Strukturmodell der esbz

 

Als Gemeinschaftsschule haben wir den Auftrag und Anspruch, die Kinder und Jugendlichen möglichst individuell zu fördern. Heterogenität ist ausdrücklich gewünscht, die Kinder sollen gemeinsam mit- und voneinander lernen. Da in Berlin die Möglichkeit besteht, auch in der Sekundarstufe in jahrgangsgemischten Gruppen zu lernen, war für uns schnell klar, dass wir diese Chance nutzen würden. Wir handeln nach dem Grundverständnis: »Jeder zählt, jeder ist einzigartig.«

Die Kinder arbeiten in Jahrgangsmischung 7 bis 9, und alle sind willkommen. Jedes Kind hat und entwickelt andere Stärken. Beziehungskultur, Coaching, Ermutigung und Wertschätzung sowie die Erfahrung, dass jeder gebraucht wird und jeder für das große Ganze seinen Beitrag leisten kann, ermöglichen Erfahrungen des Gelingens und des Über-sich-Hinauswachsens. Die Sekundarstufe I untergliedert sich an der esbz in die jahrgangsgemischte Stufe 7 bis 9 und die Stufe 10. Diese Aufteilung hängt damit zusammen, dass der Wechsel auf die weiterführende Schule in Berlin erst nach der 6. Klasse erfolgt. Vier Jahrgangsstufen zusammen zu unterrichten war uns von der Altersmischung her zu viel. Nur zwei Stufen zu mischen wiederum zu wenig, denn dann würde in jedem Schuljahr die Hälfte einer Klasse ausgewechselt.

In einigen Lernformaten mischen sich auch Zehntklässler mit jüngeren Schülern: im Projekt Verantwortung der Klassen 10, bei dem diese eine Stunde pro Woche als Coachs im Lernbüro der 7. bis 9. Jahrgänge mithelfen, im Wahlpflichtunterricht II, der in Jahrgangsmischung 9/10 läuft, und in einigen Projekten mit außerschulischen Partnern wie Lehrerfortbildung oder Design Thinking, die über alle Jahrgangsstufen laufen. Auch bei den Herausforderungen mischen sich die Jahrgangsstufen.

Bei der Entwicklung unseres Strukturmodells haben wir uns von folgenden Überlegungen leiten lassen:

 
  • Kern aller menschlichen Motivation ist es, Anerkennung, Wertschätzung und Zuwendung zu finden und zu geben (Joachim Bauer, Neurobiologe und Psychotherapeut)[27]. Eine wertschätzende Beziehungskultur ist deshalb zentrales Element der esbz.
  • Wahlmöglichkeiten, nach dem eigenen Rhythmus, auf individuellem Niveau und mit verschiedenen Zugängen arbeiten können – all das erhöht die Motivation. Vertrauen und Wertschätzung entstehen durch Freiheit, nicht durch Zwang. Deshalb steht an der esbz das Kind als Subjekt der eigenen Lernprozesse im Zentrum.
  • Begeisterung und Sinnhaftigkeit sind Schlüssel für erfolgreiches Lernen. Die entscheidenden Erfahrungen machen Menschen dann, wenn sie sich gemeinsam mit anderen um etwas Wichtiges kümmern (Gerald Hüther). In jedem Jahrgang sind deshalb Gelegenheitsstrukturen für gemeinsames Gestalten in realen Lebensbezügen verankert.

Daraus hat sich eine Struktur ergeben, in der etwa die Hälfte der Lernzeit im Klassenverband mit den Klassenlehrern gearbeitet wird, die andere Hälfte ist wählbar und findet in unterschiedlichen Gruppen statt.

Jeder Tag beginnt für die Schüler der Stufe 7 bis 9 mit zwei Stunden in einem der Lernbüros, das heißt, sie können sich entscheiden, ob sie im Bereich Deutsch, Mathe, Englisch oder Natur & Gesellschaft arbeiten möchten. Im Lernbüro ist der Lehrstoff in Form von Bausteinkarten aufbereitet, die die Schüler eigenständig bearbeiten. Bei jedem Baustein können die Schüler, je nach Lernstärke, unterschiedlichen Lernpfaden mit Zusatzmaterialien folgen. Das Material hat das Kollegium der esbz selbst hergestellt, in Anlehnung an die Rahmenpläne.

Individualisierung ist möglich in Bezug auf Zeitintensität pro Fach, Komplexität, Sozialform. Die Schüler bestimmen auch den Zeitpunkt für ihre Leistungsnachweise. In jedem Lernbüro ist ein Lehrer, an den sich die Schüler bei Fragen wenden können. Es gibt an der esbz jedoch die Regel, dass Schüler sich zuerst an Klassenkameraden wenden, womit wir gute Erfahrungen machen. Hier kommen auch die Zehntklässler ins Spiel, die im Lernbüro assistieren.

Die Kontrolle darüber, dass ein Schüler nicht nur in seinen Lieblingsfächern arbeitet, behalten die Klassenlehrer über die sogenannten Logbücher und über regelmäßige Tutorengespräche. In jedem Fach müssen die Schüler im Laufe des Schuljahres eine bestimmte Anzahl von Bausteinen erfolgreich abschließen. Wie der Name schon vermuten lässt, hilft das Logbuch den Schülern, durch das Schuljahr zu navigieren und ihre einzelnen Lernetappen festzuhalten. Das Logbuch ermöglicht, sich jederzeit ein Bild über den aktuellen Stand zu verschaffen.

Jede Klasse hat zwei Klassenlehrer und 26 Schüler. Jeder Klassenlehrer ist damit für 13 Tutanden verantwortlich, mit denen er sich regelmäßig, mindestens einmal alle zwei Wochen, zusammensetzt.

Täglich verbringt die Klasse Zeit mit ihren Klassenlehrern: Soziales Lernen, Klassenrat, Lesestunde und Studierzeit (während der auch die Tutorengespräche geführt werden) sowie die Vorbereitung auf das Projekt Verantwortung und Herausforderung. Außerdem hat die Klasse an einem Tag in der Woche nach dem Lernbüro ein fünfstündiges Zeitfenster für Projekte. Dass die Kinder sich durch die Klassenzeiten in eine Gemeinschaft einbinden können, einen festen Ort und feste Aufgaben haben, ist für sie von elementarer Bedeutung in einem Schulalltag, der von individuellem Lernen und wechselnden Kurszusammensetzungen geprägt ist.

Im Jahrgang 7 und 8 wählen die Schüler jedes Halbjahr zwei Werkstätten, im Jahrgang 9 eine. Rund 40 Werkstätten stehen zur Auswahl, die von Lehrern, Eltern als Experten, externen Partnern oder von Schülern angeboten werden. In den Werkstätten findet sich der künstlerisch-ästhetische Bereich, Sport, Naturwissenschaften, Neue Medien, Praktisches Lernen und vieles mehr. Hier gibt es verpflichtende Bereiche und solche, die eine individuelle Schwerpunktsetzung ermöglichen.

Im Wahlpflichtunterricht I ab Jahrgang 7 haben die Jugendlichen die Wahl zwischen einer zweiten Fremdsprache (Französisch oder Spanisch), Naturwissenschaften, Theater, Musical oder Praktischem Lernen. Im Wahlpflichtunterricht II ab Jahrgang 9 werden Französisch und Spanisch, Sport, Kunst, Musik, Neue Medien, Theater, Berufswahlvorbereitung und weitere Kurse angeboten. Französisch und Spanisch werden als einzige Fächer noch in jahrgangshomogenen Gruppen unterrichtet.

Fördern und Fordern findet durch spezielle Materialien im Lernbüro, durch Lernpartner, in spezifischen Werkstattangeboten, in Zusatzangeboten wie dem English Day Camp in den Ferien, in besonderen Herausforderungen und in Projekten statt.

In der 7. und 8. Klasse steht das Fach Verantwortung auf dem Plan. Die Schüler suchen sich selbst eine Aufgabe außerhalb der Schule, in der sie Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen.

In der 8., 9. und 10. Klasse stellen sich die Jugendlichen drei Wochen einer Aufgabe außerhalb von Berlin, die sie interessiert und die für sie persönlich eine Herausforderung darstellt. Diese Aufgabe bereiten die Schüler selbständig vor und bewältigen sie allein oder in einer Gruppe.

Generell gilt der Grundsatz: Individualisierung vor Konformität, Altersmischung wenn möglich. Lernen findet möglichst in Projekten oder mit Bezügen zur Lebenswelt statt. Das Konzept für den Jahrgang 10 befindet sich gerade in der Überarbeitung. Es soll neben Logbuch, Tutorensystem und Klassenrat mit individualisierten Lernformaten in den Kern- und Prüfungsfächern und strukturell verankerter fächerübergreifender Projektarbeit stärker als bisher die Lernprinzipien aus den unteren Jahrgängen fortführen. Die Schüler des Jahrgangs 10 übernehmen als Lernpartner einmal wöchentlich in den Lernbüros Verantwortung für ihre jüngeren Mitschüler.

Auch in der dreijährigen Oberstufe sollen die pädagogischen Leitideen der Sekundarstufe I zentral verankert werden. Hier gilt es, die Freiräume auszuloten und auszuschöpfen, die trotz aller Pflichtvorgaben für das Abitur möglich sind. Lernen, Wissen zu erwerben, Lernen zu handeln in Bezug auf nachhaltige Entwicklung, Lernen, zusammen zu leben, sind auch in der Sekundarstufe II die Grundpfeiler des schulischen Lernens und Handelns. Ziel ist die Erlangung von Gestaltungskompetenz: vorausschauendes Denken, interdisziplinäres Wissen, autonomes Handeln in heterogenen Gruppen, interkulturelle Kompetenz und Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen sind zentrale Elemente, die dafür nötig sind.

Der Unterricht der Oberstufe zielt darauf ab, dass die Schüler:

 
  • in ihrer Selbständigkeit und Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess gestärkt werden und dabei auch besondere Herausforderungen meistern,
  • die fachlichen, aber auch die methodischen Anforderungen für die allgemeine Hochschulreife erwerben – in der Schule und auf Exkursionen, Studienfahrten und bei Projektkooperationen mit wissenschaftlichen Instituten und anderen Partnern,
  • durch das Konzept der Profiloberstufe in Zusammenhängen lernen und
  • in fächerübergreifenden Projektphasen zusätzlich zu Fachkompetenzen auch Planungs- und Präsentationskompetenzen weiter ausbauen,
  • sich mit den zentralen Anforderungen an die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts auseinandersetzen und Lösungsstrategien für die zentralen Zukunftsfragen entwickeln.

Durch die Bildung von Profilen, in denen je ein Leistungskurs mit einem oder zwei Grundkursen gekoppelt ist, setzen wir eine Struktur, in der auch in der Oberstufe Lernen in größeren Blöcken stattfinden kann. Die Profile ermöglichen darüber hinaus auch in der Oberstufe eine stabile Beziehungskultur mit mindestens acht Stunden in derselben Schülergruppe, es gibt also weiterhin die »Heimatklasse« mit Coaching durch den Tutor. Die Profile ermöglichen aber auch strukturell Raum für fächerübergreifende Projekte außerhalb der Schule, da im Plan jeweils fünf Stunden der Profilfächer an einem Wochentag im Stundenplan hintereinanderliegen. Die Profile entsprechen den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: Kultur, Individuum, Gesellschaft. Gesellschaft mit den Fächern Kunst und Deutsch / Geschichte, Umwelt und Nachhaltigkeit mit Biologie und Geografie sowie Innovation und Wirtschaft mit den Fächern Englisch und Wirtschaft. Aneignung von Fachwissen ist ebenso gefragt wie die eigenverantwortliche Durchführung von Projekten. Social Business, Entrepreneurship, Design Thinking sollen wichtige Elemente der Sekundarstufe II werden.

Während ihres dreimonatigen Auslandsaufenthalts lernen die Schüler andere Kulturen kennen, erweitern ihren Horizont und verbessern ihre Fremdsprachenkenntnisse.

Wir befinden uns mitten im Transformationsprozess, Neues und Altes existiert in einigen Bereichen noch nebeneinander. Vor allem wenn Noten gegeben werden müssen und die zentralen Prüfungen anstehen, sind wir immer wieder gefährdet, in alte Muster zurückzufallen.

Es ist wichtig, sich das bewusst zu machen. Oft sind es auch die Schüler, die uns darauf aufmerksam machen. Probleme, die sich im Transformationsprozess zeigen, sind nicht per se schlecht – unser Gehirn freut sich darüber, es ist zum Problemlösen gemacht. Wichtig ist, wie eine Institution mit Herausforderungen, mit Scheitern umgeht. Denn das prägt den heimlichen Lehrplan und das wahre Lernen für das Leben.