Kalte Rache
»Wir haben Grund zu der Annahme, dass ein Mann
Ihnen Schaden zufügen will, Sir.«
Der untersetzte, muskulöse Stephen York stand auf
dem heißen Gehsteig vor seinem Bürogebäude und wippte auf seinen
Bally-Schuhen vor und zurück.
Ihnen Schaden zufügen.
Was sollte das heißen, verdammt?
York stellte seine Sporttasche ab. Der
einundfünfzigjährige Investmentbanker blickte von dem älteren
Detective der Polizei von Scottsdale, der ihm diese Mitteilung
gemacht hatte, zu dessen jüngerem Partner. Die Polizisten waren
leicht auseinanderzuhalten. Der ältere, blonde Bill Lampert war
blass wie Milch, als wäre er via Minnesota nach Scottsdale gekommen
– ein Ortswechsel, der ziemlich häufig stattfand, wie York erfahren
hatte. Der andere Beamte, Juan Alvarado, hatte seine Wurzeln ohne
Zweifel in der näheren Gegend.
»Wer?«, fragte York.
»Er heißt Raymond Trotter.«
York überlegte und schüttelte dann den Kopf. »Noch
nie von ihm gehört.« Er betrachtete das Bild, das ihm der Polizist
entgegenstreckte. Aus dem Führerschein, wie es aussah. »Kommt mir
nicht bekannt vor. Wer ist das?«
»Wohnt hier in der Stadt. Er besitzt eine
Landschaftsgärtnerei.«
»Warten Sie, die kenne ich. Draußen an der
Interstate?« York glaubte, dass Carole dort schon eingekauft
hatte.
»Ja, die große.« Lampert wischte sich über die
Stirn.
»Und er hat ein Problem mit mir? Welcher Art?« York
setzte seine Armani-Sonnenbrille auf. Um fünfzehn Uhr war die
Nachmittagssonne in Arizona wie ein Schweißbrenner.
»Das wissen wir nicht.«
»Was wissen Sie denn überhaupt?«
»Wir haben einen Tagelöhner wegen Drogenbesitzes
verhaftet«, erklärte Alvarado. »Einen Illegalen. Hector Diaz. Er
wollte einen Handel mit der Anklage eingehen und erzählte uns, er
habe Informationen über ein mögliches Verbrechen. Anscheinend hat
er ab und an für diesen Trotter gearbeitet. Vor ein paar Tagen kam
Trotter zu ihm und bot ihm tausend Dollar, damit er bei Ihnen zu
Hause vorbeischaut und nachfragt, ob Sie jemanden für Gartenarbeit
brauchen. Und während er bei Ihnen wäre, sollte er Ihr Alarmsystem
auskundschaften.«
»Das ist nicht Ihr Ernst.«
»Doch.«
Was sollte das alles? Trotz der Temperaturen von an
die vierzig Grad Celsius lief es York kalt über den Rücken. »Meine
Alarmanlage? Wozu?«
»Trotter hat Diaz nur so viel erzählt, dass er
Ihnen etwas heimzahlen wollte, was Sie getan haben.«
»Heimzahlen?« York schüttelte frustriert den Kopf.
»Himmel, Sie kommen hier an, erzählen mir diesen Mist, jemand wolle
mir, wie Sie es ausgedrückt haben, Schaden zufügen, und Sie haben
keine Ahnung, worum es überhaupt geht?«
»Nein, Sir. Wir hatten gehofft, dass Sie uns das
sagen können.«
»Tja, kann ich aber nicht.«
»Okay, wir überprüfen diesen Trotter. Aber wir
empfehlen Ihnen, ein Auge auf alles zu haben, was Ihnen merkwürdig
vorkommt.«
»Warum verhaften Sie den Mann nicht?«
»Er hat keine Straftat begangen«, sagte Lampert.
»Ohne Hinweis auf eine offenkundige Handlung können wir leider
nichts tun.«
Ihnen Schaden zufügen...
Hinweis auf eine offenkundige
Handlung...
Vielleicht würden sie ihre Aufgabe als Polizisten
besser erfüllen, wenn sie verdammt noch mal aufhörten, wie
Soziologieprofessoren daherzureden. York war nahe dran, ihnen das
zu sagen, aber er nahm an, sein angewiderter Gesichtsausdruck
reichte als Botschaft.
York versuchte die Begegnung mit den Beamten aus
seinem Kopf zu streichen und fuhr ins Fitnessstudio. Er brauchte
jetzt unbedingt Training. Er hatte gerade eine äußerst mühsame
Verhandlung mit zwei Männern hinter sich, Besitzern einer kleinen
Fabrik, die er kaufen wollte. Die alten Knaben waren sehr viel
gerissener gewesen, als er gedacht hatte. Sie hatten ein paar
clevere Forderungen gestellt, die York richtig Geld kosten würden.
Er hatte sie sehr herablassend angesehen und war dann aus dem Büro
des Anwalts gestürmt. Sollten sie ruhig ein, zwei Tage schmoren. Er
würde wahrscheinlich nachgeben, aber sie sollten nicht denken, dass
sie ihn eingeschüchtert hätten.
Er stellte den Wagen auf dem Parkplatz des Studios
ab, stieg aus und ging in der sengenden Hitze zur
Eingangstür.
»Hallo, Mr. York, Sie sind früh dran heute.«
Er nickte Gavin, dem Angestellten am Empfang,
zu.
»Ja, hab mich rausgeschlichen, als keiner geguckt
hat.«
Er zog sich um und ging zum Aerobic-Raum, der im
Augenblick leer war. Er ließ sich für seine Dehnübungen auf die
Matte fallen. Nach zehn Minuten Gymnastik wechselte er zu den
Geräten, er trainierte intensiv, absolvierte seine üblichen zwanzig
Wiederholungen bei jeder Übung und schloss mit Sit-ups. In seinem
Job als einer von drei Partnern einer großen Risikokapitalfirma in
Scottsdale musste er häufig Leute zum Essen einladen und lange
Stunden am Schreibtisch verbringen; zuletzt hatten seine Hosen um
die Mitte herum ein wenig gespannt.
Er mochte es nicht, wenn er schwabbelig war. Und
Frauen mochten es auch nicht, egal, was sie einem erzählten. Mit
einer Platinkarte von American Express lässt sich zwar vieles
überspielen, aber wenn es Zeit fürs Bett ist, lieben die Mädels
einen Waschbrettbauch.
Nach den Sit-ups sprang er aufs Laufband.
Eine Meile, zwei, drei …
Er versuchte, dieses schwierige Geschäft aus dem
Kopf zu kriegen – was war das bloß, verdammt noch mal, mit diesen
klapprigen alten Furzern? Wie konnten die noch so gerissen sein?
Sie gehörten längst in ein Altersheim.
Fünf Meilen …
Und wer war dieser Raymond Trotter?
Etwas heimzahlen...
Er durchforstete sein Gedächtnis erneut, aber er
kam auf keinen Treffer bei dem Namen.
Er versenkte sich in den Rhythmus seiner hämmernden
Füße. Bei sieben Meilen verlangsamte er zu Schritttempo, kühlte
sich ab und schaltete das Laufband aus. York legte sich ein
Handtuch um den Nacken, ignorierte den koketten Blick einer Frau,
die hübsch, aber ein paar Jahre zu alt war, um das Risiko wert zu
sein, und kehrte in den Umkleideraum zurück. Dort zog er sich aus,
griff nach einem frischen Handtuch und machte sich auf den Weg zur
Sauna.
York mochte diesen Teil des Clubs, weil er abseits
lag und nur sehr wenige Mitglieder um diese Tageszeit hierherkamen.
Im Augenblick war er völlig menschenleer. York spazierte den
gefliesten Korridor entlang. Er hörte ein Geräusch aus einem
Seitengang. Ein Klicken, dann etwas, das sich wie Schritte anhörte,
wenngleich er sich nicht ganz sicher war. War noch jemand hier? Er
kam an die Kreuzung und schaute. Nein, der Flur war leer. Aber er
hielt inne. Etwas war anders. Aber was? Dann wurde ihm klar, dass
es ungewöhnlich dunkel war. Er schaute zur Decke hinauf. Mehrere
Lichtröhren fehlten. Für viertausend Dollar Mitgliedsbeitrag im
Jahr brachten sie es nicht fertig, die Leuchtkörper auszuwechseln?
Mann, dafür würde er Gavin aber zusammenstauchen. Die düstere
Beleuchtung sorgte zusammen mit einem leisen, schlangenartigen
Zischen für eine gespenstische Atmosphäre.
Er ging zur Tür der Sauna weiter, hängte sein
Handtuch an einen Haken und drehte die Temperatur hoch. Er hatte
gerade einen Schritt in die Sauna gemacht, als ihm ein scharfer
Schmerz in den Fuß fuhr.
»Verdammt!«, rief er aus, sprang zurück und hob die
Fußsohle, um zu sehen, was ihn gestochen hatte. Ein Holzsplitter
ragte aus seinem Fußballen. Er zog ihn heraus und drückte die Hand
auf die winzige blutende Wunde. Mit einem Blick auf den Boden,
dort, wo er aufgetreten war, sah er mehrere andere Splitter.
Gavin würde sich heute aber ganz schön was anhören
dürfen, oh ja. Yorks Zorn schwand jedoch, als er nun auf dem Boden
die mutmaßliche Quelle der Splitter entdeckte: zwei Holzkeile,
anscheinend von Hand geschnitzt, lagen neben der Tür. Sie sahen aus
wie Türstopper, nur dass die Saunatür hier über zwei Stufen
angebracht war. Sie ließ sich nicht durch Keile offen halten.
Aber man konnte die Keile sehr wohl dazu benutzen,
die Tür geschlossen zu halten, wenn man sie in den Türstock
klemmte. Sie würden perfekt passen. Es wäre allerdings verrückt,
das zu tun. Eine in der Sauna eingeschlossene Person hätte keine
Möglichkeit, die Temperatur herunterzudrehen oder um Hilfe zu
rufen; es gab keine Regler in der Kabine. Und die Hitze in einer
Sauna konnte tödlich sein. York und seine Frau hatten erst vor
kurzem im Lokalfernsehen einen Bericht über eine Frau in Phoenix
gesehen, die in ihrer Sauna ohnmächtig geworden und gestorben
war.
Während York die Keile in seiner Hand betrachtete,
ließ ihn ein plötzliches Klicken irgendwo in der Nähe
zusammenzucken. Er drehte sich um und sah einen Schatten an der
Wand, als würde ein Mensch innehalten. Dann verschwand der
Schatten.
»Hallo?«, rief York.
Schweigen.
York ging in den Flur. Niemand war zu sehen. Dann
fiel sein Blick auf den Notausgang, der nicht ganz geschlossen zu
sein schien.
Er blickte hinaus. Die Gasse war leer. Als er sich
wieder umdrehte, bemerkte er, dass der Türriegel mit Klebeband
unten gehalten wurde, sodass man durch die Notausgangstür unbemerkt
ins Gebäude schlüpfen konnte.
Ihnen Schaden zufügen...
Fünf Minuten später eilte York, ohne geduscht zu
haben, aus dem Club; er hielt sich nicht einmal damit auf, Gavin
die verdiente Standpauke zu halten. Der Geschäftsmann hatte die
Keile und das Stück Klebeband, in Papierhandtücher gewickelt,
mitgenommen. Er war vorsichtig. Wie jeder Mensch, der heutzutage
fernsah, wusste er alles über die Kunst, Fingerabdrücke zu
bewahren.
»Sie sind da drin.«
Stephen York gab dem bleichgesichtigen Detective
Bill Lampert das Papierhandtuch.
»In Ihrem Fitnessstudio, sagten Sie?«, fragte der
Detective und besah sich die Keile und das Klebeband.
»Genau.« York konnte der Versuchung nicht
widerstehen, den Namen des exklusiven Ladens anzufügen.
Lampert wirkte unbeeindruckt. Er ging zum Eingang
und händigte Alvarado die Beweismittel aus. »Abdrücke,
Werkzeugspuren, aber schnell.« Der junge Beamte verschwand.
Lampert wandte sich wieder an York. »Aber niemand
hat tatsächlich versucht, Sie am Verlassen der Sauna zu
hindern?«
Am Verlassen zu hindern?, fragte sich York.
Er meint wohl: Einsperren und zu Tode schmoren. »Nein.« Er
zog eine Zigarre hervor. »Darf ich?«
»Im Gebäude ist Rauchen verboten«, erwiderte
Lampert.
»Ja, gut, theoretisch vielleicht, aber...«
»Im Gebäude ist Rauchen verboten.«
York steckte die Zigarre weg. »Ich deute es so,
dass Trotter meinen Tagesablauf ausgekundschaftet hat. Er
verschaffte sich Zugang zum Club und manipulierte die Hintertür,
sodass er hineinkonnte, ohne dass er in der Eingangshalle gesehen
wurde.«
»Wie hat er das angestellt? Ist er Mitglied?«
»Das weiß ich nicht.«
Lampert streckte den Finger in die Höhe. Er rief
den Fitnessclub an und führte ein kurzes Gespräch. »Er ist nicht
als Mitglied eingetragen und war im letzten Monat auch nicht als
Gast dort.«
»Dann hat er sich mit einem gefälschten Ausweis
oder so als Gast angemeldet.«
»Gefälschter Ausweis? Das ist... ein bisschen
kompliziert, finden Sie nicht?«
»Irgendwie ist das Arschloch jedenfalls
hineingekommen. Er wollte mich in der Sauna einsperren, aber ich
habe ihn vermutlich überrascht, er hat die Keile fallen gelassen
und ist abgehauen.«
Alvarado kam ins Büro seines Chefs. »Keine
Fingerabdrücke. Die Werkzeugspuren sind nicht besonders ausgeprägt,
aber falls wir eine Feile oder einen Meißel finden würden, könnten
wir einen Abgleich machen.«
York lachte. »Keine Fingerabdrücke? Das beweist
doch, dass da irgendwas faul ist, oder?«
Lampert ignorierte ihn. Er nahm ein Blatt Papier
von seinem Schreibtisch und überflog es. »Wir haben uns diesen
Trotter mal angesehen. Wirkt völlig normal. Keine polizeilichen
Einträge bis auf ein paar Strafzettel. Es gibt aber doch etwas. Ich
habe mit der Veteranenbehörde in Phoenix gesprochen, und es stellte
sich heraus, dass sie eine Akte über ihn haben. Er war im ersten
Golfkrieg in Kuwait. Seine Einheit hat es übel erwischt. Die Hälfte
seiner Männer fiel, und er selbst wurde schwer verwundet. Nach
seiner Entlassung zog er hierher und war ein Jahr lang in
psychiatrischer Behandlung. Die Akte enthält die Aufzeichnungen
seines Psychiaters. Es ist alles unter Verschluss – ärztliche
Schweigepflicht -, und wir dürfen es nicht einsehen, aber ich habe
einen Kumpel in der Veteranenverwaltung, der mir sagte, worum es im
Wesentlichen ging. Nach seiner Dienstzeit geriet Trotter
anscheinend hier und in Albuquerque in üble Gesellschaft. Leute,
die sich als Schläger anheuern ließen. Es ist eine Weile her, und
er wurde nie verhaftet, aber trotzdem...«
»Großer Gott... Dann könnte es also sein, dass ihn
jemand angeheuert hat?«
»Wen haben Sie derart wütend gemacht, dass er zu
solchen Mitteln greift, um es Ihnen heimzuzahlen?«
»Ich weiß nicht. Darüber müsste ich
nachdenken.«
»Kennen Sie den Ausdruck«, fragte Alvarado, »›Rache
ist ein Gericht, das man am besten kalt serviert‹?«
»Ja, ich glaube, ich hab es schon mal
gehört.«
»Es könnte jemand aus Ihrer fernen Vergangenheit
sein. Denken Sie weit zurück.«
»Okay. Aber was machen wir in der Zwischenzeit?«,
fragte York und wischte sich die schwitzenden Handflächen an der
Hose ab.
»Fahren wir zu ihm, und reden wir mit ihm. Mal
sehen, was er zu sagen hat.« Der Detective griff zum Telefon und
machte einen Anruf.
»Mr. Trotter, bitte... Verstehe. Könnten Sie mir
sagen, wann?... Danke. Nein, keine Nachricht.« Er legte auf. »Er
ist gerade nach Tucson aufgebrochen. Er wird morgen Vormittag
zurück sein.«
»Wollen Sie ihn nicht aufhalten?«
»Warum?«
»Vielleicht versucht er nach Mexiko zu
fliehen.«
Lampert zuckte die Achseln und öffnete die Akte
eines anderen Falls. »Dann wären Sie das Problem ja wohl
los.«
York hielt vor seiner Fünf-Millionen-Dollar-Villa
am Rand der Wüste und stieg aus seinem Mercedes. Er schloss die
Türen und blickte sich um, ob ihm auch niemand gefolgt war. Keine
Spur von irgendwem. Dennoch schob er den Türriegel vor, nachdem er
das Haus betreten hatte.
»Hallo, Schatz.« Carole begrüßte ihn in der
Eingangshalle in ihrem Fitnesstrikot. Seine dritte Frau war
mattblond und sehr schön. (»Ihr beide seid ein prächtiger Anblick«,
hatte ein Geschäftspartner einmal gesagt). Sie waren seit drei
Jahren zusammen. Als frühere Sekretärin, die sich zur
Privattrainerin gewandelt hatte, verfügte Carole genau im richtigen
Maß über das, was York »am Ball sein, aber ihn nicht kriegen«
nannte. Sollte heißen, sie konnte Konversation machen, ohne
peinlich zu sein, wusste jedoch zu schweigen, wenn man es von ihr
erwartete – und stellte nicht zu viele Fragen, wo er gewesen war,
wenn er spät nach Hause kam oder kurzfristig geschäftlich verreisen
musste.
Sie sah zur Tür. »Was soll das?« Sie verriegelten
die Tür sonst nie.
York musste vorsichtig sein. Man musste Carole
immer alles in einfachen Worten erklären, und wenn sie nicht
verstand, was er ihr sagte, rastete sie aus. Und ihre Art von
Hysterie konnte sehr hässlich sein. Das war etwas, was er bei
dummen Menschen häufig feststellte, sie drehten durch, wenn man sie
mit etwas konfrontierte, das sie nicht verstanden.
Also log er. »Gestern ist bei Nachbarn eingebrochen
worden.«
»Davon hab ich nichts gehört.«
»War aber so.«
»Bei wem?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
Ein leises Kichern – eine Angewohnheit von ihr, die
er je nach Laune ärgerlich oder sexy fand. »Du weißt nicht, bei
wem? Das ist aber komisch.«
Heute war es ein ärgerliches Kichern.
»Irgendwer hat es mir erzählt, aber ich hab’s
vergessen. Ich hatte viel um die Ohren.«
»Gehen wir zum Essen in den Club?«
»Ich bin fix und fertig, Baby. Ich mach uns was auf
dem Grill, was hältst du davon?«
»Natürlich, ist okay.«
Er merkte ihr an, dass sie enttäuscht war, aber
York wusste, wie er ein sinkendes Schiff retten konnte; er mixte
rasch Cocktails – doppelte – und bugsierte sie zum Pool, wo er eine
Yanni-CD auflegte. Nach zwanzig Minuten hatten der Alkohol und die
Musik ihre Enttäuschung gemildert, und sie plapperte davon, dass
sie in ein paar Wochen ihre Familie in Los Angeles besuchen wolle
und ob er etwas dagegen habe, eine Weile Strohwitwer zu sein.
»Wie du willst.« Er ließ sich eine Minute Zeit,
dann sagte er betont beiläufig: »Ich überlege mir, ein paar
Pflanzen fürs Büro anzuschaffen.«
»Soll ich dir helfen?«
»Nein, Marge kümmert sich darum. Hast du schon mal
bei der großen Gärtnerei draußen am Highway gekauft?
Trotter?«
»Ich weiß nicht. Ich glaub schon. Ist eine Weile
her.«
»Haben sie mal etwas hierher geliefert?«
»Nein, ich habe nur ein paar Pflanzen fürs Haus
gekauft und selbst mitgenommen. Wieso?«
»Ich wollte nur wissen, ob ihr Service gut
ist.«
»Jetzt fängst du an, Räume zu dekorieren. Krass.«
Ein weiteres Kichern.
Er brummte etwas, ging in die Küche und zog den
Kühlschrank auf.
Während York eine Macanudo rauchte und seinen Wodka
Tonic trank, grillte er Steaks und machte Salat, dann aßen sie
schweigend. Nachdem Carole das Geschirr abgeräumt hatte, zogen sie
ins Wohnzimmer um und sahen fern. Carole wurde verschmust.
Normalerweise hieß das, es wurde Zeit für die heiße Wanne oder das
Bett – manchmal auch der Boden -, aber heute sagte er: »Geh schon
mal nach oben, Süße. Ich muss mir noch ein paar Zahlen
ansehen.«
»Oh.« Sie zog eine Schnute.
»Ich komme gleich nach.«
»Ja, okay.« Sie seufzte, griff nach einem Buch und
stieg die Treppe hinauf.
Als er die Tür zufallen hörte, ging er in sein
Arbeitszimmer, ließ das Licht aus und spähte hinaus in die
mondbeschienene Wüste hinter dem Haus. Schatten, Felsen, Kakteen,
Sterne... es war eine Ansicht, die er liebte. Sie veränderte sich
unablässig. Er blieb fünf Minuten hier, dann goss er sich einen
großen Scotch ein, schleuderte die Schuhe von den Füßen und
streckte sich auf der Couch aus.
Ein Schluck von dem rauchigen Schnaps. Und noch
einer.
Vergeltung...
Und Stephen York trat eine Reise durch seine
Vergangenheit an und suchte nach einem Grund, warum Trotter oder
irgendwer sonst seinen Tod wünschen könnte.
Da ihm die überspannte Carole noch im Kopf
herumspukte, dachte er zuerst an die Frauen in seinem Leben. Er
ging seine Ex-Frauen durch. York war derjenige gewesen, der die Ehe
jeweils beendet hatte. Seine erste Frau, Vicky, war wie von Sinnen
gewesen, als er ihr sagte, dass er sie verlassen würde. Sie hatte
geweint und ihn angefleht zu bleiben, obwohl sie um die Affäre mit
seiner Sekretärin wusste. Aber er war unnachgiebig geblieben, was
die Scheidung anging, und hatte bald jeden Kontakt mit ihr
abgebrochen, außer was die finanziellen Angelegenheiten wegen ihres
Sohns Randy betraf.
Aber würde sie tatsächlich einen Killer anheuern,
um es ihm heimzuzahlen?
Ausgeschlossen, entschied er. Vickys Reaktion auf
die Trennung bestand darin, das Opfer zu spielen, nicht die
rachsüchtige Ex-Frau. Außerdem hatte York sie fair behandelt. Er
hatte sofort Alimente und Unterhalt bezahlt und ein paar Jahre
später den Sorgerechtsentscheid nicht angefochten, der ihm das
Besuchsrecht für ihren Sohn entzog.
York und seine zweite Frau waren nur zwei Jahre
zusammen gewesen. Sie hatte sich als zu widerborstig für ihn
herausgestellt, zu liberal. Diese Trennung war allerdings
Holyfield gegen Tyson gewesen, purer Kampf. Susan, eine
energiegeladene Wirtschaftsanwältin, ging mit einem Haufen Geld aus
der Geschichte heraus, mehr als genug, um ihren angeknacksten Stolz
zu heilen. (York verließ sie für eine Frau, die sechzehn Jahre
jünger und zwanzig Pfund schlanker war.) Sie nahm außerdem ihre
Karriere zu ernst, um sie für illegale Aktionen gegen ihn aufs
Spiel zu setzen. Sie hatte wieder geheiratet – einen Militärberater
und früheren Colonel der Armee, den sie kennengelernt hatte, als
sie für ihren Klienten einen Vertrag mit der Regierung aushandelte
-, und York war überzeugt, er selbst kam auf ihrem Radarschirm
nicht mehr vor.
Ex-Freundinnen? Die üblichen Verdächtigen … Aber wo
sollte man da anfangen? Es waren fast mehr, als er zählen konnte.
Es hatte ein paar üble Trennungen gegeben, er hatte manche von
ihnen benutzt, manche belogen. Natürlich war er seinerseits
ebenfalls von Frauen benutzt und belogen worden. Im Großen und
Ganzen glich es sich vermutlich aus. So lief das Spiel eben.
Niemand, der bei Verstand war, würde einen Killer engagieren, nur
weil einen ein Liebhaber verlassen hatte.
Wer kam noch in Frage?
Am wahrscheinlichsten, befand er, war jemand, mit
dem er geschäftlich zu tun gehabt hatte.
Doch auch davon gab es mehr als genug. Dutzende
fielen ihm ein. In seiner Zeit als Handelsvertreter einer
Pharmafirma hatte er einen seiner Kollegen angeschwärzt, weil er
bei der Spesenabrechnung betrogen hatte. (York hatte ihn nicht aus
Loyalität zum Unternehmen hingehängt, sondern um den Bezirk des
Typen zu erbeuten.) Der Mann wurde entlassen und schwor
Rache.
Er war außerdem an der Akquisition Dutzender von
Firmen in den letzten zehn Jahren beteiligt gewesen; Hunderte von
Angestellten hatten als Folge davon ihren Arbeitsplatz verloren. An
einen erinnerte er sich besonders – ein Vertreter, der nach seiner
Entlassung in Tränen aufgelöst zu ihm gekommen war und um eine
zweite Chance gebeten hatte. York war jedoch bei seiner
Entscheidung geblieben – hauptsächlich, weil ihm das Geheul des
Mannes missfiel. Eine Woche später brachte sich der Vertreter um;
in seinem Abschiedsbrief hieß es, er habe als Mann versagt, weil er
nicht mehr für seine Frau und seine Kinder sorgen könne. Zwar war
York wohl kaum für so ein verrücktes Verhalten verantwortlich zu
machen, aber möglicherweise sahen die Hinterbliebenen des Mannes
das anders. Vielleicht war Trotter der Bruder oder beste Freund des
Mannes oder war von ihnen engagiert worden.
Er rief sich einen weiteren Zwischenfall ins
Gedächtnis: Bei dieser Gelegenheit hatte er einen konkurrierenden
Risikokapitalgeber von einem Privatdetektiv ausspionieren lassen
und herausgefunden, dass er schwul war. Der Klient, den sie beide
umwarben, war ein Schwulenhasser. Während eines Abendessens ließ
York unauffällig sein Insiderwissen über den Rivalen fallen, und am
nächsten Tag bekam Yorks Unternehmen den Auftrag. Hatte er
es herausgefunden und Trotter angeheuert?
Noch andere Sünden?
Na und ob, dachte York angewidert.
Erinnerte sich an einen Vorfall im College, einen
aus dem Ruder gelaufenen Studentenstreich, der damit geendet hatte,
dass ein Junge betrunken auf einen Polizisten einstach. Er war des
Colleges verwiesen worden und bald darauf verschwunden. York
erinnerte sich nicht mehr an seinen Namen. Es hätte Trotter sein
können.
Ein Dutzend anderer Vorfälle drängten in seine
Gedanken, zwei Dutzend, drei – Leute, die er missachtet und
beleidigt hatte, Lügen, die er erzählt, und Geschäftspartner, die
er betrogen hatte... Sein Gedächtnis spuckte nicht nur die ernsten
Vergehen aus, sondern auch die Kleinigkeiten: Unhöflichkeit zu
Bedienungen, eine ältere Dame, die er bei einem Autokauf
übervorteilt hatte, Lachen, als das Toupet eines Mannes bei starkem
Wind davonflog …
Es war ermüdend, sie alle noch einmal zu
durchleben.
Noch ein Schluck Scotch... und noch einer.
Das Nächste, woran er sich erinnerte, war, dass die
Sonne durch das Fenster hineinschien. Er kniff vor Kopfweh die
Augen zusammen und schaute benommen auf die Uhr. Oh, verdammt, es
war schon neun... Warum hatte ihn Carole nicht geweckt? Sie wusste,
dass er heute Vormittag zwei Geschäftsverhandlungen hatte. Manchmal
dachte die Frau aber auch wirklich nicht mit.
York taumelte in die Küche, und Carole blickte vom
Telefon auf. Sie lächelte. »Frühstück ist fertig.«
»Du hast mich schlafen lassen.«
Sie sagte zu ihrer Freundin, sie würde wieder
anrufen, und legte auf. »Ich dachte, du bist müde. Und du hast
einfach zu süß ausgesehen, so in die Couch gekuschelt.«
Süß. Gott im Himmel... Er zuckte vor Schmerz
zusammen. Sein Hals war steif, weil er in einer verdrehten Stellung
geschlafen hatte.
»Ich habe keine Zeit für Frühstück«, brummte
er.
»Meine Mutter hat immer gesagt, das
Frühstück...«
»... ist die wichtigste Mahlzeit des Tages. Das
hast du mir schon erzählt. Ungefähr hundertmal.«
Sie verstummte. Dann stand sie auf und ging mit
ihrem Kaffee und dem Telefon ins Wohnzimmer.
»Baby, ich wollte nicht...«
York seufzte. Manchmal musste man wie auf
Eierschalen gehen... Er zog sich ins Schlafzimmer zurück. Als er
gerade im Arzneischränkchen nach Aspirin kramte, läutete das
Telefon.
»Für dich«, verkündete seine Frau kühl.
Es war Detective Bill Lampert. »Trotter ist wieder
in der Stadt. Fahren wir ihm guten Tag sagen. Wir holen Sie in
zwanzig Minuten ab.«
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Raymond Trotter?«
»Richtig.«
Bill Lampert und Juan Alvarado standen vor Trotters
Gartenbau und Baumschule, einem ausufernden Komplex aus flachen
Gebäuden, Gewächshäusern und Pflanzschuppen, und musterten den Mann
mittleren Alters. Lampert bemerkte, dass er in sehr guter
Verfassung war: schlank, mit breiten Schultern. Das braune, grau
durchsetzte Haar war kurz geschnitten, das kantige Gesicht perfekt
rasiert, kein Stäubchen auf dem blauen Jogginganzug.
Selbstbewusster Blick. Der Detective überlegte, ob sich
Überraschung in seinen Augen spiegelte, als er ihre Dienstmarken
sah, und vielleicht noch mehr Überraschung beim Anblick von Stephen
York, der hinter ihnen stand. Trotter stellte den großen Kaktus ab,
den er in Händen hielt.
»Sir, unseres Wissens haben Sie private
Informationen über Mr. York hier eingeholt.«
»Über wen?«
Gute Antwort, dachte Lampert. Er wies mit einem
Kopfnicken hinter sich. »Über den Gentleman hier.«
Trotter runzelte die Stirn. »Ich fürchte, Sie irren
sich. Ich kenne den Herrn nicht.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja.«
»Kennen Sie einen Mann namens Hector Diaz?
Mexikaner, fünfunddreißig, untersetzt. Er hat als Tagelöhner für
Sie gearbeitet.«
»Ich habe schon Hunderte von Tagelöhnern
angeheuert. Von den meisten weiß ich nicht einmal, wie sie heißen.
Geht es hier um illegale Immigranten? Ich habe meine Leute
angewiesen, sich die Papiere zeigen zu lassen.«
»Nein, darum geht es nicht. Dieser Diaz behauptet,
Sie hätten ihn über die Sicherheitsmaßnahmen von Mr. York
befragt.«
»Was?« Dann kniff Trotter wissend die Augen
zusammen. »Wie ist es zu der Sache gekommen? Kann es sein, dass
dieser Diaz wegen etwas verhaftet wurde?«
»Das stimmt.«
»Also hat er eine Geschichte über einen früheren
Arbeitgeber erfunden, um sich ein milderes Urteil zu erkaufen.
Kommt das nicht vor?«
Lampert und sein Partner wechselten einen Blick.
Was immer dieser Trotter sonst war, dumm war er nicht.
»Gelegentlich, sicher.«
»Nun, ich habe nichts von dem getan, was der Mann
behauptet.« Die durchdringenden Augen wanderten zu York.
Alvarado übernahm das Sprechen. »Waren Sie gestern
im Scottsdale Health and Racquet Club?«
»Wo?... Ach, dieser Nobelschuppen! Nein, für so
etwas gebe ich mein Geld nicht aus. Außerdem war ich in
Tucson.«
»Bevor Sie nach Tucson gefahren sind.«
»Nein. Ich habe keine Ahnung, worauf Sie
hinauswollen, aber ich kenne diesen York nicht. Und ich
interessiere mich nicht für seine Alarmanlage.«
Lampert spürte, wie Alvarado ihn an der Schulter
berührte. Der junge Detective deutete auf einen Stapel Holzbretter,
etwa so breit und dick wie die Keile.
»Was dagegen, wenn wir ein paar von denen
mitnehmen?«
»Nur zu... sofern Sie einen Durchsuchungsbefehl
vorweisen können.«
»Wir würden Ihre Kooperation begrüßen.«
»Und ich würde einen Durchsuchungsbefehl
begrüßen.«
»Machen Sie sich Sorgen darüber, was wir finden
könnten?«, warf Alvarado ein.
»Ich mache mir überhaupt keine Sorgen. Es ist nur
so, dass wir in Amerika diese Sache namens Verfassung haben.« Er
grinste. »Die hat unser Land groß gemacht. Ich halte mich an die
Regeln, und ich denke, das sollten Sie auch tun.«
York seufzte hörbar. Trotter musterte ihn
kühl.
»Wenn Sie nichts zu verbergen haben, gibt es auch
kein Problem«, sagte Alvarado.
»Wenn Sie einen hinreichenden Grund haben,
sollten Sie auch problemlos einen Durchsuchungsbefehl
bekommen.«
»Sie sagen also, Sie haben nicht die Absicht, Mr.
York in irgendeiner Weise zu gefährden?«
Trotter lachte. »Das ist lächerlich.« Dann wurde
seine Miene eisig. »Was Sie da andeuten, sind ziemlich
schwerwiegende Dinge. Wenn Sie anfangen, solche Gerüchte zu
verbreiten, könnte es peinlich werden. Für mich... und für Sie. Ich
hoffe, das ist Ihnen klar.«
»Einbruch und tätlicher Angriff sind schwerwiegende
Verbrechen«, sagte Alvarado.
Trotter hob die Pflanze auf. Sie war eindrucksvoll,
mit gefährlich aussehenden Stacheln. »Wenn Sie sonst nichts mehr
haben...«
»Nein, das war alles. Danke, dass Sie sich die Zeit
genommen haben.« Lampert nickte seinem Partner zu, dann gingen sie
zusammen mit York zurück zum Wagen.
Auf dem Parkplatz angekommen, sagte Lampert: »Er
führt etwas im Schilde.«
York nickte. »Ich weiß, was Sie meinen – wie er
mich angesehen hat. Es war, als wollte er sagen: Ich krieg
dich.«
»Wie? Nein, das meine ich nicht. Haben Sie nicht
zugehört? Er sagte, er sei nicht an Ihrer Alarmanlage interessiert.
Wir haben ihm gar nicht verraten, dass Diaz von seiner Alarmanlage
gesprochen hatte. Ich sagte nur: Sicherheitsmaßnahmen. Das hätte
alles bedeuten können. Könnte sein, dass Diaz die Wahrheit gesagt
hat.«
York war beeindruckt. »Ist mir gar nicht
aufgefallen. Gut aufgepasst. Was machen wir jetzt?«
»Haben Sie diese Liste, um die ich Sie gebeten
habe? Von allen Leuten, die einen Groll auf Sie haben
könnten?«
Er gab ihm ein Blatt Papier. »Sollte ich sonst noch
etwas tun?«
Nach einem Blick auf die Liste sagte Lampert: »Eine
Sache. Sie sollten vielleicht über einen Leibwächter
nachdenken.«
Stan Eberhart sah ein bisschen wie Lampert aus –
kräftig gebaut, volles Haar, humorlos, zielgerichtet wie ein
Terrier -, nur mit Sonnenbräune. Der große Mann stand vor Yorks
Haustür. Der Geschäftsmann führte ihn hinein.
»Guten Morgen, Sir.« Er sprach leicht gedehnt und
war die Ruhe in Person. Eberhart leitete die Sicherheitsabteilung
von Yorks Unternehmen – York-McMillan-Winston Investments. Nach
seinem Treffen mit den Polizisten und Trotter hatte York den Mann
in sein Büro gerufen und ihm die Lage erklärt. Eberhart sagte zu,
einen »umfassenden SP auszuarbeiten, der alle Eventualitäten
berücksichtigt.« Hörte sich genauso an wie die Polizeibeamten (was
keine Überraschung war: Eberhart war früher Detective in Phoenix
gewesen).
Ein SP war ein Sicherheitsplan, wie sich
herausstellte, und York nahm an, es würde ein guter sein. Eberhart
war ein Schwergewicht in Sachen Unternehmensschutz. Außer beim
Morddezernat in Phoenix war er auch als Drogenagent für das FBI und
als Privatdetektiv tätig gewesen. Er hatte einen schwarzen, roten
oder anderen tollen Karategürtel, konnte einen Hubschrauber fliegen
und besaß hundert Waffen. In der Sicherheitsbranche machten sie
alle außerdem irgendwelchen Survival-Kram, wie York erfuhr. Harte
Burschen. York verstand es nicht. Wenn es nicht um Geldverdienen,
Golf, Martinis und Frauen ging, was sollte das Ganze dann?
Die Männer waren allein im Haus, da Carole zu ihrer
Tennisstunde gegangen war. Als sie das weitläufige Sonnenzimmer
betraten, setzte der Sicherheitsmensch eine sorgenvolle Miene
auf.
Wieso? Fand er es zu ungeschützt, wegen des Glases?
Machte er sich Sorgen wegen Scharfschützen? York lachte für
sich.
Eberhart schlug vor, dass sie in die Küche gingen,
weg von den Glasfenstern.
York zuckte mit den Achseln und spielte mit. Sie
setzten sich an die Kücheninsel. Der Mann knöpfte sein Jackett auf
– er trug bei jeder Temperatur Anzug und Krawatte. »Lassen Sie mich
zuerst erzählen, was ich über Trotter herausgefunden habe. Er wurde
in New Hampshire geboren und hat einen Abschluss als Ingenieur in
Boston gemacht. Er hat geheiratet und ging zur Armee. Nach seiner
Entlassung kam er hierher. Was immer danach passiert ist – dieses
Zeug in der Akte der Veteranenverwaltung -, er schien seinem
Leben eine Wendung gegeben zu haben und fing diese Gartenbaufirma
an. Dann starb seine Frau.«
»Sie starb? Vielleicht geht es darum – dass er mir
die Schuld daran gibt. Was ist passiert?«
Eberhart schüttelte den Kopf. »Sie hatte Krebs. Und
von Ihnen, Ihrer Gesellschaft oder Ihren Kunden gibt es keine
Verbindung zu den behandelnden Ärzten oder dem Krankenhaus.«
»Das haben Sie überprüft?«
»Ein SP ist nur so gut wie die Aufklärung
dahinter«, erklärte der Mann. »Jetzt zu seiner Familie: Er hat drei
Kinder. Phillip, Celeste und Cindy, Alter vierzehn, siebzehn und
achtzehn. Alle in öffentlichen Schulen in der Stadt. Brave Kinder,
kein Ärger mit dem Gesetz.« Er zeigte Bilder, die aussahen, als
stammten sie aus Schuljahrbüchern: ein dürrer, hübscher Junge und
zwei Töchter, eine rundlich und hübsch, die andere schlank und
sportlich.
»Hatten Sie mal was mit den Mädchen?«
»Großer Gott, nein.« York war beleidigt. Ein paar
Grundsätze hatte er denn doch.
Eberhart fragte nicht, ob sich sein Chef jemals an
den Jungen herangemacht hatte. York hätte ihn auf der Stelle
gefeuert, wenn er es getan hätte.
»Trotter blieb eine Weile Single, ehe er letztes
Jahr dann wieder geheiratet hat. Nancy Stockard,
Immobilienmaklerin, neununddreißig. Sie wurde vor fünf Jahren
geschieden, hat einen zehn Jahre alten Sohn.« Ein neues Bild
tauchte auf. »Kennen Sie die Frau?«
York sah sich das Bild an. Na, an die würde
er sich schon eher heranmachen. Hübsch, der Typ Mädchen von
nebenan. Wäre toll für eine Nacht. Oder zwei.
Aber dieses Glück war ihm bisher nicht beschieden
gewesen. Er hätte sich an sie erinnert.
»Trotter scheint nach außen ein anständiger Kerl zu
sein«, fuhr Eberhart fort. »Liebt seine Kinder, fährt sie zum
Fußball und Schwimmen und zu ihren Taschengeldjobs. Modellvater,
Mustergatte und guter Geschäftsmann. Hat letztes Jahr einen Haufen
Geld verdient. Zahlt seine Steuern, geht sogar gelegentlich zur
Kirche. So, und jetzt will ich Ihnen zeigen, was wir uns für den SP
ausgedacht haben.«
Der Plan sah zwei Teams von Sicherheitsspezialisten
vor, eines, das Trotter überwachte, und das andere, das als
Leibwache fungierte. Es würde teuer werden; Polizisten zu mieten
war nicht billig.
»Aber ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass es
allzu lange dauern wird«, meinte Eberhart. Er erklärte, dass alle
sieben Leute, die er für die Schutztruppe vorgesehen hatte,
ehemalige Polizisten waren, die sich mit Spurensicherung und
Zeugenbefragung auskannten. »Alle miteinander werden wir genügend
solide Beweise zusammentragen, um ihn für lange Zeit aus dem
Verkehr zu ziehen. Wir haben mehr Leute und Mittel für den Fall zur
Verfügung als das Morddezernat von Scottsdale.«
Himmel, und das Honorar würde wahrscheinlich so
hoch sein wie dessen Jahresetat.
York schilderte dem Mann seinen und Caroles
ungefähren Tagesablauf, nannte Läden, wo sie einkauften,
Restaurants und Bars, die sie regelmäßig besuchten. Er fügte hinzu,
die Bewacher sollten auf Distanz bleiben, da er Carole noch nichts
von der Sache gesagt habe.
»Ihre Frau weiß nichts?«
»Nein. Sie würde es wahrscheinlich nicht allzu gut
auffassen. Sie wissen ja, wie Frauen sind.«
Eberhart schien nicht so genau zu wissen, was sein
Boss meinte, sagte jedoch: »Wir werden tun, was wir können,
Sir.«
York führte den Sicherheitsberater zur Tür und
dankte ihm. Der Mann wies auf das erste Team, das in einem braunen
Ford zwei Türen weiter parkte. York hatte sie nicht einmal bemerkt,
als er vorhin aufmachte. Was hieß, sie verstanden ihr
Handwerk.
Als Eberhart weggefahren war, ging Yorks Blick
wieder zum Garten mit dem Wüstenhorizont. Er dachte daran, dass er
zuvor über die Idee von Scharfschützen gelacht hatte.
Jetzt fand er es nicht mehr lustig. Er ging zurück
ins Haus und schloss die Vorhänge aller Fenster, die auf den
wunderbaren Wüstenblick hinausgingen.
Die Tage vergingen, und da es zu keinen weiteren
Zwischenfällen kam, begann sich York zu entspannen. Die
Wachmannschaften, die ihn und Carole beobachteten, blieben
größtenteils unsichtbar, und Carole hatte keine Ahnung, dass sie
beschützt wurde auf ihren wichtigen täglichen Gängen – zur
Maniküre, zum Friseur, in den Club, ins Einkaufszentrum.
Das Überwachungsteam behielt Trotter unauffällig im
Auge, der nichts von der Beschattung zu merken schien. Er ging
seinen täglichen Geschäften nach. Ein paar Mal verschwand er vom
Radar der Überwacher, aber immer nur kurz, und es hatte nicht den
Anschein, als habe er sie absichtlich abgehängt. Wenn er
verschwand, erhöhten die Teams für York und Carole ihre
Wachsamkeit, und es kam zu keinen Zwischenfällen.
Inzwischen überprüften Lampert und Alvarado weiter
die Leute auf Yorks Liste, die etwas gegen ihn haben könnten. Bei
manchen wirkte es wahrscheinlich, bei anderen weniger, aber in
keinem Fall führte die Spur zu einem Ergebnis.
York entschloss sich, für ein langes Wochenende
nach Santa Fe zum Golfen und Shoppen zu fahren. Die Leibwachen
sollten zurückbleiben, da es zu schwierig gewesen wäre, sie vor
Carole zu verstecken. Eberhart war einverstanden; sie würden
Trotter genau im Auge behalten, und falls er Scottsdale verließ,
würde ein Team sofort nach Santa Fe fliegen, um York zu
beschützen.
Das Paar brach früh auf. Der Sicherheitsberater
wies York an, auf einer komplizierten Route aus der Stadt zu fahren
und dann an einem bestimmten Aussichtspunkt im Osten von Scottsdale
zu halten, um sich zu vergewissern, dass ihnen niemand folgte. York
hielt sich strikt an die Anweisungen. Niemand folgte ihnen.
Sobald sie die Stadt hinter sich gelassen hatten,
richtete York den Wagen in die Morgensonne aus und lümmelte sich in
den Ledersitz des Mercedes Cabrio, während der Fahrtwind ihnen das
Haar zerzauste.
»Leg Musik auf, Baby«, rief er.
»Okay. Was?«
»Etwas Lautes.«
Einen Moment später dröhnten Led Zeppelin aus den
Lautsprechern. York schaltete den Tempomaten aus und trat aufs
Gaspedal.
In seinem weißen Überwachungs-Van nahe Ray
Trotters rosafarbenem Lehmziegelhaus hörte Stan Eberhart sein Handy
zirpen. »Ja?«
Julio, einer der Sicherheitsleute, war am Apparat.
»Stan, wir haben ein Problem.«
»Schieß los.«
»Ist er schon weggefahren?«
»York? Ja, vor einer Stunde.«
»Hm.«
»Was ist los?«
»Ich bin gerade bei einem Autozubehörhändler nicht
weit von Trotters Gärtnerei.«
Eberhart hatte Leute zu Läden in Trotters Umgebung
geschickt. Mit Bildern bewaffnet, befragten sie das Personal nach
Einkäufen, die der Mann in letzter Zeit eventuell gemacht hatte.
Eberharts Leute waren natürlich nicht mehr bei der Polizei, aber
ihr Boss hatte gelernt, dass Zwanzigdollarscheine ebenso viele
Türen öffneten, wie es Dienstmarken taten. Wahrscheinlich
mehr.
»Und?«
»Vor zwei Tagen hat ein Mann, der wie Trotter
aussah, ein technisches Handbuch für Mercedes Sportwagen bestellt.
Es kam gestern, und er hat es abgeholt. Gleichzeitig kaufte er
einen Satz Schraubenschlüssel und Batteriesäure. Stan, das war ein
Handbuch über Bremsen. Und es war etwa um die Zeit, als wir Trotter
für ein paar Stunden verloren hatten.«
»Du meinst, er könnte sich an Yorks Mercedes zu
schaffen gemacht haben?«
»Nicht wahrscheinlich, aber möglich. Ich denke, wir
müssen davon ausgehen, dass er es getan hat.«
»Ich melde mich wieder.« Eberhart legte auf und
rief umgehend York an.
»Hallo«, meldete sich eine zerstreute Stimme.
»Mr. York, es...«
»Ich bin im Augenblick nicht erreichbar. Bitte
hinterlassen Sie eine Nachricht, ich rufe so schnell wie möglich
zurück.«
Eberhart unterbrach den Anruf und versuchte es noch
einmal. Bei jedem seiner fünf Versuche meldete sich nur die
geistesabwesende Stimme auf der Mailbox.
York beschleunigte den Mercedes auf
hundertsechzig.
»Ist das nicht affengeil?«, rief er. »Ja, ja,
ja!«
»Was?«, rief Carole zurück. Das Donnern des
Fahrtwinds und Robert Plants hohe Stimme ließen sie kein Wort
verstehen.
»Es ist phantastisch!«
Aber sie antwortete nicht. Sie blickte mit
gefurchter Stirn geradeaus. »Ich glaub, da vorn kommt eine Kurve.«
Sie fügte noch etwas hinzu, das er nicht verstand.
»Was?«
»Ähm, vielleicht solltest du lieber bremsen.«
»Das Baby hier schafft jede Kurve. Kein
Problem.«
»Schatz, bitte! Fahr langsamer!«
»Ich weiß selbst, wie ich fahren muss.«
Sie waren auf einer langen Geraden, kurz bevor
diese steil abwärtsführte. Am Fuß der Gefällestrecke machte die
Straße eine enge Kurve, um auf eine Brücke über ein tiefes Tal mit
einem ausgetrockneten Flussbett einzufädeln.
»Fahr langsamer, Schatz, bitte! Schau dir diese
Kurve an!«
Himmel, manchmal lohnte es sich einfach nicht, zu
streiten. »Okay.«
Er nahm den Fuß vom Gas.
Und dann passierte es.
Er hatte keine Ahnung, was eigentlich los war.
Plötzlich befand er sich in einem riesigen Sandwirbel, als wäre der
Wagen ins Zentrum eines Tornados geraten. Der Himmel war nicht mehr
zu sehen. Carole schrie und griff ans Armaturenbrett. York hielt
das Lenkrad mit aller Kraft umklammert und versuchte verzweifelt,
die Straße auszumachen. Alles, was er sah, war Sand, der ihm
schmerzhaft ins Gesicht peitschte.
»Wir werden sterben, wir werden sterben«, heulte
Carole.
Dann ertönte von irgendwo über ihnen eine blecherne
Stimme. »York, stoppen Sie sofort den Wagen! Stoppen Sie den
Wagen!«
Er blickte nach oben und sah den
Polizeihubschrauber zehn Meter über seinem Kopf. Der Abwind seiner
Rotorblätter war der Grund für den Sandsturm.
»Wer ist das?«, schrie Carole. »Wer ist das?«
»Ihre Bremsen werden versagen!«, fuhr die Stimme
fort. »Fahren Sie nicht diesen Abhang hinunter!«
»Der Hurensohn!«, schrie er. »Er hat sich an den
Bremsen zu schaffen gemacht.«
»Wer, Stephen? Was ist hier los?«
Der Helikopter sauste voran zur Brücke und landete
– vermutlich, damit die Bergungskräfte versuchen konnten, sie zu
retten, falls der Wagen verunglückte oder über die Steilwand
stürzte.
Zu retten oder die Leichen zu bergen.
Er hatte noch hundertvierzig Sachen drauf, als sie
die Kuppe erreichten. Die Nase des Mercedes senkte sich, und er
begann schneller zu werden.
Er drückte aufs Bremspedal. Die Bremse schien zu
greifen.
Aber wenn er weiterfuhr und sie versagte, konnte er
nirgendwohin ausweichen außer in die Felswand oder über die Klippe.
Und die Kurve schaffte er höchstens mit sechzig. Da, wo sie jetzt
waren, gab es wenigstens Sand bis über das Bankett hinaus.
Stephen York umklammerte das Lenkrad fest und holte
tief Luft.
»Halt dich fest!«
»Was hast du...?«
Er steuerte von der Straße.
Koffer, Wasser- und Bierdosen flogen vom Rücksitz,
Carole schrie, und York bemühte sich mit aller Kraft, den Wagen auf
Kurs zu halten, aber es war sinnlos. Die Reifen stellten sich quer,
und der Wagen schlingerte führungslos durch den Sand. Sie
verpassten knapp einen großen Felsblock und pflügten in die Wüste
hinaus.
Steine und Kiesel spritzten auf die Karosserie,
zogen ein Netz feiner Risse über die Windschutzscheibe und
prasselten auf Stoßstange und Motorhaube wie Schrotkugeln. Gestrüpp
schlug den beiden Fahrzeuginsassen ins Gesicht. Der Wagen hüpfte,
schaukelte und kippte. Zweimal hätten sie sich fast
überschlagen.
Sie wurden langsamer, aber immer noch sausten sie
mit fast siebzig Stundenkilometern auf einen großen Felsblock zu.
Inzwischen war der Sand allerdings so tief, dass überhaupt nicht
mehr an ein Steuern zu denken war.
»Mein Gott, mein Gott...«, schluchzte Carole und
vergrub das Gesicht in den Händen.
York trat mit dem linken Fuß voll auf die Bremse,
legte den Automatikhebel auf Rückwärtsgang um und gab mit dem
rechten Fuß Vollgas. Der Motor heulte auf, Sand schoss wie eine
Fontäne in die Luft.
Der Wagen kam zwei Meter vor dem Felsen zum
Stehen.
York legte den Kopf aufs Lenkrad. Sein Herz
hämmerte wie wild, er war schweißgebadet. Und er war wütend. Warum
hatten sie ihn nicht angerufen? Was sollte diese
Black-Hawk-Down-Nummer?
Dann fiel sein Blick auf das Telefon. Der Schirm
zeigte sieben Anrufe in Abwesenheit und fünf als dringend
gekennzeichnete Nachrichten an.
Er hatte es nicht läuten hören. Der Wind, der Motor
… und die verdammte Musik.
Weinend und sich den Sand vom weißen Hosenanzug
bürstend, fuhr Carole ihn an: »Was ist los? Ich will es wissen, auf
der Stelle.«
Und während Eberhart und Lampert sich vom
Hubschrauber her näherten, erzählte er ihr die ganze
Geschichte.
Kein Wochenendurlaub, verkündete Carole.
»Du hättest von Anfang an etwas sagen
sollen.«
Sie zeigte zur Abwechslung Rückgrat.
»Ich wollte dich nicht beunruhigen.«
»Du meinst, du wolltest nicht, dass ich frage, was
du getan hast und wofür sich jetzt jemand rächen will.«
»Ich...«
»Bring mich nach Hause. Sofort.«
Sie kehrten schweigend in einem Mietwagen nach
Scottsdale zurück; der Mercedes war von der Polizei abgeschleppt
worden. Sie wollten nach Beweisen suchen, dass sich jemand an ihm
zu schaffen gemacht hatte, und er musste außerdem in Reparatur.
Eine Stunde nachdem sie zur Haustür hineingegangen war, spazierte
Carole mit einem Koffer in der Hand wieder hinaus, um vorzeitig zu
ihrem Familienurlaub in Los Angeles aufzubrechen.
York war insgeheim erleichtert, dass sie ging. Er
konnte sich nicht gleichzeitig mit Trotter und den Launen seiner
Frau herumschlagen. Er kehrte ins Haus zurück, überprüfte die
Schlösser an sämtlichen Türen und Fenstern und verbrachte den Abend
mit einer Flasche Johnnie Walker und HBO.
Zwei Tage später trainierte York gegen siebzehn
Uhr gerade in dem Fitnessstudio, das er sich in einem Schlafzimmer
eingerichtet hatte – er mied den Club und seine tödliche Sauna -,
als es an der Tür läutete. Er griff nach der Pistole, die er nun
immer im Eingangsbereich aufbewahrte, und spähte hinaus. Es war
Eberhart. Drei Schlösser und einen Türriegel später winkte er den
Sicherheitsberater herein.
»Es gibt etwas, das Sie wissen sollten. Ich hatte
gestern zwei Teams an Trotter dran. Er ist am Mittag zu einer
Matinee in ein Multiplexkino gegangen.«
»Und?«
»Es gibt eine Regel: Wenn eine Person, die
überwacht wird, allein ins Kino geht... das ist verdächtig. Also
verglichen die Teams ihre Aufzeichnungen. Fünfzehn Minuten, nachdem
Trotter hineingegangen war, kam anscheinend dieser Typ in einem
Overall mit ein paar Abfalleimern heraus. Etwas mehr als eine
Stunde später dann tauchte ein Lieferant in einer Uniform mit einer
großen Kiste am Kino auf. Mein Mann hat aber mit dem Chef des
Ladens gesprochen. Normalerweise bringen seine Arbeiter den Müll
zum ersten Mal gegen fünf oder sechs raus. Und es gab keine
Lieferungen an diesem Tag.«
York verzog das Gesicht. »Dann ist er Ihnen also
für eine Stunde entwischt. In dieser Zeit hätte er alles Mögliche
machen können.«
»Er hat sein Auto nicht benutzt. Wir hatten es
bewacht. Und wir haben bei den Taxiunternehmen nachgefragt. Niemand
hat für diese Zeit eins in die Gegend bestellt.«
»Dann ist er also zu Fuß irgendwohin
gegangen?«
»Ja, und wir sind uns ziemlich sicher, wohin.
Southern States Chemical liegt zehn Gehminuten von dem Multiplex
entfernt. Und wissen Sie, was interessant ist?« Er schaute in seine
Notizen. »Sie stellen Akrylonitril, Methyl, Methakrylat und
Adiponitril her.«
»Was ist das denn für Zeug?«
»Industriechemikalien. Für sich genommen sind sie
nichts Besonderes. Worauf es ankommt, ist, dass man
Wasserstoffzyanid aus ihnen machen kann.«
»Großer Gott. Wie das Gift?«
»Wie das Gift. Und einer meiner Leute hat sich
Southern States angesehen. Es gibt keine Sicherheitsmaßnahmen.
Dosen von den Chemikalien standen draußen im Freien herum, direkt
an der Laderampe. Trotter hätte reinmarschieren und genug für eine
Portion Gift nehmen können, mit der man ein Dutzend Leute umbringen
kann, und niemand hätte ihn gesehen. Und raten Sie, wer die
Außenanlagen der Firma gärtnerisch gestaltet hat?«
»Trotter.«
»Er wusste also über die Chemikalien Bescheid und
wo sie aufbewahrt werden.«
»Könnte das jeder machen? Das Zyanid?«
»Anscheinend ist es nicht so schwer. Und Trotter
als Gärtner sollte sich mit Chemikalien und Kunstdünger auskennen.
Und vergessen Sie nicht, er war auch in der Armee, im ersten
Golfkrieg. Viele von den Jungs dort haben Erfahrungen mit
chemischen Waffen gesammelt.«
Der Geschäftsmann schlug mit der Hand auf die
Küchentheke. »Verdammt noch mal. Er hat also dieses Gift, und ich
werde nie wissen, ob er es irgendwie in mein Essen geschmuggelt
hat. Himmel.«
»Nun, das stimmt nicht ganz«, sagte Eberhart in
vernünftigem Ton. »Ihr Haus ist sicher. Wenn Sie abgepacktes Essen
kaufen und in Restaurants vorsichtig sind, können Sie das Risiko
beherrschen.«
Das Risiko beherrschen...
Angewidert kehrte York in die Eingangshalle zurück,
schnappte sich das FedEx-Päckchen mit einer Lieferung seiner
Zigarren, das am Morgen eingetroffen war, und riss es auf. Er
marschierte in die Küche und wickelte die Zigarren aus. »Ich kann
nicht einmal mehr aus dem Haus gehen, um meine Zigarren zu kaufen.
Ich bin ein Gefangener, so sieht es aus.« Dann wühlte er in einer
Schublade nach einem Zigarrenschneider, fand einen und knipste das
Ende der Macanudo ab. Er steckte sie wütend in den Mund, entzündete
ein Feuerzeug und führte es an das Zigarrenende.
»Nein!«, schrie eine Stimme im selben Moment.
Erschrocken griff York nach seiner Pistole. Doch
ehe er sie erreicht hatte, wurde er von hinten angefallen und zu
Boden gerissen, dass ihm die Luft wegblieb.
Keuchend und unter Schmerzen rappelte er sich halb
auf, blickte sich voller Angst um – und sah keine Bedrohung. »Was
machen Sie da?«, schrie er den Sicherheitsmann an.
Eberhart erhob sich schwer atmend und zog seinen
Boss auf die Beine. »Tut mir leid... Ich musste Sie aufhalten...
die Zigarre.«
»Die...?«
»Zigarre. Rühren Sie sie nicht an.«
Der Leibwächter griff sich mehrere Plastiktüten. In
eine legte er die Zigarre. In die andere den FedEx-Umschlag. »Als
ich Sie für den Sicherheitsplan nach Läden fragte, die Sie
regelmäßig besuchen, sagten Sie, dass Sie Ihre Zigarren in Phoenix
kaufen, richtig?«
»Ja. Und?«
Eberhart hielt ihm den FedEx-Aufkleber hin. »Die
hier wurden von einem Postal Plus im Einkaufszentrum von Sonora
Hill geschickt.«
York überlegte. »Das ist in der Nähe...«
»Es ist drei Gehminuten von Trotters Firma
entfernt. Er hätte den Laden anrufen und herausfinden können, wann
Sie welche bestellt haben. Dann kaufte er selbst welche und
behandelte sie. Ich komme später mit einem mobilen Testlabor, dann
werden wir sehen.«
»Muss ich nicht... Ich meine, muss man Zyanid nicht
essen, damit es einen umbringt?«
»Oh, oh.« Der Sicherheitsexperte schnupperte
sorgfältig an der Tüte. »Zyanid riecht nach Mandeln.« Er schüttelte
den Kopf. »Ich kann es nicht sagen. Vielleicht überdeckt der Tabak
den Geruch.«
»Mandeln«, flüsterte York. »Mandeln...« Er roch an
seinen Fingern und begann sich hektisch die Hände zu waschen.
Ein längeres Schweigen trat ein.
York rieb sich die Haut mit Papiertaschentüchern
und sah Eberhart an.
»Was ist?«, fragte er barsch.
»Ich glaube, es ist Zeit, den Plan zu
ändern.«
Am folgenden Tag parkte York seinen gemieteten
Mercedes auf dem heißen, staubigen Parkplatz der Polizeizentrale
von Scottsdale. Er sah sich nervös nach Trotters Wagen um – einem
dunkelblauen Lexus, wie er in Erfahrung gebracht hatte. Er sah ihn
nicht.
York stieg aus; er hatte Plastiktüten mit dem
Umschlag von FedEx, den Zigarren und Lebensmitteln aus seiner Küche
dabei. Er trug sie in das Polizeigebäude, wo es wegen einer
übereifrigen Klimaanlage kalt war.
In einem Besprechungsraum im Erdgeschoss traf er
vier Männer an, die Partner Lampert und Alvarado sowie Stan
Eberhart und einen Mann, der exakt dieselbe Kleidung wie York trug
und die gleiche Statur besaß. Der Mann stellte sich als Peter
Billings vor, ein verdeckt arbeitender Polizist.
»Was dagegen, Mr. York, wenn ich Ihren Pool und die
heiße Wanne benutze, solange ich Ihre Rolle spiele?«
»Meine...«
»War nur Spaß«, sagte Billings.
»Ach so«, erwiderte York humorlos und wandte sich
an Lampert. »Hier sind Sie.«
Der Detective nahm die Tüten und warf sie achtlos
auf einen Stuhl. Einem Test zufolge, den Eberhart bei York
durchgeführt hatte, enthielten weder die Zigarren noch irgendwelche
Lebensmittel Gift. Dass er sie – mutmaßlich unter den Augen des
rachsüchtigen Mr. Trotter – hierher brachte, war jedoch ein
wichtiger Bestandteil ihres Plans. Trotter musste für rund eine
Stunde glauben, sie seien überzeugt, dass er York vergiften
wolle.
Nachdem die Tests negativ gewesen waren, hatte
Eberhart gefolgert, dass Trotter die ganze Zyanid-Geschichte
inszenierte; die Polizei sollte nur glauben, dass er
vorhatte, York zu vergiften. Warum? Ein Ablenkungsmanöver
natürlich. Wenn sich die Polizei sicher war, die beabsichtigte
Methode des Anschlags zu kennen, würde sie sich darauf vorbereiten
statt auf die tatsächlich geplante.
Wie aber sah die aus? Wie wollte Trotter in
Wirklichkeit York angreifen?
Eberhart hatte einen extremen Schritt unternommen,
um das herauszufinden: Er war in Trotters Haus eingebrochen.
Während der Gärtnereibesitzer, seine Frau und die Kinder unterwegs
waren, hatte Eberhart Alarmanlage und Überwachungskamera
funktionsuntüchtig gemacht und das Büro des Mannes sorgfältig
durchsucht. Im Schreibtisch versteckt fand er Bücher über Sabotage
und Überwachung. Zwei Seiten waren mit Post-its markiert, bei
Kapiteln, wie man Propangastanks in Bomben verwandelte und
Fernzünder herstellte. Er fand außerdem einen anderen Hinweis:
einen Zettel, auf dem »Rodriguez Gartenbedarf« stand.
Genau dorthin fuhr Stephen York jeden
Samstagnachmittag, um die Propangasflaschen seines Grills
auszutauschen. Eberhart war überzeugt, dass Trotters Plan darin
bestand, die Polizei mit einem Giftanschlag rechnen zu lassen,
während er tatsächlich eine »versehentliche« Explosion herbeiführen
wollte, nachdem York die neuen Propangasbehälter abgeholt hatte.
Der Sicherheitsberater konnte mit dieser Information jedoch nicht
zur Polizei gehen – sonst hätte er zugeben müssen, dass er
unberechtigt bei Trotter eingedrungen war -, deshalb erzählte er
Lampert nur, er habe von einer Quelle erfahren, Trotter erkundige
sich nach Propangasflaschen und danach, wo York sie kaufe. Es gab
keine Hinweise, die einen Durchsuchungsbefehl gerechtfertigt
hätten, aber der Detective willigte widerstrebend in Eberharts Plan
ein, Trotter auf frischer Tat zu ertappen. Zunächst würden sie es
so aussehen lassen, als glaubten sie an die Zyanid-Bedrohung. Da
Trotter wahrscheinlich wusste, dass York jeden Samstag um die
Mittagszeit zu Rodriguez fuhr, sollte der Geschäftsmann die
Zigarren und Lebensmittel um diese Zeit zur Polizei bringen,
offenkundig, um sie testen zu lassen, womit sie mehrere Stunden
beschäftigt wären. Trotter würde ihm folgen. York würde inzwischen
weiterfahren und einige Erledigungen machen, unter anderem eben
einen neuen Propangasbehälter holen. Nur dass nicht Stephen York in
dem Wagen sitzen würde, sondern Peter Billings, sein Double.
Billings würde eine neue Propangasflasche von Rodriguez holen –
eine leere allerdings, aus Sicherheitsgründen – und in seinem Wagen
verstauen. Dann würde er wieder zurück in den Laden gehen, um
herumzustöbern, während Lampert und sein Team darauf warteten, dass
Trotter etwas unternahm.
»So, wo bleibt unser Knabe?«, fragte Lampert seinen
Partner.
Alvarado erklärte, dass Trotter etwa um dieselbe
Zeit von zu Hause aufgebrochen war wie York und in dieselbe
Richtung fuhr. Sie hatten ihn vorübergehend im Verkehr verloren,
ihn dann aber auf dem Parkplatz eines Lebensmittelsupermarkts
namens »Whole Food« wiedergefunden, von dem aus Rodriguez zu Fuß
erreichbar war. Ein Beamter hatte ihn in dem Supermarkt
gesehen.
Lampert rief die anderen Akteure in ihrem
abgekarteten Spiel an. »Es geht los«, verkündete er.
Billings stieg als Verkörperung von York in den
Wagen und fädelte sich in den Verkehr ein. Eberhart und York
setzten sich in eines der Verfolgungsfahrzeuge und fuhren ihm nach,
allerdings mit weitem Abstand, sodass Trotter sie nicht bemerken
würde, falls er Billings tatsächlich folgte.
Zwanzig Minuten später hielt der Undercoverpolizist
vor Rodriguez’ Gartenbedarf, und Eberhart und York parkten auf dem
Parkplatz einer Mini-Mall, eine Straße entfernt. Lampert und die
Teams bezogen nicht weit entfernt Stellung. »Okay«, funkte Billings
mit Hilfe seines versteckten Mikros, »ich gehe rein und hol die
Flasche.«
York und Eberhart beugten sich vor, um zu sehen,
was passierte. York konnte seinen Mercedes so eben noch
erkennen.
»Irgendwas von Trotter zu sehen?«, rief Lampert
über Funk.
»Ist noch nicht wieder aus dem Whole Food
gekommen«, tönte es aus dem Lautsprecher des eingebauten
Funkgeräts.
Einen Augenblick später meldete sich Billings. »An
alle Einheiten. Habe die falsche Gasflasche in den Wagen geladen.
Auf den Rücksitz. Ich geh jetzt wieder rein.«
Eine Viertelstunde später hörte York die drängende
Stimme eines Polizisten. »Ich hab was... Typ mit Hut und
Sonnenbrille, könnte Trotter sein, nähert sich dem Mercedes von
Osten. Er hat eine Einkaufstüte in einer Hand und einen Gegenstand
in der anderen. Sieht aus wie ein kleiner Computer. Vielleicht ein
Zünder. Oder die Sprengladung selbst.«
Der Sicherheitsspezialist nickte York auf dem Sitz
neben ihm zu und sagte: »Da haben wir’s.«
»Ich sehe ihn«, meldete ein anderer Polizist.
Der Überwachungsbeamte fuhr fort: »Er sieht sich um
… Moment... Okay, der Verdächtige ist gerade an Yorks Wagen
vorbeigegangen. Ich konnte es nicht genau sehen, aber er hat
innegehalten. Er könnte etwas unter den Wagen geworfen haben. Jetzt
überquert er die Straße... Er geht ins Miguel’s.«
»Von dort wird er die Sprengladung zünden«, funkte
Lampert. »Okay, Leute, wir sperren die Straße. Ein Undercoveragent
soll zu Miguel’s hineingehen und ihn überwachen.«
Eberhart sah York mit hochgezogener Augenbraue an
und lächelte. »Jetzt haben wir ihn.«
»Hoffentlich«, kam die nervöse Antwort.
Langsam rückten nun andere Beamte vor, sie hielten
sich dicht an die Gebäude links und rechts von Miguel’s Bar and
Grill, wo Trotter darauf warten würde, dass »York« zum Wagen
zurückkehrte, um die Sprengladung zu zünden und ihn verbrennen zu
lassen.
Eine neue Stimme kam aus dem Funkgerät. »Ich bin im
Miguel’s«, flüsterte der zweite verdeckte Beamte. »Ich sehe das
Subjekt auf einem Hocker am Fenster, er schaut hinaus. Keine Waffen
in Sicht. Er hat das Ding, das er vorhin getragen hat, aufgeklappt
– ein kleiner Laptop oder so etwas, mit einer Antenne dran. Eben
hat er etwas getippt. Ich vermute, die Sprengvorrichtung ist
scharf.«
»Roger«, funkte Lampert. »Wir sind in Position.
Drei Mann hinter Miguel’s, zwei davor. Die Straße ist gesperrt und
Rodriguez geräumt; wir haben alle Leute zum Hinterausgang
hinausgeschafft. Wir sind bereit für den Zugriff.«
In Eberharts Wagen trommelte der Sicherheitsmann
unablässig mit den Fingerkuppen auf das Lenkrad.
York versuchte, das nervtötende Geräusch
auszublenden. Würde Trotter Widerstand leisten?, fragte er sich.
Vielleicht würde er von Panik erfasst und -
Er fuhr zusammen, als sich Eberharts Hand um seinen
Arm krallte. Der Leibwächter blickte stirnrunzelnd in den
Rückspiegel. »Was ist das?«
York drehte sich um. Auf dem Kofferraum stand eine
kleine Einkaufstasche. Jemand hatte sie dort hingestellt, während
sie auf den Mercedes gestarrt hatten.
»Hier ist Eberhart. Alle Einheiten in
Wartestellung.«
»Was ist los, Stan?«, fragte Lampert.
»Er hat uns reingelegt!«, sagte Eberhart atemlos.
»Er hat nichts unter dem Mercedes deponiert. Oder wenn, dann gibt
es eine zweite Sprengvorrichtung auf unserem Wagen. Sie ist in
einer Tasche von Whole Food, einer kleinen. Wir steigen aus!«
»Negativ! Negativ!«, rief eine andere Stimme aus
dem Funkgerät. »Hier ist Grimes von der Bombeneinheit. Die
Vorrichtung könnte einen Druck- oder Schaukelschalter haben. Die
kleinste Bewegung könnte sie auslösen. Rühren Sie sich nicht vom
Fleck, wir schicken einen Mann rüber.«
»Es war eine doppelte Finte«, murmelte
Eberhart. »Erst hat er uns mit dem Gift in die Irre geführt und
dann mit einer falschen Bombe am Mercedes. Er hat uns die ganze
Zeit beobachtet und uns absichtlich in diese Situation manövriert …
Großer Gott.«
»Alle Einheiten«, rief Lampert, »Wir gehen zu
Miguel’s rein. Lasst ihn den Zünder nicht betätigen.«
Eberhart bedeckte das Gesicht mit seinem
Sakko.
Stephen York hatte seine Zweifel, dass man sich auf
diese Weise wirkungsvoll vor einer explodierenden Gasflasche
schützen konnte. Aber er tat genau das Gleiche.
»Fertig?«, flüsterte Lampert Alvarado und den
anderen zu, die vor der Hintertür von Miguel’s kauerten.
Nicken ringsum.
»Dann los.«
Sie stürmten mit erhobenen Pistolen und
Maschinenpistolen durch die Tür, während andere Beamte zum
Vordereingang in das Lokal eindrangen. Sobald Lampert in der Bar
war, nahm er Trotters Kopf ins Visier, bereit, abzudrücken, falls
der Mann eine Bewegung zum Detonator machte.
Doch wie die übrigen Gäste drehte sich der
Verdächtige beim Lärm der Beamten lediglich beunruhigt um und
runzelte neugierig die Stirn.
»Hände hoch! Sie, Trotter, keine Bewegung, keine
Bewegung!«
Der Gartenbauunternehmer taumelte mit entsetzt
aufgerissenen Augen von seinem Hocker und hob die Hände.
Ein Beamter der Sprengstoffeinheit trat zwischen
Trotter und den Zünder und betrachtete das Gerät sorgfältig,
während die Männer des Einsatzkommandos den Verdächtigen auf den
Boden warfen und ihm Handschellen anlegten.
Der Detective rief in sein Mikrofon: »Wir haben
ihn! Sprengstoffeinheiten eins und zwei – fahren Sie mit der
Sicherungsoperation fort!«
Im Wagen herrschte absolute Stille. Eberhart und
York bemühten sich, reglos zu verharren, aber York erschien es, als
müsse das Hämmern seines Herzens ausreichen, um die Bombe hochgehen
zu lassen.
Sie hatten erfahren, dass Trotter festgenommen
worden war und die Bombe nicht mehr zünden konnte. Aber immer noch
konnte die Sprengvorrichtung mit einem Erschütterungsauslöser
versehen sein. Eberhart hatte York die letzten fünf Minuten darüber
belehrt, wie empfindlich manche Zünder einer Bombe sein konnten –
bis York ihm befohlen hatte, verdammt noch mal den Mund zu
halten.
Der Geschäftsmann lugte unter seinem Sakko hervor
und beobachtete im Seitenspiegel, wie sich ein Polizist im grünen
Bombenanzug langsam dem Wagen näherte. Durch die blechernen
Lautsprecher des Funkgeräts hörten sie: »Eberhart, York, halten Sie
sich absolut still.«
»Klar«, flüsterte Eberhart heiser und fast ohne die
Lippen zu bewegen.
York sah den Bombenexperten an den Wagen treten und
in die Tüte blicken. Er holte eine Taschenlampe hervor, richtete
sie nach unten und untersuchte mit einer Art hölzernem Essstäbchen
vorsichtig den Inhalt der Tüte.
Durch den Lautsprecher erklang etwas wie ein
entsetztes Luftanhalten.
York krümmte sich innerlich.
Aber das Geräusch war kein entsetztes
Luftanhalten.
Es war ein Lachen. Dann sagte der Mann:
»Abfall.«
»Es ist was?«
Der Beamte nahm seinen Helm ab und ging zur
Vordertür des Wagens. York ließ mit zitternden Fingern das Fenster
hinunter.
»Abfall«, wiederholte der Mann. »Die Reste eines
Mittagessens. Es gab Sushi, Kartoffelchips und einen Schokodrink.
Keine Mahlzeit, die mir schmecken würde.«
»Abfall?«, kam Lamperts Stimme barsch durch das
Funkgerät.
»Definitiv.«
Sprengstoffeinheit eins rief durch; eine Suche rund
um Yorks Mercedes hatte nichts außer einem zerknüllten Pappbecher
zutage gefördert, den Trotter möglicherweise dorthin geworfen hatte
oder aber jemand anderes.
York wischte sich über das Gesicht und stieg aus
dem Wagen. »Verdammt noch mal«, sagte er und stützte sich am Rahmen
ab, »er hat uns vorgeführt. Reden wir mal ein Wörtchen mit dem
Schweinehund.«
Lampert blickte auf und sah Eberhart und York
wütend in das Restaurant marschieren. Die Gäste widmeten sich
inzwischen wieder ihren Mahlzeiten und fanden sichtlich Gefallen an
dem fernsehreifen Auftritt der Gesetzeshüter.
Der uniformierte Beamte, der Trotter gerade
durchsucht hatte, meldete Lampert: »Brieftasche, Schlüssel, Geld.
Sonst nichts.«
Ein weiterer Beamter des Sprengstofftrupps hatte
vorsichtig den »Zünder« untersucht und berichtet, sie hätten sich
geirrt; es war nur ein kleiner Laptop. Während York die Information
noch verdaute, erschien ein Beamter in Zivil in der Tür. »Wir haben
Trotters Wagen durchsucht«, sagte er. »Kein Sprengstoff.«
»Sprengstoff?«, fragte Trotter und furchte die
Stirn.
»Werden Sie jetzt mal nicht komisch«, sagte
Lampert.
»Aber eine leere Propangasflasche lag im Wagen«,
fügte der Beamte an. »Von Rodriguez.«
»Sie muss aufgefüllt werden«, merkte Trotter an.
»Ich fahre dafür immer zu Rodriguez, ich wollte es gleich nach dem
Essen erledigen.« Er nickte in Richtung Speisekarte. »Haben Sie die
Tamales hier schon einmal probiert? Es sind die besten der
Stadt.«
»Sie haben uns an der Nase herumgeführt«, murmelte
York. »Sie haben uns glauben lassen, Ihr Abfall sei eine
Bombe.«
Ein kaltes Lächeln huschte über das Gesicht des
Unternehmers. »Wieso dachten Sie eigentlich, dass ich eine Bombe
habe?«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann wandte
sich Lampert an Eberhart, der den Blicken der Anwesenden
auswich.
Trotter wies mit einem Kopfnicken auf den Computer.
»Drücken Sie die Enter-Taste.«
»Was?«, fragte Lampert.
»Die Enter-Taste.«
Lampert zögerte und betrachtete den Laptop.
»Es ist keine Bombe. Und selbst, wenn es eine wäre,
glauben Sie, ich würde mich mit in die Luft sprengen?« Der
Detective drückte die Taste.
»O mein Gott«, murmelte Eberhart, als ein Video auf
dem kleinen Schirm erschien.
Es zeigte den Sicherheitsexperten beim Durchstöbern
eines Büros.
»Sind Sie das, Stan?«, fragte Lampert.
»Ich...«
»Er ist es«, sagte Trotter. »Bei mir zu Hause, in
meinem Büro.«
»Sie sagten doch, Sie hätten von einer Ihrer
Quellen erfahren, dass sich Trotter nach Yorks Einkaufsgewohnheiten
und nach Propangasflaschen erkundigt habe.«
Eberhart sagte nichts.
»Ich wollte nach dem Essen beim Polizeirevier
vorbeifahren und die CD abliefern«, erklärte Trotter. »Aber da Sie
schon mal hier sind... Sie gehört Ihnen.«
Die Beamten beobachteten, wie Eberhart Trotters
Schreibtisch durchwühlte.
»Das nennt man dann wohl Einbruch, nicht wahr«,
sagte Trotter. »Und unbefugte Störung meiner Privatsphäre dazu. Und
für den Fall, dass Sie gerade fragen wollten: Jawohl, ich werde
Anzeige erstatten. In jedem Umfang, den das Gesetz zulässt.«
»Aber ich habe...«, stammelte der
Sicherheitsexperte.
»Sie haben was?«, sprang Trotter ein. »Den Strom
abgeschaltet? Und die Ersatzbatterie dazu? Tja, aber dank
Mr. York fühlte ich mich in letzter Zeit ein bisschen unsicher. Ich
habe zwei Batterien für den Notfall.«
»Sie sind in sein Haus eingebrochen?«, fragte
Stephen York Eberhart und sah schockiert aus. »Davon haben Sie mir
nichts gesagt.«
»Sie gottverdammter Judas!«, brach es aus Eberhart
heraus. »Sie wussten genau, was ich tat. Sie waren einverstanden.
Sie wollten, dass ich es tue!«
»Ich schwöre«, sagte York, »das ist das Erste, was
ich darüber höre.«
Lampert schüttelte den Kopf. »Warum haben Sie das
bloß getan, Stan? Ich hätte ja über einiges hinwegsehen können,
aber Einbruch? Wirklich dumm.«
»Ich weiß, ich weiß«, antwortete Eberhart und
blickte zu Boden. »Aber wir wollten den Kerl unbedingt kriegen. Er
ist gefährlich. Er hat Bücher über Sabotage und Überwachung
besorgt … Bitte, Bill, können Sie nicht ein Auge zudrücken?«
»Tut mir leid, Stan.« Er nickte einem uniformierten
Beamten zu, der dem Sicherheitsberater Handschellen anlegte.
»Bringen Sie ihn ins Untersuchungsgefängnis.«
»Falls es Sie interessiert«, rief ihm Trotter
hinterher, »diese Bücher über Bomben und alles – die brauche ich
zur Recherche. Ich versuche mich nämlich gerade an einem Krimi. Das
scheint heutzutage ja jeder zu tun. Ein paar Kapitel finden sich in
diesem Computer hier, Sie können nachsehen, wenn Sie mir nicht
glauben.«
»Sie lügen!«, sagte York und wandte sich dann an
Lampert. »Sie wissen, warum er das getan hat, oder? Es gehört alles
zu seinem Plan.«
»Mr. York, Sie...«
»Nein, nein, denken Sie darüber nach. Erst legt er
meinen Sicherheitsexperten rein, um ihn loszuwerden, sodass ich
ungeschützt bin. Dann inszeniert er die ganze Geschichte hier mit
der falschen Bombe, um Ihre Vorgehensweise kennenzulernen – das
Sprengstoffkommando, wie viele Beamte Sie haben, wer Ihre
Undercoverleute sind.«
»Haben Sie eine Tüte von Whole Food auf dem
Kofferraum von Mr. Eberharts Wagen abgestellt, Mr. Trotter?«,
fragte Alvarado.
»Nein. Wenn Sie glauben, ich hätte es getan, warum
prüfen Sie die Tüte nicht auf Fingerabdrücke?«
York deutete auf Trotters Tasche. »Handschuhe,
schauen Sie! Es wird keine Fingerabdrücke geben. Wieso trägt er bei
dieser Hitze Handschuhe?«
»Ich bin Gärtner. Ich trage für gewöhnlich
Handschuhe bei der Arbeit, wie die meisten meiner Kollegen... Ich
muss sagen, ich habe diese ganze Sache langsam ziemlich satt. Nur
weil ein Tagelöhner irgendetwas erzählt hat, bilden Sie sich ein,
dass ich ein Killer oder so bin. Ich habe es satt, dass in mein
Haus eingebrochen wird und dass man mich die ganze Zeit beobachtet.
Ich denke, es ist Zeit, meinen Anwalt anzurufen.«
York trat wütend vor. »Sie lügen! Sagen Sie mir,
warum Sie das tun! Sagen Sie es mir, verdammt noch mal! Ich habe an
alles zurückgedacht, was ich in meinem Leben je an Schlechtem getan
habe. Und ich meine wirklich alles. An den Obdachlosen, dem
ich riet, sich einen Job zu suchen, als er mich um einen
Vierteldollar fragte, das Mädchen hinter der Theke, das ich ein
fettes Schwein nannte, weil es mir das falsche Essen gegeben hatte,
den Hotelboy, dem ich kein Trinkgeld gab, weil er kein Englisch
konnte... Jede gottverdammte Kleinigkeit! Ich habe mein ganzes
Leben unter ein Mikroskop gelegt. Aber ich weiß nicht, was ich
Ihnen getan habe. Sagen Sie es mir. Sagen Sie es!« Er war rot im
Gesicht, die Adern traten hervor, und er ballte die Fäuste neben
dem Körper.
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« Trotter hob die
Hände, die noch immer in Handschellen steckten.
Der Detective traf eine Entscheidung. »Nehmt sie
ihm ab.« Ein Streifenbeamter sperrte die Fesseln auf.
York war nass geschwitzt. »Nein!«, sagte er zu
Lampert. »Das gehört alles zu seinem Plan!«
»Ich neige dazu, ihm zu glauben. Ich denke, Diaz
hat die ganze Sache erfunden.«
»Aber die Sauna...«, begann York.
»Denken Sie doch darüber nach. Nichts ist passiert.
Und mit den Bremsen an Ihrem Mercedes war alles in Ordnung. Wir
haben den Bericht gerade bekommen.«
»Aber das Reparaturhandbuch. Er hat eins
gekauft!«
»Bremsen?«, fragte Trotter.
»Sie haben ein Buch über Mercedesbremsen gekauft«,
sagte York. »Leugnen Sie es nicht.«
»Warum sollte ich es leugnen? Rufen Sie die
Zulassungsstelle an. Ich habe vor einer Woche eine alte
Mercedeslimousine erstanden. Sie braucht neue Bremsen, und das
erledige ich selbst. Tut mir leid, Mr. York, aber ich glaube, Sie
brauchen professionelle Hilfe.«
»Nein, er hat das Auto nur als Tarnung gekauft«,
tobte York. »Sehen Sie ihn an! Schauen Sie in seine Augen! Er
wartet nur auf eine Gelegenheit, mich zu töten.«
»Ein Auto als Tarnung gekauft?«, sagte Alvarado und
sah seinen Chef an.
Lampert seufzte. »Mr. York, wenn Sie so überzeugt
sind, in Gefahr zu sein, dann schlage ich vor, Sie engagieren sich
einen neuen Babysitter. Ich habe offen gestanden keine Zeit mehr
für diese Spiele.« Er wandte sich an sein Team. »Okay, Leute,
packen wir zusammen. Wir haben noch ein paar echte Fälle zu
erledigen.«
Der Detective sah den Barkeeper mit Trotters
Tamales in der Nähe warten. Er nickte, und der Mann brachte sie dem
Gartenbauunternehmer, der eine Serviette auf seinem Schoß
ausbreitete.
»Gut?«, fragte er.
»Die besten«, antwortete Trotter.
Lampert nickte. »Tut mir leid wegen der ganzen
Sache.«
Trotter zuckte mit den Achseln. Seine Stimmung
schien plötzlich umzuschlagen. Er wandte sich lächelnd an York, der
eben zur Tür hinausging, und rief: »Hey.«
Der Geschäftsmann blieb stehen und drehte sich
um.
»Viel Glück«, sagte Trotter. Dann begann er zu
essen.
Um zehn Uhr abends drehte Ray Trotter zu Hause
seine Runde, um wie immer seinen Kindern und dem Stiefsohn gute
Nacht zu sagen. (Seine jüngere Tochter bezeichnete ihn scherzhaft
als »Serien-Gute-Nacht-Täter«.)
Dann duschte er und ging zu Bett, wo er auf Nancy
wartete, die noch den Abwasch fertig machte. Kurz darauf gingen die
Lichter in der Küche aus, und seine Frau kam an der Tür vorbei. Sie
lächelte ihm zu und ging weiter ins Bad.
Einen Augenblick später hörte er die Dusche. Er
mochte das Rauschen des Wassers. Sicher, er war jetzt ein
Wüstenbewohner, aber er hatte noch immer eine Vorliebe für die
Geräusche des feuchten Nordostens.
In ein halbes Dutzend dicker Kissen gestützt,
dachte er über die Ereignisse des Tages nach, vor allem über den
Zwischenfall bei Miguel.
An Stephen York, mit seinem geröteten Gesicht und
der Furcht im Blick. Er hatte völlig die Beherrschung verloren. Er
hatte getobt wie ein Verrückter.
Und er hatte außerdem natürlich hundertprozentig
Recht gehabt. Ray Trotter hatte tatsächlich all das getan, was ihm
York vorwarf – angefangen damit, dass er Diaz wegen der Alarmanlage
angesprochen hatte, bis zu der Tatsache, dass er den Abfall auf den
Kofferraum von Eberharts Wagen gestellt hatte.
Klar hatte er das alles getan.
Aber er hatte nie die Absicht gehabt, York auch nur
ein Haar auf dem gestylten Kopf zu krümmen.
Er hatte Diaz nach Yorks Alarmanlage befragt, aber
am nächsten Tag hatte er den Arbeiter anonym wegen Drogen angezeigt
(Ray hatte gesehen, wie er anderen Angestellten seiner Firma Pot
verkaufte), in der Hoffnung, er würde der Polizei von Rays
Erkundigungen erzählen. Er hatte die Bücher über Sabotage gekauft,
ebenso wie das über Mercedesbremsen, aber er dachte keine Sekunde
daran, eine Bombe zu bauen oder sich am Wagen des Investmentbankers
zu schaffen zu machen. Die Keile in der Sauna wollte er nie
benutzen. Und er beabsichtigte nicht, aus den Chemikalien von
Southern States Zyanid herzustellen. Er hatte eine Ladung Zigarren
geschickt – sehr gute, übrigens, und absolut giftfrei. Selbst die
Berichte des Psychologen in seiner Akte bei der Veteranenverwaltung
waren Rays eigene Schöpfung. Er war zu der Behörde gegangen, hatte
um Einsicht in seine Akte gebeten und mehrere Blätter mit
Aufzeichnungen hineingeschmuggelt, die scheinbar ein Therapeut vor
Jahren bei Sitzungen mit ihm gemacht hatte und die seine
»schwierigen Jahre« nach der Militärzeit dokumentierten. Der ganze
Bericht war frei erfunden.
O ja, sein Herz brannte auf Rache an Stephen York.
Aber er zahlte es ihm nicht heim, indem er körperlich Vergeltung
übte; er tat es einfach, indem er den Mann glauben machte, dass
Trotter ihn töten wolle – und so gewährleistete, dass York lange,
lange Zeit in Elend und Verfolgungswahn verbrachte und darauf
wartete, dass es endlich passierte: Dass sein Wagen explodierte,
seine Benzinleitung leckte oder ein Schuss die Fenster seines
Schlafzimmers zerspringen ließ.
War das nur ein Magenkrampf – oder das erste
Symptom einer Arsenvergiftung?
Und welche Kränkung hatte Ray nun in einen
Racheengel verwandelt?
Ich weiß nicht, was ich Ihnen getan habe. Sagen
Sie es mir, sagen Sie es...
Zu Rays Erstaunen und Erheiterung hatte York
tatsächlich am Nachmittag bei Miguel’s genau die betreffende
Verfehlung erwähnt.
Ray dachte nun an jenen Herbsttag vor zwei Jahren
zurück. Seine Tochter Celeste war mit bekümmerter Miene von ihrem
Nachmittagsjob zurückgekehrt.
»Was ist los?«, hatte er gefragt.
Die Sechzehnjährige hatte nicht geantwortet,
sondern war sofort auf ihr Zimmer gegangen und hatte die Tür
abgeschlossen. Es war die Zeit kurz nach dem Tod ihrer Mutter
gewesen; gelegentliche Launenhaftigkeit war nichts Ungewöhnliches.
Ray hatte jedoch hartnäckig nachgebohrt, und sie hatte ihm erzählt,
warum sie so aus dem Häuschen war: Es war ein Zwischenfall während
ihrer Schicht bei McDonald’s gewesen.
Celeste gestand, dass sie versehentlich zwei
Bestellungen durcheinander gebracht und einem Mann statt eines Big
Macs ein Chicken Sandwich gegeben hatte. Er war gegangen, ohne den
Irrtum zu bemerken, aber nach fünf Minuten wiedergekommen und an
die Theke marschiert. Er hatte das schwergewichtige Mädchen von
Kopf bis Fuß gemustert und es angefahren: »Du bist also nicht nur
ein fettes Schwein, sondern auch noch dumm. Ich will den Manager
sprechen. Sofort!«
Celeste hatte sich bemüht, gelassen zu bleiben,
aber als sie die Geschichte ihrem Vater erzählte, war ihr eine
einzelne Träne über die Wange gelaufen. Ray hatte der Anblick das
Herz gebrochen. Am nächsten Tag hatte er von dem Manager die
Identität des Mannes erfahren und sich den Namen Stephen York fest
eingeprägt.
Eine einzelne Träne …
Manche Leute hätten vielleicht keinen weiteren
Gedanken daran verschwendet, aber da es die Träne seiner Tochter
gewesen war, beschloss Ray Trotter, es sei Zeit für
Vergeltung.
Er hörte nun, wie das Wasser zu laufen aufhörte,
und nahm einen Duft von Parfum aus dem Badezimmer wahr. Nancy kam
ins Bett und legte den Kopf an seine Brust.
»Du wirkst glücklich heute Abend«, sagte sie.
»Ja?«
»Ja. Als ich vorhin vorbeigegangen bin, hast du an
die Decke gesehen und... wie soll ich sagen... zufrieden
ausgesehen.«
Er überlegte. »Ja, das trifft es.« Ray löschte das
Licht, legte den Arm um seine Frau und zog sie näher zu sich.
»Ich bin froh, dass du in meinem Leben bist«,
flüsterte sie.
»Ich auch«, erwiderte er.
Dann streckte sich Ron aus und dachte über seine
nächsten Schritte nach.
Er würde York wahrscheinlich ein, zwei Monate in
Ruhe lassen. Dann, wenn sich der Geschäftsmann allmählich wohler
fühlte, würde er wieder loslegen.
Was sollte er als Nächstes tun? Vielleicht ein
leeres Arzneifläschchen neben Yorks Wagen und dazu ein bisschen
harmloses Botox an den Türgriff. Ja, das hatte was. Er würde
überprüfen müssen, ob eine Spur des Kosmetikmittels einen positiven
Befund auf Botulismusbakterien ergäbe.
Nun, da er die Polizei davon überzeugt hatte, dass
er unschuldig und York paranoid war, konnte der Geschäftsmann so
oft Feurio schreien, wie er wollte, die Detectives würden ihm nicht
mehr zuhören.
Das ganze Spielfeld lag offen vor ihm …
Vielleicht konnte er Yorks Frau mit einbeziehen.
Sie wäre sicherlich eine bereitwillige Bundesgenossin. Bei seiner
Überwachung hatte Ray gesehen, wie schlecht der Mann sie
behandelte. Er hatte einmal mit angehört, wie York einen Wutanfall
bekam, als sie ihm zusetzte, er solle ihr erlauben, sich am College
der Stadt einzuschreiben, wo sie ihren Abschluss nachholen wollte.
Er hatte sie angebrüllt, als wäre sie eine Teenagerin. Carole war
gerade verreist – vermutlich mit diesem Englischprofessor, den sie
an der Arizona State University kennengelernt hatte. Dort hatte sie
heimlich Vorlesungen besucht, anstatt Tennisstunden zu nehmen. Der
Mann hatte zur Universität von Los Angeles gewechselt, aber sie sah
ihn immer noch; sie trafen sich entweder in L. A. oder in Palm
Springs. Ray war ihr außerdem ein paar Mal zu einer Anwaltskanzlei
in Scottsdale gefolgt und nahm an, dass sie sich auf die Scheidung
von York vorbereitete.
Wenn alles vorbei war, würde sie ihm vielleicht
gern ein paar Insiderinformationen geben, die er verwenden
konnte.
Dann kam ihm noch eine Idee. Er könnte York einen
anonymen Brief schicken, vielleicht mit einer kryptischen
Botschaft. Die Worte wären nicht wichtig. Der entscheidende Punkt
würde der Geruch sein; er würde das Papier mit Mandelextrakt
beträufeln, das verräterische Aroma von Zyanid. Immerhin wusste ja
niemand, dass er keine Ladung Gift angemischt hatte.
Ach, es gab unendlich viele Möglichkeiten …
Er drehte sich auf die Seite, flüsterte seiner Frau
zu, dass er sie liebe, und war binnen einer Minute fest
eingeschlafen.