Kapitel 9

Krippling kämpft mit seinen Zähnen  - Ein theologischer Ratschlag - »Das nenne ich vergnügliche Unterhaltung« - Herrn Quenglers magisches Spielzeug - Sir Joshuas Bücher - Ein Bankier bricht in seine Bank ein - Wie Polizisten denken - Was ist mit dem Gold? - Krippling macht sich warm - Professor Flett kehrt leider zurück - Feucht zählt seine Vorzüge - Ein entlarvter Werwolf- Splot tut dir gut - Zeit zum Beten

Ich fürchte, ich muss das Büro nun schließen, Ehrwürden«, drängte sich die Stimme von Frau Hauser in Kripplings Träume. »Ab morgen Früh um neun haben wir wieder geöffnet«, fügte sie hoffnungsvoll hinzu.

Krippling öffnete die Augen. Die Wärme und das regelmäßige Ticken der Uhr hatten ihn auf sehr angenehme Weise eindösen lassen.

Frau Hauser stand vor ihm, nicht wunderbar nackt und rosa wie in seiner Träumerei eben, sondern in einem schlichten braunen Mantel und einem unvorteilhaften Hut mit Federn.

Plötzlich hellwach, kramte er hektisch in seiner Hosentasche nach den Zähnen, die er nicht der Obhut seines Mundes anvertrauen mochte, während er schlief. In nervöser, ungewohnter Verlegenheit wandte er den Kopf ab, kämpfte damit, sie hineinzubekommen, und dann darum, sie drinnen zu behalten, und zwar richtig herum. Denn sie wehrten sich jedes Mal. In seiner Verzweiflung riss er das Gebiss wieder heraus und schlug es einmal gegen die Armlehne des Stuhls, um seinen Widerstandsgeist zu brechen, bevor er es sich ein weiteres Mal in den Mund rammte.

»Wschg!«, sagte Krippling und versetzte sich selbst eine Ohrfeige. »Danke sehr, Gnädigste«, sagte er dann und tupfte sich den Mund mit einem Taschentuch ab. »Tut mir leid wegen eben, aber ich schwöre, ich bin dem Ding wie ein Märtyrer ausgeliefert!«

»Ich habe dich nur ungern gestört«, fuhr Frau Hauser fort, während ihr entsetzter Gesichtsausdruck sich allmählich verflüchtigte. »Ich bin sicher, du hattest den Schlaf nötig.«

»Kein Schlaf, sondern Kontemplation«, sagte Krippling und stand auf. »Ich kontempliere den Fall der Sündigen und die Erhebung der Gottesfürchtigen. Heißt es nicht, dass die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein werden?«

»Weißt du, genau das hat mich schon immer etwas beunruhigt«, sagte Frau Hauser. »Ich meine, was passiert mit den Leuten, die nicht die Ersten sind, aber auch nicht unbedingt als Letzte kommen? Du weißt schon ... die mittraben und sich alle Mühe geben.« Sie näherte sich der Tür auf eine Art und Weise, die - möglicherweise nicht ganz so subtil, wie sie dachte - eine Aufforderung für ihn war, sie zu begleiten.

»In der Tat eine knifflige Frage, Berenice«, sagte Krippling und folgte ihr. »Die heiligen Texte erwähnen es nicht, aber ich bin überzeugt, dass ...« Seine Stirn legte sich in tiefe Falten. Religiöse Fragen brachten Krippling nur selten aus dem Konzept, aber diese war besonders schwierig. Er beantwortete sie wie ein geborener Theologe. »Ich bin überzeugt, dass sie weiterhin mittraben, aber möglicherweise in die andere Richtung.«

»Zurück zu den Letzten?«, sagte sie mit besorgter Miene.

»Ja, aber vergiss nicht, dass sie dann die Ersten sein werden.«

»Ach ja, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Natürlich kann es nur so funktionieren, es sei denn, die ursprünglichen Ersten warten darauf, dass die Letzten sie einholen.«

»Das wäre in der Tat ein Wunder«, sagte Krippling und beobachtete, wie sie die Tür verschloss. Die Abendluft war unangenehm kühl nach der Wärme im Zeitungsarchiv, sodass die Aussicht auf eine weitere Nacht in der Absteige in der Affenstraße umso unerfreulicher war. Er brauchte jetzt selbst ein Wunder, und er hatte das Gefühl, dass sich gerade eins vor seiner Nase zusammenbraute.

»Ich vermute, dass es für dich sehr schwierig ist, eine Unterkunft zu finden, Ehrwürden«, sagte Frau Hauser. Im Zwielicht konnte er ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen.

»Oh, ich habe vollstes Vertrauen, Schweschter«, sagte er. »Wenn Om nicht kommt, dann schendet er - Arrgh!« Ausgerechnet jetzt! Eine Sprungfeder war verrutscht! Die Strafe der Götter!

Aber mochte es noch so schlimm sein, vielleicht hatte es auch seine segensreiche Seite. Frau Hauser kam auf ihn zu, mit dem Blick einer Frau, die fest entschlossen ist, um jeden Preis Gutes zu tun. Aber es schmerzte auch, denn die Feder war quer über seine Zunge gesprungen.

Eine Stimme hinter ihm sagte: »Entschuldigung, aber ... bist du zufällig Herr Krippling?«

Wutschäumend vor Schmerz drehte sich Krippling geradezu mordlustig um. Doch dann sagte Frau Hauser: »Das ist Ehrwürden Krippling, ganz recht«, und seine Fäuste entspannten sich wieder.

»Schaa«, murmelte er.

Ein blasser junger Mann in altmodischem Sekretärsgewand sah ihn an. »Mein Name ist Vorhinein«, sagte er, »und wenn du wirklich Krippling bist, kenne ich einen reichen Mann, der sich mit dir treffen möchte. Heute könnte dein Glückstag sein.«

»Tatschäschlisch?«, murmelte Krippling. »Und wenn diescher Mann tschufällig Coschmo heischt, will ich mich mit ihm treffen. Heute könnte auch schein Glückschtag schein. Wasch sind wir doch alle für Glückschpiltsche!«

»Du musst doch auch einen Moment Angst gehabt haben«, sagte Feucht, als sie in dem Wohnzimmer mit dem Marmorfußboden saßen und sich entspannten. Zumindest entspannte sich Adora Belle. Feucht suchte.

»Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte sie, während er einen Schrank öffnete.

»Golems wurden nicht dazu gebaut, frei zu sein. Sie wissen überhaupt nicht, wie man mit... Sachen umgeht.«

»Sie lernen. Und sie hätte dem Hund niemals etwas zuleide getan«, sagte Adora Belle und beobachtete, wie er im Raum hin und her ging.

»Du warst dir nicht sicher. Ich habe gehört, wie du zu ihr gesprochen hast. >Leg die Kelle weg und dreh dich langsam um< und solche Sachen.« Feucht zog eine Schublade auf.

»Suchst du etwas?«

»Die Schlüssel der Bank. Hier müssten irgendwo welche herumliegen.«

Adora Belle machte mit. Ihr blieb gar nichts anderes übrig, wenn sie sich nicht über Gladys streiten wollte. Außerdem hatte die Suite sehr viele Schubladen und Schränke, und so gab es für sie etwas zu tun, während das Abendessen zubereitet wurde.

»Wofür ist dieser Schlüssel?«, fragte sie nach nur wenigen Sekunden. Feucht drehte sich zu ihr um. Adora Belle hielt einen silbrigen Schlüssel an einem Ring hoch.

»Nein, es müsste ein Bund mit viel mehr Schlüsseln sein«, sagte Feucht. »Wo hast du den überhaupt gefunden?«

Sie zeigte auf den großen Schreibtisch. »Ich habe einfach nur gegen diese Stelle gedrückt und dann ... Oh, diesmal ist es nicht passiert...«

Feucht brauchte über eine Minute, um den Auslöser zu finden, der die kleine Schublade herausgleiten ließ. Wenn sie geschlossen war, verschwand sie nahtlos in der Maserung des Holzes.

»Der muss für etwas Wichtiges sein«, sagte er und steuerte einen anderen Schreibtisch an. »Vielleicht wurden die übrigen Schlüssel in einer Schublade aufbewahrt. Probier ihn einfach überall aus. Für mich ist das hier nur eine Art Behelfsunterkunft. Ich habe keine Ahnung, was in den meisten dieser Schubladen ist.«

Er kehrte zum Sekretär zurück und durchwühlte den Inhalt, als er von hinten ein Klicken und Knarren hörte. Dann sagte Adora Belle mit leicht belegter Stimme: »Hattest du nicht erwähnt, dass sich Sir Jacob hier gelegentlich mit jungen Damen vergnügt hat?«

»Anscheinend war es so. Warum?«

»Nun ja, das nenne ich vergnügliche Unterhaltung, kann ich nur sagen.«

Feucht drehte sich um. Die Tür eines schweren Schranks stand weit offen. »Oh nein«, sagte er. »Wofür ist das alles?«

»Willst du mich veralbern?«

»Äh ... nein, natürlich nicht. Aber das ist alles so ... schwarz.«

»Und aus Leder«, sagte Adora Belle. »Vielleicht auch aus Gummi.«

Sie näherten sich dem Museum der phantasievollen Erotika, das sich gerade aufgetan hatte. Einige Stücke schienen es in der Enge des Schranks nicht mehr auszuhalten und entfalteten sich, glitten heraus oder kullerten in einigen Fällen über den Boden.

»Das« — Feucht stieß mit dem Fuß gegen etwas, das dadurch in heftige Vibrationen versetzt wurde - »ist eindeutig aus Gummi.«

»Aber alles hier hat Rüschen«, sagte Adora Belle. »Ihm müssen die Ideen ausgegangen sein.«

»Entweder das, oder es gab keine Ideen mehr, die er hätte haben können. Ich glaube, er war achtzig, als er starb«, sagte Feucht, während eine seismische Verschiebung dazu führte, dass weitere Haufen ins Rutschen, Gleiten oder Glitschen gerieten.

»Phänomenal«, sagte Adora Belle. »Ach, und hier gibt es auch ein paar Bücherregale«, fuhr sie fort, als sie das Dunkel im Hintergrund des Schranks erkundete. »Genau hier, hinter dem recht seltsam gestalteten Sattel und den Peitschen. Bettlektüre, würde ich vermuten.«

»Das glaube ich kaum«, sagte Feucht, zog einen Ledereinband heraus und schlug ihn auf irgendeiner beliebigen Seite auf. »Schau mal, das Tagebuch des alten Knaben. Ein Jahrgang nach dem anderen. Gütiger Himmel, das sind Jahrzehnte!«

»Wir veröffentlichen alles und machen damit ein Vermögen«, sagte Adora Belle und stieß gegen den Haufen. »Natürlich im neutralen Schutzumschlag.«

»Nein, du verstehst nicht. Hier drinnen steht vielleicht etwas über Herrn Beuge! Es gibt da irgendein Geheimnis ...« Feucht glitt mit dem Finger über die Buchrücken. »Einen Moment... er ist siebenundvierzig, er fing mit etwa dreizehn bei der Bank an, und ein paar Monate später kamen Leute, die nach ihm gesucht haben. Dem alten Üppig gefiel es ganz und gar nicht, wie sie aussahen ... Aha!« Er zog ein paar Bände heraus. »Hier müssten wir fündig werden, das ist der richtige Zeitraum ...«

»Was sind das für Dinger, und warum klimpern sie?«, fragte Adora Belle, die ein seltsames, mehrteiliges Spielzeug in der Hand hielt.

»Woher soll ich das wissen?«

»Du bist ein Mann.«

»Na und? Ich meine, ich mache mir nichts aus solchen Sachen.«

»Weißt du, ich glaube, das ist wie mit Meerrettich«, sagte Adora Belle nachdenklich.

»Wie bitte?«

»Ich meine ... Meerrettich macht sich gut auf einem Rindfleischsandwich, also nimmt man sich etwas davon. Aber eines Tages reicht ein Löffel einfach nicht mehr aus, also nimmt man ...«

»Mehr Rettich«, warf Feucht ein.

»... zwei Löffel voll, und schon bald sind es drei, und irgendwann hat man mehr Meerrettich als Fleisch, und eines Tages stellt man fest, dass das Rindfleisch rausgefallen ist und man es gar nicht gemerkt hat.«

»Ich glaube nicht, dass das die Metapher ist, nach der du suchst«, sagte Feucht. »Weil ich dich schon einmal dabei beobachtet habe, wie du dir ein Meerrettich-Sandwich gemacht hast.«

»Das mag sein, aber es schmeckt trotzdem gut«, sagte Adora Belle. Sie bückte sich und hob etwas vom Boden auf. »Deine Schlüssel, würde ich meinen. Was sie da drinnen machen, werden wir mit etwas Glück niemals erfahren.«

Feucht nahm sie entgegen. Es war ein schwerer Ring mit Schlüsseln in allen Größen.

»Und was machen wir jetzt mit dem ganzen Zeug?« Adora Belle trat noch einmal gegen den Haufen. Er zitterte, und irgendwo tief drinnen quietschte etwas.

»Alles in den Schrank zurücktun?«, schlug Feucht unsicher vor. Der Haufen aus leidenschaftslosem Krempel hatte etwas Bedrohliches und Fremdartiges, wie ein Seeungeheuer, das formlos aus den finsteren Meerestiefen ins Sonnenlicht gezerrt wurde.

»Ich glaube nicht, dass ich mich weiter damit auseinandersetzen möchte«, sagte Adora Belle. »Lassen wir einfach die Tür offen, damit es von selbst zurückkriechen kann. He!« Der Ruf galt Herrn Quengler, der blitzschnell mit etwas im Maul aus dem Raum trottete.

»Sag mir bitte, dass das nur ein alter Gummiknochen war«, flehte sie. »Bitte!«

»Nein«, sagte Feucht kopfschüttelnd. »Ich glaube, das wäre eindeutig die falsche Beschreibung. Ich glaube es war ... es war ... es war kein alter Gummiknochen. Genau das war es!«

»Schau mal«, sagte Hubert, »meinst du nicht, dass wir es wissen würden, wenn das Gold gestohlen wäre? Die Leute reden über so etwas! Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ein Fehler im Kreuzventil da drüben ist.« Er tippte gegen ein dünnes Glasröhrchen.

»Ich glaube nicht, daff der Blupper fich irrt, Herr«, sagte Igor düster.

»Igor, ist dir klar, was das heißt? Wenn mit dem Blupper alles in Ordnung ist, muss ich daraus schließen, dass sich praktisch kein Gold mehr in unserer Schatzkammer befindet!«

»Ich glaube, daff der Blupper mit der Wirklichkeit identif ift.« Igor zog einen Dollar aus der Hosentasche und ging damit zum Brunnen.

»Fei bitte fo gut und beobachte die Verlorenef-Geld-Anpfeige«, sagte er und ließ die Münze ins dunkle Wasser fallen. Sie schimmerte noch einen kurzen Moment, dann sank sie außer Reichweite menschlicher Geldbörsen.

In einer Ecke des komplizierten Röhrengeflechts des Bluppers stieg ein winziges blaues Bläschen auf und zerplatzte mit einem kaum hörbaren »Blupp« an der Oberfläche.

»Ach du liebe Güte!«, sagte Hubert.

Wenn in einer komischen Szene zwei Personen an einem Tisch speisen, an dem zwanzig Platz finden würden, sitzen sie sich meistens an beiden Enden gegenüber. Feucht und Adora Belle versuchten das erst gar nicht, sondern drängten sich an einem Ende nebeneinander. Gladys stand am anderen Ende, mit einer Serviette über dem Arm, und blickte mit mürrisch glühenden Augen zu ihnen herüber.

Der Schafschädel trug nicht dazu bei, Feuchts Stimmung zu verbessern. Peggy hatte ihn als Tafelaufsatz inmitten von Blumen arrangiert. Die Sonnenbrille ging ihm allmählich auf die Nerven.

»Wie gut ist das Gehör eines Golems?«, fragte er.

»Außerordentlich gut«, sagte Adora Belle. »Aber mach dir keine Sorgen, ich habe einen Plan.«

»Ah, sehr gut.«

»Nein, ernsthaft. Morgen gehe ich mit ihr weg.«

»Kannst du nicht einfach ...« Feucht zögerte, dann formte er lautlos die Worte: »... den Text in ihrem Kopf verändern?«

»Sie ist ein freier Golem!«, sagte Adora Belle streng. »Wie würde dir so etwas gefallen?«

Feucht erinnerte sich an Eulrich und die Steckrübe. »Nicht besonders«, räumte er ein.

»Freie Golems solltest du durch Überzeugungsarbeit bewegen, ihre Ansicht zu ändern. Ich glaube, das kriege ich hin.«

»Sollen nicht morgen deine goldenen Golems eintreffen?«

»Das hoffe ich.«

»Dann wird morgen sehr viel los sein. Ich werde mein Papiergeld ausgeben, und du marschierst mit einer goldenen Prozession durch die Straßen.«

»Wir konnten sie nicht unter der Erde lassen. Vielleicht sind sie auch gar nicht golden. Ich werde morgen Früh noch einmal zu Flett gehen.«

» Wir werden zu ihm gehen. Gemeinsam!«

Sie tätschelte seinen Arm. »Schon gut. Es gibt Schlimmeres als goldene Golems.«

»Ich kann mir wirklich nichts Schlimmeres vorstellen«, sagte Feucht - Worte, die er später sehr bereuen sollte. »Ich würde die Leute gern vom Thema Gold ablenken ...«

Er hielt inne und starrte das Schaf an, das seinen Blick völlig ruhig erwiderte. Aus irgendeinem Grund fand Feucht, dass ein Saxophon und eine kleine schwarze Baskenmütze ihm gut gestanden hätten.

»Sie haben doch bestimmt in der Krypta nachgesehen«, sagte er laut.

»Wer soll nachgesehen haben?«, fragte Adora Belle.

»Dorthin würde er gehen. Das Einzige, worauf man sich verlassen kann, nicht wahr? Die Grundlage aller Werte.«

»Wer würde dorthin gehen?«

»Herr Beuge ist in der Goldkammer!«, sagte Feucht und stand so schnell auf, dass sein Stuhl umfiel. »Er hat sämtliche Schlüssel!«

»Wie bitte? Geht es um den Mann, der durchgedreht ist, nachdem er einen einfachen Fehler begangen hat?«

»Genau der. Er hat eine Vergangenheit.«

»Du meinst eine ... Vergangenheit

»Genau. Komm, lass uns nach unten gehen!«

»Ich dachte, wir wollten einen romantischen Abend miteinander verbringen.«

»Das werden wir auch. Gleich nachdem wir ihn da rausgeholt haben!«

Das einzige Geräusch in der Krypta war das Klacken von Adora Beiles Schuhen. Allmählich ging es Feucht auf die Nerven, während er vor dem Golddepot auf und ab ging, im Licht der silbernen Kerzenhalter, die zuvor den Tisch im Speisezimmer geschmückt hatten.

»Ich hoffe nur, dass Aimsbury die Brühe warm hält«, sagte Adora Belle. Klack-klack klack-klack.

»Erstens«, sagte Feucht, »müsste man schon einen Namen wie Lukas Langfinger haben, um einen Tresor wie diesen öffnen zu können, und zweitens sind diese kleinen Dietriche einfach nicht für so eine Aufgabe geeignet.«

»Gut, dann gehen wir und holen diesen Herrn Langfinger.

Wahrscheinlich ist er der Mann, den wir jetzt brauchen.« Klackklack klack-klack.

»Das würde nichts nützen, weil es drittens eine solche Person vermutlich gar nicht gibt, und viertens ist die Goldkammer von innen abgeschlossen, und ich glaube, dass er den Schlüssel stecken gelassen hat, was der Grund sein dürfte, warum diese Dinger hier nicht funktionieren.« Er klimperte mit dem Schlüsselbund. »Und fünftens versuche ich gerade, den Schlüssel von dieser Seite aus mit einer Zange herumzudrehen, ein alter Trick, der, wie sich soeben herausstellt, auch nicht funktioniert!«

»Gut. Dann können wir ja in die Suite zurückgehen.« Klackklack klack-klack.

Feucht lugte erneut durch das kleine Guckloch in der Tür. Es war von innen mit einer starken Platte verschlossen worden, und er konnte gerade noch einen Lichtschimmer erkennen, der an den Rändern hindurchdrang. Drinnen brannte eine Lampe. Was es dort nicht gab, war, soweit er wusste, irgendeine Art von Lüftung. Es schien, als wäre das Gewölbe gebaut worden, bevor sich die Idee des Atmens allgemein durchgesetzt hatte. Es war eine von Menschen gemachte Höhle, in der Dinge aufbewahrt werden sollten, die man niemals herausnehmen wollte. Gold konnte nicht ersticken.

»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre«, sagte er, »denn sechstens dürfte ihm langsam die Luft ausgehen. Vielleicht ist er sogar schon tot!«

»Wenn er sowieso tot ist, hat es doch auch noch bis morgen Zeit. Hier unten ist es verdammt kalt.« Klack-klack klack-klack.

Feucht blickte zur Decke hoch. Sie bestand aus uralten Eichenbalken, die von Eisenbändern zusammengehalten wurden. Er wusste, wie altes Eichenholz sein konnte. Es konnte hart wie Stahl sein, aber viel gemeiner. Es machte Äxte stumpf und ließ einem den Hammer ins Gesicht zurückspringen.

»Können die Wachen vielleicht irgendwie helfen?«, schlug Adora Belle vor.

»Das bezweifle ich«, sagte Feucht. »Auf jeden Fall möchte ich sie nicht unbedingt auf die Idee bringen, dass sie die Nacht damit verbringen können, in die Schatzkammer einzubrechen.«

»Aber die meisten gehören doch zur Stadtwache, nicht wahr?«

»Na und? Wenn sich jemand aus dem Staub macht und so viel Gold mit sich trägt, wie man überhaupt tragen kann, macht er sich meistens keine großen Sorgen mehr um seinen alten Arbeitsplatz. Ich bin selber Verbrecher. Ich weiß, wovon ich rede.«

Er ging auf die Treppe zu und zählte leise vor sich hin.

»Und was machst du jetzt?«

»Ausrechnen, welcher Teil der Bank genau über dem Gold liegt«, sagte Feucht. »Aber weißt du was? Ich glaube, ich weiß es bereits. Die Goldkammer liegt genau unter seinem Schreibtisch.«

Die Lampe war fast heruntergebrannt, und rußiger Rauch stieg auf und legte sich über die Säcke, auf denen Herr Beuge zusammengerollt lag.

Von oben kamen Geräusche und Stimmen, die gedämpft durch die uralte Decke drangen. Eine sagte: »Ich kann ihn nicht von der Stelle bewegen. Also gut, Gladys, jetzt bist du dran.«

»Ziemt Sich So Etwas Für Eine Dame?«, grollte eine zweite Stimme.

»Aber ja. Möbelrücken gehört zu den Haushaltsaufgaben«, sagte eine Stimme, die eindeutig weiblich klang.

»Nun Gut. Ich Werde Ihn Hochheben Und Darunter Staub Putzen.«

Es war zu hören, wie Holz krachend an Holz schrammte, und etwas Staub rieselte auf den Haufen aus Goldbarren.

»Dort Ist Es In Der Tat Sehr Staubig. Ich Werde Einen Besen Holen.«

»Eigentlich möchte ich von dir, Gladys, dass du jetzt den Boden anhebst«, sagte die erste Stimme.

»Könnte Darunter Ebenfalls Staub Liegen?«

»Da bin ich mir sogar ganz sicher.«

»Nun Gut.«

Noch lauteres Gepolter war zu hören, das die Balken knirschen ließ, und dann grollte es: »In Lady Wagens Buch Der Haushaltsführung Steht Nichts Davon, Dass Man Unter Dem Fußboden Staub Putzen Soll.«

»Gladys, da unten stirbt vielleicht gerade ein Mann!«

»Ich Verstehe. Das Wäre Etwas Sehr Unsauberes.« Die Balken erzitterten unter einem kräftigen Schlag. »Lady Wagen Sagt, Dass Leichen, Die Während Einer Wochenendparty Aufgefunden Werden, Diskret Entsorgt Werden Sollten, Um Einen Skandal Zu Vermeiden.«

Nach ein paar weiteren Schlägen brach ein Balken.

»Lady Wagen Sagt Auch, Dass Wachmänner Sehr Respektlos Sind Und Sich Nie Die Schmutzigen Stiefel Abtreten.«

Ein weiterer Balken knackte. Ein Lichtstrahl zerteilte die Luft unter dem Fußboden. Eine Hand in Schaufelgröße erschien, packte einen Eisenriemen und zerriss ihn ...

Feucht lugte ins Zwielicht, während ihm Rauch ins Gesicht wehte.

»Er ist da unten! Bei den Göttern, welch ein Gestank!«

Adora Belle blickte ihm über die Schulter. »Lebt er?«

»Ich hoffe es sehr.« Feucht zwängte sich zwischen den Balken hindurch und ließ sich auf die Kisten mit den Barren fallen.

Kurz darauf rief er nach oben: »Ich spüre seinen Puls. Und im Schloss steckt ein Schlüssel. Könnt ihr über die Treppe runterkommen und mir helfen?«

»Äh, wir haben Besucher«, gab Adora Belle zurück.

Mehrere Köpfe mit Helmen zeichneten sich nun im Lichtschein ab. Verdammt! Wachleute außer Dienst zu engagieren war schön und gut, aber sie neigten dazu, überall ihre Dienstmarken dabeizuhaben, und sie gehörten genau zu jener Art von Leuten, die voreilige Schlussfolgerungen zogen, nur weil jemand außerhalb der Öffnungszeiten mitten in den Trümmern eines Banktresors stand. Die Worte »Einen Moment, ich kann das erklären« lagen ihm auf der Zunge, aber Feucht konnte sie sich gerade noch rechtzeitig verkneifen. Schließlich war es seine Bank.

»Was wollt ihr denn hier?«, rief er hinauf.

Die Männer stutzten tatsächlich, weil sie mit einer solchen Reaktion nicht gerechnet hatten, aber einer von ihnen konnte sich recht schnell fassen. »Ist das dein Banktresor, Herr?«, fragte er.

»Ich bin der stellvertretende Bankdirektor, du Idiot! Und hier unten liegt ein verletzter Mann!«

»Ist er gestürzt, als ihr in den Tresor eingebrochen seid, Herr?«

Bei den Göttern, man kam einfach nicht gegen sie an. Sie bohrten hartnäckig weiter. Wenn man Polizist ist, ist alles ein Verbrechen.

»Wachtmeister ... du bist doch Polizist, richtig?«

»Obergefreiter Schellfisch, Herr.«

»Gut, Obergefreiter. Könnten wir meinen Kollegen an die frische Luft bringen? Er kann kaum noch atmen. Ich werde jetzt hier unten die Tür auf schließen.«

Schellfisch nickte dem zweiten Wachmann zu, der zur Treppe davoneilte.

»Wenn du einen Schlüssel hast, Herr, warum bist du dann eingebrochen?«

»Um ihn rauszuholen, was sonst?«

»Und wie ...?«

»Es hat wirklich alles seine Richtigkeit«, sagte Feucht. »Sobald ich draußen bin, werden wir alle darüber lachen können.«

»Darauf freue ich mich schon, Herr«, sagte Schellfisch, »denn ich lache sehr gern.«

Eine Unterhaltung mit der Wache war wie ein Stepptanz auf einem Erdrutsch. Wenn man geschickt war, konnte man sich aufrecht halten, aber man konnte nicht steuern, und es gab keine Bremsen, und man wusste einfach, dass die Sache irgendwie mit einem Sturz enden musste.

Es war nicht mehr Obergefreiter Schellfisch. Er war aus dem Rennen gewesen, sobald er festgestellt hatte, dass die Taschen des Meisters des Königlichen Münzamts ein Samtbündel mit Dietrichen und einen Totschläger enthielten. Von da an hatte Feldwebel Detritus übernommen.

Feucht wusste, dass Dietriche im Grunde nicht illegal waren. Sie zu besitzen war völlig in Ordnung. Sie zu besitzen, während man sich in einem fremden Haus aufhielt, war nicht in Ordnung. Sie zu besitzen, während man in einem aufgebrochenen Banktresor stand, war so weit davon entfernt, in Ordnung zu sein, dass es schon die Krümmung des Universums sehen konnte.

So weit, so gut, was Feldwebel Detritus betraf. Doch das geordnete Weltbild des Feldwebels kam ins Rutschen, als ihm der Beweis vorgelegt wurde, dass Feucht der rechtmäßige Besitzer der Schlüssel zum Tresor war, in den er eingebrochen war. Für den Troll schien allein das ein krimineller Tatbestand zu sein, und er spielte eine Weile mit dem Vorwurf »Der Wache die Zeit rauben durch einen Einbruch, der gar nicht nötig gewesen wäre«.7  Er hatte kein Verständnis für das elementare Bedürfnis, Dietriche mit sich zu führen. Trolle hatten kein Wort für Machoverhalten, genauso wie eine Pfütze kein Wort für Wasser kannte. Außerdem hatte er ein Problem mit der geistigen Verfassung und Handlungsweise des fast verstorbenen Herrn Beuge. Trolle wurden nicht verrückt, sie waren es schon. Also gab er es auf, und dann kam Hauptmann Karotte.

Feucht kannte ihn von früher. Er war groß und roch nach Seife, und normalerweise trug er einen Gesichtsausdruck blauäugiger Unschuld zur Schau. Feucht konnte nicht hinter diese liebenswürdige Maske blicken, er schaffte es einfach nicht. Die meisten Leute konnte er durchschauen, aber der Hauptmann war für ihn ein Buch mit sieben Siegeln in einem Keller mit drei Vorhängeschlössern. Und der Mann war stets höflich, auf diese ärgerliche Weise, die nur Polizisten an sich hatten.

Er sagte höflich »Guten Abend« zu Feucht, als er in dem kleinen Büro Platz nahm, das plötzlich zu einem Verhörzimmer geworden war. »Dürfte ich damit beginnen, Herr, dich nach den drei Männern unten im Keller zu fragen. Und nach diesem großen Glas... ding?«

»Das sind Herr Hubert Dylea und seine Assistenten«, sagte Feucht. »Sie studieren die Wirtschaftskreisläufe der Stadt. Aber mit dieser Sache haben sie nichts zu tun. Wenn ich genauer darüber nachdenke, muss ich sagen, dass auch ich nichts damit zu tun habe! Genau genommen gibt es überhaupt keine diese Sache. Das habe ich alles schon dem Feldwebel erklärt.«

»Feldwebel Detritus findet, dass du viel zu schlau bist, Herr Lipwig«, sagte Hauptmann Karotte und öffnete sein Notizbuch.

»Kann es sein, dass er das von den meisten Leuten denkt?«

In Karottes Miene änderte sich rein gar nichts. »Kannst du mir erklären, warum sich unten ein Golem aufhält, der ein Kleid trägt und meinen Männern pausenlos befiehlt, sich die Stiefel abzutreten?«, fragte er.

»Nicht ohne den Anschein zu erwecken, ich wäre wahnsinnig. Was hat das mit allem anderen zu tun?«

»Ich weiß es nicht, Herr. Ich hoffe es in Erfahrung zu bringen. Wer ist Lady Deirdre Wagen?«

»Sie schreibt recht altmodische Bücher über gutes Benehmen und Haushaltsführung für junge Damen, die gerne jene Sorte Frau wären, die genug Zeit hat, Blumen zu arrangieren. Spielt das wirklich eine Rolle?«

»Ich weiß es nicht, Herr. Ich versuche nur die Lage einzuschätzen. Kannst du mir erklären, warum ein kleiner Hund mit etwas im Maul im Bankgebäude herumrennt, das sich vielleicht als Apparatur für einen recht intimen Verwendungszweck bezeichnen ließe?«

»Ich glaube, das alles liegt nur daran, dass ich langsam den Verstand verliere«, sagte Feucht. »Hör mal, das Einzige, was wirklich eine Rolle spielt, ist Herr Beuge, der einen Nervenzusammenbruch erlitten und sich in der Goldkammer eingeschlossen hat. Deswegen musste ich ihn möglichst schnell herausholen.«

»Ach ja, die Goldkammer«, sagte der Hauptmann. »Könnten wir für einen Moment über das Gold reden?«

»Was ist mit dem Gold?«

»Ich hatte gehofft, du könntest es mir sagen, Herr. Wie ich hörte, wolltest du es an die Zwerge verkaufen.«

»Was? Nun ja, das habe ich gesagt, aber doch nur, um meine Argumente zu unterstreichen ...«

»Argumente unterstreichen«, sagte Hauptmann Karotte ernst und schrieb es sich auf.

»Komm schon, ich weiß doch, wie so etwas abläuft«, sagte Feucht. »Du lässt mich einfach drauflosreden, in der Hoffnung, dass ich plötzlich vergesse, wo ich bin, und etwas Dummes und Belastendes sage, stimmt’s?«

»Danke für diese Bemerkung, Herr«, sagte Hauptmann Karotte und blätterte im Notizbuch eine Seite weiter.

»Weswegen?«

»Dass du mir gesagt hast, dass du weißt, wie so etwas abläuft, Herr.«

Siehst du?, sagte sich Feucht. Genau das passiert, wenn es dir zu gut geht. Du verlierst den Biss. Selbst ein Polizist kann dich übertölpeln.

Der Hauptmann blickte auf. »Ich möchte dir mitteilen, Herr Lipwig, dass einiges von dem, was du ausgesagt hast, von einem unparteiischen Zeugen bestätigt wurde, der unmöglich dein Komplize gewesen sein kann.«

»Ihr habt mit Gladys geredet?«, sagte Feucht.

»Gladys?«

»Die sich so wegen der schmutzigen Stiefel aufregt.«

»Wie kann ein Golem eine >Sie< sein, Herr?«

»Den kenne ich schon. Die richtige Antwort lautet: Wie kann ein Golem ein >Er< sein?«

»Ein interessanter Aspekt. Damit wäre also das Kleid erklärt. Nur aus Neugier gefragt, was glaubst du, wie viel Gewicht ein Golem tragen kann?«

»Keine Ahnung. Vielleicht ein paar Tonnen? Worauf willst du hinaus?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Karotte fröhlich. »Kommandeur Mumm sagt, wenn das Leben dir einen Haufen Spaghetti vorsetzt, zieh so lange daran, bis du die Fleischbeilage gefunden hast. Außerdem deckt sich die Geschichte, soweit er sie verstanden hat, mit dem, was wir von einem gewissen Herrn Quengler erfahren haben.«

»Ihr habt mit dem Hund gesprochen?«

»Immerhin ist er der Direktor dieser Bank, Herr«, sagte der Hauptmann.

»Wie konntet ihr verstehen, was ... ach so, ihr habt einen Werwolf dabei, stimmt’s?«, sagte Feucht grinsend.

»Dazu geben wir keinen Kommentar ab, Herr.«

»Aber jeder weiß, dass es Nobby Nobbs ist, musst du wissen.«

»Wirklich, Herr? Donnerwetter! Auf jeden Fall wäre damit erklärt, was du am heutigen Abend getan hast.«

»Gut. Danke.« Feucht erhob sich von seinem Sessel.

»Das gilt allerdings nicht für das, was du vor einigen Tagen getan hast, Herr.« Feucht setzte sich wieder.

»Und? Warum sollte ich irgendetwas erklären müssen?«

»Weil es für uns hilfreich sein könnte, Herr.«

»Inwiefern würde es euch helfen?«

»Es könnte uns helfen zu verstehen, warum sich kein Gold im Tresor befindet, Herr. Es ist nur ein winziges Detail im großen Ganzen, aber es ist nichtsdestotrotz rätselhaft.«

Und genau in diesem Moment begann Herr Quengler irgendwo in nächster Nähe zu bellen ...

Cosmo Üppig saß an seinem Schreibtisch und hatte die Hände vor dem Gesicht zusammengelegt, während er zusah, wie Krippling aß. Nur wenige Menschen, die überhaupt in der Lage waren, sich frei zu entscheiden, hatten diese Erfahrung jemals länger als eine halbe Minute ausgehalten.

»Ist die Suppe gut?«, fragte er.

Krippling stellte die Schüssel ab, nachdem er ein letztes Mal glucksend daraus getrunken hatte. »Erste Sahne, Euer Lordschaft.« Er zog einen grauen Stofffetzen aus der Tasche und ...

Er wird seine Zähne herausnehmen, jetzt und genau hier am Tisch, dachte Cosmo. Erstaunlich. Aha, es stecken wirklich noch kleine Karottenstückchen darin ...

»Zögere nicht, deine Zähne zu reparieren«, sagte er, als Krippling eine verbogene Gabel aus einer anderen Tasche zog.

»Ich bin ihnen wie ein Märtyrer ausgeliefert«, sagte Krippling. »Ich schwöre, dass sie es auf mich abgeschehen haben.« Federn schnappten hörbar, als er sie mit der Gabel bearbeitete, und nachdem er offenbar zufrieden war, zwängte er das Gebiss wieder gegen sein graues Zahnfleisch und drückte es malmend fest.

»So ist es schon besser«, verkündete er.

»Gut«, sagte Cosmo. »Und nun, in Anbetracht der Natur deiner Behauptungen, die Drumknott sorgfältig mitgeschrieben und die du unterzeichnet hast, möchte ich dich fragen: Warum bist du nicht zu Lord Vetinari gegangen?«

»Ich bin schon Männern begegnet, die dem Strick entronnen sind«, sagte Krippling. »Das ist gar nicht so schwer, wenn man das nötige Kleingeld aufbringen kann. Aber ich habe noch nie davon gehört, dass so jemand nur einen Tag später einen ganz großen Posten angeboten bekommt. Auch noch einen Verwaltungsposten! Und plötzlich ist er Bankier, einfach scho! Jemand wacht über ihn, und ich glaube nicht, dass es eine blöde Fee ist. Wenn ich zu Vetinari gehen würde, wäre das nicht ziemlich dumm von mir? Aber er hat deine Bank, und du nicht, was eine Schande ist. Alscho bin ich dein Mann, Herr.«

»Aber du hast zweifellos deinen Preis.«

»Nun ja, etwas in Richtung Kostenerstattung wäre sehr hilfreich.«

»Und du bist dir ganz sicher, dass Lipwig und Spangler ein und dieselbe Person sind?«

»Es ist das Lächeln, Herr. Das vergisst man nicht so leicht. Und er hat diese Gabe, mit Leuten zu plaudern, bis er sie dazu bringt, etwas so zu machen, wie er es gern hätte. Er ist fast so etwas wie ein Zauberer, dieser undankbare Schuft!«

Cosmo sah ihn eine Weile an und sagte schließlich: »Gib Ehrwürden Krippling fünfzig Dollar, Drum... - Vorhinein, und sag ihm, wo er ein gutes Hotel findet. Eins, wo er ein heißes Bad nehmen kann.«

»Fünftschig Dollar?«, grollte Krippling.

»Und dann kümmerst du dich bitte wieder um diese Sache, die du besorgen wolltest, ja?«

»Ja, Herr. Natürlich.«

Cosmo zog ein Stück Papier zu sich heran, tauchte eine Feder ins Tintenfass und schrieb hektisch drauflos.

»Fünftschig Dollar?«, wiederholte Krippling, entsetzt über den minimalen Sündenlohn.

Cosmo blickte auf und sah ihn an, als würde er ihn zum ersten Mal wahrnehmen und nicht allzu begeistert von dieser Erfahrung sein.

»Ja. Fünfzig Dollar fürs Erste, Ehrwürden«, sagte Cosmo beschwichtigend. »Und morgen Früh, wenn dein Gedächtnis noch so gut ist, können wir uns auf eine reichere und gerechtere Zukunft freuen. Lass dich von mir nicht festhalten.«

Damit widmete er sich wieder seinem Papierkram.

Vorhinein packte Kripplings Arm und zerrte ihn aus dem Zimmer. Er hatte gesehen, was Cosmo schrieb.

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VetinariVetinariVetinariVetinariVetinariVetinariVetinariVetinariVetinariVetinariVetinari...

Es wird Zeit für den Gehstock, dachte er. Hol ihn, überreich ihn, und dann lauf!

Es war still im Institut für Postmortale Kommunikation. Auch zu den geschäftigsten Stunden war es dort nie sehr laut, obwohl man immer dann, wenn die Geräusche der Universität verstummten, die summenden kleinen Mückenstimmen hörte, die von der Anderen Seite durchdrangen.

Das Problem ist, dachte Hicks, dass zu viele meiner Vorgänger niemals ein nennenswertes Leben außerhalb des Instituts geführt haben, wo die Fähigkeit zum Umgang mit Menschen nicht an erster Stelle stand. Und selbst nach dem Tod hatten sie darin versagt, ein normales Leben zu führen. Also hielten sie sich ständig in der Nähe des Instituts auf und verließen diesen Ort nur ungern. Manchmal, wenn sie sich stark fühlten und die Theatertruppe aus den Tollen Schwestern ein neues Stück inszenierte, ließ er sie heraus, damit sie die Kulissen malen konnten.

Hicks seufzte. Das war das Problem mit der Arbeit im IPMK: Man konnte nie richtig Chef sein. In einem normalen Job setzten sich die Leute irgendwann zur Ruhe, kehrten vielleicht ein paarmal an den alten Arbeitsplatz zurück, solange es dort noch jemanden gab, der sich an sie erinnerte, und verblassten dann in der alles verschlingenden Vergangenheit. Aber hier schien das ehemalige Personal niemals abtreten zu wollen ...

Es gab ein Sprichwort: »Alte Nekromanten sterben nie.« Wenn er es zitierte, fragten die Meisten: »Und weiter?« Hicks musste dann antworten: »Das ist leider alles. >Alte Nekromanten sterben nie.<«

Er räumte gerade für die Nacht auf, als sich Charlie aus seiner dunklen Ecke zu Wort meldete: »Jemand kommt herüber ...«

Hicks wirbelte herum. Der magische Kreis leuchtete, und ein weißlicher Spitzhut schob sich bereits durch den festen Boden.

»Professor Flett?«, sagte er.

»Ja, und wir müssen uns beeilen, junger Mann«, sagte der Geist von Flett, während er weiter emporstieg.

»Aber ich habe dich gebannt! Ich habe die Neunfache Auslöschung benutzt! Damit wird alles gebannt!«

»Ich habe sie selbst geschrieben«, sagte Flett mit einem selbstgefälligen Grinsen. »Aber mach dir keine Sorgen, ich bin der Einzige, bei dem sie nicht funktioniert. Ha, es wäre ja auch ziemlich dumm von mir, einen Zauberspruch zu erfinden, der gegen mich selbst verwendet werden könnte!«

Hicks zeigte mit zitterndem Finger auf ihn. »Du hast ein verstecktes Portal angelegt, nicht wahr?«

»Natürlich. Und zwar ein verdammt gutes. Mach dir auch deswegen keine Sorgen, nur ich weiß, wo es ist.« Nun schwebte Flett in voller Lebensgröße - sofern man davon sprechen konnte - über dem Kreis. »Und versuch gar nicht erst, danach zu suchen. Ein Mann mit deinen begrenzten Fähigkeiten wird die verborgenen Runen niemals finden.«

Flett blickte sich im Raum um. »Ist diese wunderbare junge Dame gar nicht da?«, fragte er mit einer Spur Enttäuschung. »Sei’s drum. Du musst dafür sorgen, dass ich hier rauskomme, Hicks. Ich möchte endlich etwas Spaß haben!«

»Spaß? Was für Spaß?«, sagte Hicks, der sich vornahm, den Zauberspruch der Neunfachen Auslöschung noch einmal sehr gründlich zu studieren.

»Ich weiß, was für Golems im Anmarsch sind!«

Als Kind hatte Feucht jeden Abend gebetet, bevor er zu Bett ging. Seine Familie war sehr aktiv in der Schlichten Kartoffelkirche, die die Ausschweifungen der Altorthodoxen Kartoffelkirche verachtete. Ihre Anhänger waren zurückhaltend, fleißig und erfindungsreich, und ihr striktes Festhalten an Öllampen und hausgemachten Möbeln machte sie in der Gegend, in der die meisten Leute Kerzen benutzten und auf Schafen saßen, zu etwas Besonderem.

Er hatte das Beten gehasst. Es fühlte sich an, als würde sich ein großes schwarzes Loch im Raum öffnen, durch das jeden Moment etwas kommen und ihn packen konnte. Das mochte daran liegen, dass im klassischen Gutenachtgebet die Zeile »Wenn ich sterbe, bevor ich wieder erwache« vorkam, die ihn in schlimmen Nächten dazu veranlasste, die Zeit bis zum Morgengrauen im Sitzen zu verbringen und zu versuchen, wach zu bleiben.

Außerdem hatte er gelernt, die Stunden vor dem Schlafengehen zu nutzen, um die Vorzüge zu zählen, die sein Leben hatte.

Als er jetzt in der Dunkelheit der Bank dalag, wo es eher kalt und recht einsam war, suchte er nach solchen.

Seine Zähne waren gut, und er litt nicht unter vorzeitigem Haarausfall. Na also! Es war doch gar nicht so schwer, oder?

Und die Wache hatte ihn schließlich doch nicht verhaftet. Aber ein Troll bewachte den Tresor, der mit bedrohlichen schwarzgelben Bändern abgesperrt war.

Kein Gold in der Kammer. Allerdings entsprach das gar nicht ganz den Tatsachen. Es gab noch fünf Pfund davon, mindestens, als Umhüllung der Bleibarren. Jemand hatte ziemlich gute Arbeit geleistet. Doch das war immerhin etwas. Wenigstens ein bisschen Gold war noch da. Das war schließlich etwas ganz anderes als gar kein Gold, nicht wahr?

Er war allein, denn Adora Belle musste die Nacht in einer Zelle verbringen, weil sie einen Polizisten der Wache angegriffen hatte. Feucht betrachtete diese Strafe als ungerecht. Natürlich war es so, dass, je nachdem, was für einen Tag ein Polizist gehabt hatte, praktisch keine Handlung, abgesehen von völliger Nichtanwesenheit, nicht als Angriff interpretiert werden konnte, aber Adora Belle hatte Feldwebel Detritus gar nicht wirklich angegriffen. Sie hatte lediglich versucht, ihren spitzen Absatz in seinen großen Fuß zu stechen, wobei sie sich den Knöchel gestaucht und den Absatz abgebrochen hatte. Hauptmann Karotte sagte, dieser Umstand sei in Betracht gezogen worden.

Die Uhren der Stadt schlugen vier, und Feucht dachte über seine Zukunft nach, insbesondere über ihre mögliche Dauer.

Er musste es positiv sehen. Vielleicht wurde er einfach nur gehängt.

Er hätte gleich am allerersten Tag mit einem Alchimisten und einem Anwalt im Schlepptau in den Keller gehen sollen. Wurde in den Kellerräumen niemals Inventur gemacht? Geschah das vielleicht durch eine Horde halbwegs anständiger Kerle, die mal kurz in der Gruft von irgendwelchen anderen Kerlen vorbeischauten und möglichst schnell unterschrieben, um nicht das Mittagessen zu verpassen? Man konnte doch nicht dem Wort eines anständigen Kerls misstrauen! Insbesondere, wenn man nicht wollte, dass er einem selbst misstraute.

Vielleicht hatte der verblichene Sir Joshua alles für exotische Lederwaren und junge Damen ausgegeben. Wie viele Nächte in den Armen schöner Frauen konnte man sich für einen Sack Gold kaufen? Eine gute Frau war sprichwörtlich nicht mit Gold aufzuwiegen, also musste man für ein schlimmes Mädchen möglicherweise noch viel mehr hinlegen.

Feucht setzte sich auf und entzündete die Kerze. Und dabei fiel sein Blick auf Sir Joshuas Tagebuch, das auf seinem Nachttisch lag.

Vor vierzig Jahren ... jedenfalls war es der richtige Jahrgang, und da er im Moment sowieso nichts Besseres zu tun hatte ...

Das Glück, das ihn den ganzen Tag lang im Stich gelassen hatte, kehrte nun zu ihm zurück. Obwohl er gar nicht genau wusste, wonach er eigentlich suchte, fand er den Eintrag schon auf der sechsten zufällig aufgeschlagenen Seite:

Heute kamen zwei seltsam aussehende Leute in die Bank und fragten nach dem jungen Beuge. Ich forderte das Personal auf, sie fortzuschicken. Er macht sich außerordentlich gut. Man fragt sich, was er erlitten haben muss.

Ein recht großer Teil des Tagebuchs schien in einer Art Geheimcode abgefasst zu sein, aber die Natur der Symbole deutete darauf hin, dass Sir Joshua penibel jede amouröse Affäre verzeichnet hatte. Wenigstens musste man ihn für seine Direktheit bewundern. Er hatte festgestellt, was er vom Leben haben wollte, und sich vorgenommen, so viel wie möglich davon zu bekommen. Feucht musste vor diesem Mann den Hut ziehen.

Und was hatte er eigentlich gewollt? Er hatte niemals richtig darüber nachgedacht. Hauptsächlich wollte er, dass es morgen anders als heute wurde.

Er blickte auf die Uhr. Viertel nach vier, und außer den Wachen war niemand in der Nähe. An allen größeren Türen standen Wächter. Feucht stand tatsächlich nicht unter Arrest, aber hier handelte es sich um ein typisches zivilisiertes Arrangement: Er stand so lange nicht unter Arrest, wie er nicht versuchte, sich wie jemand zu verhalten, der nicht unter Arrest stand.

Ach ja, dachte er, als er sich die Hose anzog, es gab da noch einen anderen Vorzug: Er war dabei gewesen, als Herr Quengler dem Werwolf einen Heiratsantrag gemacht hatte ...

... dem Werwolf, der zu diesem Zeitpunkt auf einer der hohen, verzierten Urnen balancierte, die wie Pilze auf allen Gängen der Bank zu wachsen schienen. Sie schaukelte hin und her. Genauso wie Korporal Nobbs, der sich vor Lachen schüttelte über ...

... Herrn Quengler, der mit bewundernswertem Enthusiasmus auf und ab hüpfte. Doch er hatte immer noch sein neues Spielzeug im Maul, und irgendwie war es auf mysteriöse Weise plötzlich zum Leben erwacht, und das Schicksal wollte es so, dass seine Vibrationen den kleinen Hund bei jedem Sprung dazu zwangen, in der Luft einen langsamen Purzelbaum zu schlagen.

Und Feucht dachte: Also ist der Werwolf weiblich und hat das Abzeichen der Wache am Kragen, und ich habe diese Haarfarbe schon einmal gesehen. Ha!

Doch sein Blick war sofort zu Herrn Quengler zurückgekehrt, der immer wieder sprang und sich überschlug, mit dem Ausdruck völliger Glückseligkeit im kleinen Hundegesicht...

... und dann hatte Hauptmann Karotte ihn in der Luft aufgefangen, die Werwölfin hatte die Flucht ergriffen, und die Show war vorbei gewesen. Aber die Erinnerung an diese Szene würde er für immer mit sich tragen. Wenn er das nächste Mal Feldwebel Angua begegnete, würde er leise knurren, obwohl das möglicherweise schon als Tätlichkeit zählte.

Als er nun vollständig angekleidet war, unternahm er einen Spaziergang durch endlose Korridore.

Die Wache hatte für die Nacht viele neue Wachleute in die Bank abkommandiert. Hauptmann Karotte war nicht dumm, das musste man ihm lassen. Es waren Trolle. Es war nicht einfach, einen Troll von etwas zu überzeugen.

Er spürte, dass er überall, wohin er auch ging, von ihnen beobachtet wurde. An der Tür zur Krypta stand keiner, aber Feucht verlor den Mut, als er sich dem strahlenden Licht rund um den Blupper näherte und einen sah, der vor der Tür zur Freiheit Stellung bezogen hatte.

Eulrich lag auf einer Matratze und schnarchte mit dem Pinsel in der Hand. Feucht beneidete ihn.

Hubert und Igor arbeiteten an dem Gewirr aus Glas, von dem Feucht hätte schwören können, dass es jedes Mal, wenn er hier herunterkam, größer aussah.

»Gibt es ein Problem?«

»Ein Problem? Keins. Gar keins. Nicht das geringste!«, sagte Hubert. »Alles in Ordnung! Ob es ein Problem gibt? Wie kommst du darauf, dass es ein Problem geben könnte? Was hat dich auf diese völlig abwegige Idee gebracht?«

Feucht gähnte. »Habt ihr Kaffee da? Oder Tee?«

»Für dich, Herr Lipwig«, sagte Igor, »werde ich Fplot machen.«

»Splot? Echten Splot?«

»In der Tat, Herr«, sagte Igor stolz.

»Aber den kann man hier doch gar nicht kaufen.«

»Deffen bin ich mir bewufft, Herr. Auferdem ift er inpfwifen faft überall im alten Land verboten«, sagte Igor, während er in einem Sack kramte.

»Verboten? Splot wurde verboten? Aber es ist doch nur ein Kräutergetränk! Meine Oma hat ihn immer gemacht.«

»In der Tat, ef war ein fehr tradipfionellef Getränk«, pflichtete Igor ihm bei. »Davon bekommt man Haare auf der Bruft.«

»Ja, darüber hat sich auch meine Oma ständig beklagt.«

»Ist es ein alkoholisches Getränk?«, fragte Hubert nervös.

»Im Gegenteil«, sagte Feucht. »Meine Oma hat Alkohol niemals angerührt.« Nach kurzer Überlegung fügte er hinzu: »Außer in Form von Aftershave. Splot wird aus Baumrinde gewonnen.«

»Aha? Na, das klingt ja nett«, sagte Hubert.

Igor zog sich in den Dschungel seiner Werkstatt zurück, und das Klirren von Glas war zu hören. Feucht setzte sich auf die mit Sachen übersäte Werkbank.

»Wie läuft es so in deiner Welt, Hubert?«, fragte er. »Fließt das Wasser immer noch fröhlich herum?«

»Ja, bestens! Alles in Ordnung. Nicht das geringste Problem!«

Huberts Gesicht wurde ausdruckslos, dann zog er sein Notizbuch hervor, warf einen Blick auf eine Seite und steckte es wieder ein. »Wie geht es dir?«

»Mir? Oh, großartig. Nur dass sich im Keller der Bank zehn Tonnen Gold befinden sollten, was aber leider nicht der Fall ist.«

Es klang, als wäre in Igors Richtung etwas Gläsernes zerbrochen, und Hubert starrte Feucht mit entsetzter Miene an.

»Ha? Hahahaha?«, sagte er. »Ha ha ha ha a HAHAHA! HA HA HA!!! HA HA...«

Es war nur eine verwischte Bewegung zu sehen, als Igor zum Tisch zurücksprang und Hubert packte. »Entpfuldigung, Herr Lipwig«, sagte er über die Schulter, »daf könnte noch ftundenlang fo weitergehen ...«

Er schlug Hubert zweimal ins Gesicht und zog ein Fläschchen aus einer Tasche.

»Herr Hubert? Wie viele Finger halte ich gerade hoch?«

Hubert versuchte den Blick zu fokussieren. »Dreizehn?«, sagte er mit zitternder Stimme.

Igor entspannte sich und steckte das Fläschchen wieder ein. »Gerade noch rechtpfeitig. Gut gemacht, Herr!«

»Es tut mir leid ...«, begann Hubert.

»Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich glaube, mir geht es ganz ähnlich«, sagte Feucht.

»Also ... dieses Gold ... hast du eine Idee, wer es genommen haben könnte?«

»Nein, aber es muss jemand aus der Bank gewesen sein«, sagte Feucht. »Und nun wird die Wache es mir anhängen, befürchte ich.«

»Heißt das, du wirst die Bank nicht mehr leiten?«, fragte Hubert.

»Ich bezweifle, dass man mir erlauben wird, das von meiner Gefängniszelle aus zu tun.«

»Ach du liebe Güte«, sagte Hubert und sah Igor an. »Ähm ... was würde geschehen, wenn es zurückgebracht würde?«

Igor hustete ungewöhnlich laut.

»Das halte ich für sehr unwahrscheinlich«, sagte Feucht.

»Ja, aber Igor hat mir erzählt, als letztes Jahr das Postamt abgebrannt ist, haben die Götter höchstpersönlich dir das Geld gegeben, um es wiederaufzubauen!«

»Ah-hä-hä-hemm«, sagte Igor.

»Ich glaube kaum, dass so etwas ein zweites Mal geschehen wird«, sagte Feucht. »Und ich glaube auch nicht, dass es so etwas wie einen Gott des Bankwesens gibt.«

»Einer könnte diese Aufgabe übernehmen, um mehr Publicity zu bekommen«, sagte Hubert. »Es könnte ein Gebet wert sein.«

»Äh-hä-hä-hemm!«, sagte Igor noch lauter.

Feuchts Blick ging zwischen den beiden hin und her. Also gut, dachte er sich, hier geht etwas vor sich, und man will mir nicht sagen, was es ist.

Sollte er wirklich zu den Göttern beten, damit sie ihm einen großen Haufen Gold schickten? Hatte es so etwas schon einmal gegeben? Nun gut, letztes Jahr hatte es funktioniert, aber nur, weil er wusste, wo ein großer Haufen Gold vergraben war. Die Götter helfen denen, die sich selbst helfen, und das hatte er getan.

»Meinst du, das würde sich wirklich lohnen?«, fragte Feucht.

Ein kleiner dampfender Becher wurde ihm hingestellt. »Dein Fplot«, sagte Igor. Die Worte »Jetzt trink ihn bitte aus und geh dann« klangen lautlos, aber unüberhörbar mit.

»Glaubst du, dass ich beten sollte, Igor?«, sagte Feucht und beobachtete sein Gesicht.

»Daf kann ich nicht fagen. Nach Ansicht der Igors ist das Beten nicht mehr als nachdrückliches Hoffen.«

Feucht beugte sich näher an ihn heran und flüsterte: »Igor, mal ganz unter uns Überwäldlern: Eben hat sich dein Lispeln verabschiedet.«

Igors Stirnrunzeln wurde stärker. »Entpfuldigung, Herr, aber mir geht fehr viel durch den Kopf«, sagte er und verdrehte die Augen, um auf den nervösen Hubert anzuspielen.

»Meine Schuld, ich halte euch unnötig von der Arbeit ab«, sagte Feucht und leerte die Tasse in einem Zug. »Jetzt müsste jeden Augenblick die dhdldlkp;kvyv vbdf[;jv jvf;llljvmmk;w bvlm bnxg cgbnme ...«

Ach so, Splot, dachte Feucht. Es enthielt Kräuter und ausnahmslos natürliche Ingredienzen. Aber auch Tollkirsche war ein Kraut, und Arsen war völlig natürlich. Es sei kein Alkohol drin, hieß es, weil sich Alkohol in diesem Trank sofort zersetzen würde. Aber eine Tasse mit heißem Splot jagte einen aus dem Bett und zur Arbeit, auch wenn draußen zwei Meter hoch Schnee lag und der Brunnen zugefroren war. Man bekam schlagartig einen klaren Kopf, und das Denkvermögen wurde beschleunigt. Schade nur, dass die menschliche Zunge da nicht mehr mitkam.

Feucht blinzelte ein- oder zweimal und sagte: »Ughx ...«

Er verabschiedete sich, auch wenn es eher wie »gnyrxs« klang, und lief durch die Krypta zurück, wobei das Licht des Bluppers seinen Schatten vor ihm herschob. Trolle beobachteten ihn misstrauisch, als er die Treppe hinaufging und darauf Acht gab, dass seine Füße ihm nicht zu weit vorauseilten. Sein Gehirn stand unter Spannung, aber es hatte nichts zu tun. Es gab nichts zu begreifen, für nichts eine Lösung zu finden. Und in vielleicht einer Stunde war die Landausgabe der Times draußen, und nur wenig später würde auch er draußen sein. Es würde zu einem Ansturm auf die Bank kommen, was bestenfalls etwas Schreckliches war, und die anderen Banken würden ihm auf keinen Fall aushelfen, weil er sich nie mit den Direktoren verbrüdert hatte. Ungnade, Schande und Herr Quengler starrten ihm ins Gesicht, aber nur einer davon leckte es ihm ab.

Also hatte er es in sein Büro geschafft. Es stimmte, Splot lenkte einen von all den kleinen Problemen ab, indem es sie zu einem großen zusammenrollte, nämlich der Aufgabe, sich selbst auf ein und demselben Planeten zusammenzuhalten. Er ließ den rituellen sabbernden Kuss des kleinen Hundes über sich ergehen, erhob sich wieder und schaffte es bis zu seinem Sessel.

Gut... sich hinsetzen war etwas, das er tun konnte. Aber seine Gedanken rasten.

Bald würden die Leute hier sein. Es gab zu viele unbeantwortete Fragen. Was war zu tun, was war zu tun? Beten? Feucht war nicht allzu erpicht aufs Beten, nicht weil er glaubte, dass der zuständige Gott gar nicht existierte, sondern weil er das Gegenteil befürchtete. Anoia hatte zwar sehr von ihm profitiert, und ihm war neulich ihr strahlend neuer Tempel aufgefallen, dessen Fassade bereits mit Opfergaben in Form von Eierschneidern, Rührbesen, Schöpfkellen, Rübenmessern und vielen anderen nützlichen Haushaltsdingen behängen war, gespendet von dankbaren Anhängern, die einst ein Leben voller klemmender Schubladen vor sich hatten. Anoia war zuverlässig, weil sie spezialisiert war. Sie tat nicht einmal so, als hätte sie das Paradies, ewige Wahrheiten oder irgendeine Art von Erlösung zu bieten. Sie sorgte lediglich für guten Zug und Schub und problemlosen Zugang zu den Gabeln. Und praktisch niemand hatte an sie geglaubt, bevor Feucht sie rein zufällig als Göttin erwählt hatte, der er für den unerwarteten Glücksfall danken konnte. Würde sie sich daran erinnern?

Wenn das Gold in irgendeiner Schublade klemmen würde, vielleicht. Wenn er Schlacke in Gold verwandeln wollte, wahrscheinlich nicht. Trotzdem wandte man sich nun einmal an die Götter, wenn einem nichts mehr außer Beten übrig blieb.

Er schlenderte in die kleine Küche und nahm eine Schöpfkelle vom Haken. Dann kehrte er ins Büro zurück und legte sie in eine Schublade, in der sie unverzüglich festklemmte, schließlich war das die Hauptfunktion aller Schöpfkellen dieser Welt. Er musste nur an der Schublade rütteln. Offensichtlich machte er die Göttin durch dieses Geräusch auf sich aufmerksam.

»Oh, Anoia«, sagte er und zerrte am Schubladengriff, »ich bin es, Feucht von Lipwig, reuiger Sünder. Ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnerst. Wir, das heißt, wir alle, sind bloße Werkzeuge, die in Schubladen feststecken, die wir uns selber gebaut haben, und das gilt ganz besonders für mich. Ich weiß, dass du sehr viel zu tun hast, aber wenn du trotzdem etwas Zeit finden könntest, mich in der Stunde der Not aus meiner Klemme zu befreien, werde ich dir gegenüber nicht mit Dankbarkeit geizen, oh ja, insbesondere, wenn wir das Dach des neuen Postamts mit Götterfiguren schmücken. Die Steinkrüge auf dem alten Dach haben mir nie gefallen. Selbstverständlich mit Blattgold überzogen, die Figuren, meine ich. Meinen ergebensten Dank im Voraus. Amen.«

Er zerrte ein letztes Mal an der Schublade. Die Schöpfkelle sprang heraus, flog vibrierend wie ein Flusslachs durch die Luft und zertrümmerte eine Vase in der Ecke.

Feucht entschied, das als hoffnungsvolles Zeichen zu interpretieren. Angeblich sollte es nach Zigarettenrauch riechen, wenn Anoia in der Nähe war, aber da sich bereits Adora Belle länger als zehn Minuten in diesem Zimmer aufgehalten hatte, wäre es völlig sinnlos gewesen zu schnuppern.

Was nun? Die Götter halfen denen, die sich selbst halfen, und es gab immer noch eine lipwigfreundliche Option, die ihm sofort in den Sinn kam: Improvisieren.