Der westfälische Ring
Der Einbruch in Charing Cross war der erfolgreichste seiner Laufbahn gewesen.
Er war auch, wie er nun erfuhr, möglicherweise derjenige, der seiner Berufung für alle Zeiten ein Ende setzen würde.
Und ihm obendrein einen Ausflug in eine stinkende Zelle im Gefängnis Newgate einbringen konnte.
Der drahtige Peter Goodcastle saß in seinem vollgestopften Laden an der Great Portland Street, zupfte an dem Haarbüschel über dem Ohr und unter dem kahlen Schädel und nickte grimmig bei den Worten seines Besuchers, die kaum vernehmbar waren, da ein Bautrupp Ihrer Majestät mit einem rußigen Dampfhammer die mit Ziegeln gepflasterte Straße aufriss, um eine Hauptwasserleitung zu reparieren.
»Der Mann, den Sie ausgeraubt haben«, fuhr sein nervöser Gesprächspartner fort, »war der Wohltäter des Earl of Devon. Und er verfügt über seine eigenen Beziehungen überall im Parlament und in Whitehall. Die Königin spricht voller Respekt von ihm.«
Dies alles und noch sehr viel mehr wusste der vierundvierzigjährige Goodcastle natürlich über Lord Robert Mayhew, so wie er über alle seine Einbruchsopfer genau Bescheid wusste. Er brachte immer so viel wie möglich über sie in Erfahrung; gute Aufklärungsarbeit war nur eine der Fertigkeiten, die ihn vor den Nachforschungen Scotland Yards bewahrt hatten, seit er vor zwölf Jahren aus dem Krieg zurückgekehrt war und begonnen hatte, seinem Gewerbe als Dieb nachzugehen. Er hatte alle verfügbaren Informationen über Mayhew zusammengetragen und erfahren, dass dieser in der Tat in den obersten Kreisen der Londoner Gesellschaft, einschließlich Königin Victoria selbst, hohes Ansehen genoss. Wegen des großen Reichtums des Mannes und der Besessenheit, mit der er raren Schmuck und andere Wertsachen anhäufte, hatte Goodcastle dennoch befunden, dass der Lohn das Risiko wert sei.
Mit dieser Einschätzung hatte er sich jedoch offenkundig geirrt.
»Es ist der Ring, dessentwegen er so außer sich ist. Nicht wegen der anderen Stücke und schon gar nicht wegen der Sovereigns. Nein, der Ring. Er setzt alle Hebel in Bewegung, um ihn zu finden. Offenbar wurde er ihm von seinem Vater vererbt, der ihn wiederum von seinem Vater erhielt. Er ist von großem persönlichen Wert für ihn.«
Es war selbstverständlich immer klüger, Dinge zu entwenden, an denen ihre Besitzer gefühlsmäßig nicht hingen, und Goodcastle war zu dem Schluss gekommen, der Ring würde in diese Kategorie fallen, da er ihn in einer billigen, unverschlossenen Schatulle auf Mayhews Wäschekommode gefunden hatte, bedeckt von wertlosem Modeschmuck und Manschettenknöpfen.
Doch nun folgerte der Dieb, dass die nachlässige Behandlung nur eine geschickte List gewesen war, um das kostbare Stück besser zu schützen – wenngleich natürlich nur vor weniger geübten Dieben als Goodcastle einer war; er hatte vor zehn Jahren das Antiquitätengeschäft der Familie geerbt und war notwendigerweise ein Experte darin geworden, Dinge wie Musiktruhen, Silber, Möbel... und eben alten Schmuck einzuschätzen. Er war in seiner Maske vor freudigem Schreck erstarrt, als er den Schatz in Mayhews Ankleide entdeckt hatte.
Von dem berühmten Goldschmied Wilhelm Schröder aus Westfalen zu Beginn des Jahrhunderts gefertigt, wies der Ring goldene Bänder im Wechsel mit silbernen auf. In das Gold waren Diamanten eingesetzt, in das Silber tiefblaue Saphire. Goodcastle war so überrascht und erfreut über den Fund gewesen, dass er außer ihm nur eine diamantene Krawattennadel, eine bescheidene Brosche und fünfzig Goldguineen mitgenommen hatte, und die vielen anderen Kunstwerke, Schmuckstücke und Gold- und Silbermünzen in Mayhews Boudoir nicht anrührte (eine weitere Regel der Dieberei: Je bescheidener der Raub, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Wochen und Monate vergehen, ehe das Opfer den Verlust bemerkt, falls es ihn nicht gänzlich übersieht).
Genau darauf hatte er bei dem Einbruch in Charing Cross gehofft. Die Sache hatte sich letzten Donnerstag ereignet, und Goodcastle hatte keine Berichte über den Diebstahl im Daily Telegraph, in der Times oder anderen Zeitungen gesehen.
Traurigerweise verhielt es sich jedoch nicht so, wie sein Informant – der trefflich in Scotland Yard selbst platziert war – nun erläuterte.
»Obendrein«, flüsterte der Mann, drehte die Krempe seines Homburger Hutes und schaute auf den kühlen, grauen Aprilhimmel über London hinaus, »habe ich gehört, die Inspektoren hätten Grund zu der Annahme, dass der Dieb Verbindungen zur Möbel- oder Antiquitätenbranche besitzt.«
»Wie um alles in der Welt«, flüsterte Goodcastle aufgeschreckt, »können sie das herausgefunden haben? Durch einen Informanten?«
»Nein, die Polizei hat in Sir Mayhews Wohnung gewisse Hinweise gefunden, die sie zu dieser Schlussfolgerung führten.«
»Hinweise? Was für Hinweise?« Wie immer hatte Goodcastle peinlich genau darauf geachtet, nichts zurückzulassen. Er hatte alle seine Werkzeuge und Kleidungsstücke mitgenommen. Und er trug nie auch nur ein Dokument oder etwas anderes bei sich, das zu ihm oder Goodcastle Antiquitäten führen konnte.
Doch die Erklärung seines Verbündeten ließ das Blut des Einbrechers nun noch weiter gefrieren. »Die Inspektoren fanden winzige Reste verschiedener Substanzen auf der Leiter, im Schlafzimmer und im Ankleideraum. Soviel ich mitbekommen habe, war eine davon ein wenig geschnittenes und getrocknetes Rosshaar, wie es zum Füllen von gepolsterten Diwanen, Sofas und Liegen verwendet wird, obwohl Mayhew nichts dergleichen besitzt. Außerdem entdeckten sie etwas Wachs, das einzig als Möbelpolitur Verwendung findet, von einer Sorte, die häufig in großen Mengen von Handwerkern gekauft wird, die Möbel reparieren, neu gestalten oder verkaufen... Ach ja, und sie haben ein wenig roten Ziegelstaub entdeckt. Er befand sich auf den Sprossen der Leiter. In den umliegenden Straßen konnten die Wachtmeister keinen ähnlichen Staub finden. Sie glauben, dass er von den Stiefeln des Diebes stammt.« Der Mann warf einen Blick nach draußen, wo der rötliche Staub der zermalmten Ziegel den Bürgersteig bedeckte.
Goodcastle seufzte verärgert über seine eigene Torheit. Er hatte die Leiter genau so zurückgestellt, wie er sie in Mayhews Wagenschuppen gefunden hatte, aber nicht daran gedacht, sie von Materialien zu säubern, die er an seinen Schuhen transportiert hatte.
Man schrieb das Jahr 1892, und während die Welt auf den Beginn eines neuen Jahrtausends zustürmte, waren überall erstaunliche technische Fortschritte zu sehen. Elektrisches Licht, von Benzin angetriebene Fahrzeuge, die Pferdekutschen ersetzten, bewegte Bilder... Es war nur natürlich, dass sich auch Scotland Yard bei der Verfolgung von Verbrechern der neuesten wissenschaftlichen Techniken bediente.
Hätte er vor dem Einbruch gewusst, dass man sich beim Yard diese Herangehensweise zu eigen machte, hätte er entsprechende Vorsichtsmaßnahmen treffen können, wie etwa sich die Hände zu waschen und die Stiefel abzuschrubben.
»Wissen Sie noch mehr?«, fragte er seinen Informanten.
»Nein, Sir. Ich bin immer noch in der Abteilung für Schuldnervergehen beim Yard. Was ich über diesen Fall weiß, stammt nur aus zufällig mitgehörten Gesprächen. Ich fürchte, ich kann nicht eingehender nachforschen, ohne Verdacht zu erregen.«
»Ich verstehe, natürlich. Danke für diese Informationen.« »Sie waren immer sehr großzügig zu mir, Sir. Was werden Sie nun unternehmen?«
»Das weiß ich ehrlich gesagt nicht, mein Freund. Vielleicht werde ich das Land verlassen müssen und mich auf dem Kontinent niederlassen – Frankreich wahrscheinlich.« Er musterte seinen Informanten und runzelte die Stirn. »Ich denke, Sie sollten aufbrechen. Nach allem, was Sie erzählt haben, könnte die Staatsgewalt durchaus schon auf dem Weg hierher sein.«
»Aber London ist eine gewaltig große Stadt. Halten Sie es nicht für unwahrscheinlich, dass man den Weg zu Ihrer Tür finden wird?«
»Davon wäre ich überzeugt, wenn die Beamten nicht eine derartige Sorgfalt bei der Durchsuchung von Mayhews Wohnung an den Tag gelegt hätten. Doch so wie sie neuerdings allem Anschein nach denken, würde ich mir als Inspektor beim Yard einfach eine Liste aller gegenwärtig laufenden öffentlichen Arbeiten besorgen oder die Lage aller Ziegelgebäude ermitteln, die gerade abgerissen werden, und mit einer Liste der Möbel- und Antiquitätenhändler in der Nachbarschaft vergleichen. Und das würde sie in der Tat sehr nahe an meine Tür führen.«
»Ja, das wäre einleuchtend... schreckliche Sache, das.« Der Mann erhob sich und setzte seinen Hut auf. »Und was wird aus Ihnen werden, wenn die Beamten eintreffen, Mr. Goodcastle?«
Sie werden mich natürlich verhaften und einsperren, dachte der Ladeninhaber, doch er sagte: »Ich will das Beste hoffen. Nun sollten Sie aber gehen, und ich halte es für klüger, wenn wir uns nicht wiedersehen. Es gibt keinen Grund, warum man Sie ebenfalls vor Gericht stellen sollte.«
Der nervöse Mann sprang auf. Er schüttelte Goodcastle die Hand. »Falls Sie tatsächlich das Land verlassen, wünsche ich Ihnen alles Gute.«
Der Einbrecher gab dem Informanten eine Handvoll Sovereigns, ein Bonus, der weit über das hinausging, was er ihm bereits gezahlt hatte.
»Gott segne Sie, Sir.«
»Ich würde Seinen Beistand in dieser Angelegenheit höchstwahrscheinlich gebrauchen können.«
Der Mann ging rasch. Goodcastle blickte ihm nach; halb erwartete er, seinen Laden von einem Dutzend Wachtmeistern und Inspektoren umringt zu sehen, aber alles, was er bemerkte, waren die Bauarbeiter in ihren schmutzigen Overalls, welche die von dem kraftvollen Meißel des Dampfhammers zertrümmerten Ziegel wegkarrten, und ein paar Passanten, die schwarzen Schirme zum Schutz vor den gelegentlichen Frühlingsschauern aufgespannt.
Da im Augenblick keine Kunden im Laden waren und sein Chefhandwerker Markham im rückwärtigen Teil arbeitete, schlüpfte Goodcastle in sein Büro und öffnete den hinter einem Wandteppich versteckten und zusätzlich mit einer wie ein Stück Wand wirkenden Abdeckung getarnten Safe.
Er entnahm ihm eine Stofftasche, die mehrere Beutestücke aus Einbrüchen der letzten Zeit enthielt, darunter die Krawattennadel, die Brosche, die Guineen und der wundervolle westfälische Ring aus der Wohnung Mayhews.
Die anderen Gegenstände verblassten im Vergleich zu dem deutschen Ring. Das Licht der Gaslampe fiel auf die Edelsteine, und eine Salve aus blauen und weißen Strahlen schoss durch den Raum. Der Franzose, mit dem Goodcastle handelseinig geworden war, würde ihm dreitausend Pfund dafür bezahlen, was natürlich bedeutete, dass er ein Vielfaches davon wert war. Und doch sinnierte Peter Goodcastle, dass diese Schöpfung, so wundervoll sie war, auf ihn persönlich keine besondere Anziehungskraft ausübte. Tatsächlich bedeuteten ihm die erbeuteten Gegenstände nach einem erfolgreich ausgeführten Einbruch in ein Gemach, ein Museum oder ein Geschäft wenig, außer dass sie ihm Einkommen sicherten und damit die Mittel, seiner verbrecherischen Berufung weiter zu folgen, obwohl er hinsichtlich seiner Entlohnung alles andere als gierig war. Denn ob er dreitausend Sovereigns für den Ring erhielt oder einen Preis von vielleicht dreißigtausend, die seinem wahren Wert entsprochen hätten, oder lediglich eine Handvoll Kronen – darauf kam es nicht an. Nein, der Reiz für Goodcastle bestand in dem Diebstahl selbst und in der Perfektion seiner Ausführung.
Man wird sich vielleicht fragen, wie er eigentlich zu dieser merkwürdigen Berufswahl gekommen war. Goodcastle war privilegiert aufgewachsen und hatte eine vorzügliche Erziehung genossen. Auch hatte er sich zu keinem Zeitpunkt seines Lebens mit besonders rauen Gesellen eingelassen. Seine Eltern, beide längst verschieden, hatten ihn liebevoll behandelt, und sein Bruder war ausgerechnet Gemeindepfarrer in Yorkshire. Er nahm an, dass ein großer Teil der Motivation, die ihn zum Stehlen trieb, auf seine schrecklichen Erfahrungen während des Zweiten Afghanistankriegs zurückzuführen war. Goodcastle war Kanonier bei der berühmten Royal Horse Artillery gewesen. Zusammen mit anderen Abteilungen waren sie dazu abkommandiert worden, eine feindliche Streitmacht der Ghazi aufzuhalten, die fest entschlossen war, Kandahar anzugreifen. Am sengend heißen, staubigen 27. Juli 1880 traf die Truppe aus zweitausendfünfhundert Briten und Indern bei Maiwand auf den Feind. Was sie bis zum Beginn des Gefechts jedoch nicht wussten, war, dass die Afghanen ihnen zahlenmäßig zehn zu eins überlegen waren. Die Schlacht verlief vom ersten Augenblick an schlecht, denn zusätzlich zu der überwältigenden Menge fanatischer Kämpfer besaß der Feind nicht nur Gewehre, sondern auch Krupp-Geschütze. Die Ghazi zielten mit tödlicher Genauigkeit, und ihre Geschosse und Musketenkugeln wüteten fürchterlich in den Reihen der Briten.
Goodcastles Mannschaft, die Geschütz Nummer drei besetzte, erlitt schreckliche Verluste, doch gelang es ihnen, an jenem Tag mehr als einhundert Kugeln abzufeuern; der Lauf der Waffe war heiß genug, um Fleisch zu braten – wie die schweren Verbrennungen an Armen und Händen der Männer bewiesen. Schließlich jedoch gewann die überwältigende Mannschaftsstärke des Feindes die Oberhand. Mit einem Zangenmanöver rückten sie heran. Die Afghanen erbeuteten die britische Kanone, die ihre Besatzung nicht mehr rechtzeitig zerstören konnte, und die Fahne der Einheit – es war das erste Mal in der Geschichte der britischen Armee, dass sich ein solches Grauen ereignete.
Während Goodcastle und die anderen in wilder Flucht davonrannten, drehten die Ghazi die britischen Kanonen herum und verschlimmerten das Gemetzel; die Afghanen verwendeten dazu die Fahnenstangen der Regimentsflaggen als Ladestöcke für die Geschütze!
Eine schreckliche Erfahrung, ja – zwanzig Prozent der Horse Artillery gingen verloren, wie auch sechzig Prozent des 66th Foot Regiment – aber in gewisser Weise erwartete die schlimmste Heimsuchung die überlebenden Soldaten erst nach ihrer Rückkehr nach England. Goodcastle und seine Kameraden sahen sich als Parias behandelt, als Feiglinge gebrandmarkt. Die Verachtung war ihnen ein Rätsel und wirkte verheerend auf ihre Seelen. Doch Goodcastle erfuhr bald den Grund dafür. Premierminister Disraeli war, unterstützt von einer Anzahl Lords und der reichen Oberschicht, die hauptsächliche Triebfeder für die militärische Intervention in Afghanistan gewesen, die keinem anderen Zweck diente, als gegenüber Russland mit dem Säbel zu rasseln und dann Einfälle in das Gebiet zu machen. Die Niederlage bei Maiwand ließ viele Leute nach der Klugheit eines solchen Engagements fragen und brachte die Regierung postwendend in Verlegenheit. Sündenböcke wurden gebraucht, und wer eignete sich besser dazu als die Frontsoldaten, die bei einer der schlimmsten Niederlagen in der britischen Geschichte dabei gewesen waren?
Ein Adliger vor allem erzürnte Goodcastle durch gewisse Bemerkungen gegenüber der Presse, in denen er auf hartherzige Weise die Schande beklagte, die die Soldaten über die Nation gebracht hätten, ohne ein Wort des Mitgefühls für jene zu äußern, die ihr Leben, einen Arm oder ein Bein verloren hatten. Der Ladeninhaber war so aufgebracht, dass er Rache schwor. Aber an Tod und Gewalt hatte er bereits genug in Maiwand erlebt, und er hätte niemals, unter keinen Umständen, einen unbewaffneten Gegner verletzt, deshalb beschloss er, den Mann auf subtilere Weise zu bestrafen. Er ermittelte seinen Wohnsitz, und einen Monat nach seinen gedankenlosen Bemerkungen musste der Gentleman zur Kenntnis nehmen, dass ein Versteck mit Münzen – nicht besonders schlau in einer Vase in seinem Büro untergebracht – erheblich geschrumpft war.
Nicht lange danach hielt ein Fabrikbesitzer sein Versprechen nicht ein, ein halbes Dutzend der Veteranen des Afghanistanfeldzugs einzustellen. Auch der Industrielle bezahlte teuer – mit einem Gemälde, das Goodcastle aus seinem Sommerhaus in Kent stahl und verkaufte; den Erlös teilte er unter denjenigen auf, denen die Anstellung verweigert worden war. (Goodcastle kamen dabei die Erfahrungen im Antiquitätengeschäft seines Vaters zustatten: Trotz der Bedenken der Veteranen wegen der zweifelhaften Qualität der Leinwand, die von einem Franzosen, einem gewissen Claude Monet stammte, gelang es ihm, einem amerikanischen Händler teures Geld für die verschwommene Landschaft zu entlocken.)
Die Vergeltung, die diese Diebstähle darstellten, freute ihn sicherlich – doch schließlich musste sich Goodcastle eingestehen, dass es nicht Rache war oder der Wunsch, Gerechtigkeit zu üben, was ihn am meisten daran anzog, sondern das Hochgefühl über das Erlebnis selbst... Ein gut ausgeführter Einbruch konnte einfach eine gewisse Schönheit besitzen, nicht weniger als ein handgeschnitzter Schrank, ein Bild von Fragonard oder eine Goldbrosche von William Tessler. Er bezwang seine Schuldgefühle und begann seiner neuen Berufung mit all dem Eifer und Geschick zu folgen, wie sie jeder erfolgreiche Mann, egal in welchem Beruf, an den Tag legt.
Nachdem er das Geschäft der Familie in der Great Portland Street geerbt hatte, stellte er fest, dass er und seine Angestellten einzigartigen Zugang zu den vornehmsten Häusern im hauptstädtischen London hatten, da sie Möbel abholten und auslieferten – perfekte Jagdgründe für einen raffinierten Einbrecher. Er war natürlich klug genug, nicht seine eigenen Kunden auszurauben, aber er hörte zu und beobachtete, schnappte dies und jenes über Nachbarn und Bekannte dieser Kunden auf – über Wertgegenstände, die sie kürzlich erworben hatten, größere Geldsummen, die sie erwarteten, wo sie ihre kostbarsten Gegenstände versteckt halten könnten, wann sie für gewöhnlich auf Reisen außerhalb Londons waren, Anzahl und Wesen von Pferdeburschen, Dienern und Wachhunden.
Eine brillante Idee, und bei vielen Gelegenheiten perfekt ausgeführt. Wie letzten Donnerstag in der Wohnung von Sir Robert Mayhew.
Doch es ist häufig nicht der Plan selbst, der schiefgeht, vielmehr sind es gänzlich unvorhergesehene Vorkommnisse, die ein Unternehmen entgleisen lassen. In diesem Fall die unerwartete Cleverness von Scotland Yard.
Goodcastle legte nun den westfälischen Ring und die anderen Gegenstände in den Safe zurück und zählte das Geld darin. Fünfhundert Pfund. In seinem Haus in London hatte er weitere dreitausend Sovereigns, dazu andere Wertsachen, die er in letzter Zeit gestohlen und für die er noch keine Käufer gefunden hatte. In seinem Landhaus befanden sich noch einmal fünftausend Pfund. Damit konnte er sich ohne Weiteres in den südlichen Provinzen Frankreichs einrichten, wo er schon mit Lydia geweilt hatte, der Schönen mit dem rabenschwarzen Haar aus Manchester, mit der er häufig reiste. Sie könnte auf Dauer zu ihm ziehen, wenn sie ihre eigenen Angelegenheiten hier geregelt hatte.
Aber für alle Zeit in Frankreich leben? Bei dem Gedanken sank ihm der Mut. Peter Goodcastle war Engländer durch und durch. Trotz aller rußigen Luft aus den düsteren Industriewerken, trotz seiner snobistischen Elite, seines viktorianischen Imperialismus und der schäbigen Behandlung, die ihm nach Maiwand zuteil geworden war, liebte er England.
Allerdings würde er zehn Jahre in Newgate gar nicht schätzen.
Er schloss die Safetür, setzte die Abdeckung darauf und ließ den Wandteppich darüber fallen. Heftig mit sich ringend, was er unternehmen könnte, spazierte er zurück in den Laden und suchte Trost in den vielen Gegenständen, die dort zum Verkauf angeboten wurden.
Eine Stunde später, als er noch zu keiner Entscheidung über sein weiteres Vorgehen gelangt war, fragte er sich, ob er hinsichtlich der Tüchtigkeit der Polizei vielleicht falsch gelegen hatte. Vielleicht hatten sie durch Glück ein paar richtige erste Schlüsse gezogen, aber dann waren sie mit ihrer Ermittlung ins Stocken geraten, und er würde ungeschoren davonkommen. Doch just in diesem Moment betrat ein Kunde den Laden und begann zu stöbern. Der Ladeninhaber lächelte zur Begrüßung, dann beugte er sich konzentriert über ein Kassenbuch, fuhr dabei jedoch fort, den Kunden zu beobachten, einen hoch gewachsenen, schlanken Mann im schwarzen Mantel, unter dem er einen Anzug von ähnlichem Farbton und ein weißes Hemd trug. Er prüfte sorgfältig die Uhren, Musiktruhen und Spazierstöcke, sein Blick war der eines Mannes, der beabsichtigt, etwas zu kaufen und einen guten Gegenwert für sein Geld zu erhalten.
Als Dieb hatte Peter Goodcastle gelernt, auf Kleinigkeiten zu achten; als Geschäftsmann wusste er Kunden einzuschätzen. Und nun fiel ihm ein wunderlicher Umstand auf: Der Mann prüfte nur die hölzernen Gegenstände, während das Inventar auch aus viel Porzellan, Elfenbein, Perlmutt, Zinn, Messing und Silber bestand. Nach Goodcastles Erfahrung betrachtete ein Kunde, der, sagen wir, eine Musiktruhe kaufen wollte, alle angebotenen Truhen, um ihren Wert und ihre Qualität abzuschätzen, auch wenn er vorhatte, eine hölzerne zu erwerben.
Dann bemerkte Goodcastle noch etwas. Der Mann fuhr mit dem Finger unauffällig über eine Fuge in einer Musiktruhe. Sein Interesse galt also nicht dem Holz selbst, sondern dem Wachs darauf, von dem er eine Probe mit dem Fingernagel aufnahm.
Der »Kunde« war gar keiner, wie der Ladeninhaber entsetzt erkannte; er war einer der Inspektoren vom Yard, von denen ihm sein Informant vorhin erzählt hatte.
Nun, noch ist nicht alles verloren, überlegte Goodcastle. Das Wachs, das er benutzte, war zwar aufgrund seines Preises – und weil es nur in Handelseinheiten erhältlich war – etwas selten, aber einzigartig war es gewiss auch nicht; viele andere Möbel- und Antiquitätenhändler kauften dasselbe. Daraus ließ sich keinesfalls auf seine Schuld schließen.
Doch dann fand der Polizeibeamte plötzlich Gefallen an einem roten Polsterstuhl. Er setzte sich darauf und klopfte an die Seiten, als wollte er ein Gefühl für die Bauart bekommen. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Entsetzt beobachtete Goodcastle, dass die rechte Hand des Mannes kurz aus dem Blickfeld verschwand und kaum merklich ein wenig Futter aus dem Polster zupfte.
Die Polsterung bestand aus getrocknetem Rosshaar, und es würde ohne Frage mit dem in Robert Mayhews Wohnung gefundenen übereinstimmen.
Der Inspektor erhob sich und schlenderte noch eine Weile in den Gängen auf und ab. Schließlich richtete er den Blick zum Ladentisch. »Sie sind Mr. Goodcastle?«
»In der Tat«, antwortete der Geschäftsmann, denn es zu leugnen würde später nur verdächtig wirken. Er fragte sich, ob man ihn auf der Stelle verhaften würde. Sein Herz schlug heftig.
»Sie haben hier einen hübschen Laden.« Der Inspektor bemühte sich, liebenswürdig zu sein, aber Goodcastle entdeckte die Kälte eines Inquisitors in seinen Augen.
»Danke, Sir. Ich würde mich freuen, Ihnen behilflich sein zu können.« Seine Handflächen begannen zu schwitzen, und ihm wurde flau im Magen.
»Nein, danke. Ich muss leider wieder gehen.«
»Dann guten Tag. Kommen Sie wieder.«
»Das werde ich«, sagte der Mann und trat in die frische Frühlingsluft hinaus.
Goodcastle zog sich ins Halbdunkel zwischen einigen Schränken zurück und spähte aus dem Fenster.
Oh, nein!
Seine schlimmsten Befürchtungen wurden wahr. Der Mann hatte begonnen, die Straße zu überqueren, warf einen Blick zum Laden zurück und kniete, da er den Inhaber nicht sah, nieder, um sich vorgeblich die Schuhe zu binden. Doch die Schnürsenkel saßen bereits einwandfrei; der Sinn der Bewegung bestand darin, ein wenig roten Ziegelstaub von den Bauarbeiten aufzunehmen – um ihn mit ähnlichem Staub zu vergleichen, den Goodcastle auf den Sprossen der Leiter und in der Wohnung in Charing Cross hinterlassen hatte. Der Polizist verstaute den Ziegelstaub in einem kleinen Kuvert und setzte dann seinen Weg fort, mit den beschwingten Schritten eines Mannes, der soeben ein Bündel Banknoten auf der Straße gefunden hat.
Panik machte sich in Goodcastle breit. Er begriff, dass seine Verhaftung unmittelbar bevorstand. Es würde also ein Rennen gegen die Uhr sein, wollte er sich dem Zugriff des Gesetzes noch entziehen. Jede Sekunde zählte.
Er ging in den hinteren Teil des Ladens und öffnete die Tür zum rückwärtigen Raum. »Markham«, rief er dem rundlichen, bärtigen Handwerker zu, der dort gerade eine Kommode im chinesischen Stil lackierte. »Hüten Sie den Laden für ein, zwei Stunden. Ich bin in einer dringenden Angelegenheit unterwegs.«
 
Bill Sloat saß über seinen vollgestellten, bierfleckigen Tisch im Green Man Pub gebeugt, umgeben von einem halben Dutzend seiner Kumpane, alles schmutzige, unterbelichtete Falstaffs, die einzig und allein deshalb hier waren, weil sie schnell und skrupellos ausführten, was Sloat ihnen befahl.
Der mit einer ungewaschenen alten Leinenjacke bekleidete Gangster blickte auf, als sich Peter Goodcastle näherte, spießte ein Stück Apfel mit seinem scharfen Messer auf und aß die mehlige Frucht langsam. Er wusste nicht viel über Goodcastle, außer dass er einer der wenigen Geschäftsleute in der Great Portland Street war, der seine wöchentlichen zehn Pfund – die er »Handelsgebühr« nannte – ausspuckte, ohne dass man ihn mit einem deftigen Arschtritt oder einem Schnitt mit dem Rasiermesser daran erinnern musste.
Der Ladenbesitzer blieb vor dem Tisch stehen und nickte dem fetten Mann zu. »Was führt Sie hierher, M’lord?«, murmelte dieser.
Der Titel war natürlich ironisch gemeint. In Goodcastles schlaffen Venen floss kein Tropfen Adelsblut. Doch in einer Stadt, in der Klasse die wichtigste Messlatte war, an der man einen Mann maß, noch mehr als Geld, trennten Goodcastle und Sloat Welten. Der Gangster war unter harten Bedingungen im East End aufgewachsen und hatte nie auch nur eine Spur der Förderung erhalten, wie man sie Goodcastle angedeihen ließ, dessen Eltern aus einer angenehmen Gegend in Surrey stammten. Was Grund genug für Sloat war, ihn nicht zu mögen, trotz der Tatsache, dass er seine zehn Pfund pünktlich ausspuckte.
»Ich muss mit Ihnen reden.«
»Na, so was. Red nur, mein Freund, ich bin ganz Ohr.«
»Allein.«
Sloat spießte noch ein Stück Apfel auf und kaute ihn, dann murmelte er: »Lasst uns allein, Jungs«, worauf sich die Schläger, die am Tisch saßen, kichernd oder murrend mit ihren Biergläsern verzogen.
Er betrachtete Goodcastle genau. Der Mann mochte sich ja alle Mühe geben, sorglos zu erscheinen, aber er hatte eindeutig etwas Verzweifeltes an sich. Ah, das war schön! Verzweiflung und ihre Schwester Angst motivierten einen Mann weit eher dazu, zu tun, was man wollte, als Gier. Mit einem stumpfen Finger, der in einem von dem Ruß schwarzen Nagel endete, der wie Schnee auf diesen Teil der Stadt fiel, deutete Sloat auf Goodcastle. »Wenn du hier bist, um mir zu sagen, dass du meine Knete diese Woche nicht hast, kannst du’s dir gleich abschminken.«
»Nein, nein, nein, Sie bekommen Ihr Geld. Das ist es nicht.« Er flüsterte. »Hören Sie mich an, Sloat. Ich bin in Schwierigkeiten. Ich muss rasch das Land verlassen, ohne dass es jemand erfährt. Ich bezahle Ihnen ein hübsches Sümmchen, wenn Sie das regeln können.«
»Du bezahlst für alles, was ich für dich tue, ein hübsches Sümmchen, mein Freund, verlass dich drauf«, erwiderte Sloat lachend. »Was hast’n gemacht, dass du so schnell Urlaub brauchst?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»He, he, zu schüchtern, um deinem Freund Bill die Geschichte zu erzählen? Hast irgend’nem armen Kerl Hörner aufgesetzt? Oder einen Sack Geld beim Spielen verloren?« Dann kniff Sloat die Augen zusammen und lachte rau. »Aber nein, M’lord. So kahl und dürr, wie du bist, wird es kein verheiratetes Vögelchen mit dir treiben. Und du hast nich’ den Mumm, mehr als’nen Heller aufs Spiel zu setzen. Also, wer ist hinter dir her, Kumpel?«
»Ich kann es nicht sagen«, flüsterte Goodcastle.
Sloat trank von seinem Bitter. »Egal. Erzähl weiter. Es is’ Essenszeit, und ich hab Hunger.«
Goodcastle blickte sich um und senkte die Stimme noch weiter. »Ich muss nach Frankreich kommen. Niemand darf davon erfahren. Und ich muss noch heute Abend aufbrechen.«
»Heute Abend?« Der Schurke schüttelte den Kopf. »Bei meiner Seele.«
»Ich habe gehört, Sie haben überall im Hafen Verbindungen.«
»Wenn Bill was hat, dann Verbindungen. Die hat er, jawoll.«
»Können Sie mich auf ein Frachtschiff mit Ziel Marseille bringen?«
»Das is’ verdammt viel verlangt, mein Freund.«
»Ich habe keine andere Wahl.«
»Na ja, ich könnte es schon hinkriegen.« Er überlegte einen Moment. »Es kostet dich tausend Pfund.«
»Was?«
»Es ist Mittag, verdammt noch mal. Schau auf die Uhr. Was du da verlangst, ist keine leichte Sache, verstehst du? Ich werde den ganzen Tag wie ein aufgescheuchtes Huhn herumrennen müssen. Himmel noch mal. Vom Risiko ganz zu schweigen. Im Hafen gibt es massenhaft Wachleute, Zollagenten, bewaffnete Sergeanten – es wimmelt nur so von ihnen... Also, M’lord: Eintausend.« Er spießte noch einen braunen Apfelschnitz auf und kaute ihn.
»Also gut«, stimmte Goodcastle mit finsterer Miene zu. Die beiden Männer schüttelten sich die Hand.
»Ich brauch was im Voraus. Muss’n paar Leute schmieren, du verstehst?«
Goodcastle zog seine Geldbörse und zählte einige Münzen heraus.
»Nu, gib schon her, Mensch.« Bill streckte die feiste Hand aus und schnappte sich die ganze Börse. »Man dankt... Und wann krieg ich den Rest?«
Goodcastle sah auf seine Taschenuhr. »Ich kann es bis vier Uhr beisammen haben. Können Sie bis dahin alles regeln?«
»Verlass dich drauf«, sagte Sloat und winkte der Kellnerin.
»Kommen Sie im Laden vorbei.«
Sloat kniff die Augen zusammen und musterte sein Gegenüber misstrauisch. »Wenn du schon nicht sagen willst, was du angestellt hast, dann verrat mir wenigstens, ob man sich gefahrlos mit dir treffen kann.«
Der Geschäftsmann lachte grimmig. »Kennen Sie den Ausdruck ›Jemand von seiner eigenen Medizin zu kosten geben‹?«
»Klar.«
»Nun, genau das habe ich vor. Seien Sie unbesorgt. Ich werde es so einrichten, dass wir allein sind.«
Dann seufzte Goodcastle noch einmal und verließ das Pub.
Sloat blickte ihm nachdenklich hinterher. Tausend Pfund für ein paar Stunden Arbeit.
Verzweiflung, dachte er, ist doch wirklich eine verdammt feine Sache.
 
Um fünf Minuten vor vier an diesem Nachmittag wartete Peter Goodcastle nervös auf Bill Sloats Ankunft.
Während er seine Vorkehrungen getroffen hatte, um dem Arm des Gesetzes zu entgehen, hatte er nach außen hin den Anschein eines normalen Geschäftsalltags gewahrt. Er beobachtete jedoch weiter die Straße. Und tatsächlich entdeckte er mehrere Detektive in Zivil. Sie taten so, als würden sie bei den Bauarbeiten in der Straße zuschauen, aber es war unübersehbar, dass ihr Interesse in Wahrheit vor allem Goodcastle und dem Laden galt.
Der Inhaber setzte nun seinen Plan in die Tat um. Er rief Markham, seinen Handwerker, und einen der Männer, die er regelmäßig zum Transport von Möbeln einsetzte, zu sich. Goodcastle steckte dem jungen Möbelpacker ein in Papier gehülltes Päckchen zu, das eine Spieldose enthielt, wobei er sich wie ein Schauspieler in einem billigen Melodram vorsätzlich verdächtig benahm. Er gab Anweisung, das Paket so rasch wie möglich zu Goodcastle nach Hause zu schaffen. Einer der Detektive, der Zeuge der anscheinend heimlichen Aktion wurde und wohl annahm, das Paket enthalte Beute oder Beweismaterial, ging dem jungen Mann nach, sobald dieser den Laden verließ.
Danach entließ Goodcastle Markham für diesen Tag und gab ihm ein ähnliches Päckchen mit nach Hause, mit der Anweisung, sich zu vergewissern, dass der Mechanismus der Spieldose zuverlässig funktionierte. Der verbliebene Detektiv sah den Handwerker mit dem Päckchen unter dem Arm den Laden verlassen und kam nach einem Moment des Zwiespalts offenbar zu dem Entschluss, es sei besser, dieser potenziellen Beweisquelle zu folgen, als auf seinem Posten zu bleiben.
Goodcastle spähte sorgfältig die Straße auf und ab und sah keine weiteren Detektive. Die Arbeiter waren gegangen, und die Great Portland Street war menschenleer bis auf ein Ehepaar, das vor dem Schaufenster stehen blieb und dann den Laden betrat. Während sie die Schränke betrachteten, sagte Goodcastle zu ihnen, er würde sofort wieder hier sein, stahl sich, nach einem neuerlichen Blick auf die leere Straße, in sein Büro und schloss die Tür hinter sich.
Er setzte sich an seinen Schreibtisch, hob den Orientteppich zur Seite und öffnete erst die Geheimabdeckung und dann den Safe. Er griff gerade hinein, als er einen Luftzug spürte und daran erkannte, dass die Bürotür geöffnet worden war.
Goodcastle schrie: »Nein!«, und sprang auf. Er sah sich dem männlichen Part des Paares gegenüber, das gerade den Laden betreten hatte. Der Mann hielt eine große Webley-Pistole in der Hand.
»Großer Gott!«, stieß Goodcastle hervor. »Sie wollen mich ausrauben!«
»Nein, Sir, ich bin hier, um Sie zu verhaften«, sagte der Mann ruhig. »Bitte bewegen Sie sich nicht. Ich möchte Sie nicht verletzen. Aber ich werde es tun, wenn Sie mich dazu zwingen.« Darauf blies er in eine Polizeipfeife, die einen schrillen Ton von sich gab.
Einen Moment später sah Goodcastle, wie die Tür aufflog und zwei Inspektoren von Scotland Yard in Zivil in den Laden stürmten, begleitet von zwei uniformierten Konstablern. Die Frau – die als die vorgebliche Gattin des ersten Inspektors aufgetreten war – winkte sie in Richtung Büro. »Der Safe ist dort hinten«, rief sie.
»Famos!«, rief ein Inspektor – es war der schlanke, dunkle Mann, der zuvor als Kunde getarnt im Laden gewesen war. Sein Kollege, der einen Bowlerhut trug, war ansonsten ähnlich gekleidet, mit einem Mantel über einem Anzug, aber er unterschied sich im Aussehen, da er größer und sehr blass war, mit einem flachsfarbenen Haarschopf. Beide Polizisten fassten den Ladeninhaber an den Armen und führten ihn hinaus in den eigentlichen Laden.
»Was hat das alles zu bedeuten?«, polterte Goodcastle.
Der weißgesichtige Inspektor kicherte. »Ich garantiere Ihnen, das wissen Sie sehr genau.«
Sie durchsuchten ihn, und da sie keine Waffen fanden, ließen sie ihn wieder los. Der Inspektor, der mit der Frau am Arm in den Laden gekommen war, ersetzte die Webley durch ein Notizbuch und begann Belastungsmaterial darin zu notieren. Sie entließen die Frau mit überschwänglichem Dank, und diese erklärte, sie würden sie im Bezirkspolizeirevier antreffen, falls sie noch weiter benötigt würde.
»Worum geht es hier?«, fragte Goodcastle.
Der blasse Beamte überließ dem schlaksigen das Wort, der offenbar Chefinspektor war. Er musterte Goodcastle aufmerksam. »Sie sind also der Mann, der in Robert Mayhews Wohnung eingebrochen ist.«
»Wer? Ich schwöre, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
»Bitte, Mr. Goodcastle, beleidigen Sie unsere Intelligenz nicht. Sie haben mich zuvor bereits in Ihrem Laden gesehen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Während dieses Besuchs gelang es mir, eine Probe Möbelwachs von mehreren hölzernen Verkaufsobjekten zu nehmen. Die Substanz ist identisch mit dem Wachs, von dem wir Spuren in Lord Mayhews Ankleide fanden – ein Material, mit dem weder er noch seine Diener je in Berührung gekommen sind. Wir fanden außerdem ein Rosshaar, das mit einem übereinstimmt, das ich aus Ihrem Sessel gezogen habe.«
»Ich kann mir...«
»Und was sagen Sie zu der Tatsache, dass der Ziegelstaub vor Ihrem Laden derselbe ist wie jener, den wir auf den Sprossen der Leiter fanden, die benutzt wurde, um in Lord Mayhews Obergeschoss einzusteigen? Leugnen Sie nicht, dass Sie der Dieb sind.«
»Selbstverständlich leugne ich es. Das ist absurd!«
»Durchsuchen Sie den Safe«, wies der Inspektor einen Konstabler an und deutete mit einem Kopfnicken zum Büro. »Als ich vorhin hier war«, fuhr er mit seinen Erklärungen fort, »habe ich festzustellen versucht, wo Sie ein Versteck für Ihren unrechtmäßig erworbenen Gewinn haben könnten. Aber Ihr Laden weist viel zu viel Inventar und zu viele Nischen und Winkel auf. Wir könnten eine Woche stöbern, bis wir gefunden haben, wonach wir suchen. Deshalb haben wir diese beiden Detektive draußen auf der Straße postiert, um Sie glauben zu machen, Ihre Verhaftung stünde unmittelbar bevor. Wie von uns vorausgesehen, haben Sie die beiden in die Irre geleitet... Ich nehme an, damit sie zwei Pakete verfolgen, die von keinerlei Beweiswert sind.«
»Diese Lieferungen vor einer Weile?«, protestierte Goodcastle. »Ich habe eine Spieldose zu mir nach Hause geschickt, damit ich heute Abend daran arbeiten kann. Eine zweite hat mein Angestellter mitgenommen, um dasselbe zu tun.«
»Das behaupten Sie. Aber ich vermute, Sie verheimlichen ein Vergehen.«
»Das ist ja unerhört. Ich...«
»Lassen Sie mich bitte ausreden. Als Sie unsere Männer auf eine falsche Fährte lockten, verriet uns das, dass Ihre Flucht unmittelbar bevorstand, deshalb kamen mein Kollege hier und eine Schreibkraft vom Revier, die schon seit Stunden bereitstanden, als Kunden in den Laden.« Er wandte sich dem Polizisten zu, der den Ehemann gespielt hatte. »Famose Arbeit, übrigens.«
»Zu gütig, Sir.«
Der Chefinspektor wandte sich wieder an Goodcastle. »Sie wurden von dem bürgerlichen Paar zur Unvorsichtigkeit verleitet und waren, angetrieben von der Notwendigkeit, zu fliehen, so freundlich, uns direkt zum Safe zu führen.«
»Ich schwöre, ich bin nichts weiter als ein Antiquitätenhändler und Handwerker.«
Der blasse Detektiv kicherte wieder, während der »Ehemann« fortfuhr, alles in sein Notizbuch zu schreiben.
»Es gibt ein Problem, Sir«, sagte der Konstabler, als er aus dem Büro kam.
»Ist der Safe abgeschlossen?«
»Nein, die Tür war offen. Das Problem ist, dass dieser Ring nicht darin liegt.«
»Ring?«, fragte Goodcastle.
»Was ist denn in dem Safe?«, fragte der schlanke Polizist, ohne auf den Ladeninhaber zu achten.
»Geld, Sir, sonst nichts. Etwa fünfhundert Pfund.«
»Sind es Guineen?«
»Nein. Verschiedene Währungen, aber hauptsächlich Banknoten. Kein Gold.«
»Ich bewahre meine Einnahmen darin auf, meine Herren. Die meisten Kaufleute haben zu diesem Zweck einen Safe.«
Der leitende Detektiv blickte mit gefurchter Stirn in das Büro hinter ihnen und setzte zu sprechen an. In diesem Moment jedoch ging die Ladentür erneut auf, und Bill Sloat kam hereinspaziert. Der Gauner warf einen Blick auf die Konstabler und Inspektoren und wollte wegrennen. Er wurde jedoch von den zwei Uniformierten ergriffen und zurück in den Laden geschleift.
»Sieh an, wen haben wir denn hier? Mad Bill Sloat«, sagte der Inspektor mit dem Bowlerhut und legte die blasse Stirn in Falten. »Sie sind uns ja wohlbekannt. Dann machen Sie also mit Goodcastle gemeinsame Sache, oder?«
»Nein, Sie Scherge.«
»Etwas mehr Respekt, wenn ich bitten darf.«
»Bei der Königin, Sir«, sagte Goodcastle nervös, »Mr. Sloat hat nichts Unrechtes getan. Er kommt manchmal herein, um sich meine Waren anzusehen. Ich bin mir sicher, er ist heute aus keinem anderen Grund hier.«
Der Chefinspektor drehte sich zu ihm um. »Ich spüre, Sie verheimlichen etwas, Goodcastle. Sagen Sie uns, was Sie auf dem Herzen haben.«
»Nichts, wirklich.«
»Sie sind eher im Bau als geplant, wenn Sie uns nicht alles erzählen.«
»Halt bloß deine verdammte Klappe«, murmelte Sloat.
»Ruhe, du«, knurrte ein Konstabler.
»Na, los, Goodcastle. Sagen Sie es uns.«
Der Ladeninhaber schluckte. Er wandte den Blick von Sloat ab. »Dieser Mann ist der Schrecken der Great Portland Street! Er erpresst Geld und Güter von uns und droht damit, uns seine Schläger aus dem Green Man auf den Hals zu hetzen, wenn wir nicht zahlen. Er kommt jeden Samstag und fordert seinen Zehnten.«
»Wir haben solche Gerüchte gehört«, sagte der flachshaarige Detektiv.
Der Chefinspektor sah Goodcastle prüfend an. »Heute ist jedoch Montag, nicht Samstag. Warum ist er jetzt hier?«
»Ich warne dich...«, schrie der Schurke den Ladeninhaber an.
»Noch ein Wort, und Sie finden sich in der Schwarzen Maria wieder, Sloat.«
Goodcastle holte Luft und fuhr fort: »Letzten Donnerstag überraschte er mich um acht Uhr morgens im Laden. Ich hatte noch nicht geöffnet, war aber frühzeitig gekommen, weil ich am Abend zuvor erst spät mit der Arbeit an einigen Stücken fertig geworden war und sie noch wachsen und polieren wollte, ehe ich Kundschaft hereinließ.«
Der Chefinspektor nickte, während er dies bedachte. »Der Tag des Einbruchs«, sagte er zu seinen Kollegen. »Und nicht lange vorher. Bitte fahren Sie fort, Goodcastle.«
»Er ließ mich die Tür öffnen. Er stöberte unter den Spieldosen umher und prüfte sie sorgsam. Schließlich wählte er diese hier aus.« Goodcastle zeigte auf eine Dose aus Rosenholz auf dem Ladentisch. »Und er sagte, dass er diese Woche zusätzlich zu seinem Erpressungssterling die Dose mitnehmen würde. Doch damit nicht genug, sollte ich ihm noch ein geheimes Fach in den Boden bauen. Es musste so geschickt gemacht sein, dass man, egal wie sorgfältig man die Dose untersuchte, nicht finden würde, was er darin versteckt hielt.« Er zeigte ihnen die Spieldose und das Fach – das er gerade vor einer halben Stunde fertig gestellt hatte.
»Hat er gesagt, was er darin zu verstecken beabsichtigte?«, fragte der ranghöchste Beamte des Yard.
»Er sagte, ein wenig Schmuck und Goldmünzen.«
»Der Kerl is’ ein verdammter Lügner und Bandit, und wenn ich...«
»Still, du«, sagte der Konstabler und stieß den kräftigen Mann unsanft in einen Sessel.
»Hat er gesagt, woher die Sachen stammen?«
»Nein.«
Die Detektive sahen einander an. »Sloat kam also hierher«, spekulierte der ältere, »wählte die Dose aus und bekam dabei Wachs an seine Finger. Das Rosshaar und der Staub blieben ebenfalls an ihm haften. Dem zeitlichen Ablauf nach könnte er anschließend direkt zu Lord Mayhews Wohnung gegangen sein, wo er diese Substanzen dann zurückließ.«
»Klingt einleuchtend«, sagte der dritte Beamte und blickte von seinem Notizbuch auf.
»Und Sie haben keine kriminelle Vergangenheit, Goodcastle?«, fragte der blasse Detektiv. »Lügen Sie nicht. Es lässt sich leicht feststellen.«
»Nein, Sir. Ich schwöre, ich bin nur ein einfacher Kaufmann – falls ich etwas Unrechtes getan habe, dann nur, indem ich Sloats Erpressung nicht angezeigt habe. Aber das hat sich niemand von uns in der Great Portland Street getraut. Wir haben zu viel Angst vor ihm... Verzeihen Sie mir, meine Herren, es stimmt, dass ich die Polizisten auf der anderen Straßenseite in die Irre geführt habe. Ich hatte keine Ahnung, weshalb sie hier waren, aber sie sahen für mich wie Detektive aus. Ich musste sie von hier wegbekommen. Mr. Sloat konnte jeden Augenblick eintreffen, und ich wusste, wenn er die Gesetzeshüter hier bemerkte, würde er denken, ich hätte sie gerufen, und mich womöglich schlagen. Oder Schlimmeres.«
»Durchsucht ihn«, befahl der bleiche Detektiv und nickte in Richtung Sloat.
Sie zogen ein paar Münzen, eine Zigarre und einen Totschläger aus seinen Taschen, außerdem die Geldbörse. Der weißgesichtige Detektiv schaute hinein. »Guineen! Genau von der Sorte, die Lord Mayhew abhanden kamen.«
Die Königliche Münzanstalt hatte 1813 aufgehört, Goldguineen im Wert von einem Pfund und einem Schilling herzustellen. Sie waren natürlich noch legales Zahlungsmittel, aber inzwischen selten. Aus diesem Grund hatte Goodcastle auch nur wenige bei Lord Mayhew entwendet; man konnte sich verdächtig machen, wenn man viele davon ausgab.
»Das is’ nich’ meine Börse!«, tobte Sloat. »Es is’ seine!«
»Das ist eine Lüge!«, rief Goodcastle. »Wenn es meine wäre, warum haben Sie sie dann? Ich habe meine bei mir.« Er zeigte einen billigen Lederbeutel, der einige Pfund, Kronen und Pennys enthielt.
Der Konstabler, der die Börse in der Hand hielt, runzelte nun die Stirn. »Sie enthält noch etwas, Sir, in einer Tasche auf dem Boden versteckt.« Er zog zwei Gegenstände hervor und zeigte sie. »Eine Krawattennadel, wie sie Lord Mayhew gestohlen wurde. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um genau diese. Und die Rubinbrosche, die ebenfalls entwendet wurde!«
»Ich bin unschuldig, sage ich! Goodcastle hier ist mit einer Geschichte zu mir gekommen, dass er seinen Arsch heute noch nach Frankreich schaffen muss.«
»Und was war der Grund für diesen eiligen Rückzug?«, fragte der schreibende Detektiv.
»Das hat er nicht gesagt«, räumte Sloat ein.
»Wie praktisch«, bemerkte der blasse Detektiv ironisch. Es war eindeutig, dass sie dem Gauner nicht glaubten.
Goodcastle bemühte sich, eine neugierige und verhaltene Miene zu bewahren. Tatsächlich bebte er innerlich vor Angst und fragte sich, ob er dieses kleine Theater durchstehen würde. Er hatte schnell handeln müssen, um sich zu retten. Wie er zu Sloat gesagt hatte, würde er Scotland Yard von ihrer eigenen Medizin zu kosten geben – aber nicht, um sein Heimatland zu verlassen und nach Frankreich zu fliehen. Das, hatte er beschlossen, könnte er niemals tun. Nein, er würde Indizien einsetzen, um Sloat mit dem Einbruch in Verbindung zu bringen – eben mittels einer erfundenen Geschichte über die Spieldose mit dem Geheimfach einerseits und andererseits, indem er Sloat dazu brachte, ihm im Green Man die belastende Geldbörse abzunehmen.
Aber würde die Polizei den Hergang so akzeptieren?
Einen Moment lang sah es so aus, als würde sie es tun. Doch gerade als Goodcastle etwas freier zu atmen begann, drehte sich der Chefinspektor geschwind zu ihm um. »Sir, Ihre Hände, bitte.«
»Pardon?«
»Ich möchte Ihre Hände untersuchen. Ein letzter Test in diesem merkwürdigen Fall. Ich bin noch nicht vollständig überzeugt, dass sich die Dinge so verhalten, wie es den Anschein hat.«
»Nun, ja, natürlich.«
Goodcastle streckte die Hände vor, er hatte alle Mühe, sie ruhig zu halten. Der Detektiv untersuchte sie. Dann blickte er stirnrunzelnd auf. Kurz darauf senkte er den Kopf wieder und roch an Goodcastles Handflächen. »Jetzt Ihre«, sagte er zu Sloat.
»Hört zu, ihr Schnüffler, ihr seid verdammt noch mal...« Aber die Konstabler packten die fleischigen Hände des Mannes und hoben sie für den Chefinspektor hoch, der sie ebenfalls untersuchte und daran schnupperte. Er nickte und wandte sich dann langsam Goodcastle zu. »Der westfälische Ring ist nämlich von einzigartiger Machart – Silber und Gold, ungewöhnlich für die Metallschmiedekunst. Gold braucht, wie Sie wissen, keine Politur, damit es nicht beschlägt. Aber Silber. Mayhew erzählte uns, der Ring sei vor kurzem mit einer speziellen Silberpolitur gereinigt worden, die mit Lilienduft parfümiert ist. Sie ist sehr teuer, aber Mayhew hat ohne Weiteres die Mittel, reichlich davon zu kaufen, damit sein Personal es großzügig verwenden kann.« Er wandte sich an Sloat. »Ihre Hände verströmen einen deutlichen Lilienduft, und man sieht winzige Spuren von der gebrochen weißen Creme, auf der die Politur basiert, während dies bei Mr. Goodcastle nicht der Fall ist. Kein Zweifel: Sie sind der Dieb.«
»Nein, nein, ich wurde hereingelegt.«
»Sie können Ihre Sache vor den Richtern vertreten«, sagte der hellhaarige Polizist, »wenn Sie auf der Anklagebank sitzen.«
Goodcastles Herz hämmerte wild wegen dieser letzten Angelegenheit mit der Politur. Er hätte es beinahe übersehen, aber er war zu dem Schluss gekommen, wenn die Detektive nun so sorgfältig waren im Einsatz jener winzigen Hinweise, um den Täter mit dem Ort des Verbrechens in Verbindung zu bringen, dann musste er selbst ebenso gewissenhaft sein. Wenn ein Einbrecher bei der Begehung einer Tat Beweismittel zurücklassen konnte, dann konnte er auch etwas aufnehmen, das sich als gleichermaßen verhängnisvoll erwies. Er dachte an den Ring und an Mayhews Ankleideraum zurück. Er erinnerte sich, den Duft von Covey’s Anti-Beschlag-Creme in den mit Samt gefütterten Etuis wahrgenommen zu haben. Auf dem Weg zum Green Man hatte er welche gekauft und sie großzügig auf seine Hände geschmiert. Als er Sloat die Hand schüttelte, um ihre Abmachung zu besiegeln, hatte er etwas davon auf die Haut des Schurken übertragen. Ehe er in seinen Laden zurückkehrte, hatte sich Goodcastle dann die Hände mit Laugenseife geschrubbt und die restliche Politur weggeworfen.
»Gestehen Sie, Sir, dann wird es leichter für Sie«, sagte der Detektiv mit der Melone zu Sloat.
»Ich bin das Opfer einer Verschwörung!«
»Ja, natürlich. Glauben Sie, Sie sind der erste Gauner, der uns das weismachen will? Wo ist der Ring?«
»Ich weiß nichts von einem Ring.«
»Vielleicht finden wir ihn, wenn wir Ihr Haus durchsuchen.«
Nein, dachte Goodcastle, sie würden den Ring nicht finden. Was sie aber finden würden, waren ein halbes Dutzend anderer Stücke, die Goodcastle im letzten Jahr bei verschiedenen Einbrüchen erbeutet hatte. Und dazu eine grobe Skizze von Mayhews Wohnung – mit Sloats eigenem Stift auf ein Blatt von Sloats eigenem Papier gezeichnet. Der Einbrecher hatte all das nach seinem Treffen mit dem Schurken im Green Man in dessen Wohnung hinterlassen (wobei er diesmal mustergültig darauf achtete, dass ihn nichts mit diesem Eindringen in Verbindung brachte).
»Legt ihm Handschellen an, und bringt ihn ins Gefängnis«, befahl der blasse Beamte.
Die Konstabler schlossen Eisen um die Handgelenke des Mannes und zerrten den sich Wehrenden fort.
Goodcastle schüttelte den Kopf. »Beteuern sie immer so vehement ihre Unschuld?«
»Meistens. Erst vor Gericht werden sie von Reue gepackt. Und zwar, wenn der Richter das Urteil verkündet«, sagte der bleiche Beamte und fügte an: »Verzeihen Sie uns, Mr. Goodcastle. Sie waren sehr geduldig. Aber Sie verstehen die Verwirrung.«
»Natürlich. Ich bin froh, dass der Bursche endlich von der Straße ist. Und ich bedauere, dass ich nicht den Mut hatte, mich früher zu melden.«
»Einem ehrbaren Herrn wie Ihnen ist das leicht nachzusehen«, meinte der Detektiv mit dem Notizbuch, »da ihm die Welt des Verbrechens und der Gauner fremd ist.«
»Nun, jedenfalls danke ich Ihnen und allen Ihren Kollegen bei Scotland Yard«, sagte er zu dem Chefinspektor.
Aber der Mann lachte und sah den blassen Detektiv an, der sagte: »Oh, hier befinden Sie sich im Irrtum, Mr. Goodcastle. Nur ich gehöre zum Yard. Meine Begleiter hier sind private Berater in Diensten von Sir Robert Mayhew. Ich bin Inspektor Gregson.« Er nickte in Richtung des dunklen, schlanken Mannes, den Goodcastle für den Chefdetektiv gehalten hatte. »Und das ist der beratende Detektiv Sherlock Holmes.«
»Es ist mir ein Vergnügen«, sagte Goodcastle. »Ich glaube, ich habe schon von Ihnen gehört.«
»In der Tat«, erwiderte Holmes, als müsste der Ladeninhaber auf jeden Fall von ihm gehört haben. Der Mann war wie ein Universitätsprofessor am King’s College, brillant, aber ständig von komplizierten Gedanken abgelenkt.
Gregson nickte in Richtung des Mannes, der den Ehegatten gespielt hatte, und stellte ihn als Dr. John Watson vor. Watson schüttelte Goodcastle herzlich die Hand und stellte noch einige Fragen über Bill Sloat; die Antworten schrieb er in sein Notizbuch. Er erklärte, dass er häufig Berichte über die interessanteren Fälle schrieb, zu denen er und Holmes hinzugezogen wurden.
»Ja, natürlich. Deshalb habe ich von Ihnen beiden gehört. Die Berichte erscheinen oft in den Zeitungen. Das sind Sie also! Es ist mir eine Ehre.«
»Ach«, sagte Holmes und brachte es fertig, gleichzeitig stolz und bescheiden dreinzuschauen.
»Wird dies ein Abenteuer sein, über das Sie schreiben?«, fragte Goodcastle.
»Nein«, antwortete Holmes. Er wirkte pikiert – vielleicht, weil trotz der Festnahme eines Bösewichts sein Spurenlesen zu einem falschen Verdächtigen geführt hatte, zumindest in seiner Wahrnehmung der Geschichte.
»Aber wo, Holmes, ist der Ring?«, fragte Gregson.
»Ich nehme an, dass sich Sloat seiner bereits entledigt hat.«
»Wieso glauben Sie das?«, fragte Watson.
»Ganz einfach«, erwiderte Holmes. »Er hatte die anderen unrechtmäßig erworbenen Dinge bei sich. Wieso nicht auch den Ring? Ich folgerte aus seiner Kleidung, dass der Lump in Gesellschaft einer Frau lebt; sowohl die Hose als auch die Jacke seines Sackleinenanzugs waren mit identischen Stichen gestopft, allerdings an Stellen, die verschieden schnell durchscheuern – der Ellenbogen und die Innennaht -, was den Schluss nahelegt, dass sie von derselben Person ausgebessert wurden, aber zu verschiedenen Zeiten. Daraus kann nur folgen, dass eine Ehefrau oder weibliche Begleiterin die Arbeit erledigt hat. Seine Forderung an Mr. Goodcastle hier bezüglich des Geheimfachs zeigt, dass er Leuten nicht traut, er würde also den Ring höchst ungern in einer Wohnung lassen, in der noch eine andere Person lebt, und hätte ihn bei sich behalten, bis die besondere Spieldose fertig gewesen wäre. Da er ihn jedoch nicht mehr bei sich hatte, können wir folgern, dass er sich seiner entledigt hat. Und da er abgesehen von Lord Mayhews Guineen keine nennenswerten Geldsummen bei sich trägt, können wir annehmen, dass er den Ring zur Begleichung einer alten Schuld eingesetzt hat.«
»Was glauben Sie, wo er ihn gelassen hat?«
»Leider fürchte ich, dass das Stück auf dem Weg nach Übersee ist.«
Als sich die anderen fragend ansahen, fuhr Holmes fort: »Sie haben die Fischschuppen an Sloats Manschetten natürlich bemerkt?«
»Nun ja«, sagte Gregson, »ich fürchte, ich für meinen Teil habe sie nicht bemerkt.«
»Ich ebenfalls nicht«, sagte Watson.
»Es waren Schuppen, die nur bei Meeresfischen vorkommen.«
»Das konnten Sie sehen, Holmes?«, fragte der Mann von Scotland Yard.
»Fakten, Fakten, Fakten«, antwortete der Detektiv ungeduldig. »In diesem Gewerbe, Gregson, müssen Sie Ihren Geist mit allen Fakten füttern, die Sie bekommen können. Nun, die Schuppen konnten nichts anderes bedeuten, als dass er an einem Fischhändler vorbeigegangen war. Aber Sie haben zweifellos die Streifen von Pech an seinen Schuhen bemerkt, oder?« Als die anderen nur den Kopf schüttelten, seufzte Holmes; sein Gesicht drückte Verärgerung aus.
»Es ist Pech, wie es zum Abdichten von Schiffsrümpfen verwendet wird. Wegen der Fischschuppen und des Teers wusste ich, dass Sloat in den letzten Stunden am Hafen gewesen war. Die wahrscheinlichste Folgerung daraus ist, dass er dem Kapitän eines Schmugglerschiffs eine beträchtliche Geldsumme schuldete und den Ring zur Tilgung dieser Schuld einsetzte.« Holmes schüttelte den Kopf. »Der Ring könnte auf jedem von Dutzenden Schiffen sein, und alle entziehen sich unserer Zuständigkeit. Ich fürchte, Lord Mayhew wird sich in dieser Angelegenheit an Lloyds wenden müssen, um seinen Schaden ersetzt zu bekommen. Wollen wir hoffen, dass er in Zukunft bessere Schlösser an seinen Fenstern und Türen anbringen lässt.«
»Brillante Schlussfolgerungen«, sagte Gregson mit dem weißen Gesicht und dem Flachshaar.
In der Tat, das sind sie, dachte Goodcastle, auch wenn sie vollkommen falsch waren.
Holmes zog eine Kirschholzpfeife aus der Tasche, entzündete sie und machte sich auf den Weg zur Tür. Er hielt inne, sah sich im Laden um und wandte sich dann mit hochgezogener Augenbraue noch einmal an Goodcastle. »Vielleicht können Sie mir in einer anderen Angelegenheit behilflich sein, Sir. Da Sie mit Spieldosen handeln... Ich bin auf der Suche nach einer bestimmten Dose, für die ein Klient von mir einmal Interesse gezeigt hat. Sie hat die Form eines Achtecks auf einem goldenen Sockel und spielt eine Melodie aus Mozarts Zauberflöte. Hergestellt wurde sie 1856 in York von Edward Gastwold. Die Dose ist aus Rosenholz und mit Elfenbein eingelegt.«
Goodcastle überlegte einen Augenblick. »Ich muss leider sagen, dass ich mit diesem besonderen Stück nicht vertraut bin. Ich hatte nie das Glück, an eine von Gastwolds Schöpfungen heranzukommen, aber wie ich höre, sind sie wundervoll. Ich kann natürlich Nachforschungen anstellen. Soll ich mich bei Ihnen melden, falls diese Früchte tragen?«
»Ja, bitte.« Holmes überreichte dem Ladeninhaber eine Karte. »Mein Klient würde teuer für die Dose selbst bezahlen oder jedem eine hübsche Maklergebühr anbieten, der ihm den Weg zum Eigentümer weist.«
Goodcastle legte die Karte in einen kleinen Kasten neben seiner Kasse und dachte: Was für ein schlauer Mann dieser Holmes doch ist. Die Spieldose von Gastwold war nicht sehr bekannt; sie befand sich seit Jahren im Besitz des Mannes, dem die riesige Southland Metalworks Ltd. in Sussex gehörte. Bei seinen Recherchen über Lord Mayhew zur Vorbereitung des Einbruchs hatte Goodcastle erfahren, dass Mayhew umfangreiche Anteile an Southland besaß.
Holmes hatte eine einfache, scheinbar harmlose Frage gestellt, in der Hoffnung, dass Goodcastle damit herausplatzen würde, er kenne die Dose und ihren Besitzer sehr wohl.
Was darauf hingewiesen hätte, dass er sich möglicherweise, wie unauffällig auch immer, mit Mayhew beschäftigt hatte.
Sicherlich hatte Holmes keinen solchen Klienten. Und doch wusste er von der Dose. Offenbar hatte er sich mit Spieldosen befasst, nur für den Fall, dass sich Kenntnisse darüber als nützlich erweisen könnten – genau, wie es Goodcastle tat, wenn er sich auf seine Einbrüche vorbereitete. (Fakten, Fakten, Fakten hatte Holmes gesagt. Wie wahr!)
»Nun, dann guten Tag, meine Herren«, sagte Goodcastle.
»Ihnen auch, Sir. Und entschuldigen Sie nochmals«, erwiderte der liebenswürdige Dr. Watson.
»Keine Ursache«, versicherte Goodcastle. »Lieber eine zupackende Polizei, die uns vor Gestalten wie Bill Sloat schützt, als eine, die zu lax ist und uns in die Hände von solchen Schurken fallen lässt.«
Und, dachte er für sich, vor allem eine Polizei, die freimütig die Art und Weise offenlegt, wie sie Übeltäter verfolgt, und mir so die Möglichkeit gibt, meine eigenen Mittel in der Ausübung meiner Kunst zu verfeinern.
Nachdem die Männer gegangen waren, trat Goodcastle an den Schrank und goss sich ein Glas Sherry ein. Er hielt an einer der Schmuckvitrinen im vorderen Teil des Ladens und schaute auf ein Glas, das billige Manschettenknöpfe und Hemdnieten enthielt. Auf einem Schild daneben stand: Je zwei Artikel für ein Pfund. Er vergewisserte sich, dass der westfälische Ring diskret unter dem Zinn und Kupferschmuck verborgen war, wo er auch bleiben würde, bis sich Goodcastle morgen mit seinem französischen Käufer traf.
Dann zählte er seine Tageseinnahmen, ordnete den Ladentisch und staubte ihn ab, wie er es jeden Abend machte, damit er für seine Kunden am nächsten Morgen bereit war.