So ist halt die Wirtschaft …

Der Fluch der hohen Renditen

Die feste Erdkruste umschließt die heiße, flüssige bis zähflüssige Erdkugel wie die Schale den Bratapfel – was in Bezug auf die Dicke von Schale bzw. Kruste sogar eine recht genaue Analogie ist. Die Erdkruste besteht aus chemischer Sicht zu einem großen Teil aus Sauerstoff und Silizium, die sich vorzugsweise nach dem Schlüssel zwei zu eins verbünden und dabei gerne noch andere Elemente involvieren, um sich gemeinsam als Feldspat, Quarz oder Glimmer zu outen. Zusammengebacken, aufgeschmolzen, verwandelt, durchgewalkt und abgekühlt liegen diese Minerale als Granit oder Gneis zu unseren Füßen und bilden das Grundgestein der Kontinente.

Böden sind komplex. Außer den beiden chemischen Grundzutaten Sauerstoff und Silizium finden wir in den Grundgesteinen in kleineren Mengen auch fast alle anderen chemischen Elemente, die das Periodensystem so zu bieten hat. Wenn dann Wind, Wasser und Temperaturunterschiede an der Oberfläche den Granit und den Gneis aufsprengen und verwittern, entstehen dadurch sehr reichhaltige Formen von Sedimenten. Die Inhaltsstoffe dieser Sande wechseln im Laufe der Zeit dann das Fachgebiet, nämlich von der Geologie zur Botanik, denn sie dienen der Pflanzenwelt als Nährstoffe.

Lassen wir etwas Lebendiges auf ein solches Sediment fallen, zum Beispiel ein Häufchen Vogelkot, das den Samen eines Baumes enthält. Dann lassen wir es ein wenig regnen und dann wieder die Sonne scheinen. Mineralische Nährstoffe plus Licht plus Wasser plus Wärme – schon geht es los: Ein Sämling wächst.

Die Pflanze beruhigt an dieser Stelle den Wind, gibt Schatten und Schutz und lässt organisches Material zu Boden fallen, das zahllosen Mikro- und Makroorganismen als Nahrung dient. Sie beginnen, es mit dem Boden zu vermischen. Die Wurzeln sorgen dafür, dass festgehalten wird, was gebraucht wird. Pilze lagern sich an und gehen eine Symbiose mit dem Baum ein. Nach einiger Zeit arbeiten zig biologische, physikalische und chemische Prozesse Hand in Hand, sodass ein Ökosystem Formen annimmt und sich unwiderstehlich ausbreitet: Wald.

Im Laufe der Jahrtausende lösen sich darin viele Generationen von Pflanzen ab und lassen eine Humusschicht anwachsen, die von den auf ihr siedelnden Pflanzen festgehalten und vermehrt wird. Die Humusschicht ist komplex aufgebaut, darunter verwittern und bilden sich verschiedene Bodenhorizonte. Mineralische Substanz und organisches Material werden immer mehr vermischt, der auf dem Boden stehende Wald durchwurzelt das alles. Aus den Schichten können die Bäume ziehen, was sie brauchen, und sie geben ab, was der Boden braucht. Der Boden speichert Wasser und Nährstoffe. Insbesondere die einzige mobile, pflanzenverfügbare Form des Stickstoffs: Nitrat. Waldboden enthält immer ausreichend Nitratsalze, ohne die die Bäume nicht leben könnten.

Dieses Ökosystem Wald ist erstaunlich stabil. Wald bildet ein Mikroklima und erhält sich selbst über die Jahrtausende, kann sich flexibel an Klimaveränderungen anpassen und übersteht Feuer, Stürme, Wetterextreme und was man sich sonst noch an Naturgewalten vorstellen kann. Wälder sind das produktivste und für das Weltklima wichtigste Ökosystem der Erde. Ihr Artenreichtum inklusive der in ihnen beheimateten Fauna ist unermesslich wertvoll. Welch ein Schatz!

Die schnellste Art, Profit aus einem Wald zu ziehen, ist der Kahlschlag. Egal wie der Wald komplett entfernt wird, sobald die Pflanzendecke weg ist, gehen sofort Nährstoffe verloren. Der nächste Regen wäscht das Nitrat ins Grundwasser aus. Sonne und Wind greifen mit voller Wucht an und trocknen die oberste Schicht des Bodens aus, was ihn sandig und damit leicht angreifbar macht: Ein kleiner Sturm – und der Boden macht sich auf den Luftweg; ein starker Regen – und der Boden begibt sich auf Wanderschaft in Richtung Meer.

Auch die Zusammensetzung des Bodens ändert sich schlagartig. Die Pilze, also die Symbionten der Bäume, und die ganze restliche Mikrofauna, all die Kleinstlebewesen, die den Boden recyceln, verenden. Der Boden zerfällt immer schneller und wird durch Regenwasser und Wind abgetragen.

Wenn die Erosion den Wettlauf gegen die Neubesiedelung gewinnt, kehrt der Boden nach kürzester Zeit wieder in den Zustand vor der Ankunft des Vogelkothäufchens zurück: Silizium und Sauerstoff, also Quarz, Feldspat und Glimmer, fein gemahlen. Oder anders gesagt: Sandwüste.

Wirtschaftswüsten

Wer kurzfristig das Maximale aus einem komplexen System herausziehen will, zerstört das System und schafft eine Wüste. Das ist auch in der Wirtschaft so. Deshalb sind hohe Renditen gefährlich.

Rendite ist definitionsgemäß Gewinn pro Zeit. Sie wird dementsprechend meistens in X Prozent pro Jahr angegeben. Die Prozentzahl bezieht sich dabei entweder auf das in dem Jahr eingesetzte Kapital oder auf den Jahresumsatz. Wenn ein Unternehmen also ein und denselben Gewinn in kürzerer Zeit erzielt als sein Konkurrent, ist es rentabler. Deshalb erzeugt die Forderung nach hohen Renditen zwangsläufig einen Fokus auf die Zeit. Das führt im Innern der Wirtschaft zu zwei Ausprägungen: erstens zur Kultur der Temposteigerung und zweitens zur Kultur des Kurzfristdenkens.

Es gibt heutzutage fast keine Aktionäre mehr, die langfristig denken und von einer Investition in ein Unternehmen fordern, dass sie hundert Jahre lang jedes Jahr eine bestimmte Rendite abwirft. Kurzfristig lassen sich fast immer deutlich höhere Renditen erzielen, aber nicht auf Dauer. Bricht das Unternehmen ein, nachdem man die Jahresrendite maximiert hat, kann man die Aktien ja einfach abstoßen und andere kaufen. Die Kunst ist dabei lediglich, rechtzeitig zu verkaufen, bevor die Geldanlage kaputtgeht. Und dann? Nach mir die Sintflut!

Um die Rendite zu erhöhen, muss man in einem Unternehmen nur das Tempo aller Prozesse steigern und das Unternehmen auf Gewinnmaximierung ausrichten. Ein Unternehmen ist aber wie ein Baum, und eine Branche ist wie ein Wald. Der Mutterboden, auf dem das Geschäft gedeiht, ist das komplexe Geflecht aus Kundenbeziehungen, Lieferantenbeziehungen, Branchenkultur, Reputation, Nachwuchs und Ausbildung, gelebten Werten, Fairness, Partnerschaft, Know-how und zig anderen kleinen Dingen, die sich über Jahrzehnte herausbilden. Die Schwierigkeit an diesen Beziehungen und Werten: Man kann man sie nicht messen und wägen wie die Warenströme oder den Geldfluss durch dieses Ökosystem.

Das Geld, das sind die Nährstoffe der Unternehmen. Ohne Geld, das in seinen Kapillaren zirkuliert, kann sich ein Unternehmen nicht refinanzieren und erneuern, es kann keinen Stoffwechsel betreiben, keinen Warentransport realisieren, es kann seine Symbionten nicht vergüten. Eine Branche ist gesund, wenn in ihr viel Geld zirkuliert und alle Teile des Systems am Leben hält. Geben und nehmen: Geld muss fließen.

Aus Sicht der Ökologie muss ein solches komplexes System immer gut durchfeuchtet und satt mit Nährstoffen versorgt bleiben, damit es fortbestehen kann.

Aus Sicht der von den Aktionären beliehenen Funktionsträger, der kostenfixierten Manager und Controller, sieht das ganz anders aus: Der Gewinn muss maximiert werden, weil auftragsgemäß die Rendite gesteigert werden soll. Also müssen die Kosten maximal gesenkt werden. Das heißt: Alles, was nicht sicht- und messbar zur Renditesteigerung beiträgt, wird abgeschafft. Die Komplexität des Beziehungsgeflechts, der Wert des Mutterbodens und all die nicht quantifizierbaren Faktoren, die eine lebendige Branche ausmachen, werden dabei ignoriert. Ja, sie werden als nicht existent betrachtet, überflüssiges Getue, nicht handhabbare »weiche Faktoren«: »If you can’t measure it, you can’t manage it«, wurde vom einflussreichen amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler und Controlling-Vordenker Robert S. Kaplan an der Harvard Business School gelehrt. Übrigens ist Kaplan unter anderem Ehrendoktor der Universität Stuttgart, was gar nicht nötig gewesen wäre, um hierzulande tiefste Spuren zu hinterlassen.

Aus der simplifizierenden, zahlengefilterten Sicht der Manager bleibt die Komplexität des Geschäfts unsichtbar: Natürlich kann man einfach einem Mitarbeiter einen Euro weniger in der Stunde zahlen und/oder mehr Arbeitsleistung für das gleiche Geld aus ihm herauspressen und/oder das Arbeitsumfeld des Mitarbeiters verbilligen. Dadurch steigt der Gewinn. So weit, so gut.

Aber das bewirkt ja auch noch etwas darüber hinaus: Die Beziehungen des Mitarbeiters zu seinem Chef, zu seinen Kollegen, zu den Kunden, sein Engagement, der Enthusiasmus, die Treue und Loyalität, der Spaß an der Arbeit, die Freude am Produkt, seine Stellung in seiner Familie bzw. in seiner Paarbeziehung, sein Selbstwertgefühl, sein Stolz und sein allgemeines Wohlbefinden – all das und noch viel mehr wird durch so einen Nährstoffentzug verändert. Und die Veränderung lässt sich auch nicht punktuell eingrenzen, sie pflanzt sich durch Kommunikation unter den Kollegen und den Kunden fort. Zuerst langsam, dann mit fortschreitendem Mangelerlebnis immer schneller. Das alles ist aus Controllingsicht nicht messbar, die Zahlenmenschen sind auf diesem Auge gerne blind – aber die Phänomene sind real.

Wird einer Branche oder einem Unternehmen das zirkulierende Geld dauerhaft entzogen und verknappt, dann verarmt der Boden, und es entsteht nach und nach eine geschäftliche Wüste. So ein kostenoptimierter Supermarkt von heute ist bereits eine sehr karge Halbwüste. Der Humus ist schon fast komplett abgetragen und ausgewaschen. Die Supermarktkultur ist im Vergleich mit einem Wochenmarkt oder einem türkischen Obstgeschäft erbärmlich arm. Das kann man beispielsweise qualitativ an der Kommunikation der Menschen ablesen. Die Kommunikation zwischen Mitarbeitern und Kunden ist in einem handelsüblichen Supermarkt auf ein Minimum reduziert: »Tag.« – »Tag.« – »37,55.« – »Hab’s nicht klein.« – »2,45 zurück. Danke.« – »Danke. Tschüss.«

Ablesbar ist die Qualität des Mutterbodens eines Geschäfts beispielsweise auch an der Kleidung der Mitarbeiter, der Freundlichkeit der Gesten, dem Lachen in den Gesichtern, der Sauberkeit der Verkaufsräume. Auch daran, wie wertig die Ladeneneinrichtung ist und wie viel Mühe man sich mit der Inszenierung der Waren gibt: gekonnte Präsentation, gutes Design, angenehme Farben, effektvolle Beleuchtung. Dann die Kundenbeziehungen, wie loyal und treu die Kunden sind, ob sich Kunden und Mitarbeiter beim Namen kennen und sich überhaupt wiedererkennen. Als Nächstes die Kompetenz der Mitarbeiter in der Kundenkommunikation, das warenkundliche Wissen, die Aktualität von Informationen und das Engagement für die Sache, die Liebe zum Produkt und zum Verkaufen, die Service-Qualität, die Sorgfalt bei der Produktauswahl und die Frische und Qualität der Produkte. Weiter: Die Mitarbeiterbeziehungen, die Anzahl und Schwere von Diebstählen innerhalb der Belegschaft, die Fluktuation der Mitarbeiter. Um nur einige Faktoren zu nennen. So ein Ökosystem ist wirklich sehr komplex.

Also: Wenn Sie sich unter all den genannten Gesichtspunkten in den Supermärkten hierzulande umschauen, in den Getränkeabholmärkten, in den Elektronikmärkten, in vielen Gaststätten, im Taxigewerbe, in der Versicherungswirtschaft, in der PC-Branche, bei den Friseuren und den Bäckern, im Mobilfunk-Business, bei den Pflegeberufen – in vielen Branchen ist der Boden nur noch hauchdünn, ausgewaschen von der Zahlen-Daten-Fakten-Denke der Manager und Controller, die über Jahrzehnte systematisch das Geld aus dem System gezogen haben, im Namen der Rendite.

Weite Teile der einstmals stolzen deutschen Wirtschaft vegetieren nur noch vor sich hin, kulturlos, ohne Seele. Diese Unternehmen und die in ihnen verbliebenen Mitarbeiter bilden den Grundstrom der deutschen Mittelmäßigkeit. Schauen Sie sich um!

Kaputtinvestiert

Warum aber handeln die Rendite-Manager überhaupt so? Warum ziehen sie systematisch das Geld aus dem System? Warum stellen sie ihren Beruf unter den Geist der Renditemaximierung? Warum wird das so gelehrt an den Universitäten, und warum ist der Druck auf die Rentabilität und damit auf die Kosten überhaupt allgemein so groß? Wir tun so, als ob das unvermeidlich und selbstverständlich sei, aber wir können es doch hinterfragen.

Auf der Unternehmensebene ist der Schlüssel zum Verständnis das Konzept des Shareholder-Value. Dabei geht es grob gesagt darum, das Unternehmen so zu führen, dass die Erträge für die Anteilseigener Priorität haben. Gerade so, als sei ein Unternehmen nur dazu da, seine Aktionäre reich zu machen. Das ist aber Unsinn. Ein Unternehmen hat nur eine einzige Existenzberechtigung, nämlich Nutzen für die Allgemeinheit zu stiften. Beispielsweise Nahrungsmittel zu liefern, Mobilität zu ermöglichen, Körperpflegeprodukte herzustellen oder Zugang zum Wissen der Welt zu schaffen – also eine Marktlücke zu schließen oder einen Mangel zu beheben, also etwas besser zu machen. Wenn das funktioniert, die Kunden also kaufen, dann ist das wie der Sämling, der Wurzeln schlägt und ein neues Ökosystem begründet. Dann kann das Unternehmen Gewinn erwirtschaften. Gewinn zu erwirtschaften ist für ein Unternehmen überlebenswichtig, und es ist sein wichtigstes Ziel – es ist aber nicht seine Existenzberechtigung, geschweige denn sein Sinn.

Erwirtschaftet das Unternehmen Gewinn, dann kann es eine Rendite an die Anteilseigner ausschütten. Eine nachhaltige Rendite ist wie eine Ernte. Das System kompensiert das entnommene Geld und schließt die Lücke, die Ernte ist jedes Jahr möglich und gefährdet den Fortbestand des Ökosystems nicht. Eine nachhaltige Rendite ist völlig legitim und gibt dem Kapitalgeber eine vernünftige und gerechte Vergütung für seine Investition.

Es ist logisch, dass es für die Höhe der Ernte eine natürliche Grenze gibt, ab der das System ausgezehrt wird und die Rendite nicht mehr nachhaltig ist, sondern an die Substanz geht. Wenn den Eigentümern der Fortbestand des Systems egal ist, werden sie diese natürliche Erntegrenze ignorieren. Die Renditeforderungen steigen über das nachhaltige Maß hinaus, und die Wüstenbildung beginnt.

Zehrt ein Organismus einen anderen aus, lebt also eine Spezies auf Kosten einer anderen, dann spricht man von Parasitismus. Wenn ein Unternehmen, das einstmals für einen bestimmten, der Allgemeinheit zugedachten Zweck gegründet wurde, umprogrammiert wird und die Maximierung des Shareholder-Value als oberstes Unternehmensziel verfolgt, dann ist es von einem Parasiten befallen worden. In vielen Fällen wurden Unternehmen infiziert, als sie an die Börse gingen, denn da hatten sie zum ersten Mal mit anonymen Eigentümern zu tun, denen eine persönliche Bindung zu den Unternehmen, ihren Gründern und Mitarbeitern und ihrem Unternehmenszweck von vornherein fehlte.

Sobald aber die emotionale Bindung des Anteilseigners an den eigentlichen Unternehmenszweck verschwunden ist, ist auch das Interesse am langfristigen Fortbestand der »Kapitalanlage« verschwunden. Extreme Renditeforderungen werden dann ganz selbstverständlich, der Shareholder-Value muss von der »Anlage« erbracht werden, denn sonst zieht der Shareholder einfach weiter und investiert sein Geld woanders.

Das Kapital, sagen die Shareholder nämlich, ist ein scheues Reh. Genau, denkt sich dann der Förster: Das Reh ist biologisch betrachtet ein »Konzentratselektierer«, ein Tier, das von allem nur das Beste frisst, nämlich die jungen Triebe und die Knospen. Wenn alle Knospen gefressen sind, dann zieht es weiter, auf der Suche nach den nächsten Knospen. Seine natürlichen Feinde, Wolf und Luchs, gibt es bei uns nicht mehr. Das ist der Grund, warum wir Zäune bauen – um Knospen vor Rehen zu schützen. Welchen Schutz aber gibt es vor den Konzentratselektierern der globalen Finanzmärkte?

Und: Wenn Rendite gut ist, Renditemaximierung aber nicht – wo ist dann überhaupt die Grenze zwischen beidem? Woran kann man erkennen, dass es sich nicht um eine fruchtbare Symbiose zwischen Kapitalgeber und Unternehmen handelt (was übrigens der Zweck von Geschäftsbanken ist), sondern um eine parasitäre Beziehung? In der Biologie erkennt man das daran, dass in einer Beziehung von Organismen die Fitness des einen ständig zunimmt und die Fitness des anderen ständig abnimmt.

So, und jetzt schauen Sie sich einmal an, wie der Kapitalmarkt heute funktioniert. Wer wird immer fitter? Die Akteure des globalen Finanzsystems, die Investmentbanker, die Geldhändler, die Derivate-Makler, die Börsianer. Insgesamt: Fitnessgewinner sind die Menschen, die in der Finanzwirtschaft arbeiten. So ein Managing Director einer Investmentbank verdient laut Recherchen der Zeitung Die Welt zum Beispiel um die 250 000 Euro Fixgehalt plus einen Bonus von bis zu 50 Millionen Euro pro Jahr, wenn es gut läuft.

Wessen Fitness nimmt stetig ab? Unsere. Die der Unternehmer und Mitarbeiter, ob in der Landwirtschaft, bei Dienstleistern, Zulieferern, im Handel oder in der Industrie. Insgesamt: Fitnessverlierer sind die Menschen, die in der Realwirtschaft arbeiten. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung betrug das monatliche mittlere Nettoeinkommen 2009 in Deutschland 1311 Euro. Gleichzeitig belief sich die Gesamtverschuldung pro Kopf, also die Summe aus privater und öffentlicher Verschuldung, durchschnittlich auf rund 48 000 Euro. Das nenne ich ausgelutscht.

Ich bin sicher: Sie können sämtliche verbreiteten Missstände in der heutigen Wirtschafts- und Arbeitswelt untersuchen – von ausbeuterischen Handelsbeziehungen bis zu schlechten, krankmachenden Arbeitsbedingungen, von ungenügenden Finanzierungsmöglichkeiten für den Mittelstand bis hin zur ständigen Verschlechterung und Verbilligung von Produkten: Alle diese Fäden, an denen Sie ziehen können, führen Sie am Ende nach New York, London oder Frankfurt – zum globalen Investment-Banking. Dort werden Renditevorgaben ausgegeben, die so exorbitant hoch sind, dass am Ende die gesamte Wirtschaft unter enormem Druck eine einzige Finanzkennzahl über alles andere stellen muss: die Verzinsung des Kapitals pro Zeit, die Rendite.

Diese Renditeforderungen brechen sich zwangsweise kaskadenartig herunter – von den internationalen Börsen über Investoren, Fonds und Großbanken zu den kleineren regionalen Banken und schließlich bis zur sprichwörtlichen Pommesbude und den Würsten, die sie im Großmarkt einkauft, der sie aus der Großschlachterei bezieht. Josef Ackermann und die Deutsche Bank (»Leistung aus Leidenschaft«) beispielsweise streben unbeirrt eine Rendite von 25 Prozent auf das Eigenkapital an (und bieten ihren eigenen Kunden gleichzeitig 1 bis 2 Prozent Zinsen auf deren Spareinlagen). 25 Prozent! Auf gut ökologisch heißt das: Kahlschlag!

Die Renditeforderungen der Kapitalgeber sind schlichtweg obszön. Die Folge: Ein Produktionsunternehmen, das in Deutschland produziert, kann diese Renditen nicht erwirtschaften. Also wird es nicht finanziert oder nur zu schlechten Konditionen. Das lenkt und drängt die Produktion nach und nach aus dem Land. Ganze Branchen sind uns auf diese Weise abhanden gekommen, nehmen Sie nur mal die Textilindustrie. Ein Handelsunternehmen kann die Renditen nur erwirtschaften, wenn es immer größer wird, auf den billigen Preis und damit auf minderwertige Produkte setzt und Mitarbeiter sowie die komplette Lieferkette ausquetscht. Die gigantischen und gleichzeitig so ärmlichen Lebensmittelhändler sind das beste Beispiel. Die parasitären Investoren des globalen Finanzsystems hinterlassen am Ende immer Wüsten. Große Wüsten.

Vor einigen Monaten hörte ich im privaten Kreis den Aufsichtsratsvorsitzenden einer regionalen Bank dem guten alten »Rheinischen Kapitalismus« hinterherträumen – ein Begriff, den Michel Albert 1991 mit seinem Buch Kapitalismus contra Kapitalismus prägte. Albert grenzte mit diesem Begriff die westeuropäische soziale Marktwirtschaft von der neoliberalen Marktwirtschaft amerikanischer Prägung ab. Rheinischer Kapitalismus heißt also grob umrissen: mehr Sozialstaat, mehr Regulierung, weniger Geschwindigkeit, weniger Zinsen, mehr Macht bei den Geschäftsbanken, weniger Macht bei den Investmentbanken und den Börsen – kurz: weniger Shareholder-Value.

Als es diesen Rheinischen Kapitalismus bei uns wirklich noch gab, so der erfahrene Banker, hätten die Investoren zwar weniger verdient, weil die Renditen niedriger waren. Allen anderen sei es aber besser gegangen. Und jetzt liefe es zügig in die entgegengesetzte Richtung: Wer profitiere, das seien die Großaktionäre und Investoren, aber alle anderen …

Eine durch monokulturelle Forstwirtschaft angefütterte, überdimensionierte Borkenkäferpopulation bricht zusammen, sobald der Wirtswald zerstört ist. Logisch. Parasiten überleben die von ihnen selbst erzeugten Krisen in Ökosystemen nicht. Sie bringen ihren Wirt um und sterben dann selbst. Das ist alles andere als ein abwegiger Verweis. Zwischen Mai und September 2008, mitten in der durch das Platzen der von der Finanzwirtschaft aufgeblähten US-Immobilienblase ausgelösten weltweiten Finanzkrise gingen die fünf größten Investmentbanken der USA pleite, hörten auf, als Investmentbank zu existieren oder wurden geschluckt und verdaut: Merrill Lynch und Bear Stearns (übernommen), Lehman Brothers (insolvent), Goldman Sachs und Morgan Stanley (Status als Investmentbank verloren).

Allerdings sterben in parasitären Krisen zwar die einzelnen Parasiten, aber das Phänomen des Parasitismus bleibt bestehen. Und so ist es in der Finanzwirtschaft auch: Die Finanzkrise von 2008 hat an der verbreiteten Kurzfristdenke nichts, aber auch gar nichts geändert.

Bauen auf Sand

Ein Bauer besaß eine Gans, die jeden Tag ein goldenes Ei legte. Da, wo das Gold herkommt, muss ja noch viel mehr sein, dachte sich der Bauer, schnitt die Gans auf und suchte das Gold. Er fand es nicht, aber die Gans war tot.

Die Fabel über die Gier von Jean de La Fontaine aus dem 17. Jahrhundert weist insbesondere auf den Aspekt der Unumkehrbarkeit hin. Und sie zeigt auch, wie schnell es vorbei sein kann mit den goldenen Zeiten. Das globalisierte Finanz-, Wirtschafts- und Logistikgeflecht ist so labil, es genügt ja schon, dass in Island ein Vulkan ausbricht, dessen Namen sich niemand merken geschweige denn aussprechen kann. Und schon gerät das ganze Gefüge ins Wanken.

Neulich war ich in der Gläsernen Manufaktur in Dresden. Dort montiert Volkswagen den Phaeton, also die vom Konzernlenker Ferdinand Piëch erdachte und durchgesetzte Luxuslimousine, die in den ersten Jahren ihrer Existenz ausschließlich hohe Verluste eingefahren hat, weil die Verkäufe weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben waren. Neuerdings brummt die Gläserne Manufaktur, die Produktion ist, so hört man, ausgelastet. Dieser Erfolg, der auf den ersten Blick erfreulich ist, macht auf den zweiten Blick und etwas Nachdenken weiche Knie. Warum?

Die Tausenden teuren Phaetons, die in Dresden zusammengesetzt werden – Steigerungsrate um die 30 Prozent –, gehen in letzter Zeit zum größten Teil per Schiffsfracht nach China, wo sie gegen Cash verkauft werden. Nicht nur bei VW ist das so, auch der 7er BMW, der Audi A8 und die Mercedes S-Klasse verkaufen sich neuerdings wie geschnitten Brot – und zwar in China. Gleichzeitig bezahlt der chinesische Elektronikriese Foxconn, getrieben von den Bestellungen von Apple aus dem kalifornischen Cupertino, seinen Angestellten vielleicht 250 Dollar im Monat. Diese Leute schätzen sich glücklich, denn sie sind extrem gut bezahlt. In derselben Stadt müssen dort nämlich die meisten Menschen mit weniger als 50 Dollar im Monat auskommen. Die Technikarbeiter mit guten Löhnen, die immer noch weit weniger als ein Zehntel dessen verdienen, was wir in Mitteleuropa gewöhnt sind, erhalten das Fünffache der »Normalbevölkerung«. Ein paar Straßen weiter wohnen die Großgewinner der Globalisierung, die neue chinesische Oberschicht, die einen 120 000-Dollar-Phaeton mal eben bar bezahlen kann.

Eine Gesellschaft, bei der die Schere zwischen Arm und Reich derartig weit auseinanderklafft, steht vor gewaltigen Umbrüchen. Das geht nur noch wenige Jahre gut, ein kleiner Zündfunke reicht. Was passiert, wenn der Reichtum in einem Land so ungleich verteilt ist, können wir in den Geschichtsbüchern nachlesen oder gerade in Nordafrika erleben. China steht zwangsläufig vor erheblichen sozialen Unruhen, das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens von 1989 wird im Rückblick wie ein Vorbote erscheinen. Leider zeichnet es sich ab, dass es noch viele Tote geben wird, bis das Land zu den sozialen und demokratischen Standards aufgeschlossen haben wird, die in der westlichen Welt (noch) gelten, denn freiwillig werden die Privilegierten das Wohlstandsgefälle nicht ausgleichen. Und daran führt kein Weg vorbei.

Schmarotzerbefall

Wer heute zum Bäcker geht, der ja meistens bloß noch eine Backwarenverkaufsstelle ist, und ein Brot kauft, bezahlt mit den 2,80 Euro auch 18 Cent Mehrwertsteuer mit. Wirtschaft, zumindest der Teil der Wirtschaft, den wir Realwirtschaft nennen, ist nichts anderes als Tauschhandel: Wir geben und nehmen. Und dabei sind wir es gewohnt, mit jeder einzelnen Tauschhandlung das Wohl der Allgemeinheit zu berücksichtigen. Wir entrichten eine dem Umfang des Tausches gemäße Transaktionsgebühr in Form der Mehrwertsteuer. Die gleiche Funktion hat die Standgebühr, die ein Messe- oder Marktteilnehmer an den Ausrichter der Veranstaltung, den Inhaber des Marktplatzes oder der Messehalle entrichtet: ein gerechter Obolus an diejenigen, die die Bedingungen und die Grundlage für den Tauschhandel bereitgestellt haben.

Wenn wir ein Brot beim Bäcker kaufen, dann können wir das auf einem gewachsenen Fundament tun: Wir haben die relative Sicherheit, dass das Brot nicht gesundheitsschädlich ist. Wir profitieren auch von der relativ hohen Rechtssicherheit, weshalb wir beim Brotkauf fast nie übers Ohr gehauen werden. Und auch die Tatsache, dass es überhaupt eine Bäckerei gibt, gründet auf einer Vielzahl von Vorbedingungen, die uns der Staat garantiert: Der Bäcker kann auf Basis geltenden Rechts Mitarbeiter beschäftigen, mit Zulieferern handeln, ein Gebäude errichten und so weiter. Und wenn doch mal etwas schiefgeht, helfen die Polizei und das Gerichtswesen.

Für alle Grundlagen des Geschäftslebens garantiert bei uns der Staat, und er tut das noch immer hervorragend, jedenfalls im internationalen Vergleich. Unser Beitrag dazu, dass der Staat und seine Institutionen diese Wirtschaftsgrundlage auch weiterhin aufrechterhalten können, sind eben die 18 Cent Mehrwertsteuer, die in den 2,80 Euro Ladenpreis enthalten sind und vom Bäcker im Auftrag des Kunden an den Staat abgeführt werden. Dass dieses ausgepegelte Geben und Nehmen ein nachhaltiges System ist, sieht man alleine schon am fruchtbaren Fortbestand unserer Zivilisation.

Das heißt: Wenn wir Regeln und Rahmenbedingungen einführen, die das Geben und Nehmen austarieren, dann kann ein komplexes, symbiotisches System wachsen und gedeihen. Parasitäre Phänomene treten dann noch immer auf, aber nur punktuell und vorübergehend.

Wenn wir aber doch wissen, dass Tauschhandel immer Regeln und regulierende Rahmenbedingungen braucht, damit nicht der Stärkere zum Parasiten des Schwächeren wird, wieso um alles in der Welt ist dann der weltweite Handel mit Geld und den daraus abgeleiteten Finanzderivaten steuer- und abgabenfrei? Warum bezahlt also jedes Kind beim Bäcker die 18 Cent Transaktionsgebühr, und der Investmentbanker behält alles und bezahlt nichts? – Weil man ihn lässt. Es gibt nach wie vor kein einziges Land auf der Welt, das eine alle Finanztransaktionen umfassende Finanztransaktionssteuer eingeführt hätte.

Die Idee ist uralt, bereits der berühmte Ökonom John Maynard Keynes hatte nach der Großen Depression von 1936 öffentlich laut über eine solche Steuer nachgedacht. Er war der Meinung, dass eine Finanztransaktionssteuer eine Lenkungsfunktion hätte, die kurzfristige Spekulationen vermindern und langfristige Investitionen in die Unternehmen befördern würde.

1972 machte der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und spätere Nobelpreisträger James Tobin den Vorschlag einer weltweit einheitlichen Lenkungsabgabe auf spekulative internationale Devisentransaktionen. Sein Vorschlag ging als Tobin-Steuer in die Geschichte ein – wurde aber bislang noch nicht umgesetzt. Was er forderte, war clever: Ein nur sehr geringer Steuersatz von zwischen 0,05 Prozent und 1 Prozent der gehandelten Summe würde die in die Realwirtschaft investierenden Kapitalgeber mit langfristiger Strategie kaum behindern, die Steuer wäre in der Gesamtrechnung der Investition für den Investor vernachlässigbar.7 Aber ein Spekulant, der Derivate kurzfristig hin- und herschiebt und durch das Zocken per Day-Trading an den Börsen versucht, die Märkte auszusaugen, der würde bei jeder seiner vielen Transaktionen belastet werden. Derivatezocker, die einen Kapitalbetrag täglich von Markt zu Markt verschieben, um von der jeweiligen kleinen Marge, also der Differenz zwischen einer überhöhten Kurzfristrendite des einen Investments und der noch überhöhteren Kurzfristrendite des anderen Investments, zu profitieren, kämen auf das Jahr gerechnet kumuliert auf hohe Steuersätze von über 40 Prozent, die diese Parasitenstrategie unrentabel machen würden. Eine grandiose Idee! Aber eine, für deren Umsetzung bisher noch kein Staat der Welt den Mut hatte.

Kein Wunder: Über 80 Prozent der weltweiten Devisentransaktionen sind kurzfristige »Roundtrips«, bei denen innerhalb von nur wenigen Tagen bis maximal einer Woche die Kapitalbeträge weltweit im Kreis herumgeschoben werden, bis sie wieder am Ausgangspunkt angekommen sind und sich dabei vermehrt haben. Über die Hälfte aller Aktienkäufe entfallen auf den sogenannten Hochfrequenzhandel, der nur von Computern gesteuert werden kann: In Nanosekunden werden dabei Kursdifferenzen zwischen verschiedenen Börsen ausgewertet und Kaufentscheidungen getroffen – und zwar Millionen von Kaufentscheidungen pro Minute. Die Frequenz ist so hoch, die Entscheidungszeiten sind so kurz, dass es nach Aussage eines Insiders schon einen Unterschied macht, ob ein Server nur ein paar Hundert Meter oder einen Kilometer von der Börse entfernt ist. Der Gewinn entsteht nicht mehr aus dem Sinn und der Richtigkeit einer Investition heraus, sondern aus ihrer Geschwindigkeit. Wenn man bedenkt, dass es sich dabei letztlich um Investitionen in Unternehmen handelt, wo Menschen aus Fleisch und Blut arbeiten …

Eine Tobin-Steuer würde diesen Tumor austrocknen und in Windeseile beseitigen – und damit die lukrativen Jobs von Zigtausenden. Die ganze unheilvolle Branche würde zusammenschrumpeln wie eine Qualle in der Sonne. Wir sollten uns keine Illusionen machen: Kampflos lässt sich diese ultravermögende und international enorm einflussreiche Zockerkaste die zentimeterdicke Butter auf gar keinen Fall vom Brot nehmen. Natürlich ist ihr Drohpotenzial martialisch: Sie würden bei der Einführung einer solchen Steuer einfach ihr Geld woanders platzieren und einen Bogen um den besteuernden Staat machen. Davor haben die Politiker Angst.

Auf der Suche nach dem Desinfektionsmittel

Die Finanzwirtschaft wuchert darum völlig außer Rand und Band und hat bereits groteske Formen angenommen. Das Handelsvolumen von Devisentransaktionen und von Zinsderivaten, also der von der Realwirtschaft abgekoppelte Geldhandel mit allen seinen Metastasen, ist laut unterschiedlichen wissenschaftlichen Quellen heute schon siebzig- bis hundertmal größer als die Wirtschaft mit realen Gütern. Wir ernähren mit unserer täglichen Arbeit ein völlig außer Kontrolle geratenes Geschwür, das mittlerweile so monströs geworden ist, dass wir dabei sind, unter seiner Last zusammenzubrechen. Die nicht mehr enden wollenden weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrisen der letzten Jahre sind sichtbare Symptome.

Wir müssen den Finanzmarkt regulieren. Das ist für mich eine Frage jenseits aller Ideologie, eher eine Frage des Überlebens. So wie in einem gesunden Wald der Borkenkäfer und andere parasitäre Lebensformen ihre Berechtigung haben, so hat auch eine regulierte Finanzwirtschaft ihre Berechtigung. Investmentbanken und -fonds können und dürfen nicht abgeschafft werden, aber anstatt sie wie Tumore wuchern zu lassen, müssen sie Teil des Organismus werden, nicht ihr Killer.

Selbst die deutsche Politik bekennt sich mittlerweile über fast alle Parteigrenzen hinweg zu einer Regulierung der globalen Finanzmärkte. Das Bewusstsein, dass zweistellige Renditeforderungen unanständig sind, kehrt nach und nach in das Bewusstein der deutschen Öffentlichkeit zurück. Wir erinnern uns, dass sich schon die Philosophen des Mittelalters einmal kategorisch gegen eine Verzinsung von Kapital ausgesprochen haben, außer es wird in ein Unternehmen oder eine Rente investiert. Für geschäftliche Investitionen in die Realwirtschaft war ein moderater Zins sogar ausdrücklich erwünscht. Rein spekulative Geldgeschäfte aber waren durch das Zinsnahmeverbot von Papst Innozenz III. Anfang des 13. Jahrhunderts streng verboten. Wir waren in diesem Punkt also schon mal weiter.

Noch heute gründet unser Bürgerliches Gesetzbuch auf den altbewährten Ansichten unserer Zivilisation über vernünftige Zinsen und faire Erträge, die sich bis ins Römische Reich und das klassische Griechenland zurückverfolgen lassen. Laut BGB liegt der »Gesetzliche Zinssatz«, also eine Art Richtwert, laut § 246 bei 4 Prozent per annum. Reste des Zinsverbots aus dem Mittelalter finden sich im BGB beispielsweise im »Wucherparagraph« § 138:

»(1)Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.«

Da steht es klipp und klar: Sittenwidrigkeit ist gegeben bei einem auffälligen Missverhältnis von Vermögensvorteil und Leistung. Also: Worin besteht die Leistung einer Bank bei einem Spekulationsgeschäft, für das sie 25 Prozent Rendite fordert? Worin besteht die Leistung eines Börsenzockers, für die er Renditen von zum Teil über 100 Prozent einsackt? Welchen Gegenwert erbringt die globale Finanzwirtschaft für die Mast, die sie sich auf die Rippen frisst?

Ich kann das nur so interpretieren: Weite Teile der weltweiten Finanzwirtschaft sind nach unserem allgemeinen Rechtsverständnis sittenwidrig. Ob ein Gericht das auch so sehen würde, steht natürlich auf einem ganz anderen Blatt. Logisch. Aber eigentlich empfinden wir doch alle die ausufernden Finanzspekulationen, die unterm Strich Wirtschaft und Gesellschaft aussaugen und die Nachhaltigkeit von Unternehmen, Branchen und ganzen Wirtschaftsmärkten untergraben, als ganz offensichtlich unanständig. Diese Empfindung ist geprägt durch unsere christlich-abendländische Kultur und unsere Traditionen.

Nur: Wie man heute eine wirksame Regulierung der Finanzmärkte umsetzen könnte, ist völlig unklar. Wir wissen nicht, wie wir den Schmarotzerbefall wieder loswerden können. Fest steht bloß: Wenn die Finanztransaktionssteuer tatsächlich weltweit käme, was nicht zu erwarten ist, dann gingen an den großen Finanzplätzen einige Lichter aus.

Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip
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