Kapitel 7

Die Freuden von Collops - Herr Beuge geht zum Essen aus - Die Dunklen Schönen Künste - Amateurmimen und wie man es vermeidet, von ihnen in Verlegenheit gebracht zu werden - Der Füllfederhalter des Verderbens! - Professor Flett macht es sich gemütlich - »Die Wollust tritt in vielen Varianten auf« - Ein Held des Bankwesens! - Kripplings Tasse läuft über

Die Sonne schien durch das Fenster des Esszimmers der Bank auf eine Szene vollkommenen Glücks.

»Du solltest Eintrittskarten verkaufen«, sagte Adora Belle verträumt, das Kinn auf die Hände gestützt. »Wer unter Depressionen leidet, sollte hierherkommen und wird geheilt wieder nach Hause gehen.«

»Ja, es dürfte schwierig sein, es zu beobachten und sich dabei traurig zu fühlen«, sagte Feucht.

»Es liegt an der Begeisterung, mit der er versucht, sein Maul von innen nach außen zu stülpen«, sagte Adora Belle.

Es war deutlich zu hören, wie Herr Quengler das letzte Stück der klebrigen Karamellspeise hinunterschluckte. Dann drehte er voller Hoffung die Schale um, falls noch mehr da war. Es war noch nie mehr da gewesen, aber Herr Quengler war kein Hund, der sich ohne weiteres den Gesetzen der Kausalität unterwarf.

»Also ...«, fasste Adora Belle zusammen, »eine verrückte alte Dame - na gut, eine sehr aufgeweckte verrückte alte Dame - ist gestorben und hat dir ihren Hund vermacht, der diese Bank sozusagen am Halsband trägt, und du hast allen gesagt, dass Gold weniger wert ist als Kartoffeln, du hast einen gemeinen Verbrecher aus seiner Todeszelle geholt, er sitzt im Keller und entwirft >Banknoten< für dich, du hast dich mit der widerwärtigsten Familie der Stadt angelegt, die Leute stehen in der Bank Schlange, weil du sie zum Lachen bringst... habe ich noch irgendetwas vergessen?«

»Ich glaube, meine Sekretärin ist, äh, in mich vernarrt. Also, wenn ich Sekretärin sage, heißt das, sie hat sich gewissermaßen in diese Stellung gedrängt.«

Manche Verlobte wären jetzt in Tränen ausgebrochen oder hätten herumgeschrien. Adora Belle brach in lautes Gelächter aus.

»Und sie ist ein Golem«, sagte Feucht.

Das Gelächter verstummte. »Das kann nicht sein. So sind sie nicht. Und wie soll ein Golem überhaupt auf die Idee kommen, er sei weiblich? Das hat es noch nie gegeben.«

»Ich wette, dass es noch nie so viele befreite Golems gegeben hat. Und warum sollte er auf die Idee kommen, er sei männlich? Sie schaut mich mit klimpernden Wimpern an ... zumindest glaubt sie, dass sie das tut, schätze ich. Dahinter stecken die Schaltermädchen. Hör mal, ich meine es ernst. Das Problem ist nur, sie auch.«

»Ich werde mit ihm reden ... beziehungsweise mit ihr.«

»Gut. Die andere Sache ist die ... da wäre dieser Mann ...«

Aimsbury steckte den Kopf durch die Tür. Er war verliebt.

»Möchtest du gerne noch mehr von den gehackten Collops, meine Dame?«, sagte er und wackelte mit den Augenbrauen, als wollte er andeuten, dass die Freuden gehackter Collops ein Geheimnis waren, von dem nur wenige wussten.6 

»Du hast noch mehr davon?«, sagte Adora Belle und blickte auf ihren Teller. Nicht einmal Herr Quengler hätte ihn sauberer lecken können, und sie hatte ihn bereits zweimal geleert.

»Weißt du eigentlich, was das ist?«, sagte Feucht, der sich erneut mit einem Omelett begnügt hatte, das Peggy ihm zubereitet hatte.

»Weißt du es?«

»Nein.«

»Ich auch nicht. Aber meine Oma hat es immer für mich gemacht, und es gehört zu meinen glücklichsten Kindheitserinnerungen. Bitte verdirb es mir nicht, vielen Dank.« Adora Belle sah den entzückten Koch mit strahlendem Lächeln an. »Ja, bitte, Aimsbury, nur noch ein wenig mehr. Und könnte ich vielleicht noch erwähnen, dass der Geschmack möglicherweise noch etwas besser zur Geltung kommt, wenn du ein wenig Knob...«

»Du isst ja gar nicht, Herr Beuge«, sagte Cosmo. »Möchtest du vielleicht etwas Fasan?«

Der Hauptkassierer blickte sich nervös um. In diesem großen Haus voller Kunstwerke und Diener fühlte er sich unbehaglich. »Ich ... ich möchte klarstellen, dass meine Loyalität zur Bank ...«

»... außer Frage steht, Herr Beuge. Natürlich.« Cosmo schob ihm ein Silbertablett zu. »Iss doch etwas, wenn du schon den weiten Weg auf dich genommen hast.«

»Aber auch du isst kaum etwas, Herr Cosmo. Nur Brot und Wasser!«

»Ich habe festgestellt, dass es mir beim Nachdenken hilft. Also, was genau wolltest du mir ... ?«

»Alle lieben ihn, Herr Cosmo! Er spricht einfach mit den Leuten, und schon lieben sie ihn! Und er hat wirklich vor, das Gold aufzugeben. Stell dir das nur vor, Herr! Wo sonst könnten wir etwas von wahrem Wert finden? Er sagt, dass es nur um die Stadt geht, aber damit wären wir der Gnade von Politikern ausgeliefert! Nur neue Tricksereien!«

»Ich glaube, dir würde ein Schluck Brandy guttun«, schlug Cosmo vor. »Und was du sagst, ist goldrichtig, aber wie sollen wir vorgehen?«

Beuge zögerte. Er mochte die Familie Üppig nicht. Diese Leute überwucherten die Bank wie Efeu, aber wenigstens versuchten sie nicht, etwas zu ändern, und sie glaubten an das Gold. Und sie waren nicht lächerlich.

Die meisten Menschen hätten Mavolio Beuges Definition von »lächerlich« für etwas arg weit gefasst gehalten. Heiterkeit war lächerlich. Theater, Poesie und Musik waren lächerlich. Kleidung, die nicht grau, schwarz oder zumindest ungefärbt war, war lächerlich. Bilder von Dingen, die es gar nicht gab, waren lächerlich (und Bilder von Dingen, die es gab, waren überflüssig). Der Grundzustand des Lebens war Lächerlichkeit, die jeder Sterbliche unter Aufbietung aller Kräfte überwinden musste.

Für Missionare der strengeren Religionen wäre Mavolio Beuge der ideale Bekehrungskandidat gewesen, wenn nicht Religionen grundsätzlich und insbesondere lächerlich gewesen wären.

Zahlen waren nicht lächerlich. Zahlen hielten alles zusammen. Und Gold war nicht lächerlich. Die Üppigs glaubten ans Rechnen und ans Gold. Herr Lipwig behandelte Zahlen, als wären sie etwas, mit dem man spielen konnte, und er sagte, Gold wäre nur Blei auf Urlaub! Das war mehr als nur lächerlich, es war ein unangebrachtes Verhalten, eine Geißel, von der er sich nach vielen Jahren des Kampfes befreit hatte.

Der Mann musste gehen. Beuge hatte sich in vielen Jahren durch die Ränge der Bank nach oben gearbeitet, er hatte gegen jedes seiner angeborenen Handicaps angekämpft, und er hatte es nicht getan, um jetzt tatenlos zuzusehen, wie diese ... Person sich über das alles lustig machte! Nein!

»Dieser Mann ist heute wieder in die Bank gekommen«, sagte er. »Er war sehr seltsam. Und er schien Herrn Lipwig zu kennen, obwohl er ihn Albert Spangler nannte. Er redete, als hätte er ihn vor langer Zeit gut gekannt, und ich glaube, Herr Lipwig hat sich darüber sehr geärgert. Er heißt Krippling, beziehungsweise hat er sich so vorgestellt. Sehr abgetragene Kleidung, sehr schmutzig. Er tat, als wäre er ein Mann des Glaubens geworden, aber das glaube ich nicht.«

»Und das war alles, was an ihm seltsam war?«

»Nein, Herr Cosmo ...«

»Nenn mich einfach Cosmo, Malcolm. Wir brauchen solche Förmlichkeiten nicht.«

»Äh ... ja«, sagte Mavolio Beuge. »Also, nein, das war nicht alles. Es waren seine Zähne. Seine Kauleiste, die sich bewegte und klapperte, wenn er sprach, wobei er immer wieder schlürfte.«

»Ach, dieses alte Modell mit den Sprungfedern«, sagte Cosmo. »Sehr gut. Und Lipwig war verärgert?«

»Oh ja. Und das Merkwürdige daran war, dass er behauptete, den Mann nicht zu kennen, ihn aber trotzdem mit seinem Namen ansprach.«

Cosmo lächelte. »Ja, das ist merkwürdig. Und dann ist der Mann gegangen?«

»Nun, ja, He ... Cosmo«, sagte Beuge. »Und dann bin ich hergekommen.«

»Das hast du sehr gut gemacht, Matthäus! Sollte der Mann noch einmal kommen, könntest du ihm bitte folgen und versuchen, in Erfahrung zu bringen, wo er wohnt?«

»Wenn ich kann, He ... Cosmo.«

»Sehr gut!« Cosmo half Beuge aus dem Stuhl, schüttelte seine Hand, führte ihn zur Tür, öffnete sie und drängte ihn hinaus, und das alles in einer fließenden, ballettartigen Bewegung.

»Eile zurück, Herr Beuge, denn die Bank braucht dich!«, sagte er und schloss die Tür. »Er ist eine seltsame Kreatur, meinst du nicht auch, Drumknott?«

Ich wünschte, er würde das nicht tun, dachte Vorhinein. Hält er sich etwa für Vetinari? Wie nennt man noch gleich diese Fische, die neben Haien herschwimmen und sich nützlich machen, damit sie nicht gefressen werden? Das bin ich, genau das tue ich, ich bleibe an ihm dran, weil es sicherer ist, als ihn im Stich zu lassen.

»Wie würde Vetinari einen schlecht gekleideten Mann ausfindig machen, der neu in der Stadt ist und ein schlecht sitzendes Gebiss trägt, Drumknott?«, fragte Cosmo.

Fünfzig Dollar pro Monat, und alles lässt sich ausfindig machen, dachte Vorhinein und wachte schlagartig aus einem kurzen Meeresalbtraum auf. Vergiss das nie. Und in ein paar Tagen bist du frei.

»Er wendet sich häufig an die Bettlergilde, Herr«, sagte er.

»Ach ja, natürlich. Kümmere dich darum.«

»Das wird etwas kosten, Herr.«

»Ja, Drumknott, dieser Tatsache bin ich mir bewusst. Es kostet fast immer etwas. Und die andere Sache?«

»Bald, Herr, bald. Das ist keine Aufgabe für Kronsbeere, Herr. Ich muss Bestechungsgelder auf höchster Ebene fließen lassen.« Vorhinein hüstelte. »Schweigen ist kostspielig, Herr ...«

Schweigend eskortierte Feucht Adora Belle zurück in die Universität. Aber das Wichtigste war, das nichts kaputtgegangen und niemand zu Tode gekommen war.

Als wäre sie nach gründlichem Nachdenken zu einer Schlussfolgerung gelangt, sagte Adora Belle dann: »Ich habe eine Zeit lang in einer Bank gearbeitet, weißt du, und es wurde kaum jemand mit einem Messer angegriffen.«

»Entschuldigung, ich habe vergessen, dich zu warnen. Aber ich habe dich rechtzeitig zur Seite gestoßen.«

»Ich muss zugeben, dass mir die Art und Weise, wie du mich zu Boden geworfen hast, ziemlichen Schwindel verursacht hat.«

»Bitte, es tut mir leid, ja? Und Aimsbury geht es genauso! Wirst du mir jetzt sagen, was das alles soll? Du hast vier Golems gefunden, richtig? Hast du sie mitgebracht?«

»Nein, der Tunnel ist eingestürzt, bevor wir weit genug nach unten kommen konnten. Ich habe dir doch gesagt, dass sie eine halbe Meile unter der Erde waren, unter Millionen Tonnen von Sand und Schlick. Wir vermuten, dass es einen natürlichen Eisdamm oben in den Bergen gab, der gebrochen ist, worauf der halbe Kontinent überflutet wurde. In den Geschichten über Ähm heißt es, dass die Stadt durch eine Flut vernichtet wurde. Das würde also passen. Die Golems wurden mit der Schlammlawine fortgespült, die vor irgendwelchen Kalkklippen am Meer zur Ruhe kam.«

»Wie hast du herausgefunden, dass sie da unten sind? Dort ist... nun, dort ist doch eigentlich gar nichts!«

»Auf die übliche Weise. Einer unserer Golems hörte einen singen. Stell dir das mal vor. Er war sechzigtausend Jahre lang unter der Erde ...«

In der unterirdischen Nacht, im Druck der Tiefe, in der zermalmenden Finsternis ... sang ein Golem. Das Lied hatte keine Worte. Es war älter als Worte, es war älter als alle Sprachen. Es war der Ton des Tons, und er war meilenweit zu hören. Er pflanzte sich durch Verwerfungen fort, versetzte Kristalle in dunklen, unergründeten Höhlen in singende Resonanz, folgte Flüssen, die niemals die Sonne sahen ...

... und kam dann aus dem Boden und ging durch die Beine eines Golems, der der Golem-Stiftung angehörte, der einen Wagen voller Kohle über die einzige Straße in dieser Gegend zog. Als er in Ankh-Morpork ankam, erzählte er der Stiftung davon. Das war es, was die Stiftung tat: Golems suchen und finden.

Städte, Königreiche und Länder kamen und gingen, aber die Golems, die von ihren Priestern aus Ton gebrannt und mit heiligem Feuer erfüllt worden waren, existierten immer weiter. Wenn sie all ihre Befehle ausgeführt hatten, wenn es kein Wasser mehr zu holen oder kein Holz mehr zu hacken gab, vielleicht, weil das Land inzwischen am Meeresgrund lag oder die Stadt unpraktischerweise unter zwanzig Metern vulkanischer Asche verschüttet war, taten sie nichts anderes, als auf den nächsten Befehl zu warten. Schließlich waren sie Eigentum. Jeder gehorchte den Anweisungen, die auf der kleinen Schriftrolle in seinem Kopf niedergeschrieben waren. Früher oder später würde jedes Gestein verwittern. Früher oder später würde eine neue Stadt entstehen. Eines Tages würde es neue Befehle geben.

Golems hatten keine Vorstellung, was Freiheit war. Sie wussten, dass sie Artefakte waren; manche hatten sogar noch die Fingerabdrücke ihres einstigen, längst verstorbenen Priesters im Ton. Sie waren dazu geschaffen worden, jemandem zu gehören.

In Ankh-Morpork hatte es schon immer einige von ihnen gegeben. Sie hatten Botengänge übernommen, den Haushalt erledigt, tief unter der Erde Wasser gepumpt, unsichtbar und lautlos, ohne jemandem im Wege zu stehen. Dann hatte jemand eines Tages einen Golem befreit, indem er ihm die Quittung für das Geld, das er für ihn bezahlt hatte, in den Kopf gesteckt hatte. Und dann hatte er ihm gesagt, dass er nun sich selbst gehörte.

Ein Golem konnte nicht auf Befehl, durch einen Krieg oder aus einer Laune heraus befreit werden. Aber er konnte durch neue Besitzrechte befreit werden. Wenn man Besitz gewesen ist, versteht man wirklich, was Freiheit in ihrer ganzen großartigen Schrecklichkeit bedeutet.

Dorfl, der erste befreite Golem, hatte einen Plan. Er arbeitete hart, rund um die Uhr, für die er keine Zeit hatte, und kaufte dann einen anderen Golem. Die beiden Golems arbeiteten hart und kauften einen dritten Golem ... und nun gab es die Golem-Stiftung, die Golems kaufte, Golems unter der Erde oder in den Tiefen des Meeres aufspürte und Golems half, sich selbst zu kaufen.

In der aufstrebenden Stadt waren Golems tatsächlich ihr Gewicht in Gold wert. Sie arbeiteten für geringe Löhne, aber sie verdienten sich ihr Geld vierundzwanzig Stunden pro Tag. Trotzdem waren sie kostengünstig - stärker als Trolle, zuverlässiger als Ochsen und unermüdlicher und intelligenter als beide. Ein Golem konnte jede Maschine in einer Werkstatt an treiben.

Das machte sie nicht gerade beliebt. Es gab immer Gründe, einen Golem nicht zu mögen. Sie tranken nicht, sie aßen nicht, nie spielten, fluchten oder lächelten sie. Sie arbeiteten. Wenn ein Feuer ausbrach, eilten sie scharenweise herbei, um es zu löschen, und dann kehrten sie zu dem zurück, womit sie gerade beschäftigt gewesen waren. Niemand wusste, warum ein Geschöpf, das im Backofen zum Leben erweckt worden war, den Drang verspürte, das zu tun, aber der Dank dafür war nur leicht verhohlener Groll. Man konnte einem ausdruckslosen Gesicht mit glühenden Augen einfach nicht dankbar sein.

»Wie viele sind da unten?«, fragte Feucht.

»Ich habe es dir doch gesagt. Vier.«

Feucht empfand Erleichterung. »Das ist gut. Das hast du gut gemacht. Könnten wir uns später zu einem anständigen feierlichen Abendessen treffen? Mit etwas, woran das Tier nicht so sehr gehangen hat? Und dann, wer weiß ...«

»Es könnte da einen Haken geben«, sagte Adora Belle langsam.

»Nein! Wirklich?«

»Bitte!« Adora Belle seufzte. »Hör mal, die Ähmianer waren die ersten Golemschöpfer, verstehst du? In den Golemlegenden heißt es, dass die Ähmianer die Golems erfunden haben. Außerdem klingt es glaubwürdig. Irgendein Priester, der eine Opfergabe ins Feuer legt, sagt die richtigen Worte, und plötzlich erhebt sich der Ton. Das war die einzige Erfindung, die die Ähmianer gemacht haben. Mehr brauchten sie nicht. Golems haben ihre Stadt erbaut, Golems haben ihre Felder bestellt. Sie haben das Rad erfunden, allerdings nur als Kinderspielzeug. Sie brauchten keine Räder, verstehst du? Man braucht auch keine Waffen und Stadtmauern, wenn man Golems hat. Man braucht nicht einmal Schaufeln ...«

»Du willst mir doch nicht erzählen, dass sie zwanzig Meter große Killergolems gebaut haben, oder?«

»An so etwas kann nur ein Mann denken.«

»Das ist unser Job«, sagte Feucht. »Wenn man nicht als Erster an zwanzig Meter große Killergolems denkt, tut es ein anderer.«

»Es deutet nichts darauf hin, dass es so etwas gegeben hat«, sagte Adora Belle schroff. »Die Ähmianer haben nicht einmal Eisen verarbeitet. Bronze haben sie allerdings benutzt... und Gold.«

Irgendetwas an der Art, wie sie »Gold« sagte, gefiel Feucht nicht.

»Gold«, wiederholte er.

»Ähmianisch ist die komplexeste Sprache, die es jemals gegeben hat«, sagte Adora Belle hastig. »Die Golems der Stiftung wissen kaum etwas darüber, also können wir uns nicht sicher sein ...«

»Gold«, sagte Feucht noch einmal, mit bleierner Stimme.

»Als das Grabungsteam da unten Höhlen gefunden hat, entwickelten wir einen Plan. Der Tunnel wurde sowieso instabil, sodass wir ihn schlossen und behaupteten, er wäre eingestürzt. Doch inzwischen dürften unsere Leute die Golems durch das Meer nach draußen geschafft haben und bringen sie unter Wasser bis in die Stadt.«

Feucht zeigte auf den Golemarm im Beutel. »Der da besteht nicht aus Gold«, sagte er hoffnungsvoll.

»Etwa auf dem halben Weg nach unten haben wir viele Überreste von Golems gefunden«, sagte Adora Belle mit einem Seufzer. »Die anderen liegen tiefer ... äh, vielleicht, weil sie schwerer sind.«

»Gold wiegt doppelt so viel wie Blei«, sagte Feucht düster.

»Der vergrabene Golem singt auf Ähmianisch«, sagte Adora Belle. »Ich bin mir nicht sicher, ob unsere Übersetzung stimmt, also dachte ich mir, dass wir damit anfangen, sie nach Ankh-Morpork zu schaffen, wo sie in Sicherheit sind.«

Feucht nahm einen tiefen Atemzug. »Weißt du, wie viel Ärger du kriegen kannst, wenn du einen Vertrag mit einem Zwerg brichst?«

»Ich bitte dich! Ich fange doch keinen Krieg an!«

»Nein, du fängst einen Rechtsstreit an! Und mit den Zwergen ist so etwas viel schlimmer! Du hast mir gesagt, im Vertrag würde stehen, dass ihr keine wertvollen Metalle aus dem Land schaffen dürft.«

»Ja, aber das hier sind Golems. Sie sind lebendig.«

»Hör mal, das, was du da mitgenommen hast...«

»... was ich mitgenommen haben könnte ...«

»... na gut, das, was du mitgenommen haben könntest, sind Tonnen von Gold, die sich auf Zwergenland befanden ...«

»Auf Land, das der Golem-Stiftung gehört...«

»Na gut, aber ihr hattet ein Abkommen! Das du verletzt hast, als du die Golems mitgenommen ...«

»Nicht mitgenommen. Sie sind von allein gegangen«, sagte Adora Belle ruhig.

»Um Himmels willen, nur eine Frau kann so denken! Weil du glaubst, dass es für deine Handlungen einen sehr anständigen Grund gibt, glaubst du, dass juristische Fakten keine Rolle spielen! Und hier stehe ich, so kurz davor, die Leute zu überzeugen, dass ein Dollar nicht rund und glänzend sein muss, und stelle fest, dass jeden Augenblick vier große schimmernde und strahlende Golems winkend und glitzernd in die Stadt marschieren werden!«

»Es besteht kein Grund, hysterisch zu werden«, sagte Adora Belle.

»Doch! Wozu kein Grund besteht, ist, ruhig zu bleiben!«

»Ja, aber das ist der Moment, in dem du lebendig wirst. Das ist der Moment, wo dein Gehirn am besten funktioniert. Du findest immer eine Lösung, nicht wahr?«

Es gab nichts, was man gegen eine Frau wie sie tun konnte. Sie verwandelte sich einfach in einen Hammer, und man rannte mitten hinein.

Zum Glück.

Sie hatten den Eingang zur Universität erreicht. Über ihnen ragte die strenge Statue des Gründers Alberto Malich auf. Er trug einen Nachttopf auf dem Kopf. Dies hatte der Taube Unannehmlichkeiten bereitet, die nach alter Familientradition die meiste Zeit auf Albertos Haupt hockte und nun ebenfalls eine Miniaturversion des gleichen Behältnisses auf dem Kopf trug.

Offenbar war wieder Fetzenwoche, dachte Feucht. Studenten! Man konnte sie lieben oder hassen, aber man durfte sie nicht mit einer Schaufel verprügeln.

»Hör mal, Golems hin, Golems her, lass uns heute Abend essen, nur du und ich, oben in der Suite. Aimsbury würde es sehr gefallen. Er bekommt nicht oft die Gelegenheit, für Menschen zu kochen, und das tut ihm sehr gut. Er wird alles zubereiten, was du möchtest, da bin ich mir sicher.«

Adora Belle blickte ihn schief von der Seite an. »Ich hatte mir schon gedacht, dass du das vorschlagen würdest. Also habe ich Schafskopf bestellt. Er war überglücklich.«

»Schafskopf?«, erwiderte Feucht düster. »Du weißt, dass ich Essen nicht ausstehen kann, das mich ansieht. Ich würde nicht einmal einer Sardine in die Augen blicken.«

»Er hat versprochen, dem Schafskopf die Augen zu verbinden.«

»Oh, sehr gut.«

»Meine Oma hat wunderbare Schafskopfsülze gemacht«, sagte Adora Belle. »Dazu benutzt man Schweinefüße, um die Brühe dicker zu machen, sodass sie beim Abkühlen ...«

»Weißt du, manchmal gibt es auch so etwas wie zu viele Informationen«, sagte Feucht. »Also heute Abend. Jetzt gehen wir zu deinem Zauberer. Es wird bestimmt lustig, sich mit einem grinsenden Totenschädel zu unterhalten.«

Es gab Schädel. Es gab schwarze Vorhänge. Auf den Boden waren komplizierte Symbole gezeichnet. Von schwarzen Räucherfässern stiegen Rauchspiralen auf. Und inmitten all dieser Dinge hantierte der Leiter des Instituts für Postmortale Kommunikation, der eine furchterregende Maske aufgesetzt hatte, mit einer Kerze.

Er hielt inne, als er sie eintreten hörte, und richtete sich hastig auf.

»Oh, ihr seid früh dran«, sagte er. Seine Stimme wurde durch die Reißzähne ein wenig gedämpft. »Tut mir leid. Es liegt an den Kerzen. Eigentlich sollten sie aus billigem Talg sein, damit sie angemessen rußen, aber man glaubt es nicht, man hat mir Bienenwachskerzen gegeben! Dabei sage ich immer wieder, dass es mir nichts nützt, wenn sie nur tröpfeln, sondern dass wir beißenden Rauch brauchen. Oder dass sie es brauchen. Entschuldigung, ich bin John Hicks, der Leiter des Instituts. Ponder hat mir alles über euch erzählt.«

Er nahm die Maske ab und streckte ihnen eine Hand entgegen. Der Mann sah aus, als hätte er wie jeder Nekromant, der etwas auf sich hielt, versucht, sich einen passenden Spitzbart wachsen zu lassen, der jedoch aufgrund eines elementaren Mangels an Boshaftigkeit ein wenig albern wirkte. Nach ein paar Sekunden erkannte Hicks, warum sie ihn so seltsam anstarrten, und zog die falsche Gummihand mit den schwarzen Fingernägeln aus.

»Ich dachte, die Nekromantie wäre verboten«, sagte Feucht.

»Wir betreiben hier keine Nekromantie«, sagte Hicks. »Wie kommst du darauf?«

Feucht blickte sich um, zuckte mit den Schultern und sagte: »Ich vermute, es kam mir in den Sinn, als ich sah, wie die Farbe von der Tür abblättert, auf der man undeutlich einen Totenschädel erkennen kann, unter dem die Buchstaben NEKR ...«

»Tiefste Vergangenheit, tiefste Vergangenheit«, sagte Hicks schnell. »Wir sind das Institut für Postmortale Kommunikation.

Die Nekromantie dagegen ist eine sehr böse Form von Magie, die von bösen Zauberern praktiziert wird.«

»Und weil ihr keine bösen Zauberer seid, kann das, was ihr tut, keine Nekromantie sein?«

»Genau!«

»Und, äh, woran erkennt man einen bösen Zauberer?«, fragte Adora Belle.

»Wenn er Nekromantie betreibt, wäre das ein Kriterium, das sicherlich ganz oben auf der Liste steht.«*

»Könntest du uns noch einmal erklären, was du tun wirst?«

»Wir werden mit dem verstorbenen Professor Flett reden«, sagte Hicks.

»Der tot ist, nicht wahr?«

»Sogar sehr. Äußerst tot.«

»Klingt das nicht ein klein wenig nach Nekromantie?«

»Ich verstehe. Aber ihr müsst wissen, dass man für Nekromantie Schädel und Knochen und eine allgemeine nekromantische Atmosphäre benötigt«, erklärte Dr. Hicks. Dann bemerkte er ihren Gesichtsausdruck. »Aha, ich weiß schon, was ihr möglicherweise falsch versteht.« Er stieß ein kurzes Lachen aus, das ein wenig gebrochen klang. »Lasst euch nicht vom Anschein täuschen. Ich brauche das alles nicht. Aber Professor Flett. Er ist recht konservativ und würde nicht aus seiner Urne kommen, wenn wir kein vollständiges Seelenritual mitsamt der Schreckensmaske der Beschwörung durchführen würden.« Er zupfte an einem Reißzahn.

»Und das ist die Schreckensmaske der Beschwörung, ja?«, sagte Feucht. Der Zauberer zögerte kurz, bevor er sagte: »Natürlich.«

»Nur dass sie genauso wie die Schreckenszauberermaske aussieht, die bei Boffo in der Zehntes-Ei-Straße verkauft wird«, sagte Feucht. »Im Sonderangebot für nur fünf Dollar, glaube ich.«

»Ich, äh, glaube, dass du dich täuschst«, sagte Hicks.

»Das glaube ich nicht«, sagte Feucht. »Du hast das Etikett drangelassen.«

»Wo? Wo?« Der Nekromant, der keiner war, hob die Maske auf und betrachtete sie von allen Seiten, auf der Suche nach ...

Als er Feuchts Grinsen sah, verdrehte er die Augen. »Also gut, ja«, murmelte er. »Die echte ist leider verloren gegangen. Du glaubst gar nicht, was hier alles verloren geht. Nach dem Zaubern räumen sie nie richtig auf. War draußen im Korridor ein Riesentintenfisch?«

»Heute Nachmittag nicht mehr«, sagte Adora Belle.

»Ja, weswegen war da ein Tintenfisch?«

»Oh, lasst mich bitte erklären, was es mit dem Tintenfisch auf sich hat!«, sagte Hicks.

»Bitte.«

»Das wollt ihr auf gar keinen Fall hören!«

»Nein?«

»Glaubt mir. Seid ihr euch sicher, dass er nicht mehr da war?«

»So etwas hätten wir eher nicht übersehen«, sagte Adora Belle.

»Mit etwas Glück hat sich dieser Zauber endlich verflüchtigt«, sagte Hicks und entspannte sich. »Es wird wirklich immer unmöglicher. Letzte Woche hat sich alles in meinem Karteikasten unter >W< einsortiert. Niemand scheint zu wissen, warum das so ist.«

»Du wolltest uns etwas über die Schädel erzählen«, sagte Adora Belle.

»Alles Fälschungen«, sagte Hicks.

»Wie bitte?« Die Stimme klang trocken und knarrend und kam aus einer dunklen Ecke.

»Mit Ausnahme von Charlie, versteht sich«, fügte Hicks hastig hinzu. »Er ist schon seit Ewigkeiten hier.«

»Ich bin das Rückgrat des Instituts«, sagte die Stimme mit einer Spur von Stolz.

»Können wir jetzt anfangen?«, sagte Hicks und kramte in einem schwarzen Samtbeutel. »Am Haken hinter der Tür hängen ein paar schwarze Kapuzenumhänge. Sie sind natürlich nur Show, aber in der Nek... - in der Postmortalen Kommunikation geht es sehr viel um Theater. Die meisten Leute, mit denen wir ... kommunizieren, sind Zauberer und mögen keine modernen Veränderungen.«

»Wir werden doch nichts ... Schauriges tun, oder?«, sagte Adora Belle, während sie zweifelnd einen Umhang betrachtete.

»Davon abgesehen, dass wir mit jemandem reden, der schon seit dreihundert Jahren tot ist«, sagte Feucht. In Gegenwart von Totenschädeln fühlte er sich im Allgemeinen eher unwohl. Menschen sind seit Affenzeiten genetisch darauf programmiert, sich so zu fühlen, weil a) das, was einen Totenschädel zu einem Totenschädel gemacht hatte, immer noch in der Nähe sein konnte, sodass man sich sofort zu einem Baum flüchten sollte, und b) Totenschädel immer aussahen, als würden sie sich über einen lustig machen.

»Macht euch deswegen keine Sorgen«, sagte Hicks, nahm einen kleinen verzierten Krug aus dem schwarzen Beutel und polierte ihn an seinem Ärmel. »Professor Flett hat seine Seele der Universität vermacht. Er ist ein bisschen griesgrämig, wie ich sagen muss, aber er kann sehr kooperativ sein, wenn wir ihm eine ordentliche Show bieten.« Er trat zurück. »Schauen wir mal... gruselige Kerzen, der Kreis von Namareth, das Glas der Stummen Zeit, natürlich die Maske, die Vorhänge der, äh, die Vorhänge und ...« An dieser Stelle stellte er eine kleine Schachtel neben den Krug. »... die unerlässlichen Zutaten.«

»Wie bitte? Meinst du damit, dass all diese anderen kostspielig klingenden Sachen nicht unerlässlich sind?«, fragte Feucht.

»Sie sind eher Teil der ... Kulisse«, sagte Hicks und rückte die Kapuze zurecht. »Ich meine, wir könnten uns auch alle im Kreis hinsetzen und das Skript vorlesen, aber ohne Kostüme und Kulisse ... wer würde da schon zur Vorstellung kommen? Interessiert ihr euch überhaupt für Theater?«, fügte er in hoffnungsvollem Tonfall hinzu.

»Ich gehe hin, wenn ich kann«, sagte Feucht zurückhaltend, weil er diesen hoffnungsvollen Tonfall kannte.

»Ihr habt nicht zufällig vor kurzem Schade, dass sie eine Ausbilderin im unbewaffneten Kampf ist im Kleinen Theater gesehen? Es wurde von den Schauspielern der Tollen Schwestern aufgeführt.«

»Äh, nein, ich füchte nicht.«

»Ich habe den Sir Andrew Fartswell gespielt«, sagte Dr. Hicks, falls Feucht doch noch einen plötzlichen Erinnerungsanfall bekommen sollte.

»Ach, du warst das?«, sagte Feucht, der schon einigen Schauspielern begegnet war. »Im Büro haben alle darüber gesprochen!«

Das geht in Ordnung, solange er nicht fragt, über welchen Abend sie gesprochen hatten, dachte er. Bei jeder Inszenierung gab es einen Abend, an dem etwas urkomisch Schreckliches geschah. Aber er hatte Glück; ein erfahrener Schauspieler wusste, wann man nicht mehr nachhaken sollte.

Stattdessen sagte Hicks: »Kennt ihr euch mit antiken Sprachen aus?«

»Ich kann Vulgär-Brummen«, sagte Feucht.
». Ist das antik genug für dich?«, sagte Adora Belle und verursachte Feucht eine Gänsehaut. Die Sprache der Golems war normalerweise ein Gräuel für menschliche Zungen, aber wenn Adora Belle sie sprach, klang es unerträglich sexy. Wie Silber in der Luft.

»Was war das?«, sagte Hicks.

»Die allgemeine Verkehrssprache der Golems in den letzten zwanzigtausend Jahren«, sagte Adora Belle.

»Wirklich? Höchst, äh, bewegend ... äh ... gut, wir wollen jetzt beginnen ...«

Im Kontor wagte niemand aufzublicken, als der Schreibtisch des Hauptkassierers wie ein altersschwacher Karren auf der Drehschreibe herumrumpelte. Das Papier flog unter Mavolio Beuges Händen, während sein Gehirn in Giften ertrank und seine Füße unablässig traten, um die dunklen Energien abzuarbeiten, die seine Seele erstickten.

Er rechnete nicht, jedenfalls nicht so, wie andere Menschen es taten. Berechnungen waren etwas für Leute, die nicht sehen konnten, wie die Antwort vor ihren Augen schwebte. Sehen war Wissen. So war es schon immer gewesen.

Der Berg der angesammelten Arbeiten schrumpfte, während der Zorn seiner Gedanken ihn plagte.

Ständig wurden neue Konten eröffnet. Und warum? Hatte es etwas mit Vertrauen zu tun? Mit Redlichkeit? Mit dem Streben nach Sparsamkeit? War es wegen irgendeiner Sache, die irgendetwas mit Wert zu tun hatte?

Nein! Es war wegen Lipwig! Leute, die Herr Beuge nie zuvor gesehen hatte und auch nie wiederzusehen hoffte, strömten in die Bank und schleppten ihr Geld in Kästen, in Sparschweinen und in vielen Fällen sogar in Socken heran. Manchmal trugen sie die Socken sogar noch!

Und sie taten es nur aufgrund von Worten! Die Geldsäcke der Bank füllten sich, weil der verfluchte Herr Lipwig die Leute zum Lachen brachte und ihnen Hoffnung machte. Die Leute mochten ihn. Niemand hatte je Herrn Beuge gemocht, soweit ihm bekannt war. Ja, da war die Liebe einer Mutter gewesen, die Arme eines Vaters, das eine kühl, das andere zu spät, aber was hatte es ihm gebracht? Am Ende hatte man ihn allein gelassen. Also war er fortgelaufen und hatte sich der grauen Karawane angeschlossen. Er hatte ein neues Leben begonnen, das auf Zahlen und Werten und verlässlichem Respekt gründete, und er hatte sich nach oben gearbeitet. Ja, er war ein Mann von Wert, und ja, er wurde respektiert. Allerdings. Selbst Herr Cosmo respektierte ihn.

Dann war Lipwig aus dem Nichts gekommen, und wer war er eigentlich? Niemand schien ihn zu kennen, mit Ausnahme des verdächtigen Kerls mit den lockeren Zähnen. Eben noch hatte es keinen Lipwig gegeben, und am nächsten Tag war er schon Postminister! Und nun war er in der Bank, ein Mann, der Werte mit Worten verwechselte und der vor niemandem Respekt hatte! Und er brachte die Leute zum Lachen - und die Bank füllte sich mit Geld!

Und haben die Üppigs dich üppig belohnt sagte eine vertraute Stimme in seinem Kopf. Es war ein verhasster kleiner Teil von ihm, den er jahrelang geprügelt und ausgehungert und in den Schrank zurückgetrieben hatte. Es war nicht die Stimme seines Gewissens. Er war die Stimme seines Gewissens. Es war die Stimme ... der Maske.

»Nein!«, entfuhr es Beuge. Einige Angestellte in der Nähe blickten auf, als sie die ungewohnte Lautäußerung hörten, und senkten hastig wieder die Köpfe, aus Angst, dass sein Blick auf sie fiel. Beuge starrte auf das Blatt Papier, das vor ihm lag, und beobachtete, wie die Zahlen vorbeizogen. Verlass dich auf die Zahlen! Sie lassen dich nie im Stich ...

Cosmo respektiert dich nicht, du Narr, du Dummkopf. Du hast die Bank für seine Familie geführt und hinter ihnen aufgeräumt! Du hast verdient, sie haben ausgegeben ... und nun lachen sie über dich. Du weißt, dass sie es tun. Der lächerliche Herr Beuge mit dem komischen Gang, lächerlich, lächerlich ...

»Geh weg, lass mich in Ruhe!«, flüsterte er.

Die Leute mögen ihn, weil er sie mag. Niemand mag Herrn Beuge.

»Aber ich habe Wert. Ich bin etwas wert!« Herr Beuge nahm sich eine andere Bilanz vor und suchte Trost in den Zahlenkolonnen. Aber er wurde weiter verfolgt...

Wo war dein Wert, als du die Zahlen zum Tanzen gebracht hast, Herr Beuge? Die unschuldigen Zahlen. Sie haben getanzt und Purzelbäume geschlagen, wenn du mit der Peitsche geknallt hast, und sie sind an die falschen Stellen getanzt, nicht wahr, weil Sir Joshua seine Quote verlangt hat. Wohin ist das Gold getanzt, Herr Beuge? Schall und Rauch!

»Nein!«

Im Kontor hörten alle Schreibstifte für ein paar Sekunden lang auf zu schreiben, bevor sie ihre Tätigkeit voller Hektik wieder aufnahmen.

Herrn Beuge tränten die Augen vor Scham und Wut, als er versuchte, seinen speziellen Füllfederhalter aufzuschrauben. In der gedämpften Stille des Raums hatte das Geräusch des grünen Füllers die gleiche Wirkung, als würde ein Henker seine Axt schärfen. Alle Angestellten beugten sich tief über ihre Tische. Herr Beuge hatte einen Fehler gefunden! Jetzt konnte jeder nur noch unbeirrt den Blick auf seine Arbeit richten und hoffen, dass es nicht sein Fehler war.

Irgendwer - und bitte, ihr Götter, lasst es nicht mich sein! - würde vor den hohen Schreibtisch treten müssen. Sie wussten, dass Herr Beuge keine Fehler mochte. Er glaubte, dass Fehler die Folge einer missgestalteten Seele waren.

Als sie den Füllfederhalter des Verderbens hörten, eilte eine der leitenden Angestellten an Herrn Beuges Seite. Die Mitarbeiter, die das Risiko eingingen, durch Herrn Beuges stechende Augen in Wasser verwandelt zu werden, wagten einen kurzen Blick und sahen, wie ihr das Anstoß erregende Dokument gezeigt wurde. Es war ein leises, tadelndes Schnalzen zu hören. Als sie über die Stufen zurückging und den Raum durchquerte, hallten ihre Schritte in tödlicher, von lautlosen Gebeten erfüllter Stille wider. Sie wusste es noch nicht, als sie mit blitzenden Schnürstiefeln zum Schreibtisch eines der jüngsten und neuesten Angestellten eilte, aber sie würde gleich einem jungen Mann begegnen, der dazu bestimmt war, als einer der großen Helden des Bankwesens in die Geschichte einzugehen.

Düstere Orgelmusik tönte durch das Institut für Postmortale Kommunikation. Feucht vermutete, dass sie zum Ambiente beitragen sollte, obwohl die Stimmung etwas passender gewesen wäre, wenn es sich bei diesem Stück nicht um die Kantate und Fuge für jemanden, der Schwierigkeiten mit den Pedalen hat, gehandelt hätte.

Als die letzte Note nach schwerem Leiden verklang, drehte sich Dr. Hicks auf dem Hocker herum und nahm die Maske ab.

»Entschuldigt bitte, aber manchmal habe ich zwei linke Füße. Könntet ihr beiden vielleicht ein bisschen singen, während ich die mystischen Handbewegungen ausführe? Der Text spielt keine Rolle. Alles scheint zu funktionieren, was einigermaßen düster klingt.«

Während er im Kreis herumging und verschiedene Varianten von Ooh! und Raah! intonierte, fragte sich Feucht, wie viele Bankiers im Verlauf eines Nachmittags Tote zum Leben erweckten. Wahrscheinlich war es keine sehr große Zahl. Er sollte das alles hier nicht tun. Er sollte sich damit beschäftigen, Geld zu machen. Eulr... Klemme musste inzwischen mit dem Entwurf fertig sein. Schon morgen konnte er seinen ersten Geldschein in den Händen halten! Und dann war da noch der verdammte Krippling, der sonst wem etwas erzählen mochte. Nun gut, der Mann hatte mehr auf dem Kerbholz, als auf ein Rollhandtuch passte, aber die Stadl wurde durch Allianzen am Leben erhalten, und wenn er sich mit den Üppigs traf, würde Feuchts Leben bis zurück zum Galgen aufgerollt werden ...

»Zu meiner Zeit haben wir wenigstens eine anständige Maske gemietet«, brummte eine ältere Stimme. »Ist das da drüben etwa eine Frau?«

Eine Gestalt war im Kreis erschienen, ohne weitere Umstände oder Aufhebens, abgesehen von der brummenden Stimme. Es war in jeglicher Hinsicht das Paradebeispiel eines Zauberers - im Zaubergewand, mit spitzem Hut, mit Bart und der Würde des Alters, ergänzt durch einen silbrigen, monochromen Schimmer und eine gewisse Durchsichtigkeit.

»Ah, Professor Flett«, sagte Hicks, »sehr freundlich, dass du dich zu uns gesellst...«

»Du weißt, dass du mich hergeholt hast, und es ist ja nicht gerade so, dass ich sonst etwas zu tun hätte«, sagte Flett. Er wandte sich wieder Adora Belle zu und sprach sie mit sirupsüßer Stimme an. »Wie ist dein Name, meine Liebe?«

»Adora Belle Liebherz.« Den warnenden Tonfall schien Flett nicht zu bemerken.

»Wie entzückend«, sagte er und schenkte ihr ein zahnloses Lächeln. Bedauerlicherweise gerieten dadurch die dünnen Speichelfäden in seinem Mund ins Vibrieren wie das Netz einer sehr alten Spinne. »Kannst du dir vorstellen, dass du eine frappierende Ähnlichkeit mit meiner geliebten Konkubine Fenti hast, die vor über dreihundert Jahren verstarb? Die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend!«

»Ich würde sagen, das klingt wie ein Anbaggerspruch«, sagte Adora Belle.

»Ach du liebe Güte, dieser Zynismus!«, seufzte der verstorbene Flett und wandte sich nun dem Leiter des Instituts für Postmortale Kommunikation zu. »Abgesehen vom hübschen Gesang dieser jungen Dame war die Vorstellung eher enttäuschend, Hicks«, sagte er streng. Er versuchte, Adora Belles Hand zu tätscheln, aber seine Finger glitten einfach durch ihre hindurch.

»Es tut mir leid, Professor, aber uns wurden schon wieder die Mittel gekürzt.«

»Ich weiß, ich weiß. So war es schon immer, Doktor. Selbst zu meiner Zeit musste man, wenn man eine Leiche benötigte, hinausgehen und selber eine suchen. Und wenn man keine finden konnte, musste man sich eben selber eine machen! Heute ist alles so nett, so verflucht korrekt. Theoretisch geht es auch mit einem frisch gelegten Ei, aber wo bleibt der Stil? Ich habe gehört, dass sie jetzt eine Maschine gebaut haben, die denken kann, aber die Schönen Künste mussten sich natürlich schon immer ganz hinten anstellen! Also muss ich mich mit dem hier abfinden: einem recht unfähigen Postmortalen Kommunikator und zwei Leuten aus dem Städtischen Brummchor!«

»Die Nekromantie gehört zu den Schönen Künsten?«, fragte Feucht.

»Es gibt keine schönere, junger Mann. Wenn man nur ein wenig von der ästhetischen Ausgewogenheit abweicht, könnte es sein, dass die Geister der rachsüchtigen Toten durch die Ohren in deinen Kopf eindringen und dafür sorgen, dass du dein Gehirn durch die Nase ausniest.«

Die Blicke von Feucht und Adora Belle richteten sich auf Dr. Hicks, als wären sie Bogenschützen, die ihr Ziel anvisierten. Er wedelte hektisch mit den Händen und flüsterte: »Das passiert nicht oft!«

»Und was macht eine hübsche junge Dame wie du in diesen Gewölben, hmm?«, sagte Flett und versuchte erneut, nach Adora Beiles Hand zu greifen.

»Ich versuche einen ähmianischen Satz zu übersetzen«, sagte sie, bedachte ihn mit einem steifen Lächeln und wischte sich geistesabwesend die Hand am Kleid ab.

»Erlaubt man den Frauen heutzutage, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen? Wie spaßig! Weißt du, was ich am meisten bedauere? Dass ich in den Zeiten, als ich noch über einen Körper verfügte, ihm viel zu selten erlaubt habe, sich in Gesellschaft junger Damen aufzuhalten ...«

Feucht blickte sich um und suchte nach einer Art Notschalter. Irgend so etwas musste es hier geben, und sei es auch nur für den Fall, dass es zu einer nasalen Zerebralexplosion kam.

Er schlich sich an Hicks’ Seite. »In wenigen Augenblicken könnte es richtig schlimm werden!«, flüsterte er.

»Kein Problem, ich kann ihn innerhalb kürzester Zeit in die Untote Zone verbannen!«, flüsterte Hicks zurück.

»Das dürfte nicht weit genug weg sein, wenn sie die Beherrschung verliert! Ich habe gesehen, wie sie einmal mit ihrem Bleistiftabsatz den Fuß eines Mannes durchbohrt hat, während sie eine Zigarette rauchte. Sie hat jetzt schon seit über fünfzehn Minuten keine Zigarette mehr geraucht, also kann niemand sagen, wozu sie fähig sein wird!«

Doch Adora Belle hatte bereits den Golemarm aus dem Beutel gezogen, und in den Augen des verstorbenen Professors funkelte jetzt etwas mehr als romantische Zuneigung. Die Wollust zeigt sich in vielen Varianten.

Er hob den Arm auf. Das war die zweite Überraschung. Doch dann erkannte Feucht, dass der Arm immer noch zu Fletts Füßen lag, während er ein weißlich schimmerndes Geisterbild in den Händen hielt.

»Aha, ein Stück von einem ähmianischen Golem«, sagte er. »Ziemlich schlecht erhalten. Außerordentlich selten. Wahrscheinlich in oder um Ahm ausgegraben, richtig?«

»Kann sein«, sagte Adora Belle.

»Hmm. Kann sein, wie?«, sagte Flett und drehte den Phantomarm um. »Wie hauchdünn er ist! Leicht wie eine Feder, aber stabil wie Stahl, während in ihm noch das Feuer brannte! So etwas hat es seitdem nie wieder gegeben!«

»Vielleicht weiß ich, wo solches Feuer immer noch brennt«, sagte Adora Belle.

»Nach sechzigtausend Jahren? Das glaube ich kaum, Gnädigste!«

»Das sehe ich anders.«

Wenn sie etwas in diesem Tonfall sagte, widmete ihr jeder seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Damit vermittelte sie absolute Gewissheit. Feucht hatte jahrelang hart daran gearbeitet, eine solche Stimme zu bekommen.

»Willst du damit sagen, dass ein ähmianischer Golem überlebt hat?«

»Ja. Insgesamt vier, glaube ich«, sagte Adora Belle.

»Können sie singen?«

»Zumindest einer.«

»Ich würde alles dafür geben, einen von ihnen zu sehen, bevor ich sterbe«, sagte Flett.

»Ah ...«, begann Feucht.

»Schon gut, nur eine Redensart«, sagte Flett und winkte gereizt ab.

»Ich denke, das ließe sich arrangieren«, sagte Adora Belle. »Wir haben ihr Lied bereits in Boddelys phonetische Runen transkribiert.« Sie kramte in ihrem Beutel und holte eine kleine Schriftrolle hervor. Flett griff danach, und wieder hielt er das schimmernde Phantom der Rolle in den Händen.

»Es scheint sich um Kauderwelsch zu handeln«, sagte er, als er den Text überflogen hatte, »obwohl ich sagen muss, dass Ähmianisch auf den ersten Blick meistens diesen Eindruck erweckt. Ich brauche etwas Zeit, um das Ganze gründlich durchzugehen. Ähmianisch ist eine ausgesprochen kontextuelle Sprache. Hast du diese Golems gesehen?«

»Nein, unser Tunnel ist eingestürzt. Wir können nicht einmal mehr mit den Golems reden, die ihn gegraben haben. Unter dem Meer sind Lieder nicht sehr weit zu hören. Aber wir glauben, dass sie ... ungewöhnliche Golems sind.«

»Wahrscheinlich aus Gold«, sagte Flett, und seine Worte verhallten in nachdenklichem Schweigen.

Dann sagte Adora Belle: »Oh.« Feucht schloss die Augen, und auf der Innenseite seiner Lider marschierten glänzend die Goldreserven von Ankh-Morpork auf und ab.

»Jeder, der über Ähm forscht, stößt irgendwann auf die Legende des goldenen Golems«, sagte Flett. »Vor sechzigtausend Jahren saß irgendein Medizinmann an einem Feuer, machte eine Tonfigur und fand heraus, wie man sie zum Leben erwecken konnte. Und das war die einzige Erfindung, die sie überhaupt machen mussten, wusstet ihr das? Seitdem ist es niemandem mehr gelungen, einen zu erschaffen. Aber die Ähmianer haben niemals Eisen verarbeitet! Sie haben nie den Spaten oder das Rad erfunden! Golems hüteten ihr Vieh und webten ihre Kleidung! Allerdings haben die Ähmianer durchaus ihren eigenen Schmuck hergestellt, auf dem hauptsächlich Szenen von Menschenopfern abgebildet sind, und zwar in jeder Hinsicht sehr kunstvoll. Auf diesem Gebiet waren sie außerordentlich erfindungsreich. Es handelte sich natürlich um eine Theokratie«, fügte er mit einem Schulterzucken hinzu. »Ich weiß nicht, was Stufenpyramiden an sich haben, dass sie immer die schlimmsten Seiten eines Gottes zum Vorschein bringen ... Auf jeden Fall haben sie mit Gold gearbeitet. Sie haben ihre Priester darin gekleidet. Und es ist durchaus möglich, dass sie daraus auch ein paar Golems gemacht haben. Oder der >goldene Golem< war nur eine Metapher, die sich auf den großen Wert bezog, den die Golems für die Ähmianer hatten. Wenn Menschen zum Ausdruck bringen wollen, dass etwas großen Wert hat, kommt ihnen immer wieder das Wort >Gold< in den Sinn ...«

»Nicht wahr?«, murmelte Feucht.

»... oder es ist einfach nur eine Legende ohne reale Grundlage. Bei der Erkundung der Ausgrabungsstätte wurden niemals mehr als ein paar winzige Fragmente zerbrochener Golems gefunden«, sagte Flett, lehnte sich zurück und machte es sich auf einer Sitzgelegenheit aus Luft bequem.

Er zwinkerte Adora Belle zu. »Vielleicht hast du ja woanders gesucht. Heißt es nicht in einer Geschichte, dass nach dem Tod aller Menschen die Golems ins Meer marschiert sind ...?« Das Fragezeichen hing buchstäblich wie ein Haken in der Luft.

»Eine interessante Geschichte«, sagte Adora Belle mit Pokermiene.

Flett lächelte. »Ich werde den Sinn dieser Botschaft ergründen. Natürlich werden wir uns morgen Wiedersehen, nicht wahr? 

»«

Feucht gefiel der Klang dieser Worte überhaupt nicht, was auch immer sie bedeuten mochten. Dass Adora Belle dabei lächelte, machte es auch nicht besser.

Flett fügte hinzu: »«

»Hast du das wirklich, Herr?«, sagte Adora Belle lachend.

»Nein, aber ich habe ein ausgezeichnetes Gedächtnis!«

Feucht runzelte die Stirn. Es hatte ihm besser gefallen, als sie dem alten Teufel die kalte Schulter gezeigt hatte. »Können wir jetzt gehen?«, sagte er.

Hammerschmied Wasserhuhn, zweiter Buchhalter in der Probezeit, beobachtete, wie Fräulein Gardinia immer näher kam, und zwar mit weniger Besorgnis als seine älteren Kollegen. Diese wussten, dass der Grund dafür die Unwissenheit des jungen Mannes war, weil er noch nicht lange genug in der Bank gearbeitet hatte, um die Bedeutung dessen zu verstehen, was ihm bevorstand.

Die erste Buchhalterin legte den Zettel mit Nachdruck auf seinen Schreibtisch. Um die Gesamtsumme war mit grüner, noch feuchter Tinte ein Kreis gezogen worden. »Herr Beuge«, sagte sie mit einer Spur von Genugtuung, »lässt ausrichten, dass du diese Berechnung noch einmal korrekt durchführen musst.«

Und weil Hammerschmied ein wohlerzogener junger Mann war und weil es seine erste Woche in der Bank war, sagte er: »Ja, Fräulein Gardinia.« Er nahm den Zettel entgegen und machte sich an die Arbeit.

Über das, was als Nächstes geschah, wurden viele unterschiedliche Geschichten erzählt. In den folgenden Jahren maßen die Buchhalter ihre Erfahrung als Bankiers daran, wie nahe sie am Geschehen gewesen waren, als die große Sache passierte. Man war sich uneinig darüber, was tatsächlich gesagt worden war. Fest stand nur, dass es nicht zu Gewalttätigkeiten gekommen war, obwohl das in manchen Geschichten behauptet wurde. Aber es war ein Tag, der die Welt - oder zumindest den Teil davon, der das Kontor einschloss - in die Knie zwang.

Alle waren sich darin einig, dass Hammerschmied einige Zeit darauf verwandte, die Prozentsätze nachzurechnen. Die Leute sagen, dass er ein Notizbuch zückte - ein privates Notizbuch, was für sich genommen bereits unerhört war - und darin ein paar Berechnungen anstellte. Dann, nach etwa fünfzehn Minuten oder auch einer halben Stunde, je nachdem, wer die Geschichte erzählte, ging er zum Schreibtisch von Fräulein Gardinia hinüber und erklärte: »Es tut mir sehr leid, Fräulein Gardinia, aber ich kann keinen Fehler finden. Ich habe meine Berechnungen überprüft und bin der Ansicht, dass meine Endsumme korrekt ist.«

Seine Stimme war gar nicht sehr laut, aber im Raum wurde es schlagartig still. Es wurde sogar noch stiller als nur still. Die gespannte Konzentration von etwa einhundert Ohren ging so weit, dass Spinnen, die an der Decke ihre Netze woben, den Sog der angehaltenen Luft spürten. Hammerschmied wurde an seinen Schreibtisch zurückgeschickt, um »alles noch einmal nachzurechnen und anderen Leuten nicht die Zeit zu stehlen«. Und nach weiteren zehn, manche behaupten, fünfzehn Minuten ging Fräulein Gardinia zu seinem Schreibtisch und blickte ihm über die Schulter.

Die meisten Leute sind sich darin einig, dass nach ungefähr einer halben Minute sie den Zettel in die Hand nahm, einen Schreibstift aus dem straffen Dutt an ihrem Hinterkopf zog, dem jungen Mann befahl, ihr Platz zu machen, sich setzte und eine Zeitlang auf die Zahlen starrte. Schließlich stand sie wieder auf und ging zum Schreibtisch eines anderen Buchhalters. Gemeinsam brüteten sie über dem Zettel. Ein dritter Buchhalter wurde dazugeholt. Er schrieb die Anstoß erregenden Zahlen ab, beschäftigte sich eine Weile damit und blickte irgendwann mit grauem Gesicht auf. Niemand musste es laut aussprechen. Inzwischen arbeitete niemand mehr im Kontor, außer Herrn Beuge, der auf seinem erhöhten Platz immer noch in den Zahlen schwelgte, die vor ihm lagen, und hörbar vor sich hinmurmelte.

Die Leute spürten es in der Luft liegen.

Herr Beuge hatte einen Fehler gemacht.

Die dienstältesten Buchhalter berieten sich hastig in einer Ecke.

Es gab keine höhere Stelle, an die sie sich hätten wenden können.

Hlerr Beuge war die höchste Stelle, er wurde bestenfalls vom unerbittlichen Gott der Mathematik übertroffen. Schließlich blieb es dem glücklosen Fräulein Gardinia überlassen, die kurz zuvor noch die Übermittlerin von Herrn Beuges Missfallen gewesen war, auf das Dokument zu schreiben: »Entschuldigung, Herr Beuge, aber ich glaube, dieser junge Mann hat Recht.« Sie schob ihn ganz unten unter mehrere Zettel mit Abrechnungen, die sie in seinen Eingangskorb legte, dann hallten die Schritte ihrer kleinen Stiefel quer durch den Saal, als sie sich weinend zur Damentoilette flüchtete, wo sie einen hysterischen Anfall erlitt.

Die verbliebenen Mitarbeiter blickten sich misstrauisch um wie Monster aus grauer Vorzeit, die sahen, wie eine zweite Sonne am Himmel immer größer wurde, aber nicht die leiseste Ahnung hatten, was sie dagegen tun sollten. Herr Beuge war jemand, der seinen Eingangskorb sehr schnell abarbeitete, und wie es aussah, würde es nur noch höchstens zwei Minuten dauern, bevor er mit der Nachricht konfrontiert wurde. Plötzlich flüchteten sie alle auf einmal zu den Ausgängen.

»Und wie war es für dich?«, fragte Feucht, als sie ins Sonnenlicht hinaustraten.

»Höre ich da einen gereizten Unterton heraus?«, fragte Adora Belle zurück.

»Meine Planung für den heutigen Tag sah jedenfalls nicht vor, mit einer dreihundert Jahre alten lüsternen Leiche zu plaudern.«

»Er ist keine Leiche, sondern ein Geist!«

»Trotzdem hat er eine sehr lebendige Lüsternheit an den Tag gelegt.«

»Alles nur auf rein geistiger Ebene«, sagte Adora Belle.

»Normalerweise regst du dich furchtbar auf, wenn jemand dich so behandelt!«

»Richtig. Aber die meisten Leute sind nicht imstande, eine Sprache zu übersetzen, die so alt ist, dass selbst Golems nur ein Zehntel davon verstehen. Leg dir eine ähnliche Fähigkeit zu, dann hältest du scharenweise Mädchen um dich, wenn du seit dreihundert Jahren tot bist.«

»Du hast nur mit ihm geflirtet, um zu bekommen, was du wolltest?«

Adora Belle blieb mitten auf dem Platz stehen und drehte sich zu Feucht um. »Na und? Du flirtest doch die ganze Zeit mit den Leuten. Du flirtest mit der ganzen Welt! Das ist es, was dich interessant macht, weil du weniger wie ein Dieb, sondern eher wie ein Musiker bist. Du willst auf der Welt spielen, vor allem die kniffligen Sachen. Und jetzt gehe ich nach Hause und gönne mir ein Bad. Ich habe heute Früh noch in der Kutsche gesessen, falls du dich erinnerst.«

»Heute Früh«, sagte Feucht, »habe ich festgestellt, dass jemand aus meinem Personal den Verstand eines anderen Mitarbeiters mit dem einer Steckrübe ausgetauscht hat.«

»War das gut?«, wollte Adora Belle wissen.

»Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn ich noch einmal nachsehe. Tja, wir scheinen beide einen schweren Tag gehabt zu haben. Ich schicke dir um halb acht eine Droschke, einverstanden?«

Krippling hatte großen Spaß. Er hatte noch nie viel fürs Lesen übrig gehabt - bis jetzt. Natürlich konnte er lesen. Und auch schreiben - in netter Kursivschrift, die die Leute sehr elegant fanden. Und er hatte die Times schon immer wegen ihrer klaren, lesbaren Schrifttype geliebt und hatte mit Hilfe einer Schere und einem Topf Klebstoff oft auf diese Zeitung zurückgegriffen, wenn er eine jener Botschaften verfasst hatte, die sich weniger durch hübsche Gestaltung, sondern durch ausgeschnittene Wörter und Buchstaben und mit etwas Glück sogar ganze Redewendungen auszeichneten. Zum Vergnügen zu lesen war nie seine Sache gewesen. Doch nun las er, und wie, und es war außerordentlich erfreulich, sehr sogar! Es war erstaunlich, was man alles herausfinden konnte, wenn man wusste, wonach man suchte! Und jetzt war es wie Silvester und alle anderen Feiertage auf einmal...

Eine Tasse Tee, Ehrwürden?«, sagte eine Stimme an seiner Seite. Es war die dicke Dame, die für das Archiv mit den alten Ausgaben der Times zuständig war. Sie hatte ihn ins Herz geschlossen, kaum dass er vor ihr den Hut gelüftet hatte. Sie hatte den leicht wehmütigen, leicht hungrigen Blick, den so viele Frauen eines gewissen Alters haben, wenn sie entschieden haben, sich lieber auf die Götter zu verlassen, weil sie auf keinen Fall weiterhin Männern vertrauen können.

»Danke sehr, Schweschter«, sagte er freudestrahlend. »Steht nicht geschrieben: >Die barmherzige Tasse ist mehr wert als das hingeworfene Huhn<?«

Dann bemerkte er die kleine unscheinbare Schöpfkelle aus Silber, die sie sich an den Busen geheftet hatte, und dass ihre Ohrringe aus zwei winzigen Fischscheiben bestanden. Ja, die heiligen Symbole der Anoia. Auf den Religionsseiten hatte er gerade etwas über sie gelesen. In letzter Zeit war sie groß im Kommen, dank der Mithilfe des jungen Spangler. Dabei hatte sie viel bescheidener angefangen, als Göttin für Dinge, die in Schubladen klemmen, aber in dem Artikel war es darum gegangen, dass sie nun als Göttin für hoffnungslose Fälle gehandelt wurde, was ein sehr profitabler Bereich war, vor allem für jemanden mit eher flexibler Herangehensweise an die Dinge. Aber, und dabei seufzte er innerlich, es war keine allzu gute Idee, Geschäfte zu machen, wenn die fragliche Göttin aktiv war, falls Anoia nämlich zornig wurde und einen neuen Verwendungszweck für die Fischscheiben fand. Außerdem wäre er bald in der Lage, all das hinter sich zu lassen. Spangler hatte sich in der Tat als außerordentlich gerissener junger Kerl erwiesen! Ein teuflischer kleiner Schleicher! Diese Angelegenheit wäre auf keinen Fall schnell vorbei, oh nein. Sie war eine sichere Pension bis an sein Lebensende. Und es würde ein sehr, sehr langes Leben sein, denn sonst...

»Kann ich dir sonst noch etwas bringen, Ehrwürden?«, fragte die Frau besorgt.

»Meine Tasse fließet über, Schweschter«, sagte Krippling.

Der besorgte Gesichtsausdruck der Frau verstärkte sich. »Oh, das tut mir leid! Ich hoffe, es ist nichts auf die Zeitungen ...«

Krippling legte vorsichtig eine Hand über die Tasse. »Ich meine damit, dass ich mehr als tschufrieden bin«, sagte er, und das war er auch. Es war ein verdammtes Wunder, nicht mehr und nicht weniger. Wenn Om damit so freigiebig war, würde er vielleicht sogar anfangen, an ihn zu glauben.

Und es wurde immer besser, je mehr man darüber nachdachte, sagte sich Krippling, als die Frau davoneilte. Wie hatte der Junge das gemacht? Er musste Helfer gehabt haben. Zum Beispiel den Henker, ein paar Gefängniswärter ...

Gedankenverloren nahm er mit einem schnappenden Geräusch seine falschen Zähne heraus, spülte sie behutsam im Tee, tupfte sie mit seinem Taschentuch trocken und zwängte sie sich wieder in den Mund, wenige Sekunden bevor Schritte ihm verrieten, dass die Frau zurückkehrte. Sie vibrierte geradezu vor Anspannung.

»Verzeihung, Ehrwürden, aber dürfte ich dich vielleicht um einen Gefallen bitten?«, sagte sie und wurde dabei knallrot.

»Nga kürich ... eiche! Kchulligunk ...« Krippling wandte ihr den Rücken zu und setzte die vermaledeiten falschen Zähne unter diversen Knack- und Pling-Lauten richtig herum ein. Verfluchtes Ding! Warum er sich damals die Mühe gemacht hatte, sie dem alten Mann aus dem Mund zu hebeln, würde ihm ein ewiges Rätsel bleiben.

»Ich bitte um Vertscheihung, Schweschter, ein kleines dentales Missgeschick ...«, murmelte er, als er sich wieder umdrehte und sich den Mund abtupfte. »Bitte fahr fort.«

»Es ist komisch, dass du das erwähnst, Ehrwürden«, sagte die Frau, deren Augen vor Nervosität strahlten, »weil ich nämlich zu einer kleinen Damengruppe gehöre, die einen, nun ja, Gott-des-Monats-Club gegründet hat. Äh ... das heißt, wir suchen uns einen Gott aus und glauben dann an ihn ... oder sie, natürlich, oder auch es, obwohl wir die Grenze bei denen ziehen, die zu viele Zähne und Beine haben. Und dann beten wir einen Monat lang zu ihm, und anschließend setzen wir uns wieder zusammen und diskutieren darüber. Es gibt ja so viele, nicht wahr? Tausende! Mit Om haben wir uns noch nicht richtig beschäftigt, aber wenn du uns vielleicht am nächsten Dienstag einen kleinen Vortrag halten würdest, bin ich mir sicher, dass wir es sehr gerne auch mal mit ihm probieren werden!«

Sprungfedern quietschten, als Krippling ihr ein breites Lächeln schenkte. »Wie ist dein Name, Schweschter?«

»Berenice«, sagte sie. »Berenice, äh, Hauser.«

Aha, sie benutzt den Namen des Mistkerls nur noch ungern, sehr klug, dachte Krippling. »Das ist eine wunderbare Idee, Berenice«, sagte er. »Es wäre mir ein grosches Vergnügen!«

Sie strahlte.

»Hier gibt es nicht zufällig Kekse, oder, Berenice?«, fügte Krippling hinzu.

Frau Hauser errötete. »Ich glaube, irgendwo habe ich noch welche mit Schokolade«, sagte sie, als würde sie ihm ein großes Geheimnis offenbaren.

»Möge Anoia an deinen Schubladen rütteln, Schweschter«, sagte Krippling zu ihrem Rücken, als sie sich entfernte.

Wunderbar, dachte er, während sie mit glücklich gerötetem Gesicht davoneilte. Er steckte sein Notizbuch in die Jacke, lehnte sich zurück und lauschte auf das Ticken der Wanduhr und das leise Schnarchen der Bettler, die an einem heißen Nachmittag normalerweise die einzigen Besucher in diesem Büro waren. Alles war friedlich, ruhig und ordentlich, wie es im Leben eben sein sollte.

Von heute an würde sein Kuchenteller immer gefüllt sein.

Sofern er sehr, sehr vorsichtig war.

Feucht lief durch die Krypta auf das helle Licht am Ende zu. Dort stieß er auf eine Szene der Friedseligkeit. Hubert stand vor dem Blupper und klopfte gelegentlich gegen ein Röhrchen. Igor blies ein seltsames Glasgebilde über seinem kleinen Ofen, und Herr Klemme, vormals Eulrich Janken, saß mit entrücktem Blick an seinem Schreibtisch.

Feucht spürte das bevorstehende Unheil. Etwas stimmte nicht. Vielleicht war es gar nicht einmal etwas Bestimmtes, sondern nur eine rein platonische Unrichtigkeit - und Herrn Klemmes Miene gefiel ihm ganz und gar nicht.

Doch das menschliche Gehirn, das nur durch Hoffnung von einer Sekunde zur nächsten überlebt, wird stets versuchen, den Augenblick der Wahrheit hinauszuzögern. Feucht näherte sich dem Schreibtisch und rieb sich die Hände. »Und wie läuft es so, Eul... - ich meine, Herr Klemme?«, sagte er. »Sind wir jetzt fertig?«

»Oh, ja«, sagte Klemme mit einem seltsamen, freudlosen Lächeln auf dem Gesicht. »Hier ist es.«

Vor ihm auf dem Tisch lag die Rückseite der ersten richtigen Dollarnote, die jemals entworfen werden sollte. Feucht hatte schon ähnliche Zeichnungen gesehen, aber bisher ausschließlich von Vierjährigen im Kindergarten. Das Gesicht, das vermutlich Lord Vetinari darstellen sollte, bestand aus zwei Punkten als Augen und einem breiten Grinsen. Das Panorama der Metropole Ankh-Morpork schien aus lauter quadratischen Häusern zu bestehen, mit einem Fenster, ebenfalls quadratisch, an jeder Ecke und einer Tür in der Mitte.

»Ich glaube, das gehört zum Besten, was ich je vollbracht habe«, sagte Klemme.

Feucht klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und marschierte dann zu Igor hinüber, der bereits in Abwehrhaltung ging.

»Was hast du mit diesem Mann gemacht?«, fragte Feucht.

»Ich habe auf ihm eine aufgewogene Perfönlichkeit gemacht, die nicht mehr mit den Dämonen der Forge, der Furcht und def Verfolgungwahnf leben muff«, sagte Igor.

Feucht warf einen Blick auf Igors Werkbank, was in jedem Fall ein mutiges Unterfangen war. Darauf stand ein Glas, in dem etwas Unidentifizierbares schwamm. Feucht sah genauer hin - eine weitere Heldentat, wenn man sich in Gegenwart eines oder mehrerer Igors befand.

Es war keine glückliche Rübe. Sie war fleckig. Sie stieß ständig gegen die Wände des Gefäßes und überschlug sich gelegentlich.

»Ich verstehe«, sagte Feucht. »Aber bedauerlicherweise macht es den Eindruck, dass du unserem Freund nicht nur die entspannte und hoffnungsfrohe Lebenseinstellung einer Rübe verliehen hast, sondern auch die künstlerischen Fähigkeiten einer solchen!«

»Aber er ekfiftiert nun viel glücklicher im Hier und Jepft«, sagte Igor.

»Richtig, aber wie viel von ihm existiert überhaupt noch, wenn er nur noch ein Stück Gemüse ist? Und zwar - nein, ich zögere nicht, das Wort noch einmal auszusprechen - eine Rübe!«

Igor dachte einen Moment lang darüber nach. »Alf Medipfiner, Herr«, sagte er, »muff ich berückfichtigen, waf daf Befte für den Papfienten ift. Im Moment ift er glücklich und pfufrieden und kennt keine Forgen. Warum follte er all daf aufgeben, nur um mit einem Pfeichenftift umgehen pfu können?«

Feucht wurde sich eines beharrlichen Pochens bewusst. Es war die Rübe, die sich gegen die Wand des Gefäßes warf. »Das ist ein sehr interessanter philosophischer Einwand«, sagte er und musterte erneut Klemmes seligen, wenn auch etwas unkonzentrierten Blick. »Aber mir scheint, dass es eher die unangenehmen kleinen Details waren, die - wie soll ich sagen? - ihn ausgemacht haben.« Das verzweifelte Pochen des Wurzelgemüses wurde lauter. Igor und Feucht blickten vom Glasbecher zu dem gespenstisch lächelnden Mann.

»Igor, ich bin mir nicht sicher, ob dir klar ist, wie Menschen ticken.«

Igor antwortete mit einem jovialen Schmunzeln. »Oh, du kannft mir glauben, Herr ...«

»Igor?«, sagte Feucht.

»Ja, Meifter?«, sagte Igor düster.

»Geh und hol noch einmal diese verdammten Drähte, ja?«

»Ja, Meifter.«

Als Feucht wieder nach oben gestiegen war, fand er sich inmitten einer allgemeinen Panik wieder. Fräulein Gardinia entdeckte ihn und kam mit schnellen, klackenden Schritten herüber.

»Es ist Herr Beuge, Herr. Er ist gerade schreiend nach draußen gestürmt! Wir können ihn nirgendwo finden!«

»Warum sucht ihr nach ihm?«, fragte Feucht, und dann wurde ihm bewusst, dass er den Gedanken laut ausgesprochen hatte. »Ich meinte, was hat das alles zu bedeuten?«

Während Fräulein Gardinia die Geschichte erzählte, gewann Feucht den Eindruck, dass alle anderen Zuhörer verstanden, worum es ging, nur er nicht.

»Ja, gut, er hat also einen Fehler gemacht«, sagte er. »Aber es ist doch weiter nichts passiert, oder? Es wurde doch alles geregelt, nicht wahr? Vielleicht ist es ein bisschen peinlich, aber ...« Aber ein Fehler, rief er sich ins Gedächtnis, ist schlimmer als eine Sünde, nicht wahr?

Aber das ist doch völlig bescheuert, gab die vernünftige Hälfte seines Geistes zu bedenken. Er hätte auch etwas sagen können wie: »Seht ihr? Sogar ich kann in einem Moment kurzer Unaufmerksamkeit einen Fehler machen! Wir dürfen niemals in unserer Aufmerksamkeit nachlassen!« Oder: »Das habe ich absichtlich gemacht, um euch zu prüfen!« Selbst Schulmeister kennen diese Ausrede! Ich kann mir mindestens zehn Möglichkeiten ausdenken, wie man sich aus so etwas herauswindet. Allerdings wurde mir diese Fähigkeit in die Wiege gelegt. Ich glaube nicht, dass Herr Beuge sich irgendwann in seinem Leben schon einmal aus etwas herausgewunden hat.

»Ich hoffe sehr, dass er nichts ... Dummes getan hat«, sagte Fräulein Gardinia und zog ein zerknülltes Taschentuch aus einem Ärmel.

Etwas ... Dummes, überlegte Feucht. Diese Redensart benutzten die Leute, wenn sie daran dachten, dass jemand in den Fluss springen oder den Inhalt eines Medikamentenfläschchens in einem Zug leeren könnte. Diese Art von Dummheit.

»Ich habe nie einen Menschen kennen gelernt, der weniger zu Dummheiten neigt«, sagte er.

»Nun ja, äh ... wir haben uns schon immer über ihn gewundert, um ehrlich zu sein«, sagte ein Buchhalter. »Ich meine, er ist morgens als Erster da, und eine der Putzfrauen erzählte mir, dass er oft bis spät in die Nacht arbeitet... Was? Was soll das? Das hat wehgetan!«

Fräulein Gardinia, die ihm einen kräftigen Ellbogenstoß in die Rippen versetzt hatte, flüsterte ihm nun eindringlich etwas ins Ohr. Der Mann schien in sich zusammenzufallen und warf Feucht einen betroffenen Blick zu. »Entschuldigung, Herr, ich habe mich ungefragt zu Wort gemeldet«, murmelte er.

»Herr Beuge ist ein guter Mann, Herr Lipwig«, sagte Fräulein Gardinia. »Wenn es um die Arbeit geht, kennt er keine Schonung.«

»Mir scheint, dass er keinen von euch schont«, sagte Feucht.

Dieser Versuch, sich mit der Arbeiterklasse zu solidarisieren, schien keine Wirkung zu zeigen.

»Wenn du die Hitze nicht aushältst, geh vom Topf runter, sage ich immer«, rief ein älterer Buchhalter und erntete damit zustimmendes Raunen.

»Äh, ich glaube, man sollte aus der Küche gehen«, sagte Feucht. »Vom Topf runtergehen wäre die Alternative, wenn ...«

»Die Hälfte aller Hauptkassierer der Ebene haben in diesem Kontor gearbeitet«, sagte Fräulein Gardinia. »Genauso wie mehrere Geschäftsführer. Und Fräulein Lee, die stellvertretende Direktorin von Apslys Kommerzbank in Sto Lat geworden ist. Sie hat die Stellung wegen des Briefes bekommen, den Herr Beuge geschrieben hat. Sie ist aus der Beuge-Schule, verstehst du? Das ist sehr viel wert. Wenn man eine Empfehlung von Herrn Beuge hat, kann man in jede Bank spazieren und muss nur mit den Fingern schnippen, um angestellt zu werden.«

»Und wenn man hierbleibt, ist die Bezahlung besser als irgendwo sonst«, warf ein anderer Buchhalter ein. »Er hat dem Aufsichtsrat gesagt: Wenn ihr die Besten wollt, müsst ihr dafür bezahlen!«

»Er ist natürlich sehr streng«, sagte ein anderer, »aber wenn ich höre, dass jetzt viele Leute für einen Humankapitalverwalter in der Bank von Rohrort arbeiten, würde ich Herrn Beuge auf jeden Fall vorziehen. Wenigstens hält er mich für eine menschliche Person. Ich habe gehört, dass sie dort die Zeit stoppen, die man auf der Toilette verbringt!«

»Das nennt man Arbeitsablaufstudien«, sagte Feucht. »Also, ich vermute, dass Herr Beuge nur eine Weile allein sein möchte. Wen hat er angeschrien? Den jungen Mann, der einen Fehler gemacht hat? Beziehungsweise keinen gemacht hat?«

»Das war Hammerschmied«, sagte Fräulein Gardinia. »Wir haben ihn nach Hause geschickt, weil er völlig durcheinander war. Aber Herr Beuge hat ihn eigentlich nicht angeschrien. Eigentlich hat er niemanden angeschrien. Er hat...« Sie hielt inne und suchte nach einem passenden Wort.

»Vor sich hingebrabbelt«, sagte der Buchhalter, der sich schon einmal ungefragt zu Wort gemeldet hatte. »Und ihr müsst mich gar nicht so entgeistert anstarren. Ihr habt es selbst gehört. Und er machte den Eindruck, als hätte er einen Geist gesehen.«

Die Angestellten kehrten einzeln oder zu zweit ins Kontor zurück. Sie hatten überall gesucht, berichteten sie einhellig, und man favorisierte die Theorie, dass er sich durch das Münzamt entfernt hatte, da es dort immer noch recht umtriebig zuging. Feucht bezweifelte das. Die Bank war alt, und alte Gebäude hatten alle möglichen Winkel, in denen man sich verkriechen konnte. Und Herr Beuge arbeitete hier schon seit...

»Wie lange arbeitet er hier schon?«, fragte er laut.

Die allgemeine Einschätzung lautete »seit Menschengedenken«, aber Fräulein Gardinia, die sich aus irgendeinem Grund offenbar große Mühe gegeben hatte, alles über das Thema Mavolio Beuge zu wissen, erklärte, dass es neununddreißig Jahre waren und dass er die Anstellung mit dreizehn bekommen hatte, weil er die ganze Nacht lang auf der Treppe vor der Bank gesessen hatte, bis der Direktor zur Arbeit erschienen war und er ihn mit seinem brillanten Zahlenverstand beeindruckt hatte. In zwanzig Jahren hatte er es vom Laufburschen bis zum Hauptkassierer gebracht.

»Eine rasante Karriere!«, sagte Feucht.

»Und er hat nicht einen einzigen Tag lang wegen Krankheit gefehlt«, schloss Fräulein Gardinia.

»Dann hat er sich jetzt vielleicht eine kleine Auszeit verdient«, sagte Feucht. »Weißt du, wo er wohnt, Fräulein Gardinia?«

»In der Pension von Frau Kuchen.«

»Wirklich? Das ist doch etwas« — Feucht hielt kurz inne, um sich für eine von mehreren möglichen Formulierungen zu entscheiden - »preiswert, nicht wahr?«

»Er sagt, dass er als Junggeselle nicht mehr benötige«, sagte Fräulein Gardinia und vermied es, Feucht anzusehen.

Feucht hatte das Gefühl, dass ihm die Felle davonschwammen. Aber alle sahen ihn erwartungsvoll an. Es gab nur eins, was er jetzt noch sagen konnte, um sein Image zu wahren.

»Dann sollte ich wohl mal nachsehen, ob er dort ist«, sagte Feucht. Die Gesichter entspannten sich und lächelten erleichtert. »Aber ich finde, dass jemand von euch mitkommen sollte. Schließlich kennt ihr ihn recht gut.« Und ich nicht, fügte er in Gedanken hinzu.

»Ich werde meinen Mantel holen«, sagte Fräulein Gardinia. Der einzige Grund, dass ihre Antwort nur mit Schallgeschwindigkeit kam, war der, dass sie nicht noch schneller sprechen konnte.