Kapitel 2

Die Aussicht auf Gold - Die Männer aus den Verschlagen - Die Kosten eines Cents und die Nützlichkeit von Witwen - Die Kosten der Unkosten - Sicherheit und die Bedeutung derselben - Fasziniert von Transaktionen - Ein Sohn vieler Väter - Angebliche Unzuverlässigkeit in einem Fall brennender Unterwäsche - Das Panoptikum der Welt und die Blindheit von Herrn Beuge - Ein kryptisches Gewölbe

Irgendwie hatte ich etwas ... Größeres erwartet«, sagte Feucht, als er durch die stählernen Gitterstäbe in den kleinen Raum blickte, in dem das Gold aufbewahrt wurde. Das Metall in den offenen Säcken und Kisten glänzte matt im Fackellicht.

»Das sind fast zehn Tonnen Gold«, sagte Beuge vorwurfsvoll. »Es muss nicht groß aussehen.«

»Aber all die Barren und Säcke zusammengenommen sind nicht größer als die Schreibtische da draußen!«

»Es ist sehr schwer, Herr Lipwig. Es ist das einzig wahre Metall, rein und unbefleckt«, sagte Beuge. Sein linkes Auge zuckte. »Es ist das Metall, das niemals in Ungnade fiel.«

»Wirklich?«, sagte Feucht und vergewisserte sich, dass die Tür nach draußen immer noch offen war.

»Außerdem ist es die einzige Grundlage für ein stabiles Finanzsystem«, fuhr Herr Beuge fort, während das Fackellicht von den Metallflächen zurückgeworfen wurde und sein Gesicht in einen warmen gelblichen Schein tauchte. »Das hier sind wahre Werte! Ohne den Anker des Goldes wäre alles nur Chaos.«

»Wieso?«

»Wie ließe sich dann noch der Wert des Dollars bestimmen?«

»Aber unsere Dollars bestehen nicht aus purem Gold, oder?«

»Allerdings nicht! Sie sind goldfarben, Herr Lipwig«, sagte Beuge. »Sie enthalten weniger Gold als Meerwasser, sie sind nur goldIich. Wir haben unsere eigene Währung gepanscht! Niedertracht!

Ein größeres Verbrechen kann es nicht geben!« Wieder zuckte sein Auge.

»Äh ... vielleicht Mord?«, sagte Feucht. Ja, die Tür war immer noch offen.

Herr Beuge winkte mit seiner blassen Hand ab. »Ein Mord geschieht nur einmal«, sagte er, »aber wenn das Vertrauen ins Gold Zusammenbricht, regiert das Chaos. Doch es ließ sich nicht anders machen. Die abscheulichen Münzen sind zwar zugegebenermaßen nur goldlich, aber sie sind zumindest ein handfestes Symbol für das wirkliche Gold in den Reserven. In all ihrer Erbärmlichkeit stehen sie nichtsdestotrotz für das Primat des Goldes und unsere Unabhängigkeit von den Machenschaften der Regierung! Wir haben mehr Gold als jede andere Bank in der Stadt, und nur ich besitze einen Schlüssel für diese Tür! Natürlich hat auch der Direktor einen«, fügte er hinzu, aber so, als hätte er sich gerade eher widerstrebend daran erinnert.

»Ich habe irgendwo gelesen, dass die Münze so etwas wie das Versprechen ist, dass man dafür Gold im Wert von einem Dollar bekommt«, sagte Feucht hilfsbereit.

Herr Beuge legte die Fingerspitzen vor dem Gesicht aneinander und blickte himmelwärts, als würde er beten.

»Theoretisch ja«, sagte er nach einer Weile. »Ich würde es allerdings vorziehen, die Angelegenheit etwas anders zu formulieren. Es handelt sich um eine stillschweigende Übereinkunft, dass wir unser Versprechen, Gold gegen einen Dollar zu tauschen, halten werden, solange wir nicht in Wirklichkeit dazu aufgefordert werden, es einzulösen.«

»Also ... ist es in Wirklichkeit gar kein Versprechen?«

»Das ist es zweifellos, Herr, zumindest in Finanzkreisen. Hier geht es, wie du sicherlich erkennst, um Vertrauen.«

»Du meinst: Vertraut uns, denn wir haben ein großes, teures Haus?«

»Du scherzt, Herr Lipwig, aber darin könnte tatsächlich ein Körnchen Wahrheit stecken.« Beuge seufzte. »Ich sehe, dass du noch viel zu lernen hast. Wenigstens hast du mich als Lehrer. Und nun denke ich, dass wir uns die Münze ansehen sollten. Die Leute wollen immer die Münze sehen. Es ist siebenundzwanzig Minuten und sechsunddreißig Sekunden nach eins, also müsste man dort die Mittagspause beendet haben.«

Es war eine Höhle. Wenigstens damit war Feucht zufrieden. Eine Münzanstalt sollte ins Licht von Flammen getaucht sein.

Der Hauptsaal war drei Stockwerke hoch und fing ein wenig graues Tageslicht durch die Reihen vergitterter Fenster ein. Und was die Grundarchitektur betraf, war es das auch schon. Ansonsten gab es nur noch Verschläge.

Verschläge waren an den Wänden errichtet worden und hingen sogar wie Schwalbennester bis fast unter der Decke. Recht wacklig aussehende Holztreppen führten hinauf. Der unebene Boden bestand aus einem kleinen Dorf aus Verschlägen, die wahllos angeordnet waren. Es gab keine zwei, die sich glichen, und jeder war sorgfältig durch ein Dach gegen den nicht vorhandenen Regen geschützt. Rauchfäden schlängelten sich träge durch die dicke Luft. Vor einer Wand glühte ein Schmiedefeuer in düsterem Orange und sorgte für die angemessene stygische Atmosphäre. Hier sah es aus wie in einer Vorhölle, die für Leute gedacht war, die kleinere und eher langweilige Sünden begangen hatten.

Das war jedoch nur der Hintergrund. Was den Saal dominierte, war der Unglückscent. Die Tretmühle war ... seltsam.

Feucht hatte schon einige Tretmühlen gesehen. Es gab eine im Kittchen, wo die Insassen ihr Herz-Kreislauf-System kräftigen konnten, ob sie es wollten oder nicht. Feucht hatte ein oder zwei Runden mitgemacht, bevor er herausgefunden hatte, wie man mit dem Mechanismus spielte. Es war ein Höllenapparat, eng, schwer und bedrückend. Der Unglückscent war viel größer, aber er schien kaum vorhanden zu sein. Es gab eine Metallfelge, die von hier aus betrachtet erschreckend dünn aussah. Feucht versuchte vergeblich, die Speichen zu erkennen, bis ihm klar wurde, dass es gar keine gab, nur Hunderte von dünnen Drähten.

»Also gut, ich sehe, dass es zu funktionieren scheint, aber ...«, sagte er, als er zum riesigen Getriebe hinaufstarrte.

»Es funktioniert in der Tat bestens«, bestätigte Beuge. »Hier gibt es einen Golem, der es im Bedarfsfall antreibt.«

»Aber es müsste sofort in tausend Stücke zerbrechen!«

»Sollte es das? Ich bin nicht imstande, das zu beurteilen, Herr. Ach, da kommen sie ja ...«

Gestalten näherten sich ihnen aus den unterschiedlichen Verschlägen und von der Tür am anderen Ende des Gebäudes. Sie gingen langsam und bedächtig und strebten einem gemeinsamen Ziel zu wie Untote. Schließlich nannte Feucht sie bei sich die Männer aus den Verschlägen. Sie waren gar nicht so alt, jedenfalls nicht alle, aber selbst die jüngeren, jedenfalls die meisten, schienen schon frühzeitig den Mantel des mittleren Alters angelegt zu haben. Um einen Arbeitsplatz in der Münze zu bekommen, musste man offenbar warten, bis jemand gestorben war. Also ging es um die Verschläge der Toten. Die Sonnenseite an dieser Angelegenheit war jedoch, dass man, sobald die erhoffte freie Stelle verfügbar wurde, auf jeden Fall den Job bekam, auch wenn man nur wenig lebendiger als der vorherige Arbeitnehmer war.

Die Männer aus den Verschlägen betrieben den Bandschleifer-Verschlag, den Rändel-Verschlag, den Endschliff-Verschlag, die Gießerei (zwei Verschläge), den Wachschutz (ein Verschlag, allerdings ein ziemlich großer) und den Lager-Verschlag, der ein Schloss hatte, das Feucht mit einem Nieser hätte öffnen können. Die anderen Verschläge stellten ihn vor ein Rätsel, aber vermutlich waren sie für den Fall errichtet worden, dass jemand sehr eilig einen Verschlag brauchte.

Die Männer aus den Verschlägen hatten Namen, zumindest solche, die in den Verschlägen als Namen galten: Alf, Jung-Alf, Schlinger, Klein-Charlie, König Heinrich ... doch der eine, der zufällig der offizielle Sprecher für den Rest der Welt außerhalb der Verschläge war, hatte einen vollständigen Namen.

»Das ist Herr Schattig der Achtzehnte, Herr Lipwig«, sagte Beuge. »Herr Lipwig ist... nur zu Besuch.«

»Der Achtzehnte?«, fragte Feucht. »Gibt es weitere siebzehn von dir?«

»Nein, jetzt nicht mehr, Herr«, sagte Schattig grinsend.

»Herr Schattig hat das erbliche Amt des Vorarbeiters inne«, erklärte Beuge.

»Ein erbliches Amt...«, wiederholte Feucht verständnislos.

»Richtig, Herr«, sagte Schattig. »Möchte Herr Lipwig die Geschichte des Amts hören, Herr?«

»Nein«, sagte Beuge entschieden.

»Ja«, sagte Feucht begeistert.

»Oh, anscheinend doch«, seufzte Beuge. Herr Schattig lächelte.

Es war eine sehr umfängliche Geschichte, die einige Zeit brauchte, um erzählt zu werden. An einem Punkt war Feucht überzeugt, dass demnächst eine Eiszeit beginnen musste. Worte berieselten ihn wie Schneeregen, aber wie Schneeregen blieben einige an ihm hängen. Das erbliche Amt des Vorarbeiters war vor Jahrhunderten geschaffen worden, als der Posten des Münzvorstehers eine Sinekure war, die an einen Saufkumpel des jeweiligen Königs oder Patriziers ging, der die Stellung als sichere Einkommensquelle benutzte und nicht mehr tat, als hin und wieder verkatert mit einem großen Sack und vielsagendem Blick aufzutauchen. Das Amt des Vorarbeiters wurde eingerichtet, weil den Leuten allmählich dämmerte, dass jemand die Verantwortung haben und nach Möglichkeit nüchtern sein sollte.

»Also schmeißt du hier den ganzen Laden?«, sagte Feucht hastig, um den Strom aus wirklich interessanten finanziellen Fakten zu unterbinden.

»Richtig, Herr. Derzeit. Seit etwa hundert Jahren hat es keinen Vorsteher mehr gegeben.«

»Und wie wirst du bezahlt?«

Es folgte ein Moment der Stille, bis Herr Schattig in einem Ton, als würde er einem Kind etwas erklären, sagte: »Wir sind hier in der Münze, Herr.«

»Ihr produziert euer eigenes Gehalt?«

»Wer sonst sollte es tun, Herr? Aber das ist alles völlig offiziell, nicht wahr, Herr Beuge? Er bekommt sämtliche Laufzettel. Eigentlich überspringen wir nur den Zwischenhändler.«

»Nun, wenigstens arbeitet ihr in einem profitablen Gewerbe«, sagte Feucht fröhlich. »Ich meine, ihr müsst doch haufenweise Geld verdienen!«

»Wir schaffen es, irgendwie über die Runden zu kommen, Herr«, sagte Schattig, als wäre es eine ziemlich knappe Angelegenheit.

»Über die Runden? Ihr habt hier eine Münzanstalt!«, sagte Feucht. »Wie kann man am Hungertuch nagen, wenn man Geld macht?«

»Die Unkosten, Herr. Wohin man schaut, gibt es Unkosten.«

»Eigentlich dürften sie doch gar nichts kosten, wenn es Unkosten sind.«

»Tun Sie aber«, sagte Schattig. »Das ist ja das Schlimme daran. Siehst du, es kostet einen halben Cent, um einen Viertelcent zu machen, und fast einen Cent, um einen halben Cent zu prägen. Ein Cent kostet uns fünf viertel Cent. Eine Fünf-Cent-Münze kostet zwei ein viertel Cent, sodass wir hier endlich mal Gewinn machen. Ein halber Dollar kostet sieben Cent und ein Dollar nur fünf Cent, was eindeutig eine Verbesserung ist, aber nur, weil wir sie hier herstellen. Die richtigen Unkostenfresser sind die Scherfe, weil sie einen Zehntelcent wert sind, aber in der Produktion fünf Cent kosten. Die Arbeit ist ziemlich knifflig, weil sie so klein sind und dieses Loch in der Mitte haben. Und dann der Dreier, Herr! Wir haben hier nur ein paar Leute, die ihn machen, viel Arbeit, die sich auf sieben Cent beläuft. Und frag mich bitte nicht nach der Zwei-Cent-Münze!«

»Was ist mit der Zwei-Cent-Münze?«

»Ich bin froh, dass du danach fragst, Herr. Sehr gut gearbeitet, verursacht Stückkosten von sieben und einem sechzehntel Cent. Ach ja, es gibt auch noch den Sechzehntel-Cent, Herr, den Elim.«

»Davon habe ich noch nie gehört!«

»Das glaube ich gern, Herr, eine Person von deinem Stand ... aber der Elim hat durchaus seinen Platz in der Wirtschaftswelt. Ein nettes kleines Ding, Herr, sehr viele winzige Details, wird traditionell von Witwen hergestellt. Er kostet uns einen ganzen Schilling, weil die Gravuren so fein sind. Die alten Damen brauchen Tage, um einen zu machen, weil ihre Augen nicht mehr so gut sind und so weiter, aber dadurch haben sie das Gefühl, nützlich zu sein.«

»Aber ein Sechzehntel eines Cents? Ein Viertel von einem Viertelcent? Was kann man damit kaufen?«

»Du wirst staunen, Herr, was es in manchen Straßen dafür gibt. Einen Kerzenstummel, eine kleine Kartoffel, die ein bisschen grün ist«, sagte Schattig. »Oder vielleicht ein Apfelgehäuse, das noch nicht vollständig aufgegessen ist. Und natürlich ist die Münze sehr praktisch, um sie in eine Spendenbüchse zu werfen.«

Und das Gold ist der Anker, wie?, dachte Feucht.

Er blickte sich in dem riesigen Saal um. Hier arbeiteten etwa ein Dutzend Leute, wenn man den Golem dazurechnete, der für Feucht inzwischen ein Angehöriger einer Spezies war, die man als »menschlich im Sinne verliehener Menschlichkeit« betrachten sollte. Und nicht zu vergessen der pickelige Junge, der den Tee kochte und den er eigentlich nicht so betrachtete.

»Ihr scheint hier nicht sehr viele Leute zu brauchen«, sagte er.

»Ach ja, wir machen hier auch nur die silbernen und goldenen ...«

»Goldlichen«, warf Herr Beuge hastig ein.

»... goldlichen Münzen, musst du wissen. Und ungewöhnliche Sachen, wie zum Beispiel Orden. Wir stellen auch die Rohlinge für die Kupfer- und Messingmünzen her, aber die Endfertigung haben wir ausgelagert.«

»Ausgelagert? Ein Münzamt, das Arbeiten auslagert?«

»Richtig, Herr. Zum Beispiel die Witwen. Sie arbeiten zu Hause. Schließlich kann man kaum erwarten, dass die alten Damen jeden Tag hier hereingewankt kommen. Die meisten von ihnen brauchen zwei Gehstöcke, um sich aufrecht zu halten!«

»Die Münze ... das heißt, die Anstalt, die Geld macht... beschäftigt Heimarbeiter? Ich meine, ich weiß, dass das sehr modern ist, aber ich meine ... nun ja, findest du das nicht auch etwas seltsam?«

»Die Götter mögen dich segnen, Herr, da draußen gibt es Familien, die seit Generationen jeden Abend ein paar Kupfermünzen machen!«, sagte Schattig fröhlich. »Papi stanzt den Rohling, Mami punzt und ziseliert, die Kinder putzen und polieren ... so ist es einfach Tradition. Unsere Heimarbeiter sind wie eine große Familie.«

»Gut, aber was ist mit der Sicherheit?«

»Wenn sie auch nur einen Scherf stehlen, können sie dafür gehängt werden«, sagte Beuge. »Das zählt als Hochverrat, musst du wissen.«

»Was sind das für Familien?«, fragte Feucht entgeistert.

»Ich muss darauf hinweisen, dass niemand es jemals getan hat, weil sie alle sehr loyal sind«, sagte der Vorarbeiter und warf Beuge einen wütenden Blick zu.

»Früher wurde ihnen für das erste Vergehen eine Hand abgehackt«, sagte Herr Beuge, der offenbar einen ausgeprägten Familiensinn hatte.

»Verdienen sie viel Geld?«, fragte Feucht vorsichtig und trat zwischen die beiden Männer.

»Etwa fünfzehn Dollar pro Monat. Die Arbeit ist sehr kompliziert«, sagte Schattig. »Einige der alten Damen bekommen nicht so viel. Wir kriegen eine Menge schlechter Elims.«

Feucht starrte zum Unglückscent hinauf. Er ragte im Mittelschacht des Gebäudes empor und machte einen sehr zerbrechlichen Eindruck für etwas so Großes. Der einsame Golem, der darin vor sich hin trottete, hatte eine Tafel um den Hals hängen, was bedeutete, dass er zu denen gehörte, die nicht sprechen konnten. Feucht fragte sich, ob die Golem-Stiftung davon wusste. Ihre Mitarbeiter hatten erstaunliche Methoden, Golems aufzuspüren.

Während er zusah, kam das Rad langsam zum Stehen. Der stumme Golem rührte sich nicht mehr.

»Eins verstehe ich nicht«, sagte Feucht. »Warum gebt ihr euch mit goldlichen Münzen ab? Warum macht ihr nicht einfach, sagen wir, die Dollars aus Gold? Oder hattet ihr viele Probleme damit, dass Leute durch Beschneiden oder Ausschmelzen der Münzen Gold beiseitegeschafft haben?«

»Es überrascht mich, dass ein Herr wie du dich mit so etwas auskennst«, sagte der Vorarbeiter erstaunt.

»Ich interessiere mich sehr für den Einfallsreichtum krimineller Elemente«, sagte Feucht ein wenig hastiger, als er beabsichtigt hatte.

»Das ist gut, Herr. Oh ja, wir hatten schon mit diesen Tricks und vielen anderen zu tun, allerdings! Wir kennen sie alle, ganz bestimmt. Genauso wie Bemalen und Vergolden. Es wurden sogar Münzen neu gegossen und mit Kupfer verunreinigt, sehr geschickt. Ich schwöre, Herr, da draußen gibt es Leute, die zwei Tage planen und manipulieren, um durch Fälschungen an eine Geldsumme zu kommen, die sie durch ehrliche Arbeit an einem Tag verdienen könnten!«

»Nein! Wirklich?«

»So wahr ich hier stehe, Herr«, sagte Schattig. »Und welcher vernünftige Mensch würde so etwas tun?«

Zum Beispiel so einer wie ich, bis vor einiger Zeit, dachte Feucht. Zumindest hatte es mehr Spaß gemacht. »Ich habe wirklich keine Ahnung«, sagte er.

»Also hat der Stadtrat verfügt, dass die Dollars goldlich sein müssen, hauptsächlich aus Marinemessing, um die Wahrheit zu sagen, weil es so schön glänzt. Natürlich wird immer noch gefälscht, Herr, aber es ist schwierig, das richtig hinzubekommen, außerdem geht die Wache bei solchen Sachen sehr energisch vor, und wenigstens klaut niemand das Gold«, sagte Schattig. »Wäre das alles, Herr ? Wir müssen nämlich noch unsere Arbeit erledigen, bevor wir Feierabend machen können, weißt du. Und wenn wir länger bleiben, müssen wir mehr Geld machen, um unsere Überstunden bezahlen zu können, und wenn die Jungs ein bisschen müde sind, läuft es darauf hinaus, dass wir schneller Geld verdienen, als wir es herstellen können, womit wir in eine ziemliche Zwickmühle geraten ...«

»Du meinst, wenn ihr Überstunden macht, müsstet ihr noch mehr Überstunden machen, um euch dafür zu bezahlen?«, fragte Feucht, der immer noch darüber nachsann, wie unlogisch logisches Denken werden konnte, wenn es von einem hinreichend großen Komitee betrieben wurde.

»Richtig, Herr«, sagte Schattig. »Und bei all diesem Kuddelmuddel dreht man irgendwann durch.«

»Und zwar ziemlich schnell«, sagte Feucht und nickte. »Aber noch eine letzte Frage, wenn du nichts dagegen hast. Was unternehmt ihr wegen der Sicherheit?«

Beuge hüstelte. »Es ist unmöglich, von außerhalb der Bank in die Münze zu gelangen, sobald die Bank verschlossen ist, Herr Lipwig. Wir haben mit der Wache vereinbart, dass deren Leute, wenn sie dienstfrei haben, bei Nacht in beiden Gebäude patrouillieren, unterstützt durch unsere eigenen Wächter. Hier drinnen tragen sie natürlich anständige Bankuniformen, denn sonst ist die Wache sehr schäbig gekleidet, aber sie sorgen für die nötige Professionalität, wie du sicher verstehst.«

Aber sicher, dachte Feucht, der den Verdacht hatte, dass er mehr über Polizisten wusste als Beuge. Das Geld ist wahrscheinlich sicher, aber dafür gibt es bestimmt einen mächtig hohen Verbrauch an Kaffee und Bleistiften.

»Ich dachte eher ... an tagsüber«, sagte er. Die Männer aus den Verschlägen beobachteten ihn mit leeren Blicken.

»Ach, das!«, sagte Herr Schattig. »Das machen wir selbst. Wir wechseln uns ab. Klein-Charlie ist diese Woche für den Wachschutz zuständig. Zeig ihm deinen Knüppel, Charlie.«

Einer der Männer zog einen großen Stock unter seiner Jacke hervor und hob ihn scheu.

»Es gab auch mal eine Dienstmarke, aber sie ging verloren«, sagte Schattig. »Aber das ist nicht weiter schlimm, weil wir alle wissen, wer er ist. Und wenn wir gehen, wird er uns auf jeden Fall daran erinnern, dass wir nichts stehlen dürfen.«

Darauf folgte Schweigen.

»Dann habt ihr diesen Punkt ja wunderbar geregelt«, sagte Feucht und rieb sich die Hände. »Vielen Dank, meine Herren!«

Darauf entfernten sich die Männer, jeder zu seinem Verschlag.

»Wahrscheinlich sehr wenig«, sagte Herr Beuge, als er ihnen nachblickte.

»Hmm?«, sagte Feucht.

»Ich vermute, du hast dich gefragt, wie viel Geld sie mit nach draußen gehen lassen.«

»Äh ... ja.«

»Sehr wenig, glaube ich. Sie sagen, nach einer Weile ist Geld für sie nur noch ... irgendwelches Zeug«, sagte der Hauptkassierer, bevor er Feucht wieder in die Bank führte.

»Es kostet mehr als einen Cent, um einen Cent herzustellen«, murmelte Feucht. »Liegt es nur an mir, oder ist daran irgendetwas falsch

»Du darfst nicht vergessen, dass ein Cent, wenn man ihn erst einmal gemacht hat, ein Cent bleibt«, sagte Herr Beuge. »Das ist das Wunderbare daran.«

»Ist es das?«, sagte Feucht. »Es ist doch nur eine Kupferscheibe. Was sollte sonst daraus werden?«

»Im Verlauf eines Jahres kann so ziemlich alles Mögliche daraus werden«, sagte Herr Beuge gelassen. »Er wird zu ein paar Äpfeln, zum Teil eines Karrens, zu Schnürsenkeln, etwas Heu oder einer Stunde auf einem Theatersitz. Er könnte sogar zu einer Briefmarke werden und einen Brief verschicken, Herr Lipwig. Er kann dreihundert Mal ausgegeben werden, und doch - das ist das Gute daran - ist er immer noch ein Cent, jederzeit bereit, erneut ausgegeben zu werden. Er ist kein Apfel, der irgendwann faulig wird. Sein Wert ist festgesetzt und bleibt stabil. Er verbraucht sich nicht.« Herrn Beuges Augen leuchteten gefährlich, dann zuckte eins. »Und der Grund dafür ist, dass er letztlich einen winzigen Bruchteil des auf ewig beständigen Goldes wert ist!«

»Aber es ist doch nur ein Stück Metall! Wenn wir Äpfel statt Münzen benutzen würden, könnten wir den Apfel wenigstens essen«, sagte Feucht.

»Ja, aber nur einmal. Ein Cent dagegen ist so etwas wie ein unverwüstlicher Apfel.«

»Den man nicht essen kann. Und man kann damit keinen Apfelbaum pflanzen.«

»Aber auch Geld kann man dazu benutzen, mehr Geld zu machen«, sagte Beuge.

»Ja, aber wie macht man mehr Gold? Die Alchimisten können es nicht, die Zwerge geben nicht aus der Hand, was sie haben, die Achatener wollen nicht zulassen, dass wir welches haben. Warum setzen wir nicht stattdessen auf Silber? So macht man es in Bhangbhangduc.«

»Das kann ich mir vorstellen; schließlich sind es Ausländer«, sagte Beuge. »Aber Silber läuft an. Gold ist das einzige makellose Metall.« Und schon wieder das Zucken am Auge. Offensichtlich hatte das Gold diesen Mann sehr fest im Griff. »Hast du jetzt genug gesehen, Herr Lipwig?«

»Sogar ein wenig zu viel für meinen Geschmack, glaube ich.«

»Dann wollen wir jetzt zum Direktor gehen.«

Feucht folgte Beuges ruckartigen Schritten zwei Marmortreppen hinauf und einen Korridor entlang. Sie blieben vor einer Flügeltür aus dunklem Holz stehen, und Herr Beuge klopfte an, aber nicht einmal, sondern mit einer unregelmäßigen Abfolge, die auf einen Code hindeutete. Dann drückte er ganz vorsichtig die Tür auf.

Das Büro des Direktors war groß und sehr einfach, aber mit sehr teuren Dingen eingerichtet. Überall war Bronze und Messing. Wahrscheinlich war der letzte Baum einer seltenen, exotischen Spezies gefällt worden, um daraus den Schreibtisch des Direktors zu zimmern. Er war ein Objekt der Begierde und groß genug, um Leute darin zu bestatten. Er schimmerte in sehr tiefem Grün und vermittelte den Eindruck von Macht und Redlichkeit. Feucht ging selbstverständlich davon aus, dass das nicht der Wahrheit entsprach.

Ein sehr kleiner Hund hockte in einem Ablagekorb aus Messing, doch erst als Herr Beuge »Herr Lipwig, die Frau Direktor« sagte, erkannte Feucht, dass auch ein weibliches Wesen am Schreibtisch saß. Der Kopf einer sehr kleinen, sehr alten grauhaarigen Frau lugte über die Tischplatte zu ihm hinüber. Links und rechts von ihr waren - in silbrig glänzendem Stahl statt in Goldfarben, die ansonsten diese Welt dominierten - zwei geladene Armbrüste montiert, die sich auf kleinen Stativen schwenken ließen. Die dürren kleinen Hände der Dame zogen sich gerade von den Schäften der Waffen zurück.

»Ach ja, wie nett«, flötete sie. »Ich bin Frau Üppig. Nimm doch Platz, Herr Lipwig.«

Das tat er, so weit außerhalb des Schussfeldes der Armbrüste wie möglich, und der Hund sprang mit einer stürmischen Begeisterung, die Feuchts empfindlicheren Körperteilen gar nicht gut bekam, vom Schreibtisch auf seinen Schoß.

Es war der kleinste und hässlichste Hund, den Feucht jemals zu Gesicht bekommen hatte. Er erinnerte ihn an diese Goldfische mit den riesigen hervortretenden Augen, die den Eindruck erwecken, dass sie jeden Moment explodieren können. Die Nase hingegen wirkte eingedrückt. Der Hund fiepte, und seine Beine waren so krumm, dass er bestimmt immer wieder über die eigenen Pfoten stolperte.

»Das ist Herr Quengler«, sagte die alte Frau. »Normalerweise reagiert er nicht sehr freundlich auf andere Personen, Herr Lipwig. Ich bin beeindruckt.«

»Hallo, Herr Quengler«, sagte Feucht. Der Hund stieß ein schwaches Kläffen aus, und dann liebkoste er Feuchts Gesicht mit einer großzügigen Portion Hundesabber.

»Er mag dich, Herr Lipwig«, sagte Frau Üppig anerkennend. »Errätst du, zu welcher Rasse er gehört?«

Feucht war mit Hunden aufgewachsen und kannte sich recht gut mit Rassen aus, aber im Fall von Herrn Quengler wusste er nicht, wo er ansetzen sollte. Also versuchte er es mit Ehrlichkeit. »Alle auf einmal?«

Frau Üppig lachte, und dieses Lachen klang mindestens sechzig Jahre jünger, als sie war.

»Völlig richtig! Seine Mutter war ein Löfflerhund, eine sehr beliebte Rasse in den königlichen Palästen der alten Zeiten. Aber eines Nachts riss sie aus, und es gab draußen schrecklich viel Gebell, sodass ich befürchte, Herr Quengler, der Ärmste, ist der Sohn vieler Väter.«

Herr Quengler sah Feucht mit zwei seelenvollen Augen an, und dann wurde sein Gesichtsausdruck allmählich etwas angestrengter.

»Beuge, Herr Quengler scheint sich unbehaglich zu fühlen«, sagte Frau Üppig. »Bitte nimm ihn doch auf einen kleinen Spaziergang durch den Garten mit, ja? Ich glaube, die jungen Angestellten lassen ihm einfach nicht ausreichend Zeit.«

Für einen Moment zog eine schwere Gewitterwolke über die Miene des Hauptkassierers, doch dann nahm er gehorsam eine rote Leine von einem Haken an der Wand.

Der kleine Hund begann zu knurren.

Außerdem nahm Beuge zwei schwere Lederhandschuhe an sich und zog sie sich über. Während das Knurren immer lauter wurde, hob er den Hund mit großer Vorsicht auf und klemmte ihn sich unter den Arm. Ohne ein weiteres Wort verließ er das Zimmer.

»Du bist also der berühmte Postminister«, sagte Frau Üppig. » Kein Geringerer als der Mann im goldenen Anzug. Aber nicht an diesem Morgen, wie ich sehe. Komm zu mir, mein lieber Junge. Ich will dich im Licht betrachten.«

Feucht näherte sich, und die alte Dame stand unbeholfen auf, wobei sie sich zweier Gehstöcke mit Griffen aus Elfenbein bediente. Dann ließ sie einen fallen und griff nach Feuchts Kinn. Sie starrte ihn konzentriert an und drehte seinen Kopf hin und her.

»Hmm«, sagte sie und trat einen Schritt zurück. »Es ist, wie ich dachte ...« Mit dem zweiten Gehstock verpasste sie ihm einen Schlag in die Kniekehlen, der ihn wie gemähtes Stroh zu Boden stürzen ließ. Während er benommen auf dem weichen Teppich lag, fuhr Frau Üppig triumphierend fort: »Du bist ein Dieb, ein Betrüger, ein Schlawiner, ein gemeiner Rosstäuscher! Gib es zu!«

»Das bin ich nicht!«, protestierte Feucht matt.

»Auch noch ein Lügner«, rief Frau Üppig fröhlich. »Und ein Hochstapler obendrein, vermute ich. Ach, erspare mir diesen unschuldigen Blick! Ich sagte, du bist ein Schurke, Herr Lipwig! Von dir würde ich mir nicht mal einen Eimer Wasser bringen lassen, wenn mein Unterrock in Flammen stünde!«

Dann stach sie Feucht mit dem Stock schmerzhaft in die Brust. »Willst du etwa den ganzen Tag lang da herumliegen?«, fuhr sie ihn an. »Steh auf, Mann. Ich habe nicht gesagt, dass ich dich nicht mag!«

Mit schwindligem Kopf rappelte Feucht sich vorsichtig wieder auf.

»Gib mir deine Hand, Herr Lipwig«, sagte Frau Üppig. »Postminister? Du bist ein wahres Kunstwerk. Nun komm schon!«

»Was? Oh ...« Feucht griff nach der Hand der alten Frau. Es war, als würde man kaltem Pergament die Hand schütteln.

Frau Üppig lachte. »Ja, klar. Genauso wie der direkte und beruhigende Griff meines verstorbenen Ehemannes. Kein ehrlicher Mann kann einem so ehrlich die Hand schütteln. Warum in aller Welt hast du so lange gebraucht, um dich dem Finanzwesen zu widmen?«

Feucht blickte sich um. Sie waren allein, seine Waden schmerzten, und manchen Leuten kann man einfach nichts vormachen. Das hier, sagte er sich, ist eine resolute alte Dame, wie sie im Buche steht: runzliger Hals, peinlicher Humor, Schadenfreude gepaart mit leichter Grausamkeit und eine unverblümte Redeweise, die mit der Unverschämtheit und vor allem mit dem Flirten flirtete. Sie war für alles offen, bei dem sie nicht das Risiko einging hinzufallen, und ihr Blick dabei besagte: »Ich kann tun und lassen, was ich will, weil ich alt bin. Und ich habe etwas für Schurken übrig.« Alte Damen wie sie waren nur schwer zu täuschen, aber dazu bestand auch gar kein Grund. Er entspannte sich. Manchmal war es erleichternd, die Maske ablegen zu können.

»Zumindest bin ich kein Hochstapler«, sagte er. »Feucht von Lipwig ist mein richtiger Name.«

»Ja, ich kann mir nicht vorstellen, dass du in diesem Punkt die freie Wahl hattest«, sagte Frau Üppig und kehrte zu ihrem Sessel zurück. »Allerdings scheinst du ständig alle zum Narren zu halten. Setz dich, Herr Lipwig. Ich werde nicht beißen.« Diese Worte sagte sie mit einem Blick, der besagte: »Aber gib mir eine halbe Flasche Gin und fünf Minuten, um nach meinen Zähnen zu suchen, und dann werden wir mal sehen!« Sie zeigte auf einen Stuhl neben ihrem.

»Was? Ich dachte, ich wäre entlassen!«, ließ sich Feucht auf das Spiel ein.

»Wirklich? Warum?«

»Vielleicht, weil ich all das bin, was du gesagt hast?«

»Ich habe nicht gesagt, dass du ein schlechter Mensch bist«, sagte Frau Üppig. »Außerdem mag Herr Quengler dich, und er ist ein ungewöhnlich guter Menschenkenner. Außerdem hast du bei unserem Postamt wahre Wunder bewirkt, wie Havelock sagt.« Frau Üppig griff nach unten und hob eine große Flasche Gin auf den Schreibtisch. »Möchtest du etwas trinken, Herr Lipwig?«

»Äh, so früh noch nicht.«

Frau Üppig schniefte. »Ich habe nicht mehr viel Zeit, aber zum Glück habe ich noch sehr viel Gin.« Feucht sah zu, wie sie eine nahezu tödliche Dosis in ein Glas eingoss. »Hast du eine Freundin?«, fragte sie, während sie das Glas hob.

»Ja.«

»Weiß sie über dich Bescheid?«

»Ja. Ich erzähle es ihr immer wieder.«

»Aber sie glaubt dir nicht, was? Ach, so sind Frauen, wenn sie verliebt sind«, seufzte Frau Üppig.

»Ich glaube, dass es ihr eigentlich gar nichts ausmacht. Sie entspricht nicht unbedingt dem Durchschnitt ihrer Geschlechtsgenossinnen.«

»Ach, und sie erkennt, wie du wirklich bist? Oder sieht sie vielleicht nur das sorgfältig konstruierte wahre Ich, das du den Leuten präsentierst, die dich >durchschauen< sollen? Leute wie du ...« Sie hielt kurz inne und setzte noch einmal an. »Leute wie wir haben schließlich immer mindestens ein wahres Ich parat, falls sich andere Leute zu sehr für uns interessieren, nicht wahr?«

Feucht verzichtete auf einen Protest. Das Gespräch mit Frau Üppig war, als würde er vor einem magischen Spiegel stehen, der ihn bis aufs Mark entblößte. Er sagte nur: »Die meisten Leute, die sie kennt, sind Golems.«

»Ach! Große Männer aus Ton, die absolut vertrauenswürdig sind und nichts zu verzollen haben, wenn sie die Hosen runterlassen müssten. Was sieht sie in dir, Herr Lipwig?« Sie piekte ihn mit einem Finger, der dünn wie eine Käsestange war.

Feucht klappte der Unterkiefer herunter.

»Einen Gegensatz, vermute ich«, sagte Frau Üppig und tätschelte seinen Arm. »Und nun hat Havelock dich hierher geschickt, um mir zu sagen, wie ich meine Bank führen soll. Du darfst mich Tüppi nennen.«

»Nun, ich ...« Ihr helfen, die Bank zu führen? So hatte man es nicht formuliert.

Tüppi beugte sich vor. »Ich hatte nie was gegen Honig, weißt du?«, sagte sie und senkte leicht die Stimme. »Ein recht nettes Mädchen, aber dumm wie ein Fass Schweineschmalz. Außerdem war sie keineswegs die Erste. Bei weitem nicht. Ich selber war früher mal Joshuas Mätresse.«

»Wirklich?« Er wusste, dass er alles zu hören bekommen würde, ob er nun wollte oder nicht.

»Aber ja«, sagte Frau Üppig. »Damals haben die Leute viel mehr kapiert. Alles war durchaus akzeptabel. Einmal im Monat habe ich mit seiner Frau Tee getrunken, um seine Termine abzustimmen, und sie sagte immer, sie wäre froh, wenn sie ihn nicht ständig am Hals hätte. Natürlich wurde in jenen Tagen von einer Mätresse erwartet, dass sie über gewisse Fähigkeiten verfügt.« Sie seufzte. »Heute hingegen scheint die Fähigkeit, sich kopfüber um eine Stange schlängeln zu können, völlig auszureichen.«

»Die Ansprüche werden überall geringer«, sagte Feucht. Damit konnte er nur richtig liegen. Das war eine Binsenweisheit.

»Mit dem Bankwesen ist es eigentlich sehr ähnlich«, sagte Tüppi, als würde sie laut nachdenken.

»Wie bitte?«

»Ich meine, der rein körperliche Aspekt dürfte der gleiche sein, »der Stil sollte doch eine gewisse Rolle spielen, meinst du nicht auch? Die Sache sollte Flair haben. Einfallsreichtum darf nicht fehlen. Es sollte ein Erlebnis und nicht bloß reine Funktion sein.

Havelock sagt, dass dir all dies bewusst ist.« Sie bedachte Feucht mit einem fragenden Blick. »Schließlich hast du aus dem Postamt ein geradezu heldenhaftes Unternehmen gemacht, nicht wahr? Die Leute stellen ihre Uhren nach der Ankunft des Gennua-Express. Früher haben sie danach ihren Kalender gestellt!«

»Die Klacker arbeiten immer noch mit Verlust«, sagte Feucht.

»Der herrlich gering ausfällt, während die Menschheit als Ganzes in unterschiedlichster Hinsicht bereichert wird. Und ich hege nicht den leisesten Zweifel, dass Havelocks Steuerbeamte sich auch etwas davon nehmen. Du besitzt die Gabe, Leute zu begeistern, Herr Lipwig.«

»Nun ja, ich ... vielleicht kann ich das wirklich«, stieß er hervor. »Ich weiß, wenn man die Wurst verkaufen will, muss man wissen, wie man das Brutzeln verkauft.«

»Das ist ja gut und schön«, sagte Tüppi, »aber ich hoffe, du weißt, dass du als hervorragender Brutzelverkäufer irgendwann auch in der Lage sein musst, die Wurst herzustellen, hmm?« Sie bedachte ihn mit einem Augenzwinkern, das eine jüngere Frau ins Gefängnis gebracht hätte.

»Zufällig«, fuhr sie fort, »erinnere ich mich, gehört zu haben, dass die Götter dich zu der Schatzkiste führten, die dir beim Wiederaufbau des Postamts gute Dienste geleistet hat. Was ist wirklich geschehen? Tüppi kannst du es sagen.«

Wahrscheinlich kann ich das, entschied er und bemerkte, dass Ihrem Haar, das tatsächlich schon sehr dünn und fast weiß war, immer noch eine Spur von Orange anzusehen war, das auf feurigere Rottöne in der Vergangenheit hindeutete. »Es war die versteckte Beute aus meiner Zeit als Schwindler«, sagte er.

Frau Üppig klatschte in die Hände. »Wunderbar! Eine echte Wurst! Das ist so ... befriedigend. Havelock hatte schon immer ein gutes Gespür für Leute. Er hat große Pläne für die Stadt, musst du wissen.« »Das Projekt«, sagte Feucht. »Ja, ich weiß davon.«

»Unterirdische Straßen, neue Hafenbecken und so weiter«, sagte Tüppi, »und dafür braucht die Regierung Geld, und Geld braucht Banken. Bedauerlicherweise haben die Leute ihr Vertrauen in die Banken verloren.«

»Warum?«

»Hauptsächlich, weil wir ihr Geld verloren haben. Allerdings nicht absichtlich. In den letzten Jahren mussten wir schwere Schläge einstecken. Die Krise ’88, die Krise ’93, die Krise ’98 ... obwohl die eigentlich nur ein Klacks war. Mein verstorbener Ehegatte war ein Mann, der unkluge Kredite vergab, also haben wir heute den Ärger mit säumigen Zahlern und den anderen Folgen solch fragwürdiger Entscheidungen. Jetzt sind wir nur noch für die kleinen alten Damen da, die uns ihr Geld anvertrauen, weil sie das schon immer getan haben und weil die netten jungen Angestellten immer noch höflich sind und immer noch eine Messingschüssel neben der Tür steht, aus der ihre kleinen Hunde trinken können. Könntest du irgendwas dagegen tun? Der Bestand an alten Damen geht langsam zur Neige, wie mir sehr wohl bewusst ist.«

»Nun ja, äh, ich hätte da vielleicht ein paar Ideen«, sagte Feucht. »Aber das Ganze ist für mich immer noch ein gewisser Schock. Eigentlich habe ich keine Ahnung, wie eine Bank funktioniert.«

»Du hast nie Geld auf die Bank gebracht?«

»Nur hinaus, aber nicht hinein.«

»Was glaubst du, wie eine Bank funktioniert?«

»Ich würde sagen, man nimmt das Geld von reichen Leuten und verleiht es gegen Zinsen an kreditwürdige Personen und gibt so wenig wie möglich von den Zinsen zurück.«

»Ja, und was ist eine kreditwürdige Person?«

»Vielleicht jemand, der nachweisen kann, dass er das Geld gar nicht braucht?«

»Ach, du Zyniker! Aber du hast das Grundprinzip verstanden.«

»Also keine armen Leute?«

»Nicht bei einer Bank, Herr Lipwig. Niemand mit einem Einkommen unter einhundertfünfzigtausend Dollar pro Jahr. Das ist der Grund, warum Socken und Matratzen erfunden wurden. Mein verstorbener Ehegatte sagte immer, die einzige Möglichkeit, mit armen Leuten Geld zu machen, besteht darin, sie auszusperren. Zumindest als Geschäftsmann war er kein sehr netter Mensch. Hast du noch weitere Fragen?«

»Wie bist du zur Bankdirektorin geworden?«, wollte Feucht wissen.

»Zur Direktorin und Geschäftsführerin«, sagte Tüppi stolz. Joshua hatte gerne alles unter Kontrolle. - Oh ja, so war er, nicht wahr?«, fügte sie hinzu, als würde sie mit sich selbst reden. »Und nun bin ich beides, wegen eines uralten Zauberspruchs, der da lautet: >... hinterlasse ich hiermit fünfzig Prozent der Anteile ...<.«

»Ich dachte, dieser Zauberspruch beinhalte einundfünfzig Prozent der Anteile«, sagte Feucht. »Könnten die anderen Anteilseigner dich nicht zwingen ... ?«

Am anderen Ende des Zimmers öffnete sich eine Tür, und eine große Frau in Weiß trat ein. Sie trug ein Tablett, das mit einem ITuch verhüllt war.

»Es wird dringend Zeit für deine Medizin, Frau Üppig«, sagte sie.

»Aber sie tut mir nicht gut, Schwester!«, gab die alte Frau zurück.

»Und du weißt ganz genau, dass der Doktor dir den Alkohol verboten hat«, sagte die Schwester und warf Feucht einen vorwurfsvollen Blick zu. »Sie soll keinen Alkohol mehr trinken«, wiederholte sie. Offenbar ging sie davon aus, dass er gleich mehrere Flaschen mit sich führte.

»Na, dann weg mit dem Doktor!«, sagte Frau Üppig mit einem verschwörerischen Seitenblick auf Feucht. »Meine sogenannten Stiefkinder bezahlen dafür, kannst du dir das vorstellen? Sie haben vor, mich zu vergiften! Und sie erzählen jedem, dass ich verrückt geworden bin ...«

Es klopfte an der Tür, doch es war weniger eine Bitte, eintreten zu dürfen, sondern eher eine Absichtserklärung. Frau Üppig bewegte sich mit beeindruckendem Tempo, und die Armbrüste schwenkten bereits herum, als die Tür aufschwang.

Herr Beuge kam herein, mit dem immer noch knurrenden Herrn Quengler unter dem Arm.

»Ich sagte, fünfmal, Herr Beuge!«, brüllte Frau Üppig. »Ich hätte Herrn Quengler fast erschossen! Kannst du nicht zählen?«

»Ich bitte um Verzeihung«, sagte Beuge und setzte Herrn Quengler vorsichtig im Ablagekorb ab. »Und ich kann zählen.«

»Na, du kleiner Quengler?«, sagte Frau Üppig, als der kleine Hund vor hektischer Aufregung fast explodierte, weil er jemanden sah, den er vor höchstens zehn Minuten das letzte Mal gesehen hatte. »Warst du ein guuuter Hund, ja? War er ein guter Hund, Herr Beuge?«

»Oh ja, gnädige Frau. Sogar im Übermaß.« Das Gift einer Schlangeneiskrem hätte nicht bitterer sein können. »Darf ich mich jetzt wieder meinen Pflichten widmen?«

»Herr Beuge glaubt, ich wüsste nicht, wie man eine Bank führt, nicht wahr, Herr Quengler?«, gurrte Frau Üppig an den Hund gewandt. »Er ist ein dummer Mann, nicht wahr? Ja, Herr Beuge, du darfst jetzt gehen.«

Feucht erinnerte sich an ein altes Sprichwort aus Bhangbhangduc: »Wenn alte Damen gehässig zu ihrem Hund sprechen, verspeisen sie ihn bald zum Frühstück.« Der Satz passte erstaunlich gut zu diesem Augenblick, was wiederum bedeutete, dass es kein guter Augenblick war, sich in der Nähe einer alten Dame aufzuhalten.

»Es war sehr nett, deine Bekanntschaft zu machen, Frau Üppig«, sagte er und stand auf. »Ich werde ... mir alles durch den Kopf gehen lassen.«

»Hat er sich schon mit Hubert getroffen?«, fragte Frau Üppig, wobei sie den Hund anzusprechen schien. »Er muss Hubert kennen lernen, bevor er geht. Ich glaube, er versteht das Finanzwesen noch nicht so ganz. Bring ihn zu Hubert, Herr Beuge. Hubert kann so gut erklären.«

»Wie du wünschst«, sagte Beuge und warf Herrn Quengler einen finsteren Blick zu. »Ich bin überzeugt, dass er mehr verstehen wird, wenn Hubert ihm erklärt hat, wie das Geld fließt. Bitte folgt mir, Herr Lipwig.«

Beuge schwieg, während sie die Treppe hinunterstiegen. Er hob seine übergroßen Füße mit Bedacht an, wie jemand, der über einen Boden ging, auf dem man Nadeln verschüttet hatte.

»Frau Üppig ist eine komische alte Schachtel, was?«, versuchte Feucht das Gespräch wieder in Gang zu bringen.

»Ich glaube, sie ist das, was man im Allgemeinen als >Original< bezeichnet, Herr«, sagte Beuge düster.

»Und manchmal etwas ermüdend?«

»Dazu werde ich keinen Kommentar abgeben, Herr. Frau Üppig gehören einundfünfzig Prozent der Anteile an meiner Bank.«

Seiner Bank, bemerkte Feucht.

»Das ist seltsam«, sagte er. »Sie hat mir gerade gesagt, es wären nur fünfzig Prozent.«

»Und der Hund«, sagte Beuge. »Der Hund besitzt ein Prozent, ein Erbe des verstorbenen Herrn Üppig, und der Hund gehört wiederum Frau Üppig. Der verstorbene Herr Üppig hatte einen recht schrulligen Humor, wie man so sagt, Herr Lipwig.«

Und der Hund besitzt ein Stück von der Bank, dachte Feucht. Eine lustige Gesellschaft, diese Familie Üppig. »Ich verstehe, dass du das vielleicht nicht sehr witzig findest, Herr Beuge«, sagte er.

»Ich darf dir versichern, dass ich gar nichts witzig finde, Herr«, erwiderte Beuge, als sie den Fuß der Treppe erreichten. »Ich verfüge nicht über den leisesten Sinn für Humor. Das wurde phrenologisch bewiesen. Ich habe das Nichlachen-Keinschärz-Syndrom, das aus irgendeinem Grund als beklagenswertes Leiden angesehen wird. Ich hingegen betrachte es als großes Glück. Ich darf mich rühmen, dass ich beim Anblick eines dicken Mannes, der auf einer Bananenschale ausrutscht, ausschließlich daran denke, dass es sich um einen bedauernswerten Unfall handelt, der die Dringlichkeit der sofortigen Entsorgung von Haushaltsabfällen unterstreicht.«

»Hast du schon mal versucht...«, begann Feucht, doch Beuge hob die Hand.

»Bitte! Ich wiederhole, dass ich es nicht als Leiden betrachte.

Und ich möchte hinzufügen, dass es mich verärgert, wenn andere Leute mir das Gegenteil unterstellen! Fühl dich bitte nicht genötigt, mich zum Lachen bringen zu wollen, Herr! Wenn ich keine Beine hätte, würdest du dann versuchen, mich zum Laufen zu animieren? Ich bin rundum glücklich, vielen Dank!«

Er blieb vor einer weiteren Doppeltür stehen, beruhigte sich ein wenig und legte die Hände auf die Türklinken.

»Und nun sollte ich vielleicht die Gelegenheit nutzen, dir zu zeigen, wo die ... wie ich sagen möchte, seriöse Arbeit geleistet wird, Herr Lipwig. Diese Räume wurden früher als Kontor bezeichnet, doch ich ziehe es vor, sie als« - er zog an den Klinken, worauf die Türflügel mit majestätischer Anmut aufschwangen - »meine Welt zu sehen.«

Es war beeindruckend. Und der erste Eindruck, den Feucht hatte, war: Dies ist die Hölle an dem Tag, an dem die Streichhölzer ausgegangen sind.

Er starrte auf die Reihen von gebeugten Rücken, die hektisch kritzelten. Niemand blickte auf.

»Ich lasse keine Abakus, keine Liebherz-Knochen oder andere Rechenapparaturen unter diesem Dach zu, Herr Lipwig«, sagte Beuge und führte ihn durch den Gang in der Mitte. »Das menschliche Gehirn ist in der Welt der Zahlen zur Unfehlbarkeit fähig! Wie könnte es anders sein, da wir schließlich die Zahlen erfunden haben! Wir sind hier sehr akkurat, höchst akkurat...« Mit einer schnellen Handbewegung zog Beuge ein Blatt Papier aus dem Ausgangskorb auf dem nächsten Schreibtisch, überflog es kurz und warf es wieder zurück, wobei er leise brummte — entweder voller Anerkennung, dass der Buchhalter alles richtig gemacht hatte, oder aus Enttäuschung, dass er keinen Fehler gefunden hatte.

Das Blatt war mit Berechnungen übersät, und kein Sterblicher hätte alles mit einem Blick überprüfen können. Aber Feucht hätte keinen Cent darauf verwettet, dass Beuge nicht jede Zeile begutachtet hatte.

»In diesem Raum hier befinden wir uns im Herzen der Bank«, sagte der Hauptkassierer stolz.

»Im Herzen«, wiederholte Feucht verständnislos.

»Hier berechnen wir die Zinsen und Gebühren und Hypotheken und Kosten und ... eben alles, um genau zu sein. Und wir machen keine Fehler.«

»Was, niemals?«

»Oh, es gibt schon hin und wieder mal jemanden, der sich verrechnet«, räumte Beuge widerwillig ein. »Zum Glück überprüfe ich jede Berechnung. An mir kommt kein Fehler vorbei, darauf kannst du dich verlassen. Ein Fehler, Herr, ist schlimmer als eine Sünde, und zwar weil eine Sünde häufig nur Ansichtssache ist oder vom Zeitpunkt abhängt, aber ein Fehler ist eine Tatsache und schreit nach Korrektur. Wie ich sehe, ziehst du keine verächtliche Miene, Herr Lipwig.«

»Nein? Ich meine natürlich: nein!«, sagte Feucht. Verdammt. Er hatte die uralte Weisheit vergessen: Wenn du genau beobachtest, gib Acht, das du nicht genau beobachtet wirst.

»Aber du bist nichtsdestotrotz entsetzt«, sagte Beuge. »Du benutzt Worte, und wie ich höre, bist du darin recht gut, aber Worte sind etwas Weiches und können von einer geschickten Zunge zu verschiedenen Bedeutungen geformt werden. Zahlen sind unnachgiebig. Sicher, man kann damit betrügen, aber ihr Wesen kann man nicht verändern. Eine Drei ist eine Drei. Man kann sie nicht überzeugen, eine Vier zu sein, selbst wenn man ihr einen dicken Kuss gibt.« Irgendwo im Saal war ein leises Kichern zu hören, aber Herr Beuge schien es nicht zu bemerken. »Und sie sind recht unversöhnlich. Wir arbeiten hier sehr hart an Dingen, die erledigt werden müssen«, sagte er. »Und hier sitze ich, genau im Zentrum ...«

Sie hatten das große Stufenpodest in der Mitte des Raums erreicht. In diesem Moment schob sich eine dünne Frau in weißer Bluse und langem schwarzem Rock respektvoll an ihnen vorbei und legte behutsam einen Stapel Papier in einen Korb, in dem sich bereits die Dokumente türmten. Sie blickte zu Herrn Beuge auf, der »Danke, Fräulein Gardinia« sagte. Er war zu sehr damit beschäftigt, auf die Wunder des Podests hinzuweisen, auf dem ein halbkreisförmiger Schreibtisch von ausgefeiltem Design platziert worden war, um den Ausdruck wahrzunehmen, der über ihr kleines blasses Gesicht glitt. Aber Feucht nahm ihn wahr und las darin tausend Worte, die sie wahrscheinlich in ihrem Tagebuch niedergeschrieben und noch nie jemandem gezeigt hatte.

»Siehst du?«, sagte der Hauptkassierer ungeduldig.

»Hmm?«, sagte Feucht, der zusah, wie die Frau davoneilte.

»Hier, schau dir das an!«, sagte Beuge, setzte sich und zeigte beinahe enthusiastisch mit dem Finger auf den Schreibtisch. »Mittels dieser Fußhebel kann ich meinen Schreibtisch in jede beliebige Richtung drehen! Das Panoptikum meiner kleinen Welt. Nichts entgeht meinem Blick!« Er trat hektisch auf das Pedal, und das gesamte Podest rotierte rumpelnd auf der Drehscheibe. »Und ich kann ihn sogar mit zwei verschiedenen Geschwindigkeiten bewegen, wie du siehst, weil es hier dieses geniale ...«

»Ich sehe, dass fast nichts deinem Blick entgeht«, sagte Feucht. »Aber es tut mir leid, dass ich dich von der Arbeit abhalte.«

Beuge warf einen Blick auf den Eingangskorb und zuckte mit den Schultern. »Dieser Haufen? Dafür brauche ich nicht lange«, sagte er, zog die Handbremse an und stand auf. »Außerdem halte ich es für sehr wichtig, dass du verstehst, worum es hier bei uns eigentlich geht, weil ich dich jetzt zu Hubert bringen muss.« Er hüstelte leise.

»Aber Hubert ist nicht das, worum es hier geht?«, fragte Feucht, bevor er sich auf den Rückweg zur Schalterhalle machte.

»Ich bin überzeugt, dass er es gut meint«, sagte Beuge und ließ die Worte wie eine Schlinge in der Luft hängen.

Draußen in der Halle herrschte weiterhin ehrfürchtige Stille. Ein paar Leute standen an den Schaltern, eine alte Dame sah zu, wie ihr kleiner Hund aus der Messingschüssel neben der Tür trank, und jedes gesprochene Wort wurde in angemessenem Flüsterton geäußert. Feucht war von Geld begeistert, es gehörte zu seinen Lieblingsdingen, aber für ihn musste es nichts sein, worüber man nur sehr leise redete, um es nicht aufzuwecken. Falls das Geld in dieser Bank sprechen konnte, flüsterte es.

Der Hauptkassierer öffnete eine kleine und ziemlich unauffällige Tür, die hinter der Treppe lag und halb von einigen Topfpflanzen verdeckt wurde.

»Bitte sei vorsichtig, der Fußboden ist hier immer etwas feucht«, sagte er und ging über ein paar breite Stufen in den prächtigsten Keller voraus, den Feucht jemals gesehen hatte. Hübsche Steingewölbe trugen wunderschön gekachelte Decken, die sich im Zwielicht verloren. Überall waren Kerzen, und in mittlerer Entfernung befand sich etwas, das funkelte und die Säulengänge mit einem blau-weißen Schein erfüllte.

»Dies war früher die Krypta des Tempels«, sagte Beuge, während er weiterging.

»Willst du damit sagen, dass dieses Gebäude nicht nur wie ein Tempel aussieht

»Es wurde ursprünglich als Tempel gebaut, ja, aber nie als solcher benutzt.«

»Wirklich?«, sagte Feucht. »Für welchen Gott?«

»Für keinen, wie sich herausstellte. Einer der Könige von Ankh ordnete den Bau vor neunhundert Jahren an«, erklärte Beuge. »Ich vermute, dass er eher aus spekulativen Gründen gebaut wurde. Das heißt, man hatte dabei keinen bestimmten Gott im Sinn.«

»Hatte man etwa gehofft, dass schon irgendeiner daherkommen würde?«

»Genau, Herr.«

»Wie ein Blaumeisen-Pärchen?«, fragte Feucht und blickte sich um. »Dieses Gebäude war so etwas wie ein himmlisches Vogelhäuschen?«

Beuge seufzte. »Du drückst dich in sehr farbenfrohen Bildern aus, Herr Lipwig, aber ich vermute, dass es der Wahrheit recht nahe kommt. Auf jeden Fall hat es nicht funktioniert. Anschließend wurde das Haus als Lager für Notzeiten genutzt, danach wurde es zu einer Markthalle und so weiter, und dann ging es in den Besitz von Jocatello La Vice über, als die Stadt ein Darlehen nicht zurückzahlen konnte. Das steht alles in der offiziellen Geschichte. Sind die Kurven und Rundungen nicht wunderbar?«

Nach kurzem Zögern sagte Feucht vorsichtig: »Sind sie das?«

»Findest du nicht? Hier gibt es mehr davon als sonstwo in der Stadt, wie mir gesagt wurde.«

»Tatsächlich?«, sagte Feucht und blickte sich um. »Haben sie sich hinter den Pfeilern versteckt?«

»Was redest du da?«, sagte Beuge. »Siehst du nicht, wie sie sich auf den starken Pfeilern emporrecken? Wie die hoch aufragenden Säulen sie ermutigen, sich in gewagten Posen aufzubäumen?«

»Ich muss zugeben«, sagte Feucht nervös, »dass mir Wölbungen ... anderer Art lieber sind als diese Busen und Backen aus Stein.«

»Ich finde es besorgniserregend«, erwiderte Beuge mit gerunzelter Stirn, »dass du beim Anblick dieser Architektur derart wollüstige Vergleiche ziehst, Herr Lipwig!«

Feucht sah ihn einen Moment lang schweigend an. »Es lag nicht in meiner Absicht, das Gespräch auf ein derart unangemessenes Thema zu lenken«, sagte er. »Verzeih mir bitte.«

Und dann sah Feucht den Blupper, der zwischen den gewölbten Steinbogen leuchtete.