Kapitel 4

Der dunkle Ring - Ein ungewöhnliches Kinn »Eine Anstellung fürs Leben, aber für nicht sehr lange« - Ins kalte Wasser - Spaß mit dem Journalismus - Es geht nur um die Stadt - Eine Meile in seinen Stiefeln - Ein rauschendes Fest

Der Mann... machte Dinge. Er war ein unbesungener Künstler, weil auf den Dingen, die er machte, niemals sein Name stand. Nein, normalerweise trugen sie die Namen von Toten, von Leuten, die Meister ihres Handwerks gewesen waren. Er wiederum war Meister einer Kunst - der Kunst des Scheins.

»Hast du das Geld?«

»Ja.« Der Mann im braunen Gewand zeigte auf den phlegmatischen Troll, der neben ihm stand.

»Warum hast du den mitgebracht? Ich kann die Dinger nicht ausstehen!«

»Fünfhundert Dollar sind schwer zu tragen, Herr Morpeth. Und ein hoher Preis für Schmuck, der nicht einmal aus Silber ist, wie ich hinzufügen möchte«, sagte der junge Mann, dessen Name Vorhinein war.

»Nun ja, das ist doch der Trick dabei, nicht wahr? Ich weiß, dass es nicht ganz korrekt ist, was du tust. Und ich habe gehört, dass Stygium noch seltener als Gold ist. Nur dass es nicht glänzt... Das heißt, solange man nichts falsch macht. Glaub mir, ich könnte alles, was ich bekomme, an die Assassinen verkaufen. Die feinen Herren lieben dieses Schwarz. Heiß und innig.«

»Es ist nicht illegal. Der Buchstabe V gehört niemandem, das haben wir doch schon durchdiskutiert. Lass mich mal sehen.«

Der alte Mann warf Vorhinein einen langen Blick zu, dann öffnete er eine Schublade und stellte eine kleine Schachtel auf seinen Schreibtisch. Er justierte die Reflektoren an den Lampen und sagte: Also gut, öffne sie.«

Der junge Mann ließ den Deckel aufschwingen, und da war er, schwarz wie die Nacht, das V mit den Serifen ein noch dunklerer, scharfer Schatten. Er atmete tief durch, griff nach dem Ring und ließ ihn erschrocken wieder fallen.

»Er ist warm!«

Vom Macher der scheinbaren Dinge kam ein Schnaufen. »Natürlich! Es ist Stygium. Es trinkt das Licht. Im vollen Tageslicht würdest du dir an den Fingern saugen und laut schreien. Bewahre es in einer Schachtel auf, wenn es draußen hell ist, ja? Oder zieh einen Handschuh darüber, wenn du damit angeben willst.«

»Er ist makellos.«

»Ja, das ist er.« Der alte Mann schnappte ihm den Ring wieder weg, und Vorhinein begann langsam zu verzweifeln. »Er ist genau wie der echte«, brummte der Meister der Scheinbarkeit. »Ach, sieh mich nicht so überrascht an. Du glaubst, ich wüsste nicht, was ich gemacht habe? Ich habe das Vorbild ein paarmal gesehen, und auf das hier würde selbst Vetinari persönlich reinfallen. Dazu ist eine Menge Vergessensarbeit nötig.«

»Ich weiß nicht, was du meinst!«

»Dann bist du eben blöd!«

»Ich habe dir gesagt, dass der Buchstabe V niemandem gehört!«

»Erzähl das bitte Seiner Lordschaft, ja? Nein, das wirst du nicht tun. Aber du wirst mir weitere fünfhundert bezahlen. Ich überlege sowieso, ob ich mich zur Ruhe setze, und mit einem bisschen zusätzlichen Geld komme ich ziemlich weit weg.«

»Wir hatten eine Vereinbarung!«

»Und jetzt haben wir eine andere«, sagte Morpeth. »Jetzt kaufst du meine Vergesslichkeit.« Der Macher der scheinbaren Dinge strahlte glücklich. Der junge Mann dagegen wirkte sehr unglücklich und unsicher.

»Das Ding hat für jemanden einen unschätzbaren Wert, nicht wahr?«, bohrte Morpeth.

»Also gut, fünfhundert, du verdammter Halsabschneider.«

»Nur dass es jetzt eintausend sind«, sagte der alte Mann. »Siehst du? Du warst zu schnell. Du hast nicht gefeilscht. Jemand braucht mein kleines Spielzeug hier sehr dringend, richtig? Fünfzehnhundert, alles inklusive. Versuch ruhig, jemand anderen in dieser Stadt zu finden, der so gut wie ich mit Stygium arbeiten kann. Und wenn du den Mund aufmachst, um etwas anderes als >Ja< zu sagen, sind es zweitausend. So und nicht anders wird es laufen.«

Es folgte eine längere Pause, bis Vorhinein sagte: »Ja. Aber ich werde noch einmal vorbeikommen müssen, um den Rest zu bringen.«

»Tu das, Herr. Ich werde hier warten. So, das war doch gar nicht so schlimm, nicht wahr? Ist nicht persönlich gemeint, eine rein geschäftliche Sache.«

Der Ring wurde wieder in die Schachtel gelegt und die Schachtel in die Schublade. Auf ein Zeichen des jungen Mannes ließ der Troll die Beutel zu Boden fallen, und nachdem seine Arbeit erledigt war, spazierte er in die Nacht hinaus.

Vorhinein drehte sich plötzlich um, und die rechte Hand des Handwerkers verschwand unter dem Schreibtisch. Sie entspannte sich wieder, als der junge Mann sagte: »Du bist auch später noch hier?«

»Ich bin immer hier. Du findest bestimmt allein nach draußen.«

»Wirst du hier sein?«

»Das habe ich doch gerade gesagt, oder?«

In der Dunkelheit des stinkenden Flurs öffnete der junge Mann mit pochendem Herzen die Tür. Eine schwarz gekleidete Gestalt trat ein. Er konnte das Gesicht hinter der Maske nicht erkennen, aber er flüsterte: »Schachtel in der Schublade oben links. Rechts davon irgendeine Waffe. Behalt das Geld. Tu ihm nur nicht... weh, ja?«

»Weh? Das ist nicht der Grund, warum ich hier bin!«, zischte die dunkle Gestalt.

»Ich weiß, aber ... mach es ordentlich, ja?«

Dann schloss Vorhinein die Tür hinter sich.

Es regnete. Er überquerte die Straße und stellte sich in den gegenüberliegenden Hauseingang. Es war schwierig, andere Geräusche als den Regen und das Rauschen der überfließenden Gullys wahrzunehmen, aber er bildete sich ein, dass er trotz allem einen dumpfen Aufprall hörte. Vielleicht spielte seine Phantasie ihm einen Streich, weil er weder gehört hatte, wie die Tür aufging, noch wie der Auftragsmörder sich näherte, und er hätte sich fast an seiner Zunge verschluckt, als der Mann plötzlich vor ihm auftauchte, ihm die Schachtel in die Hand drückte und im Regen verschwand.

Pfefferminzgeruch trieb auf die Straße hinaus. Der Mann war sehr gründlich. Er benutzte sogar eine Pfefferminzbombe, um seinen Körpergeruch zu überdecken.

Du blöder alter Narr!, dachte Vorhinein inmitten all des Aufruhrs in seinem Kopf. Warum hast du nicht einfach das Geld genommen und Ruhe gegeben? Ich hatte keine andere Wahl. Er wäre nie das Risiko eingegangen, dass du irgendwem davon erzählst!

Vorhinein spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte. Er hatte nicht gewollt, dass es so kam. Er hatte nicht gewollt, dass irgendwer starb! Und dann erbrach er sich.

Das war letzte Woche gewesen. Und seitdem hatte sich die Situation nicht gebessert.

Lord Vetinari hatte eine schwarze Kutsche.

Auch andere Leute haben schwarze Kutschen.

Daraus folgt, dass nicht jeder in einer schwarzen Kutsche Lord Vetinari ist.

Das war eine philosophische Erkenntnis von großer Bedeutung, die Feucht zu seinem Bedauern in der Aufregung ganz vergessen hatte.

In der Kutsche ging es hingegen äußerst unaufgeregt zu. Cosmo Üppig war völlig gelassen, oder er bemühte sich nach Kräften, es zu sein. Er trug Schwarz, was sonst, wie es Leute taten, die zeigen wollten, wie reich sie waren, aber was ihn wirklich verriet, war der Bart.

Grundsätzlich war es ein Spitzbart, der dem von Lord Vetinari sehr ähnlich sah. Eine dünne Linie aus schwarzen Haaren zog sich an jeder Wange hinunter, machte einen Umweg und bog sich als genauso dünne Schleife unter der Nase hindurch, bis sich beide Enden knapp unter der Lippe zu einem schwarzen Dreieck zusammenfügten, was Cosmo ein Aussehen verlieh, das er vermutlich für bedrohliche Eleganz hielt. Und bei Vetinari wirkte es in der Tat so. Bei Cosmo hingegen floss der elegante Gesichtsbehaarungsformschnitt unglücklich über bläuliche Wangen, auf denen winzige Schweißperlen glänzten, und erweckte den Eindruck, ihm würde Schamhaar auf dem Kinn wachsen.

Irgendein Meisterbarbier musste die Angelegenheit jeden Tag Haar für Haar in Ordnung bringen, und die Aufgabe wurde bestimmt nicht durch die Tatsache erleichtert, dass Cosmo seit dem Tag, als er sich diesen Stil zugelegt hatte, deutlich zugenommen hatte. Es gibt einen Zeitpunkt im Leben eines gedankenlosen jungen Mannes, wenn aus seinem Waschbrett- ein Bierbauch wird, und bei Cosmo war es jetzt soweit.

Und dann sah man die Augen, und sie machten alles wieder wett. Sie hatten den entrückten Blick eines Mannes, der bereits den Tod seines Gegenübers sehen konnte ...

Aber wahrscheinlich nicht den eines Mannes, der selbst ein Mörder war, vermutete Feucht. Es sah eher danach aus, dass er im Bedarfsfall Mörder kaufte. Nun gut, an den Fingern, die ein wenig zu wurstig dafür waren, trug er auffällige Giftringe, aber jemand, der wirklich in diesem Geschäft tätig war, würde doch auf gar keinen Fall so viele tragen, oder? Wahre Auftragsmörder machen keine Werbung. Und was sollte der elegante schwarze Handschuh an der anderen Hand? Das war eine Angewohnheit der Assassinengilde. Gut, er war also von der Gildenschule ausgebildet. Viele Kinder aus der Oberschicht gingen dort zur Schule, nahmen aber nie am Schwarzen Unterrichtsprogramm teil. Wahrscheinlich hatte er eine Entschuldigung von seiner Mutter dabeigehabt, dass er vom Unterricht im Erstechen befreit werden sollte.

Herr Quengler zitterte vor Furcht oder vielleicht auch vor Wut. In Feuchts Armen knurrte er wie ein Leopard.

»Ach, der kleine Hund meiner Stiefmutter«, sagte Cosmo. »Wie süß. Ich will nicht viele Worte verschwenden. Ich gebe dir zehntausend Dollar für ihn, Herr Lipwig.« Er hielt ihm mit der unbehandschuhten Hand ein Stück Papier hin. »Eine handschriftliche Anweisung für das Geld. Jeder in der Stadt wird dieses Dokument akzeptieren.«

Cosmos Stimme war eine Art moduliertes Seufzen, als wäre das Sprechen irgendwie schmerzhaft.

Feucht las:

Bitte zahlt die Summe von zehntausend Dollar an Feucht von Lipwig.

und das Ganze war von Cosmo Üppig mit vielen Schnörkeln quer über eine Ein-Cent-Briefmarke unterschrieben worden.

Auf einer Briefmarke unterschrieben ... Woher kam das? Aber man sah es immer häufiger in der Stadt, und wenn man die Leute danach fragte, sagten sie: »Weil es damit rechtskräftig wird, weißt du?« Und es war billiger als ein Notar, und deshalb funktionierte es.

Und hier waren zehntausend Dollar, die genau auf ihn zeigten.

Wie kann er es wagen, mich zu bestechen!, dachte Feucht. Doch in Wirklichkeit war es sein zweiter Gedanke, der eines baldigen Trägers einer goldlichen Kette. Sein erster Gedanke, der typischer für den alten Feucht war, lautete: Wie kann er es wagen, mich mit so wenig zu bestechen!

»Nein«, sagte er. »Jedenfalls bekomme ich schon viel mehr als das, wenn ich mich nur ein paar Monate lang um ihn kümmere.«

»Ach ja, aber mein Angebot ist... weniger riskant.«

»Meinst du?«

Cosmo lächelte. »Komm schon, Herr Lipwig. Wir sind Männer von Welt...«

»... wir beide, ja?«, führte Feucht den Satz zu Ende. »Das ist ja so durchschaubar. Außerdem hättest du mir zuerst mehr Geld anbieten müssen.«

In diesem Moment ereignete sich etwas in der Nähe von Cosmos Stirn. Beide Augenbrauen verzogen sich, ähnlich wie bei Herrn Quengler, wenn er verdutzt war. Sie bewegten sich eine Weile, und dann sah Cosmo Feuchts Gesichtsausdruck, worauf er sich gegen die Stirn schlug und sein vorübergehend finsterer Blick deutlich zu verstehen gab, dass jeglicher Kommentar Feuchts sofortigen Tod zur Folge hätte.

Er räusperte sich und sagte: »Für etwas, das ich auch gratis bekommen kann? Wir haben gute Chancen, wenn wir darauf plädieren, dass meine Stiefmutter verrückt war, als sie dieses Testament verfasst hat.«

»Ich hatte den Eindruck, dass sie völlig klar war«, sagte Feucht.

»Mit zwei geladenen Armbrüsten auf dem Schreibtisch?«

»Ich verstehe, worauf du hinauswillst. Ja, wenn sie wirklich bei guter geistiger Gesundheit gewesen wäre, hätte sie zwei Trolle mit sehr großen Keulen angeheuert.«

Cosmo bedachte Feucht mit einem langen abschätzenden Blick - zumindest hielt er ihn dafür - aber Feucht kannte diese Taktik. Damit sollte dem Angesehenen der Eindruck vermittelt werden, ihm stünde eine schwere Tracht Prügel bevor, aber es konnte genauso gut bedeuten: »Ich mach jetzt mal die Nummer mit dem stechenden Blick, während ich mir überlege, was ich als Nächstes tun soll.« Cosmo mochte rücksichtslos sein, aber er war nicht blöd. Ein Mann im goldenen Anzug fällt auf, und irgendwer würde sich erinnern, in wessen Kutsche er gestiegen war.

»Ich fürchte, dass meine Stiefmutter dich in große Schwierigkeiten gebracht hat«, sagte Cosmo.

»Ich war schon gelegentlich in Schwierigkeiten«, sagte Feucht.

»Aha? Und wann war das?« Die Frage kam scharf und plötzlich.

Ah. Die Vergangenheit. Kein angenehmer Ort. Feucht versuchte sich davon fernzuhalten.

»Über dich ist sehr wenig bekannt, Herr Lipwig«, fuhr Cosmo fort. »Du wurdest in Überwald geboren, und du wurdest unser Postminister. Dazwischen ...«

»Habe ich es geschafft zu überleben«, sagte Feucht.

»In der Tat eine beneidenswerte Leistung«, sagte Cosmo. Er klopfte gegen die Wand der Kutsche, worauf sie langsamer wurde. »Ich vertraue darauf, dass du es weiterhin schaffst. In der Zwischenzeit möchte ich dir wenigstens das hier geben ...«

Er zerriss den Wechsel und ließ die Hälfte, die natürlich nicht sein Siegel oder seine Unterschrift trug, in Feuchts Schoß fallen.

»Wofür ist das?«, fragte Feucht und hob den Fetzen auf, während er mit der anderen Hand versuchte, den aufgeregten Herrn Quengler zurückzuhalten.

»Ach, nur eine Demonstration meines guten Willens«, sagte Cosmo, als die Kutsche anhielt. »Eines Tages könntest du das Bedürfnis verspüren, mich um die andere Hälfte zu bitten. Aber versteh mich nicht falsch, Herr Lipwig, normalerweise nehme ich nicht die Mühe auf mich, etwas auf die harte Tour zu machen.«

»Dann mach dir bitte auch meinetwegen nicht die Mühe«, sagte Feucht und drückte die Tür auf. Draußen war der Hier-gibt’s-alles-Platz, voller Karren und Menschen und geradezu unangenehm vielen potenziellen Zeugen.

Für einen Moment machte Cosmo wieder diese ... Sache mit den Augenbrauen. Wieder schlug er sich gegen die Stirn und sagte: »Herr Lipwig, du missverstehst mich. Das hier war die harte Tour. Auf Wiedersehen. Grüß deine kleine Freundin von mir.«

Feucht wirbelte auf dem Pflaster herum, aber die Tür wurde schon wieder zugeschlagen, und die Kutsche raste davon.

»Warum hast du nicht gesagt: >Wir wissen, wo deine Kinder zur Schule gehen<, schrie er dem Fahrzeug hinterher.«

Was jetzt? Hölle und Verdammnis, jetzt saß er ganz schön in der Tinte!

Ein Stück weiter die Straße hinauf lockte der Palast. Vetinari hatte ihm einige Fragen zu beantworten. Wie hatte er das alles arrangiert? Die Wache sagte, Frau Üppig sei eines natürlichen Todes gestorben! Aber er war doch als Assassine ausgebildet, nicht wahr? Als richtiger, der sich auf Gifte spezialisiert hatte, hieß es.

Er spazierte durch das offene Tor hinein, aber die Wächter hielten ihn vor dem eigentlichen Gebäude an. Feucht kannte sie von früher. Für sie gab es wahrscheinlich eine besondere Aufnahmeprüfung. Wenn sie die Frage »Wie ist dein Name?« falsch beantworteten, wurden sie eingestellt. Es gab sogar Trolle, die ihnen intellektuell überlegen waren! Aber man konnte sie nicht zum Narren halten oder sie bequatschen. Sie hatten eine Liste von Leuten, die eintreten durften, und eine andere mit denen, die einen Termin brauchten. Wenn man auf keiner von beiden stand, kam man nicht rein.

Doch ihr Hauptmann, der schlau genug war, um Großbuchstaben zu entziffern, konnte etwas mit »Postminister« und »Direktor der Königlichen Bank« anfangen und schickte einen seiner Jungs mit einer hingekritzelten Notiz zu Drumknott. Zu Feuchts Überraschung wurde er schon zehn Minuten darauf in das Rechteckige Büro geführt.

Die Plätze rund um den großen Konferenztisch an einem Ende des Raums waren voll besetzt. Feucht erkannte ein paar Gildenvorsitzende, doch viele waren durchschnittlich wirkende Bürger, Arbeiter, Männer, die sich hinter geschlossenen Türen nicht wohl zu fühlen schienen. Stadtpläne waren auf dem Tisch ausgebreitet. Er war in irgendetwas hineingeplatzt. Beziehungsweise Vetinari hatte ihn in etwas hineinplatzen lassen.

Lord Vetinari erhob sich sofort, als Feucht eintrat, und winkte ihn heran.

»Bitte entschuldigt mich, meine Damen und Herren, aber ich muss etwas mit dem Postminister besprechen. Drumknott, geh doch noch einmal mit allen die Zahlen durch, ja? Herr Lipwig, bitte hier entlang.«

Feucht glaubte, hinter sich ersticktes Lachen zu hören, als er in etwas geführt wurde, das er zunächst für einen Korridor mit hoher Decke hielt, das sich dann jedoch als eine Art Kunstgalerie entpuppte. Vetinari schloss hinter sich die Tür. Das Klicken kam Feucht ungewöhnlich laut vor. Sein Zorn verflog schnell und wurde durch ein sehr beklommenes Gefühl ersetzt. Schließlich war Vetinari ein Tyrann. Wenn Feucht plötzlich von der Bildfläche verschwand, konnte sich das nur förderlich auf die Autorität Seiner Lordschaft auswirken ...

»Setz bitte Herrn Quengler ab«, sagte Vetinari. »Dem kleinen Kerl wird es guttun, wenn er etwas herumlaufen kann.«

Feucht stellte den Hund auf den Boden. Es war, als würde er einen Schild sinken lassen. Und nun nahm er auch wahr, was in dieser Galerie ausgestellt war.

Was er zunächst für Steinskulpturen gehalten hatte, waren in Wirklichkeit Gesichter aus Wachs. Und Feucht wusste auch, wie und bei welcher Gelegenheit sie angefertigt worden waren.

Es waren Totenmasken.

»Meine Vorgänger«, sagte Vetinari und spazierte an der Reihe entlang. »Natürlich keine vollständige Sammlung. In manchen Fällen war der Kopf nicht mehr aufzufinden oder befand sich, wie man sagen könnte, in einem unansehnlichen Zustand.«

Stille folgte. Feucht war so dumm, sie zu beenden.

»Es dürfte ein ziemlich seltsames Gefühl sein, wenn sie jeden Tag auf einen herabblicken«, stieß er hervor.

»Ach, glaubst du wirklich? Ich muss sagen, dass ich eher auf sie herabblicke. Es sind größtenteils vulgäre Männer, gierig, korrupt und plump. Gerissenheit kann Weisheit bis zu einem gewissen Punkt ersetzen, und dann stirbt man. Die meisten von ihnen starben reich, fett und verängstigt. Während ihrer Amtszeit wurden die Zustände in der Stadt schlechter und nach ihrem Tod besser. Aber jetzt funktioniert die Stadt, Herr Lipwig. Wir machen Fortschritte. Das wäre nicht so, wenn der Herrscher ein Mann wäre, der ältere Damen meuchelt, verstehst du?«

»Ich habe nie gesagt...«

»Ich weiß sehr genau, was du nie gesagt hast. Du hast es dir sehr laut verkniffen, es zu sagen.« Vetinari zog eine Augenbraue hoch. »Ich bin äußerst zornig, Herr Lipwig.«

»Aber das ist mir von jemand anderem eingebrockt worden!«

»Nicht von mir«, sagte Vetinari. »Ich kann dir versichern, wenn ich dir, wie du es in deiner schlecht imitierten Straßenmundart ausdrückst, >das eingebrockt< hätte, würdest du die genaue Bedeutung von >einbrocken< verstehen und hättest auf wenig beneidenswerte Weise erfahren, worin genau das >das< besteht.«

»Du weißt genau, was ich meine!«

»Ach du meine Güte, spricht da wirklich Feucht von Lipwig oder nur der Mann, der sich auf seine goldliche Kette freut? Tüppi Üppig wusste, dass ihr letztes Stündlein nahte, und änderte einfach ihr Testament. Dazu gratuliere ich ihr. Auch die Mitarbeiter werden dich nun leichter akzeptieren. Und sie hat dir einen großen Gefallen erwiesen.«

»Einen Gefallen? Man hat auf mich geschossen!«

»Die Assassinengilde hat dir nur eine Botschaft zukommen lassen, um dir zu sagen, dass sie dich beobachtet.«

»Es waren zwei Schüsse!«

»Vielleicht, um die Sache zu unterstreichen?«, sagte Vetinari und setzte sich auf einen mit Samt bezogenen Sessel.

»Es heißt doch, die Arbeit in einer Bank sei stinklangweilig! Zahlen, Rentenversicherung, eine lebenslange Anstellung!«

»Möglicherweise lebenslang, aber offenbar nicht für sehr lange«, sagte Vetinari, der Spaß an dieser Sache zu haben schien.

»Kannst du nicht irgendwas machen?«

»Wegen Cosmo Üppig? Warum sollte ich? Jemandem einen Hund abkaufen zu wollen ist nicht illegal.«

»Aber die ganze Familie ist... Woher weißt du davon? Ich habe es dir nicht gesagt!«

Vetinari winkte ab. »Ich kenne Cosmo und seine Methoden. In einer solchen Situation würde er nicht auf Gewalt zurückgreifen, wenn er sein Ziel auch mit Geld erreichen kann. Er kann sehr liebenswürdig sein, wenn er möchte.«

»Aber ich habe einiges von den anderen gehört. Es scheint ein ziemlich gemeiner Haufen zu sein.«

»Dazu werde ich keinen Kommentar abgeben. Allerdings hat Tüppi dir geholfen. Die Assassinengilde wird deinetwegen keinen zweiten Auftragsmord übernehmen. Damit würden sie in einen Interessenkonflikt geraten. Ich vermute, theoretisch könnten sie einen Auftragsmord am Bankdirektor annehmen, aber ich bezweifle, dass sie es tun würden. Einen Schoßhund umbringen? Das würde sich in den Referenzen eines Assassinen nicht gut machen.«

»Ich habe nicht unterschrieben, um mit solchen Problemen konfrontiert zu werden!«

»Nein, Herr Lipwig, du hast nur dein eigenes Todesurteil unterschrieben«, gab Vetinari zurück. Seine Stimme war plötzlich so kalt und tödlich wie ein fallender Eiszapfen. »Du hast unterschrieben, dass du am Galgen sterben wirst, weil du Verbrechen gegen die Stadt begangen hast, gegen das Gemeinwohl, gegen das Vertrauen zwischen Mitmenschen. Und du wurdest ins Leben zurückgeholt, weil die Stadt dich brauchte. Hier geht es um die Stadt, Herr Lipwig. Es geht immer nur um die Stadt. Dir ist natürlich bekannt, dass ich Pläne habe?«

»Es stand in der Times. Das Projekt. Du willst Straßen und Abwassertunnel und unterirdische Wege bauen. Wir konnten eine Maschine der Zwerge an uns bringen, einen sogenannten Apparat. Und die Zwerge können wasserdichte Tunnel graben. Die Ingenieursgilde ist davon völlig begeistert.«

»Deinem düsteren Tonfall entnehme ich, dass du es nicht bist.«

Feucht zuckte mit den Schultern. Maschinen gleich welcher Art hatten ihn nie interessiert. »Mir ist es einerlei.«

»Erstaunlich«, sagte Vetinari verblüfft. »Aber du kannst dir sicherlich denken, was wir für dieses Projekt in großer Menge benötigen.«

»Schaufeln?«

»Finanzen, Herr Lipwig. Und ich würde sie bekommen, wenn wir ein Bankwesen hätten, das den modernen Zeiten angemessen ist. Ich setze volles Vertrauen in dich. Du kannst bestimmt... ein bisschen Leben in den Laden bringen.«

Feucht unternahm einen letzten Versuch. »Im Postamt werde ich gebraucht...«

»Im Augenblick nicht, auch wenn dir dieser Gedanke unangenehm ist«, sagte Vetinari. »Du bist kein Mann für das alltägliche Einerlei. Hiermit beurlaube ich dich von deinem Posten. Herr Grütze war bislang dein Stellvertreter, und auch wenn er vielleicht nicht dein ... Flair hat, bin ich mir doch sicher, dass er den Betrieb aufrechterhalten wird.«

Er stand auf und deutete damit an, dass die Audienz beendet war. »Die Stadt blutet, Herr Lipwig, und du bist der Schorf, den ich dringend brauche. Geh und mach Geld. Zapfe den Reichtum von Ankh-Morpork an. Frau Üppig hat dir die Bank anvertraut. Führe sie gut.«

»Es ist der Hund, der die Bank bekommen hat, musst du wissen.«

»Und er hat so ein vertrauenswürdiges kleines Gesicht«, sagte Vetinari und drängte Feucht zur Tür. »Lass nicht zu, dass ich dich verhaften muss, Herr Lipwig. Vergiss nicht: Es geht nur um die Stadt.«

Es war mal wieder ein Protestmarsch im Gange, als Feucht zur Bank ging. In letzter Zeit gab es immer mehr davon. Es war schon komisch, aber jeder schien unter der despotischen Herrschaft des Tyrannen Lord Vetinari leben zu wollen. Die Leute strömten in die Stadt, deren Straßen offenbar mit Gold gepflastert waren.

Es war kein Gold. Aber die Zuwanderung hatte immer stärkere Auswirkungen, daran bestand kein Zweifel. Zum Beispiel fielen die Löhne.

Diese Demonstration wandte sich gegen die Anstellung von Golems, die die schmutzigsten Arbeiten übernahmen, ohne sich zu beklagen, die rund um die Uhr ackerten und so unmenschlich ehrlich waren, dass sie ihre Steuern zahlten. Aber sie waren keine Menschen, und sie hatten glühende Augen, und bei solchen Dingen konnten die Menschen sehr heikel sein.

Herr Beuge schien hinter einer Säule gewartet zu haben. Feucht war kaum durch die Tür der Bank getreten, den glücklichen Herrn Quengler unter den Arm geklemmt, als der Hauptkassierer auch schon an seiner Seite war.

»Die Angestellten machen sich große Sorgen, Herr«, sagte er und lenkte Feuchts Schritte in Richtung der Treppe. »Ich habe mir die Freiheit herausgenommen, den Leuten zu sagen, dass du später zu ihnen sprechen wirst.«

Feucht war sich der besorgten Blicke bewusst. Und auch anderer Dinge, nachdem er sich nunmehr mit dem Auge des Besitzers umschaute. Ja, die Bank war von fähigen Arbeitern aus guten Materialien erbaut worden, doch wenn man genauer hinschaute, konnte man die Vernachlässigung und den Zahn der Zeit erkennen. Das Ganze war wie das inzwischen viel zu große Haus einer armen alten Witwe, die einfach nicht mehr sah, wie viel Staub überall lag. Das Messing war angelaufen, die Vorhänge aus rotem Samt ausgefranst und stellenweise durchgewetzt, der Marmorfußboden glänzte nur noch unregelmäßig ...

»Was?«, sagte er. »Oh ja. Gute Idee. Könntest du hier ein bisschen sauber machen lassen?«

»Wie bitte?«

»Die Teppiche sind schmutzig, die Plüschkordeln sind kaputt, die Vorhänge haben schon bessere Jahrhunderte gesehen, und das Messing müsste mal kräftig gewienert werden. Die Bank sollte piekfein aussehen, Herr Beuge. Einem Bettler gibt man vielleicht Geld, aber man würde es ihm niemals borgen, nicht wahr?«

Beuge zog die Augenbrauen hoch. »Und das ist die Ansicht des Bankdirektors?«, sagte er.

»Des Bankdirektors? Aber ja. Herr Quengler legt großen Wert auf Sauberkeit. Stimmt’s, Herr Quengler?«

Herr Quengler hörte lange genug auf, Herrn Beuge anzuknurren, um ein paarmal zu bellen.

»Siehst du?«, sagte Feucht. »Wenn du nicht weißt, was du machen sollst, kämm dir das Haar und putz dir die Schuhe. Das sind Worte von großer Weisheit, Herr Beuge. Nimm sie dir zu Herzen.«

»Ich werde mir alle Mühe geben, mich zu bessern, Herr«, sagte Beuge. »Ansonsten hat sich eine junge Dame angemeldet, Herr. Es widerstrebt ihr offenbar, ihren Namen preiszugeben, aber sie sagte, du würdest erfreut sein, sie zu sehen. Ich habe sie in den kleinen Sitzungssaal geführt.«

»Musstest du ein Fenster öffnen?«, fragte Feucht hoffnungsvoll.

»Nein, Herr.«

Damit war Adora Belle ausgeschlossen. Stattdessen kam ihm ein entsetzlicher Gedanke. »Sie ist doch nicht etwa ein Mitglied der Familie Üppig, oder?«

»Nein, Herr. Und es wird Zeit für Herrn ... es wird Zeit für das Mittagessen des Direktors, Herr. Er nimmt kaltes Huhn ohne Knochen, wegen seines Magens. Ich lasse die Mahlzeit in den kleinen Sitzungssaal schicken, wenn es recht ist.«

»Ja, bitte. Könntest du auch für mich etwas organisieren?«

»Organisieren, Herr?« Beuge sah ihn verwirrt an. »Meinst du etwa, auf illegale Weise?«

Ach, so einer ist er, dachte Feucht.

»Ich meinte, ob du mir etwas zu essen besorgen könntest«, stellte er klar.

»Gewiss, Herr. In der Suite gibt es eine kleine Küche, und wir haben einen Koch, der sich auf Abruf bereithält. Frau Üppig hat hier geraume Zeit gewohnt. Es dürfte interessant werden, wieder einen Meister der Königlichen Münze zu haben.«

»Meister der Königlichen Münze - das klingt gut«, sagte Feucht. »Was meinst du, Herr Quengler?«

Auf das Stichwort bellte der Bankdirektor.

»Hmm«, sagte Beuge. »Noch etwas, Herr. Könntest du bitte das hier unterschreiben?« Er zeigte auf einen Dokumentenstapel.

»Was ist das? Es sind doch keine Protokolle, oder? Ich erledige keine Protokolle.«

»Es sind diverse Formalitäten, Herr. Eigentlich müsstest du bloß im Namen des Bankdirektors Bankbelege unterzeichnen, aber mir wurde zu verstehen gegeben, dass Herr Quengler an den angekreuzten Stellen seinen Pfotenabdruck hinterlassen soll.«

»Muss er das alles lesen?«, fragte Feucht.

»Nein, Herr.«

»Dann werde ich es auch nicht tun. Es ist eine Bank. Du hast mit mir einen Rundgang gemacht. Es ist ja nicht so, dass ein ganzes Rad fehlt. Zeig mir einfach, wo ich unterschreiben soll.« »Nur hier, Herr. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier. Und hier ...«

Die Dame im Sitzungssaal war zweifellos eine attraktive Frau, aber da sie für die Times arbeitete, fühlte er sich nicht in der Lage, sie gänzlich in ihrer Eigenschaft als Dame wahrzunehmen. Damen zitierten nicht gnadenlos das, was man gesagt, aber nicht ganz so gemeint hatte, oder übertölpelten einen mit unerwartet schwierigen Fragen. Nun ja, wenn man genauer darüber nachdachte, taten sie es schon, sogar recht häufig, aber diese Dame wurde dafür bezahlt.

Doch er musste zugeben, dass es mit Sacharissa Kratzgut stets spaßig war.

»Sacharissa! Welche Überraschung! Mit der ich natürlich hätte rechnen müssen«, rief er, als er in den Raum trat.

»Herr Lipwig! Es ist mir wie immer ein Vergnügen!«, sagte die Frau. »Also bist du jetzt das ausführende Organ eines Hundes.«

Auf diese Art spaßig. Es war ein bisschen wie das Jonglieren mit Messern. Man musste ständig auf der Hut sein. Es war fast so gut wie Sport.

»Schreibst du schon die Schlagzeilen, Sacharissa?«, sagte er. »Ich entspreche lediglich dem letzten Willen von Frau Üppig.« Er stellte Herrn Quengler auf die polierte Tischplatte und setzte sich.

»Also bist du jetzt der neue Bankdirektor?«

»Nein, Herr Quengler ist der Direktor«, sagte Feucht. »Bell doch bitte vorsichtig die nette Dame mit dem fleißigen Stift an, Herr Quengler!«

»Wuff«, sagte Herr Quengler.

»Herr Quengler ist der Bankdirektor«, sagte Sacharissa und verdrehte die Augen. »Natürlich. Und du nimmst Anweisungen von ihm an, wie?«

»Ja. Ich bin übrigens der Meister der Königlichen Münze.«

»Ein Hund und sein Herr und Meister«, sagte Sacharissa. »Oder sein Herrchen und Meisterchen? Wie nett. Und wahrscheinlich kannst du aufgrund einer mystischen Verbindung zwischen Mensch und Hund seine Gedanken lesen, oder?«

»Sacharissa, ich hätte es nicht besser formulieren können.«

Sie lächelten sich an. Das war erst die erste Runde. Aber sie beide wussten, dass sie sich bisher nur warm gemacht hatten.

»Kann ich dich also dahingehend verstehen, dass du dich nicht der Ansicht jener anschließt, die behaupten, dies wäre ein letzter Schachzug der verstorbenen Frau Üppig, mit dem sie verhindern wollte, dass die Bank ihrer Familie in die Hände fällt? Einer Familie, von der manche glauben, dass sie völlig unfähig wäre, sie zu führen, außer noch tiefer in den Ruin? Oder würdest du die Meinung vieler bestätigen, dass der Patrizier die Absicht verfolgt, das unkooperative Bankwesen der Stadt an die Kandare zu nehmen, und in der derzeitigen Situation eine wunderbare Gelegenheit erkannt hat?«

»Manche, die behaupten, jene, die sagen ... Wer sind all diese geheimnisvollen anonymen Leute?«, erwiderte Feucht und versuchte, so gekonnt wie Vetinari eine Augenbraue hochzuziehen. »Und wie kommt es, dass du so viele davon kennst?«

Sacharissa seufzte. »Und du würdest von Herrn Quengler nicht behaupten, dass er kaum mehr als eine zweckdienliche Handpuppe ist?«

»Wuff?«, machte der Hund, als sein Name fiel.

»Ich finde allein schon eine solche Frage unverschämt!«, sagte Feucht. »Genauso wie er!«

»Feucht, mit dir macht es einfach keinen Spaß mehr.« Sacharissa klappte ihr Notizbuch zu. »Du redest wie ... wie ein Bankier.«

»Es freut mich, dass du es so siehst.« Vergiss nicht: Dass sie das Notizbuch geschlossen hat, bedeutet nicht, dass du dich jetzt entspannen kannst!

»Du reitest nicht mehr auf wilden Hengsten herum? Du tust nichts mehr, was wir bejubeln könnten? Keine hochfliegenden Träume mehr?«, sagte Sacharissa.

»Ich bin schon dabei, das Foyer auf Hochglanz zu bringen.«

Sacharissa kniff die Augen zusammen. »Du putzt das Foyer? Wer bist du, und was hast du mit dem echten Feucht von Lipwig gemacht?«

»Nein, ich meine es ernst. Zuerst müssen wir hier alles sauber machen, bevor wir die Wirtschaft auf Vordermann bringen können«, sagte Feucht und spürte, wie sein Gehirn in einen höheren Gang schaltete. »Ich beabsichtige, alles rauszuwerfen, was wir nicht brauchen. Zum Beispiel gibt es im Keller einen Raum, in dem sich nutzloses Metall stapelt. Weg damit!«

Sacharissa runzelte die Stirn. »Meinst du etwa das Gold.}«

Wie war er plötzlich auf diese Idee gekommen? Jedenfalls durfte er jetzt keinen Rückzieher machen, sonst würde sie sich mit Begeisterung auf ihn stürzen. Zieh es durch! Außerdem war es immer gut, wenn er sie verblüffen konnte.

»Ja«, sagte er.

»Das kann nicht dein Ernst sein!«

Das Notizbuch wurde unverzüglich wieder aufgeklappt, und Feuchts Zunge ging mit ihm durch. Er konnte sie nicht mehr aufhalten. Es wäre nett gewesen, wenn sie zuerst mit ihm gesprochen hätte. Ohne dass sein Gehirn etwas damit zu tun hatte, sagte sie: »Mir ist es todernst! Ich werde Lord Vetinari empfehlen, dass wir alles an die Zwerge verkaufen. Wir brauchen es nicht. Es ist nur ein Rohstoff und nicht mehr.«

»Aber was könnte mehr wert sein als Gold?«

»Praktisch alles. Du zum Beispiel. Gold ist schwer. Wenn man dich in Gold aufwiegen würde, bräuchte man gar nicht besonders viel davon. Meinst du nicht, dass du viel mehr wert bist?«

Zu Feuchts Entzücken wirkte Sacharissa für einen Moment verlegen. »Nun ja, in gewisser Weise schon ...«

»Das ist die einzige Weise, über die sich überhaupt zu sprechen lohnt«, sagte Feucht kategorisch. »Die Welt ist voller Dinge, die mehr wert sind als Gold. Aber wir graben das verdammte Zeug aus und begraben es dann in einem anderen Loch. Was soll der Unsinn? Sind wir so etwas wie Elstern? Ist es nur, weil es glänzt? Gütiger Himmel, selbst Kartoffeln sind mehr wert als Gold!«

»Auf gar keinen Fall!«

»Wenn du auf einer einsamen Insel gestrandet wärst, was hättest du lieber dabei: einen Sack Kartoffeln oder einen Sack voller Gold?«

»Stimmt schon, aber Ankh-Morpork ist keine einsame Insel.«

»Und das beweist, dass Gold nur deshalb etwas wert ist, weil wir es so vereinbart haben. Es ist nur ein Traum. Aber eine Kartoffel ist immer eine Kartoffel wert, überall. Dazu einen Klecks Butter und eine Prise Salz, und schon hast du eine Mahlzeit, und zwar überall. Vergrabe irgendwo dein Gold, und du wirst dir auf ewig Sorgen machen, dass es gestohlen wird. Vergrabe eine Kartoffel, und nach einiger Zeit hast du eine Dividende von tausend Prozent.«

»Darf ich davon ausgehen, dass du nicht beabsichtigst, Kartoffeln zur Grundlage unserer Währung zu machen?«, sagte Sacharissa streng.

Feucht lächelte. »Nein, das natürlich nicht. Aber in einigen Tagen werde ich Geld weggeben. Es liegt nicht gerne nutzlos herum, musst du wissen. Es ist gerne unterwegs und sucht neue Freunde.« Der Teil von Feuchts Gehirn, der versuchte, seinem Mund zu folgen, dachte: Es wäre schön, wenn ich mir ein paar von diesen Sachen notieren könnte, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich mich später noch an alles erinnern werde. Doch die Gespräche des gestrigen Tages wurden in seiner Erinnerung durcheinandergeschüttelt und ergaben eine Art Musikstück. Er kannte nicht sämtliche Noten, aber es gab ein paar Passagen, die er mitsummen konnte. Er musste sich selbst nur lange genug zuhören, um zu erkennen, wovon er eigentlich sprach.

»Mit Weggeben meinst du ...«, sagte Sacharissa.

»In die Hand drücken. Verschenken. Ernsthaft.«

»Wie? Warum?«

»Alles zu seiner Zeit!«

»Dein Grinsen verrät, dass du dich über mich lustig machst, Feucht!«

Nein, meine Miene ist vor Schreck erstarrt, weil ich gehört habe, was mein Mund gerade gesagt hat, dachte Feucht. Ich habe keine Ahnung, was ich daherrede, ich habe nur ein paar verworrene Gedanken. Es ...

»Es geht um einsame Inseln«, sagte er. »Und darum, weshalb diese Stadt keine ist.«

»Und das ist alles?«

Feucht rieb sich die Stirn. »Fräulein Kratzgut, Fräulein Kratzgut ... als ich heute Früh aufstand, hatte ich nichts anderes im Sinn, als den Bürokram im Postamt abzuarbeiten und vielleicht ein bisschen an dem Problem mit der 25-Cent-Kohl-Sondermarke herumzubasteln. Du weißt schon, die Marke, die zu einer Kohlpflanze heranwächst, wenn man sie in die Erde legt. Wie kannst du erwarten, dass ich bis zur Teepause eine neue Strategie für die Bankverwaltung auf dem Tisch habe?«

»Gut, aber ...«

»Das werde ich frühestens bis zur Frühstückspause schaffen.«

Er sah, wie sie das niederschrieb. Dann steckte sie ihr Notizbuch in die Handtasche.

»Das alles wird ein großer Spaß, nicht wahr?«, sagte sie, und Feucht dachte: Trau ihr auch nicht über den Weg, wenn sie ihr Notizbuch eingesteckt hat. Ihr Gedächtnis ist ausgezeichnet.

»Im Ernst, ich glaube, dass dies eine Gelegenheit für mich ist, etwas Großes für die Stadt zu leisten, die ich zu meiner Wahlheimat gemacht habe«, sagte Feucht in seinem aufrichtigen Tonfall.

»Du sagst das in deinem aufrichtigen Tonfall.«

»Weil ich es aufrichtig meine«, sagte Feucht.

»Wo du das Thema gerade ansprichst, Feucht, was hast du wirklich gemacht, bevor die Bürger von Ankh-Morpork dich mit offenen Händen begrüßt haben?«

»Überlebt«, sagte Feucht. »In Überwald zerfiel gerade das alte Reich. Es war nicht ungewöhnlich, dass sich während der Mittagspause zwei Regierungen abwechselten. Ich habe jede Arbeit angenommen, mit der ich meinen Lebensunterhalt verdienen konnte. Übrigens glaube ich, dass du eben >mit offenen Armen< gemeint hast«, fügte er hinzu.

»Und als du in diese Stadt kamst, waren die Götter so sehr von dir beeindruckt, dass sie dich zu einem Schatz führten, mit dem du das Postamt wiederaufbauen konntest.«

»Daran denke ich mit großer Demut zurück«, sagte Feucht und bemühte sich um eine passende Miene.

»Aber sicher doch. Und das von den Göttern gegebene Gold bestand zufällig aus gebrauchten Münzen aus den Städten der Ebene ...«

»Weißt du, ich selbst habe oft lange wach gelegen und über diesen Punkt nachgegrübelt«, sagte Feucht. »Und ich bin zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Götter in ihrer Weisheit entschieden haben müssen, dass dieses Geschenk ohne Schwierigkeiten verkehrsfähig sein sollte.« Damit kann ich so lange weitermachen, wie du möchtest, dachte er, und du versuchst, ohne Karten mit mir Poker zu spielen. Denk, was du willst, aber ich habe das Geld immerhin zurückgegeben! Nun gut, ich habe es zwar gestohlen, aber es zurückzugeben ist doch wenigstens etwas, nicht wahr? Ich habe reinen Tisch gemacht, nicht wahr? Zumindest ist er nicht mehr ganz so schmutzig!

Die Tür wurde vorsichtig geöffnet, und eine junge, nervöse Frau schlich sich mit einem Teller voller kaltem Huhn herein. Herrn Quenglers Laune besserte sich sichtlich, als sie den Teller vor ihm abstellte.

»Entschuldigung, aber können wir dir einen Kaffee oder etwas anderes anbieten?«, sagte Feucht, als sich das Mädchen wieder auf den Weg nach draußen machte.

Sacharissa erhob sich. »Vielen Dank, nein. Ich muss den Drucktermin halten, Herr Lipwig. Ich bin mir sicher, dass wir uns schon bald erneut unterhalten werden.«

»Davon bin auch ich überzeugt, Fräulein Kratzgut«, sagte Feucht.

Sie ging einen Schritt auf ihn zu und senkte die Stimme. »Weißt du, wer dieses Mädchen war?«

»Nein. Ich kenne hier kaum jemanden.«

»Also weißt du auch nicht, ob du ihr vertrauen kannst.«

»Vertrauen?«

Sacharissa seufzte. »Das sieht dir ganz und gar nicht ähnlich, Feucht. Sie hat dem wertvollsten Hund der Welt soeben einen Teller mit Nahrung serviert. Einem Hund, den manche Leute lieber tot als lebendig sehen würden.«

»Warum sollte ...«, begann Feucht. Dann drehten sich beide zu Herrn Quengler um, der bereits den leeren Teller ableckte und ihn dabei quer über den Tisch wandern ließ, begleitet von anerkennenden Grunf-grunf-Lmtcn.

»Äh ... findest du selber hinaus?«, sagte Feucht und eilte zu dem rutschenden Teller.

»Falls du dir nicht sicher bist, steck ihm einen Finger in den Hals!«, rief Sacharissa von der Tür aus, und zwar mit einem, wie Feucht fand, unangemessenen Unterton der Belustigung.

Er schnappte sich den Hund und hastete durch die gegenüberliegende Tür, dem Mädchen hinterher. Sie führte in einen engen und nicht besonders ausgeschmückten Korridor mit einer grünen Tür am Ende, durch die Stimmen zu hören waren.

Feucht stürmte hindurch.

In der kleinen, ordentlichen Küche dahinter stieß er auf eine ungewöhnliche Szene. Die junge Frau stand mit dem Rücken gegen einen Tisch, und ein bärtiger Mann in weißem Anzug fuchtelte mit einem großen Messer herum. Sie blickten sich erschrocken um.

»Was ist hier los?«, brüllte Feucht.

»Äh ... äh ... du bist gerade schreiend durch diese Tür gerannt«, sagte das Mädchen. »Stimmt etwas nicht? Um diese Zeit serviere ich Herrn Quengler immer ein Appetithäppchen.«

»Und ich bereite das Hauptgericht für ihn zu«, sagte der Mann und stach mit dem Messer in einen Haufen Innereien auf einem Tablett. »Mit Geflügelinnereien gefüllte Hühnerhälse, dazu seine spezielle Karamellspeise als Dessert. Wer will das überhaupt wissen?«

»Ich bin der ... ich bin sein Besitzer«, sagte Feucht so hoheitsvoll, wie er konnte.

Der Küchenchef nahm die weiße Mütze ab. »Verzeihung, Herr, natürlich. Der goldene Anzug und so weiter. Das ist Peggy, meine Tochter. Ich bin Aimsbury, Herr.«

Feucht hatte es geschafft, sich ein wenig zu beruhigen. »Entschuldigung«, sagte er. »Ich hatte mir nur Sorgen gemacht, dass jemand versuchen könnte, Herrn Quengler zu vergiften ...«

»Genau darüber haben auch wir gerade gesprochen«, sagte Aimsbury. »Ich dachte, dass ... Moment mal, du meinst doch nicht etwa mich, oder?«

»Nein, ganz gewiss nicht!«, sagte Feucht zu dem Mann, der immer noch ein Messer in der Hand hielt.

»Nun gut«, sagte Aimsbury beschwichtigt. »Du bist hier neu, Herr, du kannst nichts von all dem wissen. Dieser Cosmo hat Herrn Quengler einmal einen Fußtritt verpasst!«

»Der würde jeden vergiften!«, sagte Peggy.

»Aber ich gehe jeden Tag zum Markt runter, Herr, und suche persönlich die Lebensmittel für den kleinen Hund aus. Und alles wird unten im Kühlraum gelagert, zu dem nur ich einen Schlüssel habe.«

Feucht entspannte sich. »Könntest du vielleicht schnell ein Omelett für mich zaubern?«, fragte er.

Der Küchenchef sah ihn bestürzt an. »Mit Eiern, ja?«, sagte er nervös. »Ich habe eigentlich noch nie richtig mit Eiern gekocht, Herr. Er isst jeden Freitag ein rohes in seinem Steak Tatar, und Frau Üppig hat jeden Morgen zwei rohe in ihrem Gin mit Orangensaft genommen, und das ist auch schon fast alles, was ich bisher mit Eiern zu tun hatte. Ich habe einen gepökelten Schweinekopf, wenn du davon etwas möchtest. Ich habe auch Zunge, Herzen, Markknochen, einen Schafskopf, ein schönes Stück Wamme, Milz, Lunge, Leber, Nieren, Kutteln ...«

In seiner Jugend war Feucht häufig von dieser Speisekarte bedient worden. Es war genau die Art von Essen, das man seinen Kindern vorsetzen sollte, wenn sie die Kunst des unverschämten Lügens, der Fingerfertigkeit und der Tarnung erlernen sollen. Selbstverständlich hatte Feucht diese merkwürdigen wabbeligen Fleischstücke unter seinem Gemüse versteckt, wodurch es ihm einmal sogar gelungen war, eine dreißig Zentimeter hohe Kartoffel auf dem Teller zu haben.

Dann dämmerte es ihm. »Hast du viel für Frau Üppig gekocht?«

»Nein, Herr. Sie lebte vorwiegend von Gin, Gemüsesuppe, ihrem Morgentrunk und ...«

»Gin«, fügte Peggy hinzu.

»Also bist du eher ein Hundekoch?«

»Ich ziehe es vor, von Canis-Cuisine zu sprechen, Herr. Vielleicht hast du mein Buch gelesen. Kochen mit Hirn.« Doch Aimsburys Tonfall klang nicht sehr zuversichtlich, und was Feucht betraf, zu Recht.

»Eine ungewöhnliche Karriere«, sagte Feucht.

»Nun, Herr, es ermöglicht mir ... es ist sicherer ... also, um die Wahrheit zu sagen, ich habe eine Allergie, Herr.« Der Koch seufzte. »Zeig es ihm, Peggy.«

Das Mädchen nickte und zog eine schmuddelige Karte aus einer Tasche. »Bitte sprich das Wort nicht aus, Herr«, sagte sie und hielt sie hoch.

Feucht starrte darauf.

»Im gastronomischen Gewerbe kann man ihm einfach nicht aus dem Weg gehen«, sagte Aimsbury niedergeschlagen.

Dafür war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, wirklich nicht. Aber wenn man sich nicht für Menschen interessierte, hatte man nicht das Zeug zum Trickbetrüger.

»Du bist allergisch gegen Kn... gegen dieses Zeug?«, korrigierte er sich im letzten Moment.

»Nein, Herr. Sondern das Wort. Ich kann durchaus mit der fraglichen Allium-Art umgehen, ich kann sie sogar essen, aber der Klang des Wortes, nun ...«

Feucht blickte erneut auf das Wort und schüttelte traurig den Kopf.

»Also muss ich einen großen Bogen um Restaurants machen, Herr.«

»Das kann ich verstehen. Wie geht es dir bei einem Wort wie ...

>Knofi<?«

»Ja, Herr, ich weiß, worauf du hinauswillst, das habe ich alles schon ausprobiert. Knobel auch, Knopfschlauch ... all das hat keine Wirkung.«

»Also nur Knoblauch - oh, Verzeihung ...«

Aimsbury erstarrte, und seine Augen nahmen einen entrückten Ausdruck an.

»Bei den Göttern, das tut mir so leid, ich wollte wirklich nicht...«, begann Feucht.

»Ich weiß«, sagte Peggy matt. »Das Wort drängt einfach danach, ausgesprochen zu werden, nicht wahr? So wird er die nächsten fünfzehn Sekunden sein, dann wirft er das Messer geradeaus, dann wird er etwa vier Sekunden lang fließend Quirmianisch sprechen, und dann ist alles wieder in Ordnung. Hier ...« Sie reichte Feucht eine Schüssel, in der sich ein großer brauner Klumpen befand. »Geh du mit der Karamellspeise nach draußen, und ich werde mich in der Speisekammer verstecken. Ich bin das schon gewohnt. Und ich kann dir dann auch ein Omelett machen.« Sie drängte Feucht durch die Tür und verschloss sie hinter ihm.

Draußen stellte er die Schüssel ab, der Herr Quengler sofort seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmete.

Einen Hund dabei zu beobachten, wie er versuchte, ein großes Stück Karamell zu zerkauen, ist ein wahrer Zeitvertreib für die Götter. Herrn Quenglers gemischte Vorfahrenschaft hatte ihm eine Geschicklichkeit mit Kiefern und Zähnen beschert, die wahrlich erstaunlich war. Er schlug fröhlich Purzelbäume und zog Fratzen wie ein Gummiwasserspeier in einer Waschmaschine.

Nach einigen Sekunden hörte Feucht das unverkennbare Pling eines Messers, das vibrierend in Holz steckte, gefolgt von einem Schrei: »Nom d’une bouilloire! Pourquoi est-ce que je suis bardiment ri sous cape apart les dieux?«

Es klopfte an der Tür, gefolgt vom unverzüglichen Eintreten Beuges. Er hatte eine große runde Schachtel dabei.

»Die Suite ist jetzt für dich bereit, Meister«, verkündete er. »Das heißt, für Herrn Quengler.«

»Eine Suite?«

»Aber ja. Der Direktor bekommt eine Suite.«

»Ach, die Suite. Er muss in der Bank wohnen, nicht wahr?«

»In der Tat. Herr Schräg war so freundlich, mir eine Kopie der testamentarischen Verfügungen zu geben. Der Direktor muss jede Nacht in der Bank schlafen ...«

»Aber ich habe eine Wohnung, in der ich mich rundum ...«

»Ähem. So lauten die Bedingungen, Herr«, sagte Beuge. »Du kannst natürlich das Bett haben«, fügte er großzügig hinzu. »Herr Quengler wird in seinem Ablagekorb schlafen. Dort wurde er sogar geboren, nebenbei bemerkt.«

»Ich soll dort jede Nacht eingeschlossen werden?«

Als Feucht dann die Suite sah, empfand er das Arrangement schon viel weniger als Strafe. Er musste vier Türen öffnen, bis er überhaupt ein Bett gefunden hatte. Es gab ein Esszimmer, ein Ankleidezimmer, ein Bad, ein getrenntes WC, ein zweites Schlafzimmer, einen Durchgang zum Büro, das eine Art Konferenzraum war, und ein kleines privates Arbeitszimmer. Das Hauptschlafzimmer enthielt ein riesiges Himmelbett aus Eichenholz mit Damastvorhängen, und Feucht verliebte sich sofort in das Stück. Er probierte es aus. Es war so weich, dass man wie in einer großen warmen Pfütze darin lag ...

Plötzlich fuhr er hoch. »Ist Frau Üppig ...«, sagte er mit zunehmender Panik.

»Sie starb, während sie an ihrem Schreibtisch saß, Meister«, sagte Beuge beschwichtigend, während er die Schnur um die große runde Schachtel entknotete. »Wir haben den Stuhl ausgetauscht. Übrigens soll sie morgen beerdigt werden. Kleine Götter, um Mittag, Familienmitglieder nur mit Einladung.«

»Kleine Götter? Ist das nicht zu wenig exklusiv für eine Üppig?«

»Ich glaube, dort sind mehrere von Frau Üppigs Vorfahren begraben. Einmal hat sie mir in einem vertraulichen Moment gesagt, dass sie verdammt sein wollte, wenn sie für alle Ewigkeit eine Üppig bleiben sollte.« Papier raschelte, dann fügte Beuge hinzu: »Dein Hut, Herr.«

»Was für ein Hut?«

»Für den Meister der Königlichen Münze.« Beuge hielt ihn hoch.

Es war ein schwarzer Seidenzylinder. Früher musste er einmal geglänzt haben. Heute war er fast völlig stumpf geworden. Alte Landstreicher trugen bessere Hüte.

Man hätte die Kopfbedeckung so gestalten können, dass sie wie ein großer Haufen aus Dollars aussah oder wie eine Krone, auf der kleine Szenen aus Edelsteinen die Geschichte der Unterschlagungen im Laufe der Jahrhunderte darstellten, den Fortschritt der konvertierbaren Währungen von Rotz über kleine weiße Muscheln und Kühe bis zum Gold. Er hätte irgendwie den Zauber des Geldes zum Ausdruck bringen können. Es hätte ein guter Hut sein können.

Ein schwarzer Zylinder. Ohne Stil. Ohne die geringste Spur von Stil.

»Herr Beuge, könntest du veranlassen, dass jemand zum Postamt rübergeht und meine Sachen holt?«, sagte Feucht, während er niedergeschlagen das Wrack betrachtete.

»Natürlich, Meister.«

»Ich glaube, >Herr Lipwig< genügt, vielen Dank.«

»Ja, Herr. Natürlich.«

Feucht setzte sich an den gewaltigen Schreibtisch und fuhr mit den Händen liebevoll über das abgenutzte grüne Leder.

Der verdammte Vetinari hatte Recht gehabt. Das Postamt hatte ihn vorsichtig und defensiv gemacht. Er hatte überhaupt keine Herausforderungen mehr gehabt, überhaupt keinen Spaß mehr.

Donner rollte aus der Ferne heran, und die Nachmittagssonne wurde von blauschwarzen Wolken bedroht. Eins jener schweren Gewitter, die die ganze Nacht tobten, näherte sich von der Ebene. Der Times zufolge gab es in letzter Zeit in Regennächten mehr Verbrechen. Es hieß, der Grund dafür war der Werwolf bei der Wache, weil es im Regen schwieriger war, einer Witterung zu folgen.

Nach einer Weile brachte Peggy ihm ein Omelett, das nicht die leiseste Erwähnung des Wortes »Knoblauch« enthielt. Und kurz danach traf Gladys mit seinem Kleiderschrank ein. Sie trug das ganze Ding, einschließlich der Tür, unter einem Arm. Damit stieß sie gegen die Wände und die Decke, als sie über den Teppich stapfte, bis sie den Schrank mitten im großen Schlafzimmer zu Boden ließ.

Feucht wollte ihr folgen, doch sie hob entsetzt die großen Hände.

»Nein, Herr! Lass Mich Zuerst Hinausgehen!«

Sie stampfte an ihm vorbei in den Vorraum. »Das War Fast Sehr Unanständig«, sagte sie.

Feucht wartete, ob noch etwas hinterherkam, und hakte dann nach: »Was genau?«

»Ein Mann Und Eine Junge Frau Sollten Sich Nicht Gemeinsam In Einem Schlafzimmer Aufhalten«, sagte der Golem mit ernster Unerschütterlichkeit.

»Äh, wie alt bist du, Gladys?«, fragte Feucht vorsichtig.

»Eintausendvierundfünfzig Jahre, Herr Lipwig.«

»Äh, okay. Und du bestehst aus Ton. Ich meine, in gewisser Weise besteht jeder aus Ton, aber als Golem bestehst du, äh ... sehr aus Ton ...«

»Ja, Herr Lipwig. Aber Ich Bin Nicht Verheiratet.«

Feucht stöhnte. »Gladys, was haben die Mädchen von den Postschaltern dir diesmal zu lesen gegeben?«

»Lady Deirdre Wagens Schickliche Ratschläge Für Junge Frauen«, sagte Gladys. »Ein Höchst Interessantes Buch. Es Geht Darum, Wie Man Sich Benimmt.« Sie zog ein schmales Buch mit geschmacklosem Einband aus der riesigen Tasche in ihrem Kleid.

Feucht seufzte. Es war einer dieser Benimm-Ratgeber, die einem »Zehn Dinge, die man nicht mit einem Sonnenschirm machen sollte«, erläuterten. »Ich verstehe«, sagte er.

Er wusste nicht, wie er es erklären sollte. Noch schlimmer war, dass er nicht einmal wusste, was er erklären sollte. Golems waren ... Golems. Große Klumpen aus Ton, in denen ein Lebensfunke glomm. Kleidung? Wozu? Selbst die männlichen Golems im Postamt waren nur mit einem Hauch blauer und goldener Farbe verziert worden, damit sie gepflegt aussahen - Moment, jetzt fiel er selber darauf herein! Es gab keine männlichen Golems! Golems waren Golems, und sie waren seit Jahrtausenden damit zufrieden gewesen, einfach nur Golems zu sein. Und nun existierten sie im modernen Ankh-Morpork, wo alle möglichen Rassen und Völker und Ideen durcheinandergeschüttelt wurden, und es war erstaunlich, was am Ende aus der Flasche heraustropfte.

Ohne ein weiteres Wort stapfte Gladys durch den Korridor, drehte sich um und blieb reglos stehen. Das Glühen ihrer Augen dämpfte sich zu einem matten Rot. Und das war es. Sie hatte sich entschieden hierzubleiben.

Herr Quengler schnarchte in seinem Ablagekorb.

Feucht zog den halben Wechsel heraus, den Cosmo ihm gegeben hatte.

Einsame Insel. Einsame Insel. Ich weiß, dass ich am besten bin, wenn ich unter Druck stehe, aber was genau habe ich damit gemeint?

Auf einer einsamen Insel war Gold wertlos. Mit Nahrung kam man besser durch Zeiten ohne Gold als mit Gold durch Zeiten ohne Nahrung. So betrachtet war Gold auch in einer Goldmine wertlos. Das Tauschmittel in einer Goldmine war die Spitzhacke.

Hmmm. Feucht starrte auf den Wechsel. Was war nötig, um ihn zehntausend Dollar wert zu machen? Das Siegel und die Unterschrift von Cosmo, mehr nicht. Jeder wusste, dass er das Geld hatte. Er hatte nichts anderes außer Geld, der Mistkerl.

Banken arbeiten ständig mit so etwas, dachte er. Jede Bank in der Ebene würde mir das Bargeld auszahlen, unter Einbehaltung einer kleinen Gebühr, versteht sich, denn Banken schröpfen einen, wo sie nur können. Trotzdem ist es viel einfacher, als Säcke voller Münzen durch die Gegend zu schleppen. Natürlich müsste auch ich den Wechsel unterschreiben, sonst wäre er nicht abgesichert.

Ich meine, wenn kein Empfänger eingetragen wäre, könnte jeder ihn einlösen.

Einsame Insel. Einsame Insel... Auf einer einsamen Insel ist ein Sack mit Gemüse mehr wert als Gold, in der Stadt ist ein Sack mit Gold mehr wert als einer mit Gemüse.

Das ist so etwas wie eine Gleichung, nicht wahr? Und was für ein Wert kommt dabei heraus?

Er starrte vor sich hin.

Er befindet sich in der Stadt selbst. Die Stadt sagt: Im Tausch gegen dieses Gold kannst du all diese Sachen bekommen. Die Stadt ist der Magier, der Alchimist, der nicht wertlose Dinge in Gold verwandelt, sondern wertloses Gold in ... alles Mögliche.

Wie viel ist Ankh-Morpork wert? Wenn man alles zusammenrechnet? Die Häuser, die Straßen, die Menschen, ihre Fähigkeiten, die Kunst in den Galerien, die Gilden, die Gesetze, die Bibliotheken ... Milliarden? Nein. Kein Geld der Welt würde dafür ausreichen.

Die Stadt war ein einziger großer Goldbarren. Was brauchte man, um eine Währung zu stützen? Man brauchte nur die Stadt.

Die Stadt sagt, dass ein Dollar genau einen Dollar wert ist.

Es war ein Traum, aber Feucht war gut darin, Träume zu verkaufen. Und wenn man genug Leuten den Traum verkaufen konnte, wagte es niemand mehr, daraus aufzuwachen.

Ein kleiner Ständer auf seinem Schreibtisch enthielt ein Stempelkissen und zwei Gummistempel, die das Wappen der Stadt und das Siegel der Bank darstellten. Aber in Feuchts Augen waren auch diese einfachen Dinge von einem Goldschimmer umgeben. Sie hatten Wert.

»Herr Quengler?«, sagte Feucht. Der Hund setzte sich in seinem Korb auf und sah ihn erwartungsvoll an.

Feucht schob die Ärmel zurück und lockerte die Finger.

»Wollen wir jetzt etwas Geld machen, Herr Direktor?«, sagte er.

Der Direktor brachte sein bedingungsloses Einverständnis mit einem »Wuff!« zum Ausdruck.

»Zahlt dem Überbringer die Summe von einem Dollar«, schrieb Feucht auf einen Zettel aus sauberem Bankpapier.

Dann drückte er beide Stempel auf das Papier und widmete dem Ergebnis einen langen, kritischen Blick. Es fehlte noch etwas. Man musste den Leuten eine Show bieten. Das Auge wertete mit.

Das Ganze brauchte noch etwas ... Würdevolleres. Ähnlich wie das Bankgebäude. Wer würde Bankgeschäfte in einer Holzhütte tätigen?

Hmm.

Ach ja! Es ging doch schließlich um die Stadt, nicht wahr? In großen verschnörkelten Buchstaben schrieb er unten drunter: 

AD URBEM PERTINET

Und nach einiger Überlegung in kleineren Lettern:

Promitto fore ut possessori postulanti nummum unumsolvem, an apte satisfaciam.
Gez. Feucht von Lipwig i. N. d. Bankdirektors

»Entschuldige, Herr Bankdirektor«, sagte er und hob den Hund hoch. Es dauerte nur einen kurzen Moment, eine Vordertatze auf ein Stempelkissen zu drücken und dann neben Feuchts Unterschrift einen hübschen kleinen Fußabdruck zu hinterlassen.

Feucht wiederholte diese Prozedur noch einige Male, schob fünf der auf diese Weise produzierten Scheine unter das Löschpapier und ging dann mit dem neuen Geld und dem Direktor Gassi.

Cosmo Üppig funkelte sein Spiegelbild wütend an. Manchmal bekam er es beim Üben drei- oder viermal hintereinander richtig hin, und dann - welche Schande! - probierte er es in der Öffentlichkeit aus, und wenn die Leute dumm genug waren, es zu erwähnen, sagten sie etwas wie: »Ist dir gerade was ins Auge geflogen?«

Er hatte sich sogar einen Apparat bauen lassen, der mittels eines Uhrwerks regelmäßig an einer Augenbraue zog. Er hatte den Mann, der das Ding für ihn gemacht hatte, vergiftet, noch während er es abholte. In seiner stinkenden kleinen Werkstatt hatte er mit ihm geplaudert, während das Zeug seine Wirkung entfaltete. Der Mann war fast achtzig gewesen, und Cosmo war sehr vorsichtig vorgegangen, sodass die Wache niemals darauf aufmerksam geworden war. Eigentlich sollte so etwas in diesem Alter sowieso nicht mehr als Mord betrachtet werden, nicht wahr? Es war im Grunde eher so etwas wie ein Gefallen gewesen. Und natürlich durfte er nicht das Risiko eingehen, dass der alte Narr ganz unbedarft irgendwem davon erzählte, nachdem Cosmo zum Patrizier geworden war.

Im Nachhinein dachte er jedoch, dass er damit hätte warten sollen, bis er sich vergewissert hatte, dass das Augenbrauentrainingsgerät richtig funktionierte. Zunächst war das Auge blau angelaufen, bis er ein paar zögerliche Anpassungen vorgenommen hatte.

Wie machte Vetinari es? Das war es, was ihm das Patrizieramt verschafft hatte, dessen war sich Cosmo sicher. Nun gut, ein paar geheimnisvolle Morde hatten zugegebenermaßen dazu beigetragen, aber es war die Art, wie der Mann eine Augenbraue hochziehen konnte, die ihn an der Macht gehalten hatte.

Cosmo hatte Vetinari schon seit langer Zeit studiert. Es war gar nicht so schwer, es bei gesellschaftlichen Anlässen zu tun. Außerdem hatte er jedes Bild ausgeschnitten, das in der Times erschienen war. Was war das Geheimnis, das diesen Mann so mächtig und unverwundbar machte? Wie konnte man ihn verstehen?

Und dann, eines Tages, hatte er in irgendeinem Buch den Satz gelesen: »Wenn du einen Mann verstehen willst, lauf eine Meile in seinen Stiefeln.«

Und da war ihm eine großartige Idee gekommen ...

Er seufzte zufrieden und zupfte an dem schwarzen Handschuh.

Dass man ihn zur Assassinenschule geschickt hatte, war völlig selbstverständlich gewesen. Das war die natürliche Bestimmung für junge Männer von guter Herkunft und mit distinguiertem Akzent. Er hatte überlebt und eine Projektarbeit über Gifte gemacht, weil das Vetinaris Spezialität war, aber die Schule selbst hatte ihn gelangweilt. Dort war jetzt alles so stilbeflissen. Man beschäftigte sich nur noch mit albernen Vorstellungen von Ehre und Eleganz, sodass die Leute offenbar völlig vergaßen, was ein Assassine eigentlich tun sollte ...

Der Handschuh löste sich von seinen Fingern, und da war er.

Ja ...

Vorhinein hatte es großartig hingekriegt.

Cosmo betrachtete das wunderbare Ding und bewegte die Hand, damit es das Licht einfing. Licht machte seltsame Sachen mit Stygium: Manchmal wurde es silbrig reflektiert, manchmal in einem öligen Gelb, und manchmal blieb es resolut schwarz. Und es war warm, sogar hier. Im direkten Sonnenlicht würde es in Flammen aufgehen. Es war ein Metall, das anscheinend für jene gedacht war, die sich im Schatten bewegten ...

Der Ring von Vetinari. Vetinaris Siegelring. Ein so winziges Ding und doch so mächtig. Es hatte überhaupt keine Verzierungen, sofern man nicht den schmalen Rand der Kartusche mitzählte, der scharf eingeschnitten die Form und die Serifen des einzigen Buchstabens nachzeichnete: V.

Er konnte nur vermuten, was sein Sekretär alles hatte tun müssen, um ihn zu bekommen. Er hatte ein Duplikat herstellen lassen, das »invertiert« war, was auch immer das bedeuten mochte, und zwar aus den Wachssiegeln, die damit auf so beeindruckende Weise gestempelt worden waren. Und es waren Bestechungsgelder (sehr hohe) nötig gewesen, außerdem hastige Treffen, vorsichtige Austauschaktionen und Änderungen in letzter Minute, um das Duplikat genau hinzubekommen ...

Und nun steckte das echte Stück an seinem Finger. Sogar sehr. Aus Cosmos Sicht hatte Vetinari für einen Mann sehr schlanke Finger, und den Ring über den Knöchel zu schieben war gar nicht so einfach gewesen. Vorhinein hatte davon gefaselt, ihn weiten zu lassen, und nicht erkannt, dass er ihn damit ruiniert hätte. Die Magie - und Vetinari hatte zweifellos seine ganz eigene Magie - hätte sich daraus verflüchtigt. Es wäre nicht mehr der echte Ring gewesen.

Ja, ein paar Tage lang hatte es höllisch wehgetan, aber nun schwebte er über dem Schmerz in einem klaren blauen Himmel.

Er war stolz darauf, dass er kein Dummkopf war. Er hätte es sofort erkannt, wenn sein Sekretär versucht hätte, ihm eine bloße Kopie anzudrehen. Der Schock, der durch seinen Arm geschossen war, als er den Ring übergestreift hatte, beziehungsweise als er ihn über den Knöchel gezwängt hatte, hatte ihn endgültig davon überzeugt, dass es der echte war. Er konnte bereits spüren, wie sein Verstand schärfer und schneller arbeitete.

Er strich mit dem Zeigefinger über das tief ausgeschnittene V und blickte zu Drumk... zu Vorhinein auf.

»Du wirkst besorgt, Vorhinein«, sagte er freundlich.

»Der Finger ist recht weiß geworden, Herr. Fast hellblau. Bist du dir sicher, dass er nicht schmerzt?«

»Nicht die Spur. Ich habe das Gefühl... dass ich wirklich alles unter Kontrolle habe. Du wirkst in letzter Zeit ziemlich ... sorgenvoll, Vorhinein. Geht es dir gut?«

»Ahm ... sehr gut, Herr«, sagte Vorhinein.

»Du musst verstehen, dass ich gute Gründe hatte, dir Herrn Kronsbeere mitzugeben«, sagte Cosmo. »Morpeth hätte es früher oder später irgendwem verraten, ganz gleich, wie viel du ihm bezahlt hast.«

»Aber der Junge im Hutgeschäft...«

»Genau die gleiche Situation. Und es war ein fairer Kampf. War es nicht so, Kronsbeere?«

Kronsbeeres glänzend kahler Kopf blickte von seinem Buch auf.

»Ja, Herr. Er war bewaffnet.«

»Ab ...«, begann Vorhinein.

»Ja?«, sagte Cosmo ruhig.

»Äh ... nichts, Herr. Du hast natürlich Recht.« Der Junge war im Besitz eines winzigen Messers und sehr betrunken gewesen. Vorhinein fragte sich, was man damit im Kampf gegen einen professionellen Killer ausrichten konnte.

»Nicht wahr?«, sagte Cosmo in freundlichem Tonfall. »Und du machst deine Arbeit ganz ausgezeichnet. Genauso wie Kronsbeere. Schon bald werde ich eine weitere kleine Aufgabe für euch haben, das spüre ich sehr deutlich. Jetzt geht und esst etwas.«

Als Vorhinein die Tür öffnete, blickte Kronsbeere zu Cosmo auf, der kaum merklich den Kopf schüttelte. Leider besaß Vorhinein ein ausgezeichnetes peripheres Sehvermögen.

Er wird es herausfinden, er wird es herausfinden, er wird es ... aaahhh!!!, stöhnte er vor sich hin, während er durch die Flure eilte. Es liegt am verdammten Ring, das ist es! Es ist nicht meine Schuld, dass Vetinari dünne Finger hat! Er wäre sofort misstrauisch geworden, wenn das blöde Ding gepasst hätte! Warum hat er nicht erlaubt, dass ich ihn weiten lasse? Ha, und wenn ich es getan hätte, hätte er später Kronsbeere vorbeigeschickt, um den Juwelier zu ermorden! Ich weiß, dass er ihn zu mir schicken wird, ich weiß es!

Kronsbeere machte Vorhinein Angst. Der Mann sprach sehr leise und war bescheiden gekleidet. Und wenn Cosmo seine Dienste nicht benötigte, setzte er sich irgendwo hin und las den ganzen Tag Bücher. Das regte Vorhinein auf. Wenn der Kerl ein analphabetischer Schläger gewesen wäre, hätte es ihm, so seltsam es klang, vieles einfacher gemacht. Es wäre ... verständlicher gewesen. Außerdem schien der Mann keinerlei Körperbehaarung zu besitzen, und im Sonnenlicht konnte einen der Glanz seiner Glatze blenden.

Dabei hatte alles mit einer Lüge begonnen. Warum hatte Cosmo ihm geglaubt? Weil er ein Wahnsinniger war, nur leider nicht die ganze Zeit. Er war so etwas wie ein Freizeitverrückter. Er hatte diese ... Obsession, und die hieß Lord Vetinari.

Vorhinein hatte es anfangs gar nicht bemerkt, er hatte sich nur gewundert, warum Cosmo beim Einstellungsgespräch an seiner Körpergröße herumgemäkelt hatte. Doch als Vorhinein ihm gesagt hatte, dass er beruflich im Palast tätig gewesen war, hatte Cosmo ihn unverzüglich eingestellt.

Und genau das war die Lüge, obwohl Vorhinein es vorzog, die Sache als bedauernswerte Verquickung zweier Wahrheiten zu betrachten.

Vorhinein war tatsächlich eine Zeitlang im Palast beschäftigt gewesen, nur bisher hatte Cosmo noch nicht herausgefunden, dass er dort als Gärtner gearbeitet hatte. Und davor war er wirklich ein untergeordneter Sekretär gewesen - bei der Gilde der Waffenschmiede. Deshalb konnte er ohne Gewissensbisse behaupten: »Ich habe als untergeordneter Sekretär gearbeitet und war im Palast angestellt.« Doch er glaubte, dass Lord Vetinari diesen Satz wesentlich gründlicher hinterfragt hätte, als es der entzückte Cosmo getan hatte. Und nun beriet er einen sehr bedeutenden und gerissenen Mann, und zwar auf der Grundlage von möglichst vielen Gerüchten, an die er sich erinnern oder die er sich in seiner Verzweiflung ausdenken konnte. Und er kam damit durch. Bei seinen alltäglichen Geschäften ging Cosmo schlau und rücksichtslos vor, doch sobald Vetinari ins Spiel kam, war er so leichtgläubig wie ein Kind.

Vorhinein bemerkte, dass sein Chef ihn gelegentlich mit dem Namen des Sekretärs des Patriziers ansprach, aber er bekam fünfzig Dollar pro Monat plus Kost und Logis, und für diese Summe würde er sich auch »Schnuckelchen« nennen lassen. Nun ja, vielleicht nicht gerade »Schnuckelchen«, aber zumindest »Freundchen«.

Und dann hatte der Albtraum begonnen, und wie es bei Albträumen üblich war, bekamen selbst die alltäglichsten Dinge eine finstere Bedeutung.

Cosmo hatte verlangt, dass er ihm ein abgetragenes Stiefelpaar von Vetinari beschaffte.

Das war eine harte Nuss gewesen. Vorhinein war noch nie im eigentlichen Palast gewesen, aber in jener Nacht war er auf das Gelände gelangt, indem er neben dem alten grünen Gartentor über den Zaun geklettert war. Dann hatte er einen seiner alten Kumpel getroffen, der die ganze Nacht aufbleiben musste, um die Boiler für das Treibhaus in Gang zu halten. Er hatte ein wenig mit ihm geplaudert, und in der folgenden Nacht war er zurückgekommen, um ein Paar alter, aber noch benutzbarer schwarzer Stiefel in Größe acht mitzunehmen. Dazu erhielt er vom Stiefelknecht die Information, dass sich bei Seiner Lordschaft der linke Absatz etwas stärker abnutzte als der rechte.

Vorhinein konnte keinen Unterschied zwischen den beiden Stiefeln erkennen, die man ihm präsentierte, aber es hatte auch niemand ausdrücklich behauptet, dass dies wirklich die sagenumwobenen Stiefel Vetinaris waren. Getragene, aber noch brauchbare Stiefel wanderten stets von den oberen Stockwerken zu den Unterkünften der Bediensteten hinunter - Noblesse oblige - und wenn es doch nicht die wahren Stiefel Seiner Lordschaft waren, so hatten sie sich wenigstens mit ziemlicher Sicherheit schon einmal im gleichen Zimmer wie seine Füße befunden.

Vorhinein bezahlte zehn Dollar dafür und verbrachte einen Abend damit, die linke Ferse so weit abzunutzen, dass der Unterschied bemerkbar war. Cosmo bezahlte ihm fünfzig Dollar, ohne mit der Wimper zu zucken, obwohl er durchaus zusammenzuckte, als er sie anprobierte.

»Wenn du einen Mann verstehen willst, lauf eine Meile in seinen Stiefeln«, hatte er gesagt und war quer durch sein Büro gehumpelt. Welche Erkenntnis er zu gewinnen hoffte, wenn es die Stiefel eines Unterbutlers waren, wusste Vorhinein nicht zu sagen, aber nach einer halben Stunde klingelte Cosmo nach einer Schüssel mit kaltem Wasser und ein paar lindernden Kräutern, und seitdem waren die Stiefel nicht mehr aufgetaucht.

Dann war da noch das schwarze Scheitelkäppchen gewesen. Das war der einzige Glückstreffer bei dieser ganzen Angelegenheit gewesen. Es war sogar echt. Man konnte fest davon ausgehen, dass Vetinari es bei Bolter im Schlegel gekauft hatte, und Vorhinein hatte das Geschäft ausgekundschaftet, war eingetreten, als die Besitzer beim Mittagessen saßen, hatte mit dem mittellosen Jungen gesprochen, der im Hinterzimmer an den Dampfreinigungsmaschinen und Wäschemangeln arbeitete - und herausgefunden, dass ein Käppchen zum Reinigen abgegeben worden war. Als Vorhinein mit dem ungereinigten Stück nach draußen spazierte, war der junge Mann keineswegs mehr so mittellos und hatte die Anweisung, ein neues Käppchen zu waschen und zum Palast zurückzuschicken.

Cosmo war völlig außer sich und wollte alle Einzelheiten wissen.

Wie sich herausstellte, hatte der junge Mann am nächsten Abend sein Geld in einer Bar ausgegeben und war gegen Mitternacht bei einer Prügelei unter Betrunkenen zu Tode gekommen, seines restlichen Geldes beraubt. Vorhineins Zimmer lag direkt neben dem von Kronsbeere. Wenn er darüber nachdachte, glaubte er gehört zu haben, wie der Mann an jenem Abend spät heimgekommen war.

Und nun der Siegelring. Vorhinein hatte Cosmo gesagt, dass er eine Kopie herstellen lassen und seine Kontaktmänner - seine sehr teuren Kontaktmänner - im Palast dazu benutzen konnte, sie gegen den echten Ring auszutauschen. Dafür hatte er fünftausend Dollar bekommen!

Fünftausend Dollar!

Und sein Chef war überglücklich. Überglücklich und völlig verrückt. Er hatte eine Fälschung bekommen, aber er schwor, dass darin Vetinaris Geist lebte. Vielleicht war es wirklich so, weil Kronsbeere an der Angelegenheit beteiligt gewesen war. Wenn man sich in Cosmos Hobby hineinziehen ließ, so erkannte Vorhinein viel zu spät, musste man sterben.

Er erreichte sein Zimmer, stürmte hinein und schloss die Tür. Dann lehnte er sich dagegen. Er sollte flüchten, und zwar sofort. Mit seinen Ersparnissen konnte er sich sehr weit aus dem Staub machen. Aber die Furcht ließ ein wenig nach, als er seine Gedanken sammelte.

Sie sagten ihm: Entspann dich, entspann dich! Schließlich hatte die Wache bislang nicht an seine Tür geklopft, nicht wahr? Kronsbeere war ein Profi, und sein Chef war voller Dankbarkeit.

Also ... warum sollte er nicht noch einen letzten Trick durchziehen? Um noch mal richtig Geld zu verdienen! Was konnte er »besorgen«, wofür sein Chef ihm noch einmal fünftausend Dollar bezahlte?

Etwas, das einfach, aber beeindruckend war, das wäre es, und wenn Cosmo dahinterkam - falls er jemals dahinterkam - wäre Vorhinein längst auf der anderen Seite des Kontinents, mit einem neuen Namen und so sonnengebräunt, dass er nicht mehr wiederzuerkennen war.

Ja ... ganz genau ...

Die Sonne war heiß, und heiß war auch den Zwergen. Es waren Bergzwerge, die sich unter freiem Himmel nicht besonders wohl fühlten.

Und weswegen waren sie hier? Der König wollte wissen, ob irgendetwas von Wert aus dem Loch mitgenommen wurde, das die Golems für die verrückte rauchende Frau gruben. Das Problem war nur, dass ihnen nicht gestattet war, es zu betreten. Also saßen sie im Schatten und schwitzten vor sich hin, während etwa einmal pro Tag die verrückte Frau, die ständig rauchte, vorbeikam und ihnen ... Sachen auf einem aufgebockten Tisch vorlegte. Diese Sachen hatten eins miteinander gemein: Sie waren langweilig.

Jeder wusste, dass es hier nichts zu holen gab. Hier gab es nur unergiebigen Sand und Schlick, bis ganz nach unten. Es gab kein Süßwasser. Pflanzen, die hier überlebten, speicherten den Winterregen in angeschwollenen, hohlen Wurzeln oder lebten von der Feuchtigkeit, die mit dem Meeresnebel heranwehte. Und was aus dem langen, geneigten Tunnel kam, demonstrierte all das bis zum Überdruss.

Es gab ein paar Skelette von alten Schiffen und gelegentlich auch von alten Seemännern. Dazu ein paar Münzen, eine aus Silber und eine aus Gold, die immerhin noch etwas glänzten und ordnungsgemäß konfisziert wurden. Es gab zerbrochene Töpfe und Teile einer Statue, an denen ein wenig herumgepuzzelt wurde, ein Stück von einem eisernen Kessel und einen Anker mit ein paar Kettengliedern.

Es ist völlig klar, überlegten die Zwerge, während sie im Schatten saßen, dass alles, was es hier gibt, per Schiff hierher gelangt ist. Aber man durfte nicht vergessen, dass man, wenn es um Handel und Gold ging, niemandem vertrauen konnte, der in der Lage war, einem über den Helm zu blicken.

Und dann waren da die Golems. Die Zwerge konnten Golems nicht ausstehen, weil sie sich trotz ihres großen Gewichts lautlos bewegten und wie Trolle aussahen. Sie kamen und gingen in einer Tour, brachten Bauholz von wer weiß wo mit und marschierten in die Dunkelheit hinunter ...

Als dann eines Tages lauter Golems aus dem Loch strömten, folgte eine längere Diskussion, und die rauchende Frau kam zu den Beobachtern herüber. Sie beobachteten sie nervös, wie es Kämpfer taten, wenn sich ihnen ein selbstbewusster Zivilist näherte, von dem sie wussten, dass sie ihn nicht töten durften.

In gebrochenem Zwergisch erzählte sie ihnen, dass der Tunnel eingestürzt sei und sie nun fortgehen würde. All die Dinge, die sie ausgegraben hatten, sagte sie, seien Geschenke für den König. Dann ging sie fort und nahm die vermaledeiten Golems mit.3 

Das war letzte Woche gewesen. Seitdem war der Tunnel vollständig eingestürzt, und der Wind hatte Sand über alles geweht.

Das Geld kümmerte sich um sich selbst. Es strömte durch die Jahrhunderte, in Aktenbergen vergraben, hinter Anwälten versteckt, es wurde gepflegt, investiert, umgeleitet, konvertiert, gewaschen, getrocknet, gebügelt und poliert und vor Schaden und Steuern in Sicherheit gebracht - und vor allen Dingen vor den Üppigs. Sie kannten ihre Nachkommen - schließlich hatten sie sie selbst großgezogen und deshalb wurde das Geld von einer Leibwache aus Treuhändern, Verwaltern und Verträgen begleitet. Und es schüttete immer nur eine kleine Menge von sich an die nächste Generation aus, gerade genug, um den Lebensstil aufrechtzuerhalten, für den ihr Name zum Synonym geworden war, und einen kleinen Zuschlag, mit dem die Familientradition fortgesetzt werden konnte, sich um, ja, das Geld zu streiten.

Nun fanden sich alle ein, jeder Familienzweig und in vielen Fällen jede Einzelperson mit eigenem Anwalt und eigener Leibwache. Sie gaben sehr genau darauf Acht, wen sie eines Blickes würdigten, nur für den Fall, dass sie unbeabsichtigt jemandem zulächelten, gegen den sie gerade einen Prozess führten. Als Familie, so sagte man, kamen die Üppigs so gut miteinander zurecht wie ein Sack voller Katzen. Cosmo hatte sie bei der Beerdigung beobachtet, und sie hatten die ganze Zeit damit zugebracht, sich gegenseitig zu beobachten. Auch das erinnerte an Katzen, die sich belauerten, ob ein Artgenosse zum Angriff überging. Trotzdem wäre es eine durchaus würdevolle Angelegenheit gewesen, wenn nur nicht dieser geistesschwache Neffe, den die alte Hexe im Keller hatte wohnen lassen, in einem schmuddeligen weißen Mantel und einem gelben Regenhut aufgetaucht wäre und während der kompletten Trauerfeier geflennt hätte. Er hatte allen die schöne Feier verpatzt.

Aber nun war die Beerdigung vorbei, und die Üppigs taten das, was sie immer nach einer Beerdigung taten, nämlich über das Geld reden.

Man könnte Üppigs nicht um einen Tisch herum platzieren. Cosmo hatte kleine Tische in einer Anordnung aufstellen lassen, die nach seinem besten Wissen den derzeitigen Allianzen und kleineren Bruderkriegen Rechnung trug. Dennoch wurden zahlreiche Stühle gerückt und mit juristischen Klagen gedroht, bis alle Leute ihren Platz gefunden hatten. Hinter ihnen stand die Reihe ihrer aufmerksamen Anwälte und passte sehr genau auf, womit sie sich alle vier Sekunden zusammengerechnet einen ganzen Dollar verdienten.

Anscheinend besteht die einzige Verwandtschaft, die Vetinari hat, aus einer Tante, sinnierte Cosmo. Der Mann hatte wirklich Glück. Wenn er Vetinari war, musste die Zahl der Üppigs dringend dezimiert werden.

»Meine Damen und Herren«, sagte er, als die gezischten Flüche und Beleidigungen verstummt waren, »ich freue mich so sehr, heute so viele von euch hier zu sehen ...«

»Lügner!«

»Und ganz besonders dich, Pucci«, sagte Cosmo und lächelte seine Schwester an. Vetinari hatte auch keine Schwester wie Pucci. Das hatte niemand, darauf würde Cosmo jede Wette eingehen. Sie war ein Dämon, der in oberflächlich menschlicher Gestalt auftrat.

»Mit deiner Augenbraue stimmt immer noch irgendwas nicht«, sagte Pucci. Sie hatte einen Tisch für sich allein, eine Stimme wie eine Säge, die auf einen Nagel traf, ergänzt um den leichten Unterton eines Nebelhorns, und wurde immer wieder als »Society-Schönheit« bezeichnet, was bewies, wie reich die Üppigs waren. In zwei Hälften zerschnitten hätte sie zwei Society-Schönheiten ergeben, die dann allerdings nicht mehr sehr schön wären. Es hieß zwar, dass Männer, die sie verschmäht hatte, verzweifelt von Brücken sprangen, aber die einzige Person, von der man diesen Ausspruch kannte, war Pucci selbst.

»Ich bin überzeugt, dass ihr alle wisst...«, begann Cosmo.

»Wir haben es der totalen Inkompetenz deines Familienzweigs zu verdanken, dass wir die Bank verloren haben!«

Das kam aus der hintersten Ecke des Raums, aber es löste einen anschwellenden Chor der Beschwerden aus.

»Wir sind hier alle Üppigs, Josephine«, sagte er ernst. »Manche von uns sind sogar geborene Üppigs.«

Das funktionierte nicht. Aber eigentlich hätte es funktionieren müssen. Vetinari hätte es damit geschafft, dessen war sich Cosmo sicher. Aber Cosmo hatte damit nur die Leute verärgert. Das Murren wurde immer lauter.

»Einige von uns kriegen es wesentlich besser hin!«, gab Josephine zurück. Sie trug eine Halskette aus Smaragden, die einen grünen Widerschein auf ihr Gesicht warfen. Cosmo war beeindruckt.

Nach Möglichkeit vermählten sich die Üppigs mit entfernten Cousins und Cousinen, aber es war durchaus nicht ungewöhnlich, dass ein paar in jeder Generation außerhalb der Familie heirateten, um das »Drei-Daumen-Problem« zu vermeiden. Die Frauen fanden gut aussehende Ehemänner, die taten, was sie ihnen sagten, während die Männer erstaunlicherweise Frauen fanden, die erstaunlich gut darin waren, die Zickigkeit und Reizbarkeit eines geschorenen Affen zu übernehmen, die für eine wahre Üppig typisch war.

Josephine setzte sich mit einem giftigen Blick der Zufriedenheit, als sie das Raunen der Zustimmung hörte. Dann sprang sie erneut für eine Zugabe auf: »Und was beabsichtigst du gegen diese unverzeihliche Situation zu unternehmen? Dein Zweig hat die Führung unserer Bank an einen Scharlatan übergeben! Schon wieder!«

Pucci fuhr auf ihrem Stuhl herum. »Wie kannst du so etwas über Vater sagen!«

»Und wie kannst du so etwas über Herrn Quengler sagen!«, setzte Cosmo nach.

Bei Vetinari hätte es funktioniert, das wusste er genau. Es hätte Josephine lächerlich gemacht und die Menge auf seine Seite gezogen. Es hätte bei Vetinari funktioniert, der seine Augenbraue hochziehen konnte wie einen visuellen Tusch.

»Was? Wovon redest du da?«, sagte Josephine. »Was soll der Unsinn, Kind! Ich rede von diesem unsäglichen Lipwig! Er ist ein Postbote, bei den Göttern! Warum hast du ihm kein Geld angeboten?«

»Das habe ich«, sagte Cosmo und fügte in Gedanken hinzu: Ich werde mich an das »Kind« erinnerndu molkegesichtiger alter Stiefel. Wenn ich der Meister der Augenbraue bin, werden wir sehen, was du dann sagst!

»Und?«

»Ich glaube, Geld interessiert ihn nicht.«

»Unsinn!«

»Was ist mit dem kleinen Hund?«, fragte eine ältliche Stimme. »Was geschieht, wenn er dahinscheidet, was die Götter verhindern mögen?«

»Dann fällt die Bank an uns zurück, Tante Sorgsam«, sagte Cosmo zu einer sehr kleinen alten Dame in schwarzer Spitze.

»Ganz gleich, auf welche Weise das Hündchen stirbt?«, sagte Tante Sorgsamkeit Üppig und widmete sich konzentriert ihrer Strickarbeit. »Gift ist immer eine Möglichkeit, dessen bin ich mir sicher.«

Mit einem hörbaren Wusch erhob sich Tante Sorgsams Anwalt und sagte: »Meine Klientin möchte klarstellen, dass sie lediglich ganz allgemein die generelle Verfügbarkeit schädlicher Substanzen gemeint hat. Es handelt sich keinesfalls um eine Befürwortung irgendwelcher illegaler Handlungen und darf auf gar keinen Fall als solche aufgefasst werden.«

Er setzte sich wieder und notierte sich das verdiente Honorar.4 

»Bedauerlicherweise würde die Wache uns dann mit Fragen überschütten«, sagte Cosmo.

»Die Wache in unserer Bank? Weist die Leute einfach vor die Tür!«

»Die Zeiten haben sich verändert, Tantchen. Das können wir nicht mehr tun.«

»Als dein Urgroßvater seinen Bruder vom Balkon schubste, hat die Wache sogar die Leiche fortgeschafft, für fünf Schillinge und eine Runde Bier für alle!«

»Ja, Tantchen. Aber jetzt ist Lord Vetinari der Patrizier.« »Und er würde zulassen, dass die Wache überall in unserer Bank herumtrampelt?«

»Ohne jeden Zweifel, Tantchen.«

»Dann ist er kein Gentleman«, stellte die Tante traurig fest.

»Er lässt Vampire und Werwölfe in die Wache«, sagte Fräulein Tarantella Üppig. »Es ist widerlich, dass man ihnen erlaubt, wie richtige Menschen auf den Straßen herumzulaufen.«

Da machte etwas Ping! in Cosmos Gedächtnis.

»Er ist genauso wie ein richtiger Mensch«, sagte die Stimme seines Vaters.

»Das ist dein Problem, Cosmo Üppig!«, sagte Josephine, die nicht bereit war, auf ein neues Ziel einzuschwenken. »Es war dein niederträchtiger Vater, der ...«

»Sei still«, sagte Cosmo ruhig. »Halt den Mund. Und diese Smaragde stehen dir überhaupt nicht, nebenbei bemerkt.«

Das war ungewöhnlich. Die Üppigs mochten prozessieren und intrigieren, sie mochten herabsetzen und verleumden, aber dabei vergaßen sie nie ihre guten Manieren.

In Cosmos Kopf machte es noch einmal Ping!, und sein Vater sagte: » Und er hat es geschafft, sehr gut zu verbergen, was er wirklich ist, und zwar unter großer Pein. Was er einmal war, ist wahrscheinlich gar nicht mehr vorhanden. Aber du solltest Bescheid wissen, falls er anfängt, sich seltsam zu benehmen ...«

»Mein Vater hat die Bank wiederauf gebaut«, sagte Cosmo, während die Stimme noch in seinem Kopf nachhallte und Josephine für die nächste Tirade Luft holte, »und ihr alle habt ihn gewähren lassen. Ja, ihr habt ihn gewähren lassen. Es war euch egal, was er getan hat, solange die Bank euch allen für eure kleinen Intrigen zur Verfügung stand, die Intrigen, die wir so sorgfältig verbergen und über die wir nicht reden. Er hat all die kleinen Anteilseigner ausgezahlt, und euch hat es nicht gestört, solange ihr eure Dividende bekamt. Es war nur schade, dass er bei der Wahl seiner Kumpel einen so schlechten Geschmack an den Tag gelegt hat...«

»Nicht so schlecht wie bei der Wahl dieses schnöseligen Mädchens aus dem Variete!«, sagte Josephine.

»... was allerdings nicht für seine letzte Frau gilt«, fuhr Cosmo fort. »Tüppi war gerissen, hinterhältig, rücksichtslos und gnadenlos. Mein Problem dabei ist nur, dass sie darin viel besser war als ihr alle. Und jetzt muss ich euch bitten zu gehen. Ich werde dafür sorgen, dass wir unsere Bank wiederbekommen. Ihr findet den Weg nach draußen auch allein.«

Er stand auf, ging zur Tür, schloss sie sorgfältig hinter sich und rannte dann wie der Teufel zu seinem Arbeitszimmer, wo er sich mit dem Rücken gegen die Tür lehnte und hämisch grinste; wofür er genau das richtige Gesicht hatte.

Guter alter Papa! Dieses kleine Gespräch hatten sie zwar geführt, als er erst zehn Jahre alt gewesen war und noch gar keinen eigenen Anwalt hatte. Auch seine Üppig - Fähigkeit, sich zugleich bissig und zurückhaltend einzumischen, war noch nicht vollends ausgeprägt gewesen. Aber sein Vater hatte ein gutes Gespür gehabt. Er hatte Cosmo nicht nur einen Rat gegeben, er hatte ihm Munition gegeben, die er gegen die anderen verwenden konnte. Wozu war ein Vater sonst da?

Herr Beuge! Er war ... nicht bloß Herr Beuge. Er war etwas aus einem Albtraum. Damals hatte die Offenbarung dem jungen Cosmo einen großen Schrecken eingejagt, und später hätte er seinen Vater fast wegen all der schlaflosen Nächte verklagt, nach bester Üppig - Tradition, aber dann hatte er doch gezögert, und das war gut so gewesen. Vor Gericht wäre alles herausgekommen, und er hätte ein wundervolles Geschenk zunichtegemacht.

Dieser Lipwig glaubte also, er hätte das Sagen in der Bank, wie? Nun, man konnte die Bank nicht ohne Mavolio Beuge führen, und morgen um diese Zeit würde Herr Beuge ihm, Cosmo Üppig, gehören. Hmm, ja ... vielleicht sollte er noch etwas länger damit warten. Wenn er sich noch einen weiteren Tag mit Lipwigs bizarrer Rücksichtslosigkeit auseinandersetzen musste, wäre der arme Herr Beuge an einem Punkt angelangt, wo Kronsbeeres besondere Überzeugungskraft gar nicht mehr erforderlich war. Oh ja!

Cosmo schob die Augenbraue hoch. Allmählich hatte er den Bogen raus, da war er sich sicher. Da draußen war er genau wie Vetinari gewesen, nicht wahr? Ja, so war es. Die verblüfften Mienen seiner Verwandten, als er Josephine gesagt hatte, dass sie den Mund halten sollte! Allein die Erinnerung daran ließ ihm einen wohligen Schauder über den Rücken rieseln ...

War dies der richtige Zeitpunkt? Ja, vielleicht nur eine Minute lang. Er hatte es sich verdient... Er schloss eine Schublade in seinem Schreibtisch auf, griff hinein und drückte auf den verborgenen Knopf. Auf der anderen Seite des Schreibtischs sprang ein Geheimfach auf. Cosmo nahm ein kleines Scheitelkäppchen heraus. Es sah so gut wie neu aus. Vorhinein war ein Genie.

Cosmo setzte sich feierlich das Käppchen auf den Kopf.

Jemand klopfte an die Tür zum Arbeitszimmer. Eigentlich eine sinnlose Geste, da die Tür im nächsten Moment aufgestoßen wurde.

»Hast du dich schon wieder in deinem Zimmer eingeschlossen, Bruderherz?«, sagte Pucci triumphierend.

Wenigstens hatte Cosmo den Drang erstickt, sich das Käppchen vom Kopf zu reißen, als hätte man ihn bei etwas Verbotenem erwischt.

»Es war gar nicht abgeschlossen«, sagte er, »und dir ist es verboten, mir näher als fünfzehn Meter zu kommen. Ich habe eine gerichtliche Verfügung.«

»Und du darfst mir nicht näher als zwanzig Meter kommen, also hast du die Verfügung als Erster missachtet«, sagte Pucci und nahm sich einen Stuhl. Sie setzte sich rittlings darauf und verschränkte die Arme auf der Rückenlehne. Das Holz knirschte unter ihrem Gewicht.

»Ich war es nicht, der sich bewegt hat, glaube ich.«

»Kosmisch gesehen ist es sowieso dasselbe«, sagte Pucci. »Weißt du, dass das eine gefährliche Obsession ist, der du da anhängst?«

Jetzt nahm Cosmo das Käppchen doch ab. »Ich versuche nur, mich in den Mann hineinzuversetzen«, sagte er.

»Eine sehr gefährliche Obsession.«

»Du weißt, was ich meine. Ich will wissen, wie sein Verstand funktioniert.« »Und das da?« Pucci zeigte auf das große Bild, das an der Wand gegenüber dem Schreibtisch hing.

»William Pouters Mann mit Hund. Es ist ein Porträt von Vetinari. Ist dir schon aufgefallen, dass die Augen einem quer durch das ganze Zimmer folgen?«

»Mir folgt die Hundenase durch den ganzen Raum! Vetinari hat einen Hund?«

»Hatte. Wuffel. Ist vor einiger Zeit gestorben. Er hat ein kleines Grab auf dem Palastgelände. Er geht einmal jede Woche ganz allein hin und legt einen Hundekuchen darauf.«

»So etwas tut Vetinari?«

»Ja.«

»Vetinari, der kalte, herzlose, berechnende Tyrann?«, sagte Pucci.

»In der Tat!«

»Du belügst doch nicht etwa deine süße, liebe Schwester, oder?«

»Meinetwegen kannst du glauben, was du willst.« Cosmo jubilierte insgeheim. Er sah so gern den Ausdruck wütender Neugier auf dem Gesicht seiner Schwester, die ihn dann immer an ein aufgescheuchtes Huhn erinnerte.

»Eine solche Information ist Gold wert«, sagte sie.

»So ist es. Und ich sage es dir nur, weil die Information nutzlos ist, solange du nicht weißt, wohin er geht, zu welcher Zeit und an welchem Wochentag. Es könnte vielleicht sein, meine süße, liebe Pucci, dass das, was du als meine Obsession bezeichnest, von großem praktischem Nutzen ist. Ich beobachte, ich studiere, ich lerne. Und ich glaube, dass Feucht von Lipwig und Vetinari irgendein gefährliches Geheimnis teilen, das vielleicht sogar ...«

»Aber du hast dich einfach eingemischt und versucht, Lipwig zu bestechen!« Über Pucci konnte man Folgendes sagen: Es war kein Problem, sich ihr anzuvertrauen, weil sie sowieso nie zuhörte. Sie nutzte die Zeit, darüber nachzudenken, was sie als Nächstes sagen wollte.

»Es war eine lächerlich kleine Summe. Gepaart mit einer Drohung. Also glaubt er nun, dass er alles über mich weiß«, sagte Cosmo, der sich gar nicht erst die Mühe gab, einen selbstgefälligen Gesichtsausdruck aufzusetzen. »Und ich weiß nichts über ihn, was noch viel interessanter ist. Wie konnte er aus dem Nichts auftauchen und mir nichts, dir nichts einen der bedeutendsten Posten in ...?«

»Was zum Henker ist das?«, rief Pucci plötzlich. Bedauerlicherweise wurde die Befriedigung ihrer übermäßigen Wissbegierde durch die Aufmerksamkeitsspanne einer jungen Katze behindert. Sie zeigte auf das kleine Diorama vor dem Fenster.

»Das? Ach ...«

»Es sieht aus wie eine Fensterdekoration. So etwas wie ein Spielzeugland? Was soll das Ganze? Jetzt sag schon!«

Cosmo seufzte. Er konnte nicht sagen, dass er seine Schwester nicht mochte - jedenfalls nicht über das natürliche Grundgefühl der Verdrießlichkeit hinaus, das alle Üppigs füreinander empfanden - aber es fiel ihm schwer, diese laute, nasale, ständig gereizte Stimme zu ertragen, die Pucci immer, wenn sie etwas nicht sofort verstand, also praktisch bei allem, aufsetzte, als wäre es eine persönliche Beleidigung.

»Das ist der Versuch, mit Hilfe eines maßstabgetreuen Modells einen Ausblick zu schaffen, der dem ähnlich ist, der sich aus dem Fenster des Rechteckigen Büros von Lord Vetinari bietet«, erklärte er. »Es hilft mir beim Nachdenken.«

»Das ist verrückt. Welche Sorte Hundekuchen?«, sagte Pucci.

Außerdem bewegten sich verschiedene Informationen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit durch Puccis Verstand. Das muss an den vielen Haaren liegen, dachte Cosmo.

»Leibnichts Leckerlis«, sagte er. »Die knochenförmigen, die es in fünf verschiedenen Farben gibt. Aber er legt nie einen gelben aufs Grab, weil Wuffel sie nicht mochte.«

»Weißt du, dass es heißt, Vetinari sei ein Vampir?«, schweifte Pucci von der Abschweifung ab.

»Glaubst du das?«, fragte Cosmo.

»Weil er groß und dünn ist und Schwarz trägt? Ich glaube, dazu ist etwas mehr nötig.«

»Und weil er geheimnisvoll und berechnend ist?«, sagte Cosmo.

»Du glaubst das doch nicht, oder?«

»Nein, aber es würde im Grunde auch gar keine Rolle spielen, wenn er es wäre, nicht wahr? Außerdem gibt es noch ganz andere Leute mit viel... gefährlicheren Geheimnissen. Gefährlich für diese Leute, meine ich.«

»Herr Lipwig?«

»Er könnte einer davon sein, ja.«

Puccis Augen leuchteten. »Du weißt etwas, nicht wahr?«

»Nicht genau, aber ich glaube, ich weiß, wo es etwas zu wissen gibt.«

»Wo?«

»Willst du es wirklich wissen?«

»Natürlich!«

»Aber ich hege nicht die Absicht, es dir zu erzählen«, sagte Cosmo lächelnd. »Lass dich von mir nicht festhalten!«, fügte er hinzu, als Pucci aus dem Zimmer stürmte.

Lass dich von mir nicht festhalten. Welch wunderbarer Satz, den Vetinari da geprägt hatte! Die Doppeldeutigkeit konnte selbst die unschuldigsten Seelen verunsichern. Der Mann hatte Methoden der unblutigen Tyrannei entdeckt, die jeder Folterbank zur Schande gereichten.

Welch ein Genie! Und Cosmo Üppig war nur noch um Haaresbreite von seiner Größe entfernt - das Haar einer Augenbraue!

Er würde die Fehler der grausamen Natur ausgleichen müssen. Der geheimnisvolle Lipwig war der Schlüssel zu Vetinari, und der Schlüssel zu Lipwig ...

Es wurde Zeit für ein Gespräch mit Herrn Beuge.