17
Es war schon fast vier Uhr morgens, als Cheneys kleiner roter Mazda durch die dunklen Straßen brummte. Das Verdeck war offen, und der Wind peitschte mir ins Gesicht. In manchen Häusern, an denen wir vorbeifuhren, sah ich Licht brennen, während Leute, die früh zur Arbeit mußten, die Kaffeemaschine einschalteten, bevor sie unter die Dusche stolperten.
»Ist dir kalt?«
»Nein, es ist gut so«, antwortete ich. »Lester schien eine Menge über Danielles Qualen zu wissen. Glaubst du, daß er es war?«
»Nicht wenn er will, daß sie arbeitet«, meinte Cheney.
Zu dieser Stunde ist der Himmel bis hinunter zum Schwarz der Bäume von einer gleichförmigen, grauen Schattierung. Tau durchtränkt das Gras. Manchmal hört man das Spritzen der Rasensprenger, die von Computern darauf programmiert sind, den Rasen zu bewässern, bevor die Sonne ganz aufgegangen ist. Wenn die geringen Niederschläge weiter anhielten wie bisher, würde der Wasserverbrauch beschränkt werden und all das üppige Gras vertrocknen. Während der letzten Dürre sahen viele Hausbesitzer keine andere Möglichkeit, als ihre Gärten mit grüner Farbe zu spritzen.
Auf dem Cabana Boulevard schlängelte sich ein Junge auf einem Skateboard den finsteren Gehsteig entlang. Mir fiel ein, daß ich erwartet hatte, dem Jongleur zu begegnen, dem Mann auf dem Fahrrad mit seinem Rücklicht und den unablässig tretenden Füßen. Für mich stand er mittlerweile für das Eingreifen einer unberechenbaren Macht, feenhaft und dämonisch, ein reines Phantasieprodukt, das vor mir entlangtänzelte wie die Lösung eines Rätsels. Wo immer ich hinging, tauchte er irgendwann auf, immer eilig irgendwohin unterwegs, ohne je an sein Ziel zu kommen.
Cheney wurde langsamer und beugte sich vor, um sich den Skateboardfahrer im Vorbeifahren genauer anzusehen. Er hob grüßend eine Hand, und der Junge winkte zurück.
»Wer ist das?« fragte ich.
»Er arbeitet nachts in einem Sanatorium. Sein Führerschein ist wegen eines Drogenvergehens eingezogen worden. Er ist aber im Grunde ein anständiger Junge«, sagte Cheney. Kurz darauf bog er in Danielles Gasse ein, wo mein Auto noch stand. Er stellte sich hinter den VW und schaltete in den Leerlauf, um das Motorengeräusch so leise wie möglich zu halten. »Wie sieht dein Tag aus? Kommst du zum Schlafen?«
»Ich hoffe es. Ich bin echt erledigt«, sagte ich. »Mußt du arbeiten?«
»Ich gehe jetzt nach Hause und ins Bett. Ein paar Stunden wenigstens. Ich rufe dich später an. Wenn du Lust hast, können wir ja zusammen einen Happen essen gehen.«
»Mal sehen, wie sich mein Tag entwickelt. Wenn ich nicht da bin, hinterlaß mir eine Nachricht. Ich rufe dich zurück.«
»Gehst du ins Büro?«
»Offen gestanden wollte ich zu Danielle hinüberfahren und saubermachen. Ihre Wohnung war voller Blut.«
»Das brauchst du nicht. Der Vermieter hat gesagt, er würde Anfang nächster Woche jemanden zum Putzen hinschicken. Er kann zwar vor Montag niemanden bekommen, aber das ist immer noch besser, als wenn du es tust.«
»Es macht mir nichts aus. Ich möchte gern etwas für sie tun. Vielleicht hole ich auch ihren Bademantel und ihre Pantoffeln und bringe beides ins St. Terry’s hinüber.«
»Wie du willst«, sagte er. »Ich passe auf, bis du wegfährst. Sieh zu, daß dein Auto anspringt und dich der schwarze Mann nicht kriegt.«
Ich machte die Beifahrertür auf, packte meine Handtasche und stieg aus. »Danke fürs Mitnehmen und alles andere. Das meine ich ernst.«
»Keine Ursache.«
Ich schlug die Tür zu und ging zu meinem Auto hinüber, während Cheney wie ein Schutzengel über mich wachte. Der VW sprang ohne zu murren an, und ich winkte Cheney, um ihm zu signalisieren, daß alles in Ordnung sei, aber er wollte mich noch nicht aus den Augen lassen. Er folgte mir nach Hause, und so kurvten wir beide die dunklen Straßen hinauf und hinunter. Ausnahmsweise fand ich direkt vor meiner Wohnung einen Parkplatz. Dort angekommen, schien er mich in Sicherheit zu wähnen. Er legte den ersten Gang ein und fuhr davon.
Ich sperrte den Wagen ab, ging durchs Tor und weiter nach hinten, wo ich meine Haustür aufsperrte und hineinging. Ich sammelte die Post auf, die durch den Schlitz geschoben worden war, schaltete eine Lampe an, stellte die Tasche ab und verschloß die Tür hinter mir. Dann begann ich, mich aus den Kleidern zu schälen, während ich die Wendeltreppe hinaufstieg, und verteilte die Kleidungsstücke auf dem Fußboden, bis es aussah wie in einer dieser romantischen Komödien, wo das Liebespaar es kaum noch erwarten kann. Mir ging es so mit dem Schlaf. Nackt stolperte ich herum, schloß die Jalousien, stellte das Telefon ab und machte die Lichter aus. Mit einem Seufzer der Erleichterung kroch ich unter das Federbett. Ich fürchtete, womöglich zu übermüdet zu sein, um einzuschlafen, aber das stellte sich als Irrtum heraus.
Als ich aufwachte, war es schon nach fünf Uhr nachmittags. Einen Moment lang dachte ich, ich hätte rund um die Uhr bis zum nächsten Morgengrauen geschlafen. Ich starrte zur Plexiglaskuppel über meinem Bett hinauf und versuchte, mich in dem Halbdunkel zu orientieren. Ich überprüfte meinen Allgemeinzustand und befand, daß ich vermutlich genug geschlafen hatte. Als ich feststellte, daß ich am Verhungern war, quälte ich mich aus dem Bett. Ich putzte mir die Zähne, duschte und wusch mir die Haare. Dann zog ich ein altes Sweatshirt und abgetragene Jeans an. Unten füllte ich einen Plastikeimer mit Lumpen und verschiedenen Putzmitteln. Nun, da die unmittelbare Krise vorüber war, wallte endlich die Wut auf ihren Angreifer in mir auf. Männer, die Frauen schlagen, stehen fast so tief wie Männer, die Kinder schlagen.
Ich wählte Cheneys Nummer, aber er war offenbar schon aufgestanden und aus dem Haus. Auf dem Anrufbeantworter hinterließ ich ihm eine Nachricht, in der ich die Tageszeit nannte und ihm mitteilte, daß ich zu hungrig sei, um auf ihn zu warten. Als ich meine Haustür öffnete, fiel mir ein gelber Umschlag entgegen, der im Türrahmen gesteckt hatte. Quer darüber hatte Hector geschrieben: »Freitag, 17 Uhr 35. Habe geklopft, aber keine Reaktion. Anbei verbesserte Abschrift und Band. Konnte leider nicht mehr tun. Rufen Sie mich an, wenn Sie wieder da sind.« Darunter hatte er seine Privatnummer und die Nummer im Studio geschrieben. Er mußte vorbeigekommen sein und geklopft haben, als ich unter der Dusche stand. Ich sah auf die Uhr. Offensichtlich war er erst vor einer Viertelstunde dagewesen, und so mußte ich annehmen, daß es noch zu früh war, um ihn unter einer der beiden Nummern zu erreichen. Ich steckte Band und Abschrift in meine Handtasche und ging in einen Coffee Shop, wo es vierundzwanzig Stunden am Tag Frühstück gibt.
Ich studierte Hectors Aufzeichnungen, während ich mich wie ein Schwein mit einem Teller genau jener Lebensmittel vollstopfte, die Ernährungsexperten verbieten. Es war ihm nicht gelungen, wesentlich mehr zu verstehen als ich. Zu meiner Seite mit Notizen hatte er folgendes hinzugefügt:
»So was ist mir total zuwider... mich nachdenken. Du bist nicht...«
»Ach, komm schon. Ich mache doch nur Witze... [Lachen] Aber I du mußt zugeben, es ist eine tolle Idee. Sie geht jeden Tag zur , gleichen Zeit rein... Effet...«
»Du bist echt krank...«
»Man sollte sich eben nicht in meine... [klapper... klirr]«
Geräusch von Wasser... Quietschen...
»Wenn irgend etwas passiert, werde ich...«
Bums, bums...
»Das ist mein Ernst... Stubby-«
»Keine Verbindung...«
Lachen... Stühlescharren... Rascheln... Gemurmel...
Unten auf die Seite hatte er drei große Fragezeichen gekritzelt. Ganz meine Meinung.
Bei Danielles Häuschen angekommen, parkte ich wie am Abend zuvor in der Gasse neben der Hecke. Mittlerweile war es dunkel. Wenn das so weiterging, würde ich nie wieder die Sonne hoch am Himmel stehen sehen. Ich holte meine Taschenlampe heraus und überprüfte die Batterien. Ein paar Minuten lang schlenderte ich langsam an den Seiten der Gasse auf und ab und leuchtete links und rechts mit der Lampe ins Gebüsch. Ich erwartete nicht, auf irgend etwas zu stoßen. Ich suchte auch nicht direkt nach »Beweisstücken« im eigentlichen Sinne. Ich wollte ergründen, wohin Danielles Angreifer gegangen sein könnte. Es gab unzählige Stellen, an denen er sich versteckt, Gärten, die er durchquert haben könnte, um auf der einen oder anderen Seite auf die Straße zu gelangen. Mitten in der Nacht kann sogar ein schlanker Baumstamm Deckung bieten. Meiner Meinung nach hatte er in Sichtweite Stellung bezogen und zugesehen, wie der Rettungswagen und die ganzen Polizeistreifen eintrafen.
Ich ging zu Danielles Häuschen zurück und durchquerte den Garten, bis ich zum Haupthaus kam. Dort stieg ich die Hintertreppe hinauf und klopfte an das erleuchtete Küchenfenster. Ich sah, wie Danielles Vermieter Teller vom Abendessen mit klarem Wasser nachspülte, bevor er sie auf den Geschirrständer stellte. Etwa im gleichen Moment entdeckte er mich und kam an die Hintertür, wobei er sich die Hände an einem Geschirrtuch abtrocknete. Er gab mir einen Schlüssel, und wir sprachen kurz über den Überfall. Er war um zehn Uhr zu Bett gegangen. Er sagte, er hätte keinen festen Schlaf, aber sein Schlafzimmer läge im Obergeschoß zur Straße hinaus, und deshalb hätte er überhaupt nichts gehört. Er war ein Mann in den Siebzigern, Soldat im Ruhestand, obwohl er mir nicht verriet, von welcher Waffengattung. Falls er wußte, wie sich Danielle ihren Lebensunterhalt verdiente, so gab er keinen Kommentar dazu ab. Er schien sie ebenso gern zu mögen wie ich, und das war das einzige, was mich interessierte. Ich gab Unkenntnis über ihr derzeitiges Befinden vor und vertraute ihm lediglich an, daß sie überlebt hatte und man damit rechnete, daß sie sich wieder erholte. Er fragte nicht genauer nach.
Ich ging den gepflasterten Weg zu Danielles kleiner Veranda entlang. Das Band zur Absperrung des Tatorts war entfernt worden, aber um den Türknauf herum und am Türrahmen konnte ich immer noch Spuren des Fingerabdruckpuders erkennen. Das lumpenumwickelte, blutige Rohrstück würde vermutlich auf Fingerabdrücke untersucht werden, aber ich bezweifelte, daß dabei viel herauskäme. Ich betrat das Häuschen und schaltete das Deckenlicht an. Die Blutschlieren sahen aus wie ein Rorschachtest, ein dunkelrotes Muster aus Flecken und Ausrufezeichen an den Stellen, wo die Wucht der Schläge das Blut in zwei Streifen über die Wand hatte spritzen lassen. Der blutbefleckte Teppich war entfernt und vermutlich in die Mülltonne hinten auf dem Grundstück geworfen worden. Das Blut auf der Fußleiste sah aus wie Farbtropfen.
Die gesamte Wohnung bestand aus gerade anderthalb Zimmern und war billig gebaut. Ich ging die Räume ab, aber es gab nicht viel zu sehen. Danielles Wohnung war genauso klein wie meine. Es hatte den Anschein, als sei Danielles Kampf mit ihrem Angreifer auf das vordere Zimmer beschränkt gewesen, dessen größten Teil eine Sitzgruppe und ein Doppelbett einnahmen. Laken und Bettbezug bestanden aus einem Laura-Ashley-Stoff, glatte Baumwolle mit einem rosa-weißen Blumenmuster. Die Vorhänge waren aus demselben Material, und die Wände bedeckte eine dazu passende rosaweiß-gestreifte Tapete. Ihre Küche beschränkte sich auf eine Kochplatte und einen Mikrowellenherd, die auf einer bemalten Kommode standen.
Das Badezimmer war klein und weiß getüncht, während der Fußboden mit winzigen, altmodischen Schwarzweißfliesen ausgelegt war. Um das Waschbecken rankte sich derselbe Laura-Ashley-Stoff, den sie auch im Schlafzimmer verwendet hatte. Sie hatte einen dazu passenden, baumwollenen Duschvorhang gekauft, dessen Stange mit einem Volant verkleidet war. Die Wand gegenüber der Toilette war eine Minigalerie. Ein Dutzend gerahmte Fotografien hingen dicht nebeneinander, viele davon schief. Danielle mußte bei dem Überfall gegen die Trennwand geschleudert worden sein. Mehrere Fotos waren von der Wand gefallen und lagen nun mit der Vorderseite nach unten auf dem Fliesenboden. Vorsichtig hob ich sie auf. Zwei der Rahmen waren beim Aufprall zerbrochen, und in allen vieren war das Glas entweder gesprungen oder ganz zersplittert. Ich legte die vier beschädigten Bilder aufeinander, warf die Glasscherben in den Mülleimer und hängte die restlichen Fotos wieder richtig auf, wobei ich sie mir ansah. Danielle als Baby. Danielle mit Mom und Dad. Danielle mit ungefähr neun, mit hochgestecktem Haar bei einer Tanzaufführung.
Ich ging ins vordere Zimmer zurück und fand ein dickes Bündel brauner Papiertüten, die in dem Spalt zwischen Wand und Kommode steckten. Ich steckte die beschädigten Fotos in eine Tüte und stellte sie neben die Eingangstür. Im Drugstore hatte ich so ähnliche Rahmen für zwei Dollar das Stück gesehen. Vielleicht würde ich dort vorbeifahren und Ersatz beschaffen. Ich zog das Bett ab und legte die Wäsche auf die Veranda. Sogar die Bettverkleidung hatte ein Muster aus blutigen Tupfen abbekommen. Ich würde am nächsten Morgen zur Reinigung fahren. Ich füllte meinen Eimer mit heißem Wasser und stellte eine kräftige Mischung aus Putzmitteln zusammen. Dann wusch ich die Wände ab und schrubbte die Fußleisten und die Böden, bis das Seifenwasser zu einer schaumigen, rosa Flüssigkeit geworden war. Ich schüttete es weg, füllte den Eimer erneut und machte weiter.
Als ich fertig war, zog ich die Abschrift hervor, setzte mich mit Danielles Telefon aufs Bett und versuchte, Hector unter seiner Privatnummer zu erreichen. Er meldete sich gleich.
»Hallo, hier ist Kinsey. Da bin ich aber froh, daß ich Sie zu Hause erreiche. Ich dachte, Sie wären vielleicht schon auf dem Weg ins Studio.«
»So früh nicht und heute überhaupt nicht. Ich arbeite von Samstag bis Mittwoch, daher sind Donnerstag und Freitag abend meistens meine Wochenenden. Gestern abend war eine Ausnahme, aber ich versuche das möglichst auf ein Minimum zu begrenzen. Heute abend habe ich noch etwas Aufregendes vor. Erst bade ich Beauty und dann sie mich. Sie haben die Abschrift bekommen, nehme ich an.«
»Ja, und es tut mir leid, daß ich Sie verpaßt habe. Ich war unter der Dusche, als Sie den Umschlag vorbeigebracht haben.«
Wir brachten ein paar Minuten damit zu, uns gegenseitig unser Leid über die schlechte Qualität der Bandaufzeichnung zu klagen. »Was sagt Ihnen das Ganze?«
»Nicht viel. Ich habe ein paar Worte verstanden, aber nichts, was einen Sinn ergeben hätte.«
»Haben Sie irgendeine Ahnung, worüber sie reden?«
»Nein. Lorna klingt, als würde sie sich über ihn ärgern, das ist das einzige, was ich heraushöre.«
»Sind Sie sicher, daß es Lorna ist?«
»Ich könnte es nicht beschwören, aber ich bin mir ziemlich sicher, daß sie es ist.«
»Wie steht’s mit dem Mann?«
»Ich habe seine Stimme nicht erkannt. Klingt nicht wie irgend jemand, den ich kenne. Sie sollten es sich selbst noch einmal anhören und aufpassen, was Sie verstehen können. Vielleicht können wir uns beim Einfügen der fehlenden Teile abwechseln wie bei einem Puzzle.«
»Wir müssen es nicht zu unserem Lebenswerk machen«, sagte ich. »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es von Belang ist, aber ich werde mich noch einmal damit beschäftigen, wenn ich nach Hause komme.« Ich sah auf die mit Anmerkungen versehene Abschrift hinunter. »Was ist mit diesem Wort Effet gemeint? Das ist doch seltsam oder? Was für ein Effet?«
»Dabei war ich mir auch nicht ganz sicher, aber es war das einzige Wort, das mir einfiel. Der Satz, der mir andauernd durch den Kopf geht, ist diese Geschichte mit >sie geht jeden Tag zur gleichen Zeit reim. Ich habe keinen blassen Schimmer, was das bedeuten soll.«
»Und wieso >Stubby<? Lorna sagt das, glaube ich.«
»Tja, das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber was das angeht, kann ich Ihnen einen Tip geben. Ich glaube nicht, daß sie >stubby< im Sinne von >knubbelig< verwendet. Es gibt hier in der Stadt einen Typen mit dem Spitznamen Stubby. Sie könnte ihn meinen.«
»Das ist eine interessante Möglichkeit. War das jemand, den sie kannte?«
»Vermutlich. Mit richtigem Namen heißt er John Stockton. Man nennt ihn Stubby, weil er klein, gedrungen und dick ist. Er ist Bauträger —«
»Warten Sie mal«, unterbrach ich ihn. »Den Namen habe ich kürzlich erst gehört. Ich bin mir fast sicher, daß Clark Esselmann ihn erwähnt hat... vorausgesetzt, es gibt nur den einen. Ist er Mitglied der Wasseraufsichtsbehörde von Colgate?«
Hector lachte. »Nee, null Chance. Sie würden ihn nie in die Behörde aufnehmen. Das ergäbe einen unerhörten Interessenskonflikt. Er würde sich selbst in ein halbes Dutzend Projekte einschmuggeln, mit denen man schnell reich wird.«
»Oh. Dann hat es vermutlich nichts miteinander zu tun. Hat sie über ihn oder mit ihm gesprochen?«
»Über ihn, nehme ich an. Aber es könnte sogar am Rande ein Zusammenhang bestehen. Stockton müßte sich an die Wasserbehörde wenden, wenn er eine Genehmigung für die Erschließung irgendwelcher Grundstücke haben will. Da Lorna bei Esselmann >Babysitterin< gespielt hat, könnte sie ganz nebenbei von Stubby gehört haben.«
»Schon, aber was macht das? In einer Stadt wie dieser hört man alles mögliche, aber deswegen wird man nicht gleich umgebracht. Wie schwierig ist es denn, eine Genehmigung zu bekommen?«
»Eine Vorlage einzubringen, ist nicht schwierig, aber angesichts der momentanen Wasserknappheit müßte er schon mit einem sagenhaften Projekt aufwarten, um es bewilligt zu bekommen.«
»Gut«, sagte ich. Ich ließ die Vorstellung in meinem Hirn ein paar Runden drehen, aber das schien keine Erkenntnisse hervorzurufen. »Ich weiß nicht, wie das alles zusammenpaßt. Wenn sie über Wasser sprechen, könnte es etwas mit >sie geht jeden Tag zur gleichen Zeit rein< zu tun haben. Vielleicht bezieht sich das auf Schwimmen. Ich weiß, daß Lorna gejoggt ist, aber ist sie auch geschwommen?«
»Nicht, daß ich wüßte. Außerdem, wenn der Typ mit Lorna spricht, warum sollte er sie dann mit >sie< bezeichnen? Er muß über jemand anderen sprechen. Und Stockton hat nichts mit Schwimmbädern zu tun. Er baut Einkaufszentren und macht Parzellierungen«, sagte Hector. »So wie es formuliert ist, könnten sie auch über Arbeit sprechen. Sie geht jeden Tag zur gleichen Zeit rein >in die Arbeit<. Oder sie geht jeden Tag zur gleichen Zeit rein >ins Bett<.«
»Stimmt. Na gut. Vielleicht fällt uns ja etwas ein, wenn wir die Sache ein bißchen ruhen lassen. Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?«
»Eigentlich nicht. Nur daß Lorna sauer klang.«
»Den Eindruck hatte ich auch, deshalb habe ich ja so genau hingehört. Was der Typ gesagt hat, hat ihr überhaupt nicht gepaßt.«
»Ach ja. Wie Sie sagen — wenn es je einen Sinn ergeben soll, müssen Sie es wahrscheinlich eine Weile ruhen lassen. Wenn ich einen Geistesblitz habe, rufe ich Sie an.«
»Danke, Hector.«
Als ich das Häuschen abschloß und Danielles Vermieter den Schlüssel zurückgab, war es fast Viertel vor sieben, und die Wohnung sah bedeutend besser aus. Der Geruch von Ammoniak erinnerte zwar an eine Behörde, aber wenigstens müßte Danielle nicht in ein Chaos zurückkehren. Ich ging zu meinem Auto, die Arme mit allem möglichen Kram beladen. Ich stellte den Plastikeimer auf den Beifahrersitz und packte das Bündel Bettwäsche auf den Rücksitz, neben die Papiertüte mit den zerbrochenen Bilderrahmen. Dann rutschte ich hinters Lenkrad, blieb einen Moment sitzen und versuchte zu entscheiden, was ich als nächstes tun sollte. Hectors Vermutung, daß Stubby Stockton Thema von Lornas aufgezeichnetem Gespräch war, erschien mir ziemlich verführerisch. Soweit ich Clark Esselmanns Kommentare am Telefon verstanden hatte, würde Stockton bei der nächsten Versammlung der Wasseraufsichtsbehörde anwesend sein, die nach meinen Berechnungen heute abend stattfinden sollte. Wenn ich Glück hatte, würde mir vielleicht Serena begegnen, und ich könnte sie noch mal zu der fehlenden Geldsumme befragen.
An der nächsten Tankstelle gab es ein öffentliches Telefon, und ich schlug die Nummer der Wasseraufsichtsbehörde von Colgate nach. Die Bürostunden waren schon lange vorüber, aber die Ansage auf dem Anrufbeantworter nannte Einzelheiten über die Versammlung, die für neunzehn Uhr im Konferenzraum in den Büros der Kreisverwaltung angesetzt war. Ich sprang wieder ins Auto, warf den Motor an und fuhr auf der Schnellstraße nach Norden.
Vierzehn Minuten später bog ich in den Parkplatz hinter dem Gebäude ein, wobei ich feststellen mußte, daß der Strom der Fahrzeuge sowohl vor mir als auch hinter mir nicht abriß. Wie bei einer Art Autorennen fuhren wir einer nach dem anderen mit der Schnauze voran in eine Parklücke. Ich stellte den Motor ab, stieg aus und verschloß den Wagen. Es war ganz einfach herauszufinden, wo die Versammlung stattfinden sollte. Ich brauchte nur den anderen Teilnehmern zu folgen. Am hinteren Ende des Gebäudes brannten Lichter, und ich trabte auf sie zu, da ich langsam fürchtete, keinen Sitzplatz mehr zu bekommen.
Der Eingang zum Konferenzraum war in einem kleinen, umschlossenen Innenhof versteckt. Durch das Glasfenster konnte ich sehen, daß die Mitglieder der Aufsichtsbehörde bereits allesamt anwesend waren. Ich ging hinein und hoffte, mir einen Platz sichern zu können, solange es noch welche gab. Der Konferenzraum war funktionell und trist: brauner Teppich, mit dunklem Holzfurnier getäfelte Wände, vorne ein L aus Klapptischen und fünfunddreißig Klappstühle für die Zuhörer. Auf einem Tisch an der Seite stand eine große Kaffeemaschine, daneben ein Stapel Tassen, Zuckertütchen und eine Riesendose Kaffeesahne. Die Beleuchtung bestand aus Leuchtstoffröhren und ließ uns alle gelb aussehen.
Die Wasseraufsichtsbehörde von Colgate setzte sich aus sieben Mitgliedern zusammen. Vor jedem von ihnen stand ein Schild mit eingraviertem Namen und Titel: Berater des Wasserbezirks, Geschäftsführer und leitender Ingenieur, Vorsitzender und vier Direktoren, von denen einer Clark Esselmann war. Der Behördenvertreter namens Ned, mit dem er telefoniert hatte, war offenbar Theodore Ramsey, der zwei Plätze neben ihm saß. Der »Bob« und die »Druscilla«, die er beiläufig erwähnt hatte, waren Robert Ennisbrook beziehungsweise Druscilla Chatham.
Sinnigerweise hatte man den Vertretern der Wasseraufsichtsbehörde große Krüge mit Eiswasser hingestellt, aus denen sie sich genüßlich einschenkten und tranken, während sie über die Wasserknappheit diskutierten. Manche der Mitglieder waren mir dem Namen nach oder vom Hörensagen bekannt, aber von Esselmann abgesehen kannte ich ihre Gesichter nicht. Serena saß in der ersten Reihe, hantierte nervös mit ihren Sachen herum und versuchte, so zu tun, als mache sie sich keine Sorgen um ihren Vater. Esselmann, in Anzug und Krawatte, sah angegriffen, aber entschlossen aus. Er war bereits in ein Gespräch mit Mrs. Chatham vertieft, der Frau zu seiner Linken.
Inzwischen waren zahlreiche Zuhörer eingetroffen, und die meisten der bereitstehenden Klappstühle waren besetzt. Ich entdeckte einen freien Stuhl und schnappte ihn mir, wobei ich mich fragte, was ich hier eigentlich tat. Manche der Zuhörer hatten Aktentaschen und Notizblöcke dabei. Der Mann neben mir hatte einen handschriftlichen Kommentar verfaßt, an dem er noch zu feilen schien, während wir darauf warteten, daß die Versammlung eröffnet würde. Ich wandte mich um und betrachtete die Reihen hinter mir, die allesamt gefüllt waren. Durch das Glasfenster konnte ich sehen, wie sich weitere Personen um den Picknickplatz gruppierten oder sich gegen den dekorativen Zaun lehnten. Lautsprecher im Innenhof gestatteten den Überzähligen mitzuhören, was behandelt wurde.
Vorne wurden Exemplare der Tagesordnung ausgelegt, und ich verließ kurz meinen Platz, um mir eines zu besorgen. Ich erfuhr, daß die Zuhörer das Recht hatten, sich an die Behördenvertreter zu wenden. Zu diesem Zweck wurden Anträge formuliert und schriftlich eingereicht. Überall fanden ausgiebige Beratungen zwischen Personen statt, die einander zu kennen schienen. Manche debattierten in kleinen Gruppen, die einen speziellen Antrag1 unterstützten. Ich wußte nicht einmal, welche Themen zur Diskussion standen, und auf der Tagesordnung machte sich alles derart öde aus, daß ich mir nicht sicher war, ob es mich interessierte. Ich fragte mich, ob es mir gelingen würde, Stubby Stockton zu erkennen. Viele von uns sehen im Sitzen stubby — also klein und dick aus.
Drei Minuten nach sieben wurden die Versammelten um Ruhe gebeten und die Behördenvertreter namentlich aufgerufen. Einzelheiten der letzten Sitzung wurden verlesen und unverändert angenommen. Verschiedene Abstimmungspunkte auf der Tagesordnung wurden ohne Diskussion akzeptiert — alles unter beständigem Rascheln, Husten und Räuspern. Jeder schien im gleichen Tonfall zu sprechen, so daß jedes Thema auf seine langweiligsten Komponenten reduziert wurde. Die Behördenvertreter diskutierten Dienstleistungsstrategien im gleichen, trockenen Stil wie Endlosredner im Kongreß. Falls tatsächlich irgend etwas dabei herauskam, so entging es mir völlig. Was mir allerdings seltsam erschien, war, daß Clark Esselmann bei seinem häuslichen Telefonat mit Ned ziemlich heftig geworden war. Hinter den Kulissen tobten offenbar die Leidenschaften. Hier wurde dagegen alles getan, um im Interesse des Dienstes an der Öffentlichkeit sämtliche Emotionen zu neutralisieren.
Einer nach dem anderen erhielten Personen aus dem Zuschauerraum Gelegenheit, ans Podium zu treten und die Behördenvertreter mit vorbereiteten Erklärungen zu konfrontieren. Diese trugen sie in monotonem Politsingsang vor und schafften es irgendwie, ihre Argumente ohne die geringste Spur von Spontaneität, Humor oder Wärme darzulegen. Wie in der Kirche schraubte die Verbindung von Körperwärme und heißer Luft die Raumtemperatur in schwindelnde Höhen. Für jemanden, der wie ich seit fünf Tagen unter Schlafmangel litt, war es schwer, nicht seitlich vom Stuhl zu kippen.
Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich tatsächlich einmal kurz einnickte, eine Art Wegtauchen des Bewußtseins, das ich nur mitbekam, weil mir der Kopf herunterfiel. Das mußte noch einmal passiert sein, denn gerade als ich ein bitter benötigtes Nickerchen genießen wollte, wurde ich durch einen erhitzten verbalen Schlagabtausch wieder hochgerissen. Zu spät merkte ich, daß ich die erste Runde verpaßt hatte.
Clark Esselmann war aufgestanden und deutete mit dem Finger auf den Mann auf dem Podium. »Leute wie Sie ruinieren diesen Bezirk.«
Der Mann, den er meinte, mußte John »Stubby« Stockton sein. Er war vielleicht einen Meter zweiundfünfzig groß und sehr korpulent, mit einem runden Babygesicht und dunklem, schütterem Haar. Er schwitzte stark und wischte sich während der ganzen Auseinandersetzung immer wieder mit dem Taschentuch übers Gesicht. »Leute wie ich? Aber wirklich, Sir. Lassen wir doch Persönliches beiseite. Hier geht es nicht um mich. Hier geht es auch nicht um Sie. Hier geht es um Arbeitsplätze für diese Gemeinde. Hier geht es um Wachstum und Fortschritt für die Bürger dieses Bezirks, die —«
»Schwachsinn! Hier geht es ums Profitmachen, Sie verdammter Dreckskerl. Was kümmern Sie schon die Bürger dieses Bezirks? Wenn erst einmal diese... diese Scheußlichkeit gebaut ist, haben Sie die Gegend längst verlassen. Sie werden Ihr Geld zählen, während wir anderen alle für die nächsten Jahrhunderte mit diesem Schandfleck hier festsitzen.«
Wie ein Liebespaar schienen Clark Esselmann und John Stockton, nachdem sie sich einmal aufeinander eingelassen hatten, nur noch Augen füreinander zu haben. Der Raum war wie elektrisiert, und eine Welle der Erregung wogte durchs Publikum.
Stocktons Stimme war süßlich vor Abscheu. »Sir, auf die Gefahr hin, Sie zu beleidigen, lassen Sie mich folgendes fragen. Was haben Sie denn getan, um Arbeitsplätze, Wohnungen oder finanzielle Sicherheit für die Bürger von Santa Teresa County zu schaffen? Möchten Sie mir darauf eine Antwort geben?«
»Wechseln Sie nicht das Thema —«
»Weil die Antwort >nichts< lautet. Sie haben keinen Balken, keinen Cent und keinen Ziegelstein zur fiskalischen Gesundheit und zum Wohlergehen der Gemeinde, in der Sie leben, beigetragen.«
»Das ist nicht wahr... das ist nicht wahr!« brüllte Esselmann.
Stockton kämpfte weiter. »Sie haben das Wirtschaftswachstum blockiert, Sie haben sich der Schaffung von Arbeitsplätzen in den Weg gestellt. Sie haben die Erschließung angeprangert und jeglichen Fortschritt verhindert. Und warum auch nicht? Sie haben ja Ihre Schäfchen schon im trockenen. Was kümmert es Sie, was mit uns anderen geschieht? Wenn’s nach Ihnen geht, können wir doch alle zum Teufel gehen.«
»Da haben Sie verdammt recht, daß Sie zum Teufel gehen können! Gehen Sie doch!«
»Meine Herren!« Der Vorsitzende war aufgestanden.
»Tja, dann werde ich Ihnen mal etwas sagen. Sie werden schon lange dahingegangen sein und die Gelegenheit für Wachstum wird ebenso dahingegangen sein, und wer wird den Preis für Ihre unterentwickelte Phantasie zu bezahlen haben?«
»Meine Herren! Meine Herren!«
Der Vorsitzende schlug mit seinem Hämmerchen auf den Tisch, wenn auch ohne nennenswerten Erfolg. Serena hatte sich erhoben, doch ihr Vater wehrte sie mit einer herrischen Handbewegung ab, die sie vermutlich von Kindesbeinen an eingeschüchtert hatte. Ich sah sie wieder auf ihren Sitz niedersinken, während er mit zitternder Stimme schrie: »Sparen Sie sich Ihre Sprüche für den Rotary Club, junger Mann. Ich habe es satt, mir diesen eigennützigen Quatsch anzuhören. In Wirklichkeit sind Sie doch nur hinter dem allmächtigen Mammon her, und das wissen Sie auch ganz genau. Wenn Sie so sehr an Wachstum und wirtschaftlichen Möglichkeiten interessiert sind, dann stiften Sie doch das Land und sämtliche Profite, die Sie damit machen wollen. Verstecken Sie sich nicht hinter Rhetorik —«
»Stiften Sie doch. Warum schenken Sie nichts her? Sie besitzen mehr als der Rest von uns zusammengenommen. Und erzählen Sie mir bloß nicht, ich würde mich hinter Rhetorik verstecken, Sie aufgeblasener Esel...«
An Stocktons Seite erschien plötzlich ein uniformierter Wachmann, der ihn beim Ellbogen nahm. Stockton schüttelte ihn wütend ab, doch nun tauchte auf seiner anderen Seite einer seiner Geschäftspartner auf, und er wurde von den beiden mit sanfter Gewalt aus dem Raum geleitet. Esselmann war stehengeblieben, und in seinen Augen funkelte der Zorn.
Während rund um mich das Stimmengewirr anschwoll, beugte ich mich zu dem Mann neben mir. »Es ist mir ja so unangenehm, daß ich mich nicht auskenne, aber worum ging es da gerade eigentlich?«
»John Stockton versucht, die Wassernutzungsrechte für eine große Landparzelle zu bekommen, die er erschließen und an Marcus Petroleum verkaufen möchte.«
»Ich dachte, solche Vorhaben müßten bei der Kreisverwaltungsbehörde eingereicht werden«, sagte ich.
»Müssen sie ja auch. Letzten Monat wurde es unter der Bedingung, daß dort wiederaufbereitetes Wasser aus dem Bezirk Colgate verwendet wird, mit fünf zu null Stimmen genehmigt. Es sah ganz danach aus, als würde es widerstandslos akzeptiert, aber jetzt rüstet Esselmann zum Gegenangriff.«
»Und weshalb so erbittert?«
»Stockton besitzt Grundstücke, die die Ölgesellschaften liebend gern haben würden. Aber ohne Wasser sind sie nutzlos. Esselmann hat ihn zuerst unterstützt, aber nun ist er plötzlich dagegen. Stubby fühlt sich verraten.«
Ich dachte an das Telefongespräch, das ich mitangehört hatte. Esselmann hatte erwähnt, daß sich die Behörde zu irgendeiner Vereinbarung hatte überreden lassen, während er im Krankenhaus lag. »Hat Stockton seine Pläne vorangetrieben, während Esselmann krank war?«
»Darauf können Sie wetten. Es wäre ihm ja auch beinahe gelungen. Jetzt, wo Esselmann wieder da ist, nutzt er seinen Einfluß voll aus, damit der Antrag abgelehnt wird.«
Die Frau vor uns drehte sich um und warf uns einen vorwurfsvollen Blick zu. »Hier wird immer noch verhandelt, falls Sie nichts dagegen haben.«
»Entschuldigung.«
Der Vorsitzende der Wasserbehörde bemühte sich verzweifelt darum, die Ordnung wiederherzustellen, während das Publikum daran nicht besonders interessiert zu sein schien.
Ich hielt mir die Hand vor den Mund. »Haben sie darüber schon abgestimmt?« fragte ich leiser.
Er schüttelte den Kopf. »Die Sache kam vor einem Jahr zum ersten Mal zur Sprache, und die Wasserbehörde hat eine Sonderkommission eingesetzt, die alles untersuchen und Empfehlungen aussprechen sollte. Sie ließen Umweltstudien erstellen. Sie wissen ja, wie das läuft. Meistens ist es nur eine Verzögerungstaktik in der Hoffnung, daß die Sache dann vom Tisch ist. Die Angelegenheit kommt erst nächsten Monat zur Abstimmung. Deshalb werden zu diesem Thema immer noch Anhörungen abgehalten.«
Die Frau vor uns hob einen Finger an die Lippen, und unser Gespräch verstummte.
In der Zwischenzeit hatte sich Esselmann mit hochrotem Gesicht abrupt auf seinen Stuhl fallen lassen. Serena ging um den Tisch herum und setzte sich zu seinem Mißfallen an seine Seite. Stubby Stockton war nirgends zu sehen, aber seine immer noch wütende Stimme drang vom Innenhof her an mein Ohr. Irgend jemand versuchte, ihn zu beruhigen, aber ohne großen Erfolg. Die Versammlung verlief in ruhigeren Bahnen weiter, und der Vorsitzende ging geschickt zum nächsten Punkt der Tagesordnung über, einer Vereinbarung über Sprinkleranlagen, die niemanden erhitzte. Als ich mich endlich hinausschlich, war Stockton verschwunden und der Innenhof leer.