Die Zukunft der Bildung hat schon begonnen: Blick nach Deutschland und in die Welt

 

Transformation ist möglich: Diese Pioniere machen Mut

 

Der Wechsel von unserem alten zu einem neuen Bildungssystem kann überall beginnen: an Schulen, in Lehrerausbildungsseminaren, an pädagogischen Hochschulen. Der Funke kann auch auf Konferenzen, bei Workshops und natürlich bei persönlichen Begegnungen überspringen. Und tatsächlich beobachten wir, dass die dringend nötige Transformation schon an vielen Orten begonnen hat!

Die esbz hat eine Bildungsrevolution ohne Tote gestartet. Die gehen dort radikal an die Strukturen, indem sie Kinder tatsächlich als Bildungspartner wahrnehmen und sie an Lernsituationen heranführen, die im Wesentlichen real sind. Sie nehmen einfach die Scheibe zwischen der Wirklichkeit und der Schule raus.

Josef Köhler, Geschäftsführer des Instituts für Bildungskunst

 

Ein Vorreiter in Sachen neuer Lehrerausbildung könnte die Pädagogische Hochschule Salzburg werden. 2011 war in Österreich das Jahr der Bildungsreform. Angesichts eines Systems, das ähnlich selektiv ist wie das deutsche und dessen Schüler bei PISA noch schlechter abschneiden als die deutschen, war dies ein wichtiges Signal. Ein Vortrag von Gerald Hüther im Mai 2011 an der Hochschule wurde zur Initialzündung. Auf Gerald Hüthers Empfehlung hin besuchte ihr Rektor, Dr. Josef Sampl, wenige Wochen später die esbz, und im Dezember 2011 schließlich waren die Schulleiterin, die Sonderpädagogin Aileen Rodewald und elf Schüler aus den Jahrgangsstufen 7 bis 11 nach Salzburg eingeladen, um dort zwei Tage lang mit 52 Professoren und Lehrbeauftragten zu arbeiten.

Das Fazit des Rektors lautete: »Solche Schüler und Schülerinnen wünschen wir uns in Österreich auch. Dazu ist es wohl notwendig, auch die Lehrerausbildung ›vom Kopf auf die Füße‹ zu stellen – und das wollen wir nun angehen.« Unseren Schülern ist es durch ihre Begeisterungsfähigkeit und authentische Überzeugungskraft tatsächlich gelungen, die verschütteten Visionen in den Herzen der Menschen anzurühren und zum Leben zu erwecken.

Wir haben verstanden: Es kommt auf die Haltung der Menschen an, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Die Erwachsenen dürfen nicht meinen, sie wüssten permanent Bescheid.

Stefan Wolf, Geschäftsführer der Peter Gläsel Stiftung

 

Auch von anderen Teilnehmern des Workshops bekamen wir geradezu euphorische Rückmeldungen: »Die Ideen finde ich so toll, dass es mir bei den Erzählungen der Kinder über ihre Arbeit und ihre Erlebnisse oft gegangen ist wie bei einem guten Konzert: Es lief mir den Rücken hinunter, kalt und warm, heiß und eiskalt, in sehr positivem Sinne gemeint, weil ich merkte, es bewegt sich was«, schrieb uns einer der Professoren, und seine Kollegin sagte: »Es ist einfach wunderbar, wenn Gedanken formuliert werden, die man selber schon lange in seinem Herzen trägt, und zu sehen, dass Veränderung Platz greifen kann, nachhaltige Veränderung – auf allen Ebenen. Die ganze Veranstaltung ist für mich ein Stück Hoffnung für die Hochschule, für mich, für meine Enkelkinder.« Und eine andere Kollegin zeigte sich zuversichtlich, dass das, was an der esbz möglich ist, auch an Hochschulen umsetzbar ist: »Auch wenn es schwieriger erscheint. Ich bin nun zuversichtlich. Danke für Ihr Sendungsbewusstsein, das war spürbar, und ich freue mich, dass es nun weitergehen kann hier.«

Die Pädagogische Hochschule Salzburg wird jetzt einen Modellversuch starten: Unmittelbar nach unserer zweitägigen Fortbildung hat sich eine Gruppe Lehrender zusammengetan, um die Lehrerausbildung neu zu überdenken und ein Curriculum zu entwickeln.

Aber auch und gerade in Deutschland sind wir vielen mutigen Kollegen begegnet und durften Gespräche führen, die hoffen lassen. An vielen Orten ist Aufbruchstimmung zu spüren oder hat der so dringend nötige Transformationsprozess bereits begonnen.

Carmen Bohnsack etwa ist Referentin für Evangelische Schulen am Pädagogisch-Theologischen Institut (PTI) Nordelbien, Schleswig-Holstein. »Meine Aufgabe ist es, diese Idee, dass Schule anders sein kann, nach Schleswig-Holstein zu tragen«, sagt sie. Die Angebote des PTI richten sich nicht nur an Schulgründungsinitiativen und Lehrer von evangelischen Schulen. »Das ist etwas, was wirklich Impulse für die Schulentwicklung im ganzen Land geben kann. Da gibt es in Schleswig-Holstein noch ganz viel Bedarf.«

An der esbz habe sie genau das wiedergefunden, was sie sich unter einem überzeugenden Profil einer evangelischen Schule vorstelle: dass Schulen wirklich Werkstätten der Menschlichkeit sein können, dass die Kultur der Wertschätzung konsequent gelebt wird und dass die Kinder erfahren, dass sie selbst etwas bewirken können in der Welt.

Alles begann damit, dass Carmen Bohnsack bei uns im Unterricht hospitierte und an einer Lehrerfortbildung teilnahm. Davon angeregt lud sie die Schulleitung und einige unserer Schüler zu einer Fortbildung zum Thema »Kinder stärken – Zukunft gestalten« nach Kiel ein. »Das hat unheimlich was bewirkt bei uns in Schleswig-Holstein«, sagte sie uns anschließend. »Dadurch entsteht ein ganz anderes Bewusstsein, was eine moderne, zukunftsweisende evangelische Schule sein kann. Eine Schule, die nicht eng und missionierend arbeitet, sondern die ganz viel Weite zulässt und für alle offen ist, von der alle profitieren können.«

Als Fortsetzung organisierte sie in Kiel eine Exkursion zu einer Lehrerfortbildung an der esbz – die Nachfrage war so groß, dass nicht alle Interessierten mitfahren konnten. Es kamen Vertreter von Gründungsinitiativen, aber auch Lehrkräfte von staatlichen und Vertreter bereits existierender Schulen in freier Trägerschaft. »Es war so wichtig«, sagte Carmen Bohnsack, »dass unsere Gruppe die Schüler der esbz an diesem Tag erleben konnte und durch sie erfahren hat, dass sie so arbeiten können, wie sie es hier tun, dass sie so leben können und sich verbinden können mit der Welt und mit dem, was anliegt in der Welt. Das zu erleben hat ganz vielen Leuten Mut gemacht.« In einem gemeinsamen Gespräch will die Gruppe ihre Exkursion nachbereiten und schauen, welches die nächsten Schritte sein können.

Regionale Bildungslandschaft und externe Schulentwicklungsbegleitung

 

Bemerkenswert ist auch das Projekt »Externe Schulentwicklungsbegleitung« in der StädteRegion Aachen. Das dortige Bildungsbüro im »Regionalen Bildungsnetzwerk« – einer Kooperation zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und der StädteRegion Aachen – bietet interessierten Schulen eine kontinuierliche und längerfristige externe Begleitung bei Schulentwicklungsprozessen an. In Zusammenarbeit mit dem Bildungswerk Aachen sind 2011 zwölf externe Schulentwicklungsbegleiter ausgebildet worden, mittlerweile nutzen knapp 30 (von insgesamt 190) Schulen der Region dieses Angebot. Im Herbst 2012 startet das Bildungswerk eine zweite Ausbildung, um der großen Nachfrage nach diesen intensiven Prozessen auch in Zukunft gerecht werden zu können.

Dabei kann es um die Entwicklung eines zukunftsfähigen Schulprofils gehen, um Fragen der Kommunikation und Kooperation im Kollegium (»Schule ist ein Mannschaftsspiel, das nur als Team zu gewinnen ist«), die Entwicklung und Umsetzung von Inklusionskonzepten, Projekte wie »Verantwortung« und »Herausforderung«, neue Modelle des kooperativen Lernens, Fusionsprozesse oder auch die Konzeptionsentwicklung bei Neugründungen von Gesamt- oder Sekundarschulen. Die Schulen investieren dabei einen Großteil der ihnen zustehenden Fortbildungsgelder, können darüber hinaus aber auch externe finanzielle Unterstützung durch den Verein »Partner für Bildung e. V.«, erhalten der Sponsorengelder für solche Projekte akquiriert und an die Schulen weitergibt.

Transformation geht nicht von alleine! Sie braucht Leuchttürme wie die esbz, die mit ihren innovativen Ideen und Projekten zeigen, wohin es gehen kann. Sie braucht aber auch, um in der Breite wirksam zu werden, Menschen, die die Schulen unterstützen, die anstehenden Veränderungen in einem konstruktiven, wertschätzenden Miteinander gegen einen oft als übermächtig erlebten Alltag umsetzen. Aus meiner Erfahrung geht das nur mit Hilfe externer, prozessorientierter und kontinuierlicher Begleitung.

Alfons Döhler, Geschäftsführer im Bildungswerk Aachen

 

Inspiration holen sich die Aachener Bildungsakteure jedes Jahr auf dem 2012 schon zum vierten Mal geplanten »Aachener Bildungstag«. 2010 waren hierzu unter dem Motto »Zündstoff für eine neue Lern- und Beziehungskultur in Kita und Schule« unter anderem Professor Gerald Hüther sowie die Schulleitung und Schülerinnen der esbz eingeladen und begeisterten fast 1000 Beteiligte mit innovativen Ideen zur Transformation von Schulen. Daraufhin haben sich einige Schulen in der Region auf den Weg gemacht: Sieben weiterführende Schulen sind dabei, das Projekt Verantwortung nach dem Berliner Vorbild zu installieren. Mehrere Schulen arbeiten an der Umsetzung von Lernbüros, nachdem sich eine Gruppe von Lehrern und Schulleitern bei einem Besuch bei der esbz über die Praxis vor Ort informiert hat.

Beides zusammen – innovative Ideen und das Handwerkszeug zur ihrer nachhaltigen Umsetzung –, da sind sich die Akteure in Aachen einig, wird die Schullandschaft in der Region nachhaltig verändern. Sehr viel Mut macht auch die Entwicklung im Landkreis Ostwestfalen-Lippe, eine Region im Nordosten von Nordrhein-Westfalen, in der einerseits einige der gesündesten Familienunternehmen Deutschlands ihren Sitz haben, die aber zersiedelt und strukturschwach ist und aus der viele junge Leute wegziehen. Dort wächst ein Bildungsbündnis des Neuen Lernens, treibende Kräfte sind die Peter Gläsel Stiftung und das Institut für Bildungskunst, die Sinn-Stiftung ist mit einem Aktiv-Hof involviert. »Bildung ist in jeder Zelle der Gesellschaft vorhanden«, sagt Josef Köhler, und Stefan Wolf, der Geschäftsführer der Peter Gläsel Stiftung, ist überzeugt: »Was an der esbz passiert, ist auf jeden Bildungsbereich übertragbar.« Sie entwickeln daher ein enges Netzwerk aller Akteure dieser ländlichen Region, die in allen Bereichen von Bildung – vom Kleinkind bis zum Erwachsenen – tätig sind, und tragen den Geist der esbz dort hinein. Einbezogen werden auch außerschulische Lernorte und Unternehmen, die bereit sind, sich langfristig zu engagieren.

Was ich an der esbz gelernt habe, ist: diese große Vision zu haben, denn dann kann man auch mit kleinen Schritten anfangen.

Carmen Bohnsack, Referentin für Evangelische Schulen am Pädagogisch-Theologischen Institut Nordelbien

 

»Wir machen nicht einfach nur Programme, sondern gehen mit unserem Bildungsversprechen eine Verpflichtung ein«, unterstreicht Stefan Wolf, der 2007 sein Amt als Pfarrer eintauschte gegen die Aufgabe, die Peter Gläsel Stiftung neu auszurichten. Die Stiftung ist seit über 20 Jahren in der Region verwurzelt und dort finanziell völlig unabhängig und operativ tätig. Sie hat in der Vergangenheit eigene Bildungsbausteine entwickelt, wie beispielsweise das auf Royston Maldoom zurückgehende Programm »ResiDance«, ein Angebot für Laien, unter Anleitung erfahrener Choreografen zu tanzen, in dem die Stiftung über drei Jahre lang mit dem britischen Choreografen kooperierte. »Es war erstaunlich für uns zu sehen, wie sich vermeintliche Schulversager oder Menschen mit Behinderung in einem nur zweiwöchigen Workshop veränderten und ihre tatsächlichen Kompetenzen zeigten: Sie waren motiviert und haben Würde wiedergewonnen«, sagt Stefan Wolf. Über diesen etwas unkonventionellen Ansatz wurde die Stiftung in ihrer Überzeugung bestärkt, dass Menschen in Gestaltungsprozesse einbezogen werden müssen. »Das ist beim Tanzen genauso wie in der esbz. Das ist ein Strukturprinzip guter Bildung.«

Im Jahr 2009 übernahm die Peter Gläsel Stiftung eine Kindertagesstätte und führte dort das Prinzip der konsequenten Partizipation der Ein- bis Sechsjährigen ein. »Das ist in Nordrhein-Westfalen etwas völlig Neues gewesen: Man hört nicht nur ab und zu, was die Kinder denken, sondern beteiligt sie permanent in den für sie wichtigen Fragen«, sagt Stefan Wolf und zieht nach drei Jahren ein absolut positives Zwischenfazit: »Unsere Kinder haben nur vernünftige Entscheidungen getroffen. Ein Beispiel: Eine Gruppe wollte gerne ein Haustier haben. Der Entscheidungsprozess, durch den die Erzieherinnen die Kinder begleitet haben, ging über ein ganzes Jahr. Gemeinsam wurden alle wichtigen Fragen wie: Für welches Tier können wir sorgen? Was passiert in den Ferien? Wo bekommen wir das Geld her? besprochen und geklärt. Die Kinder organisierten selbst eine Spendenorganisation und bauten, als sie sich schließlich für Meerschweinchen entschieden hatten, den Stall gemeinsam mit einigen Eltern selbst.«

Die ersten Kinder sind aus der Stiftungs-Kita bereits in die Grundschule gekommen, wo sie zum Teil erleben müssen, dass die Lehrer nicht mit ihrer Selbständigkeit und ihrem Wunsch nach Teilhabe umgehen können. »Uns treibt die Frage um: Was passiert mit unseren Kindergartenkindern?«, sagt Stefan Wolf. Die Stiftung und das Bildungsbündnis arbeiten bereits an verschiedenen Ideen. Teilhabe wird dabei nicht nur als Basis in der Bildung verstanden, sondern ist auch zentral für den Aufbau des Bildungsbündnisses: »Lösungen von Problemen können immer nur in den Gruppen gefunden werden, die sie betreffen«, so Stefan Wolf, »daraus resultiert die Frage: Wen müssen wir in den Lösungsweg einbeziehen, wem Verantwortung übertragen?«

Auch Josef Köhler, einer der Partizipationsexperten Deutschlands, entwickelt Möglichkeiten direkter Teilhabe. Er ist Gründer und Geschäftsführer des Instituts für Bildungskunst mit Sitz in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hamburg. Als bildender Künstler hat er die klassischen Pfade der Kunst verlassen und beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit der Frage, wie Innovation und Veränderung von Bildung mit Hilfe künstlerischer Strategien und Methoden begleitet und erreicht werden kann. Er hat bereits viele spannende Projekte dazu ins Leben gerufen, die sich national und international etablieren konnten. »Das konstruktive Umgehen mit Unsicherheiten und Scheitern ist essenziell für einen Künstler, wir haben einen unglaublichen Innovationszwang«, sagt er und liefert damit die Erklärung, weshalb Kunst beim notwendigen Veränderungsprozess der Bildung eine so wichtige, unterstützende Rolle spielen kann.

Alles, was ein Kind ausmacht, bevor es in die erste Bildungseinrichtung kommt, wird in unserem Bildungssystem systematisch zerstückelt. Ursprünglich wollten wir uns bestimmte Strukturen nutzbar machen, damit sie uns Menschen etwas erleichtern, aber inzwischen stecken wir in einem Verhältnis fest, in dem wir Diener dieser Strukturen geworden sind. Die Mechanismen der Struktur geben dem Menschen vor, wie er zu funktionieren hat. Da kommt ein einzelner Lehrer nicht raus.

Josef Köhler, Geschäftsführer des Instituts für Bildungskunst

 

In enger Zusammenarbeit mit der esbz entwickelt sein Institut ein Baukastensystem aus Best-Practice-Bildungsbausteinen, aus dem sich veränderungswillige Schulen und Bildungseinrichtungen »bedienen« können. Darüber hinaus bietet es Beratung und Coaching an, da Schulen die Transformation oftmals nicht aus sich heraus leisten können. In seiner Arbeit wird das Institut für Bildungskunst unter anderem von der Peter Gläsel Stiftung unterstützt, sein Angebot richtet sich jedoch an Bildungseinrichtungen, Unternehmen und Stiftungen in ganz Deutschland. »Wir müssen jetzt radikal in die Breite gehen und brauchen vor allen Dingen vernetzte Lösungsstrategien«, fordert er, »nicht hier ein Reförmchen, da ein Leuchtturm. Das muss die ganze Gesellschaft erfassen!«

Auch die Sinn-Stiftung will Transformationsprozesse in Deutschland, Österreich und der Schweiz anregen und unterstützen. Auf der Suche nach dem Geheimnis des Gelingens veröffentlicht und vernetzt sie dazu Projekte, Programme und Menschen, die für eine Potenzialentfaltungskultur stehen. Sie will zeigen, wie und dass es möglich ist, dass inspirierte Menschen mit Begeisterung in Gemeinschaften über sich hinauswachsen. In der Initiative »Natur verbindet« beispielsweise entsteht ein Netzwerk von Aktiv-Höfen, an dem auch die esbz beteiligt ist.

Einem Großteil der Kids fehlt heute ihr Ding, ihre Vision, für die sie brennen. Jugendliche wollen Spuren hinterlassen. Sie wollen sich als selbstwirksam erleben. Sie wollen gebraucht werden als bedeutsame Menschen. Dann empfinden sie ihr Leben, Lernen und Arbeiten als sinnvoll und lassen sich mit Begeisterung darauf ein. So werden sie zu aktiven Gestaltern unserer Gesellschaft, die Verantwortung tragen.

Christian Rauschenfels, Gründer und Vorstand der Sinn-Stiftung

 

Und immer mehr einzelne Schulen machen sich auf den Weg und übernehmen beispielsweise Formate wie Lernbüro oder das Projekt Verantwortung. Ein Düsseldorfer Gymnasium will den Schülern ein Projekt Herausforderung ermöglichen, und die Willy-Brandt-Oberschule, die in einem sozialen Brennpunkt im Berliner Stadtteil Wedding liegt, hat das Lernen bereits komplett umgestellt. Nach einer Schulleiterfortbildung, auf der wir die Lernkultur der esbz vorgestellt hatten, kamen der Schulleiter und ein Teil des Kollegiums auf uns zu und baten um Unterstützung für ihren Neuerungsprozess. Es folgten Beratungen, Hospitationen und Vorträge in der Lehrerkonferenz, wir überließen der Schule Lernmaterial und das Logbuch.

Heute, drei Jahre später, hat die Schule, deren Schüler zu über 90 Prozent Migranten aus über 30 Nationen sind, die Schulstruktur der esbz in den Jahrgängen 7 bis 10 übernommen – was noch fehlt, ist einzig das Projekt Herausforderung und die Schulversammlung. Die Schüler haben wesentlich bessere Lernerfolge, und die Schule hat enorm viele Anfragen wegen Hospitationen.

Die Reinhold-Burger-Schule in Berlin-Pankow stellt ebenfalls unter Beweis, dass Transformation auch an einer öffentlichen Schule möglich ist.

Im Februar 2010 hat Guido Landreh die Leitung der ehemaligen Hauptschule übernommen und seitdem einen bemerkenswerten Reformprozess begonnen, den er trotz schwieriger Startbedingungen vorantreibt. Zuvor war er rund 20 Jahre in der »Stadt als Schule« tätig, ein Mitte der 1980er Jahre durch engagierte Pädagogen initiiertes Jugendbildungsprojekt, das in den 90ern in einen Schulversuch, 2001 in eine Schule besonderer pädagogischer Prägung überführt wurde. Lernen im Leben (nämlich in Berliner Betrieben) prägt hier die individuellen Curricula, die Erfahrungen der Schüler werden zu konkreten Lernanlässen. Die Absolventenquote der vorher im Regelsystem vom Scheitern bedrohten Schüler wurde deutlich gesteigert. 2009 hatte Landreh das Konzept einer »Schule für Begabungsförderung« entwickelt mit Fokus auf individueller Talentförderung, größtmöglicher Selbstbestimmung, Partizipation und wertschätzender Beziehungsarbeit als Basis für erfolgreiches Lernen. Die Nähe zum Geist der esbz ist unverkennbar.

Wir sind überzeugt, dass das folgende Gespräch mit Guido Landreh über den Reformprozess an der Reinhold-Burger-Schule auch anderen Kollegen Mut macht.

 

Erzählen Sie uns etwas über Ihre Schule und die Ausgangssituation.

Die Reinhold-Burger-Schule liegt im ehemaligen Ostteil der Stadt, nach der Wende wurde aus dem Standort eine Hauptschule. Mit dem zunehmend problematischen Image der Hauptschulen gingen die Schülerzahlen zurück. Als ich herkam, gab es noch 180 Schüler in vier Jahrgängen. Von der Struktur her war es eine autoritär geführte Schule mit klarem Reglement. Im Zusammenhang mit der Berliner Schulstrukturreform äußerten die Kollegen den Wunsch, sich für eine leistungsorientiertere Klientel zu öffnen. Parallel dazu entwickelten sie einen Schwerpunkt als »Gesunde Schule«. Als ich hier anfing, war es Wunsch des Kollegiums, daran weiterzuarbeiten.

 

Sie stießen mit Ihrem Konzept also nicht unbedingt auf offene Ohren?

Mein Einstieg war der denkbar schlechteste: Ursprünglich war abgesprochen, dass ich dem Kollegium meine Konzeptskizze vorstelle und sie dann entscheiden können, ob sie mit mir arbeiten möchten – und ich mit ihnen. Kurz vor dem Termin teilte mir die Schulaufsichtsbehörde mit, man werde mich dem Kollegium direkt als neuen Schulleiter präsentieren. Man ließ mir nur die Wahl, mich unter diesen Bedingungen dagegen zu entscheiden.

 

Wie wurden Sie und Ihr Konzept vom Kollegium aufgenommen?

Ich stellte meine Idee vor – und die Kollegen sagten: »Nein danke.«

 

Wurde Ihnen eine Begründung genannt?

Es gab in den ersten Monaten keinerlei inhaltliche Diskussion, das war reine Eskalation.

 

Trotzdem haben Sie die Stelle angenommen.

Ja, aber die Situation war so konflikthaft, dass ich bald wieder wegwollte und mich nach Alternativen umschaute. Nach ein paar Wochen wurde mir allerdings klar: Ich muss da durch. Und: Wenn ich hier arbeiten will, muss ich meine Konzeptideen erst mal weit zurückstellen. Denn ein Konzept, das für eine Neugründung geschrieben ist, lässt sich einer bestehenden Schule mit gewachsenen Strukturen nicht einfach verordnen. Schule wird immer gestaltet durch ganz viele Menschen, die daran teilhaben. Das habe ich dem Kollegium dann auch mitgeteilt. Nachdem ich diese Entscheidung getroffen hatte, konnte ich mit der Arbeit beginnen.

 

Wie haben Sie es trotzdem geschafft, Ihre Reformideen ins Kollegium zu tragen?

Zuerst einmal habe ich geschaut, wer überhaupt bereit ist, mit mir zusammenzuarbeiten und mein Konzept mitzutragen. Das waren zwei von 16 Kolleginnen. Viel Unterstützung bekam ich darüber hinaus von den Sozialpädagoginnen.

 

Kurz nach Ihrem Antritt haben Sie mit einem Großteil des Kollegiums eine Lehrerfortbildung an der esbz besucht.

Die Fortbildung war schon vor meiner Zeit vereinbart worden.

 

Wie wurde die Fortbildung angenommen?

Es gab ein paar Kolleginnen, die sagten, dass sie die Einführung in das Schulkonzept und die von den Schülern moderierten Workshops durchaus interessant fanden. Zwei von ihnen haben später auch eine Woche lang an der esbz hospitiert und viele Anregungen für die Lernbüro-Arbeit mitgebracht. Bei den anderen war die Motivation, sich das anzuhören, sehr gering, und das haben sie zum Teil auch deutlich gezeigt.

 

Hat die Fortbildung Ihnen selbst Mut gemacht?

Ich habe mir ein Mutplakat mitgebracht, und ich konnte dankenswerterweise jederzeit bei der Schulleitung anrufen und um Unterstützung bitten, zum Beispiel bei der Einrichtung der Lernbüros. Der Schulalltag macht es einem allerdings unheimlich schwer, an Neuerungen zu arbeiten. Obwohl ich selbst lange an einer Art Leuchtturmschule gearbeitet habe, ging es mir im Regelschulbetrieb plötzlich so, dass ich manchmal selbst nicht mehr geglaubt habe, dass bestimmte Dinge gehen. Die Strukturen sind hier derart eng, dass Menschen, die seit Jahrzehnten darin arbeiten müssen, sich nicht vorstellen können, dass es anders, geschweige denn vielleicht sogar viel besser geht. Hier einen Neuanfang zu wagen, dazu bedarf es aus Sicht der Lehrer einer hohen Risikobereitschaft und auch Experimentierfreude. Als Schulleiter trägt man die Verantwortung – und läuft Gefahr, eine Bauchlandung zu machen.

 

Wie viel Risiko nehmen Sie mit Ihrem Reformvorhaben auf sich?

Viel. Ich bin verantwortlich dafür, dass es erst mal einen Haufen Chaos gibt. Denn jeder Entwicklungsprozess beginnt damit, dass sich alte Strukturen auflösen und die neuen erst entstehen müssen. Das ist eine Phase einer großen Krise. Da die Zuversicht zu behalten ist wahnsinnig schwer. Letztendlich steht und fällt eine Schulentwicklung damit, wie klar ein Schulleiter ist in dem, was er als Entwicklungsvorhaben transportiert. Klarheit ist eine wesentliche Ressource in Veränderungsprozessen.

 

Wie startete die Veränderung an der Reinhold-Burger-Schule?

Zum Schuljahr 2010/2011 sollte sie von Jahrgang 7 her in eine integrierte Sekundarschule überführt werden. Zeitgleich wollte ich mit den Kollegen, die Ideen aus dem Konzept der esbz unterstützen, in eine Pilotphase gehen. Während meines ersten halben Jahres an der Schule lag für mich die Hauptarbeit darin, im Kollegium zu vermitteln: Es gibt da Kollegen, die möchten gerne etwas anderes machen, lasst sie es doch bitte ausprobieren.

 

Das ist Ihnen offensichtlich gelungen.

Tatsächlich konnten die beiden Kolleginnen, gemeinsam mit den Sozialpädagoginnen, das neue Schuljahr vorbereiten. Zusammen mit vier neuen Kolleginnen bildeten sie dann das Innovationsteam. Man muss bedenken, dass bei meinem Einstand der Altersdurchschnitt im Kollegium bei etwas unter fünfzig lag, die meisten Kollegen waren also schon seit zehn, fünfzehn Jahren hier. Für das neue Konzept entschieden sich zwei der jüngeren Kollegen. Das Innovationsteam war schwerpunktmäßig in Stufe 7 eingesetzt, vier Klassen mit 104 Schülern, die im rhythmisierten gebundenen Ganztagesbetrieb fahren.

 

Sie haben vorhin gesagt, ein Konzept, das für eine Neugründung entwickelt wurde, lässt sich nicht einfach auf eine bestehende Schule übertragen. Inwiefern haben Sie die von der esbz übernommenen Elemente verändert?

Wir haben mit Lernbüros in Mathe, Deutsch und Englisch angefangen, im zweiten Jahr ist Spanisch dazugekommen. Die Hälfte der Stunden haben die Schüler im Lernbüro, die andere im Klassenverband. Die Lernbüro-Materialien werden auf mindestens zwei Niveaustufen angeboten, die entsprechend gekennzeichnet sind, teilweise gibt es noch zusätzliche Aufgaben, die eine weitere Differenzierung ermöglichen. Als Sekundarschule sind wir sogar aufgefordert, unsere Schüler – zumindest in den Fächern Deutsch, Mathe, Englisch und später auch in den Naturwissenschaften – einem bestimmen Leistungsniveau zuzuordnen.

 

Ein entscheidender Schritt im Paradigmenwechsel vom Lehrer zum Lernbegleiter ist Ihnen damit bereits gelungen. Wie haben Sie diese Elemente an Ihrer Schule gestaltet?

Unsere Logbücher sind im Moment eher noch Lerntagebücher: Die Schüler notieren darin, wann sie gearbeitet und was sie erreicht haben. Der Lehrer sieht möglichst einmal pro Woche das Logbuch durch, und im Bedarfsfall gibt es ein Gespräch. Außerdem haben wir vierteljährlich Bilanz- und Zielgespräche, die mit jedem Schüler geführt werden. Die Eltern sind dazu mit eingeladen – und deren Partizipation steigt!

 

Wie viele Tutanden hat jeder Lehrer?

In den jetzigen Siebten und Achten hat jede Klasse 26 Schüler, das entspricht ungefähr 17 bis 18 Schülern je Lehrer. Die Quote ist zu hoch, finde ich, an dieser Stelle hätte ich gerne mehr Arbeitszeit. Aber wir bekommen von der Ausstattung her keine doppelte Klassenlehrerbesetzung hin, das ist ein Mangel, den die staatlichen Schulen haben. Ein klein bisschen kann man über die Personalkostenbudgetierung entlasten, aber auch das ist in Zeiten wie diesen, wo wir eine Haushaltssperre haben, sehr begrenzt.

 

Inwieweit gelingt an der Schule Partizipation und Selbstbestimmung?

Wir haben im Schulprofil einen stundenmäßigen Schwerpunkt im Fach Ethik gesetzt, der es uns ermöglicht hat, einen wöchentlichen Klassenrat und eine Stunde »Dank und Anerkennung« zum Wochenausklang einzuführen. In den 7. und 8. Klassen haben wir jahrgangsweise Versammlungen, etwa für die Wahl des Schulsprechers oder zum Halbjahres- und Schuljahresende, wenn wir Auszeichnungen verleihen.

 

Ist das Projekt Verantwortung auch im Fach Ethik angesiedelt?

Ja, es wird in Ethik vorbereitet und reflektiert, und dort werden auch immer wieder Themen aufgegriffen, die die Schüler von ihren Projektorten mitbringen. Wie an der esbz gehen auch bei uns die Schüler der 7. und 8. Klassen einmal in der Woche für zwei Stunden in eine gemeinnützige Einrichtung ihrer Wahl. Das Projekt wird von den Schülern gut angenommen.

 

Gibt es an Ihrer Schule auch ein Projekt Herausforderung?

Noch nicht. In der stark herausfordernden Form der esbz werden wir es wohl auch nicht durchführen können. Das zu begleiten würde uns überfordern. Aber wir werden auf anderer Ebene Herausforderungen schaffen, etwa indem wir die Schüler die Stadt noch stärker als Lernort nutzen lassen. Wir wollen zudem ein Angebot »Produktives Lernen« an der Schule entwickeln, mit dem wir auch leistungsstarke Schüler erreichen möchten.

 

Woher nehmen Sie die Zuversicht, angesichts erschwerter Bedingungen heute, Ihren Weg erfolgreich zu gehen?

Aus meiner beruflichen Biografie: Ich habe in den letzten zwanzig Jahren erfahren, dass individualisierte und praxisorientierte Lernformen sehr gut funktionieren. Für mich ist ein entscheidender Punkt in der Schulentwicklung, dass sie in der Region passiert und man dort gemeinsam etwas entwickelt. Aus solchen Kooperationen zieht jeder für sich selbst ganz viel Unterstützung und Bestätigung.

 

Wie ging es weiter, nachdem Sie die Zustimmung zur Pilotphase gewonnen hatten?

Der erste Jahrgang war erst mal ein Fremdkörper in der Schule. Alleine dadurch, dass mittags um eins plötzlich für eine Stunde Leben auf dem Hof ist, während die anderen Klassen Unterricht haben. Es irrten auch Schüler orientierungslos durchs Schulgebäude und machten zum Teil Unsinn. Da gab es neue Konflikte.

 

Wie hat sich das »alte« Kollegium verhalten?

Die vorherrschende Haltung war: Na, macht mal, ihr werdet schon sehen, so kann das gar nicht gehen. Euch fehlt eben noch die Erfahrung, aber ihr könnt gerne mit uns reden. Wobei das Hilfsangebot ernst gemeint war, es gab Kooperationsbereitschaft, aber zu den Bedingungen dieser Kollegen. Aber die Grundhaltung im Innovationsteam war: Es ist zu früh für ein Urteil, wir machen weiter. Und sie haben sich sehr stark als Team verstanden.

 

Wurden die Eltern in die Umstrukturierung einbezogen?

Nein. Zwar mussten sie im Rahmen der Schulkonferenz über die Pilotphase mitentscheiden, aber die Kinder dieser Eltern sind ja in den nicht betroffenen höheren Jahrgängen. Dazu kommt: An der Hauptschule haben wir überhaupt nur ein knappes Viertel der Eltern erreicht. In unserem zweiten Jahrgang 7 nach der Umstellung dagegen sind nur Kinder, deren Eltern sich diese Schule gewünscht haben. Diese Eltern fordern mehr, sind kritisch, unterstützen aber auch sehr konstruktiv. Und auch die Schüler nehmen anders Verantwortung wahr. Wir haben jetzt eine Gesamtschulmischung, und im ersten Jahrgang, in der jetzigen Achten, arbeiten die Klassenräte schon sehr selbständig und erfolgreich.

 

Welche Bilanz zogen Sie nach dem ersten Jahr?

Eine Mehrheit des Kollegiums sagte zumindest: Dieses Konzept wird weiterentwickelt und fortgeführt. Es ist jetzt also offizielle Schulentwicklungsgrundlage. Das hieß jedoch nicht, dass nun alle dahinterstanden. Nach wie vor fehlte im Gesamtkollegium die Bereitschaft zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung. Allerdings waren bis zum Schuljahresende auch einige der ablehnenden Kollegen gegangen.

 

Wie haben sich die Dinge weiterentwickelt?

Zu Beginn des neuen Schuljahres wurde es erst mal schwierig: Wir nahmen 130 neue Schüler auf und mussten insgesamt zehn neue Kollegen einstellen, die schwer zu finden waren, weil der Arbeitsmarkt relativ leer gefegt ist. Aus den ursprünglich 16 sind jetzt 32 Lehrer geworden. Wir mussten im laufenden Betrieb einer Schule im Reformprozess auch noch eine funktionierende neue Arbeitsstruktur aufbauen.

 

Stecken Sie noch im Chaos, oder hat sich der Staub schon gesetzt?

Für mich sind bestimmte Dinge schon erkennbar, aber für einen Teil der Kollegen in dieser Schule ist es ein großes Chaos. Beispielsweise soll die historisch gewachsene autoritäre Struktur jetzt partizipativ und demokratisch werden. Da geht es wirklich an Glaubenssätze, und die sind erfahrungsgemäß ganz schwer zu verändern.

 

Wie verändert man solche überholten Glaubenssätze dann doch?

Durch Erfahrung, Reflexion und Reden. Ich glaube, Kommunikation ist die wichtigste Aufgabe eines Schulleiters. Aber es gibt auch Meilensteine. Anfangs haben wir noch versucht, den gravierenden Regelüberschreitungen, zu denen es unter den neuen Siebtklässlern immer wieder kam, mit den klassischen autoritären Methoden entgegenzutreten. Aber das führte nur zu einer weiteren Eskalation. Daraufhin haben wir im Kollegium Alternativen diskutiert – nach anderthalb Jahren die erste inhaltliche Diskussion mit allen Kollegen! Daraus entstehen jetzt Dinge wie Schüler in die Verantwortung nehmen. Der Klassenrat funktioniert – jetzt probieren wir es mit einem Schülerrat. Und wir planen auch Projekttage zum Thema soziales Lernen. Wir entdecken in diesem Prozess auch schöne Analogien. Die Regelüberschreitungen gingen von einer Handvoll Schüler aus, die aber einen ganzen Schwarm mitzogen. Und im Kollegium ist es nur noch ein harter Kern, der eine destruktive Atmosphäre verbreitet – die Mehrheit hat sich auf den Weg gemacht. Das ist nach wie vor sehr krisenhaft, birgt aber ein unglaubliches Potenzial in sich, wenn die Kollegen bereit sind, alte Zöpfe abzuschneiden. Dazu gehört ein Stück weit Unerschrockenheit oder Mut.

 

Können Sie uns ein Beispiel nennen, wo an einer öffentlichen Schule der Spielraum in den Rahmenbedingungen ist, der Innovationen möglich macht?

Nummer eins: die Stundentafel. Das ist ja ein großes Heiligtum. Sie wird auf höchster politischer Ebene festgelegt, und wir sind gesetzlich verpflichtet, sie einzuhalten. Jeder Schüler muss eine bestimmte Anzahl Stunden Deutsch, Mathe und so weiter durchlebt haben. Dieses »Wir haben das Thema angesprochen« ist leider weit verbreitete Schulkultur. Dann macht man ein Häkchen dahinter, und der Lehrer ist aus der Verantwortung. Ob davon etwas bei den Schülern hängen bleibt, wird ja kaum kontrolliert. Wir sagen aber: Da bleibt zu wenig hängen! Und deshalb legen wir diese Stundentafel ganz weit aus und fassen Einzelfächer zu Fachbereichen zusammen. In denen sind die Stunden noch erkennbar und lassen sich notfalls auch einzeln ausweisen, aber wir sind freier in der Gestaltung.

 

Welche Fachbereiche haben Sie gebildet?

Statt Künste haben wir einen Fachbereich Kultur, da gehört auch noch Sport und zum Beispiel Tanz mit rein. In die Naturwissenschaften haben wir unseren Schwerpunkt »Gesunde Schule« aufgenommen, das geht über die klassischen Biologiethemen hinaus, denn Gesundheit ist mehr als ein körperliches Wohlbefinden. Dann haben wir einen Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, zu dem auch Soziales Lernen, Partizipation und Konfliktmanagement gehören, da sind wir aber noch im Aufbau. Und als vierten Bereich haben wir die Sprachen zusammengefasst, in dem der Sprachförderung als wesentlichem Element der Kommunikation nicht nur eine schulische, sondern auch eine bedeutende gesellschaftliche Aufgabe zukommt.

 

Haben Sie eine Empfehlung für reformwillige Kollegen anderer öffentlicher Schulen?

Natürlich muss das Handeln jeder Behörde auf der gesetzlichen Grundlage stattfinden. Aber Gesetze kann man auslegen – sehr restriktiv oder sehr extensiv. Wichtig ist hier vor allem, vernünftige und nachvollziehbare Begründungen liefern zu können, warum man etwas tut. Es liegt in der Natur der Sache, dass Reformprozesse von Minderheiten begonnen werden. Fangen Sie mit den reformwilligen Kollegen an zu arbeiten, auch wenn es nur wenige sind. Haben Sie eine klare Vision und kommunizieren Sie diese. Seien Sie bei alldem authentisch, empathisch und zuversichtlich.

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