Kapitel 5

Einkaufstour - Von der Unratsamkeit, sich von einem Golem den Rücken massieren zu lassen - Geld wird verschenkt - Einige Feststellungen über das Wesen des Vertrauens - Herr Beuge bekommt Besuch - Ein Familienangehöriger

Wo probiert man eine neue Bankidee aus? Jedenfalls nicht in einer Bank, das stand fest. Man musste sie dort ausprobieren, wo die Leute viel mehr auf Geld Acht gaben, wo sie in einer Welt des ständigen Risikos mit ihren Finanzen jonglierten und wo sich innerhalb von Sekundenbruchteilen entscheiden konnte, ob sie einen triumphalen Profit oder einen schmachvollen Verlust einfuhren. Der Allgemeinbegriff dafür war die reale Welt, und ganz besonders eignete sich dafür die Zehntes-Ei-Straße. 

Der Boffo Kram- und Scherzwarenladen an der Zehntes-Ei-Straße, Inhaber J. Proust, war eine Oase für jeden, der Furzpulver für den Gipfel des Humors hielt, was es in vielerlei Hinsicht auch war. Feucht war darauf aufmerksam geworden, weil der Laden eine Fundgrube für viele nützliche Dinge war, zum Beispiel, um sich unkenntlich zu machen.

Feucht war bisher stets vorsichtig mit Maskierungen umgegangen. Ein Schnurrbart, an dem man nur einmal zupfen musste, damit er sich löste, hatte in seinem Leben keinen Platz. Aber da er das am wenigsten auffällige Gesicht der Welt besaß, ein Gesicht, das immer noch ein Gesicht in der Menge blieb, auch wenn es ganz allein war, half es manchmal, wenn man den Leuten etwas präsentierte, von dem sie der Wache erzählen konnten. Brillen waren natürlich immer eine gute Wahl, aber Feucht hatte auch sehr befriedigende Ergebnisse mit selbst entworfenen Nasen- und Ohrenperücken erzielt. Zeig jemandem Ohren, in denen allem Anschein nach kleine Singvögel genistet haben, nimm den höflich entsetzten Blick seiner Augen zur Kenntnis, und du kannst dir sicher sein, dass die Ohren alles sind, woran er sich erinnern wird! 

Natürlich war Feucht nun ein ehrlicher Mann geworden, aber ein Teil von ihm verspürte die Notwendigkeit, nicht ganz aus der Übung zu kommen, für alle Fälle.

Heute hatte er einen Topf mit Kleister und einen großen Krug mit goldenem Glitzerstaub gekauft, weil er dafür einen Verwendungszweck im Sinn hatte.

»Das wären dann fünfunddreißig Cent, Herr Lipwig«, sagte Herr Proust. »Kommen demnächst irgendwelche neuen Briefmarken raus?«

»Ein oder zwei, Jack«, sagte Feucht. »Wie geht es Ethel? Und dem kleinen Roger?«, fügte er hinzu, nachdem er schnell die Kartei in seinem Kopf durchgegangen war.

»Sehr gut, danke der Nachfrage. Brauchst du sonst noch was?«, erkundigte sich Proust hoffnungsvoll, falls Feucht plötzlich wieder einfiel, dass er ein wesentlich besseres Leben führen könnte, wenn er ein Dutzend falscher Nasen kaufte.

Feucht betrachtete die ausgestellten Masken, die Pappnasen und gruseligen Gummihände und gelangte zu der Erkenntnis, dass seine Bedürfnisse befriedigt waren. »Nur mein Wechselgeld, Jack«, sagte er und legte behutsam eine seiner neuen Schöpfungen auf den Tresen. »Gib mir einfach einen halben Dollar raus.«

Proust starrte den Schein an, als könnte er explodieren oder ein bewusstseinsveränderndes Gas absondern. »Was ist das, Herr?«

»Ein Wechsel über einen Dollar. Ein Dollarschein. Eine ganz neue Sache.«

»Muss ich das Ding unterschreiben oder so?«

»Nein. Das ist das Interessante daran. Es ist ein Dollar. Er kann jedem gehören.«

»Mir wäre es lieber, wenn es meiner wäre, vielen Dank!«

»Jetzt gehört er dir«, sagte Feucht. »Aber du kannst ihn auch dazu benutzen, Sachen zu kaufen.«

»Aber da ist gar kein Gold drin«, sagte der Ladeninhaber und nahm ihn in die Hand, allerdings mit großem Sicherheitsabstand zu seinem Körper, nur für alle Fälle.

»Wenn ich dich in Centmünzen bezahlen würde, wäre auch darin kein Gold, richtig? Und du bekommst sogar fünfzehn Cent mehr, was doch ein gutes Geschäft ist, meinst du nicht auch? Und dieser Schein ist einen Dollar wert. Wenn du ihn zu meiner Bank bringst, gibt man dir dafür einen Dollar.«

»Aber ich habe doch schon einen Dollar! Oder etwa nicht?«

»Du hast es verstanden! Warum gehst du also nicht nach draußen und gibst ihn sofort aus? Komm schon, ich möchte sehen, wie es funktioniert.«

»Ist es genauso wie mit den Briefmarken, Herr Lipwig?«, suchte Proust nach einem Vergleich, den er begreifen konnte. »Manchmal bezahlen die Leute mich in Briefmarken, da ich eine Menge Postversand mache ...«

»Ja! Ja! Genau! Betrachte es als große Briefmarke. Hör mal, ich mache dir ein besonderes Einführungsangebot. Gib diesen Dollar aus, und anschließend bekommst du von mir einen weiteren Dollarschein, sodass du immer noch einen Dollar hast. Also gehst du nicht das geringste Risiko ein.«

»Andererseits ... wenn das hier einer der ersten Dollarscheine überhaupt ist... also, mein Junge hat welche von den ersten Briefmarken gekauft, die du ausgegeben hast, und nun sind sie schon einen ganzen Batzen wert. Wenn ich den Schein also behalte, könnte er eines Tages gutes Geld wert sein ...«

»Er ist schon jetzt Geld wert!«, jaulte Feucht. Das war das Problem mit Leuten, die langsam von Begriff waren. Mit Volltrotteln kam er zurecht. Langsame Leute jedoch brauchten zwar etwas Zeit, bis sie einen eingeholt hatten, aber wenn sie erst einmal in Schwung gekommen waren, konnten sie einen einfach überrollen.

»Ja, aber, weißt du«, und an dieser Stelle verzog der Ladeninhaber das Gesicht zu einem Grinsen, das er vermutlich für verschlagen hielt, das ihn in Wirklichkeit jedoch aussehen ließ wie Herrn Quengler, der gerade zur Hälfte seine Karamellspeise verzehrt hatte. »Das mit den Briefmarken war ziemlich schlau von dir, Herr Lipwig, ich meine, dass du ständig neue auf den Markt bringst. Meine Oma sagt immer, du besitzt so viel Unverfrorenheit, dass dir niemals kalt werden dürfte. Nichts für ungut, Herr Lipwig, meine Oma redet einfach nur, wie ihr der Schnabel gewachsen ist...«

»Ich habe dafür gesorgt, dass die Post pünktlich ausgeliefert wird, nicht wahr?«

»Oh ja. Oma sagt, du magst ein Schlawiner sein, aber du schaffst etwas, ganz klar ...«

»Richtig! Also geben wir jetzt einen verdammten Dollar aus, ja?« Ist es eine Art Magie, fragte er sich, die dafür sorgt, dass alte Damen mich problemlos durchschauen und dass ihnen gleichzeitig gefällt, was sie sehen?

Und so beschloss Herr Proust, seinen Dollar im Nachbargeschäft zu opfern, und zwar für eine Unze Pfeifentabak der Marke Fröhlicher Seemann, ein paar Minzdrops und ein Exemplar der Zeitschrift Neuer Krempel. Und nachdem Herrn Nikkei Peilwert die Sache erklärt worden war, nahm er den Schein an und ging damit quer über die Straße zu Herrn Rollkutscher, dem Fleischer, der ihn, nachdem man ein offenes Wort mit ihm gesprochen hatte, misstrauisch als Bezahlung für ein paar Würste einschließlich eines Knochens für Feucht annahm, beziehungsweise »für dein kleines Hündchen«. Allerdings war es recht wahrscheinlich, dass Herr Quengler noch nie einen echten Knochen gesehen hatte. Er umkreiste ihn vorsichtig und wartete darauf, dass er quietschte.

Die Zehntes-Ei-Straße war eine Straße der kleinen Händler, die kleine Dinge in kleinen Mengen für kleine Preise mit kleinem Gewinn verkauften. In einer solchen Straße musste man kleingeistig denken. Es war nicht der richtige Ort für große Ideen. Man musste auf Kleinigkeiten achten. Diese Männer hatten viel mehr mit Cents als mit Dollars zu tun.

Einige andere Ladenbesitzer machten bereits Feierabend. Getrieben vom Instinkt der Ankh-Morporkianer für alles Interessante kamen die Händler herüberspaziert, um zu sehen, was los war. Alle kannten sich untereinander. Alle hatten ständig miteinander zu tun. Und alle kannten Feucht von Lipwig, den Mann im goldenen Anzug. Die Scheine wurden mit großer Sorgfalt untersucht und ausführlich diskutiert.

»Eigentlich ist es doch nur ein Schuldschein.«

»Schon klar, aber nimm mal an, du brauchst das Geld.«

»Sag mir, wenn ich falsch liege, aber ist der Schuldschein nicht schon das Geld?«

»Könnte sein. Aber wer schuldet es dir?«

»Äh ... Jack, weil er ... Nein, Moment... es ist wirklich das Geld, richtig?«

Feucht grinste, während die Diskussion hin und her schwappte. Hier wuchsen völlig neue Theorien des Geldes wie Pilze heran, im Dunkeln und auf Pferdescheiße. Aber dies waren die Männer, die jede Centmünze zählten und nachts mit der Kasse unter dem Kopfkissen schliefen. Sie wogen Mehl und Rosinen und Liebesperlen ab, den Blick konzentriert auf den Zeiger der Waage gerichtet, weil sie von winzigsten Gewinnspannen lebten. Wenn er sie von der Idee des Papiergeldes überzeugen konnte, hatte er es geschafft, dann war die Sache in Feuchts trockenen Tüchern.

»Also glaubt ihr, dass sich dieses Geld durchsetzen könnte?«, fragte er während einer Gesprächspause.

Die allgemeine Ansicht lautete, ja, die Scheine waren eine gute Idee, aber sie sollten »schicker« aussehen, oder mit den Worten von Nikkei Peilwert: »Du weißt schon, mit mehr schnörkeligen Buchstaben und solchen Sachen.«

Feucht stimmte ihnen zu und schenkte jedem einen Schein als Souvenir. Sie hatten sie sich verdient.

»Und wenn die Sache wie eine Wahoonie platzt«, sagte Herr Proust, »habt ihr ja immer noch das Gold, nicht wahr? Tief unten im Keller eingeschlossen?«

»Oh ja, das Gold ist sehr wichtig«, sagte Herr Rollkutscher.

Es folge ein allgemeines Raunen der Zustimmung, und Feucht spürte, wie ihm der Mut sank.

»Aber ich dachte, wir alle wären uns einig gewesen, dass ihr das Gold gar nicht braucht«, sagte er. Eigentlich war davon gar nicht die Rede gewesen, aber einen Versuch war es wert.

»Ja, gut, aber irgendwo muss es ja bleiben«, sagte Herr Rollkutscher.

»Es sorgt für die Ehrlichkeit der Bank«, sagte Peilwert in jenem Tonfall polternder Selbstverständlichkeit, wie sie typisch für die kundigste Person dieser Welt ist, den Mann in der Kneipe.

»Aber ich dachte, ihr hättet es verstanden«, sagte Feucht. »Das Gold ist gar nicht nötig!«

»Richtig, Herr, richtig«, sagte Peilwert beschwichtigend. »Solange es einfach nur da ist.«

»Äh, kannst du mir vielleicht sagen, warum es da sein muss?«, fragte Feucht.

»Weil es für die Ehrlichkeit der Bank sorgt«, sagte Peilwert, der offenbar davon ausging, dass etwas durch Wiederholung wahr wurde. Und nachdem die Bemerkung von allen Seiten durch Nicken bestätigt wurde, drückte sie die Ansicht der gesamten Zehntes-Ei-Straße aus. Solange irgendwo das Gold war, war die Ehrlichkeit der Bank gesichert, und alles war in Ordnung. Feucht empfand tiefe Demut vor einem solchen Vertrauen. Wenn das Gold irgendwo war, würden Störche auch keine Frösche mehr fressen. Aber in Wirklichkeit gab es keine Macht der Welt, die die Ehrlichkeit einer Bank garantierte, wenn sie gar nicht ehrlich sein wollte.

Trotzdem gar kein schlechter Anfang für seinen ersten Tag. Darauf konnte er aufbauen.

Es fing an zu regnen, nicht sehr stark, sondern so fein, dass man fast auf einen Schirm verzichten konnte. Keine Droschke machte sich die Mühe, auf der Zehntes-Ei-Straße nach Kundschaft Ausschau zu halten, aber in der Verlierenden Straße stand eine am Bordstein. Das Pferd hing schlaff im Geschirr, der Kutscher hatte sich in seinen Mantel verkrochen, die Lampen flackerten in der Abenddämmerung. Da der Regen ins tropfnasse Stadium überging, war das Ganze für nasse Füße ein willkommener Anblick.

Er hastete hinüber, stieg hinein, und eine Stimme im Zwielicht sagte: »Guten Abend, Herr Lipwig. Es freut mich sehr, dich endlich kennen zu lernen. Ich bin Pucci. Ich bin überzeugt, dass wir gute Freunde werden ...« »Seht ihr, das war gut«, sagte Feldwebel Colon von der Wache, während die Gestalt von Feucht von Lipwig hinter der Ecke verschwand, wo sie immer noch an Tempo zulegte. »Er ist genau durchs Kutschenfenster gesprungen, ohne den Rahmen zu berühren, landete dann auf dem Kerl, der sich anschleichen wollte, wobei er sich vorbildlich abgerollt hat, und die ganze Zeit hat er den kleinen Hund im Arm gehalten. So was hat er bestimmt schon mal gemacht. Nichtsdestotrotz sehe ich mich genötigt, ihn alles in allem als Trottel zu betrachten.«

»Die erste Droschke«, sagte Korporal Nobbs kopfschüttelnd. »Mann, o Mann. Von einem Kerl wie ihm hätte ich so etwas nicht erwartet.«

»Meine Rede«, sagte Colon. »Wenn du weißt, dass du allenthalben Feinde hast, steig niemals in die erste Droschke. Ganz einfache Lebensweisheit. Selbst Wesen, die unter Steinen leben, wissen das.«

Sie beobachteten den Typen, der sich eben noch an Lipwig angeschlichen hatte, wie er betrübt die Überreste seines Ikonografen einsammelte, während Pucci ihn aus der Kutsche anbrüllte.

»Als die erste Droschke gebaut wurde, hat es bestimmt niemand gewagt, sie zu besteigen, wie?«, sagte Nobby fröhlich zu Colon. »Ich wette, der erste Droschkenkutscher ging jeden Abend hungrig nach Hause, weil alle Bescheid wussten, richtig?«

»Oh nein, Nobby. Leute, die nicht allenthalben Feinde haben, hätten damit keine Probleme. Jetzt lass uns gehen und Bericht erstatten.«

»Was bedeutet allenthalben überhaupt?«, fragte Nobby, während sie dem Wachhaus in der Kröselstraße und der sicheren Aussicht auf eine heiße Tasse Tee entgegenliefen.

»Es bedeutet allerorten, allerseits, Nobby. Überall, wohin du deine Nase richtest. Vor allem deine.«

»Auf jeden Fall ist sie allerhand, diese Pucci Üppig.«

»Vor allem, wenn man diese Familie zum Feind hat«, fand Colon. »Wie stehen die Chancen?«

»Chancen?«, fragte Nobby unschuldig.

»Du wettest doch, Nobby. Du hast immer eine Wette laufen.«

»Ich finde aber keine Mitspieler, Feldwebel. Es steht doch schon fest, wie die Sache ausgeht«, sagte Nobby.

»Ach so. Vernünftig. Spätestens am Sonntag wird Lipwig unter der Erde sein?«

»Nein, Feldwebel. Alle sind überzeugt, dass er gewinnen wird.«

Feucht wachte in dem großen weichen Bett auf und unterdrückte einen Schrei.

Pucci! Aaargh! Und in einem Zustand, den eher taktvolle Menschen als »leicht bekleidet« bezeichnen würden. Er hatte sich schon immer gefragt, was man sich genau darunter vorzustellen hatte, aber er hatte nicht erwartet, so viel davon auf einmal zu sehen. Selbst jetzt noch versuchten einige seiner Gedächtniszellen, vor Scham Selbstmord zu begehen.

Aber er wäre nicht Feucht von Lipwig gewesen, wenn sich seine angeborene Unbekümmertheit nicht längst bemüht hätte, die Wunden heilen zu lassen. Immerhin war er entkommen. Oh ja. Es war schließlich nicht das erste Fenster gewesen, durch das er gesprungen war. Und Puccis Wutschrei war fast genauso laut gewesen wie das Krachen, mit dem der Ikonograf auf die Pflastersteine gefallen war. Das alte Spiel mit der Honigfalle. Ha! Aber es wurde wirklich Zeit, dass er etwas Illegales tat, um seinen Verstand wieder geradezubiegen. Noch vor einem Jahr hätte er niemals gleich die erste Droschke bestiegen, das war klar. Allerdings musste es schon ein merkwürdiger Richter sein, der glaubte, dass er Pucci Üppig attraktiv fand. Damit würde kein Ankläger vor Gericht durchkommen.

Er stand auf, zog sich an und horchte hoffnungsvoll auf Lebenszeichen aus der Küche. Da sie ausblieben, kochte er sich selbst einen schwarzen Kaffee.

Damit bewaffnet, machte er sich auf den Weg ins Büro, wo Herr Quengler in seinem Ablagekorb döste und der offizielle Zylinder in vorwurfsvollem Schwarz auf ihn wartete.

Ach ja, deswegen wollte er noch etwas unternehmen, nicht wahr?

Er griff in eine Hosentasche und zog den kleinen Topf mit Kleister heraus. Es handelte sich um eins dieser praktischen Modelle, die einen Pinsel im Deckel haben, und nachdem er die Masse sorgfältig verstrichen hatte, schüttete er den Glitzerstaub so gleichmäßig wie möglich darauf.

Er war immer noch völlig in diese Arbeit vertieft, als Gladys wie eine Sonnenfinsternis vor ihm aufragte und etwas in den Händen hielt, das sich als Sandwich mit Schinken und Ei entpuppte, über einen halben Meter lang und weniger als einen halben Zentimeter dick. Außerdem hatte sie ihm eineTimes mitgebracht.

Er stöhnte. Er hatte es wieder auf die Titelseite geschafft. Das schaffte er meistens. Es lag an seinem sportlichen Mundwerk. Es ging jedes Mal mit ihm durch, sobald er ein Notizbuch sah.

Äh ... er hatte es auch auf Seite zwei geschafft. Ach, und sogar in den Leitartikel. Mist, sogar in die politische Karikatur — die eigentlich nie besonders witzig war.

Erster Gassenjunge: »Warum ist Ankh-Morpork keine einsame Insel?«

Zweiter Gassenjunge: »Wenn man auf einer einsamen Insel ist, können die Haie einen nicht beißen!«

Zum Totlachen.

Seine verschlafenen Augen wanderten zum Leitartikel zurück. Der hingegen konnte sehr witzig sein, weil er meistens davon ausging, dass es in der Welt viel besser zugehen würde, wenn die Journalisten das Sagen hätten. Er war ... Was? Was war das?

Zeit, das Undenkbare zu wagen ... endlich weht ein frischer Wind durch die Schatzkammern ... unbezweifelter Erfolg des neuen Postamts ... Briefmarken bereits als inoffizielle Währung genutzt... dringender Bedarf an unverbrauchten Ideen ... Jugend übernimmt das Ruder ...

Die Jugend übernahm das Ruder? Und das von William de Worde, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genauso alt wie Feucht war, aber Leitartikel schrieb wie ein reaktionärer Großvater?

Zwischen all den gewichtigen Worten war es manchmal schwer zu erkennen, welche Meinung de Worde tatsächlich zu einer bestimmten Angelegenheit hatte, aber im wallenden Nebel der Metaphern zeichnete sich vage ab, dass die Times Feucht von Lipwig im Großen und Ganzen, unter Berücksichtigung der Umstände und auf lange Sicht betrachtet, wahrscheinlich für den richtigen Mann auf dem richtigen Posten hielt.

Er wurde sich bewusst, dass Gladys hinter ihm stand, als rötliches Licht auf den Messingverzierungen seines Schreibtischs schimmerte.

»Du Bist Sehr Angespannt, Herr Lipwig«, sagte sie.

»Ja, richtig«, sagte Feucht und las den Leitartikel noch einmal. Bei den Göttern, der Mann schrieb wirklich, als würde er seine Worte in Stein meißeln.

»Es Gab Einen Interessanten Artikel Über Rückenmassagen Im Magazin Für Die Dame«, fuhr Gladys fort. Später dachte Feucht, dass er vielleicht mehr auf den hoffnungsvollen Unterton in ihrer Stimme hätte achten sollen. Aber er dachte: nicht nur gemeißelt, sondern außerdem mit großen Serifen verziert.

»Das Ist Sehr Gut Gegen Die Verspannungen, Die Der Rummel Des Modernen Lebens Verursacht«, tönte Gladys.

»Das wollen wir doch auf gar keinen Fall«, sagte Feucht, und dann wurde es schwarz um ihn herum.

Das Seltsame daran war, dachte er, als Peggy und Aimsbury ihn wieder zu sich gebracht und seine Knochen wieder in die richtigen Gelenke gedrückt hatten, dass er sich danach tatsächlich viel besser fühlte. Vielleicht war das der Sinn des Ganzen. Vielleicht war der schreckliche Schmerz dazu da, einem klarzumachen, dass es viel schlimmere Dinge auf der Welt gab als ein gelegentliches Zwicken.

»Es Tut Mir Sehr Leid«, sagte Gladys. »Ich Wusste Nicht, Dass So Etwas Geschehen Würde. Im Magazin Hieß Es, Der Behandelte Würde Einen Angenehmen Schauer Verspüren.«

»Damit war wohl nicht gemeint, dass man in der Lage sein sollte, seinen eigenen Augapfel zu sehen«, sagte Feucht und rieb sich den Nacken. Gladys’ Augen wurden so düster, dass er sich genötigt sah hinzuzufügen: »Aber ich fühle mich jetzt wesentlich besser. Es ist einfach wunderbar, nicht meine Fersen zu sehen, wenn ich nach unten blicke.«

»Hör nicht auf ihn, so schlimm war es gar nicht«, sagte Peggy mit schwesterlicher Solidarität. »Männer machen immer einen Riesenaufstand wegen ein bisschen Schmerz.«

»Sie Sind Nichts Anderes Als Große, Knuddelige Babys«, sagte Gladys, was eine nachdenkliche Pause nach sich zog.

»Woher hast du das?«, fragte Feucht.

»Diese Information Hat Mir Berenice Vom Briefmarkenschalter Anvertraut.«

»Also, von nun an möchte ich nicht mehr, dass du ...«

Die großen Türflügel schwangen auf. Aus den unteren Stockwerken drang lauter Tumult herauf, und wie eine Art Geräusch-wellenreiter wurde Herr Beuge vom Lärm hereingespült, düster und viel zu geschniegelt für die frühe Morgenstunde.

»Guten Morgen, Meister«, sagte er kalt. »Draußen auf der Straße wimmelt es von Leuten. Dürfte ich vielleicht diese Gelegenheit nutzen, dich zu beglückwünschen, weil du eine Theorie widerlegt hast, die derzeit an der Unsichtbaren Universität ganz groß in Mode ist?«

»Hä?«, sagte Feucht.

»Manche postulieren, dass es eine unendliche Anzahl von Universitäten gibt, damit alles, was geschehen könnte, einen Ort hat, an dem es geschehen kann. Das ist natürlich Unsinn, weil wir glauben, dass Worte dasselbe wie die Realität sind. Jetzt kann ich jedoch meinen Standpunkt untermauern, denn in einer derartigen Unendlichkeit der Welten müsste es eine geben, in der ich deine jüngsten Taten befürworte. Aber ich kann dir versichern, Herr, dass die Unendlichkeit niemals so groß sein kann!« Er warf sich ins Kreuz. »Die Leute hämmern gegen die Türen. Sie wollen ihre Konten auflösen. Ich habe dir doch gesagt, dass es im Bankwesen um Vertrauen geht!«

»Ach du liebe Güte«, sagte Feucht.

»Sie verlangen Gold!«

»Ich dachte, das wäre genau das, was ihr verspr...«

»Es ist nur ein metaphorisches Versprechen! Ich habe dir doch gesagt, dass es auf der Vereinbarung gründet, dass niemand es wirklich verlangen wird!«

»Wie viele Leute wollen ihr Geld abheben?«, fragte Feucht.

»Fast zwanzig!«

»Dann machen sie aber eine Menge Lärm, nicht wahr?«

Herr Beuge schien sich unbehaglich zu fühlen. »Nun ja, da sind auch noch ein paar andere«, sagte er. »Ein paar Irregeleitete, die Konten eröffnen möchten, aber ...«

»Wie viele?«

»Etwa zwei- oder dreihundert, aber ...«

»Sie wollen Konten eröffnen, sagst du?«

Herr Beuge wand sich. »Nur über geringfügige Summen, ein paar Dollar hier und dort«, sagte er wegwerfend. »Wie es scheint, glauben sie, dass du irgendwas im Ärmel hast.« Die einfachen Anführungszeichen erzitterten wie ein Mädchen aus gutem Hause, das eine tote Wühlmaus hochhebt.

Halb zuckte Feucht zurück. Aber halb spürte er auch allmählich den frischen Wind, der ihm ins Gesicht blies.

»Dann wollen wir sie auf gar keinen Fall enttäuschen«, sagte er und nahm den vergoldeten Zylinder auf, der immer noch klebrig war. Beuge starrte ihn an.

»Die anderen Banken sind wütend auf uns, weißt du«, sagte er und eilte Feucht hinterher, während der Meister der Münze zur Treppe unterwegs war.

»Ist das gut oder schlecht?«, fragte Feucht mit einem kurzen Blick über die Schulter. »Hör mal, wie war noch gleich diese Regel des Geldverleihens? Ich habe irgendwann mal davon gehört. Dabei geht es um die Bankzinsen.« »Meinst du >Borge dir mit anderthalb, verleihe mit zwei, geh nach Hause mit drei<?«

»Richtig! Darüber habe ich nachgedacht. Wir könnten diese Zahlen doch ein wenig verringern.«

»Wir sind hier in Ankh-Morpork! Eine Bank muss eine Festung sein! Und das ist teuer\«

»Aber wir könnten sie doch ein wenig ändern, nicht wahr? Und wir bezahlen keine Zinsen für Konten, auf denen weniger als hundert Dollar liegen, richtig?«

»Ja, so ist es.«

»Also, von heute an kann jeder ein Konto mit fünf Dollar eröffnen, und wir fangen schon viel früher an, Zinsen zu zahlen. Damit dürften die Buckel in den Matratzen etwas flacher werden, nicht wahr?«

»Meister, ich protestiere! Das Bankgeschäft ist kein Spiel!«

»Falsch, mein lieber Herr Beuge. Es ist ein sehr altes Spiel, und es heißt: >Womit kommen wir ungestraft durch ?<«

Jubel ertönte. Sie hatten einen Treppenabsatz erreicht, von dem aus man einen freien Blick auf den Hauptsaal der Bank hatte, ähnlich wie man von einer Kanzel auf die armen Sünder herabschauen kann. Ein Meer aus Gesichtern starrte für einen Moment schweigend zu Feucht hinauf. Dann rief jemand: »Wirst du uns alle reich machen, Herr Lipwig?«

Oh, verdammt, dachte Feucht. Warum sind sie alle hier?

»Also, ich werde mein Bestes tun, um euer Geld in die Hände zu bekommen!«, versprach er.

Wieder wurde gejubelt. Das überraschte Feucht nicht. Sag jemandem, dass du ihm alles rauben willst, und du erwirbst dir damit den Ruf eines aufrichtigen Mannes.

Die wartenden Ohren saugten auf, was seine Zunge absonderte, und sein gesunder Menschenverstand ging auf Urlaub. Aus der Ferne hörte er, wie sein Mund sagte: »Und damit ich noch mehr davon bekomme, möchte ich euch - das heißt, der Bankdirektor möchte es - ein Prozent Zinsen für alle Konten anbieten, auf denen mindestens ein Jahr lang mindestens fünf Dollar liegen.«

Der Hauptkassierer gab erstickte Laute von sich, aber in der Menge rührte sich kaum etwas. Die meisten Leute schienen weiterhin von der Socke unter der Matratze überzeugt zu sein. Diese Neuigkeit schien niemandem zu gefallen. Dann hob jemand die Hand und sagte: »Das ist viel Geld, das wir bezahlen müssen, um unser Geld in deinen Keller legen zu dürfen, nicht wahr?«

»Nein, es ist das, was ich euch bezahle, wenn ich euer Geld ein Jahr lang in meinen Keller legen darf«, sagte Feucht.

»Das willst du tun?«

»Gewiss. Vertraut mir.«

Das Gesicht des Fragestellers verzerrte sich zur vertrauten Maske eines langsamen Denkers, der sich bemühte hinterherzukommen. »Und wo ist der Haken?«, stieß er schließlich hervor.

Überall, dachte Feucht. Zum einen werde ich das Geld nicht in meinem Keller lagern, sondern es jemand anderem in die Tasche stopfen. Aber das musst du im Moment nicht wissen.

»Es gibt keinen Haken«, sagte er. »Wenn ihr einhundert Dollar einzahlt, wird das Konto ein Jahr später einen Wert von einhundertundeinem Dollar haben.«

»Das sagt sich leicht dahin, aber wie soll jemand wie ich einhundert Dollar auftreiben?«

»Genau hier. Wenn du nur einen Dollar investierst, wartest du ... wie lange, Herr Beuge?«

Der Hauptkassierer schnaufte. »Vierhunderteinundsechzig Jahre!«

»Nun gut, das ist eine recht lange Wartezeit, aber deine Urur-was-weiß-ich-Enkel werden stolz auf dich sein«, versuchte Feucht das Gelächter zu übertönen. »Ich sage euch jetzt, was ich tun werde: Wenn ihr hier und heute ein Konto eröffnet, sagen wir, über fünf Dollar, schenken wir euch am Montag einen Dollar dazu. Einen Gratis-Dollar, den ihr mitnehmen könnt, meine Damen und Herren! Wo bietet man euch ein besseres Geschäft als ...?«

»Einen echten Dollar oder eine von diesen Fälschungen ?«

An der Tür entstand Unruhe, als Pucci Üppig hereinrauschte. Zumindest versuchte sie es. Aber wer gekonnt hereinrauschen will, muss die Sache gut planen und vielleicht sogar mindestens einmal proben. Man kann nicht einfach losmarschieren und hoffen. Dabei kommt nur Herumgeschubse heraus.

Die zwei Schläger, die ihr einen Weg durch die dicht gedrängte Menge bahnen sollten, mussten vor der Anzahl der Menschen kapitulieren, was bedeutete, dass die etwas schlankeren jungen Männer mit den reinrassigen blonden Jagdhunden hinter ihnen stecken blieben. Pucci musste sich selbst durch die Massen schieben.

Es hätte So gut laufen können, fand Feucht. Die richtigen Zutaten waren vorhanden: die schwarz gekleideten, bedrohlichen Rabauken, die schlanken, blonden Hunde. Doch Pucci selbst war mit misstrauischen kleinen Knopfaugen und einer großzügigen Oberlippe gesegnet, was in Verbindung mit dem langen Hals an eine Ente erinnerte, die sich von einer vorbeikommenden Forelle beleidigt fühlte.

Jemand hätte ihr sagen sollen, dass ihr Schwarz einfach nicht stand, dass der teure Pelz an seinem ursprünglichen Besitzer besser ausgesehen hatte, dass, wenn man hohe Absätze trug, der Modetipp dieser Woche lautete, man dazu keine dunkle Sonnenbrille aufsetzen sollte. Denn wenn man aus dem hellen Tageslicht in einen spürbar dunkleren Innenraum trat, zum Beispiel in eine Bank, konnte man leicht jegliche Orientierung verlieren und mit dem Absatz den Fuß des eigenen Leibwächters aufspießen. Jemand hätte ihr sogar sagen müssen, dass wahrer Stil von innen kommt. Man kann ihn nicht kaufen.

»Fräulein Pucci Üppig, meine Damen und Herren!«, rief Feucht und klatschte, als Pucci sich die Sonnenbrille herunterriss und mit mordlustigen Augen dem Schalter näherte. »Sie wird genauso wie die anderen Mitglieder des Aufsichtsrats dafür sorgen, dass wir alle viel Geld machen.«

Hier und dort wurde in der Menge geklatscht, hauptsächlich von Leuten, die Pucci noch nie zuvor gesehen hatten, aber auf die kostenlose Darbietung neugierig waren.

»Hört mir zu! Alle hören mir jetzt zu!«, befahl sie. Wieder fuchtelte sie mit etwas herum, das für Feucht sehr nach einem seiner experimentellen Dollarscheine aussah. »Das hier ist nur wertloses Papier! Das ist es, was er euch geben will!«

»Nein, es ist dasselbe wie ein Blankoscheck oder eine Zahlungsanweisung«, sagte Feucht.

»Wirklich? Das werden wir ja sehen! Liebe Bürger von Ankh-Morpork! Glaubt irgendwer von euch, dass dieses Stück Papier einen Dollar wert sein könnte? Würde irgendwer mir einen Dollar dafür geben?«

»Keine Ahnung. Was ist das?«, sagte jemand, und ein Raunen ging durch die Menge.

»Eine experimentelle Banknote«, übertönte Feucht die Unruhe. »Um die neue Idee auszuprobieren.«

»Und wie viele gibt es davon?«, fragte der Mann weiter.

»Etwa zwölf«, sagte Feucht.

Der Mann wandte sich wieder an Pucci. »Ich gebe dir dafür fünf Dollar. Wie klingt das?«

»Fünf? Hier steht, dass er einen Dollar wert ist!«

»Völlig richtig. Also fünf Dollar, Fräulein.«

»Warum? Hast du den Verstand verloren?«

»Mit meinem Verstand ist alles bestens, vielen Dank, junge Dame!«

»Ich biete sieben Dollar!«, sagte ein Mann neben ihm und hob die Hand.

»Das ist Wahnsinn!«, jammerte Pucci.

»Wahnsinn?«, sagte der zweite Mann und richtete einen Finger auf Feucht. »Wenn ich einen Satz von den schwarzen Ein-Cent-Briefmarken gekauft hätte, die er letztes Jahr rausgebraucht hat, wäre ich jetzt reich!«

»Erinnert sich noch jemand an das Blaue Dreieck?«, rief ein anderer Bieter. »Die Marke hat fünfzig Cent gekostet. Ich habe eine auf einen Brief an meine Tante geklebt. Als der Brief ankam, war die Marke schon fünfzig Dollar wert! Und die alte Schachtel will sie mir einfach nicht zurückgeben!«

»Inzwischen ist sie schon einhundertsechzig wert«, sagte jemand hinter ihm. »Dafür ging sie letzte Woche in der Auktion bei Diddels Briefmarken- und Nadelbörse weg. Ich biete zehn Dollar, Fräulein!«

»Ich fünfzehn!«

Vom Treppenabsatz hatte Feucht einen guten Blick. Im Hintergrund des Saals hatte sich ein kleines Konsortium gebildet, das sich auf der Grundlage geeinigt hatte, dass kleine Anteile besser als gar keine waren.

Briefmarkensammeln! Es hatte sich vom ersten Tag an zu einer ... riesigen Sache aufgebläht, die nach seltsamen, völlig verrückten Regeln ablief. Gab es irgendetwas anderes, das durch Fehler oder Mängel wertvoller wurde? Würde man mehr für einen Anzug bezahlen, nur weil ein Ärmel kürzer als der andere war? Oder weil noch ein überflüssiges Stück Stoff dranhing? Als Feucht darauf aufmerksam geworden war, hatte er natürlich absichtlich Fehler eingebaut, um die Öffentlichkeit bei Laune zu halten, aber er hatte gewiss nicht gewollt, dass Lord Vetinaris Kopf einmal auf jedem Bogen Blauer verkehrt herum gedruckt war. Ein Drucker hätte sie beinahe alle vernichtet, bevor Feucht ihn unter Einsatz körperlicher Gewalt daran hindern konnte.

Die ganze Angelegenheit war unwirklich, so unwirklich wie Feuchts Welt. Als er noch ein ungezogener Junge gewesen war, hatte er Träume verkauft, und der Verkaufsschlager in dieser Welt waren jene Dinge, durch die man mit einem Glückstreffer sehr reich wurde. Er hatte Glas als Diamanten verkauft, weil die Gier den Blick der Menschen trübte. Vernünftige, rechtschaffene Leute, die jeden Tag hart arbeiteten, glaubten dennoch gegen jede Erfahrung, dass man aus Nichts Geld machen konnte. Aber die Briefmarkensammler ... sie glaubten an die kleine Vollkommenheit. Es war möglich, einen kleinen Teil der Welt zu vervollständigen. Und selbst wenn man ihn nicht vollständig hatte, wusste man genau, was noch fehlte. Vielleicht war es das fehlerhafte Blaue 50-Cent-Dreieck, aber irgendwo da draußen gab es noch sechs Stück, und wer wusste, welchen Glückstreffer ein eifrig Suchender erzielen mochte?

Es war schon sehr viel Glück nötig, musste Feucht einräumen, denn vier der Marken waren für Notzeiten sicher in einem kleinen Bleikasten unter den Bodendielen seines Büros verstaut. Trotzdem gab es immer noch zwei, die bislang nicht aufgefunden worden waren, vielleicht vernichtet, vielleicht von Schnecken gefressen oder - und hier türmte sich die Hoffnung hoch wie Winterschnee - in einem vergessenen Bündel Briefe ganz hinten in irgendeiner Schublade verborgen.

... und Fräulein Pucci wusste einfach nicht, wie man mit einer Menschenmenge umging. Sie stampfte mit dem Fuß auf und verlangte Aufmerksamkeit, sie tyrannisierte und beleidigte die Leute, und es half auch nicht, dass sie sie als »gute Menschen« bezeichnete, denn niemand mochte einen offensichtlichen Lügner. Und nun verlor sie die Beherrschung, weil die Bieter bereits bei vierunddreißig Dollar angelangt waren. Und dann ...

... zerriss sie den Schein!

»Da seht ihr, was ich von diesem idiotischen Geld halte!«, verkündete sie und warf die Fetzen in die Luft. Dann stand sie schwer keuchend da und blickte sich triumphierend um, als hätte sie etwas besonders Kluges getan. Für alle Anwesenden war es ein Schlag ins Gesicht. Man hätte weinen können, wirklich. Nun gut...

Feucht zog einen der neuen Scheine aus der Tasche und hielt ihn hoch.

»Meine Damen und Herren!«, rief er. »Ich habe hier einen der zunehmend seltener werdenden Ein-Dollar-Scheine der ersten Generation ...«Er musste kurz innehalten, um das Gelächter abzuwarten. »... von mir und dem Bankdirektor persönlich unterzeichnet. Ich eröffne bei vierzig Dollar, bitte! Alle Erlöse gehen an die kleinen Kinderchen!«

Er trieb die Gebote bis auf fünfzig hoch und nahm nicht einmal jedes an. Pucci wurde ignoriert und stand eine Weile wutschnaubend da, bis sie herumwirbelte und abging. Auch das war eine beeindruckende Vorstellung. Sie hatte keine Ahnung, wie man mit Leuten umging, und sie versuchte ihr Selbstbewusstsein durch Selbstüberschätzung zu steigern, aber die Frau konnte fast so gut herumwirbeln und abgehen wie ein fetter Truthahn auf einem Trampolin.

Der glückliche Gewinner wurde bereits von seinen unglücklichen Mitbietern umzingelt, als er den Ausgang der Bank erreichte. Der Rest der Menge drängte zu den Schaltern, ohne genau zu wissen, was eigentlich los war, aber fest entschlossen, ein Stück davon abzubekommen.

Feucht legte die Hände an den Mund und rief: »Und heute Nachmittag, meine Damen und Herren, stehen Herr Beuge und ich euch persönlich zur Verfügung, um über die Vergabe von Bankkrediten zu reden!« Das führte zu neuer Unruhe. »Schall und Rauch, Herr Lipwig«, sagte Beuge und wandte sich von der Balustrade ab. »Nichts als Schall und Rauch ...«

»Aber wir haben es völlig ohne Rauch geschafft, Herr Beuge!«, sagte Feucht fröhlich.

»Und was ist mit den >Kindchen<?«, fragte Beuge.

»Such welche. Es muss doch irgendein Waisenhaus geben, das fünfzig Dollar gebrauchen kann. Natürlich als anonyme Spende.« Beuge sah ihn überrascht an. »Wirklich, Herr Lipwig? Ich muss ganz offen sagen, dass ich dich eher für jemanden gehalten hätte, der ein großes Tschingbumderassassa darum macht, wenn er Geld für wohltätige Zwecke spendet.« Dabei sprach er »Tschingbumderassassa« aus, als wäre es eine esoterische Perversion.

»Das mache ich nicht. Tu Gutes nur heimlich, das ist mein Motto.« Man wird sowieso schnell genug dahinterkommen, fügte er in Gedanken hinzu, und dann bin ich nicht nur ein richtig feiner Kerl, sondern ein bescheidener obendrein.

Dabei frage ich mich ... bin ich wirklich ein Mistkerl, oder bin ich einfach nur gut darin, wie einer zu denken? 

Etwas rührte sich in seinem Hinterkopf. Die winzigen Haare in seinem Nacken zuckten. Etwas stimmte nicht, war nicht in Ordnung ... war gefährlich. Er drehte sich um und blickte erneut in den Saal. Die Leute wimmelten durcheinander, bildeten Schlangen, fanden sich zu Diskussionsgruppen zusammen ...

In einer Welt der Bewegung wird das Auge vom Stillstand angezogen. Mitten in der Schalterhalle stand, von der Menge völlig unbehelligt, ein Mann, als wäre er in der Zeit erstarrt. Er war ganz in Schwarz gekleidet und trug einen flachen, breiten Hut, wie er oft von Vertretern der obskureren omnianischen Sekten getragen wurde. Er ... stand einfach nur da. Und beobachtete. Nur ein weiterer Gaffer, der sich das Spektakel nicht entgehen lassen will, sagte sich Feucht und wusste gleichzeitig, dass er sich selbst belog. Von diesem Mann ging eine starke Kraft aus.

Ich habe eidesstattliche Erklärungen hinterlegt...

Uber ihn? Worum ging es da? Feucht hatte keine Vergangenheit. Nun gut, ein Dutzend Alter Egos von ihm hatten ein recht bewegtes und ereignisreiches Leben geführt, aber sie alle hatten sich zusammen mit Albert Spangier in Luft aufgelöst, als dieser am Galgen gebaumelt hatte und noch nicht ganz tot von Lord Vetinari wiederbelebt worden war, der Feucht von Lipwig ein niegelnagelneues Leben angeboten hatte ...

Bei den Göttern, jetzt wurde er schon nervös, wenn irgendein alter Kerl ihn mit einem komischen Lächeln anstarrte! Niemand konnte ihn kennen! Er war Herr Vergissmich Gleichwieder! Wenn er ohne den goldenen Anzug in der Stadt herumspazierte, war er nur irgendein Passant.

»Geht es dir nicht gut, Herr Lipwig?«

Feucht drehte sich um und blickte in das Gesicht des Hauptkassierers. »Was? Aber nein ...ich meine, doch, mir geht es gut. Äh ... hast du diesen Mann da drüben schon mal gesehen?«

»Welchen Mann meinst du?«

Feucht wandte sich wieder dem Saal zu, um auf den Mann in Schwarz zu zeigen, doch jetzt war er nicht mehr da.

»Hat wie ein Priester ausgesehen«, murmelte er. »Er war ... wie soll ich sagen? ... jedenfalls hat er mich angesehen.«

»Ich muss sagen, dass du es geradezu herausforderst. Vielleicht findest du auch, dass der goldene Zylinder keine gute Idee war.«

»Mir gefällt der Hut! So einen gibt es kein zweites Mal!«

Beuge nickte. »So ist es, zum Glück, Herr. Du meine Güte! Papiergeld! Eine Praxis, die bisher nur bei den heidnischen Achatenern üblich war ...«

»Heidnisch? Sie haben viel mehr Götter als wir! Und dort ist Gold viel weniger wert als Eisen!«

Feucht gab es auf. Beuges Gesicht, das normalerweise beherrscht und unnahbar war, hatte sich zusammengeknüllt wie ein Stück Papier. »Ich habe ein paar Sachen nachgelesen. Die Banken geben Münzen aus, die viermal so viel wert sind wie das Gold, das sie enthalten. Das ist ein Unsinn, auf den wir verzichten könnten. Es ist eine Traumwelt. Diese Stadt ist reich genug; sie ist ihr eigener Goldbarren!«

»Die Leute vertrauen dir ohne guten Grund«, sagte Beuge. »Sie vertrauen dir, weil du sie zum Lachen bringst. Ich bringe die Leute nicht zum Lachen, und das ist auch nicht meine Welt. Ich kann nicht lächeln, wie du es tust, und ich kann nicht reden, wie du es tust. Verstehst du es nicht? Es muss etwas geben, das einen Wert hat, der nicht von Mode oder Politik abhängig ist, einen dauerhaften Wert. Willst du Vetinari die Kontrolle über meine Bank geben? Womit garantieren wir Sicherheit für die Ersparnisse, die diese Leute uns über den Schalter schieben?«

»Nicht womit, sondern wer. Ich bin es. Ich werde persönlich dafür sorgen, dass diese Bank niemanden enttäuscht.«

»Du?«

»Ja.«

»Ach ja, der Mann im goldenen Anzug«, sagte Beuge säuerlich. »Und wenn alles andere versagt, willst du beten oder was?«

»Letztes Mal hat es funktioniert«, sagte Feucht ruhig.

Beuges Auge zuckte. Zum ersten Mal, seit Feucht ihn kennen gelernt hatte, wirkte er ... ratlos.

»Ich weiß nicht, was du von mir erwartest!«

Es klang fast wie ein Wimmern. Feucht klopfte ihm auf die Schulter.

»Führe die Bank, wie du es schon immer getan hast. Ich glaube, wir sollten ein paar Kredite vergeben, wenn so viel Bargeld hereinkommt. Hast du eine gute Menschenkenntnis?«

»Ich dachte schon«, sagte Beuge. »Aber jetzt? Ich habe keine Ahnung. Sir Joshua hatte keine, wie ich zu meinem Bedauern sagen muss. Frau Üppig hingegen war darin meiner Ansicht nach sehr gut.«

»Besser, als du ahnst«, sagte Feucht. »Gut. Ich gehe jetzt mit dem Bankdirektor Gassi, und dann ... werden wir etwas Geld unter die Leute verteilen. Wie klingt das?«

Herr Beuge erschauderte.

Die Times brachte eine Frühnachmittagsausgabe heraus, mit einem großen Bild davon auf der Titelseite, wie sich die Warteschlange aus der Bank wand. Die meisten in der Schlange wollten einfach nur dabei sein, ganz gleich, wobei sie waren, und die übrigen stellten sich an, weil sie am anderen Ende vielleicht etwas Interessantes erwartete. Ein Junge verkaufte die Zeitung, und die Leute rissen sie ihm aus den Händen, um den Bericht mit dem Titel »Bank im Würgegriff einer Riesenschlange« zu lesen, was Feucht ziemlich merkwürdig vorkam. Schließlich waren sie doch Teil der Schlange, nicht wahr? Wurde die Sache erst dann real, wenn sie darüber lasen?

»Hier sind bereits ein paar ... Personen, die wegen Krediten angefragt haben, Herr«, sagte Beuge hinter ihm. »Ich schlage vor, dass ich mich um sie kümmere.«

»Nein, wir werden es tun, Herr Beuge«, sagte Feucht und wandte sich vom Fenster ab. »Führe sie bitte ins Büro im Erdgeschoss.«

»Ich finde wirklich, dass du es mir überlassen solltest, Herr. Für einige von ihnen ist die Idee noch recht neu, mit einer Bank ins Geschäft zu kommen«, beharrte Beuge auf seinem Standpunkt. »Ich glaube sogar, dass manche noch nie zuvor in einer Bank waren, außer vielleicht in den Nachstunden.«

»Ich möchte natürlich, dass du anwesend bist, aber ich werde die letzte Entscheidung treffen«, sagte Feucht so hochmütig, wie er nur konnte. »Unterstützt vom Direktor, versteht sich.«

»Herrn Quengler?«

»Aber ja.«

»Er ist ein vorzüglicher Menschenkenner, nicht wahr?«

»Aber ja!«

Feucht nahm den Hund auf den Arm und machte sich auf den Weg zum Büro. Er spürte, wie sich die Blicke des Hauptkassierers in seinen Rücken bohrten. Beuge hatte Recht behalten. Einige der Leute, die hoffnungsvoll auf ihn warteten, wollten sich bis nächsten Freitag ein paar Dollar borgen. Mit ihnen kam er leicht zurecht. Und dann waren da noch die anderen ...

»Herr Schnapper, nicht wahr?«, sagte Feucht. Er wusste, wer der Mann war, aber so etwas musste man einfach sagen, wenn man hinter einem Schreibtisch saß. »Das ist richtig, Herr«, sagte Herr Schnapper, dessen Gesicht den permanent aufmerksamen Ausdruck eines Nagetiers hatte. »Ich könnte auch jemand anderer sein, wenn du möchtest.«

»Und du verkaufst Schweinefleischpasteten, Würstchen, Ratte-am-Stiel...«

»Äh, ich handle einzeln damit«, stellte Schnapper richtig, »da ich schließlich ein Einzelhändler bin.«

Feucht blickte ihn über die Dokumente hinweg an. Tristan Maximilian Sebastian Ignatius der Ruchbare Schnapper, ein Name, der größer als der Mann selbst war. Jeder kannte T. M. S. I. D. R. Schnapper. Er verkaufte Pasteten und Würstchen aus einem Bauchladen, normalerweise an Leute, die bereits alkoholabhängig waren und dann auch noch würstchenabhängig wurden. 

Auch Feucht hatte schon gelegentlich eine Schweinefleischpastete oder ein Würstchen im Brötchen bei ihm gegessen, und diese bloße Tatsache interessierte ihn. Das Zeug hatte etwas an sich, das einen nach mehr verlangen ließ. Es musste irgendeine geheime Zutat sein, oder vielleicht wollte das Gehirn nur nicht glauben, was die Geschmacksnerven ihm sagten, und noch einmal diese Flut aus heißen, fettigen, nicht gänzlich organischen, leicht knusprigen Substanzen spüren, die sich über die Zunge ergossen. Also kaufte man noch eins.

Und, man konnte es nicht anders sagen, es gab Zeiten, wenn ein Schnapper-Würstchen im Brötchen einfach das war, was man wollte. Traurig, aber wahr. Jeder kannte solche Momente. Manchmal war man im Leben so tief unten angelangt, dass ein paar lebenswichtige Sekunden lang diese Kakophonie aus seltsamen Fetten und beunruhigenden Konsistenzen der einzige Freund auf der ganzen Welt war.

»Hast du ein Konto bei uns, Herr Schnapper?«

»Jaherr, dankeherr«, sagte Schnapper, der die Einladung abgelehnt hatte, seinen Bauchladen abzustellen, und ihn wie einen Schutzschild vor sich hielt, während er saß. Die Bank schien den Straßenhändler nervös zu machen. Natürlich war es genauso gedacht. Das war der Grund für all die Säulen und den Marmor. Sie sollten den Leuten das Gefühl geben, nicht hierherzugehören.

»Herr Schnapper hat ein Konto über fünf Dollar eröffnet«, sagte Beuge.

»Und ich habe ein Würstchen für dein kleines Hündchen mitgebracht«, sagte Schnapper.

»Wozu brauchst du einen Kredit, Herr Schnapper?«, fragte Feucht, während er beobachtete, wie Herr Quengler misstrauisch das Würstchen beschnupperte.

»Ich möchte mein Unternehmen expandieren, Herr«, sagte Schnapper.

»Du betreibst dein Geschäft schon seit über dreißig Jahren«, sagte Feucht.

»Jaherr, dankeherr.«

»Und deine Produkte sind, wie ich wohl behaupten kann, einzigartig ...«

»Jaherr, dankeherr.«

»Also kann ich mir vorstellen, dass du unsere Hilfe brauchst, um eine Kette von Franchise-Restaurants, die den Namen Schnapper benutzen dürfen, zu eröffnen, damit dort verschiedene Mahlzeiten und Getränke angeboten werden, wie sie für dich typisch sind«, sagte Feucht.

Herr Quengler sprang vom Schreibtisch, wobei er das Würstchen vorsichtig im Maul hielt. Dann ließ er es in einer Ecke des Büros fallen und versuchte hektisch, es unter dem Teppich zu verscharren. Schnapper sah Feucht verständnislos an, dann sagte er: »Jaherr, wenn du darauf bestehst, aber eigentlich hatte ich eher an einen Schubkarren gedacht.«

»Einen Schubkarren?«, sagte Beuge.

»Jaherr. Ich weiß, woher ich einen gut erhaltenen aus zweiter Hand bekommen kann, mit Ofen und allem, was man braucht. Ist auch sehr hübsch bemalt. Will Einfalt steigt aus dem Backkartoffelgeschäft aus, wegen zu viel Stress, und er will ihn mir für fünfzehn Dollar überlassen, bar auf die Hand. Eine Gelegenheit, die ich mir auf keinen Fall entgehen lassen sollte, Herr.« Er warf einen nervösen Blick zu Herrn Beuge und fügte hinzu: »Ich könnte dir einen Dollar pro Woche zurückzahlen.«

»Zwanzig Wochen lang«, sagte Beuge.

»Siebzehn«, sagte Feucht.«

»Aber der Hund hat gerade versucht...«

Feucht tat den Einwand mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. »Abgemacht, Herr Schnapper?«

»Jaherr, dankeherr«, sagte Schnapper. »Und das ist eine gute Idee, das mit der Kette und so weiter, und ich danke dir. Aber ich finde, dass es sich in diesem Geschäft auszahlt, mobil zu bleiben.« 

Herr Beuge zählte widerwillig fünfzehn Dollar ab, und sobald sich die Tür hinter dem Händler geschlossen hatte, setzte er zum Reden an. »Nicht einmal der Hund wollte ...«

»Aber Menschen tun es, Herr Beuge«, sagte Feucht. »Und das ist das Geniale daran. Ich glaube, er macht das meiste Geld mit seinem Senf, aber er ist ein Mann, der weiß, wie man das Brutzeln verkauft. Es ist eine Branche, in der die Verkäufer die Preise bestimmen.« Der letzte Kreditkandidat wurde zunächst von zwei muskelbepackten Männern angekündigt, die sich links und rechts von der Tür aufbauten, dann durch einen Geruch, der sogar die hartnäckige Duftnote eines Schnapper - Würstchens übertönte. Es war gar kein ausgesprochen unangenehmer Geruch, sondern einer, der einen an alte Kartoffeln oder verschüttete Keller erinnerte, das, was herauskam, wenn man mit einem richtig üblen Gestank anfing und dann kräftig schrubbte, ohne Hoffnung, ihn völlig wegzubekommen. Er umgab König wie ein Herrschergewand. Feucht war erstaunt. Man nannte ihn den König des Goldenen Flusses, weil die Grundlage seines Vermögens das war, was seine Männer täglich an Urin aus jeder Gaststätte in der Stadt zusammentrugen. Die Kunden bezahlten ihn, damit er die Ware fortschaffte, und die Alchimisten, Gerber und Färber bezahlten ihn, damit er sie mit der Ware belieferte. Aber das war nur der Anfang gewesen. Paul Königs Männer entsorgten alles. Man sah ihre Karren überall, vor allem in den Morgenstunden. Jeder Lumpensammler und Müllwühler, jeder Latrinenleerer und Jauchetaucher, jeder Altmetallhändler ... man arbeitete einfach für Paul König, hieß es, weil ein gebrochenes Bein schlecht fürs Geschäft war. Es hieß, wenn man einen Hund auf der Straße sah, der auch nur ansatzweise angespannt wirkte, zog einer von Königs Männern sofort eine Schaufel hervor, um sie ihm unter den Hintern zu halten, weil man für erstklassigen Hundekot bis zu 9 Cent pro Eimer von den führenden Färbern der Stadt bekam. Sie bezahlten Paul. Die Stadt bezahlte Paul. Jeder bezahlte Paul. Und was er ihnen nicht in etwas wohlriechenderer Form wiederverkaufen konnte, landete auf seinen riesigen Komposthaufen flussabwärts, von denen an Frosttagen so gewaltige Dampfwolken aufstiegen, dass sie von den Kindern »Wolkenfabriken« genannt wurden.

Abgesehen von seinen angeheuerten Helfern wurde König von einem dürren jungen Mann begleitet, der eine Aktentasche an sich drückte.

»Ein nettes Büro hast du hier«, sagte Paul und setzte sich auf den Stuhl gegenüber von Feucht. »Sehr ordentlich. Meine Frau hat mich schon bedrängt, genau solche Vorhänge zu besorgen. Ich bin Paul König, Herr Lipwig. Ich habe gerade fünfzigtausend Dollar auf deine Bank gebracht.«

»Vielen Dank, Herr König. Wir werden sehr gut darauf aufpassen.«

»Tut das. Und nun möchte ich mir gerne einhunderttausend leihen«, sagte Paul und zog eine dicke Zigarre aus der Tasche.

»Hast du irgendwelche Sicherheiten, Herr König?«, fragte Beuge. Paul König sah ihn nicht einmal an. Er entzündete die Zigarre, paffte, bis sie zum Leben erweckt war, und deutete dann damit in Beuges ungefähre Richtung.

»Wer ist das, Herr Lipwig?«

»Herr Beuge ist unser Hauptkassierer«, sagte Feucht und wagte es nicht, in Beuges Gesicht zu blicken.

»Also ein Angestellter«, sagte Paul König abfällig, »und das war eine typische Angestelltenfrage.«

Er beugte sich vor. »Mein Name ist Paul König. Mehr Sicherheit braucht ihr nicht, und in dieser Stadt sollte sie gut genug für hundert Riesen sein. Paul König. Jeder kennt mich. Ich zahle, was ich schuldig bin, und nehme, was man mir schuldig ist, darauf gebe ich mein Wort. Mein Händedruck ist mein Vermögen. Paul König.« Er schlug mit den großen Händen auf den Tisch. Mit Ausnahme des fehlenden kleinen Fingers der rechten Hand hatte er an jedem Finger einen schweren Goldring, und in jeden Ring war ein Buchstabe graviert. Wenn man sie auf sich zukommen sah, zum Beispiel in einer Gasse, wo man in Abfall kramte, der einem nicht zustand, wäre das Letzte, was man sah, der Name P*A*U*L*K*Ö*N*I*G. Es war gut, wenn man sich diese Tatsache ins Gehirn einprägte, damit sich einem nicht eines Tages der Abdruck einer Metallstange ins Gehirn einprägte.

Feucht blickte auf und sah dem Mann in die Augen.

»Wir würden etwas mehr als das benötigen«, murrte Beuge von irgendwo hinter Feucht.

Paul König blickte nicht einmal auf. Er sagte: »Ich rede nur mit dem Leierkastenmann.«

»Herr Beuge, könntest du wohl für ein paar Minuten nach draußen treten«, sagte Feucht gut gelaunt, »und vielleicht könnten Herrn Königs ... Geschäftspartner das Gleiche tun?«

Paul König nickte kaum wahrnehmbar.

»Herr Lipwig, ich muss wirklich ...«

»Bitte, Herr Beuge.«

Der Hauptkassierer schnaufte, doch dann verließ er zusammen mit den Schlägern das Büro. Der junge Mann mit der Aktentasche wollte ihnen folgen, doch Paul winkte ihn zurück. »Du solltest auf diesen Beuge aufpassen«, sagte er. »Er hat irgendetwas Komisches an sich.« »Seltsam, aber er selbst würde es gar nicht mögen, als komisch bezeichnet zu werden. Also, wozu braucht Paul König Geld, Herr König? Jeder weiß, dass du reich bist - um nicht zu sagen, stinkreich. Geht das Hundekotgeschäft etwa den Bach runter - buchstäblich oder auch nicht?«

»Ich konsolidiere mich«, sagte König. »Dieses Projekt... es bietet einem Mann am richtigen Ort einige gute Gelegenheiten. Es ist an der Zeit, Land zu kaufen und Hände zu schmieren ... du weißt, wie so etwas läuft. Aber die anderen Banken, sie wollen dem König des Goldenen Flusses nichts borgen, obwohl es meine Jungs sind, die dafür sorgen, dass ihre Latrinen wie Veilchen duften. Diese eingebildeten Weicheier würden knöcheltief in ihrer eigenen Pisse waten, wenn ich nicht wäre, aber sie halten sich die Nasen zu, wenn ich vorbeigehe, das tun sie!« Er hielt inne, als wäre ihm ein neuer Gedanke gekommen. »Nun ja, das tun natürlich die meisten Leute, aber man kann schließlich nicht alle fünf Minuten ein verdammtes Bad nehmen, und diese Bankleute zeigen mir auch dann die kalte Schulter, wenn meine Frau mir gerade die Haut wundgeschrubbt hat. Wie können sie es wagen! Mein Geschäft ist sicherer als das der meisten Schleimer, die sie als Kunden haben, darauf kannst du einen lassen. Ich beschäftige eintausend Leute in dieser Stadt, Herr, auf die eine oder andere Weise. Das sind tausend Familien, denen ich die Mäuler stopfe. Ich verdiene mein Geld mit Scheißern, aber ich lasse mich nicht verscheißern.«

Er ist kein Gauner, sagte sich Feucht. Er hat sich selber aus dem Dreck gezogen und sich nach oben gekämpft, und das in einer Welt, in der die Länge eines Bleirohrs entscheidend für den Verhandlungserfolg ist. In dieser Welt traute man keinem Stück Papier. In dieser Welt zählte nur der Ruf.

»Einhunderttausend Dollar sind eine Menge«, sagte er laut.

»Aber du wirst sie mir geben«, sagte König grinsend. »Ich weiß es, denn du bist ein Glücksspieler, genauso wie ich. Ich kann es an dir riechen. Ich wittere einen Mann, der in seinem Leben ein oder zwei Dinger gedreht hat.«

»Wir alle müssen essen, Herr König.«

»Natürlich, natürlich. Und jetzt können wir uns wie Würdenträger zurücklehnen und Stützen der Gesellschaft sein, nicht wahr? Also können wir uns beglückwünschen und einander die Hände schütteln, wie feine Herren, die wir nicht sind. Das hier«, fuhr er fort und legte eine große Pranke auf die Schulter des jungen Manns an seiner Seite, »ist Willibald, mein Buchhalter, der mir die Rechenarbeit abnimmt. Er ist neu, weil ich den letzten, den ich hatte, dabei erwischt habe, wie er mich bescheißen wollte. Das war ein Riesenspaß, wie du dir vielleicht vorstellen kannst!« Willibald schien es überhaupt nicht spaßig zu finden.

»Vielleicht kann ich das«, sagte Feucht. Paul König ließ seine verschiedenen Niederlassungen durch Kreaturen bewachen, die nur als Hunde bezeichnet werden konnten, weil Wölfe niemals so irrsinnig waren. Und man sorgte dafür, dass sie ständig Hunger hatten. Es gab viele Gerüchte, über die Paul König vermutlich sehr glücklich war. Werbung zahlt sich aus. Man trieb kein falsches Spiel mit Paul König. Aber es funktionierte in beide Richtungen.

»Willibald kann mit deinem dressierten Affen über Zahlen reden«, sagte Paul und stand auf. »Du willst mich ausquetschen, was völlig in Ordnung ist. Geschäft ist Geschäft, als ob ich das nicht wüsste. Was meinst du?«

»Nun, ich würde sagen, dass wir eine Vereinbarung haben, Herr König«, sagte Feucht. Dann spuckte er sich auf die Hand und hielt sie ihm hin.

Der Gesichtsausdruck des Mannes war eine Augenweide.

»Ich wusste gar nicht, dass Bankiers so etwas machen«, sagte Paul.

»Es kommt auch nicht häufig vor, dass sie Paul König die Hand schütteln«, erwiderte Feucht. Wahrscheinlich übertrieb er es, aber König zwinkerte, spuckte auch sich in die Hand und ergriff die von Feucht. Feucht war darauf gefasst gewesen, aber es schmerzte trotzdem, als der Mann ihm die Finger zusammenquetschte.

»Du hast mehr Scheiße in dir als eine verängstigte Kuhherde auf einer frischen Wiese, Herr Lipwig.«

»Vielen Dank, Herr. Das fasse ich als Kompliment auf.«

»Und nur, um deinen Affen bei Laune zu halten, werde ich die Besitzurkunde über die Papiermühle, den großen Lagerplatz und ein paar andere Immobilien bei euch hinterlegen«, sagte Paul. »Gib ihm die Papiere, Willibald.«

»Das hättest du gleich sagen sollen, Herr König.«

»Ja, aber ich habe es nicht getan. Wollte mich zuerst vergewissern, was für ein Kerl du bist. Wann kann ich das Geld haben?«

»Bald. Wenn ich es gedruckt habe.«

Paul König rümpfte die Nase. »Ach ja, dieses Papierzeug. Mir ist Geld lieber, das klimpert, aber Willibald sagt, dass Papier eine ganz große Zukunft hat.« Er zwinkerte. »Und eigentlich darf ich mich gar nicht beklagen, weil der alte Rolle seit kurzem sein Papier von mir kauft. Ich kann schlecht ablehnen, was ich selber mitproduziert habe, nicht wahr? Dir noch einen guten Tag, Herr!«

Herr Beuge kehrte zwanzig Minuten später ins Büro zurück, mit einem Gesicht wie eine Steuernachforderung, während Feucht versonnen auf einen Zettel starrte, der auf dem abgenutzten grünen Leder des Schreibtischs lag.

»Herr, ich muss protestieren ...«

»Hast du ihn auf einen guten Zinssatz festgenagelt?«, sagte Feucht.

»Ja, und darauf bin ich stolz, aber die Art und Weise, wie du ...«

»Wir werden sehr viel an Paul König verdienen, Herr Beuge, und er an uns.«

»Aber du verwandelst meine Bank gerade in so etwas wie ...«

»Unseren Freund Paul nicht mitgerechnet, haben wir heute mehr als viertausend Dollar eingenommen. Das meiste kam von Leuten, die du als Armenhäusler bezeichnen würdest, aber von ihnen gibt es viel mehr als von den Reichen. Dieses Geld können wir arbeiten lassen. Und diesmal werden wir nichts an Schurken verleihen, da musst du dir keine Sorgen machen. Ich bin selber ein Schurke, und ich wittere andere eine Meile gegen den Wind. Bitte bestell dem Schalterpersonal einen netten Gruß von mir. Und jetzt, Herr Beuge, werden Herr Quengler und ich einen Mann aufsuchen, der uns beim Geldmachen helfen soll.«

Wimmler & Rolle waren ganz groß im Geschäft, weil sie den Briefmarkendruckauftrag übernommen hatten. Sie hatten schon vorher die besten Druckerzeugnisse geliefert, aber nun besaßen sie genug Mitarbeiter und Mittel, um sich für alle größeren Aufträge zu bewerben. Und man konnte ihnen vertrauen. Feucht hatte immer wieder ein schlechtes Gewissen, wenn er die Druckerei besuchte, denn Wimmler & Rolle schien all das zu repräsentieren, was er nur vortäuschte.

Als er eintrat, brannten sehr viele Lampen. Und Herr Rolle war in seinem Büro, wo er in einem Rechnungsbuch schrieb. Er blickte auf, und als er Feucht sah, lächelte er auf jene Weise, die man sich nur für die besten Kunden aufspart.

»Herr Lipwig! Was kann ich für dich tun? Nimm doch Platz! In letzter Zeit sieht man dich immer seltener!«

Feucht setzte sich und plauderte, weil Herr Rolle sehr gern plauderte.

Die Lage war schwierig. Die Lage ist immer schwierig. Heutzutage gab es viel mehr Druckereien. W&R spielten auf den ersten Plätzen mit, weil sie sich anstrengten. Bedauerlicherweise, so erklärte Herr Rolle, ohne eine Miene zu verziehen, waren ihre »freundlichen« Rivalen, die Zauberer an der Unsichtbaren Universität, mit ihren sprechenden Büchern auf die Nase gefallen ...

»Sprechende Bücher? Das klingt nach einer guten Idee«, sagte Feucht.

»Möglicherweise«, räumte Rolle naserümpfend ein. »Aber sie war zum Scheitern verurteilt, wobei man sich keineswegs über die Qualität des Klebstoffs und die Tollpatschigkeit des Setzers beschweren kann. Und jetzt kann die Universität sie nicht einmal einstampfen.«

»Warum nicht?«

»Denk nur an das Geschrei! Nein, ich darf voller Stolz behaupten, dass wir immer noch Marktführer sind. Äh ... gibt es etwas Bestimmtes, weswegen du gekommen bist?«

»Was kannst du daraus machen?«, fragte Feucht und legte einen seiner neuen Dollars auf den Tisch.

Rolle hob ihn auf und las sorgfältig die Aufschrift. Dann sagte er mit einer Stimme wie aus weiter Ferne: »Ich habe etwas davon gehört. Weiß Vetinari, was du da vorhast?«

»Herr Rolle, ich wette, er kennt meine Schuhgröße und weiß auch, was ich zum Frühstück hatte.«

Der Drucker legte den Schein vorsichtig wie eine tickende Bombe auf den Tisch. »Ich verstehe, worum es geht. So ein kleines Ding, und doch so gefährlich.«

»Kannst du solche Scheine drucken?«, fragte Feucht. »Natürlich nicht genauso wie diesen hier. Ich habe nur ein paar davon gemacht, um die Idee auszuprobieren. Ich meine Banknoten von hoher Qualität, wenn ich einen Künstler finde, der sie mir zeichnet.«

»Aber ja. Unser Name ist gleichbedeutend mit Qualität. Wir bauen gerade eine neue Druckerpresse, um der Nachfrage gerecht zu werden. Aber was ist mit der Sicherheit?«

»Was, hier drinnen? Bisher hat es damit noch keine Schwierigkeiten gegeben, soweit mir bekannt ist.«

»Richtig. Aber bis jetzt lag bei uns auch noch nie so viel Geld herum, falls du verstehst, was ich meine.«

Rolle hob den Schein auf und ließ ihn fallen. Er segelte gemütlich im Zickzack durch die Luft, bis er wieder auf dem Schreibtisch landete. »Und so leicht«, fuhr er fort. »Es wäre gar kein Problem mehr, ein paar tausend Dollar mit sich herumzutragen.«

»Aber dieses Geld lässt sich nur schwer einschmelzen. Hör mal, bau die neue Presse doch einfach im Münzamt auf. Da ist noch viel Platz. Problem gelöst.«

»Nun ja, das klingt durchaus sinnvoll. Aber eine Presse ist ein großes Ding und nur schwer zu transportieren, musst du wissen.

Es wird Tage dauern, sie hinüberzuschaffen. Bist du damit in Eile? Was frage ich? Natürlich bist du es.«

»Heuer ein paar Golems an. Vier Golems können praktisch alles heben. Fang übermorgen an, Dollars für mich zu drucken, und die ersten tausend sind für dich.«

»Warum bist du nur immer so in Eile, Herr Lipwig?«

»Weil die Leute keine Veränderungen mögen. Aber wenn man dafür sorgt, dass die Veränderung schnell genug stattfindet, wird die alte Normalität einfach von der neuen abgelöst.«

»Nun gut, wir könnten natürlich ein paar Golems einstellen«, sagte der Drucker. »Aber ich befürchte, dass es noch andere Schwierigkeiten geben wird, die nicht so leicht zu lösen sind. Wenn du anfängst, Geld zu drucken, sollte dir klar sein, dass es schon bald Fälschungen geben wird. Die Mühe lohnt sich nicht, wenn es zum Beispiel um eine Zwanzig-Cent-Briefmarke geht, aber wenn es sich um, sagen wir, einen Zehn-Dollar-Schein handelt...« Er zog die Augenbrauen hoch.

»Ja, wahrscheinlich. Schwierigkeiten?«

»Große, mein Freund. Aber wir können für Abhilfe sorgen. Anständiges Leinenpapier mit einem fühlbaren Fadenmuster, Wasserzeichen, eine gute Zaubertinte, häufiges Wechseln der Druckplatten, damit das Ergebnis gestochen scharf bleibt, kleine Tricks beim Entwurf der Vorlagen ... und sie sollten kompliziert sein. Das ist sehr wichtig. Ja, wir könnten es für dich machen. Aber es wird nicht billig sein. Ich schlage dringend vor, dass du dir einen Graveur suchst, der so gut wie dieser ist...« Herr Rolle schloss eine untere Schublade seines Schreibtischs auf und zog einen Bogen mit grünen 50-Cent-»Kunstturm«-Marken heraus. Dann reichte er Feucht ein Vergrößerungsglas.

»Das ist natürlich hochwertiges Papier«, sagte der Drucker, während sich Feucht die Sache ansah.

»Ihr werdet immer besser. Ich kann jedes Detail erkennen«, hauchte Feucht, nachdem er den Bogen studiert hatte.

»Nein«, sagte Rolle mit zufriedenem Ausdruck. »In Wirklichkeit siehst du gar nichts. Aber vielleicht hiermit.« Er schloss einen Wandschrank auf und reichte Feucht ein schweres Mikroskop aus Messing.

»Er hat viel mehr Details gezeichnet als wir«, sagte er, während Feucht in das Okular blickte. »Das ist die Grenze dessen, was man mit Metall und Papier erreichen kann. Ich meine, dies hier ist das Werk eines Genies. Er könnte deine Rettung sein.«

»Erstaunlich«, sagte Feucht. »Nun gut, wir müssen ihn haben! Für wen arbeitet er?«

»Für niemanden, Herr Lipwig. Er sitzt im Gefängnis und wartet auf den Strick.«

»Eulrich Janken?«

»Du selbst hast vor Gericht gegen ihn ausgesagt, Herr Lipwig«, sagte Rolle ruhig.

»Ja, sicher, aber doch nur, um zu bestätigen, dass es unsere Briefmarken waren, die er nachgemacht hat, und wie viel wir dadurch verlieren könnten! Ich hatte nicht erwartet, dass man ihn hängen würde!«

»Seine Lordschaft reagiert recht empfindlich auf Hochverrat gegen die Stadt, wie er es bezeichnet. Ich glaube, Janken wurde von seinem Anwalt schlecht beraten. Schließlich hat er durch seine Arbeit bewirkt, dass unsere Marken wie Fälschungen aussehen. Weißt du, ich habe den Eindruck, dass der arme Kerl gar nicht richtig verstanden hat, dass er etwas Ungesetzliches getan hat.«

Feucht erinnerte sich an die verängstigten wässrigen Augen und den Ausdruck hilfloser Verwirrung. »Ja«, sagte er. »Du könntest Recht haben.«

»Könntest du vielleicht deinen Einfluss bei Vetinari nutzen, um ...?«

»Nein. Das würde nicht funktionieren.«

»Aha. Bist du dir sicher?«

»Ja«, sagte Feucht kategorisch.

»Nun gut, man kann nicht alles haben. Inzwischen wären wir sogar in der Lage, die Scheine automatisch zu nummerieren. Aber die künstlerische Gestaltung sollte das Beste vom Besten sein. Oh Götter, es tut mir leid, ich wünschte, ich könnte helfen. Wir schulden dir sehr viel, Herr Lipwig. Mittlerweile kommen so viele offizielle Aufträge herein, dass wir den Platz im Münzamt unbedingt brauchen. Ich sage dir, wir sind praktisch die Hofdruckerei der Stadtverwaltung!«

»Wirklich?«, sagte Feucht. »Das ist sehr ... interessant.«

Es regnete gnadenlos. Die Rinnsteine gurgelten und versuchten das Wasser wieder auszuspucken. Gelegentlich packte der Wind einen der Sturzbäche von den Dächern und schlug jedem, der nach oben schaute, einen Schwall Wasser ins Gesicht. Aber es war keine Nacht, in der man nach oben schauen sollte. Es war eine Nacht, in der man den Kopf einziehen und nach Hause eilen sollte.

Regentropfen trommelten gegen die Fenster der Pension von Frau Kuchen, insbesondere gegen die des Hinterzimmers, das von Mavolio Beuge bewohnt wurde, und zwar mit einer Frequenz von siebenundzwanzig Schlägen pro Sekunde, plus oder minus fünfzehn Prozent.

Herr Beuge rechnete gern. Den Zahlen konnte man vertrauen, vielleicht mit Ausnahme von Pi, aber daran arbeitete er in seiner Freizeit, und früher oder später würde es seinen Bemühungen nachgeben müssen.

Er saß auf seinem Bett und beobachtete die Zahlen, die durch seinen Kopf tanzten. Sie tanzten immer für ihn, sogar in schweren Zeiten. Und die schweren Zeiten waren sehr schwer gewesen. Nun schienen noch mehr davon vor ihm zu liegen.

Jemand klopfte an seine Tür. Er rief: »Herein, Frau Kuchen.«

Seine Vermieterin drückte die Tür auf.

»Du weißt immer ganz genau, dass ich es bin, nicht wahr, Herr Beuge«, sagte Frau Kuchen, die stets eine Spur nervös war, wenn es um ihren besten Mieter ging. Er zahlte seine Miene pünktlich -sogar überpünktlich - er hielt sein Zimmer penibel sauber, und er war - selbstverständlich - ein professioneller Gentleman. Nun gut, sein Gesichtsausdruck wirkte immer etwas gequält, und dann war da noch diese seltsame Angewohnheit, jeden Morgen ganz genau seine Uhr zu stellen, bevor er zur Arbeit ging. Aber damit konnte sie umgehen. In dieser überfüllten Stadt gab es keinen Mangel an Mietern, aber Leute, die sauber waren und regelmäßig zahlten und sich nie über das Essen beklagten, waren rar genug gesät, sodass man sie hegen und pflegen musste. Und wenn sie ein merkwürdiges Vorhängeschloss an ihrem Schrank anbrachten, sollte man die Sache einfach auf sich beruhen lassen.

»Ja, Frau Kuchen«, sagte Beuge. »Ich weiß, dass du es bist, weil du in einem unverwechselbaren Abstand von eins Komma vier Sekunden klopfst.«

»Wirklich? Na so was!«, sagte Frau Kuchen, der das mit dem »unverwechselbar« sehr gefiel. »Ich sage immer, dass du ein Mann der Addition bist. Äh, gleich kommen drei Männer, die nach dir fragen werden ...«

»Wann?«

»In etwa zwei Minuten«, sagte Frau Kuchen.

Beuge erhob sich und entfaltete sich dabei wie ein Kastenteufel. »Männer? Wie werden sie angezogen sein?«

»Nun, äh, sie tragen, du weißt schon, Kleidung«, sagte Frau Kuchen verunsichert. »Schwarze Kleidung. Einer von ihnen wird mir seine Visitenkarte geben, aber ich werde sie sowieso nicht lesen können, weil ich die falsche Brille aufhabe. Natürlich könnte ich gehen und mir die richtige holen, aber ich bekomme immer ziemliche Kopfschmerzen, wenn ich einer Vorahnung nicht ihren Lauf lasse. Äh ... und jetzt wirst du sagen: >Bitte lass es mich wissen, wenn sie eintreffen, Frau Kuchen.<« Sie sah ihn erwartungsvoll an. »Entschuldigung, aber ich hatte ein Vorahnung, dass ich zu dir raufkomme und dir sage, dass ich eine Vorahnung hatte, also dachte ich mir, dass ich es lieber tue. Es ist vielleicht etwas albern, aber wir alle sind eben so, wie wir gemacht wurden, sage ich immer.«

»Bitte lass es mich wissen, wenn sie eintreffen, Frau Kuchen«, sagte Beuge. Frau Kuchen bedachte ihn mit einem dankbaren Blick, bevor sie davoneilte.

Herr Beuge setzte sich wieder. Das Leben mit Frau Kuchens Vorahnungen konnte gelegentlich etwas kompliziert werden, vor allem jetzt, da sie immer mehr ineinander verschachtelt waren, aber es gehörte zur Gesinnung der Ulmenstraße, dass man den Eigenheiten der anderen wohlwollend gegenüberstand, in der Hoffnung, von ihnen genauso behandelt zu werden. Er mochte Frau Kuchen, aber sie täuschte sich. Man konnte durchaus etwas daran ändern, wie man gemacht war. Wenn das nicht ginge, gäbe es keine Hoffnung.

Nach einigen Minuten hörte er die Türklingel, gefolgt von einer gedämpften Unterhaltung. Dann bemühte er sich, angemessen überrascht zu reagieren, als sie an die Tür klopfte.

Beuge inspizierte die Visitenkarte.

»Herr Cosmo? Oh. Wie seltsam. Du solltest die Leute lieber heraufschicken.« Er wartete und blickte sich um. Raumteilung war derzeit das neue Gebot in der Stadt. Sein Zimmer war genau doppelt so groß wie das Bett, und es war ein recht schmales Bett. Wenn sich hier drinnen drei Menschen auf einmal aufhielten, mussten sie sich schon sehr gut kennen. Vier würden sich sehr gut kennen lernen, ob sie es nun wollten oder nicht. Es gab einen kleinen Stuhl, aber Beuge hatte ihn auf dem Kleiderschrank deponiert, damit er nicht im Weg stand.

»Vielleicht nur Herrn Cosmo«, schlug er vor.

Eine Minute später wurde dieser stolz hereingeführt.

»Das ist ja ein wunderbares kleines Versteck, Herr Beuge«, begann Cosmo. »So praktisch, wenn man, äh ...«

»In der Nähe zu tun hat«, sagte Beuge und nahm den Stuhl vom Schrank. »Bitte, Herr. Ich bekomme hier nicht häufig Besuch.«

»Ich werde gleich zum Punkt kommen, Herr Beuge«, sagte Cosmo und setzte sich. »Dem Aufsichtsrat gefällt die, nun ja, Richtung nicht, in die sich die Dinge bewegen. Ich bin mir sicher, dass es dir genauso geht.«

»Ich würde mir wünschen, dass es anders wäre, Herr, ja.«

»Er hätte eine Aufsichtsratssitzung abhalten sollen!«

»Ja, Herr, aber leider besagen die Vorschriften der Bank, dass er es frühestens in einer Woche tun muss.«

»Er wird die Bank ruinieren!«

»Es ist so, dass wir sehr viele Kunden gewonnen haben, Herr.«

»Du kannst diesen Mann unmöglich mögen! Nicht du, Herr Beuge!«

»Es ist leicht, ihn zu mögen, Herr. Aber du kennst mich, Herr. Ich traue niemandem, der zu schnell lacht. Das Herz eines Narren wohnt im Haus des Frohsinns. Er sollte in deiner Bank nicht das Sagen haben.«

»Ich stelle sie mir gerne als unsere Bank vor, Herr Beuge«, sagte Cosmo großzügig, »denn in sehr realer Hinsicht ist es tatsächlich unsere.«

»Du bist zu freundlich, Herr«, sagte Beuge und blickte auf die Fußbodendielen, die durch das Loch in dem billigen Wachstuch sichtbar waren, das wiederum sichtbar war, weil sich im Teppich, der in sehr realer Hinsicht Beuge gehörte, eine durchgewetzte Stelle befand.

»Du hast recht jung bei uns angefangen, glaube ich«, fuhr Cosmo fort. »Mein Vater persönlich hat dir den Ausbildungsplatz verschafft, nicht wahr?«

»Das ist richtig, Herr.«

»Er war sehr ... verständnisvoll, mein Vater«, sagte Cosmo. »Und das mit Recht. Aber es hat keinen Sinn, in der Vergangenheit zu schwelgen.« Er hielt kurz inne, um seine Worte wirken zu lassen. Denn Beuge war nicht dumm. Man brauchte keinen Hammer, wenn eine fallen gelassene Feder die gleiche Wirkung erzielte.

»Vielleicht könntest du eine Möglichkeit finden, wie er sich ohne Lärm oder Blutvergießen von seinem Posten entfernen ließe. Es muss doch irgendetwas geben«, drängte Cosmo. »Niemand tritt einfach so aus dem Nichts in diese Welt. Aber die Leute wissen sogar noch weniger über seine Vergangenheit, als sie - nur als Beispiel - über deine wissen.«

Ein weiterer dezenter Hinweis. Beuges Auge zuckte. »Aber Herr Quengler wird der Bankdirektor bleiben«, murmelte er, während der Regen ans Fenster prasselte.

»Aber ja. Doch ich bin mir sicher, dass sich dann jemand um ihn kümmert, der, sagen wir mal, besser dazu befähigt ist, sein Bellen auf traditionellere Art zu interpretieren.«

»Ich verstehe.«

»Und jetzt muss ich gehen«, sagte Cosmo und stand auf. »Ich bin überzeugt, dass du noch viel zu ...« Er blickte sich im kargen Zimmer um, das keine Anzeichen auf einen menschlichen Bewohner enthielt, keine Bilder, keine Bücher, keine Abfälle, und fuhr fort: »...tun hast?«

»Ich werde bald schlafen gehen«, sagte Herr Beuge.

»Sag mir, Herr Beuge, wie viel bezahlen wir dir?«, fragte Cosmo mit einem Blick auf den Kleiderschrank.

»Einundvierzig Dollar pro Monat, Herr«, sagte Beuge.

»Aha, aber dafür ist die Sicherheit deines Arbeitsplatzes natürlich nicht zu verachten.«

»Davon war ich bislang ausgegangen, Herr.«

»Ich frage mich nur, warum du an einem Ort wie diesem wohnst?«

»Ich mag die Schlichtheit, Herr. Sie erwartet nichts von mir.«

»Jedenfalls ist es für mich Zeit zu gehen«, sagte Cosmo, ein wenig schneller, als es angemessen gewesen wäre. »Ich bin mir sicher, dass du uns helfen kannst, Herr Beuge. Du warst uns immer eine große Hilfe. Es wäre wirklich sehr schade, wenn du uns diesmal nicht helfen könntest.«

Beuge starrte auf den Fußboden. Er zitterte.

»Ich spreche für uns alle, wenn ich sage, dass du für uns ein Familienangehöriger bist«, fuhr Cosmo fort. Dann überdachte er den Satz noch einmal, da er sich schließlich auf die Üppigs bezog. »Aber im gut gemeinten Sinne.«