BLOCKADEN DURCH MARKETING UND VERTRIEBSUNTERSTÜTZUNG

Die Angst des Verkäufers vor dem Kundenbesuch des Erfinders

Es ist fast normal, dass Erfinder verzweifelnd um Hilfe bitten, wenn sie es nicht schaffen, ihre Erfindung an den Kunden zu bringen. Wenn sie in großen Unternehmen arbeiten, werden sie wie selbstverständlich an die Kollegen vom Marketing und vom Vertrieb verwiesen. »Die Verkäufer kennen die Kunden!«

Nun soll also ein Verkäufer dem Erfinder helfen, indem er ihn zum Beispiel Kunden vorstellt, die selbst Protagonisten oder OpenMinds sind. Von diesen Kunden kann der Innovator viel lernen. Sie sind ohnehin schon gute Kunden des Unternehmens und viel gutwilliger als die unbekannten beziehungslosen Kontaktpersonen an den Messeständen. Von solchen guten Kunden kann am meisten gelernt werden. Am besten wäre es, so meine Erfahrung, man bietet dem Kunden das neue Produkt zum Ausprobieren an und beobachtet ihn, wie es ihm dabei ergeht.

Leider geht es in der Realität wieder mit dem Lernen schief. Es beginnt mit einem grandiosen Missverständnis. Der Verkäufer ist zum Verkaufen da und kennt eigentlich nur Produkte, keine Ideen oder Prototypen. Er denkt meist irrtümlich, der Innovator habe schon ein marktreifes Produkt. Der Innovator selbst klärt den Verkäufer nicht wirklich auf. Er fürchtet nämlich, dass ihm der Verkäufer nicht hilft, wenn er erfährt, dass das Neue bei Weitem noch nicht perfekt ist.

Merken Sie, wie sich langsam wieder eine Blockade bildet? Aber die wirkliche Problematik liegt viel tiefer.

So wie die Erfinder und Innovatoren zuerst zu sehr auf Ruhm, Aufmerksamkeit und Impact-Points schielen, so hat auch der Verkäufer bestimmte Ziele vor Augen, wie der berühmte Esel die ihm vorgehaltenen Möhren. Der Verkäufer wird nicht nach Impact-Points bezahlt, sondern ganz schnöde nach seinem Umsatz mit den ihm persönlich zugeteilten Kunden. Ein Verkäufer bekommt ein Vertriebsziel, eine so genannte Quote. Die Quote ist eine Umsatzzahl, die er erreichen muss, um einen ihm ausgelobten Bonus zu bekommen. Warum heißt diese Zahl Quote? Ein Vertriebsmanager bekommt von oben die Order, so und so viel Umsatz zu machen. Diesen geforderten Gesamtumsatz seiner Abteilung teilt er in die Ziele der einzelnen Verkäufer auf. Jeder Verkäufer oder Vertriebsbeauftragte bekommt also einen Teil des Gesamtumsatzes als sein Ziel zugewiesen, das ist seine »Quote«.

Das Management dieser Tage versucht, möglichst alles oder mehr aus den Mitarbeitern herauszuholen. Es ist daher fast zum Prinzip geworden, Vertriebsmitarbeiter durch viel zu hohe Arbeitsziele unter hohen Arbeitsdruck und Stress zu setzen. Das Management legt, so sagt es selbst ganz schneidig, »herausfordernde Ziele« fest, die meist auf schamlose Überforderungen hinauslaufen. Deshalb sind in einem Unternehmen eigentlich alle Vertriebsbeauftragten beziehungsweise überhaupt alle Mitarbeiter schon mit ihrem eigenen Job überlastet und reagieren entsprechend gereizt, wenn sie um Hilfe gebeten werden. Sie fragen sich also bei jeder Bitte: Hilft mir das zufällig selbst bei meiner Arbeit weiter? Oder übe ich mich in reinem Altruismus? Oder schadet mir der Zusatzjob sogar?

Schauen wir uns den Fall eines Vertriebsmitarbeiters an. Er hat viele Kunden des Unternehmens zu betreuen und bekommt eben seine tendenziell überlastende Verkaufsquote. Diese Quote macht ihm Angst. Wenn er sie nicht erfüllt, bekommt er kein Geld. In vielen Unternehmen bekommen Verkäufer nur das halbe Grundgehalt als »Fixum«, den Rest erhalten sie nach den getätigten Umsätzen. Es kommt wirklich öfter vor, dass es beim halben Gehalt bleibt. Der Verkäufer kann Pech haben, dass ein anderer Anbieter »den Kunden umdreht«, der Kunde kann warten, bis das neue Modell herauskommt, es kann einfach so wie im Jahr der großen Finanzkrise alles verhageln! Verkäufer spüren mindestens am Jahresanfang ein »Verzagen«, deshalb werden sie oft in Firmen-Kickoffs »zum Neuaufbruch in eine wunderbare Zeit« mental aufgepeitscht. Sie sollen hinter Aufträgen hinterherrennen und vollkommen optimistisch sein!

Wissenschaftler verstehen die innere Lage der Verkäufer nicht. Das merken Sie an den üblichen herablassenden Bemerkungen von Forschern: »Pfui, Verkäufer sind nur hinter dem Geld her. Welche niedrigen Menschen! Es ist Gier.« Aber bitte – versteht man das nicht? Und ist das Hinterherhecheln nach Impact-Points nicht genau so moralisch oder unmoralisch?

Da also der Vertriebler eine beängstigend hohe Quote hat, muss er sich strecken. Er versucht daher, möglichst oft Kontakt zum Kunden aufzunehmen, um ihn für neue Produkte zu begeistern und zum Abschluss zu bringen. Ich gebe Ihnen hier einmal das Extrembeispiel eines Pharmavertreters, der bestimmte Medikamente bei Ärzten verkaufen soll. Dazu macht er bei Ärzten Termine und besucht sie. Die Ärzte haben aber kaum Lust auf Termine, sie gehen natürlich auch nicht selbst ans Telefon, weil sie ja (ebenfalls total überlastet) unter dem Druck eines vollen Wartezimmers zügig arbeiten wollen. Der Pharmavertreter muss sich die Termine bei der Rezeption fast erbetteln und erquengeln. Dann begibt er sich auf Reisen. Die Ärzte halten die vereinbarten Termine sehr oft nicht ein, weil sie ja dann, wenn der Vertreter kommt, gerade einen Kranken behandeln. Er muss also warten. Irgendwann kommt der Arzt ins Wartezimmer, sieht den wartenden Vertreter und schweift mit stressflackerndem Blick über die wartenden Patienten. Der Arzt stöhnt und sagt: »Okay, jetzt meinetwegen, aber schnell. Bitte lassen Sie mir am besten nur Probemedikamente und Prospekte da, ich habe keine Zeit.« Fünf stressig ungeduldige Minuten redet er mit dem Vertreter, am Empfang stehend, und schmeißt ihn dann sanft raus. Wir haben damals bei IBM auch Routenplanungen für Pharmavertreter optimiert, es stellte sich heraus, dass sie pro Tag durchschnittlich 72 Minuten mit Ärzten reden. Die meiste Zeit warten sie, vereinbaren Termine oder suchen Parkplätze. Diese Zahl (72 Minuten) habe ich vor kurzem einmal bei einer Pharmafirma erwähnt – oh, da wurde ich ausgelacht. »Das war die gute alte Zeit!« Heute könnte die Präsenzzeit eines Vertreters unter einer halben Stunde am Tag liegen. Die Ärzte sagen nur noch: »Legen Sie die Proben neben den Eingang. Danke und Tschüss.« Das ist das etwas traurige »Klinkenputzerdasein«.

Und nun stellen Sie sich vor, ein Erfinder bittet einen Verkäufer in solcher Stresslage, ihn doch einmal zu seinen Kunden mitzunehmen, damit er denen seinen fabelhaften neuen Prototyp erklären kann. Erfinder haben normalerweise in Forschungsinstitutionen, Entwicklungsabteilungen und Universitäten für ein solches Erklären alle Zeit der Welt. Sie können sich die Zeitdruckproblematik »im echten Leben« überhaupt nicht vorstellen. Da bekommt ein Verkäufer Albträume, denn er will und muss ja jede Sekunde beim Kunden für Abschlüsse nutzen. Und dann will »da so ein Wissenschaftler« mitkommen, für den eine Stunde Rumreden rein nichts ist!

Deshalb nehmen Verkäufer die Innovatoren nicht gerne mit … Das oberste Ziel ist es, keine Zeit beim Kunden zu verplempern. »Zeit beim Kunden ist Geld. Auch mein Geld.«

Neben dem Zeitproblem gibt es die leidigen Erfahrungen der alten Hasen im Vertrieb mit Innovationen aller Art. Die sprechen das Wort »Innovation« mit höhnischen Anführungszeichen aus. Originalton: »Das Unternehmen hat mir Mondziele als Quote gegeben, die ich bestimmt nicht erfüllen kann. Die Produkte sind längst nicht mehr so perfekt wie früher, man muss Kunden viel mehr überreden, außerdem sind die Produkte heute billiger, da muss ich stückmäßig mehr verkaufen und brauche daher mehr Zeit als früher! Ich erwarte von meinem verdammten Unternehmen verdammt nochmal Produkte, die sich bitte wie warme Semmeln verkaufen lassen. Ich will nichts Schwieriges, was ich dem Kunden erst noch lange erklären muss. Er will damit nicht belästigt werden. Er hat doch selbst schon konkrete Vorstellungen, was er will. Und mitten in diese schwierige Lage hinein kommt das Unternehmen und denkt sich fast jede Woche spinnige Zusatzprodukte und Plusoptionen aus, die ich noch zusätzlich zu meiner Quote verkaufen soll. Das geht aber nicht, denn ich bekomme doch gar nicht so viele Termine. Ich fordere, dass wir nur sehr wenige, aber tolle und leicht verkäufliche Produkte anbieten, aber das Unternehmen schüttet mich endlos mit schwer erklärbarem Sonderquatsch zu und verlangt, damit Zusatzumsatz zu machen. Und nun wird alles noch getoppt: Jetzt soll ich auch noch die Erfinder mitnehmen, damit sie dem Kunden etwas anbieten. Diese kreativen Leute kenn ich, die hab ich gefressen. Die versauen mir die Kunden. Die einen Rumpuzzler reden unverständliches Zeug, die anderen Tagträumer behaupten, sie könnten in zwei oder zehn Jahren bessere Produkte liefern als die, die der Kunde gerade gerne kaufen will. Diese Leute kommen mir nicht mehr ins Gehege! Ich lösche alle Informationen über Neues aus meiner Mail. Man kann nichts davon verkaufen.«

Es fehlt also die Zeit, und die Verkäufer haben keine guten Erfahrungen mit »Innovationen« und »Innovatoren« (höhnische Anführungszeichen). Die Verkäufer können es aber nicht gut ablehnen, den Erfindern zu helfen, weil das Unternehmen es »von oben« irgendwie will. Daraufhin fordern sie, dass sie die Verkäufe der neuen Erfindungen wenigstens auf ihre unmenschlich hohe Quote angerechnet bekommen. Sie bekommen nämlich ihren Bonus nur, wenn sie vorgeschriebene Produkte verkaufen, und auf dieser Liste stehen die des Erfinders nicht drauf. Wenn sie also etwas Neues wie gefordert zusätzlich verkaufen, wollen sie über ihren Bonus auch partizipieren.

Das hält der Erfinder selbst für eine gute Idee, er interveniert über den Vertriebschef, dass »seine« Umsätze beim Bonus angerechnet werden.

Jetzt kommt es zu einer normalen Katastrophe in zwei Teilen. Sie entsteht durch das Missverständnis im Vertrieb, dass sich die Innovation wirklich schon verkaufen ließe. So weit ist sie aber noch nicht! Es gibt noch nichts zu verkaufen! Das ist jetzt noch nicht schlimm, weil es ja nichts ausmacht, wenn dem Verkäufer nur die Innovation zusätzlich angerechnet wird. So bleibt seine Lage ja noch die gleiche. Aber: Der Vertriebschef hat daraufhin fast immer eine noch viel bessere Idee. Er verpflichtet die Verkäufer zusätzlich zum Verkaufen der neuen Erfindung und erhöht damit deren Quote. Der Vertriebschef argumentiert so: Die Innovation bedeutet ein Zusatzprodukt. Also kann der Verkäufer mehr anbieten als vorher. Deshalb hat er plötzlich die tolle Chance, mehr Umsatz zu machen – und zwar nicht deshalb, weil er besser gearbeitet hätte, sondern weil ihm das Unternehmen mit der Innovation so viel mehr Chancen bietet.

Nun ist der Verkäufer richtig böse. Er hat eine höhere Quote und muss sich jetzt ernsthaft um das Neue kümmern. Wie verkauft er es? Nun fragt er den Erfinder, der doch eigentlich nur Feedback auf seine Ideen haben will, wie viel sein »Produkt« kostet, wann es lieferbar ist, welche Produktnummer es hat und so weiter. Da gesteht der Erfinder langsam ein, dass der Prototyp »noch nicht ganz fertig ist«. Das wussten die alten Hasen sowieso … Fazit: Der Verkäufer hat eine höhere Quote, aber keine höhere Chance. Implizit ist sein Gehalt gesenkt worden! Wutschnaubend herrscht er den Erfinder an, der ihm das alles eingebrockt hat, und erklärt es nochmals seinem Vertriebschef, damit der die Quote wieder senkt. Leider jammern Verkäufer immer, dass ihre Quote gesenkt werden soll. Deshalb ist ein Vertriebschef immun gegen Quotensenkungsargumente. Sie machen ihn ungeduldig und böse.

Verkäufer verkaufen am liebsten Bewährtes, was kaum erklärt werden muss. In Bezug auf Innovationen sind sie tendenziell CloseMinds.

Wodurch entsteht diese missliche Lage? Wenn der Vertrieb helfen soll, kommt die Erfindung in die Schieflage, sich als fertiges Produkt präsentieren zu müssen. Sie wird vorschnell mit »Zusatzumsatz« in Verbindung gebracht. Das muss ein Innovator absolut vermeiden. Verkauft wird erst, wenn das Produkt fertig ist! In diesem Punkt sollten sich Erfinder und Innovatoren nicht beirren lassen. Sie sollten sehr klar sagen, dass sie nur deshalb zum Kunden wollen, um dessen Reaktion auf seine Neuerung zu erfahren und zu lernen, was dem Prototyp aus Sicht eines OpenMinds noch fehlt. Er muss mit den Verkäufern die OpenMind-Kunden sorgfältig auswählen und dann nur diejenigen davon besuchen, die sich voraussichtlich für seine Neuerung interessieren. Dort muss er interessant sprechen und begeistern und nebenbei sehr gut zuhören. Sehr, sehr gut zuhören. Die meisten Erfinder aber bekommen endlich einen Termin und »texten den Kunden zu«, sie überfordern ihn, sind zu kompliziert, erklären schlecht, enttäuschen den Kunden und hören eben nicht zu. Man kann von Kunden so viel erfahren, so viel lernen! Es ist relativ selten, dass Erfinder sich wirklich Mühe geben, dass neue Land vor ihnen wirklich zu erkunden. Sie verstehen nicht, dass sie wieder einmal wie ein Flachländer naiv unkundig ins Gebirge gehen. Der Kunde schüttelt dann bei der Vorstellung der neuen Idee immer wieder mit dem Kopf und sagt, bei ihm gebe es andere Realitäten oder offenbar fehle es dem Erfinder an Branchen-Know-how. Oder im Gebirgsbild ausgedrückt: Der Kunde sieht die Realität schon in drei Dimensionen, der Erfinder noch in zweien, weshalb er als Flachländer noch alles einfacher findet, als es ist. Wenn der Erfinder noch halbblind für die Realität zum Kunden kommt, aber gleichzeitig durch hohes Selbstbewusstsein und Überlegenheitsgefühl nebst Doktortitel beeindruckt, blamiert er sich dort bis auf die Knochen. Dann aber schämt sich der beim Termin anwesende Vertriebsbeauftragte der Firma, flucht innerlich, dass sein schöner seltener Termin versaut wurde und warnt nach dem Fiasko alle seine Kollegen im Vertrieb davor, »diesen da« zum Kunden mitzunehmen.

Und ein letztes Problem, das nicht weniger hart ist: Oft handelt es sich bei einer Innovation um eine Erfindung, die eigentlich an ganz andere Kunden verkauft werden muss. Und dann? Ich greife auf das Beispiel der Tourenplanung zurück. Wir baten damals die IBM, uns eben zum Kunden mitzunehmen. IBM vertreibt aber IT und eben nicht Tourenplanung. »Der Kunde« der IBM ist daher in der Regel der IT-Manager eines Kundenunternehmens. Der interessiert sich nicht für Tourenplanung und hat auch keine Ahnung davon. Er will sie nicht kaufen und bestimmt nicht lange darüber bei einem persönlichen Termin diskutieren. Es hat also eigentlich keinen Zweck, zum Kunden mitgenommen zu werden. Der Vertrieb von IBM kann höchstens fragen, ob im Kundenunternehmen ein Fuhrpark- oder Logistikmanager bekannt ist. Da aber weiß der IT-Manager beim Kunden fast nie weiter

… Und stellen Sie sich vor, irgendein Mensch auf der Welt hätte 1995 plötzlich den Wunsch verspürt, Tourenplanungssoftware zu kaufen, ja – hätte der ausgerechnet bei mir in Heidelberg angerufen? Wer also Ideen hat, die neue Kunden anziehen sollen, muss sich überlegen, wie er an diese neue Gruppe herankommt. Wie bekommt man die neuen Kontakte, welcher Typ des neuen Kunden kann am besten durch Feedback weiterhelfen? Wie wird die spätere Vermarktung vorangetrieben? Die Folgeprobleme lassen sich schon erahnen: Diese neuen Kunden haben vielleicht gar keinen zuständigen Vertriebsbeauftragten, es wird Organisationsprobleme mit einem Produkt für neue Kundenkreise geben, lange interne Diskussionen, wer wofür zuständig ist und wer wie hohe Vertriebsboni bekommt. Da steht der Innovator vor der grundsätzlichen Frage, ob er das wohl stemmen kann … Wir haben das damals lange hin und her erwogen und schließlich die Optimierung der Touren auf das Optimieren der gemieteten Datenleitungen von Unternehmen verlagert. Oder, hart gesagt: Die Tourenplanung wurde beerdigt. Wir konzentrierten uns auf ein anderes Problem: Welches Datenautobahnnetzwerk muss man bei einer Telekom anmieten, sodass die geringsten Kosten anfallen? Wie mietet man die Leitungen strategisch günstig über die Zeit, wenn die Datenmengen immer weiter wachsen? Dieses Problem hat der IT-Chef jedes Unternehmens selbst. Da konnten wir zu ihm als Kunden mitkommen. Damit begeisterten wir sogar die alten Hasen im Vertrieb. »Schau mal, Kunde«, konnten sie zu ihrem Kunden sagen, »da haben wir etwas Exquisites, mit dem du viel Geld sparen und dafür mehr Computer kaufen kannst.« Das lief prächtig, denn der Vertrieb konnte seinem Kunden mit uns einen Gefallen tun. Dadurch bekam er selbst mehr Termine als ohne uns. Wir stellten also wegen des Vertriebsproblems unser Produkt so um, dass es überhaupt zum Kunden kam. Das war erfolgreich, hat aber auch dem Erfinderherzen wehgetan. Echte Innovatoren hätten sich wohl nur gefreut. So weit bin ich selbst heute immer noch nicht – ich trauere bei Ideenbegräbnissen!

Resistenzen von Marketing und Communication gegen Ungewöhnliches

Marketingleute fokussieren sich ebenfalls wie alle anderen Berufstätigen darauf, ihren Job zu machen, für den sie bezahlt werden. Es gab Zeiten, in denen die Marketingmitarbeiter einfach die allgemeine Aufgabe hatten, viel Werbung unter die Menschen zu streuen, Prospekte zu entwerfen und zu verteilen, Messestände zu betreiben und für eigenwerbende Konferenzreden zu sorgen. In letzter Zeit überlegt man zusätzlich fieberhaft, wie entsprechende Aktivitäten auf Facebook oder allgemein in den »Social Media« aussehen könnten. Alle sollen das Unternehmen und seine Produkte »liken«.

Die Aufgaben der Marketingabteilungen sind beim überhandnehmenden Zahlenmanagement in Verdacht geraten, »kein Geld zu verdienen« und »nur fragwürdige Geschenke an Kunden zu verteilen«. Was bringt denn Marketing überhaupt? Diese Frage (»Was bringt es?«) hat das Management in den letzten Jahren an jeden Bereich eines Unternehmens gerichtet, auch an die Forschungsabteilungen und die Kommunikationsbereiche, deren direkter Profitbeitrag schwer messbar ist. Bei Verkäufern ist es einfacher: Man berechnet, wie viel Rohgewinn seine Abschlüsse erzielen und zieht sein Gehalt davon ab.

Was aber leistet ein Unternehmensblogger, ein Pressesprecher oder ein Messestandvertreter? Für diese Berufe sind in den letzten Jahren Erfolgskriterien entwickelt worden, anhand derer sie gemessen werden: Anzahl der Leser, Höhe des Bekanntheitsgrades der Firma, Anzahl der Messebesucher oder Zuhörer bei Reden, die Note der Kunden auf Bewertungsbögen für Marketingveranstaltungen. »Bitte sagen Sie uns, dass Sie uns gut fanden. Wir wollen daraus lernen und immer besser für Sie werden.« Das sagen alle Konferenzveranstalter – und das stimmt nur zum Teil, denn eigentlich dienen die Daten ihrem Chef als Beurteilungsgrundlage, wie gut sie als Event-Organisatoren gearbeitet haben. Je nachdem wertet er eine Veranstaltung als Erfolg oder nicht. Alle »Erfolgsdaten« werden in einem Erfolgsbericht festgehalten und in Managementmeetings präsentiert. Dann befinden die anderen, unter höchstem Quartalsdruck stehenden Manager immer noch mäkelig, dass die Marketingabteilung »zu viel Geld verbrenne«. Und sie fragen: »Geht es nicht billiger? Mit weniger Personen? Was kann man einsparen?«

Ein Innovator muss wissen, dass auch die Marketingfachleute unter gewaltigem Druck stehen und ebenso ihre Quoten haben. Er muss also versuchen, ihre Hilfe so zu bekommen, dass seine Marketingkollegen durch ihn Pluspunkte in ihrer Erfolgsbilanz erzielen können. Wenn er dies erreicht, arbeitet er ja quasi als ehrenamtlicher und unbezahlter Zusatzmitarbeiter im Marketing mit – dann ist er hochwillkommen. Wenn aber zu befürchten steht, dass seine Idee keine Pluspunkte erzielen wird, wimmeln ihn die Marketingleute ab.

Ideen, die näher an den normalen Marketingkampagnen des Unternehmens angesiedelt sind, passen besser zum Gesamtbild und haben eine bessere Chance. Um immer wieder mein Universalbeispiel der Optimierung zu bemühen: Marketing der IBM für Tourenplanung mag die Zentrale nicht wirklich, aber bei der Optimierung der IT-Netze sieht sie mehr Potenzial. Wenn also die Idee des Innovators nicht gut in ein Ganzes passt, wenn sie quer erscheint, ungewöhnlich oder revolutionär, dann fassen die Marketing- und Kommunikationsabteilungen die neue Idee nicht an. Sie haben ja die Funktion, das Image, das Gesamtbild und die »Message« der Unternehmensleistungen in der Öffentlichkeit und bei den Kunden in strahlendem Licht erscheinen zu lassen. Wenn ein Innovator mit seiner Idee dieses Licht trüben könnte, wird er nicht nur nicht gefördert, sondern gehemmt. »Es stört die Gesamtstrategie! Wir verkaufen gerade das Traditionsprodukt X. Machen Sie uns jetzt nicht unsere Stammkunden kirre, wenn Sie neue und noch unausgereifte Konzepte in den Diskussionsraum stellen. Wir stehen an vielen Stellen vor Geschäftsabschlüssen und wollen die Aufmerksamkeit der Kunden nicht ablenken.« Marketing und Kommunikation müssen ein gewisses Immunsystem gegen Störungen aufbauen und in Funktion halten.

Das ergrimmt die Innovatoren in der Regel sehr. Zu Unrecht – das Geschäft muss doch laufen! So sind eben die Regeln! Punkt. Wer als Innovator seine Ideen propagiert sehen möchte, muss eben unter diesen Restriktionen etwas Attraktives schaffen – oder den Versuch mit der Marketingabteilung einstellen, bis ein ausgereifteres Konzept oder gar ein Produkt zum Vorzeigen verfügbar ist. Wenn Sie eine neue Idee haben und vertröstet werden, dann denken Sie bitte an die wichtige primäre Aufgabe des Marketings und der Unternehmenskommunikation. Die Kollegen dort sind nicht unwillig, haben aber wichtige Aufgaben, die sich mit der Verbreitung besonders der schrägen neuen Ideen beißen. Jeder Innovator muss sich also ernsthaft »vor den Spiegel stellen« und sich fragen: Hat er etwas zu präsentieren (und kann er es zündend), was den Stern des gesamten Unternehmens heller strahlen lässt oder nicht? Ist die angedachte Innovation wirklich und wahrhaftig gut für das Unternehmen? Ja oder nein. Geben Sie sich bitte große Mühe mit der Antwort. Sie können viel dabei lernen, warum Sie das alles tun – vielleicht, um selbst einmal mit einer neuen Idee bedeutend zu sein? Bewundert zu werden? Karriere zu machen? Dagegen ist dann das System wirklich resistent und muss Sie fast wie ein schädliches Bakterium vernichten. Stellen Sie sich bitte einmal die genannte Gretchenfrage. Wenn die Antwort nicht ein klares Ja ist, gerät alles Folgende zu reiner Energieverschwendung und wird mit einer Enttäuschung enden.

Wie gefeit muss das Immunsystem eines Unternehmens gegen Neues sein? Die IBM hat große und für ihre neuen Ideen berühmte Forschungszentren. Es macht wirklich stolz, dort zu arbeiten. Ich weiß das noch, ich war lange Zeit im Wissenschaftlichen Zentrum in Heidelberg tätig. Wir hatten es geradezu als Aufgabe, mit neuen Ideen in der Öffentlichkeit aufzutreten und auch mit ungewöhnlichen Konzepten immer wieder zu zeigen, dass IBM fast in allen Lebensbereichen an der vordersten Front mitdenkt. Wir konnten daher fast jede wirklich neue Idee so darstellen, dass wir unseren Auftrag im Sinne des ganzen Unternehmens erfüllten. Die Forschungslabore waren nicht abgeschottet für Geheimentwicklungen, sondern sie hatten eine wichtige Öffentlichkeitsfunktion. Ich habe es immer als sehr befreiend empfunden, dass die IBM eben kein so starkes Immunsystem aufgebaut hat. Ich wurde immer wieder gefragt: »Waaaas, das dürft ihr?« Ich habe bekanntlich viele Bücher geschrieben, die an verschiedenen Stellen Fundamentalkritik am Bildungssystem oder am Shareholder-Value-Management üben. »Waaaas, das darf man bei euch? Wir würden glatt gefeuert, und dich machen sie zum CTO.« Ein Unternehmen muss sich sehr gut überlegen, wie stark sein Immunsystem sein soll. Es gibt da große Bandbreiten – ich komme im Verlauf des Buches darauf zurück.

Der Irrlauf durch Schwarzer-Peter-Meetings – ein Flyer muss her!

Innovatoren brauchen im Unternehmen Unterstützung. Dazu wenden sie sich natürlich auch an ihren Vorgesetzten. Der stöhnt wahrscheinlich, dass ein Mitarbeiter wieder einmal eine neue Idee hat und dann wahrscheinlich nicht zu 100 Prozent an seinen Aufgaben arbeitet. Der Vorgesetzte fühlt (zu Recht), dass er persönlich einen Teil der Zeche bezahlen muss. Eine Innovation verschlingt ja Ressourcen. Und wenn ein Mitarbeiter seiner Abteilung einen Teil seiner Zeit einer Innovation widmet, senkt es den Erfolg der Abteilung im laufenden Geschäft. Damit aber gefährdet die Innovation die Gehaltserhöhung des Vorgesetzten, der ja auch wieder ein Ziel oder eine Quote hat. Mit diesem Sachverhalt gehen die wenigsten Erfinder sensibel um. »Der Vorstandsvorsitzende hat gesagt, wir sollen erfinden, weil es gut für das Ganze ist, basta! Genau das tue ich, im Gegensatz zu euch. Jetzt erwarte ich, dass mir mein Vorgesetzter freie Bahn verschafft!«

Das tut er nur, wenn er sich selbst ethisch verpflichtet fühlt und für das Ganze agiert. Der Regelfall ist das nicht, auch nicht für den Erfinder, der oft auch nicht für das Ganze arbeitet, sondern für seinen Ruhm und seine Gehaltserhöhung. Dann aber riecht der Vorgesetzte den Braten, dass er mit seiner drohenden Gehaltserhöhungssenkung eine Gehaltserhöhung beim Erfinder finanzieren soll. Da blockt er.

Er darf aber offiziell nicht blocken, weil das Unternehmen ja Innovation im Prinzip fördern will. Da kommt er immer auf die gute Idee, wiederum seinen eigenen Vorgesetzten um Unterstützung zu bitten. »Bitte hören Sie sich die geplante Innovation einmal an. Ich finde sie ganz okay, wir (beachte: wir!) müssten irgendwann einmal beschließen, ob Sie (beachte: Sie!) da investieren wollen.«

Der Hauptabteilungsleiter hat in der Regel keine Lust »auf Erfinder«, weil er sich von Erfindern immer subjektiv bedrängt fühlt und es gewohnt ist, dass sie in ihren Erklärungen immer Vorkenntnisse über schwierige technische Details voraussetzen, die er nicht hat. Er weiß, dass wieder einmal eine quälende Begegnung für ihn droht. Deshalb schlägt er wie immer vor, dass der Erfinder seine Idee einmal dem Managermeeting präsentieren soll. Das ist schon in vier Wochen! »Da haben wir noch einen Slot frei, es ist gut, wenn wir sehen, dass es in unserem Unternehmen auch einmal frische Gedanken gibt.« Der Hauptabteilungsleiter muss ohnehin dieses Meeting leiten – auf diese Weise verliert er keine Zeit mit einer neuen Idee und muss sich auch nicht schämen, in neuen Gebieten technisch nicht beschlagen zu sein. Die anderen Manager sind ja schützend dabei. Durch das Ansetzen einer Präsentation in einem Meeting verliert der Erfinder gleich ganze vier Wochen Zeit, das ist in der Regel furchtbarer, als man so denkt. Dies ist kein Einzelfall, hier ist fast ein eigenes Immunsystem gegen Innovationen ausgebildet worden: Das System vernichtet schon von vornherein vieles Wichtige durch das schleppende Ansetzen von Terminen. Ein guter Innovator lässt sich das aber nicht gefallen. Er verlangt Einzelgespräche – sofort. Im Normalfall aber akzeptiert er den Termin und läuft so sehenden Auges in alle damit verbundenen Folgeprobleme hinein.

Zuerst muss er jetzt präsentieren!

Präsentationen sind im Grunde dazu da, etwas Konkretes mitzuteilen. Das sind Belehrungen, Erkenntnisse, Regeln, neue Befehle und Beschlüsse von oben, Verhaltensregeln, Erfolge, Zahlen der Vergangenheit oder Vorschläge für weiteres Vorgehen.

Ein zukünftiger Innovator aber will oder besser soll ausloten, die Stimmung im Management erkunden, Meinungen erheben, Rat über mögliche Chancen einholen, Empfehlungen für neue Kontakte bekommen, um bei höheren Managern vorgestellt zu werden, die mehr Macht in seiner Sache haben, Namen von Fachleuten sammeln, die ihm helfen können, und so weiter. Dafür wäre eine offene Gesprächsrunde gut, die sich auch Zeit zum Nachdenken nähme und die versuchte, dem Erfinder wirklich zu helfen. Eine Präsentation geht an alledem direkt vorbei. Der Erfinder oder Innovator bereitet jetzt in aller Regel eine Präsentation vor, in der er die Sache an sich erklärt (das ist nach seiner Meinung seine Idee) und dadurch versucht, sein Management zu begeistern. Das aber fragt (IMMER!) in etwa Folgendes:

  • »Können Sie das ganz einfach erklären? Kurz und knackig?«
  • »Was wollen Sie konkret von uns? Was sollen wir tun?«
  • »Haben Sie irgendwelche Zahlen, die Ihre Ideen quantifizieren? So, wie Sie das vortragen, ist es mir viel zu vage – und ich habe es auch noch nicht wirklich verstanden.«
  • »Was nützt es uns hier im Raum, wenn wir uns damit befassen? Hilft es uns schon beim nächsten Quartalsergebnis? Wie sehr?«

Diese Fragen zeigen, dass die Präsentation (wahrscheinlich jede Präsentation) einer Idee einfach keinen Erfolg hatte. Verloren! Nicht nur das – das Management weiß jetzt, dass die Person des Erfinders nicht strukturiert denkt und nicht konkret wird. Es geht innerlich auf Reserve und ist nur bereit, die Angelegenheit wieder aufzugreifen, wenn die gestellten Fragen geklärt sind. Der Erfinder bekommt also Hausaufgaben:

  • Anfertigen von drei Folien mit dem Hauptargument, »kurz und knackig«, sodass man alles »sofort verstehen kann«.
  • Eine genaue Aufstellung von Aktionen, die der Erfinder für nötig hält, nebst Auflistung all dessen, was er als sofortige Aktion vom Management erwartet. Dazu Zeitpläne und Klärung der Zuständigkeiten aus seiner Sicht.
  • Zahlenbeweise durch Markterhebungen oder irgendwelche Statistiken, dass seine Idee irgendwann Profit bringt – wie hoch wird der sein?
  • Erstellung eines Flyers, den man überall herumzeigen kann, wenn ein Fremder, zum Beispiel ein Kunde, fragen sollte, worum es in der Sache eigentlich geht.

Der Innovator wollte eigentlich Aufmerksamkeit für seine Idee, eigentlich auch Lob und moralische Unterstützung, aber im Wesentlichen eine Diskussion und wirkliche Hilfe. Faktisch verlässt er das Managementmeeting aber mit einem Turm von Aufgaben, die er selbst nun erledigen muss. Das war nicht seine Idee vom Meeting! Die war von vornherein abwegig. Er hat gedacht, die Manager würden nun einmal je eine oder zwei Stunden für ihn arbeiten. So ist aber Management nicht! Management versteht sich als Drehscheibe von Entscheidungen und Ort der Arbeitsverteilung. Die Aufgaben, die der Erfinder bekam, bedeuten im Klartext: »Es ist alles so vage, dass noch keine Entscheidung getroffen werden kann. Erst danach entscheiden wir.« Das Management entscheidet in Meetings, es »tut« aber nichts. Genau das hat der Erfinder aber erwartet und scheitert deshalb. Er wird alle Aufgaben erledigen, mit einem Flyer zurückkommen und dann eventuell als Antwort bekommen, dass es gerade grundsätzlich kein Geld im Management für »so etwas« gäbe. Das geschieht dann aber erst drei oder vier Monate nach dem ersten Meeting. Es ist bereits so viel Zeit verloren gegangen, dass man fürchten muss, andere Erfinder anderswo könnten schneller sein.

Der Flyer oder das kleine Ideenprospekt muss bei größeren Unternehmen als offizielle Drucksache in Absprache mit der Marketingabteilung erstellt werden. Diese Abteilung ist ausschließlich befugt, offizielles Material zu verfassen. Das wird ein besonderes Drama für den Innovator. Seine Idee wird im Werbetext verwaschen formuliert, aus seiner Sicht vollkommen deformiert, sie klingt keimfrei und universell so: »Tourenplanung ist der entscheidende Schritt für ein Unternehmen, noch effizienter zu werden. Sparen Sie Millionen durch eine professionelle Lösung, die wir demnächst am Markt als Erster anbieten werden. Sind Sie schon interessiert, Referenzpartner zu werden? Rufen Sie an! Hier: Marketingtelefonnummer.« Ich habe jetzt ein bisschen übertrieben, um den folgenden Punkt überdramatisch herauszuarbeiten. Es gibt folgende Reaktionen auf den Flyer:

  • Erfinder: »Es sieht sehr schön aus, ich verteile es. Mich bedrückt, dass es gleich Millionen sparen soll, das stimmt ja nicht, aber alle sagen, Flyer müssen so sein. Ich bin auch enttäuscht, dass ich den Marketingleuten einen vollen Tag lang erklärt habe, worum es genau geht, und nun sehe ich eigentlich nur, dass sie in einem schon als Textbaustein existierenden Flyer zu Wissensmanagement nur das Wort Wissensmanagement durch Tourenplanung ersetzt haben.«
  • Marketing: »Wir haben den Flyerausstoß in diesem Monat deutlich gesteigert und zur Erhöhung des Unternehmenswertes beigetragen.«
  • Manager des Erfinders: »Na sehen Sie, das sieht schon gut aus. Nun ist es endlich konkret. Jetzt weiß ich, dass wir über Millionen sprechen, warum haben Sie das nicht in der Präsentation erwähnt? Sie haben mir vorher auch nicht gesagt, dass Sie schon Kunden suchen! Da könnten wir die Quoten erhöhen. Bitte präsentieren Sie demnächst nochmals und berichten Sie von Ihren Erfolgen.«

Wie gesagt, es ist überspitzt dargestellt – und Sie merken am galligen Sarkasmus, dass ich meine Frustrationsrunden aus meinem früheren Innovatorendasein noch tief in mir sitzen habe. Im Ganzen will ich mit diesem Abschnitt sagen: Managermeetings sind Orte, wo alles Dasein im Unternehmen in einen guten geölten Geschäftsablauf geordnet wird. Alles fließt langsam dahin. Der Erfinder bekommt im Meeting selten Hilfe – nein, er wird in diesen langsamen Strom eingefügt und schwimmt nun sauber geordnet im Geschäftsprozess mit. Damit ist er vom Immunsystem erfasst worden und wahrscheinlich schon gescheitert. Es ist nicht so, dass die Manager gegen die Innovation sind, aber sie denken eben fast ausschließlich in Abläufen, innerhalb derer sie ab und zu Entscheidungen zu treffen haben, so wie ein Diskothek-Türsteher. Die eine darf rein, der andere nicht. Wer dort fragt, bekommt eine Entscheidung als Antwort.

Bitte gehen Sie gedanklich nochmals an den Punkt im Buch zurück, wo ich Gifford Pinchot mit seinem eindringlichen Rat zitiert habe: »Work underground as long as you can.«

Nehmen Sie nur an solchen Managermeetings teil, zu denen sie unbedingt hingehen müssen und nur zu dem einen einzigen Zweck, glatt durchgewunken zu werden. Bitte fragen Sie nicht nach echten Entscheidungen, bitten Sie nicht um Hilfe. All das Notwendige müssen Sie in Einzelgesprächen erreichen – quasi hinter der Bühne. Auf der Bühne wird das Stück nur aufgeführt, ich bitte Sie! Das Stück wird aber nicht auf der Bühne verfasst.

Der richtige Innovator geht erst dann auf die Bühne des Managermeetings, wenn alles schon in seinem Sinne beschlossen worden ist und nur noch verkündet werden soll. Dann führt ihn ein höherer Manager ein: »Ich habe Frau XY gebeten, dieses neue Geschäftsgebiet voranzutreiben.« Das ist im Sinne des Managements »strukturiert und konkret«. Die Arbeit des Innovators ist dann schon getan. Wie das im Einzelnen geht, bespreche ich aber erst nach den vielen Hinweisen auf die Fallen, die dem Innovator gestellt werden.

Konferenzbeiträge und Heiße-Luft-Resistenz

Der Innovator kann versuchen, seine Ideen auf Konferenzen vorzutragen, wo sich die Visionäre treffen und austauschen. Von dort kann er wieder viel mitnehmen und lernen. Er nimmt an den neuesten Fortschritten auf seinem Gebiet teil. Er besucht Stände vieler anderer Unternehmen und kann sich informieren. Er selbst kann seine Prototypen auf einem eigenen Stand vorstellen und seine mitgebrachten Flyer in großen Massen verteilen, wozu er viele drucken lässt.

Messestände und Präsentationen sind so gut wie das Feedback, dass Sie bekommen. Sie können ein Gefühl dafür bekommen, was andere Menschen von Ihrer Idee halten. Sie können Stände von Wettbewerbern anschauen, um mitzubekommen, wie weit die anderen sind. Das ist sehr wertvoll, wenn Sie die ganze Anstrengung unter diesem Gesichtspunkt sehen und auch so unternehmen. Sie müssen aber wissen, was all die anderen auf den Konferenzen tun und warum.

Konferenzen verbreiten nur Positives und Neues, sonst ginge ja keiner hin. Die Agenda einer Konferenz bietet ein Potpourri aus

  • Visionen: »Wo geht die Reise hin?«
  • Erfahrungen: »Wie ich selbst diese konkrete Neuerung einführte und jetzt glücklich bin.«
  • Anti-Erfahrungen: »Welche Fehler man vermeiden muss und wie das leicht geht.«
  • Workshops: »Wir trainieren die erste Handgriffe (»hands-on«), und schon nach wenigen Stunden haben Sie einen reichen eigenen Erfahrungsschatz …«
  • Verkaufsstände: »Bitte schauen Sie alles schnell an und sehen Sie, wie toll das ist – danach geben Sie uns unbedingt eine Visitenkarte (dafür bekommen Sie eine Rolle Pfefferminz, einen Prunkbilligstkuli oder einen Dopsball) und vereinbaren einen individuellen Termin mit uns; im Minimum bekommen Sie jetzt lebenslänglich Werbung, weil wir Sie auf unseren VIP-Verteiler setzen.« Das Ganze heißt im Jargon »Lead Generation«.
  • Sponsorenwerbung.

Die Sponsoren finanzieren einen erheblichen Teil der Veranstaltung. Dafür dürfen sie Stände aufstellen, und sie bekommen in der Regel einen Redeslot, dürfen also einen Redebeitrag auf der Konferenz beliebig bestimmen. Die Aussteller bezahlen die Stände, die Teilnehmer die Konferenzgebühr, vielleicht der Staat ein bisschen Unterstützung, sodass dann ein Minister schirmherrschaftlich die Konferenz eröffnet. Bei Wahlen kommen Minister auch grundlos. Die meisten Vorträge werden also vom Unternehmen des Redners bezahlt, damit dieser Marketing macht – für sein Unternehmen oder für das Produkt, dessen Verwendung er erklärt. Es ergibt keinen Sinn, in Reden Produkte zu erklären, die schon jeder kauft. Eine Rede, die eine Einführung in das SAP-Programm oder in Word bietet, ist deplatziert. Ganz klar: In den von Firmen bezahlten Konferenzbeiträgen werden brandneue Produkte erklärt. Aber welche?

Am besten solche, die bisher kaum ein Kunde gekauft hat und für die noch keine konkreten Anwendererfahrungen vorliegen. Man sucht sich dann einen Protagonistenkunden, der ein bisschen mit dem neuen Produkt gratis herumprobieren durfte und verkauft seine Rede darüber als »Referenzkundenerfolgsbericht nach jahrelanger Zufriedenheit«.

In Wirklichkeit gibt es noch keine richtigen Erfahrungen, sondern meist nur das Ankündigen von Erstversuchen. Sie merken das an Redefiguren wie »Wir sind da noch am Anfang.« Oder: »Wir haben das Produkt jetzt seit gestern in Betrieb und müssen noch sehen, ob sich nun wirklich die Einsparungen realisieren lassen, die man uns versprochen hat und die wir leider unserem Boss weiterversprechen mussten.« Oder: »Wir versprechen uns sehr viel vom neuen Servicemodell, möchten aber keine konkreten Zahlen nennen. Die haben wir zwar, aber wir denken, dass wir noch einige Zeit lang geheim arbeiten sollten, um uns einen großen Vorsprung zu erobern.«

In diesem Sinne sind die meisten Konferenzen an einem Schnittpunkt zwischen den Early Adopters und den OpenMinds angesiedelt. Die Early Adopters haben die neuen Produkte schon in Gebrauch, verfügen aber noch nicht über Langzeiterfahrungen und wissen auch nicht, welche Beeinträchtigungen dadurch entstehen und wie damit umgegangen wird. Die Fragen der OpenMinds wie »Was nützt es genau? Ist es sicher? Ist es leicht bedienbar? Es gibt doch keine Folgeschäden und Nebenwirkungen?« können noch nicht überzeugend beantwortet werden. Wer Zweifel daran äußert, bekommt im Gegenzug sofort einen Vertreterbesuch angeboten, damit alles persönlich besprochen werden kann.

Die Early Adopter der Unternehmen kommen als Teilnehmer, um Inspirationen zu suchen und schon im Vorfeld zu beschließen, was sie demnächst an neuen Produkten einsetzen wollen. OpenMinds der Unternehmen wollen klären, was sich schon wirklich bewährt hat. Sehr viele Teilnehmer der Konferenzen sind Mitarbeiter oder Geschäftsführer von kleinen Beratungsunternehmen, die einfach nur die neuesten Trends verfolgen und diese Kenntnisse um dieses Neueste ihren Kunden wiederum als Expertenwissen verkaufen.

Visionäre sind meist von den Konferenzen enttäuscht, »weil es nichts Neues gibt«. Seltsam, denn sie sind oft auf Konferenzen – so schnell ändert sich ja nichts. Die Early Adopter und die Protagonisten belauern sich gegenseitig, wer von ihnen am weitesten vorn ist. »Die anderen kochen auch nur mit Wasser.« Die OpenMinds sind oft verzweifelt, weil das Neue noch nicht konkret ist, sodass sie klare Handlungsanweisungen mitnehmen und kalkulieren können, wie viel alles kostet und was es nützt. »Da ist noch viel heiße Luft drin. Im letzten Jahr war alles noch so unfertig, dass ich es nicht kaufen wollte. Auch in diesem Jahr ist das noch so. Die Teilnahme war an sich überflüssig. Die Hersteller präsentieren immer dasselbe noch nicht Fertige unter einem immer neuen Motto, unter Buzzwords und erlösungsverheißenden Slogans, aber es ist jedes Mal noch nicht ausgegorener Wein in neuen Schläuchen.«

Die Konferenzveranstalter heuern zur Linderung berühmte Keynote-Speaker an, die die Teilnehmer irgendwie doch begeistern. Auf den Abendveranstaltungen und in den Pausen gibt es Köstlichkeiten bis zum Abwinken, eine Zauberin, ein Comedian oder ein Sternekoch sorgen für ein Erlebnis.

Im Grunde sind die Konferenzen ein Schauplatz, auf dem die Protagonisten den OpenMinds das Akzeptieren des Neuen schmackhaft machen wollen. Aus diesem Grund werden die OpenMinds zu den Konferenzen gelockt. »Wer sich hier nicht trifft, ist von der laufenden Entwicklung abgehängt.« Meist tummeln sich aber vorwiegend Protagonisten im Gedränge. Sie profitieren dann in ihrem Unternehmen oder als Berater für ihre Unternehmen davon, immer sehr gut informiert zu sein. Die OpenMinds aber gehen oft mit dem Eindruck heim, hier werde »nur Hype gemacht« und »heiße Luft verkauft«. Genau das ist die typische Stimmung, wenn etwas Neues über das Chasma oder die Hürde springen soll.

Wer als Innovator auf solchen Konferenzen für seine Sache sprechen will, muss sorgsam nachdenken, was er damit bezwecken will. Hat er eine Chance, OpenMinds zu erreichen? Oder verbreitet er so großen Hype, dass sich einige freie Journalisten anstecken lassen und den Hype weiter verbreiten? Was passiert, wenn sein Vortrag oder sein Prototyp den Eindruck der »heißen Luft« hinterlässt? Das kann ihn beerdigen, weil sich »heiße Luft« herumspricht. »Wie war die Konferenz?« – »Na, viel Gedöns, man muss das noch nicht einsetzen. Wenigstens bin ich jetzt sicher, dass wir nichts verpasst haben, wenn wir in dieser neuen Richtung noch gar nichts tun.«

Immer wieder: Ein Innovator sollte versuchen, möglichst viel detaillierte Kritik von OpenMinds für seine Neuerung zu bekommen. Er sollte erfahren, was genau noch stört, was sie hindert, alles gleich einzusetzen, und warum das Neue noch nicht speziell auf sie abgestimmt ist. Dazu muss er aber wirklich gut und inspirierend präsentieren und Resonanz erzeugen.

Faktisch sind die Präsentationen durchweg entweder zu technisch oder wirklich gedanklich zu dünn oder komplett inhaltsleer mit schillernder Hülle. Meistens langweilen sich die Teilnehmer außerhalb der Keynotes oder der Abendveranstaltung. Mich wundert das schon lange – und mein Sohn Johannes fand mich immer zu vernichtend kritisch. Jetzt besucht er selbst Konferenzen und kommt auf ein Urteil, dass ich schon sehr, sehr oft gehört habe: »Wenn du pro Konferenztag eine wirkliche Inspiration mitnehmen kannst, ist es eine gute Konferenz. Mehr kann nie erwartet werden.«

Die entscheidende Frage für den Innovator ist, ob er selbst diese eine Inspiration bieten kann. Dann bekommt er Feedback und kann lernen. Sonst aber hat er sich lange für die Konferenz vorbereitet und wieder viel Zeit vertan. Besonders kritisch sind Fälle, bei denen der Innovator nicht wirklich inspiriert, aber doch ziemlich überdurchschnittlich ist. Dann kann die Marketingabteilung aus lauter Verzweiflung über die Durchschnittlichkeit des eigenen Unternehmens auf die glorreiche Idee kommen, diesen einen Überdurchschnittlichen auf alle Konferenzen mitzuschleppen, die das Unternehmen sponsert. Da fühlt sich der Innovator geehrt, da fühlt er irrtümlich schon Erfolg, aber das macht es nicht besser. Da sagen die OpenMinds: »Schon wieder dieser da auf der Konferenz, der ist überall, hat es wohl auch nötig – oder sein Unternehmen hat nichts anderes.«

Ein Innovator muss solche Konferenzen als Schlachtfeld ansehen, wo er siegen kann, indem er OpenMinds für sich einnimmt. Er kann auch im Kampf ungeheuer viel lernen, was noch fehlt. Er kann viele Kontakte mit anderen knüpfen, indem er anderen zuhört. Die meisten Innovatoren sind schon stolz auf den Erfolg, überhaupt mitkämpfen zu dürfen, aber das ist Zeitverschwendung.

Der Innovator sollte sich diese Fragen ernsthaft vornehmen: »Ich selbst finde die meisten Beiträge aufdringlich, lächerlich, langweilig, viel zu technisch-unverständlich, narzisstisch, pushy oder unauthentisch übertrieben. Werde ich selbst die gefeierte Ausnahme sein? Was unterscheidet mich von den anderen? Wie bekomme ich Feedback von OpenMinds? Welche Kontakte werde ich knüpfen können, welches Niveau kann ich da erwarten? Bin ich wirklich offen für Inspirationen von Konkurrenten? Bin ich willens, mir eben nicht dadurch die Ohren zu verstopfen, dass ich alles andere im Markt mit eigenen Marketingfloskeln abtue?«

Generell finden Konferenzveranstaltungen vor dem Chasma oder der Hürde der Innovation statt. Dort verhandeln Protagonisten ihre Ideen. Der Innovator muss aber weiter … Und die Frage ist, ob ihn die Konferenzen nicht eher hemmen. Die Konferenzen erzeugen Erwartungen durch ihren Hype, danach kommt aber doch immer das Tal der Tränen bis zur Realität!

Meine Beichte: Als ich bei der IBM in Pension ging, hatte ich viele Schränke leerzuräumen und gleichzeitig keinen äquivalenten Stauraum zu Hause. Da waren sie alle – Stapel von »meinen« Flyern und Prospekten aus meinen einstigen Lehrjahren, die damals keiner haben wollte, auch Haufen von Preprints wissenschaftlicher Arbeiten, die nie angefordert wurden … Tonnen von Konferenzmappen, »in denen man alles nochmals daheim im Büro an sich vorüberziehen lassen kann«, viele CDs mit allen Präsentationen. Schön gestapelt fand ich sie, ich nutzte einen Tag lang den Shredder und hatte daraufhin Hausstaub-Reizhusten.

Zusammenfassung der Problemlage

Für fertige Produkte wie etwa ein neues Auto werden natürlich die Trommeln gerührt! Je mehr davon hören, desto mehr kaufen es! Kommt alle! Probefahrt! Noch heute unterschreiben! Die Verkäufer strömen aus und sammeln Aufträge. Überall Plakate und Anzeigen. Je mehr Plakate, umso mehr Umsatz! Je mehr Hype, desto mehr Gewinn! Innovationen müssen zuerst noch entstehen und als solche akzeptiert werden.

Nun neigt die Unternehmenswirklichkeit dazu, Innovationen wie normale Produkte zu behandeln, »die eben nur noch nicht fertig gebaut sind«, oder wie fertige Services, »die nur noch ein bisschen geübt werden müssen«. Dass insbesondere bei Services oder neuen Geschäftsabläufen die nötigen Infrastrukturen meist gänzlich fehlen, wird kaum gesehen. Da werden in einem solchen Zustand der Unfertigkeit schon die Verkäufer losgeschickt und Prospekte gedruckt. Da wird getrommelt und präsentiert. Die Annahme scheint zu sein, dass jetzt irgendwie gleich die Umsätze kommen müssten. Dabei befindet sich die Innovation noch im Entstehungsprozess. Aus dem Prototyp muss ein Produkt werden! Und das dauert seine Zeit. Das Trommeln und die falsche Annahme, dass darauf Umsätze folgen werden, wecken im Management in der Regel vollkommen naive und absolut träumerische Erwartungen. Die werden praktisch nie erfüllt. Nie!

Deshalb diskreditiert das Präsentieren und Flyer-Drucken den Innovator letztlich beim eigenen Management. »Heiße Luft!«, sagen die Chefs. Deshalb enttäuscht sein Marketing letztlich die OpenMinds, die sich das Trommeln anschauen. »Heiße Luft!«, sagen sie alle, und Marketing ist ja auch wirklich heiße Luft, wenn kein echtes Produkt als Substanz dahintersteht.

Daher kann zu offensives Selbstmarketing die Innovation nicht nur hemmen und Resistenzen erzeugen, es kann den Innovator im ungünstigen Fall praktisch begraben. Und wenn er dazu noch seine ganze Arbeit für die PowerPoint-Präsentationen und die Managementmeetings zusammenzählt, hat er sich das Grab unter härtestem Einsatz selbst geschaufelt.

Alles, was auf Sichtbarkeit zielt, sollte unter dem mehrfach zitierten Grundsatz bedacht und erwogen werden: »Work underground as long as you can« oder »Halt die Klappe, bis du Substanz vorzeigen kannst«.