Vorwort
Von Zeit zu Zeit tue ich etwas, das noch
beängstigender ist, als kranke und verdrehte Geschichten und Romane
zu schreiben: Ich schnappe mir ein Mikrofon und stelle mich in
einen Raum voller Menschen.
Nein, ich spreche nicht von American Idol;
es geht darum, dass ich Schreiben unterrichte.
Eine der am häufigsten gestellten Fragen, wenn
ich Professor spiele, ist folgende: Soll ich damit anfangen,
Kurzgeschichten zu schreiben, und mich dann zu Romanen
hocharbeiten? Meine Antwort lautet: Nein. Es ist nicht so, als
würde man mit Dreiradfahren beginnen und allmählich zu einem
Fahrrad aufsteigen. Verzeihen Sie meinen unbeholfenen Metaphernmix,
aber Romane und Kurzgeschichten sind nicht einmal wie Äpfel und
Birnen; sie sind wie Äpfel und Kartoffeln.
Romane wollen den Leser auf allen Ebenen
emotional gefangen nehmen, und um dieses Ziel zu erreichen, muss
der Autor seine Figuren ausführlich und in die Tiefe gehend
entwickeln, er muss realistische Szenarien erschaffen, umfangreiche
Recherchen betreiben und ein strukturiertes Erzähltempo
einschlagen, das zwischen nachdenklichen und aufregenden Passagen
wechselt.
Eine Kurzgeschichte ist anders. Wie ich in der
Einleitung zu meiner ersten Sammlung von Geschichten schrieb,
liegt der Witz bei einer Kurzgeschichte nicht in einer
Achterbahnfahrt voller überraschender Wendungen, mit Figuren, über
die der Leser mit der Zeit einiges erfahren hat und die er liebt
oder hasst; es geht auch nicht um spezielle Schauplätze mit
sorgfältig beschriebener Atmosphäre. Kurzgeschichten sind wie die
Kugeln eines Heckenschützen. Schnell und vernichtend. In solch
einer Geschichte kann man aus dem Guten Böses und aus dem Bösen
noch Böseres machen, und was am meisten Spaß macht: aus wirklich
Gutem wirklich Böses.
Für mich ist es das überraschte »O mein Gott«,
worauf es bei Kurzgeschichten ankommt. Vor ein paar Jahren schrieb
ich ein Buch über einen psychotischen Zauberkünstler [»Der faule
Henker«], und ich erkannte, dass das Buch in gewisser Weise von mir
handelte (als Autor, wie ich rasch anfügen darf, nicht als
Psychopath oder Zauberer). Bei der Recherche zu dem Buch lernte ich
viel über Fingerfertigkeit, Irreführung, Ablenkung und Illusion,
und mir wurde klar, dass ich mich seit Jahren genau solcher Tricks
bedient hatte, um meine Leser einzulullen und sie dann – peng –
aufzuschrecken, wenn sie es am wenigsten erwarten.
Während sie meine linke Hand beobachten, holt die
rechte zum Schlag aus.
Seit jene erste Sammlung 2003 veröffentlicht
wurde, habe ich mir weiter schuldbewusst das Vergnügen gemacht, hin
und wieder ein, zwei Tage freizunehmen, um weitere Geschichten zu
schreiben, die allesamt dieser oben beschriebenen Philosophie
anhängen: Alle Moral und alles Gefühl über Bord zu werfen, um auf
die Wendung hinzuarbeiten, die einem das Blut gerinnen lässt.
Wie in meiner ersten Sammlung finden Sie auch in
dieser Geschichten der unterschiedlichsten Art, die alle meine
Lieblingsthemen zum Inhalt haben: Rache, Wollust, Psychosen, Verrat
und Gier, zusammen mit einer (wenn man so sagen darf) gesunden
Dosis an zerrütteten Familienverhältnissen. Eine Geschichte spielt
in Italien, eine andere im viktorianischen England. Eine hat einen
aalglatten Anwalt in einer kleinen Stadt zum Helden, und eine
andere entdeckt leichtgläubige Touristen in einer großen. Sie sehen
Voyeure, ruchlose Mörder, meine Version des Da Vinci Code
und sogar eine Geschichte über einen – wer hätte es gedacht –
Krimiautor.
Und für alle, die gern einen Einblick in
handwerkliche Kniffe gewinnen möchten, habe ich ein kurzes Nachwort
zu einer der Geschichten (»Angst«) in den Band mit aufgenommen, das
illustriert, wie ich die Idee der Angst in meine Geschichten
einbaue. Ich habe es ans Ende gesetzt, um keine Überraschungen zu
verraten.
Zu guter Letzt ein Wort des Dankes an alle, die
mich ermutigt haben, diese Geschichten zu schreiben, vor allem an
Janet Hutchins und ihr unschätzbares Ellery Queens Mystery
Magazine, an Marty Greenburg, Otto Penzler, Deborah Schneider,
David Rosenthal, Marysue Rucci und, wie immer, Madelyn
Warcholik.
Also, lehnen Sie sich zurück, und genießen Sie
das Buch – und schauen Sie, ob Sie schlauer sind als ich. Lassen
Sie meine rechte Hand nicht aus dem Auge.
Oder war es die linke?