Kapitel 8

Im Kleinen wie im Großen - Ohne Schmerz kein Kommerz - Ein Talent für Rätsel - Herrn Beuges traurige Vergangenheit - Etwas im Kleiderschrank - Wunderbares Geld - Gedanken über den Wahnsinn, von Igor - Ein Topf kocht über

Hubert klopfte nachdenklich an ein Röhrchen des Bluppers. »Igor?«, sagte er.

»Ja, Meifter?«

Hubert zuckte erschrocken zusammen. »Ich dachte, du wärst drüben bei den Blitzzellen!«, brachte er heraus.

»Daf war ich auch, Herr, aber jepft bin ich hier. Was wollteft du von mir?«

»Du hast sämtliche Ventile verdrahtet, Igor. Ich kann überhaupt nichts mehr verändern!«

»Ja, Herr«, sagte Igor ruhig. »Weil ef erftaunlich dramatife Konfequenpfen hätte, Herr.«

»Aber ich möchte ein paar Parameter verändern, Igor«, sagte Hubert und nahm geistesabwesend einen Südwester vom Haken.

»Ich fürchte, daf wäre ein Problem, Herr. Du haft mich gebeten, den Blupper fo akkurat wie möglich zu konftruieren.«

»Ja, natürlich. Es ist sehr wichtig, dass er akkurat arbeitet.«

»Er ift... auferordentlich akkurat, Herr«, sagte Igor mit unbehaglicher Miene. »Möglicherweife fogar pfu akkurat, Herr.«

Das »Möglicherweife« veranlasste Hubert, nach einem Regenschirm zu tasten. »Wie kann etwas zu akkurat sein?«

Igor blickte sich um. Plötzlich wirkte er sehr nervös. »Würde ef dir etwaf aufmachen, wenn ich etwaf weniger lifpele?«

»Dazu bist du in der Lage?«

»Aber ficher ... ich meine, ja, sicher, Herr. Das hat etwas mit den Clans zu tun, musst du wissen. Es wird einfach erwartet, genauso wie die Narben. Aber ich glaube, die Erklärung dürfte für dich auch so schwer genug zu verstehen sein.«

»Nun ja, äh, danke. Bitte, fang an.«

Es war eine recht lange Erklärung. Hubert hörte aufmerksam mit offenem Mund zu. Der Begriff »Fracht« wirbelte vorbei und wurde gefolgt von einer kurzen Abhandlung über die Hypothese, dass alles Wasser überall immer weiß, wo all das andere Wasser ist, dann einigen interessanten Fakten über gekoppeltes Silizium und was damit in Gegenwart von Käse passierte, dem Nutzen und den Gefahren der morphischen Resonanz in Bereichen mit hoher Hintergrundmagie, der Wahrheit über eineiige Zwillinge und der Schlussfolgerung, dass, wenn die fundamentale okkulte Maxime »Im Großen wie im Kleinen« stimmte, das Gleiche für »Im Kleinen wie im Großen« galt...

Die folgende Stille wurde nur vom Gluckern des Wassers im Blupper und dem Geräusch des Zeichenstifts unterbrochen, den der vormalige Eulrich mit dämonischer Geschicklichkeit bewegte.

»Würde es dir etwas ausmachen, jetzt wieder zu lispeln?«, sagte Hubert. »Ich weiß nicht, warum, aber so klingt es einfach besser.«

»Wenn du meinft, Herr.«

»Sehr gut. Willst du also ernsthaft behaupten, dass ich jetzt das wirtschaftliche Leben der Stadt ändern könnte, wenn ich etwas am Blupper verstelle? Dass er so etwas wie die Wachspuppe einer Hexe ist, und ich habe alle Nadeln in der Hand?«

»Daf ift pfutreffend, Herr. Eine fehr hübfe Analogie.«

Hubert starrte auf das kristallene Meisterstück. Das Licht in der Krypta änderte sich ständig, während sich das Wirtschaftsleben der Stadt durch die Röhren pumpte, von denen einige nicht dicker als ein Haar waren.

»Also ist es ein Wirtschaftsmodell, das eigentlich die Wirklichkeit ist?«

»Fie find identif, Herr.« »Also könnte ich mit einem Hammerschlag die Stadt unwiderruflich in eine schwere Wirtschaftskrise stürzen?«

»Ja, Herr. Möchteft du, daff ich dir einen Hammer hole?«

Hubert starrte mit großen Augen auf den zischenden, tropfenden und schäumenden Blupper. Er fing an zu kichern, aber schon bald steigerte es sich zu einem ausgewachsenen Lachanfall.

»Hahah! Ahahahahü! AHAHAHAHA!!!! ... Kannst du mir ein Glas Wasser holen, bitte? ...HAHAHAHA!!! Hahahaha-hah!! ... HAHAHAHA!!!« Das Gelächter hörte abrupt auf. »Das kann nicht stimmen, Igor.«

»Meinft du, Herr?«

»Aber ja! Schau dir unseren guten alten Kolben 244a an! Siehst du es? Er ist leer!«

»Wirklich, Herr?«

»Wirklich!«, bestätigte Hubert. »Kolben 244a repräsentiert das Gold in unserer eigenen Schatzkammer, Igor. Und zehn Tonnen Gold können nicht einfach aufstehen und davonspazieren! Hm? HAHAHAHA!!! Könntest du mir jetzt das Glas Wasser holen, um das ich dich gebeten habe? Hahahah ahah!! ... HAHA HAHA!!!«

Ein Lächeln umspielte Cosmos Lippen, die ein gefährlicher Spielplatz für etwas so Unschuldiges wie ein Lächeln waren.

»Alle?«, fragte er.

»Zumindest alle Buchhalter aus dem Kontor«, sagte Vorhinein. »Sie sind einfach auf die Straße hinausgerannt. Einige waren tränenüberströmt.«

»Eine richtige Panik«, murmelte Cosmo. Er blickte auf das Bild von Vetinari, das er von seinem Schreibtisch aus gut sehen konnte, und war überzeugt, dass er ihm zuzwinkerte.

»Anscheinend gab es ein Problem mit dem Hauptkassierer, Herr.«

»Mit Herrn Beuge?«

»Anscheinend hat er einen Fehler begangen, Herr. Die Leute sagten, er habe etwas vor sich hingemurmelt und sei dann einfach aus dem Raum gestürmt. Es heißt, dass einige der Mitarbeiter zurückgekehrt sind, um nach ihm zu suchen.«

»Mavolio Beuge hat einen Fehler gemacht? Das glaube ich nicht«, sagte Cosmo.

»Aber er soll weggerannt sein, Herr.«

Cosmo hätte beinahe ohne mechanische Hilfe eine Augenbraue hochgezogen. Er war ganz nahe dran.

»Weggerannt? Hatte er irgendwelche großen und schweren Taschen dabei? Das haben sie meistens.«

»Ich glaube nicht, Herr«, sagte Vorhinein.

»Das wäre aber sehr ... hilfreich gewesen.«

Cosmo lehnte sich in seinem Sessel zurück, zog heute schon zum dritten Mal den schwarzen Handschuh aus und hielt die Hand auf Armeslänge von sich gestreckt. Der Ring sah beeindruckend aus, insbesondere auf dem Blassblau seines Fingers.

»Hast du schon einmal einen Ansturm auf eine Bank erlebt, Drumknott?«, fragte er. »Hast du miterlebt, wie die Menschenmassen um ihr Geld kämpfen?«

»Nein, Herr«, sagte Vorhinein, der sich erneut Sorgen machte. Die engen Stiefel waren, nun ja, witzig gewesen, aber ein Finger sollte doch eigentlich keine solche Farbe haben, oder?

»Es ist ein schrecklicher Anblick. Es ist, als würde ein gestrandeter Wal bei lebendigem Leib von Krabben gefressen werden«, sagte Cosmo und drehte die Hand, damit sich das Licht im dunklen V verfing. »Er kann sich noch so sehr in Qualen winden, aber der Ausgang steht längst fest. Eine schreckliche Sache, wenn sie ordentlich durchgeführt wird.«

Genauso würde Vetinari denken!, frohlockte seine Seele. Pläne können scheitern. Man kann die Zukunft nicht planen. Nur anmaßende Dummköpfe planen. Der kluge Mann lenkt die Geschehnisse.

»Als Aufsichtsratsmitglied der Bank und natürlich als besorgter Bürger«, sagte er verträumt, »werde ich jetzt einen Leserbrief an die Times schreiben.«

»Ja, Herr, natürlich«, sagte Vorhinein. »Und soll ich einen Juwelier holen lassen? Ich habe gehört, dass sie sehr feine Scheren haben, mit denen man ...«

»Ohne Schmerz kein Kommerz, Drumknott. Das schärft mein Denkvermögen.« Er zog den Handschuh wieder an.

»Ah ...«, begann Vorhinein, doch dann gab er es auf. Er hatte sich nach Kräften bemüht, aber Cosmo war nicht von seinem Selbstvernichtungskurs abzubringen, und ein vernünftiger Mann konnte nicht mehr tun, als so viel Geld wie möglich zu verdienen und dann lange genug am Leben zu bleiben, um es auszugeben.

»Ich habe einen weiteren Glückstreffer gelandet, Herr«, versuchte er es erneut. Er hätte gerne mehr Zeit gehabt, aber es bestand kein Zweifel, dass die Zeit knapp wurde.

»Wirklich? Was denn?«

»Dieses Projekt, an dem ich gearbeitet habe ...«

»Und das hohe Kosten verursacht. Ja?«

»Ich glaube, ich kann dir Vetinaris Gehstock beschaffen, Herr.«

»Du meinst, seinen Schwertstock?«

»Ja, Herr. Soweit ich weiß, wurde die Klinge noch nie im Zorn gezückt.«

»Wie ich gehört habe, bewahrt er ihn stets in seiner Nähe auf.«

»Ich habe nicht behauptet, dass es leicht sein würde, Herr. Oder billig. Aber nach sehr viel Vorarbeit sehe ich nun einen deutlichen, gangbaren Weg«, sagte Vorhinein.

»Es heißt, der Stahl der Klinge wurde aus dem Eisen im Blut von tausend Männern gewonnen ...«

»Davon habe ich auch gehört, Herr.«

»Hast du das Stück gesehen

»Für einen sehr kurzen Moment, Herr.«

Zum ersten Mal in seiner Berufslaufbahn empfand Vorhinein Mitleid für Cosmo. In seiner Stimme lag eine tiefe Sehnsucht. Er wollte Vetinari gar nicht vom Thron stürzen. Es gab viele Leute in der Stadt, die Vetinari gerne gestürzt hätten. Doch Cosmo wollte Vetinari sein.

»Wie war es?« Nun klang er geradezu flehend. Das Gift musste schon bis in sein Gehirn vorgedrungen sein, dachte Vorhinein. Aber sein Geist war ohnehin schon recht vergiftet gewesen. Vielleicht wurden sie gute Freunde.

»Äh ... nun ja, der Griff und die Scheide sind genauso wie dein Gehstock, Herr, aber etwas abgenutzter. Die Klinge dagegen ist grau und sieht aus wie ...«

»Grau?«

»Ja, Herr. Sie sieht alt und etwas schartig aus. Und stellenweise, wenn das Licht im richtigen Winkel darauf fällt, sieht man kleine rote und goldene Flecken. Ich muss schon sagen, dass sie recht bedrohlich wirkt.«

»Die Flecken dürften selbstverständlich Blut sein«, sagte Cosmo nachdenklich, »oder möglicherweise, ja, wahrscheinlich sogar die gefangenen Seelen jener, die für die Herstellung dieser schrecklichen Klinge sterben mussten.«

»Dieser Gedanke war mir noch gar nicht gekommen, Herr«, sagte Vorhinein, der zwei Nächte mit einer neuen Klinge verbracht hatte. Mit Hilfe von etwas Hämatit, einer Drahtbürste und verschiedenen Chemikalien hatte er daraus eine Waffe gemacht, die aussah, als würde sie einem aus eigenem Antrieb an die Kehle springen.

»Du könntest sie noch heute Nacht besorgen?«

»Ich glaube, ja, Herr. Natürlich ist es nicht ungefährlich.«

»Und alles andere als kostengünstig, kann ich mir vorstellen«, sagte Cosmo mit einem Ausmaß an Erkenntnisvermögen, das Vorhinein ihm in seinem derzeitigen Zustand gar nicht zugetraut hätte.

»Vor allem die Bestechungsgelder, Herr. Er wird gar nicht glücklich sein, wenn er es herausfindet, und ich wage mir gar nicht vorzustellen, wie viel Zeit es beanspruchen würde, eine exakte Kopie anzufertigen.«

»Ja. Ich verstehe.«

Cosmo zog noch einmal den Handschuh aus und betrachtete seine Hand. Nun schien sich der Finger einen Hauch ins Grünliche verfärbt zu haben, und er fragte sich, ob die Legierung des Rings vielleicht Kupfer enthielt. Aber die rosafarbenen, beinahe roten Streifen, die sich seinen Arm hinaufzogen, sahen sehr gesund aus.

»Ja. Besorge den Stock«, murmelte er und drehte die Hand, um das Licht der Lampen aufzufangen. Seltsam, dachte er, mit dem Finger spürte er überhaupt keine Wärme, aber das spielte schließlich auch gar keine Rolle.

Er konnte die Zukunft jetzt ganz deutlich erkennen. Die Schuhe, das Scheitelkäppchen, der Ring, der Stock ... Wenn er die okkulte Stelle ausfüllte, die von Vetinari besetzt wurde, würde der verfluchte Tyrann zweifellos unter zunehmender Schwäche und Verwirrung leiden, und er würde Dinge durcheinanderbringen und Fehler begehen ... »Kümmere dich darum, Drumknott«, sagte er.

Lord Havelock Vetinari rieb sich den Nasenrücken. Es war ein langer Tag gewesen, und auch der Abend würde zweifellos lang.

»Ich glaube, ich brauche einen Moment, um mich zu entspannen. Bringen wir es hinter uns«, sagte er.

Drumknott ging zum langen Tisch hinüber, auf dem zu dieser Tageszeit mehrere Ausgaben der Times lagen, da Seine Lordschaft stets darauf erpicht war zu erfahren, was nach Ansicht der Leute vor sich ging.

Vetinari seufzte. Ständig erzählten die Leute ihm irgendwas. Allein in der letzten Stunde hatten viele Leute ihm irgendwelche Sachen erzählt. Das machten sie aus allen möglichen Gründen: um Ansehen zu gewinnen, um an Geld zu kommen, um einen Gefallen als Gegenleistung zu erhalten, aus Böswilligkeit oder auch Boshaftigkeit oder, was besonders verdächtig war, angeblich dem Gemeinwohl zuliebe. All das lief keineswegs auf Informationen hinaus, sondern eher auf einen großen argusäugigen Klumpen aus kleinen, wimmelnden Faktchen, denen sich bestenfalls mit etwas Mühe ein paar Informationen entlocken ließen.

Sein Sekretär reichte ihm die Zeitung, die sorgfältig auf der richtigen Seite und an der richtigen Stelle zusammengefaltet war. Dort befand sich ein quadratisches Feld, das aus mehreren kleineren Quadraten zusammengesetzt war, und in einigen davon standen Zahlen.

»Das heutige >Jikan no Muda<, Herr«, sagte er. Vetinari blickte ein paar Sekunden lang darauf und gab dann die Zeitung zurück.

Der Patrizier schloss die Augen und trommelte eine Weile mit den Fingern auf dem Tisch.

»Hmm ... 9 6 3 1 7 4.« Drumknott schrieb eilig mit, als die Zahlen kamen, kurz darauf gefolgt von: »8 4 7 3. Und ich bin mir sicher, dass es letzten Monat schon einmal das Gleiche gab. An einem Montag, glaube ich.«

»Siebzehn Sekunden, Herr«, sagte Drumknott, der immer noch schrieb.

»Es war ein anstrengender Tag«, sagte Vetinari. »Und was soll das Ganze? Zahlen lassen sich leicht überlisten. Sie können sich nicht einmal wehren. Aber die Leute, die Kreuzworträtsel entwerfen, werden immer hinterhältiger. Wer weiß schon, dass >Pysdxes< antike ephebische Nadelhalter aus geschnitztem Knochen sind?«

»Du natürlich, Herr«, sagte Drumknott und verstaute sorgfältig die Akten, »sowie der Kurator für ephebische Antiquitäten am Königlichen Kunstmuseum, der Rätselmacher der Times und Fräulein Grazia Sprecher, die eine Zoohandlung an den Pellicool-Stufen betreibt.«

»Wir sollten dieses Geschäft unbedingt im Auge behalten, Drumknott. Eine Frau mit einem solchen Intellekt soll sich damit zufriedengeben, Hundefutter zu verkaufen? Das glaube ich nicht.«

»Völlig richtig, Herr. Ich werde mir eine Notiz machen.«

»Übrigens freut es mich zu hören, dass deine neuen Stiefel nicht mehr quietschen.«

»Danke, Herr. Sie sind jetzt gut eingelaufen.«

Vetinari blickte nachdenklich auf die Akten des Tages. »Herr Beuge, Herr Beuge, Herr Beuge«, sagte er. »Der geheimnisvolle Herr Beuge. Ohne ihn wäre die Königliche Bank in viel größeren Schwierigkeiten, als sie bislang schon war. Ohne ihn wird sie einfach umkippen. Sie dreht sich um ihn. Sie schlägt im gleichen Takt wie sein Herz. Der alte Üppig hatte Angst vor ihm, da bin ich mir sicher. Er sagte, er wäre überzeugt, dass Herr Beuge ...« Er hielt inne.

»Herr?«, sagte Drumknott.

»Belassen wir es einfach bei der Feststellung, dass er sich in jeglicher Hinsicht als vorbildlicher Staatsbürger erwiesen hat«, sagte Vetinari. »Die Vergangenheit ist ein gefährliches Land, nicht wahr?«

»Über ihn gibt es keine Akte, Herr.«

»Weil er niemals auffällig geworden ist. Über ihn weiß ich nur, dass er als Kind in die Stadt kam, auf einem Karren, mit dem eine Gruppe reisender Buchhalter unterwegs war ...«

»Was, so etwas wie Kesselflicker und Wahrsager?«, fragte Feucht, als die Droschke durch Straßen schaukelte, die immer schmaler und dunkler wurden.

»Vielleicht könnte man es so sehen«, sagte Fräulein Gardinia mit einer Spur von Missbilligung. »Sie unternehmen große Rundreisen bis in die Berge, sie führen die Bücher für kleine Geschäfte, helfen den Leuten bei ihren Steuern und solche Sachen.« Sie räusperte sich. »Es sind ganze Familien. Das muss ein wunderbares Leben sein.«

»Jeden Tag ein neues Rechnungsbuch«, sagte Feucht und nickte ernst, »und abends trinken sie Bier, und fröhliche Buchhalter tanzen zur Akkordeonmusik den Bilanz-Tango ...«

»Tun sie das wirklich?«, fragte Fräulein Gardinia unsicher.

»Ich weiß es nicht. Ich stelle es mir nur ganz nett vor«, sagte Feucht. »Auf jeden Fall würde das einiges erklären. Offenbar war er sehr ehrgeizig. Auf der Straße konnte er höchstens darauf hoffen, eines Tages das Pferd führen zu dürfen.«

»Er war dreizehn«, sagte Fräulein Gardinia und putzte sich geräuschvoll die Nase. »Es ist so traurig.« Sie sah Feucht mit verweintem Gesicht an. »In seiner Vergangenheit gibt es etwas Schreckliches, Herr Lippschwick. Es heißt, dass eines Tages ein paar Männer zur Bank kamen und fragten ...«

»Wir wären da, bei Frau Kuchen«, rief der Kutscher und brachte das Gefährt abrupt zum Stehen. »Das macht elf Cent, und bittet mich nicht, auf euch zu warten, weil die Leute mir hier in Null-kommanix das Pferd aufbocken und die Hufeisen klauen werden.«

Die Tür der Pension wurde von der haarigsten Frau geöffnet, die Feucht jemals gesehen hatte, aber in der Umgebung der Ulmenstraße lernte man, sich nicht weiter über solche Sachen zu wundern. Frau Kuchen war dafür bekannt, die neu in der Stadt eingetroffenen Untoten zu beherbergen und ihnen eine sichere und verständnisvolle Zuflucht zu bieten, bis sie auf eigenen Füßen stehen konnten, ganz gleich, wie viele sie hatten.

»Frau Kuchen?«, sagte er.

»Mutter ist in der Kirche«, erwiderte die Frau. »Sie sagte, dass ich mit deinem Besuch rechnen sollte, Herr Lipwig.«

»Bei euch wohnt ein gewisser Herr Beuge, nicht wahr?«

»Der Bankier? Zimmer sieben im zweiten Stock. Aber ich glaube nicht, dass er da ist. Er steckt doch nicht in Schwierigkeiten, oder?«

Feucht erklärte ihr die Situation und war sich der Türen bewusst, die sich überall im Zwielicht hinter der Frau einen Spalt weit öffneten. Die Luft roch streng nach Desinfektionsmitteln. Frau Kuchen glaubte fest daran, dass Sauberkeit vertrauenerweckender war als Frömmigkeit. Außerdem würde ohne diesen intensiven Kiefernduft die eine Hälfte ihrer Klientel vom Geruch der anderen in den Wahnsinn getrieben werden.

Und inmitten von alledem befand sich das stille, unscheinbare Zimmer von Herrn Beuge, Hauptkassierer der Königlichen Bank von Ankh-Morpork. Die Frau, die sich schließlich als Ludmilla vorstellte, gewährte ihnen, wenn auch zögernd, mit ihrem Hauptschlüssel Zugang zu der Unterkunft.

»Er war immer ein guter Gast«, sagte sie. »Hat nie Ärger gemacht.«

Mit einem Blick nahm Feucht alles in sich auf: den engen Raum, das schmale Bett, die Kleidung, die ordentlich an den Wänden hing, die kleine Waschschüssel mit Krug, der unpassend große Schrank. Im Leben sammelt sich Krempel an, aber offenbar nicht bei Herrn Beuge. Es sei denn, es befand sich alles im Schrank.

»Die meisten eurer langjährigen Gäste sind Unt...«

»... auf andere Weise Lebende«, sagte Ludmilla streng.

»Ja, natürlich, also frage ich mich, warum ... Herr Beuge sich hier einquartiert hat.«

»Herr Lipwig, was willst du damit andeuten?«, sagte Fräulein Gardinia.

»Du musst zugeben, dass man so etwas nicht erwartet«, sagte Feucht. Und da sie ohnehin schon außer sich war, fügte er nicht hinzu: Ich muss gar nichts andeuten. Das ist doch offensichtlich. Groß. Dunkel. Kommt vor Sonnenaufgang, geht nach Anbruch der Dunkelheit. Wird von Herrn Quengler angeknurrt. Zwanghaftes Zählen. Detailversessenheit. Jagt einem immer wieder einen leichten Schrecken ein, wofür man sich ein wenig schämt. Schläft auf einem langen schmalen Bett. Wohnt bei Frau Kuchen, wo die Vampire abhängen. Es ist nicht besonders schwierig, eins und eins zusammenzuzählen.

»Es geht doch nicht etwa um den anderen Mann, der vor ein paar Abenden hier war, oder?«, sagte Ludmilla.

»Was war das für ein Mann?«

»Hat seinen Namen nicht genannt. Sagte nur, er wäre ein Freund. Ganz in Schwarz gekleidet, hatte einen schwarzen Gehstock mit einem silbernen Totenschädel dabei. Grässliches Stück, meinte Mutter. Andererseits«, fügte Ludmilla hinzu, »sagt sie so etwas Ähnliches über fast jeden. Er kam mit einer schwarzen Kutsche.«

»Doch nicht etwa Lord Vetinari?«

»Oh nein. Mutter ist sehr von ihm angetan, nur dass sie meint, er sollte mehr Leute aufknüpfen. Nein, dieser Mann war ziemlich füllig, sagte Mutter.«

»Ach wirklich?«, sagte Feucht. »Nun gut, vielen Dank. Wir sollten jetzt lieber gehen. Oder hast du zufällig einen Schlüssel für diesen Schrank?«

»Nein. Vor Jahren hat er ein neues Schloss angebracht, aber Mutter hat sich nicht darüber beschwert, weil er ansonsten nie Ärger macht. Es ist eins von diesen Zauberschlössern, die sie an der Universität verkaufen«, fuhr Ludmilla fort, während Feucht das Schloss untersuchte. Das Problem mit diesen verfluchten Zauberdingern war, dass praktisch alles ein Schlüssel sein konnte, von einem Wort bis zu einer bloßen Berührung.

»Es ist doch recht seltsam, dass er seine ganze Kleidung an den Wänden aufhängt, nicht wahr?«, sagte er, als er sich wieder aufrichtete.

Ludmilla sah ihn tadelnd an. »In diesem Haushalt benutzen wir das Wort >seltsam< nicht.«

»Auf andere Weise normal?«, schlug Feucht vor.

»So kann man es formulieren.« In Ludmillas Augen stand ein warnendes Glitzern. »Wer kann schon sagen, wer auf dieser Welt wirklich normal ist?«

Vielleicht jemand, dessen Fingernägel nicht sichtbar länger werden, wenn er sich ärgert, dachte Feucht. »Wir sollten jetzt zur Bank zurückkehren«, sagte er. »Wenn Herr Beuge wieder auftaucht, sag ihm bitte, dass man nach ihm sucht.«

»Und dass man sich Sorgen um ihn macht«, fügte Fräulein Gardinia schnell hinzu, bevor sie die Hand vor den Mund schlug und errötete.

Ich wollte doch nur Geld machen, dachte Feucht, als er das zitternde Fräulein Gardinia zurück in die Gegend führte, in die sich die Droschken wagten. Deswegen bin ich doch überhaupt hierhergekommen! Ich dachte, das Leben im Bankwesen wäre nicht mehr als gewinnträchtige Langeweile, die höchstens von einer gelegentlichen Zigarre unterbrochen wird. Stattdessen hat es sich als auf andere Weise normal erwiesen. Die einzige vernünftige Person ist Igor - und vielleicht die Steckrübe. Obwohl ich mir bei der Steckrübe auch nicht ganz sicher bin.

Er setzte das schniefende Fräulein Gardinia vor ihrer Wohnung in Willkommensseife ab, mit dem Versprechen, ihr sofort Bescheid zu geben, wenn der vermisste Herr Beuge wieder auf der Bildfläche erschien, und fuhr mit der Droschke weiter zur Bank. Die Nachtwache war bereits eingetroffen, aber es hielten sich immer noch etliche Angestellte im Haus auf. Offenbar waren sie einfach nicht in der Lage, sich mit der veränderten Wirklichkeit abzufinden. Herr Beuge hatte genauso zum Inventar gehört wie die Säulen.

Cosmo hatte ihn besucht. Aber bestimmt nicht, um sich nach seinem werten Befinden zu erkundigen.

Weswegen hatte er ihn besucht? Um ihm zu drohen? Niemandem gefiel es, zusammengeschlagen zu werden. Aber vielleicht war die Sache etwas diffiziler gewesen. Vielleicht ein Wir werden allen Leuten sagen, dass du ein Vampir bist. Worauf eine ausgeglichene Persönlichkeit antworten würde: Steck’s dir dorthin, wohin die Sonne nicht scheint. Vor zwanzig Jahren hätte eine solche Drohung gefruchtet, aber heutzutage? Es gab jede Menge Vampire in der Stadt, allesamt verdammt neurotisch, und alle trugen das Schwarze Band, um zu zeigen, dass sie die Verzichtserklärung unterschrieben hatten und einfach nur ihr - in Ermangelung eines besseren Wortes - Leben weiterführen wollten. Die meiste Zeit wurden sie von den übrigen Leuten einfach akzeptiert. Ein Tag nach dem anderen verging, ohne dass es zu Schwierigkeiten kam, bis die Situation von allen als normal betrachtet wurde. Auf andere Weise normal, aber dennoch normal.

Nun gut, Herr Beuge hatte sich über seine Vergangenheit ausgeschwiegen, aber das war kaum ein Grund, die Heugabeln zu zücken. Gütiger Himmel, er hatte vierzig Jahre lang in einer Bank gearbeitet und Zahlen zusammengerechnet!

Aber vielleicht sah er selbst das anders. Der eine maß den gesunden Menschenverstand an einem Lineal, der andere benutzte dazu eine Kartoffel.

Feucht hörte nicht, wie sich Gladys näherte. Er wurde sich nur irgendwann bewusst, dass sie hinter ihm stand.

»Ich Habe Mir Große Sorgen Um Dich Gemacht, Herr Lipwig«, grollte sie.

»Vielen Dank, Gladys«, sagte er vorsichtig.

»Ich Werde Dir Ein Sandwich Machen. Du Magst Meine Sandwiches.«

»Das wäre sehr freundlich von dir, Gladys, aber ich werde mich in Kürze mit Fräulein Liebherz zum Abendessen treffen.«

Das Glühen in den Augen des Golems wurde für einen Moment schwächer und verstärkte sich dann wieder. »Fräulein Liebherz.«

»Ja, sie war heute Früh hier.«

»Eine Dame.«

»Sie ist meine Verlobte, Gladys. Ich rechne damit, dass sie ziemlich häufig hier sein wird.«

»Verlobte«, sagte Gladys. »Ach, Ja. Ich Lese Gerade Zwanzig Tipps Für Eine Hochzeit Nach Maß.«

Ihre Augen wurden dunkler. Sie drehte sich um und stapfte zur Treppe.

Feucht kam sich wie ein Drecksack vor. Natürlich war er ein Drecksack, aber das machte den Umstand, dass er sich wie einer fühlte, nicht besser. Andererseits war sie ... verdammt, er ... es ... Gladys das Opfer fehlgeleiteter weiblicher Solidarität. Was konnte er dagegen noch ins Feld führen? Er würde Adora Belle sagen, dass sie deswegen irgendetwas unternehmen musste.

Ihm wurde bewusst, dass einer der leitenden Buchhalter höflich in seiner Nähe wartete.

»Ja?«, sagte er. »Kann ich dir helfen?«

»Was sollen wir jetzt tun, Herr?«

»Wie ist dein Name?«

»Spucke, Herr. Robert Spucke.«

»Warum fragst du mich, Bob?«

»Weil unser Chef blaumacht, Herr. Die Tresore müssen zugeschlossen werden. Genauso der Raum mit den Büchern. Herr Beuge hat alle Schlüssel. Bitte nenn mich Robert.«

»Gibt es keine Ersatzschlüssel?«

»Sie könnten im Büro des Chefs liegen, Herr«, sagte Spucke.

»Hör mal ... Robert. Ich möchte, dass du nach Hause gehst und dich einmal anständig ausschläfst, ja? Ich werde nach den Schlüsseln suchen und jede Tür abschließen, die ich finden kann. Ich bin überzeugt, dass Herr Beuge schon morgen wieder bei uns sein wird, und wenn nicht, werde ich eine Konferenz der leitenden Angestellten einberufen. Ich meine, hey, ihr müsst doch wissen, wie alles funktioniert!«

»Nun ja. Natürlich. Nur dass ... also ... aber ...« Die Stimme des Angestellten verhallte bis zur Lautlosigkeit.

Aber Herr Beuge ist nicht da, dachte Feucht. Und er kann genauso gut delegieren, wie Austern Tango tanzen können. Was zum Henker sollen wir jetzt machen?

»Hier sind noch Leute? So viel zum Thema geregelte Arbeitszeiten«, sagte eine Stimme von der Tür. »Schon wieder in Schwierigkeiten?«

Es war Adora Belle, und natürlich meinte sie damit: »Hallo! Schön, dich wiederzusehen!«

»Du siehst hinreißend aus«, sagte Feucht.

»Ja, ich weiß«, sagte Adora Belle. »Was ist hier los? Der Kutscher sagte mir, sämtliche Mitarbeiter hätten die Bank verlassen.«

Später dachte Feucht: Das war der Moment, ab dem alles schiefgegangen war. Man muss auf den wilden Hengst der Gerüchte aufspringen, bevor er vom Hof galoppiert ist, damit man vielleicht doch noch die Zügel übernehmen kann. Du hättest denken sollen: Wie hat es ausgesehen, als alle Leute aus der Bank geflüchtet sind? Du hättest zum Büro der Times rennen sollen. Du hättest dich in den Sattel setzen und den Gaul in die gewünschte Richtung lenken sollen, und zwar genau in diesem Moment.

Aber Adora Belle sah wirklich hinreißend aus. Außerdem war nicht mehr passiert, als dass ein Mitglied des Personals durchgedreht war und das Gebäude verlassen hatte. Wie sollte man so etwas aufbauschen?

Die Antwort lautete natürlich: Man konnte es zu allem Möglichen aufbauschen, wenn man nur wollte.

Ihm wurde bewusst, dass jemand hinter ihm stand.

»Darf ich ftören, Herr Lipwig?«

Feucht drehte sich um. Es war sogar noch unspaßiger, Igor anzusehen, wenn man gerade Adora Belle angesehen hatte.

»Igor, jetzt ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt...«, begann Feucht.

Ich weif, daff ich mich nicht in den oberen Gefoffen aufhalten follte, Herr, aber Herr Klemme fagt, daff er mit feiner Pfeichnung fertig ift. Fie ift fehr hübf geworden.«

Was hat er gesagt?«, erkundigte sich Adora Belle. »Ich glaube, davon habe ich ungefähr zwei Wörter verstanden.«

Ach, im Keller sitzt ein Mann, der eine Dollarnote für mich entwirft. Papiergeld, um genau zu sein.«

»Tatsächlich? Das würde ich mir gerne ansehen.«

»Würdest du das wirklich?«

Es war in der Tat wunderbar. Feucht betrachtete die Entwürfe für die Vorder- und Rückseite des Ein-Dollar-Scheins. Unter Igors strahlend weißen Lampen sahen sie opulent wie ein Plumpudding und komplizierter als ein Zwergenvertrag aus.

»Wir werden jede Menge Geld machen«, sagte er laut. »Wunderbare Arbeit, Eul... - Herr Klemme!«

»Ich werde es lieber bei Eulrich belassen«, sagte der Künstler nervös. »Schließlich ist es der Janken, der die eigentlichen Probleme macht.«

»Nun gut«, sagte Feucht, »es treiben sich bestimmt mehrere Dutzend Eulriche herum.« Er schaute zu Hubert hinüber, der auf einer Trittleiter stand und verzweifelt die Glasröhren anstarrte.

»Wie läuft’s, Hubert?«, fragte er. »Ist das Geld immer noch im Fluss?«

»Was? Oh. Ja, sicher. Alles läuft bestens«, sagte Hubert und wäre beinahe mit der Trittleiter umgekippt, als er etwas zu hastig hinuntersteigen wollte. Er musterte Adora Belle mit einem Blick, in dem sich Verunsicherung und Furcht mischten.

»Das ist Adora Belle Liebherz, Hubert«, sagte Feucht, falls der Mann beabsichtigte, lieber die Flucht zu ergreifen. »Sie ist meine Verlobte.« Als er seinen besorgten Blick sah, fügte er hinzu: »Sie ist eine Frau.«

Adora Belle streckte ihm die Hand hin und sagte: »Hallo, Hubert.«

Hubert starrte sie an.

»Es ist völlig in Ordnung, ihr die Hand zu geben, Hubert«, sagte Feucht behutsam. »Hubert ist Ökonom. Das ist so etwas wie ein Alchimist, nur dass er nicht ganz so viel Dreck macht.«

»Du weißt also, wie Geldströme fließen, Hubert?«, sagte Adora Belle und schüttelte seine widerstandslose Hand.

Endlich fiel Hubert wieder ein, dass er die Kunst der Sprache beherrschte. »Ich habe eintausendsiebenundneunzig Verbindungen zusammengeschweißt«, sagte er, »und das Gesetz des abnehmenden Ertrags geblasen.«

»Ich glaube nicht, dass das schon mal jemand getan hat«, sagte Adora Belle.

Huberts Miene hellte sich auf. Das war ja gar nicht so schwierig! »Wir tun nichts Unrechtes, musst du wissen!«, sagte er.

»Davon bin ich überzeugt«, sagte Adora Belle und versuchte ihre Hand aus seinem Griff zu befreien.

»Ich kann den Weg jedes einzelnen Dollars in der Stadt verfolgen, weißt du. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt! Aber, aber, aber, ähm, natürlich bringen wir nichts durcheinander!«

»Es freut mich, das zu hören, Hubert«, sagte Adora Belle und zerrte mit größerer Kraft.

»Natürlich haben wir noch mit Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen! Aber wir gehen stets mit größter Sorgfalt vor! Es ging noch nie etwas verloren, weil wir ein Ventil offen gelassen hätten oder etwas in der Art!«

»Wie faszinierend!«, sagte Adora Belle, stemmte sich mit der freien Hand gegen Huberts Schulter und entriss die andere seinem Griff.

»Wir müssen jetzt gehen, Hubert«, sagte Feucht. »Mach weiter so. Ich bin sehr stolz auf dich.«

»Wirklich?«, staunte Hubert. »Herr Cosmo sagte, ich wäre verrückt und er wollte, dass Tantchen den Blupper an einen Altglashändler verkauft!«

»Typisches engstirniges, gestriges Denken!«, sagte Feucht. »Wir leben im Jahrhundert der Sardelle. Die Zukunft gehört Menschen wie dir, die uns erklären können, wie alles funktioniert.«

»Wirklich?«, sagte Hubert.

»Merk dir meine Worte«, sagte Feucht und drängte Adora Belle mit Nachdruck in Richtung des fernen Ausgangs.

Als sie gegangen waren, beschnupperte Hubert seine Handfläche und erschauerte. »Das waren nette Leute, nicht wahr?«

»Ja, Meifter.«

Hubert blickte zu den glitzernden, tröpfelnden Röhren des Bluppers auf, der detailgetreu die Gezeiten des Geldes in der Stadt spiegelte. Ein einziger Schlag würde genügen, um die Welt zu erschüttern. Sie trugen eine schrecklich große Verantwortung.

Igor trat zu ihm. Sie standen eine Weile in der Stille da, die nur vom Gluckern des Kommerzes unterbrochen wurde.

»Was soll ich nur tun, Igor?«, sagte Hubert.

»Im Alten Land hatten wir einen Finnfpruch.«

»Einen was?«

»Einen Finnfpruch. Er lautet: >Wenn du daf Monfter nicht willft, darfft du nicht am Hebel pfiehen.<«

»Du glaubst doch nicht, dass ich verrückt geworden bin, oder?«

»Viele grofe Männer wurden alf verrückt angefehen, Herr Hubert. Felbft Dr. Hanf Forvord galt alf verrückt. Aber ich frage dich: Könnte ein Wahnfinniger einen revolupfionären Lebendgehirnekftraktor erfinden?«

»Ist Hubert... normal?«, fragte Adora Belle, als sie über die Marmortreppen dem Abendessen entgegenstiegen.

»Nach den Maßstäben von Leuten, die eine Obsession haben und niemals ins Sonnenlicht gehen«, sagte Feucht, »dürfte er recht normal sein, würde ich meinen.«

»Aber er hat getan, als hätte er noch nie zuvor eine Frau gesehen!«

»Er ist es nicht gewohnt, mit Dingen umzugehen, die ohne Bedienungshandbuch daherkommen«, sagte Feucht.

»Ha!«, sagte Adora Belle. »Wie kommt es, dass nur Männer so komisch werden?«

Verdient ihren kärglichen Lebensunterhalt damit, für Golems zu arbeiten, dachte Feucht. Muss sich wegen ihrer Golems ständig mit Graffiti und eingeschlagenen Fensterscheiben herumärgern. Kampiert draußen in der Wildnis, legt sich mit mächtigen Männern an. Nur wegen ihrer Golems. Aber er sagte nichts dergleichen, weil er das Bedienungshandbuch gelesen hatte.

Schließlich erreichten sie das Direktorenstockwerk. Adora Belle schnupperte. »Riecht das nicht einfach wunderbar?«, sagte sie, »Dadurch könnte selbst ein Kaninchen zum Fleischfresser werden.«

»Schafskopf«, sagte Feucht düster.

»Nur für die Brühe«, sagte Adora Belle. »All die weichen, wabbeligen Teile werden vorher herausgenommen. Mach dir keine Sorgen. Du lässt dir nur wegen dieses alten Witzes den Spaß verderben, mehr nicht.«

»Welcher alte Witz?«

»Komm schon! Ein Junge geht in eine Fleischerei und starrt eine Weile schweigend den Schlachter an. Als er wortlos hinausgehen will, fragt ihn der Schlachter, ob er ihm irgendwie helfen kann. Darauf sagt der Junge: >Schon gut. Meine Mama hat mir gesagt, ich soll nur mal nachsehen, ob du einen Schafskopf hast.<«

»Ich finde das Ganze nur etwas unfair gegenüber dem Schaf, das ist alles.«

»Was, unser Abendessen oder den Witz?«, gab Adora Belle zurück. »Hör mal zu, du isst ständig anonyme Stücke von Tieren, aber du hältst es für unfair, die anderen Teile zu essen? Glaubst du wirklich, dass sich der Kopf darüber freut, dass du wenigstens ihn nicht gegessen hast? Genau genommen sollte eine Tierart eigentlich umso glücklicher sein, je mehr Teile wir davon essen, weil wir dann nicht so viele davon umbringen müssen.«

Feucht stieß die Doppeltür auf, und wieder schien rein gar nichts zu stimmen.

Kein Herr Quengler. Normalerweise würde er in seinem Ablagekorb warten, bereit, Feucht mit kräftigem Sabbern zu begrüßen. Aber der Korb war leer.

Der Raum wirkte größer als sonst, und das lag daran, dass er keine Gladys enthielt.

Am Boden lag ein kleines blaues Halsband. Essensgeruch erfüllte die Luft.

Feucht hetzte durch den Gang zur Küche, wo der Golem feierlich vor dem Ofen stand und den klappernden Deckel eines sehr großen Topfes beobachtete. Schmutziger Schaum lief über und tropfte auf den Herd.

Gladys drehte sich um, als sie Feucht sah. »Ich Koche Dein Abendessen, Herr Feucht.«

Düstere Kreaturen des Grauens spielten vor Feuchts innerem Auge ein paranoides Himmel-und-Hölle-Spiel.

»Könntest du bitte die Schöpfkelle weglegen und vom Topf zurücktreten?«, sagte Adora Belle, die plötzlich neben ihm stand.

»Ich Koche Herrn Lipwigs Abendessen«, sagte Gladys mit einer Spur von Trotz. Feucht kam es vor, als würden die bräunlichen Schaumblasen immer größer.

»Ja, und es sieht aus, als wäre es fast fertig«, sagte Adora Belle. »Also würde ich es gerne sehen, Gladys.«

Schweigen.

»Gladys?«

Mit einer einzigen Bewegung reichte der Golem ihr die Kelle und trat zurück. Eine halbe Tonne Ton bewegte sich so leicht und lautlos wie Rauch.

Vorsichtig hob Adora Belle den Topfdeckel an und tauchte die Kelle in die siedende Masse.

Etwas kratzte an Feuchts Stiefel. Er schaute nach unten und blickte in die besorgten Goldfischaugen von Herrn Quengler.

Dann wanderte sein Blick zurück zu dem, was sich aus dem Topf erhob. Irgendwann wurde ihm bewusst, dass mindestens dreißig Sekunden verstrichen waren, seit er das letzte Mal Atem geholt hatte.

Peggy kam hereingestürmt. »Ach, da bist du ja, du ungehorsamer Bengel!«, sagte sie und hob den kleinen Hund auf. »Könnt ihr euch vorstellen, dass er den ganzen Weg bis hinunter zur Kühlkammer gelaufen ist?« Sie sah sich um und strich sich das Haar aus den Augen. »Ach, Gladys, ich habe dir gesagt, dass du den Topf von der heißen Platte nehmen sollst, wenn die Brühe dick wird!"

Feucht starrte auf die Schöpfkelle, und in der Flut der Erleichterung kämpften die unterschiedlichsten Feststellungen darum, sich Gehör zu verschaffen.

Ich mache diesen Job erst seit einer knappen Woche. Der einzige Mann, auf den ich wirklich angewiesen bin, ist schreiend davongerannt. Man wird mich als Verbrecher entlarven. Das ist ein Schafskopf...