Editorial

 

In ihrer Neujahrsansprache 2012 bezeichnete Bundeskanzlerin Angela Merkel die Frage »Wie lernt unsere Gesellschaft?« als eine der entscheidenden Zukunftsfragen. Im Kern bedeutet diese Frage: Wie schnell, kreativ und grundlegend lernen unsere Bildungseinrichtungen, den einschneidend veränderten Zukunftsanforderungen gerecht zu werden?

Die Frage, was Bildung in der und für die heutige Welt und für permanentes gesellschaftliches Weiterlernen sein muss, beantwortet der Hirnforscher Gerald Hüther in seiner Einführung zu diesem Buch sehr klar. Bildung muss Potenzialentfaltung sein. Die heute immer noch übliche Wissensvermittlung stellt lediglich den Rohstoff bereit. Doch erst die Potenzialentfaltung bestimmt, was jeder Mensch daraus kreativ gestalten kann. Das neue Lernziel lautet daher: Lebensunternehmer.

Dieses Ziel findet sich, in unterschiedlichen Begriffen ausbuchstabiert, in zahlreichen klugen Bildungsbüchern der Gegenwart. Doch zwei Fragen bleiben meist nur unbefriedigend beantwortet: Wie kann ein derartig verändertes Bildungsverständnis ohne langes Warten auf die große Bildungsreform von oben unmittelbar in der Schule, in unserer Stadt, in unserer Gemeinde praktisch umgesetzt werden? Und besteht eine realistische Chance, dass unsere gesamte Gesellschaft lernt, die notwendige Bildungswende zur Potenzialentfaltung tatkräftig und erfolgreich zu vollziehen? Diese beiden Fragen haben die Autoren dieses Buches zusammengeführt und zum Schreiben von EduAction motiviert.

Die Entscheidung, die zukunftsweisenden Impulse kluger Vordenkerinnen und Vordenker einer Potenzialentfaltung an der eigenen Schule einfach umzusetzen, führte zu einem aufregenden Lernprozess, dessen Zwischenergebnisse wir einer breiten Öffentlichkeit hiermit zugänglich machen wollen. Über die für jeden Lernprozess typischen Schleifen von Versuch und Irrtum kristallisierte sich an der Evangelischen Schule Berlin Zentrum (esbz) aus Sicht der beteiligten Lehrer, Schüler und Eltern und von externen Beobachtern Zug um Zug eine Form konkret sich vollziehender Potenzialentfaltung heraus. Parallel dazu wurde immer nachdrücklicher der Wunsch artikuliert, die Erfahrungen an der esbz weiterzugeben. Dies geschah in einem ersten Schritt über Vorträge, auf die im zweiten Schritt schon bald Lehrerfortbildungen durch Schüler der esbz folgten, an denen in kurzer Zeit bereits mehr als 3000 Lehrer teilgenommen haben. Der dritte Schritt ist nun dieses Buch.

Innovationen gibt es selbstverständlich nicht nur an der esbz, wir selbst haben uns bei einigen der realisierten Bildungsinnovationen auf andernorts entwickelte Neuerungen gestützt. Wichtiger, als die Urheberschaft der Innovationen zu klären, erscheint uns jedoch zu erkunden, wie die bereits überaus faszinierende und lernstarke, gleichwohl noch recht fragmentarische Landschaft von Potenzialentfaltungsprojekten und -schulen aussieht und, noch wichtiger, wie es gelingen kann, auf der Basis der bereits gesammelten Erfahrungen und Beispiele eine Schule nach der anderen neu zu erfinden. Aus diesem Grund haben wir gemeinsam mit anderen Interessierten das Education Innovation Lab an der Humboldt-Viadrina School of Governance ins Leben gerufen. Was sich dort entwickelt, ist Thema am Ende dieses Buches.

 

Margret Rasfeld und Peter Spiegel

Berlin, Februar 2012