Der zweite Fehler

Die Kinder wechselten furchtsame Blicke. Niemand sprach ein Wort. Alle vier starrten abwechselnd auf ihre Unterarme, dann wieder hoch in die erschütterten Gesichter ihrer Freunde.

Professor Rabenson war bereits zur Treppe geeilt. Er hatte von der Veränderung nichts bemerkt.

Kyra atmete tief durch. »Und nun?«

»Hauen wir ab«, sagte Nils.

»Und Doktor Richardson?«, fragte Lisa besorgt.

Chris nickte ihr zu. »Wir sollten zumindest einen Blick in den Keller werfen.«

Nils schüttelte heftig den Kopf. »Und was, wenn sie in dieses Loch hinuntergeklettert ist? Wollt ihr dann etwa hinterher?«

Die Entscheidung wurde ihnen im selben Augenblick abgenommen, denn Professor Rabenson rief: »Worauf wartet ihr noch?« Und sogleich lief er die Stufen hinunter und verschwand aus dem Blickfeld der Kinder.

»Scheiße!«, fluchte Nils.

»Nun kommt schon«, meinte Kyra und seufzte. »Es bleibt uns ja doch nichts anderes übrig.«

»Nichts anderes übrig?«, wiederholte Nils ungläubig. »Mir fällt da aber eine ganze Menge ein.«

»Ich gehe runter«, verkündete Chris.

»Ich auch«, beeilte sich Lisa zu sagen. Sie folgte Chris fast überallhin.

Kyra nickte. »Also los.«

Nils brummelte leise vor sich hin, schloss sich den anderen aber an. Meist redete er lediglich davon, einen Rückzieher zu machen, setzte seine Worte aber nur selten in die Tat um.

Sie folgten dem Professor in die unterirdischen Katakomben des Klosters. Hier unten waberten immer noch Reste des Schwefelgestanks, beinahe als hätten sich die Dünste in die Oberfläche des Mauerwerks gefressen. Trotzdem war es bei weitem nicht so schlimm wie am Vormittag. Übel wurde keinem mehr davon.

Kyras Vater hatte wieder die Taschenlampe eingeschaltet. Der Strahl war deutlich sichtbar, so, als hätte sich der Gewölbekeller mit einem feinen Nebel gefüllt. Der Anblick machte die Szenerie nur noch unheimlicher.

»Hier unten ist es viel kühler als oben«, flüsterte Chris. »Warum hat sie dann ihren Pullover nicht mit runter genommen?«

Nils rümpfte die Nase. »Weil sie ihn verloren hat, natürlich.«

»Hat sie vielleicht in den Tagen, die wir hier sind, schon ein einziges Mal irgendwas verloren?«

»Nichts«, bestätigte Kyra. »Aus irgendeinem Grund muss sie es sehr eilig gehabt haben.«

»Glaubt ihr, sie hat etwas gesehen?«, fragte Lisa besorgt.

Alle bekamen bei dieser Vorstellung eine Gänsehaut. Falls Doktor Richardson wirklich irgendetwas entdeckt hatte, war es wahrscheinlich immer noch hier unten. Oder es hatte sich oben in den Ruinen verkrochen. Schwer zu sagen, welche von beiden die schlimmere Vorstellung war.

»Wenn sie nichts gesehen hat, dann hat sie zumindest etwas gehört«, sagte Kyra. »Es wird ja wohl kaum der Gestank gewesen sein, der sie hier runter gelockt hat.«

»Wohl kaum«, meinte auch Nils. »Es sei denn, sie leidet an Geschmacksverirrung.« Dabei zwinkerte er heftig in die Richtung des Professors.

»Und damit willst du was sagen?«, fuhr Kyra ihn erbost an.

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