Wozu wertvoll? Das Kohlenstoffmesser

Warum preiswert besser ist als billig

Wenn ich eines Tages meinen Kugelschreiber nicht mehr finden würde, wenn er für immer verloren gegangen wäre, dann wäre ich wirklich und wahrhaftig traurig.

Wie bitte?! Das ist doch nur ein Schreibgerät. Warum würde mich das traurig machen?

Neulich dachte ich wirklich, es wäre so weit. Ich konnte ihn nirgends finden. Normalerweise ist er immer dort, wo ich bin. Aber an dem Tag war er weg. Hatte ich ihn beim Kunden liegen gelassen? Hilfe, mein Kugelschreiber ist weg! Ich rief sofort an: Konzernzentrale. Entschuldigung, ich war gestern bei Ihnen. Kugelschreiber verloren. Wichtig. Bitte. Bitte. Heilig. Brauch ich. Ich war in den und den Räumen. Würden Sie bitte mal nachschauen lassen?

Die Dame hatte sofort Verständnis und schickte jemanden los.

Mein Kugelschreiber ist ein Mont Blanc. Schwarz und Gold. Ich habe ihn vor fünfzehn Jahren geschenkt bekommen und seitdem mit ihm alles Wesentliche geschrieben, was man von Hand schreibt. Und unterschreibt: meinen Arbeitsvertrag bei Manufactum zum Beispiel. Jeden Vertrag, den ich für Manufactum unterschrieben habe. Zum Beispiel Arbeitsverträge von Menschen, die noch heute dort arbeiten. Mietverträge für Ladengeschäfte, in denen Manufactum heute noch ist. Auch den Verlagsvertrag für dieses Buch hier. Oder die Klassenarbeiten und Zeugnisse, die Schulanmeldungen meiner Tochter. Die Verträge, die mit meiner eigenen Firma zusammenhängen. Viele private Dokumente, die einen Unterschied gemacht haben.

Mit meinem Kugelschreiber habe ich Spuren in meinem Leben hinterlassen. Er hat alle meine wesentlichen Lebensbereiche miteinander verbunden. Wenn ich etwas schreiben will, stehe ich extra auf und gehe ihn holen. Ich weiß auch immer, wo er ist. Links in meinem Sakko. Ich passe auf ihn auf wie auf meinen Schlüssel und meinen Geldbeutel. Ich hatte ihn noch niemals verlegt oder vergessen.

Eine Stunde später kam der Rückruf, der mein Herz sinken ließ: Sie hatten überall gesucht, aber meinen Kugelschreiber hatten sie nicht finden können. Die Frau musste es an meiner Stimme gehört haben, wie enttäuscht ich war. Sie tröstete mich und machte mir Hoffnung.

Erstaunlich, sie hatte sofort akzeptiert, dass mir dieser Kugelschreiber wirklich wichtig ist, sie hatte meine Bitte ernst genommen und Anstrengungen unternommen, den Gegenstand, der mir offenbar so am Herzen lag, wiederzufinden. Ganz offensichtlich gibt es Menschen, die so etwas nachvollziehen können.

Mein Kugelschreiber ist ein Meisterstück. Er ist schwer, wiegt sein eigenes Gewicht, hat seine ganz eigene Haptik. Ich kann fühlen, dass er wertvoll ist. Um die Mine auszufahren, muss man ihn drehen. In jedem Meeting, bei jedem Telefongespräch drehe ich an meinem Kugelschreiber, millionenmal, es ist meine Bewegung, ein Muster in meinem Kopf. Schon zig neue Minen hat er bekommen, immer die besten, und er ist nie schlechter geworden. Einmal war eine Reparatur fällig, weil er mir runtergefallen ist. Aber nach der Reparatur war er genauso gut wie vorher. Wenn ich ihn aufschraube, kann ich sehen, wie sorgfältig er hergestellt wurde. Ich kann nachvollziehen, warum dieses Ding mittlerweile 280 Euro kostet. Es macht Sinn.

Manchmal sehe ich billige Möchtegern-Kopien von Kulis, die so ähnlich aussehen, Plastik-Werbegeschenke, die versuchen, auf den Look aufzuspringen. Aber es ist fast lächerlich, wenn man die anfasst.

Mein Kugelschreiber hat eine Seriennummer. Mein Name ist auf ihm eingraviert. Er hat Macken und Kratzer. Er ist ein Individuum. Natürlich kann ein Gegenstand keine Gefühle erwidern, aber trotzdem: Ich habe eine innige Beziehung zu meinem Kugelschreiber. Er ist so sehr meiner, wie sich ein Gegenstand mit einer Person nur verbinden kann.

Ein Stunde später fiel er mir entgegen. Er war in meine Aktentasche gerutscht.

Weil die Dame am Empfang meines Kunden so freundlich gewesen war, rief ich kurz bei ihr an, um ihr zu sagen, dass ich meinen Kugelschreiber gefunden hatte.

»Ach, Herr Burchardt, da bin ich aber froh. Wie schön, dass Sie ihn wieder haben!«

Ein gutes Geschäft

Ein Kugelschreiber für 280 Euro? Was für ein Luxus-Mist! Der Burchardt hat gut reden! Der soll das mal einem Hartz-IV-Empfänger erzählen! Zwischen 5 und 10 Millionen Menschen leben in Deutschland von Transferleistungen. Wie sollen die denn so viel Geld für Luxusprodukte ausgeben? Und im Feinkostladen einkaufen sollen sie wohl auch noch? Wie sollen die denn doppelt so viel Geld für Brot, Reis und Nudeln ausgeben?

Ja, ich weiß, das ist das Standardargument. Aber wissen Sie was? Wir leben in einer der reichsten Gesellschaften der Welt. Mir genügt es ja schon vollkommen, wenn es alle diejenigen verstehen, die nicht von Hartz IV abhängig sind. Ich habe vollstes Verständnis für Menschen, die wenig Geld haben. Und ich glaube keineswegs, dass alle Menschen für den Konsum mehr Geld ausgeben sollten. Ich akzeptiere, dass es viele Haushalte gibt, für die 10 Cent mehr oder weniger bei der Milch eine Menge ausmachen. Das sind bei einer Tüte Milch pro Tag immerhin 36,50 Euro im Jahr, die sie mehr ausgeben würden, nur für Milch. Das will ich nicht kleinreden. Aber ich habe kein Verständnis für die Leute, die mit dem Cayenne und dem A8 zum Aldi fahren.

Ich will keineswegs zurück zu einem Land der Manufakturen. Aber ich bin ganz klar der Meinung, dass wir vor einiger Zeit mal falsch abgebogen sind. Dass die Abwärtsspirale bei Preis und Qualität in fast allen Lebensbereichen ein unheilvoller Trend ist, dass wir dringend innehalten müssen. Nachdenken müssen. Unseren Kurs korrigieren müssen.

Ich plädiere nicht für teure Produkte. Aber statt billige Produkte sollten wir wertvolle Produkte produzieren, handeln und kaufen. Dabei brauchen wir vom Prinzip eines guten Preis-Leistungs-Verhältnisses überhaupt nicht Abstand zu nehmen. Was heißt das?

So wie es eine Abwärtsspirale bei Preis und Leistung gibt, so gibt es auch eine Aufwärtsspirale. Wenn ein Produktionsunternehmen, statt vom Handel in Komplizenschaft mit den Konsumenten ausgequetscht zu werden, einen guten Preis erzielen kann, dann steht mehr Geld zur Verfügung, das in die Weiterentwicklung und Verbesserung des Produkts gesteckt werden kann. Faire Preise bewirken Verbesserungen am Produkt, weil jeder Hersteller mit anderen im Wettbewerb steht, und wenn der Preiskrieg wegfällt, beginnt das Ringen um das bessere Produkt. Die Produkte werden dann tendenziell wertvoller.

Das ist so wie bei einer guten Liebesbeziehung. Um die Beziehung auf Dauer zu erhalten, müssen die Partner permanent in die Beziehung investieren, weil sie es ihnen wert ist. Je länger sie andauert, desto besser kann sie werden. Und desto mehr lohnt es sich, in sie zu investieren. »Lieben ist ein Verb« – etwas, das man tut, nicht etwas, das einem in den Schoß fällt. Je mehr man selbst liebt, desto mehr wird man geliebt werden. Dieses Prinzip steckt überall dort drin, wo es um zwischenmenschliches Verhalten geht. Es ist ein Geben und Nehmen. Eine Abwärtsspirale wird immer dann erzeugt, wenn eine Person mehr nimmt, als sie gibt, oder zuerst nimmt und erst später bereit ist zu geben. Eine Aufwärtsspirale entsteht immer dort, wo eine Person bereit ist, in Vorleistung zu gehen und zu investieren, zuerst zu geben, dann erst zu bekommen.

Dabei kann eine lose, distanzierte Beziehung, zum Beispiel eine Chef-Angestellten-Beziehung, genauso hervorragend in Ordnung sein wie eine innige Liebesbeziehung, nur ist letztere wertvoller. Analog kann das Preis-Leistungs-Verhältnis bei einem Billigprodukt genauso gut sein wie bei einem wertvollen Produkt, eben dann, wenn Preis und Leistung im genau gleichen Verhältnis steigen oder sinken. Trotzdem ist für die Gesellschaft genauso wie für den einzelnen Konsumenten das wertvollere Produkt bei gleichem Preis-Leistungs-Verhältnis das Bessere. Warum? Weil irgendwo auf dieser Kurve der Punkt erreicht wird, ab dem es nachhaltig wird. Das ist der Unterschied. Billige Produkte können nicht nachhaltig sein, selbst dann nicht, wenn sie ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis haben. Wertvolle Produkte können sehr wohl nachhaltig sein. Und sie können trotz eines höheren Preises ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis mitbringen.

Nachhaltig bedeutet nämlich auch: Die Produkte werden so hergestellt und verkauft, dass damit genügend Geld erwirtschaftet wird, um jeden Beteiligten in der Wertschöpfungskette ernähren zu können. Es ist genügend Geld im Topf, damit jeder, der an der Entstehung und am Verkauf des Produkts beteiligt ist, fair behandelt werden kann, niemand wird ausgebeutet. Denn Ausbeutung steuert immer auf einen Endpunkt zu, an dem es prinzipiell nicht mehr weitergeht. Alle Ressourcen, die für die Herstellung und den Vertrieb verwendet werden, werden bei einem nachhaltigen Produkt so eingesetzt, dass sie dauerhaft genutzt werden können. Nachhaltigkeit ist ein ökonomisches Prinzip, es kennzeichnet Systeme, die sich nicht verbrauchen, sondern die dauerhaft funktionieren können. Nachhaltig sind Produkte, die nicht fürs Wegwerfen, sondern fürs Benutzen konzipiert wurden. Im Nutzen steckt der Wert. Und wenn man ein Produkt dauerhaft nutzen kann, ist es ein wertvolles Produkt.

Ich suche gerade einen Land Rover Baujahr 1971, also eines der ersten Modelle der Serie III des Landy. Das wird mein neues Wald-Auto. Das bedeutet, dass ich über Monate, vielleicht Jahre auf der Suche bin, bis ich den richtigen gefunden habe. Wenn ich dann eines Tages vor ihm stehe, werde ich es sofort wissen: Das ist er!

Auf der Suche stelle ich gerade fest: Diese Kisten sind noch heute verdammt teuer. Im Jahr 1971 lag der Listenpreis bei 16 000 D-Mark. Wenn der Wagen in einem guten Zustand ist, bezahle ich für ihn heute ungefähr 16 000 Euro. Auch wer an einem vierzig Jahre alten Land Rover nie groß etwas gemacht hat, um ihn zu pflegen, wird heute um die 8000 Euro dafür bekommen. Falls er sich von dem guten Stück trennen kann. Das bedeutet: Dieses Auto hat heute trotz Methusalemalter etwa den gleichen Wert wie vor vierzig Jahren! Es hat seinen Preis standhaft verteidigt. So ein Landy ist einfach sehr wertbeständig. Viel wertbeständiger als (fast) jedes andere Auto, das man heute im Autohaus kaufen kann. Warum?

Weil er, obwohl sehr schlicht konstruiert, sehr wertvoll ausgeführt worden ist: Alle Bauteile sind prinzipiell überdimensioniert. Die Karosserie ist aus Aluminium gefertigt und rostet nicht. Das Auto ist für die Ewigkeit gemacht und zwar nicht zum Ausstellen und Vorführen, sondern für harte Arbeit im Gelände. Für das, was er sein sollte, ist er eine der besten Lösungen, die je gebaut wurden. Auch heute noch, Jahrzehnte später, ist der Land Rover eines der geländegängigsten Autos überhaupt.

Und wie sieht das ökologisch aus? Es gibt nur sehr widersprüchliche Zahlen, wie viele Ressourcen die Herstellung eines Autos verbraucht. Alleine der Energieverbrauch für die Produktion liegt umgerechnet jedenfalls irgendwo zwischen 1900 und 9000 Litern Benzin pro Neuwagen.13 Die hat der Land Rover schon dreimal nicht verbraucht, wenn man die neun Jahre Nutzungsdauer zugrunde legt, nach der erst kürzlich über eine Million Autos in Deutschland subventioniert verschrottet werden durften.

Und so ein Land Rover stiftet Identität. Natürlich grüßen sich Landyfahrer auf der Straße. Wenn im Internet Landyfahrer miteinander chatten, dann klingt das ungefähr so: »Hallo, Freunde britischen Altmetalls …«

Jeder, der einen besitzt, hat eine Beziehung zu seinem Exemplar. So ein Auto hat Charakter. Er hat noch nie in irgendein Schema gepasst, bis heute nicht. Jeder erkennt ihn sofort. Seit 1948 werden die Autos in prinzipiell unveränderter Form gebaut. Niemand wirft so ein Auto jemals weg. Ein Landy wird immer weiterverkauft. Und nie ist das ein schlechtes Geschäft.

Das ist anders als mit einem Audi A6, den kaufst du für 57 000 und im nächsten Jahr ist er plötzlich 15 000 weniger wert, weil er nur noch ein Jahreswagen ist. Mein Audi hat in gut vier Jahren 40 000 Euro verloren. Das tut weh. Eigentlich ist so eine geringe Wertbeständigkeit vollkommen unwirtschaftlich. Das bedenkt beim Kauf aber kaum einer. Die Wertbeständigkeit ist in unserer Konsumkultur offenbar kein wesentlicher Faktor der Kaufentscheidung mehr, jedenfalls habe ich noch selten eine Werbung oder eine Produktpräsentation gesehen, bei der die Wertstabilität groß herausgestellt worden ist. Beim Kaufpreis ist jeder hochsensibel, aber den Wertverlust nehmen alle in Kauf. Das ist unlogisch.

Oft ist das scheinbar teure auf lange Sicht das wirtschaftlichere Produkt. Aber nicht immer. Und umgekehrt: Oft ist das preisgünstigere Produkt das unwirtschaftlichere. Aber nicht immer. Das Problem: Wir Konsumenten kennen uns mit dieser Produkteigenschaft Wirtschaftlichkeit offensichtlich überhaupt nicht aus!

Ich weiß nicht, welche Pfanne Sie im Haushalt benutzen. Aber ich bin sehr sicher: Wenn Sie nicht eine einfache unbeschichtete geschmiedete Eisenpfanne benutzen, haben Sie ein vergleichsweise unwirtschaftliches Produkt gekauft. Egal wie teuer es war. Das hat aber nicht nur mit der guten alten Handwerkstradition und mit der Einfachheit einer geschmiedeten Pfanne zu tun. Mir geht es nicht um Nostalgie. Es ist nur so, dass eine einfach geschmiedete Eisenpfanne für die sinnvolle Nutzung in der Küche dauerhaft die beste Lösung ist. Unübertroffen. Das ist auch der Grund, warum die meisten Köche, inklusive Sterneköche, genau solch eine Pfanne verwenden. Sie ist nicht zu toppen.

Und genauso behaupte ich voller Überzeugung, dass Sie, wenn Sie einen Laptop verwenden, der nicht von Apple ist, ein vergleichsweise unwirtschaftliches Produkt gekauft haben, auch wenn Ihr Laptop preisgünstiger war als ein MacBook. Denn die Zeitspanne, in der ein Computer produktiv nutzbar ist, ist bei Apple-Computern meiner Erfahrung nach deutlich länger als bei anderen. Wenn man ihn dann eines Tages doch ersetzen möchte, hat ein Mac einen Restwert. Ganz im Gegensatz zu den vielen PCs, die ich besessen habe. Ganz abgesehen davon besteht der Wert eines Computers auch immer in der Freude an der Arbeit, die er unterstützt oder verhindert. Und auch da schneidet mein Mac einfach deutlich besser ab als alle seine PC-Vorgänger – bei mir jedenfalls. Darum ist der Kauf meines MacBooks für mich eines der besten Geschäfte, die ich in den letzten Jahren gemacht habe. Und es wird mir noch einige Jahre erhalten bleiben.

Mein USM-Haller-Schreibtisch, hergestellt in der Schweiz – er ist maximal dreimal so teuer wie ein Billigschreibtisch, aber das Thema Schreibtisch habe ich mit ihm für immer erledigt.

Mein Brotmesser von Güde in Solingen, der »hünenhafte Brotzerteiler«, wie er seit einer legendären Katalogbeschreibung im Manufactum-Katalog von allen seinen Liebhabern genannt wird – es kostet knapp 150 Euro, aber das Thema Brotmesser habe ich mit ihm für immer erledigt.

Meine Schreibmappe aus der kleinen Sattlerei Kreis in Offenbach: In jedem Meeting habe ich sie dabei, da sind immer allerlei wichtige Sachen drin. Ständig werde ich auf sie angesprochen. Die Mappe ist ganz einfach gemacht, aber von derber Qualität, 6 Millimeter starkes Rindsleder, abgegriffen und voller Charakterspuren. Sie wird nie kaputtgehen, in 300 Jahren nicht. Und seit mindestens zehn Jahren fasse ich sie täglich gerne an. Das Thema Schreibmappe habe ich mit ihr für immer erledigt.

Meine Rimowa-Koffer, aus Köln. Doppelt so teuer wie andere Koffer. Schmerzhaft. Aber Made in Germany. Und aus Aluminium. Jedesmal, wenn sie nach einem Flug auf dem Gepäckband wieder zum Vorschein kommen, haben sie ein paar Beulen mehr. Sie sind wunderschön. Seit ich sie habe, macht mir Packen Spaß. Das Thema Koffer habe ich mit ihnen für immer erledigt.

Mein Silberbesteck von Sola in der Schweiz. An einem Winterabend wird es poliert, einmal im Jahr. Und jedesmal denke ich: Boah. Wie schön, wie ewig schön. So schön, dass ich es jeden Tag benutze. Das Thema Besteck habe ich mit ihm für immer erledigt.

Mein Maßanzug aus Saarbrücken: Ich habe ihn seit zehn Jahren, und ich trage ihn oft. Form und Stoff nutzen sich so langsam ab, klar. Er hat aber auch viel gearbeitet! Der nächste wird wieder zehn Jahre halten. Für diesen Zeitraum: Thema Anzug ist erledigt. Die Anzüge, die ich in meinem Leben brauche, kann ich an den Fingern meiner beiden Hände abzählen.

Ich könnte so weitermachen. Und ich bin ganz sicher: Ich gebe unterm Strich nicht mehr Geld aus als jeder durchschnittliche Konsument. Weil ich schöne Dinge liebe, kaufe ich wertvolle Produkte. Aber auch wenn ich dabei mehr Geld ausgebe: Ich kaufe seltener als die meisten, denn ich kaufe bevorzugt Dinge, die man gar nicht oder nur sehr selten wegwerfen muss. Aber ich bekomme unterm Strich noch etwas dazu: Ich habe mehr Zeit, weil ich weniger einkaufe. Und ich habe definitiv mehr Freude an den Dingen.

Freude am Haben

Freude habe ich zum Beispiel ganz besonderes an meiner Espressomaschine. Bevor mir ein Barista diese edle italienische Maschine vorgeführt hatte, war ich zufrieden mit Filterkaffee. Aber das erledigte sich 1998 für immer, als mir die Augen aufgingen, was für eine wunderbare Zeremonie es ist, mit dieser erstaunlich schweren, komplizierten, wunderschönen Zweikreis-Espresso-Maschine mit der legendären Brühgruppe der Faema E61 einen Espresso zu machen.

Es ist wirklich eine Kunst, einen guten Espresso zu machen. Welche Bohne nehme ich? Wie mahle ich sie? Wie fest drücke ich sie in das Sieb? Wie lang mache ich den Espresso, also wie viel Wasser verwende ich? Welches Wasser überhaupt? Wann hat die Maschine den richtigen Druck, die richtige Temperatur? – Und all das schmeckt man beim Endprodukt. Es ist nichts anderes als die Kunst, einen guten Wein oder ein hervorragendes Bier herzustellen, wo es ebenso auf tausend Kleinigkeiten ankommt.

Kennen gelernt habe ich diese Espressomaschine, weil wir bei Manufactum damals überlegten, eine solche Maschine in das Sortiment aufzunehmen. Allerdings hatte sie einen stolzen Verkaufspreis: 3000 D-Mark. Das war ein Wort. Auch bei Manufactum. Zudem bestand der Lieferant auf Abnahme ganzer Paletten. Wir haben gezögert. Aber schließlich haben wir es gewagt, eine Palette mit 64 Maschinen zu ordern. Wir wussten nicht, ob wir sie jemals loskriegen würden. Eine dieser Maschinen aus der ersten Lieferung steht heute bei mir in der Küche. Die anderen waren so schnell weg, dass wir kaum Zeit zum Luftholen hatten. Die Maschinen waren der Renner! Letztendlich haben wir Hunderte dieser traumhaft schönen Espressomaschinen importiert und verkauft.

So wie ich haben sich also viele Hundert Menschen viele Stunden Zeit genommen, um zu lernen, wie man mit so einer Maschine Kaffee macht. Mit ihr muss man sich nämlich wirklich beschäftigen, sonst kommt nur braunes Wasser unten raus. Das ist in etwa so wie mit einer Spiegelreflexkamera: Hantiert man zum ersten Mal mit ihr herum, kommen grauenhaft schlechte Bilder zustande. Aber wenn man den Bogen raus hat, werden die Ergebnisse viel besser als mit jeder vollautomatischen Knipse. So ist das auch mit meiner Espressomaschine.

Jeder einzelne Espresso erfordert eigentlich ein Riesentheater und einen erheblichen Zeitaufwand: Aufheizen, viele kleine Handgriffe, Fingerspitzengefühl, und erst die Reinigungsprozedur! Aber hier kommt es eben nicht nur auf das nackte Endergebnis an. Es sind merkwürdige Emotionen im Spiel: Das ganze Handwerk des Espressomachens erfüllt mich jedesmal mit Stolz. Weil so viel Zeit in jede Tasse geflossen ist, kippe ich ihn auch nicht einfach herunter, sondern schmecke bewusst und sensibel jede kleine Nuance heraus: Sorgfalt, Akribie, Kreativität, Inspiration. Es ist wie eine kleine Meditation, ich richte mich nach innen aus, spüre bewusst, was ich tue, schöpfe Kraft.

Ich frage Sie: Wann waren Sie das letzte Mal stolz, als Sie sich eine Tasse Kaffee gemacht haben? Ich bin das jeden Tag …

Jeder einzelne Euro, die ich in diese Diva von Espressomaschine gesteckt habe, war es wert. Ein Kauf, bei dem sich eine hohe Investition lohnt, ist preis-wert. Preiswert ist deshalb so viel besser als billig, weil preiswert immer auch ein Erlebnis beinhaltet. Preiswert macht mehr Freude als billig. Das ist bei allen Produkten so: Lebensmittel, Kleidung, Schuhe, Möbel, Elektronikgeräte, Autos.

Natürlich macht ein Porsche oder ein Land Rover viel mehr Freude als ein Dacia, machen wir uns doch nichts vor. Ein preiswertes Stück Fleisch macht nicht nur beim Essen, sondern auch beim Kochen viel mehr Freude als ein billiges. Der selbst geriebene Parmesan macht mehr Freude und schmeckt anders als der Parmesan aus der Tüte. Die Muskatnuss, die man in den selbst gestampften Kartoffelbrei reibt, macht Freude – die Anrührmischung von Pfanni spart dagegen lediglich Zeit. Und mit der Zeit wird die Freude weggespart.

Viel Preis, viel Wert

Eine Kultur der preiswerten Dinge ist beileibe kein Luxus, sie ist lediglich geizfrei. Sie stellt eine emotionale Beziehung zwischen dem Menschen und den ihn umgebenden Dingen her. Dinge, die er braucht und will. Der Mensch verbindet sich mit den Dingen, die er täglich berührt. Das gibt ihm einen Platz in der Welt. Die Verbindungen zwischen Mensch und Kartoffel, zwischen Mensch und Brot, zwischen Mensch und Wasser, aber auch zwischen Mensch und Werkzeug und zwischen Mensch und Maschine sind essenziell, existenziell, sie machen den Menschen zum Menschen. Wir alle brauchen intensive Beziehungen zu den Menschen um uns herum, zu den Dingen, die uns umgeben, zu dem Boden, auf dem wir leben, und zu den Lebensmitteln, die wir zu uns nehmen. Alleine im Internet oder vor dem Fernsehsessel können wir nicht leben, dort verlieren wir uns.

Wir haben – eingestanden oder nicht – eine riesige Sehnsucht, einen großen Nachholbedarf nach menschlichen »Grundbeziehungen«, weil uns unsere unmittelbare Umgebung fremd geworden ist. Wir kennen den Bauern am Stadtrand nicht mehr persönlich. Dafür haben wir 281 »Freunde« auf Facebook. Wir wissen nicht mehr, wie selbst gestampfter Kartoffelbrei schmeckt. Dafür grasen wir wie die Roboter die Supermarktregale ab und sparen dabei viel, viel Zeit, sodass wir immer länger vor der Glotze hängen können. Wir wissen nicht mehr, wie die Bäume heißen, die im Wald vor der Stadt wachsen, wir können ihre Blätterform und ihre Rinde nicht mehr beschreiben. Dafür wissen wir, wie wir mit Online-Games die Zeit totschlagen können. Wir kennen nicht mehr die Vorfreude und das Herumschleichen um das eine Ding, das wir unbedingt haben wollen: die Ledermappe, die italienische Espressomaschine, die silberne Zuckerdose, den rahmengenähten Lederschuh. Dafür wissen wir, dass Tchibo immer ein Schnäppchen für uns bereithält.

Es geht nicht um Luxus oder Status: Es spielt keine Rolle, wie teuer die Dinge sind, solange sie nur preiswert, ihren Preis wert sind. Und nur dann, wenn sie wertvoll sind, haben wir eine besondere Beziehung zu ihnen.

Diese Beziehungen fehlen uns! Dabei machen sie den entscheidenden Unterschied in der Lebensqualität aus. Wir alle haben doch schon einmal eine Beziehung zu einem Ding gehabt, bei dem wir der Meinung waren, dass wir uns zu schade dafür sind, etwas anderes zu besitzen, dass wir es uns wert sind, genau dieses Ding zu besitzen, dass wir es uns gegönnt haben, dass wir das nur für uns gekauft haben oder es uns schenken ließen.

Wir fühlen uns von solchen Dingen aufgewertet, der Wert des Dings geht über auf den Besitzer, der ein inniges Verhältnis zu dem Ding hat. Produktwert wird zu Selbstwert.

Diese wertvollen Dinge reflektieren einen Menschen. Sie drücken seinen Stil aus. Kein Mensch auf der Welt besitzt die gleiche Kombination von Dingen wie ich. Wenn ich morgen an einen Baum fahren würde, und jemand Fremdes käme in meine Wohnung, dann würde er diese Dinge wahrnehmen und hätte ein Bild von mir, einen Reflex, einen Widerhall von mir in der Welt. Welches Echo hinterlassen Ihre Dinge?

Gewusst, warum

Das mag ja alles richtig sein, dürfen Sie jetzt denken, aber die Konsumenten wollen eben nun mal keinen Espresso zelebrieren, sie wollen keine Kartoffeln stampfen, sie wollen ihr Brot nicht von Hand mit dem Messer schneiden. Ihnen ist es auch egal, ob der Bäcker den glücklichen Brotteig selbst angerührt hat oder ob er nur unglückliche Laibe aus Massenbrothaltung aufgebacken hat. Nein, sie wollen viel lieber Zeit und Geld sparen, sodass sie am Mittag genügend von beidem übrig haben, um ein Tablett Müll hinterlassen zu können, nachdem sie zuvor zwischen 150 mampfenden Adipositaspatienten gesessen und ein halbes Kilo leere Kohlehydrate in sich hineingestopft haben.

Die Konsumenten wollen den kleinen Preis und das schnelle Produkt. Das ist Fakt. Und wer als Händler oder Produzent die schnelle Mark machen will, der muss nun mal schnellstens Billiges liefern! Und wissen Sie was? Die Konsumenten handeln doch auf ihre Weise ganz vernünftig. Warum? Weil ihnen kaum einer erklärt, warum es viel vernünftiger wäre, mehr Zeit aufzuwenden und mehr Geld auf den Tisch zu legen, um schöne, wertvolle Dinge und Lebensmittel zu kaufen.

Unsere Händler haben offensichtlich verlernt, wie man Preiswertes verkauft. Dafür sind sie Spezialisten darin geworden, Billiges zu verkaufen. Der Unterschied: Wer Preiswertes verkaufen will, muss argumentieren können.

Wie es geht, zeigt zum Beispiel Manufactum mit seinem Katalog. Dieser Katalog ist das eigentliche Herzstück des Erfolgs von Manufactum. Er wurde wohl in jedem bedeutenden deutschsprachigen Feuilleton schon irgendwann einmal besprochen. Das Werk mutet dem Leser 350 Seiten Produktinformationen zu. Der Leser soll sich zum Beispiel über eine halbe Seite lang nur mit dem Metall beschäftigen, das für die angebotenen Messer verwendet wurde, wie es beschaffen ist, wie es bearbeitet wurde, welche Eigenschaften es hat. Und er tut es. Die meisten Manufactum-Kunden sind ganz scharf auf den unverwechselbaren »Sound«, mit dem »die guten Dinge« beschrieben werden.

Soll ein Universalküchenmesser für 110 Euro verkauft werden, muss man eben die Gründe nennen, die dafür sprechen. Und das liest sich dann so:

»Pließten nennt man in Solingen das Glätten der auf der Klinge verbliebenen Schleifriefen, den Feinschliff also. Die aufwendigste Stufe der Pließttechnik ist das Blaupließten. Dabei wird der Stahl in mehreren Durchgängen Stufe um Stufe mit einer Körnung von 180 bis 320 feiner geschliffen. Die Klinge wird dadurch noch feiner und etwas weniger korrosionsanfällig. Daß sie blaugepließtet ist, erkennen Sie daran, daß sie im Licht leicht bläulich spiegelt.

Das traditionelle Material für Messerklingen ist der Kohlenstoffstahl. Dieser ist nicht rostfrei, läßt sich jedoch bei feinkörnigem Gefüge besonders hoch härten und extrem scharf zurichten. Dabei gilt: Je höher der Kohlenstoffanteil, desto höher kann gehärtet werden. Ihre hohe Schneidfähigkeit verdanken diese Messer neben der Zurichtung also dem Material, ihre hohe Schneidhaltigkeit einem materialbedingten Selbstschärfeffekt: Die Klinge nutzt sich im Gebrauch gleichmäßig ab, der spitze Schneidwinkel bleibt so immer erhalten. Klingen aus Kohlenstoffstahl setzen mit der Zeit eine dunkle Patina an – die ihre Qualität jedoch keinesfalls negativ beeinflußt, sondern ihnen im Gegenteil einen besseren Schutz gegen Korrosion verleiht.«

So ein Kohlenstoffstahlmesser ist eigentlich ein sehr schlichtes Produkt. Der besondere Produktvorteil, dass es nämlich nie stumpf wird, dass es Charakter hat und dass so ein Messer für den Konsumenten auf Lebenszeit gerechnet das kostengünstigere Produkt ist, muss aber erklärt werden. Ein Universalmesser aus Kohlenstoffstahl mit 8 cm Klinge und Holzgriff, made in Solingen, kostet 14,50 Euro. Das ist zwar kein Luxusprodukt, aber es ist auf jeden Fall deutlich teurer als die meisten Messer. Die Tatsache, dass Manufactum mit dem Verkauf von Kohlenstoffstahlmessern sehr viel Umsatz gemacht hat und dass die Solinger Manufakturen, die diese Messer herstellen, durch den guten Preis ihre Existenz sichern können, ist nur möglich, weil der Katalogtext sich den Platz und der Kunde sich die Zeit fürs Lesen nimmt.

Die Werbetexte, die wir sonst im Handel kennen, lesen sich so:

»Design Messerset ›Mallorca‹, 5tlg., incl. Messerblock aus Acryl, Farbe: schwarz. Klingenlänge zwischen 8,75 und 20 cm. Nur 22,90 Euro!

Wir bieten Ihnen Messersets mit unterschiedlicher Ausstattung und aus unterschiedlichem Material an. Sie können zwischen 4- bis 6-teiligen Messerblöcken aus Edelstahl oder Acryl wählen. Je nach Set sind Brotmesser, Universalmesser, Chefmesser, Tranchiermesser und Schälmesser enthalten. Die Klinge der Messer besteht bei allen Sets aus Edelstahl, allerdings variiert das Material der Messergriffe je nach Set. Die Messergriffe können entweder aus Edelstahl oder Kunststoff bestehen.«

Da erübrigt sich jeder Kommentar.

Na klar, wer ein wertvolles Produkt verkaufen will, der muss es eben auch erklären, der muss Geschichten erzählen können. Das war schon immer so und das wird auch künftig so sein. Wer Mehrwert bieten will, muss ihn refinanzieren, also auch einen höheren Preis durchsetzen können, also muss er den Mehrwert ebenfalls kommunizieren, denn sonst akzeptiert niemand, dass es teurer ist. Zu Recht teurer ist. Wenn die Kunden nicht genau wissen, was hinter dem Preis steckt, dann haben sie gute Gründe, sich für das billigere Produkt zu entscheiden.

Just vor ein paar Tagen ist meine AEG-Electrolux-Waschmaschine nach nur drei Jahren und einem Monat kaputtgegangen. Ich habe sie in einem dieser Märkte mit den roten Einkaufstüten gekauft, auf denen irgendwas mit »ich« und »blöd« stand. Also rief ich dort an und wurde gefragt, ob ich denn auch eine Garantieverlängerung gekauft hätte. Nein? Sorry, da könne man dann nix machen.

Also kam der Techniker auch nicht für umsonst, sondern für 45 Euro pauschal. Dafür war er ein sehr freundlicher Mann. Er sagte mir, der Motor sei kaputt und die Elektronik vielleicht auch, das mit der Elektronik könne er aber erst sicher sagen, wenn der neue Motor drin sei.

Der Motor kostet 273 Euro, die Elektronik 130, macht zusammen 403 Euro. Kulanzrabatt: 50 Prozent auf die Teile, macht 201,50 Euro. Mit Montage und allem drum und dran dann insgesamt 300 bis 350 Euro, sagte er mir. Die Maschine hat mal 500 Euro gekostet, zur Zeit wird sie beim Media Markt für 399 Euro verhämmert. Nochmal: Der Motor und die Elektronik kosten zusammen 403 Euro!

Der Techniker sagte: »Ich mache das jetzt seit 25 Jahren, und es wird jedes Jahr schlimmer. Die werden immer verrückter. Die Maschinen werden nur noch rausgeschleudert, die Ersatzteile aber werden immer teurer. Ersatzmotor 273 Euro, die ganze Maschine neu 399 Euro – wer lässt sich denn da von mir noch eine Maschine reparieren?«

Morgen wird meine neue Miele geliefert. Vom Fachhändler. Auf der Maschine ist ein Aufkleber: »Lange Lebensdauer – rund 20 Jahre. Made in Germany«. So, und jetzt kommt’s: Die neue AEG-Electrolux made in Weißnichtwo würde mich 399 Euro kosten, die Miele kostet 1220 Euro. Wenn sie mehr als neun Jahre und vier Monate hält, wird sie das bessere Geschäft gewesen sein. Nach zwanzig Jahren hätte ich dann richtig was gespart.

Lieber Markus Miele, lieber Reinhard Zinkann junior, ihr zwei Gründerurenkel aus Gütersloh, jetzt gilt es. Ich zähl auf euch!

Wir können anders

Um zu begründen, dass ein ökologisch wertvolleres Produkt auch ökonomisch die langfristig bessere Lösung ist, muss ein Händler den Einsatz von Geld und Zeit erklären, der in die Entwicklung und Herstellung des Produkts geflossen ist. Denn das Billigzeugs ist ja genau deshalb von so schlechter Qualität, weil bei seiner Produktion mit Zeit und Geld gegeizt wurde: Der Billignudelhersteller muss seine Hühner aufblasen mit Mastfutter und Medikamenten, damit sie so schnell wie möglich so viel wie möglich Eier legen. Der Weizen muss möglichst schnell üppige Erträge bringen, dazu braucht es die Sortenzüchtung, künftig die Gentechnik und natürlich die Agrochemie. Würde er sich die Zeit nehmen, die Hühner oder die Saat einfach wachsen zu lassen, könnte er den billigen Preis einfach nicht mehr halten.

Wir Konsumenten müssen uns klarmachen, dass wir beim Kauf immer auch kommunizieren. Kaufen wir das billige Produkt, dann senden wir mit dieser Handlung ein Signal in die Welt, und das bedeutet: Ich will nicht, dass sich jemand Zeit nimmt, um das Produkt herzustellen. Sie kommunizieren: Es geht auch in weniger Zeit. Macht es schneller! Spart noch mehr Zeit! Jeder Konsument, der sich für das billigere Produkt entscheidet, gibt damit ein Statement ab, dass im Prozess der Herstellung des Produkts immer noch weiter gegeizt werden soll. Und genau das geschieht.

Wenn wir Konsumenten die Produktqualität und die Langlebigkeit, die ökologisch verträgliche Herstellung und die Fairness im Produktionsprozess mehr honorieren würden, dann würden die großen Konzerne nicht immer noch ihre Fertigung nach irgendwohin verlagern, dann bliebe die Landwirtschaft vom Industrialisierungs-, Agrochemisierungs- und Beschleunigungsdruck verschont, dann müsste nicht immer noch ein bisschen schneller, billiger, umweltschädlicher oder unfairer produziert werden.

Der Punkt ist: In diesem Spiel tragen alle Seiten Verantwortung – die Produzenten, der Handel und die Konsumenten. Ich finde aber: Ein Händler wie Edeka, der über 40 Milliarden dreht, hat nochmal ein gutes Stück mehr Verantwortung als ein Landwirt. Ich akzeptiere nicht, dass die Repräsentanten des Handels die Schultern zucken und behaupten: Wir können nicht anders. – Natürlich! Sie können anders!

Auch die Produzenten können anders. Beispielsweise gehören die unsäglichen PET-Flaschen zu den umweltschädlichsten und ungesundesten Verpackungen, die wir täglich kaufen. Wir kaufen sie aus reiner Faulheit, weil sie leichter zu tragen sind. Die Gewichtsersparnis beim Transport ist ein Scheinargument, das nur ins Gewicht fällt, wenn wir die Flaschen quer durch den ganzen Kontinent transportieren. Wir in Deutschland leben in einer der trinkwasserreichsten Gegenden der Welt. Hinter jeder dritten Gemeinde sprudelt ein Mineralwasserbrunnen. Wir müssen keine Wasserflaschen quer durch den Kontinent transportieren, so wie die Discounter das tun. Und wir können getrost auf die guten alten Mehrwegflaschen setzen, die eine wunderbare Erfindung waren. Doch wir können! Wir Konsumenten können, die Händler können und die Produzenten können. Wenn wir nur wollen!

Dieter Fleischmann und seine beiden Söhne Christoph und Clemens füllen in dritter beziehungsweise vierter Generation das Wasser der Randegger Ottilienquelle ab. Sie sagen: In unseren Betrieb kommt keine PET-Abfüllanlage! – Gut, das ist ein Statement. Aber es nützt ja nichts, mit fliegenden Fahnen unterzugehen. Also mussten die Fleischmanns einen Weg finden, gegen die Billigkonkurrenz in den Supermärkten anzukommen. Der Grundgedanke ist: Das muss auch irgendwie anders gehen. Hier sind Kreativität und Geschäftssinn gefragt.

Und beides haben die Fleischmanns: Darum haben sie gerade wieder gegen den großen Trend in Glas investiert. Sie haben eine hochmoderne Abfüllanlage gekauft, die 18 000 Glasflaschen pro Stunde abfüllen kann. Für die Premiumlinie »Randegger Gourmet« haben sie eine wunderschöne Flasche in drei Größen gestalten lassen, die sich auf jedem Restaurant- oder Gästetisch ausnehmend gut macht – ein Wettbewerbsvorteil gegenüber den hässlichen Plastikflaschen. Das zweite Argument: der eigene, umweltschonende Mehrwegkreislauf. Das dritte: der wunderbare Geschmack des Wassers, frei vom hässlichen Plastiknachgeschmack. Das vierte: regionale Identität und Stolz – die Fleischmanns haben in fast 120 Jahren Firmengeschichte aus Überzeugung noch nie etwas anderes als Glasflaschen verwendet. Und sie haben noch nie weiter als in einen Umkreis von 50 Kilometern geliefert.

Also gibt es doch vier gute Argumente, die gegenüber der regionalen Bevölkerung und der Gastronomie offensiv vertreten werden können. Die geschäftstüchtigen Söhne Clemens und Christoph, die genau wissen, wer ihre Kunden sind, argumentieren konsequent: Sie schließen eine Kooperation mit dem Naturschutzbund Nabu. Sie setzen sich mit einer großen Marketingaktion auf den Etiketten der Flaschen für Artenschutz ein. Sie nehmen den Slogan »Denk global – trink lokal« in ihr Logo auf. Sie sponsern regionale Sportclubs. Sie setzen sich für die Region ein. Sie spenden Geld für den Brunnenbau im wasserarmen Indien. Sie nutzen Strom aus regionaler Wasserkraft. Sie waren so clever, sich die Web-Domains www.gourmet.de und www.mineralwasser.de zu sichern. Sie zeigen im Web, welche Restaurants ihr Wasser ausschenken. Sie zeigen historische Fotos des Firmengebäudes und von begeisterten Ottilienquelle-Fans auf der Website. Sie zeigen alle Schlüsselmitarbeiter vom Lagerchef über die Produktionsleiter bis zur Buchhalterin mit Foto und Kontaktdaten auf der Website. Sie informieren über die Hintergründe der Produktion, sodass der Kunde beispielsweise nachlesen kann, dass zur Herstellung des Klebers für 1000 Flaschenetiketten 240 Gramm Klebstoff verwendet werden, der aus Magermilchpulver hergestellt wird.

Das ist Stolz! Und so schafft man es, in einer Zeit des Discounter-Wahnsinns trotzdem grundsolide zu wirtschaften und ein mittelständisches Unternehmen erfolgreich ins 21. Jahrhundert zu führen, das für gute Qualität einen guten Preis verlangt. – Es geht!

Nur nicht ohne Argumente.

Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip
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