Mit lebendigen Ritualen eine Mut- und Mitmachkultur festigen

 

Wenn man etwas erreichen will, braucht es dafür Orte, Zeiten, Räume. Man kann nicht sagen: Gute Beziehungen, Vertrauen, Mut und Anerkennung sind uns wichtig, aber dann diese Dinge in der Hektik des Schulalltags untergehen lassen. Denn dann lautet die heimliche Botschaft: Für das Wichtigste ist an dieser Schule keine Zeit. Wir haben daher an der esbz Rituale geschaffen, die wir regelmäßig mit Leben füllen und die den Geist dieser Schule in unsere Köpfe und Herzen pflanzen und dort wachsen lassen.

Unsere drei Mottos werden schon am ersten Tag im Einschulungsgottesdienst für alle Schulanfänger sinnlich erfahrbar gemacht. »Anlachen statt auslachen« lautet das erste Motto, und jedes Kind bekommt von den Klassenlehrern eine Sonnenblume überreicht. »Ihr seid das Salz der Erde« (Matthäus 5, Vers 13), so lautet das zweite, ein Tütchen Salz mit dieser Aufschrift bekommen die Neuen von ihren älteren Mitschülern überreicht. Für das dritte Motto – »Mit dem Herzen sehen, mutig sein« – erhalten die Kinder von ihren älteren Mitschülern unsere Mutkarte.

Die Mutkarte ist die Visitenkarte unserer Schule, sie steht für Achtsamkeit und Zivilcourage, Entscheidungsfähigkeit und dafür, mit dem Herzen zu sehen, Ängste zu überwinden, der eigenen Neugierde und seinen Visionen zu folgen und Außergewöhnliches zu wagen. Sie soll jedes Kind daran erinnern, dass es etwas Besonderes ist und Vertrauen zu und in sich selbst haben soll. Wir erleben immer wieder, wie viel unsere Mutkarten den Kindern bedeuten, etwa wenn ein Junge erzählt, dass er sie sich in der Nacht unters Kopfkissen legen will, damit ihm der Zauberstern ins Herz leuchtet, weil er am nächsten Tag zum ersten Mal die Schulversammlung moderiert. Wir verschenken die Mutkarten auch zu anderen Gelegenheiten, um Kinder – und Erwachsene – zu ermutigen, über sich selbst hinauszuwachsen. Und wir verkaufen unsere Mutkarten, um Geld für Plant for the Planet zu sammeln. Für eine Mutkarte, die einen Euro kostet, bekommen wir einen Baumsetzling.

Zu den Ritualen gehört das gemeinsame tägliche Mittagessen in der Schule. Die Kleinteams sitzen an langen Tafeln, die vom Mensadienst, den die Schüler in abwechselnden Gruppen selbst übernehmen, eingedeckt und wieder abgeräumt werden. Das Essen kommt in großen Töpfen und Schüsseln auf den Tisch, aus denen sich alle selbst auftun und dafür sorgen, dass es gerecht verteilt wird. So fühlt sich das gemeinsame Essen ein bisschen »wie zu Hause« an. Und es bietet den Klassenkameraden und Lehrern die Möglichkeit zu einem Austausch abseits der Schulbank.

Der Wochenabschluss jeden Freitag in unserem Forum ist mit dem gegenseitigen Lob, das dort ausgesprochen wird, als Ritual sehr wichtig, und ebenso natürlich die Schulversammlung, durch die wir die Klassen- oder Kleinteamgemeinschaft zu einem Wir, das alle umfasst, öffnen wollen.

Rituale bleiben lebendig, wenn man sie ständig entwickelt, voranbringt und reflektiert.

 

Im Laufe jeder Woche studiert unser Musiklehrer Oliver Meyer-Krahmer mit allen Schülern der Sekundarstufe I das »Lied der Woche« ein, das dann gemeinsam bei der Schulversammlung gesungen wird, begleitet auf der Gitarre. »Das ist ein starkes beziehungsförderndes Moment«, erklärt er. Dafür braucht es freilich Geduld, denn der Gesang ist gerade für Kinder in diesem Alter nicht immer einfach. Zum Mitsingen zwingen wir daher niemanden (aber mitlesen und rhythmisch sprechen kann jeder). »Wenn es klappt, dass auf der Versammlung alle dieses Lied wirklich schmettern, dann geht einem das Herz auf«, sagt Oliver Meyer-Krahmer. Auch wenn es den Kindern nicht bewusst sein mag, wie sehr sich dieses Ritual einprägt, zeigt es sich doch immer wieder in wunderbaren kleinen Geschichten, etwa wenn eine Mutter erzählt, ihr Sohn singe diese Lieder oft im Bad, oder wenn eine Schülerin von einer Party schwärmt, auf der plötzlich alle bei einem Lied, dessen Text sie aus der Schule kannten, mitgesungen haben. Und natürlich ist das Lied der Woche eine Form, Musik regelmäßig zu leben. Letztes Jahr war »Talking about a revolution« der Hit unter den Liedern.

Ebenso wie die Schulversammlung wird auch der Gottesdienst, den wir einmal im Monat im Forum oder in der Sophienkirche feiern, von unseren Schülern vorbereitet. Alle nehmen teil, wer einem anderen Glauben angehört, braucht jedoch beispielsweise nicht mitzubeten. »Unser Gottesdienst ist nicht sehr kirchlich«, erklärt eine Schülerin auf einer Lehrerfortbildung. »Der ist einfach richtig interessant, weil er von uns selbst immer zu einem bestimmten Thema vorbereitet wird und man zum Beispiel etwas über Kinderrechte lernt.« Das beobachtet auch eine Mutter, deren Sohn sich gerne bei der Vorbereitung einbringt, obwohl er sonst kein großer Kirchgänger ist: »In den Fürbitten beispielsweise steckt ganz viel drin, was den Kindern etwas sagt, gerade weil sie von anderen Kindern erdacht sind«, sagt sie. »Im Gottesdienst geht es um Klimaschutz oder die Agenda 21, weil es für die Kinder gesellschaftlich und politisch wichtige Ziele sind, und natürlich ist die Bewahrung der Schöpfung auch ein christliches Thema.« »Bevor wir auf Herausforderung fahren, sind wir noch zwei Tage an der Schule, um die neuen Siebtklässler zu begrüßen«, erzählt Shana. »Und wenn es dann losgeht, singen alle, auch die Lehrer, für uns ›Vertraut den neuen Wegen‹ als Reisesegen. Das hat für mich eine ganz große Bedeutung, da hab ich richtig Tränen in den Augen.«

Rituale geben Struktur und Verlässlichkeit in ihrer ganz eigenen Sprache.

 

Es gibt zudem Rituale wie das »Top-Tipp-Feedback« nach Buchvorstellungen oder Präsentationen, bei dem man erst sagt, was »top«, also gut, war, und dann Tipps gibt, was noch besser werden könnte. Die Stunde im Englisch-Lernbüro beginnt ritualisiert mit einem Talk, bei dem sich alle Schüler zu einem bestimmten Thema auf Englisch unterhalten. Und wenn ein Kind für einen Englisch-Lernbaustein einen Gesprächspartner braucht, setzt es sich auf einen bestimmten Stuhl vor der Klasse, und ein Mitschüler kann auf dieses Zeichen hin reagieren.

Zweimal im Schuljahr haben wir das Stärkungsritual der Auszeichnungsversammlung, bei der besondere Leistungen unserer Schüler mit einer Urkunde anerkannt werden. Es gibt festgelegte Kategorien wie etwa »Leistungsbester« oder »Aufsteiger des Jahres«, aber auch individuelle Auszeichnungen. Die Klassen beraten im Vorfeld darüber, wer eine solche Belobigung verdient hat und wofür. Aufsteiger des Jahres kann bei uns auch ein Schüler werden, der sich etwa in seinem Notenschnitt von 4,0 auf 3,5 verbessert hat. Natürlich hat er mit diesem Schnitt immer noch kein gutes Zeugnis und würde an den meisten Schulen nicht gesehen, obwohl er sich unglaublich angestrengt hat. Wir glauben, dass er ebenso eine Auszeichnung verdient hat wie ein Schüler, der sich von 1,3 auf 1,2 verbessert hat und damit vielleicht Schulbester ist.

An einer Schule, wo so viel Wert darauf gelegt wird, dass alle zum Gelingen beitragen und Schüler, Eltern und Lehrer das Jahr über sehr viel Engagement zeigen, darf auch einfach mal gefeiert werden. Wir haben zwei große Bälle im Jahr: Der Schülerball wird zum Schuljahresende im Forum gefeiert. Der »Tanz in die Gemeinschaftsschule« mit Eltern und Mitarbeitern war der feierliche Auftakt zum Start unseres Gemeinschaftsschulprojekts. Inzwischen ist er zum festen Eröffnungsritual des Schuljahrs geworden. Eltern und Mitarbeiter der Gemeinschaftsschule esbz und esbm haben in festlichem Rahmen die Gelegenheit, sich kennenzulernen, auszutauschen und – natürlich – zu tanzen.