zurück. Sie betonen einfach nur Ihre eigenen Interessen, Bedürfnisse und Werte.

Ihr Ja ist im Wesentlichen eine Wertaussage. Sie betonen Ihren eigenen Wert. Auf persönlicher Ebene ist dies Ihr Wert als Mensch; auf ökonomischer Ebene kann das der Wert Ihres Produkts, Ihrer Dienstleistung oder Marke sein; in einem größeren Zusammenhang können es ethische und moralische Werte sein. Was letztlich zählt ist Ihr Ja zu dem, worauf es ankommt.

Nach Ihrem Ja kommt Ihr Nein, dem wir uns im folgenden Kapitel widmen.