1 Enthüllen Sie Ihr Ja

Im Schöpfungsprozess ist der Anfang das Schwierigste; ein Grashalm ist nicht einfacher zu erschaffen als eine Eiche.
James Russell Lowell

Wenn wir Nein sagen, besteht unser größter Fehler vielleicht darin, dass wir beim Nein anfangen. Wir denken ausschließlich daran, dass wir gegen etwas sind – gegen die Forderungen oder das Verhalten des anderen –, und daraus leiten wir unser Nein ab. Ein positives Nein fordert uns auf, das genaue Gegenteil zu tun: Wir sollten uns überlegen, wofür wir sind und unser Nein darauf begründen. Beginnen Sie nicht beim Nein, sondern beim Ja. Verwurzeln Sie Ihr Nein in einem tieferen Ja – einem Ja zu Ihren eigentlichen Interessen und zu dem, was wirklich von Belang für Sie ist.

Diese Lehre bekam ich besonders deutlich durch einen meiner Verwandten vor Augen geführt, der ernsthaft alkoholkrank war, was ihn und andere bei einem Autounfall fast das Leben gekostet hätte. Er versuchte viele Male, seine Sucht zu überwinden, aber immer erfolglos. Im Alter von 60 Jahren, als seine Umwelt die Hoffnung bereits aufgegeben hatte, fand er in sich selbst den festen Willen, Nein zu sagen und mit dem Trinken aufzuhören. Sein Geheimnis? »Als mein erster Enkel zur Welt kam«, berichtet er, »wünschte ich mir nichts sehnlicher, als lange genug zu leben, um ihn aufwachsen zu sehen. Seine Geburt gab mir einen Grund, mich in Behandlung zu begeben und mit dem Trinken aufzuhören. Seit diesem Tag, der nun über 15 Jahre her ist, habe ich keinen Tropfen mehr angerührt.« Sein Ja zu einem Leben mit seinen Enkeln – dazu, mit ihnen spielen zu können und sie heranwachsen zu sehen – motivierte sein mächtiges Nein zum Alkohol.

Seine Geschichte illustriert deutlich eine alltägliche, paradoxe Wahrheit: Die Macht Ihres Neins entspringt der Macht Ihres Jas.

Ihr Ja ist der eigentliche Grund für Ihr Nein. Deshalb besteht der erste Schritt unserer Methode auch darin, das Ja zu enthüllen, das Ihrem Nein zugrunde liegt. Je tiefer Sie Ihr Innerstes erforschen, um Ihre eigentliche Motivation herauszufinden, umso mächtiger ist Ihr Ja und damit auch Ihr Nein.

Von Reaktion zu Aktion

Auch wenn sie uns noch so große Steine in den Weg legen: Das größte Hindernis zu einem erfolgreichen Nein sind nicht die anderen, sondern wir selbst! Es ist unsere nur allzu menschliche Neigung, lediglich zu reagieren – mit viel Gefühl zu handeln, aber ohne deutliche Zielrichtung. Wir Menschen sind Reaktionsautomaten. Und unser Nein ist ebenfalls reaktiv. Aus Angst oder Schuldgefühlen reagieren wir mit Anpassung; aus Wut reagieren wir mit Angriff; aus Furcht weichen wir aus. Um uns aus dieser Drei-A-Falle zu befreien, müssen wir Eigeninitiative zeigen, müssen aktiv werden: Wir müssen vorausschauend denken und zielgerichtet handeln.

Eine alte japanische Geschichte von einem Samurai und einem Fischer vermag dies besonders anschaulich zu demonstrieren. Eines Tages ging der Samurai zu dem Fischer, um dessen Schulden einzutreiben. »Es tut mir leid«, erwiderte der Fischer, »aber das vergangene Jahr verlief nicht gut, sodass ich dir dein Geld leider nicht zurückzahlen kann.« Der Samurai war von aufbrausendem Temperament. Er zog sein Schwert, um den Fischer auf der Stelle zu töten. Der Fischer aber dachte angestrengt nach und sagte dann kühn: »Einst studierte auch ich die Kriegskunst, und mein Meister lehrte mich, niemanden aus Zorn zu schlagen.«

Der Samurai betrachtete ihn einen Augenblick lang, dann senkte er langsam sein Schwert. »Dein Meister ist weise«, sagte er leise. »Mein Meister hat mich das Gleiche gelehrt. Manchmal werde ich vom Zorn einfach überwältigt. Ich gebe dir ein weiteres Jahr, um deine Schulden zurückzuzahlen, aber wenn du mir nur eine Münze schuldig bleibst, werde ich dich mit Gewissheit töten.«

Erst spät am Abend kehrte der Samurai heim. Er schlich sich leise ins Haus, weil er seine Frau nicht wecken wollte, aber zu seinem großen Schrecken fand er zwei Menschen im Bett vor: seine Frau und einen Fremden, der wie ein Samurai gekleidet war. Wutentbrannt und voller Eifersucht zog er sein Schwert, um beide zu erschlagen, aber plötzlich kamen ihm die Worte des Fischers wieder in den Sinn. »Schlage niemanden aus Zorn.« Der Samurai hielt einen Augenblick lang inne, holte tief Luft und machte dann absichtlich ein lautes Geräusch. Seine Frau wachte sofort auf, genau wie der »Fremde«, der sich als seine Mutter entpuppte.

»Was hat das zu bedeuten?«, schrie der Samurai. »Ich hätte euch beinahe beide getötet!«

»Wir hatten Angst vor Räubern«, erklärte seine Frau. »Also habe ich deiner Mutter Samurai-Kleidung gegeben, um sie abzuschrecken.«

Ein Jahr zog ins Land, und diesmal suchte der Fischer den Samurai auf. »Das vergangene Jahr war hervorragend, deshalb gebe ich dir dein Geld mit Zinsen zurück«, sagte der Fischer glücklich zu ihm.

»Behalte dein Geld«, erwiderte der Samurai. »Du hast deine Schulden schon vor langer Zeit beglichen.«

Wenn Sie Nein sagen wollen, denken Sie an die Lektion des Samurai: Lassen Sie sich nicht vom Zorn hinreißen – und reagieren Sie auch nicht unreflektiert auf negative Gefühle wie Furcht oder Schuld. Holen Sie erst einmal tief Luft und konzentrieren Sie sich auf Ihre eigentliche Absicht – auf Ihr Ja. Fragen Sie sich, was Sie wirklich wollen und was in der vorliegenden Situation wichtig für Sie ist. Mit anderen Worten: Seien Sie nicht länger nur reaktiv und konzentrieren Sie sich nicht ausschließlich auf Ihr Nein, sondern seien Sie aktiv und konzentrieren Sie sich auf Ihr Ja.

In diesem Kapitel erläutere ich einen Prozess, der Ihnen dabei helfen kann. Wie der Samurai sollten Sie zuallererst einmal innehalten und sich sammeln. Dann fragen Sie sich, warum? Warum wollen Sie Nein sagen? Wo liegen Ihre eigentlichen Interessen, Bedürfnisse und Werte? Wenn Sie diese Frage einmal beantwortet haben, können Sie Ihr Ja! herauskristallisieren – nämlich Ihre eigentliche Intention, das zu schützen, was Ihnen am meisten am Herzen liegt.

Halt: Gehen Sie auf den Balkon und verschaffen Sie sich einen klaren Kopf

Wir haben nicht die geringste Chance, andere zu beeinflussen, wenn wir nicht in der Lage sind, zuallererst einmal uns selbst und unsere eigenen Reaktionen und Gefühle zu kontrollieren.

Es ist nur natürlich, auf beleidigendes Verhalten oder unangemessene Forderungen mit Wut zu reagieren. Aber Wut macht uns blind. Wer in einer solchen Situation seinem ersten Impuls folgt und einfach nur Nein sagt – wütend, manchmal sogar rachsüchtig –, der verliert allzu leicht sein eigentliches Ziel aus den Augen, das darin besteht, die eigenen Interessen zu vertreten und durchzusetzen. Auch Angst kann uns daran hindern, unsere Ziele zu verfolgen. Wir stellen uns im Voraus vor, wie unser Gegenüber auf unser Nein reagiert. Was wird der Betreffende von uns denken oder uns antun? Was geschieht mit unserer Beziehung, mit dem Geschäft und inwieweit sind unsere Belange dadurch gefährdet? Wir sind gelähmt vor Angst und reagieren mit Anpassung: Wir geben unsere Bedürfnisse auf. Schuldgefühle haben eine ähnliche Wirkung. »Ich habe kein Recht, Nein zu sagen.« »So viel Zeit für mich habe ich nicht verdient.« »Die Bedürfnisse des anderen sind wichtiger als meine eigenen.« Wut macht blind, Angst lähmt und Schuldgefühle können schwächen.

Die erste Herausforderung besteht also darin, uns zunächst einmal mit uns selbst auseinanderzusetzen. Rufen Sie sich das Beispiel des Mannes ins Gedächtnis, der zu seinem dominanten Vater und Vorgesetzten Nein sagte. Um es mit Johns eigenen Worten zu formulieren: »Ich stellte mich nicht meinem Vater, sondern ich stellte mich meinen eigenen Ängsten!« John erkannte ganz richtig, dass das eigentliche Hindernis, das ihm bei der Erfüllung seiner Wünsche im Weg stand, nicht sein Vater war, sondern seine Furcht. »Als ich mit ihm sprach, hatte ich den Hauptteil der aktiven Auseinandersetzung schon hinter mir. Und genau das ist der springende Punkt. Die eigentliche Aktivität besteht darin, im Innern für sich selbst einzutreten. Erst dann sagt man nach außen hin Nein.«

Diese innere Aktivität beginnt damit, dass Sie innehalten. Das ist überaus wichtig, denn es unterbricht Ihre natürliche Reaktion, verschafft Ihnen Zeit zum Nachdenken und erlaubt Ihnen auf diese Weise, Ihr Ja zu enthüllen. Sie können eine Sekunde, eine Stunde, einen Tag oder so lange innehalten, wie es Ihnen notwendig erscheint. Was zählt ist, dass Sie die Situation erst einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten, bevor Sie mit Ihrem Nein fortfahren.

Ich benutze in diesem Zusammenhang gern die Metapher des Balkons. Auf dem Balkon verschaffen Sie sich einen klaren Kopf. Er verhilft Ihnen zu einer abgeklärten, losgelösten Geisteshaltung, wann immer Sie es wollen. Stellen Sie sich einen Augenblick lang vor, Sie wären ein Schauspieler auf der Bühne und sollten Ihren Text sprechen – Ihr Nein. Und nun stellen Sie sich vor, Sie stünden auf dem Balkon, von dem aus Sie die ganze Szene aus der Distanz beobachten könnten. Der Balkon ist ein Ort, um sich die richtige Perspektive zu verschaffen, ein Ort der Ruhe und Klarheit. Von der Balkonperspektive aus ist es viel leichter, das Ja hinter Ihrem Nein zu enthüllen.

Diese Lektion lernte ich erst wirklich schätzen, als ich Mitte der 90er Jahre gebeten wurde, als Vermittler bei den schwierigen Gesprächen zwischen Russland und Tschetschenien zu fungieren, um Möglichkeiten auszuloten, wie der tragische Tschetschenienkonflikt beendet werden könnte. Die Verhandlungen fanden im Friedenspalast in Den Haag statt, im gleichen Konferenzsaal, in dem das Internationale Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien (das UN-Kriegsverbrechertribunal) tagte. Der tschetschenische Vizepräsident begann seine lange Rede mit einer Reihe von lautstarken Anschuldigungen gegen die Russen. Er betonte, dass die Russen wunderbar in diesen Konferenzsaal passten, denn sie stünden sicher bald selbst wegen Kriegsverbrechen vor Gericht. Dann wandte er sich an mich, sah mir in die Augen und begann, mich anzugreifen: »Und ihr Amerikaner habt den Russen bei ihren Kriegsverbrechen geholfen! Außerdem verletzt ihr das Recht auf Selbstbestimmung der Puerto Ricaner!« Während er mit seinen Anklagen fortfuhr, blickten die übrigen Konferenzteilnehmer mich erwartungsvoll an. Wie würde ich reagieren? Würde ich zu seinem Rundumschlag Nein sagen?

Ich fühlte mich in die Defensive gedrängt und fand, dass er vom eigentlichen Thema ablenkte. Ich dachte: »Die Wendung, die dieses Gespräch nimmt, gefällt mir gar nicht. Warum greift er ausgerechnet mich an? Ich versuche doch nur zu helfen. Puerto Rico? Was weiß denn ich von Puerto Rico?« Ich hatte das Gefühl, reagieren zu müssen. Sollte ich mir diese Behandlung gefallen lassen? Sollte ich es ihm mit gleicher Münze zurückzahlen? Oder sollte ich gar nichts sagen?

Glücklicherweise gab mir die Zeit, die die Übersetzer benötigten, Gelegenheit, innerlich auf den Balkon zu gehen. Ich holte tief Luft und versuchte, mich zu beruhigen. Ich rief mir ins Gedächtnis, dass unser eigentliches Ziel darin bestand, den Menschen in Tschetschenien und Russland Frieden zu bringen. Das war mein Ja. Auf dieser Basis konnte ich dem Schwall von Anklagen, der uns nirgends hinführte, mit einem Nein entgegentreten.

Als ich mit der Antwort an der Reihe war, wandte ich mich also mit folgenden einfachen Worten an den tschetschenischen Vizepräsidenten: »Ich habe Ihre Kritik an meinem Land vernommen und nehme sie als Zeichen, dass wir uns hier unter Freunden befinden und offen miteinander sprechen können. Ich weiß, dass Ihre Leute schrecklich gelitten haben. Wir haben uns heute hier versammelt, um einen Weg zu finden, wie wir dem Leiden und Blutvergießen in Tschetschenien ein Ende bereiten können. Lassen Sie uns deshalb überlegen, welche praktischen Schritte wir heute unternehmen können, um unserem Ziel näher zu kommen.« Damit brachte ich das Gespräch wieder in sein ursprüngliches Gleis. Indem ich auf den metaphorischen Balkon trat, konnte ich mein Ja enthüllen.

Nehmen Sie sich eine Auszeit

Heutzutage ist Zeit zum Nachdenken die knappste Ressource. Suchen Sie nach Gelegenheiten, um, wann immer es möglich ist, auf den Balkon zu gehen und über Ihr Ja zu reflektieren. Um sich eine solche Auszeit nehmen zu können, gibt es einige recht praktische Floskeln. So könnten Sie auf eine unangemessene Forderung mit folgenden Worten antworten:

 
  • »Tut mir leid, aber das ist jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt, um darüber zu reden. Lassen Sie uns das Thema heute Nachmittag erörtern.«
  • »Ich werde darüber nachdenken. Ich komme morgen noch einmal auf Sie zu.«
  • »Ich muss mich mit meinem Partner beraten.«
  • »Lassen Sie mich zunächst noch ein Telefonat führen, um noch etwas zu überprüfen.«

Auf Beleidigungen empfehlen sich Antworten wie:

 
  • »Warum machen wir nicht eine kleine Pause?«
  • »Fünf Minuten Pause.«
  • »Würden Sie mich bitte entschuldigen? Ich brauche dringend noch einen Kaffee.«

Achok, einer meiner tibetanischen Freunde, sagte einmal zu mir: »›Ja‹ und ›Nein‹ sind ausgesprochen wichtige Worte, aber genauso wichtig ist der Satz ›Warten Sie einen Augenblick‹. Manchmal weiß man einfach nicht, ob man mit Ja oder Nein antworten soll. Dann ist es das Beste, sich Zeit zu verschaffen, um eine Entscheidung treffen zu können.« Achok hatte Recht. Bevor man Nein sagt, ist es häufig klüger, erst einmal um eine Pause zu bitten.

Während dieser Auszeit sollten Sie das Zimmer verlassen. Nutzen Sie den Moment der Ruhe, um nachzudenken oder sich mit einem Kollegen zu beratschlagen. Stellen Sie sich vor, Sie müssten mit einem Kunden verhandeln, der auf einem Ihrer Ansicht nach unrealistischen Abgabetermin besteht. In seiner Anwesenheit würden Sie vielleicht automatisch zustimmen, aber nach einem Telefonat mit einem Kollegen könnte Ihnen klar werden, dass dies ein Fehler wäre. Sich selbst die Gelegenheit zum Nachdenken zu geben, bevor man antwortet, kann den Unterschied zwischen einem reaktiven Ja und einem aktiven Nein ausmachen.

Bei Wut oder Angst sollten Sie einen Spaziergang machen oder Zuflucht zu Ihrer Lieblingssportart nehmen. Durch Muskeltraining und das Ankurbeln des Kreislaufs wird Ärger abgebaut und Angst reduziert. Danach sind Sie ruhig und ausgeglichen genug, um Nein sagen zu können.

Achten Sie auf Ihre Emotionen

Unsere negativen Gefühle sind dafür verantwortlich, dass wir lediglich reagieren und nicht agieren. Angst und Schuld haben Anpassung oder ausweichendes Verhalten zur Folge, während unsere Wut zum Angriff führt. Wer seine Gefühle auslebt, kann seine eigentlichen Ziele nicht mehr verfolgen. Das Unterdrücken von Emotionen ist jedoch genauso wenig eine Lösung. Sie verschwinden nämlich nicht so einfach, sondern schwelen unter der Oberfläche weiter und kommen bei ungünstigen Gelegenheiten wieder an die Oberfläche.

Glücklicherweise gibt es einen dritten Weg, wie wir mit unseren Gefühlen fertig werden können, der viel weniger dramatisch ist, als sie auszuleben, und viel weniger anstrengend, als sie zu unterdrücken. Machen Sie sich Ihre Gefühle bewusst. Dann beherrschen Sie sie, statt sich von ihnen beherrschen zu lassen. Die effektivste Methode im Umgang mit negativen Emotionen besteht darin, ihnen aufmerksam zuzuhören.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen das Beispiel einer Freundin schildern, die ihre dreijährige Tochter partout nicht überreden konnte, in den Kindergarten zu gehen. Jeden Morgen, wenn sie mit ihr das Haus verließ, warf sich die Kleine trotzig auf den Boden und machte eine Szene, weil sie zu Hause bleiben wollte. Die Mutter hatte keine Vorstellung, wie sie effektiv Nein sagen konnte. Sie empfand die Situation als äußerst belastend, hatte Angst und Schuldgefühle und war gleichzeitig wütend und frustriert, weshalb sie angesichts der Wutanfälle ihres Kindes zwischen harter Strenge (Angriff) und Nachgiebigkeit (Anpassung) schwankte.

Eines Tages probierte die Mutter eine neue Methode aus. Sie nahm sich Zeit, um ihr Nein vorzubereiten, und sprach mit einer guten Freundin über ihre Empfindungen. Mithilfe ihrer Freundin wurde ihr klar, dass ihre Furcht auf ihr eigenes Bedürfnis nach Liebe und Zugehörigkeit zurückzuführen war. Sie erkannte, dass sie nur deshalb zögerte, ihr Kind in den Kindergarten zu schicken, weil sie als kleines Mädchen selbst das Gefühl gehabt hatte, von ihrer Mutter verlassen zu werden. Selbstverständlich war ihr klar, dass sie ihre Tochter liebte und dass der Kindergarten keine Form des Verlassens darstellte. So konnte sie sich entspannen und ihre Angst überwinden. Am darauffolgenden Tag sagte sie einfach nur Nein zu ihrer widerstrebenden Tochter: »Heute gehst du in den Kindergarten.« Kein Zögern, keine Strenge, nur eine sachliche Ankündigung. Zu ihrer Überraschung gab es weder Widerstand noch eine Szene. Ruhig und bereitwillig ließ das kleine Mädchen sich in den Kindergarten bringen.

Wenn Sie Ihre Emotionen bis zu Ihren eigenen Bedürfnissen zurückverfolgen , stellt sich oft eine subtile Veränderung ein – wie es bei meiner Freundin der Fall war. Sobald Sie die geheime Botschaft Ihrer Empfindungen verstanden haben, ist deren Mission erfüllt und sie verlieren an Intensität: Automatisch werden Sie gelassener, ruhen stärker in sich selbst und können effektiver handeln. Wer seinen Gefühlen aufmerksam zuhört, muss sie nicht ausleben.

Der erste Schritt sollte darin bestehen, Ihre Furcht, Ihre Wut oder Ihre Schuldgefühle zu verbalisieren. Erkennen Sie sie als natürliche Reaktionen auf die Forderungen und das Verhalten Ihres Gegenübers. Lauschen Sie ihnen, wie Sie einem guten Freund zuhören würden. Versuchen Sie, sie in sämtlichen Nuancen zu verstehen.

Beobachten Sie Ihre Emotionen, als wären Sie ein neutraler Augenzeuge. Machen Sie Aussagen wie: »Ich bemerke ein Gefühl des Zorns in mir.« Damit sind Sie weder kalt noch distanziert, Sie untersuchen Ihre Gefühlslage mit eingehendem, einfühlsamem Interesse wie ein guter Freund. Dabei kann es hilfreich sein, sie tatsächlich einem Freund zu schildern oder in einem Tagebuch zu notieren.

Achten Sie dabei auf Ihre Sprache. Sie »sind« nicht Ihre Emotionen, sondern Sie »haben« oder »erleben« sie. Es besteht ein großer Unterschied zwischen »Ich bin wütend« und »Ich habe Wut«. Mit der ersten Aussage identifizieren Sie sich mit Ihrer Empfindung, Sie sind das Gefühl, weshalb es schon fast unvermeidlich ist, dass Sie es auch ausleben. Im Gegensatz dazu erlaubt Ihnen die Formulierung, ein Gefühl zu »haben«, es zwar zu erleben, aber nicht davon beherrscht zu werden. Sie besitzen die Gefühle und nicht umgekehrt.

Fragen Sie sich stets, warum

Wenn Sie auf dem Balkon stehen und es geschafft haben, Ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen, können Sie Ihre eigentlichen Motive für Ihr Nein erforschen. Eine einfache, aber wirkungsvolle Technik besteht darin, sich ständig die magische Frage nach dem Warum zu stellen.

Enthüllen Sie Ihre Interessen

Nein ist eine Position, eine konkrete Haltung, eine Aussage, dass Sie etwas nicht wollen. Ihre Interessen hingegen setzen sich aus den Wünschen, Bedürfnissen, Hoffnungen und Sorgen zusammen, die Ihrem Nein zugrunde liegen. Wenn Sie Zigaretten am Arbeitsplatz ablehnen, so ist dies Ihre Haltung. Ihr Interesse ist das Bedürfnis nach frischer, sauberer Luft und einer gesunden Lunge. Interessen sind unausgesprochene Beweggründe und Antriebskräfte hinter den Positionen. Mit anderen Worten: Ihre Interessen sind das, wozu Sie Ja sagen möchten.

Überlegen Sie sich, welche Forderung oder Frage Sie momentan am liebsten mit Nein beantworten würden. Welche Verhaltensweisen finden Sie inakzeptabel oder beleidigend? Malen Sie es sich im Geiste aus – seien Sie dabei sehr konkret und genau.

Anschließend stellen Sie sich die Frage, welches Ja Ihrem Nein zugrunde liegt. Die Antwort ist nicht immer offensichtlich. Meist kennen wir zwar unsere Position, aber häufig haben wir unsere eigentlichen Interessen noch nicht erforscht.

Ich erinnere mich an Schlichtungsverhandlungen, in deren Rahmen ich ein paar Tage mit den Oberbefehlshabern einer Separatistenbewegung verbrachte, die seit 25 Jahren für die Unabhängigkeit ihres Volkes kämpften. Mit anderen Worten: Ihr Nein war bislang ebenso laut wie gewaltsam gewesen. Meine erste Frage an sie lautete: »Ich verstehe Ihre Position: Unabhängigkeit. Aber erzählen Sie mir doch bitte mehr über Ihre Interessen. Warum streben Sie nach Unabhängigkeit? Was erhoffen Sie sich davon?« Es folgte langes Schweigen und dann der unbeholfene Versuch, die Frage zu beantworten.

Die Anführer kannten ihre Position. Sie war eindeutig. Aber sie waren nicht in der Lage, ihre Interessen eindeutig zu artikulieren. Waren sie vornehmlich ökonomischer Natur – wollten sie einen fairen Anteil an den reichen Rohstoffreserven der Region? Oder lagen sie eher auf politischer Ebene – wollten sie ihre Angelegenheiten eigenständig regeln und ihr eigenes Parlament wählen? Wünschten sie sich mehr Sicherheit – wollten sie ihr Volk gegen physische Bedrohung schützen und für ihr Wohlbefinden sorgen? Was wollten sie wirklich, und in welche Reihenfolge ließen sich ihre Prioritäten ordnen? Jahrelange Auseinandersetzungen hatten bereits viele Tausend Menschenleben gekostet, doch trotzdem hatten sie immer noch nicht systematisch durchdacht, warum sie eigentlich kämpften.

Das Hinterfragen der eigenen Position und das Durchschauen der eigenen Interessen, die wiederholte Frage nach dem Warum, das alles ist also mehr als nur eine akademische Übung. Man kann seine eigentlichen Interessen nur schwer befriedigen, wenn man sie nicht kennt. Es war, wie besagte Oberbefehlshaber bereitwillig zugaben, unwahrscheinlich, dass die Separatisten ihre Unabhängigkeit mit militärischen Mitteln in absehbarer Zeit würden durchsetzen können. Mittelfristig jedoch konnten sie in Bezug auf die Anerkennung ihrer Autonomie, die Selbstregierung und die Kontrolle ihrer ökonomischen Ressourcen Fortschritte machen, und zwar durch die Vereinbarung demokratischer Wahlen, bei denen sie nach eigener Einschätzung gute Gewinnchancen hatten. Durch wachsenden politischen Einfluss wiederum würden sie ihrem langfristigen Ziel, der Unabhängigkeit, immer näher kommen. Die Enthüllung ihrer Interessen, die ihre Position begründeten, verhalf ihnen im Lauf der Jahre dazu, eine unerwartete Friedensvereinbarung mit ihren Gegnern zu treffen.

Es ist ungeheuer wichtig, ständig nach dem Warum zu fragen, denn der Treibstoff, den Sie benötigen, um effizient Nein zu sagen, stammt nicht aus Ihrer Position, sondern aus dem, was ihr zugrunde liegt: aus Ihren eigentlichen Interessen, Ihrem Ja.

Um Ihre Interessen besser erkennen zu können, rufen Sie sich die drei großen Geschenke des positiven Neins in Erinnerung. Stellen Sie sich folgende Fragen:

 
  • Was versuche ich mit meinem Nein zu erschaffen? Zu welcher Handlungsweise oder Person will ich Ja sagen?
  • Was versuche ich mit meinem Nein zu schützen oder zu bewahren? Welche meiner Hauptinteressen stehen auf dem Spiel, wenn ich Ja sage oder das Verhalten meines Gegenübers weiterhin akzeptiere?
  • Was versuche ich mit meinem Nein zu verändern? Was ist an dem momentanen Verhalten meines Gegenübers (oder der Situation) falsch, und was würde sich verbessern, wenn dieses Verhalten (oder diese Situation) sich veränderte?

Enthüllen Sie Ihre Bedürfnisse

In der Regel erweist es sich als nützlich, unsere eigentlichen Motive sogar noch intensiver zu erforschen. Wenn wir unsere Interessen aufzählen, listen wir in Wirklichkeit nur unsere Wünsche auf – unsere alltäglichen Hoffnungen und Sorgen, eben das, was wir unbedingt haben wollen. Wir wünschen uns ein gemütliches Büro, ein gewinnbringendes Geschäft, entspannende Ferien und einen bezahlbaren Preis. Bei genauerem Hinsehen entdecken wir hinter diesen Wünschen unsere Kernmotivation – unsere Bedürfnisse:

 
  • Sicherheit oder Überleben,
  • lebensnotwendige Dinge wie Nahrung, Trinken und so weiter,
  • das Gefühl der Zugehörigkeit und Liebe,
  • innige Beziehungen, die von gegenseitigem Respekt geprägt sind,
  • Freiheit und Selbstkontrolle im Hinblick auf das eigene Schicksal.

Diese grundlegenden menschlichen Bedürfnisse sind es, die unser Verhalten im Alltag bestimmen. Stellen Sie sich vor, Ihr Chef hätte Sie gebeten, zum dritten Mal hintereinander am Wochenende zu arbeiten. Eigentlich würden Sie lieber Nein sagen, weil Sie und Ihr Partner schon seit längerer Zeit eine Kurzreise planen. Oberflächlich betrachtet möchten Sie einfach nur nicht auf Ihren Urlaub verzichten, zumal Sie überarbeitet sind. Um sich nach dieser ersten Erkenntnis aber über Ihre eigentlichen Grundbedürfnisse klar werden zu können, müssen Sie sich fragen, was in Wirklichkeit hinter Ihrer ablehnenden Haltung steckt. Ihr Wunsch zu verreisen fußt auf Ihrem Interesse, Ihre Beziehung zu Ihrem Partner zu stärken. Wenn Sie noch weiter forschen, stoßen Sie irgendwann auf das grundlegende Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Liebe. Hinter dem Interesse, Ihre ursprünglichen Pläne beizubehalten, liegt das grundlegende Bedürfnis, sich Ihre Autonomie zu bewahren und Ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Hinter dem Unmut über Ihre Arbeitsüberlastung steckt das Bedürfnis, von Ihrem Vorgesetzten respektiert zu werden.

Ein Vertriebsmanager, der an einem meiner Seminare teilnahm, tat sich schwer damit, die wiederholte Rabatt-Forderung eines wichtigen Kunden abschlägig zu beantworten. »Wie sieht das Ja aus, das Ihrer Entscheidung zugrunde liegt?«, fragte ich ihn.

»Regelmäßige Einkünfte zu erzielen«, antwortete er.

»Aber warum?«, drängte ich weiter.

»Um Profit zu machen«, sagte er.

»Aber warum wollen Sie Profit machen?«, fragte ich wieder.

»Damit wir alle Arbeit haben«, sagte er und deutete auf seine Kollegen, »und damit meine Familie immer genug zu Essen auf dem Tisch hat.« Es lief also auf dieses grundlegende Bedürfnis hinaus. Das Nein des Vertriebsmanagers zu den Anforderungen seines Kunden wurde deutlich mächtiger, denn es war in einem Bedürfnis verwurzelt, das ihm sehr am Herzen lag.

Es zahlt sich also aus, die eigenen Bedürfnisse intensiv zu erforschen. Je tiefer Sie graben, umso größer sind die Chancen, dass Sie auf das Fundament stoßen, jenen Ort der Stärke und Stabilität, an dem Sie Ihr Nein verankern können.

Um Ihre Bedürfnisse enthüllen zu können, müssen Sie Ihren Gefühlen Gehör schenken. Gefühle besitzen Intelligenz – sie sind die Sprache, durch die unsere Kernbedürfnisse uns signalisieren, dass wir sie nicht befriedigen. Furcht macht uns auf eine mögliche Bedrohung aufmerksam. Zorn sagt uns, dass an dieser Situation etwas falsch ist und korrigiert werden sollte. Schuldgefühle zeigen uns, dass wir mit wichtigen Beziehungen sensibel umgehen sollten. Bauchgefühle können uns warnen. Sie können uns beispielsweise sagen, dass wir die geschäftliche Vereinbarung, deren Abschluss kurz bevorsteht, besser noch einmal überdenken sollten. Wenn wir in der Lage sind, diesen Emotionen erst einmal nur zu lauschen, statt gleich auf sie zu reagieren, können wir sehr von ihnen profitieren.

Diese Erfahrung habe ich am eigenen Leib gemacht. Ich habe gelernt, auf meine Instinkte zu hören, wenn ich vor einer wichtigen Entscheidung stehe wie zum Beispiel, ob ich einen größeren Auftrag oder einen neuen Job annehmen soll. Ich habe festgestellt, dass sie mich nur selten trügen. Sie zeigen mir, um welche Bedürfnisse ich mich bislang nicht richtig gekümmert habe. Wenn ich beispielsweise bei einem neuen Projekt ein mulmiges Gefühl habe, so kann das bedeuten, dass ich mein Bedürfnis nach mehr Zeit für die Familie oder für mich selbst ignoriert habe.

Betrachten Sie Ihre Empfindungen als Wegweiser zu Ihren grundlegenden Bedürfnissen. Sie sind nicht Ihre Feinde, sondern Verbündete, die dazu beitragen können, Ihr Ja zu enthüllen.

Enthüllen Sie Ihre Werte

Den Bedürfnissen, die Sie antreiben, stehen die Werte zur Seite, die Sie motivieren. Werte sind die Prinzipien und Überzeugungen, die Ihrem Leben eine Richtung geben. Sie werden durch Sätze wie »Verhalte dich stets anständig« oder »Behandle deine Mitmenschen fair« zum Ausdruck gebracht. Manche Werte variieren von Kultur zu Kultur, von Mensch zu Mensch, andere wiederum gehören überall auf der Welt zum Allgemeingut, etwa Ehrlichkeit, Integrität, Respekt, Toleranz, Freundlichkeit, Solidarität, Fairness, Mut und Frieden.

Werte können Ihre Fähigkeit, Nein zu sagen, stark motivieren. Den meisten Menschen fällt es leichter, für ein übergeordnetes Ziel statt für Ihre persönlichen Belange einzutreten.

Ein gutes Beispiel ist die Geschichte von Sherron Watkins, einer Angestellten der Firma Enron, die den Mut hatte, ihrem Vorgesetzten, dem Geschäftsführer Kenneth Lay, ein Memo zu schicken, durch das sie ihre große Sorge über die betrügerischen und illegalen Machenschaften im Rechnungswesen zum Ausdruck brachte und davor warnte, dass die Firma »von einer Welle von Abrechnungsskandalen zerstört« zu werden drohte. Tragischerweise fand ihr Memo keinerlei Beachtung. Der Energieriese machte Bankrott und wurde Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen, und Tausende ahnungsloser Angestellter verloren nicht nur ihren Job, sondern auch noch Ersparnisse. Ihr Memo konnte Enron zwar nicht retten, aber Watkins’ mutiges Eintreten für das Recht war bald öffentlich bekannt. Das Time Magazin kürte sie zu einer der Menschen des Jahres. Schon bald galt sie als Vorbild, das andere ermutigte, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um weitere Katastrophen à la Enron zu verhindern.

Indem Sherron Watkins Nein sagte zur illegalen und unmoralischen Abrechnungspraxis bei Enron, sagte sie Ja zu ihren Werten der Ehrlichkeit und Integrität. Obwohl sie befürchten musste, wegen ihres Memos entlassen zu werden, stellte sie sich nie die Frage, »ob sie es nun losschicken sollte oder nicht. Sie wusste, dass sie etwas Wichtiges zu sagen hatte«, berichtete ihre Mutter später der Washington Post. Es war eine Frage der Werte. Sherron Watkins’ Geschichte zeigt uns eines: Die Enthüllung unserer eigentlichen Werte kann uns die notwendige Motivation liefern, um ein machtvolles und positives Nein zu übermitteln.

Dringen Sie bis zum inneren Kern vor

Bei der Enthüllung Ihrer Bedürfnisse und Werte ist es nützlich, sich selbst die Frage zu stellen: »Was ist mir wirklich wichtig?« Wo liegen Ihre tatsächlichen Prioritäten?

Bei der Aussicht, Nein zu sagen, plagen uns häufig Selbstzweifel und Angst. Möglicherweise fragen Sie sich: »Schaffe ich es, Nein zu sagen? Und werde ich danach auch dabei bleiben?« Um Ihrem mentalen Kritiker gegenüberzutreten, ist es wichtig, zu Ihrem innersten Kern vorzudringen, zu Ihrem wahren Selbst, jenem Ort, der von tief empfundener Sicherheit und Überzeugung geprägt ist. Wie John, dessen Beispiel in der Einleitung zur Sprache kam, tief in seine Seele vordrang, um dort jene Selbstachtung zu finden, die es ihm letztlich ermöglichte, sich seinem Vater zu stellen, so können auch Sie bis zu Ihrem innersten Kern der Selbstachtung vordringen, der es Ihnen ermöglicht, sich zu erheben und Nein zu sagen.

Hören Sie nicht auf, sich selbst zu erforschen. Wie sieht Ihr eigentliches Lebensziel aus? Was ist in Ihren Augen wahr und was falsch? Wie lautet die Botschaft Ihres Herzens und Ihrer Seele?

Einem Senior Manager aus meinem Bekanntenkreis wurde ein attraktives berufliches Angebot gemacht. Aber die Beförderung hätte ausgedehnte Reisetätigkeit zur Folge gehabt. »Meine Kinder sind noch klein«, sagte er. »Deshalb sagte ich Nein, auch wenn es mir nicht leichtfiel, die Gelegenheit ungenutzt vorüberziehen zu lassen.« Er sagte Nein, um Ja zu seiner Familie zu sagen. Seine Kinder waren das, was ihm am meisten bedeutete. Glücklicherweise wurde ihm kurz darauf ein anderer Job angeboten, der es ihm gestattete, in der Nähe seiner Familie zu arbeiten.

Diese Übung ist nicht nur für Einzelpersonen von Nutzen, sondern auch für Unternehmen oder Regierungen, die ihre wahren Prioritäten erkennen müssen. Mit einer solchen Herausforderung sah sich James Burke konfrontiert, der Geschäftsführer des pharmazeutischen Konzerns Johnson & Johnson, als er erfuhr, dass ein Kind und sechs Erwachsene im Umkreis von Chicago nach der Einnahme des Schmerzmittels Tylenol zu Tode gekommen waren. Jemand hatte die Kapseln mutmaßlich mit Blausäure versetzt und sie anschließend wieder in die Regale gestellt. Mit Tylenol machte das Unternehmen den größten Umsatz, denn unter den frei verkäuflichen Schmerzmitteln deckte es einen Marktanteil von 35 Prozent ab. Man stellte sich die Frage, ob eine landesweite Rückrufaktion angebracht sei. Viele Experten, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Firma, warnten davor und argumentierten, dass die Vorfälle sich lediglich im räumlichen Umfeld von Chicago ereignet hätten und dass die Vergiftungsaktion nicht Fehler der Firma Johnson & Johnson gewesen sei. Aber Burke und seine Kollegen wussten genau, was zu tun war. Sie gaben die Weisung, den gesamten Produktbestand aus Apotheken und Drogeriemärkten zu entfernen, und boten an, sämtliche Tylenol-Kapseln, die die Konsumenten noch zu Hause hatten, durch Tabletten zu ersetzen. Diese einzelne Entscheidung, die fast sofort nach Auftreten der Todesfälle getroffen wurde, kostete die Firma einen zweistelligen Millionenbetrag. Das Unternehmen verzichtete auf den weiteren Verkauf von Tylenol, bis man wieder hundertprozentig sicher sein konnte, dass keine Gefahr mehr für die Kunden bestand.

Wo kam dieses mutige und erleuchtete Nein her? Wie Burke und seine Kollegen später erklärten, hatte es seine direkten Wurzeln im Credo der Firma, das etwa 40 Jahre zuvor von dem Visionär und Firmengründer Robert Wood Johnson formuliert worden war: »Wir sind davon überzeugt, dass unsere Verantwortung in erster Linie den Ärzten, Krankenschwestern und Patienten gilt, den Müttern und Vätern und all denen, die unsere Produkte und Dienstleistungen in Anspruch nehmen.« Profit, so wichtig er sein mochte, stand hinter der Gesundheit und Sicherheit der Kunden erst an zweiter Stelle. Alle Mitarbeiter des Unternehmens kannten diese Kernwerte und glaubten daran. Deshalb war sofort klar, was zu tun war, und die Belegschaft stand geschlossen hinter der Rückrufaktion.

Das Ergebnis? Im Gegensatz zu der herkömmlichen Überzeugung, dass die Marke Tylenol sich niemals von dieser Katastrophe erholen würde, erlebte sie innerhalb weniger Monate ein Relaunch, und zwar unter dem gleichen Namen, in einer neuen, manipulationssicheren Verpackung. In den darauffolgenden Monaten erholten sich die Verkaufszahlen und das Produkt konnte einen erstaunlichen Prozentsatz seines Marktanteils zurückerobern. Was auf das allgemeine Vertrauen in Johnson & Johnson normalerweise katastrophale Auswirkungen hätte haben können, verwandelte sich in den Augen der Öffentlichkeit in eine Bestätigung der Integrität und Glaubwürdigkeit des Unternehmens.

Es zahlt sich also aus, dem Beispiel James Burkes zu folgen: Berufen Sie sich bei Ihrem Nein auf Ihre Mission und auf Ihre Kernwerte. Fragen Sie sich, wofür Sie und Ihr Unternehmen wirklich stehen. Denken Sie nicht nur an kurzfristige Interessen und unmittelbare Wünsche, sondern auch an Ihre langfristigen Ziele. Vermeiden Sie kurzsichtigen Eigennutz und handeln Sie im Sinne eines übergeordneten, erleuchteten Selbst-Interesses. Es kann uns nur nützen, wenn wir – um es mit den berühmten Worten Abraham Lincolns zu formulieren – wie Burke und seine Kollegen den »besseren Engeln unserer Natur« folgen.

Das Ziel sollte darin bestehen, die tiefste Quelle unseres Neins aufzuspüren und eine Verbindung mit ihr herzustellen. Je tiefer Sie zu Ihrem Ja vordringen, umso stärker wird Ihr Nein sein.

Geben Sie Ihrem Ja Gestalt

Nun, da Sie Ihre innersten Interessen, Bedürfnisse und Werte enthüllt haben, können Sie ein machtvolles Ja! herausfiltern. Ihr Ja! ist gleichzusetzen mit der Absicht, Ihre Kerninteressen zu schützen und wahrzunehmen. Ihre Bedürfnisse und Werte sind Ihre Wurzeln, Ihre Absicht ist das Ziel, dem Sie entgegenstreben. Sie sorgt für Engagement. Denn Sie haben nicht einfach ein bestimmtes Interesse; Sie verpflichten sich auch, es zu verfolgen und zu erfüllen. »Wahre Stärke liegt nicht in körperlicher Fähigkeit«, sagt Mahatma Gandhi. »Sie liegt in einem unbeugsamen Willen.« Nur wenige Dinge im Leben sind so stark wie eine klare Absicht.

Absichten sind dann am mächtigsten, wenn sie positiv sind. Sie sind für etwas, nicht dagegen. Denken Sie an Nelson Mandela, der über 40 Jahre gegen die Apartheid in Südafrika kämpfte. Der Titel seiner Autobiographie verdeutlicht die positive Absicht, die ihn den jahrzehntelangen, harten Kampf und sogar die Inhaftierung überstehen ließ. Sein Buch trägt nicht den Titel Der lange Weg fort von der Apartheid, sondern Der lange Weg zur Freiheit. Sein wichtigstes Engagement richtete sich nicht in erster Linie gegen die Apartheid, sondern für die Freiheit – die Freiheit für sich selbst, für seine Leute und sogar für seine Feinde.

Eine einzelne Absicht herausfiltern

Ihre Absicht ist nichts frei Erfundenes, sondern etwas, das Sie aus Ihren Interessen, Bedürfnissen und Werten herauskristallisieren. Sie können Ihrem Nein wirkliche Macht verleihen, indem Sie aus Ihren unterschiedlichen Motivationen eine einzige fokussierte Absicht herausfiltern – Ihr Ja!

Ihre Interessen, Bedürfnisse und Werte zu enthüllen ist eine divergente Handlung: Ausgehend von der einzelnen Position des Neins gehen Sie zu den vielen verschiedenen Motiven und Gründen, die dahinter liegen. Eine einzelne Absicht herauszufiltern ist im Gegensatz dazu eine konvergente Handlung, bei der Sie von vielen verschiedenen Motivationen ausgehen und zu einer einzelnen Absicht gelangen, unter der sie sich zusammenfassen lassen. Wenn Ihre Interessen den Wurzeln des Baumes vergleichbar sind, so entspricht der Fuß des Baumstammes, wo alle Wurzeln auseinanderlaufen – eben konvergieren –, Ihren Absichten.

Erstellen Sie zunächst eine Liste derjenigen Interessen, die Sie zu dem Nein, das Sie sagen wollen, motivieren. Versuchen Sie anschließend, die Essenz in einem einzigen Satz oder Ausdruck zusammenzufassen. Für John, den Mann, der Nein zu seinem tyrannischen Vater sagte, lautete der Schlüsselbegriff »Selbstachtung«. Für meinen Verwandten, der Nein zu seiner Alkoholsucht sagte, lautete die Essenz: »mit meinen Enkeln zusammen zu sein«. Fragen Sie sich Folgendes: »Wofür trete ich wirklich ein? Welche Werte oder Bedürfnisse haben für mich Vorrang und welche versuche ich zu schützen? Was liegt mir wirklich am Herzen: mein Glück, das Wohlergehen meiner Familie, der Firmenname und die dazugehörige Philosophie beziehungsweise die Marke, meine persönliche Integrität oder etwas anderes?«

Der Geschäftsführer einer bekannten internationalen Hotelkette sagte Ja zum guten Ruf seines Hotels, als er sich weigerte, den Forderungen des einflussreichen Hotelbesitzers eines Ferienhotels in der Karibik nachzukommen. Der bewusste Geschäftspartner hatte in seiner Eigenschaft als Lizenznehmer Ausnahmen in den Markenstandards gefordert, als der Bau eines neuen Hotelkomplexes beinahe abgeschlossen war. Der Geschäftsführer sagte Nein, nicht nur aufgrund der Firmenpolitik, sondern weil er wusste, dass die Marke der Hauptaktivposten der Hotelkette war. »Unser guter Name hat keine Bedeutung mehr, wenn wir nicht an unseren Standards festhalten«, erklärte er mir später. Er hatte sein Ja enthüllt und herauskristallisiert, weshalb es ihm nicht schwerfiel, seinem Lizenznehmer mit Nein zu antworten, indem er argumentierte: »Sie und andere wollen unseren guten Namen doch nur deshalb für Ihr Hotel haben, weil wir bei unseren Qualitätsstandards keine Abstriche dulden.«

Da Ihre Absicht meist eher allgemeiner Natur ist, ist es oft nützlich, ihr mehr Kontur zu verleihen, indem Sie sich ein positives Ergebnis vorstellen. Fragen Sie sich: »Durch welche konkrete Lösung würden meine Interessen befriedigt?« Stellen Sie sich vor Ihrem geistigen Auge plastisch vor, welches Ergebnis Sie anstreben, genau wie Athleten es vor einem Wettkampf häufig tun. Wie könnte es aussehen, wenn Ihr Gegenüber sich entschließen würde, Ihre Bedürfnisse zu respektieren? Diese Art der konkreten Visualisierung kann dazu beitragen, Ihnen das Selbstvertrauen und die Überzeugung zu geben, die Sie zum Erfolg benötigen.

Ebenso hilfreich ist es, Ihre Absicht schriftlich festzuhalten oder mit einem Freund oder Kollegen darüber zu sprechen. Dadurch rufen Sie sich die Verpflichtung ins Gedächtnis, die Sie sich selbst gegenüber eingegangen sind.

Unterscheiden Sie zwischen »ob« und »wie«

Manchmal ertappen wir uns bei dem Gedanken: »Ich würde gern Nein sagen, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie ich das meiner Mutter, meinem Vorgesetzten oder Freund beibringen soll.« Wir sabotieren unsere Absicht, Nein zu sagen, noch bevor wir mit dem anderen gesprochen haben.

»Hier kann ich unmöglich Nein sagen!«, denken Sie möglicherweise, wenn gute Freunde Sie bitten, ihnen beim Umzug behilflich zu sein. Sie wissen, dass Sie momentan absolut keine Zeit haben, aber Ihre Schuldgefühle und Ihre Angst machen ein Nein geradezu unvorstellbar. Also geben Sie nach und sagen Ihre Hilfe zu. Hinterher empfinden Sie Bedauern, Groll und Wut – denn eigentlich passt es Ihnen nach wie vor nicht in den Kram.

Vielen von uns passiert so etwas täglich. Dieses Fehlverhalten entspringt der üblichen Praxis, nicht zwischen der Frage, ob man etwas tun sollte, und der Frage, wie man es tun sollte, zu unterscheiden. Wir verwechseln die Frage, ob wir Nein sagen werden oder nicht, mit der Frage, wie wir Nein sagen werden. Da das Wie unmöglich erscheint, scheint das Ob vorherbestimmt zu sein. Um uns hinterher besser zu fühlen, neigen wir anschließend zu Schönfärberei: »Eigentlich macht mir das gar nichts aus. So viel Zeit für mich selbst brauche ich auch wieder nicht.«

Aber es gibt eine Alternative. Sie besteht darin, während Ihres Entscheidungsprozesses zwischen dem Ob und dem Wie zu unterscheiden. Zuerst müssen Sie sich über Ihre Intention klar werden. Denken Sie darüber nach, was Sie in dieser Situation wirklich tun wollen. Und wenn die Frage des Ob beantwortet ist, dann erst können Sie über das Wie nachdenken, was vielleicht leichter ist, als Ihre Ängste Ihnen Glauben machen wollen.

Verwandeln Sie Ihre Gefühle in Entschlossenheit

Wenn Ihnen Ihre Intention klar ist, ist es an der Zeit, ihr die nötige Energie zu verleihen. Diese Energie speist sich aus Ihren Gefühlen, die Sie sinnvoll für sich einspannen sollten.

Gefühle können nicht nur Warnsignale für unerfüllte Bedürfnisse sein, sie spielen auch eine andere wichtige Rolle: Sie liefern den notwendigen Kraftstoff zum Handeln. Sie treiben uns an, auf angemessene Weise aktiv zu werden, um unsere Hauptinteressen zu wahren, sie verleihen uns Mut und Entschlossenheit. Die erfolgreichen Leistungssportler wissen, dass Empfindungen, die man in die richtigen Bahnen lenkt, ein enormer Quell der Motivation sein können.

Statt sich also von Ihren Emotionen lenken zu lassen, sollten Sie sie für sich nutzen und durch sie zur Entschlossenheit gelangen – zu dem festen Willen, Ihre unerfüllten Bedürfnisse zu stillen und Ihre wichtigsten Werte zu realisieren. Ihre positive Intention entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern sie erwächst aus Ihren Gefühlen.

Niemand verstand und demonstrierte diesen Prozess der Transformation besser als Mahatma Gandhi, dem es ohne Waffen und Soldaten gelang, die jahrhundertelange Kolonialherrschaft des British Empire über Indien zu beenden. Er erklärt sein Geheimnis folgendermaßen: »Bittere Erfahrungen erteilten mir die wichtige Lektion, dass es besser ist, sich seine Wut aufzusparen. Wie Hitze in Energie verwandelt wird, so kann unsere Wut – solange wir sie kontrollieren – in eine Macht verwandelt werden, die die Welt verändert.«

Um negative Gefühle in positive Intention zu verwandeln, müssen Sie zuerst Ihre Gefühle beobachten und akzeptieren, und zwar, indem Sie sie bis zu ihrer Quelle zurückverfolgen, die unbefriedigten Interessen und Bedürfnissen entspringt. Hören Sie auf Ihre Gefühle und beobachten Sie, wie die emotionale Last sich vom Negativen ins Positive verschiebt. Und dann folgen Sie Gandhis Vorschlag: Sparen Sie sich Ihre Kraft auf. Mit anderen Worten: Vermeiden Sie impulsive Reaktionen, durch die Sie nur wertvolle Reserven verschwenden. Warten Sie den richtigen Augenblick ab, um Ihre emotionale Energie zielgerichtet als Entschlossenheit freizusetzen. Nutzen Sie sie als Kraftstoff für angemessene Aktion und nicht für Reaktion. So kann sie Ihnen als fortwährende motivierende Kraft für Ihr Nein dienen.

»Als ich zwölf Jahre alt war, lehrte mich Gandhi, dass Zorn genauso nützlich ist wie Elektrizität«, schreibt Mahatma Gandhis Enkel Arun. »Aber nur wenn wir sie intelligent nutzen. Wir müssen lernen, ebenso viel Respekt vor unserer Wut zu haben wie vor der Elektrizität.«

In Wirklichkeit gibt es keine im eigentlichen Sinne negativen Emotionen, nur negativ aufgeladene Emotionen, denen man positive Ladung zuteil werden lassen kann. Emotionen wie Furcht oder Wut können entweder destruktive oder konstruktive Wirkung haben, je nachdem, wie man mit ihnen umgeht. Dies konnte ich im Rahmen einer brisanten öffentlichen Veranstaltung in Venezuela am eigenen Leib erfahren.

Als die dort herrschenden politischen Spannungen im Jahr 2003 ihren Höhepunkt erreicht hatten und viele internationale Beobachter den Ausbruch eines Bürgerkriegs befürchteten, wurde ich von den Vereinten Nationen gebeten, bei einem 24-stündigen Treffen der Bürgervertreter zu vermitteln, von denen einige glühende Verehrer, die anderen aber erbitterte Gegner des Präsidenten Hugo Chávez waren. Es handelte sich um ein für jedermann offenes Treffen in einem alten Theater im Stadtzentrum von Caracas, wo 500 Menschen Platz hatten. Fast 1 000 Menschen fanden sich ein, und so wurde die Nationalgarde einberufen, weil man gewaltsame Auseinandersetzungen befürchtete. Natürlich war die Atmosphäre im Saal ebenso angst- wie spannungsgeladen. Nachdem verschiedene hohe, internationale Würdenträger ein paar einleitende Worte von sich gegeben hatten, überließ man mir das Rednerpult, um die Verhandlungen zu erleichtern.

Einer Eingebung folgend bat ich die Anhänger der fraglichen Gruppierungen, sich die zerstörerische Kraft des Konflikts in einem konkreten Bild vor Augen zu führen. Sie konnten sich eine bekannte Person vorstellen, die verletzt oder getötet worden war, konnten sich den Verlust ihres Arbeitsplatzes, die Zerstörung einer Freundschaft oder familiärer Bande oder den Albtraum eines Kindes vorstellen – was auch immer jeder Einzelne damit verband. Dann fragte ich sie: »Welches spanische Wort würden Sie nutzen, um Nein zur politischen Gewalt zu sagen?« Das Wort, das den meisten Anwesenden in den Sinn kam, war »Basta! Genug!«. Also sagte ich: »Gut, dann möchte ich Sie jetzt um einen Gefallen bitten. Einen Augenblick lang möchte ich die Stimme des venezolanischen Volkes hören, eine Stimme, die bis zum heutigen Tag schweigen musste, die Stimme der Vernunft. Behalten Sie Ihr persönliches Bild des Konflikts im Gedächtnis und rufen Sie gemeinsam ›Basta‹. Legen Sie Ihr ganzes Gefühl in den Ruf. Werden Sie das für mich tun?« Sie nickten. Ich zählte bis drei, und ein lautes ›Basta!‹ fegte durch den Saal. Es war machtvoll, allerdings hatte ich immer noch das Gefühl, dass einige sich eher zurückhielten, vielleicht aus Schüchternheit. Deshalb bat ich das Publikum, es zu wiederholen. Sie taten mir den Gefallen, und ihr Ruf war sehr stark. Ich bat sie, ein letztes Mal zu rufen, und durch dieses dritte ›Basta‹ erzitterte das gesamte Theater in seinen Grundfesten.

Danach hatte sich die Atmosphäre im Saal merklich verändert. Ich kann ohne Übertreibung behaupten, dass die negativ geladenen Emotionen der Angst und Wut sich in die positiv geladene Absicht verwandelten, diesen destruktiven Konflikt zu beenden. Und wie um es zu bestätigen, riefen die Teilnehmer der Veranstaltung noch am gleichen Nachmittag in diesem Theater ein Komitee ins Leben, das einen Friedensplan für Venezuela ausarbeiten sollte. Sie trafen sich einmal wöchentlich und begannen, Gespräche zu organisieren, ebenso wie Straßentheater, Radio- und Fernsehsendungen, Programme in Schulen und Tanzveranstaltungen für Jugendliche, die allesamt darauf abzielten, Spannungen abzubauen und für mehr Verständnis zu werben. Seither sind drei Jahre vergangen, und der Einfluss dieser Initiative ist immer noch ungebrochen. Sie ist zu einer gesellschaftlichen Bewegung herangewachsen, die sich Aquí Cabernos Todos nennt, was so viel bedeutet wie »Hier passen wir alle zusammen«. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Mitglieder dieser Organisation durch ihr Engagement einen echten Unterschied bewirkt haben – für sich selbst ebenso wie für ihr Land.

Und die Moral von der Geschicht’: Sie können Ihre Emotionen nutzen, um sich selbst zu einem Nein zu mobilisieren und für das einzutreten, was Ihnen wichtig ist. Angst, Furcht und Wut schenken Ihnen jene transformative Energie, die Sie benötigen, um innere und äußere Veränderungen zu bewirken. Wenn Sie lernen, auf Ihre Gefühle zu hören und sie zu respektieren, statt sie auf destruktive Weise abzureagieren, machen Sie sie zu Freunden und Verbündeten. Ihre Empfindungen geben Ihnen die Zivilcourage, um Nein zu sagen – ein vollmundiges, volltönendes Nein, das aus tiefstem Herzen kommt.

Enthüllen Sie Ihr Ja

Das Ja zu enthüllen erfüllt drei nützliche Aufgaben:

 
  • Es gibt Ihnen positive Wurzeln. Sie können auf eigenen Beinen stehen, ohne jemand anderem auf die Zehen zu treten. Ihr Nein kann jetzt für Ihre Bedürfnisse eingesetzt werden und nicht gegen den anderen. Statt den anderen durch Ihr Nein zurückzuweisen, sagen Sie einfach nur Ja zu dem, was Ihnen am meisten am Herzen liegt.
  • Es zeigt Ihnen die richtige Richtung. Sie wissen, wo Sie stehen und wo Sie mit Ihrem Nein hinwollen.
  • Es versorgt Sie mit Energie. Es gibt Ihnen die Kraft, Nein zu sagen und dabei zu bleiben, auch wenn Sie auf Widerstand stoßen.

Nun, da Sie Ihr Ja enthüllt haben, wird es Zeit, Ihrem Nein Macht zu verleihen. Und genau das ist das Thema des nächsten Kapitels.