16

 

»Es ist schon eine komische Sache mit dem Unterbewußtsein«, sagte Kate ein paar Stunden später zu Reed. »Barrister hatte keinen wirklichen Grund, diese Phrase vom jungen Mann aus der Provinz zu benutzen, als er mit mir sprach – ich bin sicher, er hatte keine Ahnung, wie ihm die in den Kopf gekommen war. Aber wir begegneten uns, ihm wurde klar, wer ich war, er wußte von mir, weil Janet Harrison über mich gesprochen hatte, er wußte, er durfte auf keinen Fall zeigen, daß er mich kannte, und aus seinem Unterbewußtsein tauchte die Phrase von dem jungen Mann aus der Provinz auf.«

»Aufmerksamer Beobachter, dieser Freud. Er hat ein paar Vorschläge gemacht, wie man durch Fragestellungen den Wahrheitsgehalt von Aussagen Verdächtiger prüfen könnte. Hast du das gewußt? Es ist mehr oder weniger das gleiche Prinzip, nach dem der Lügendetektor arbeitet beziehungsweise arbeiten soll: Der Blutdruck des Verdächtigen steigt, wenn man ihn mit einer verwirrenden Idee konfrontiert. Bei Freud blockiert er auf die irritierende Frage hin oder er assoziiert in einer für den Fachmann enthüllenden Weise. Jedenfalls hat sich Barrister nun heute nachmittag entschieden, wie ein braver Patient auf der Couch, die Wahrheit zu sagen. Es ist erstaunlich, wie verschreckt unschuldige Leute reagieren können, wenn sie verhört werden.«

»Sind Lügner unschuldig – ich meine Leute, die in wichtigen Fragen lügen und so andere Menschen in ein Gewebe der Unwahrheit verstricken?«

»Die Wahrheit ist eine schlüpfrige Angelegenheit. Vielleicht begreifen sie deshalb nur Menschen mit literarischem Verstand.«

»Das würde Emanuel als eine provokative Bemerkung bezeichnen.«

»Und damit hätte er recht. Ich bitte um Entschuldigung. Außer, daß die Bemerkung natürlich stimmt. Du hast vor uns herausbekommen, daß Barrister sie gekannt hat. Und die Tatsache, daß du Miss Sabbel aufgetrieben hast, zwang mich, mehr Druck auf die Kollegen von der Polizei auszuüben. Es war Miss Sabbel (ich wußte ja noch nichts über den jungen Mann aus der Provinz), die mich dazu ermutigte, ihn selber auszufragen, obwohl ich offiziell gar nicht das Recht dazu hatte.«

»Was hat er gesagt? Vater, ich kann nicht lügen, vor allem dann nicht, wenn es so aussieht, als könnte es herauskommen?«

»Er hat ganz offen über alles geredet. Er glaubte nicht, daß irgendwer von ihrer Bekanntschaft wußte; und wegen des kleinen Ärgers, den er mal wegen dieses Kunstfehlers gehabt hatte, mochte er nicht mit der Polizei zu tun bekommen. Du mußt zugeben, er war nicht gerade in einer beneidenswerten Lage – das Mädchen wird nebenan ermordet, und er hat es gekannt. Er hat einfach gehofft, wir würden nicht darauf stoßen, daß es eine Verbindung zwischen ihnen beiden gegeben hat. Und ohne das Testament und das Foto wären wir wahrscheinlich auch nicht darauf gekommen. Und ohne Miss Sabbel natürlich.«

»Natürlich. Irgendwer mußte sie gesehen haben, früher oder später. Wenn die Polizei sich etwas mehr ihm gewidmet hätte – und weniger Emanuel – , dann hätte sie inzwischen wohl noch jemand anderen gefunden, der sie gesehen hat. Hat die Tatsache, daß Miss Sabbel von mir, also einer weiteren Verdächtigen, ausgegraben wurde, sie nicht mißtrauisch gemacht gegen diesen Beweis?«

»Du bist mehr oder weniger von der Liste der Verdächtigen gestrichen – der derzeit gültigen Liste jedenfalls. Sie haben dir ganz schön hinterhergeforscht, was dir deine Freunde und Bekannten zweifellos bestätigen werden. Deine Kollegen fanden die Vorstellung, du könntest für deine Arbeit etwas von einer Studentin gestohlen haben, lächerlich, und sie haben sich mit einigem Eifer darüber ausgelassen, soweit ich das mitbekommen habe, wie kompliziert wissenschaftliche Forschung vor sich geht. Auch die Idee – bitte, nicht aufregen! –, daß du noch immer in Emanuel verliebt seist, falls du das jemals gewesen sein solltest, wurde aufgrund der Tatsache unhaltbar, daß du inzwischen ja ein anderes Liebesverhältnis gehabt hast.«

»Ich verstehe. Haben Sie herausbekommen, mit wem?«

»Ja, natürlich, man hat ihn gesehen. Kate, dies ist ein Mordfall. Es tut mir leid, daß ich das erwähnen muß – aber mir ist es lieber, du hörst es zuerst von mir und bist vorbereitet. Du hast derzeit nicht vor zu heiraten, oder? Entschuldige – ich sollte dich das nicht fragen. Jedenfalls gibt es keinen Grund, warum du es getan haben solltest, und natürlich gab es, abgesehen vom fehlenden Motiv, nur Hinweise, die dich als Täterin unwahrscheinlich erscheinen ließen. Du bist doch nicht ärgerlich, oder?«

»Nein, nicht ärgerlich, und die Hochzeitsglocken läuten auch nicht. Also brauchst du auch nicht nervös zu werden und in deiner Aktenmappe herumzukramen. Ich bin froh über deine Offenheit, und ich möchte mehr über Barrister wissen. Was genau hat er gesagt? War es die große Leidenschaft zwischen den beiden?«

»Er hat sie zu der Zeit kennengelernt, als das Foto gemacht wurde – er brauchte es zu irgendeinem offiziellen Anlaß. Ich glaube, er hätte die Frage des Zeitpunktes gern in der Schwebe gelassen, aber einer unserer Leute hat Janet Harrisons Leben ausgeforscht – du unterschätzt wirklich die Hüter unserer Rechtsordnung, meine Liebe – , und der hat herausgefunden, daß Janet Harrison einmal eine ausgedehnte Reise in die kanadische Wildnis unternommen hat. Ich nehme an, Barrister wußte, daß wir bald darauf stoßen würden, wenn wir es nicht ohnehin schon wußten – und wir wußten es tatsächlich noch nicht: Er war zur selben Zeit in derselben Wildnis. Also hat er uns erzählt, daß sie zusammen dort waren. Ich vermute, es war eine dieser Romanzen, wie man sie auf einer Kreuzfahrt oder in Italien erlebt, abgehoben vom Alltagstrott, und die kaum über den Tag der Rückkehr hinaus hält. Barrister ging danach nach New York, und für ihn war die Affäre damit beendet, zumindest als ernstere Bindung. Aber Janet Harrison beschloß, sich als Krankenschwester ausbilden zu lassen, offensichtlich als Vorbereitung auf die Rolle der Arztfrau, und dann mußte sie nach Hause zurückkehren, als ihre Mutter starb. Es passierte dies und das, die Jahre vergingen, und obwohl sie nie direkt von ihm gehört hatte, ging sie nach New York. Sie brauchte irgendeinen Vorwand, also entschied sie sich, Englische Literatur an deiner Universität zu studieren. Wir wissen nicht, warum sie das dem Geschichtsstudium vorgezogen hat, denn im College war das ihr Hauptfach.«

»Ein möglicher Grund fällt mir dazu schon ein: Sie mag geglaubt haben, Romane zu lesen wäre leichter als Geschichtsdaten zu lernen. Die Historiker verlangen von ihren Studenten nämlich ein spezielles ›Graduate Record Exam‹, und das tun die Literaturwissenschaftler nicht. Also sah sie geringere Schwierigkeiten, am Institut für Englische Literatur anzukommen – dafür reichte ihr College-Zeugnis.«

»Wahrscheinlich hast du recht. Jedenfalls war sie dann hier. Sie war von Natur aus ein Mensch, der sich praktisch niemandem anvertraute, sagt er – das haben wir ja, weiß Gott, auch herausbekommen –, und ihm ist es gelungen, ihre Beziehung geheim zu halten. Die beiden haben sich nur hin und wieder getroffen, obwohl sie wirklich eine Plage gewesen ist. Das gibt er zu. Offenbar entschloß sie sich dann, einen Analytiker aufzusuchen und mit seiner Hilfe von ihrer Vernarrtheit loszukommen – Barrister hat da ein anderes Wort benutzt. Daß sie so zu Emanuel kam, war reiner Zufall – obwohl Barrister wußte, daß sie dich sehr bewunderte und dich deswegen bat, ihr einen Analytiker zu empfehlen. Er hoffte, daß sie geheilt würde, und hat sogar angeboten, wie er uns erzählte, ihr bei den Honorarzahlungen zu helfen. Er war ganz offen, Kate, und ich fürchte, sehr glaubwürdig. Er unterschätzt wie du die Polizei, und er hat geglaubt, wenn sie so ein nettes Motiv hätte, wäre er dran. Der Schock, als Nicola ihn rief und bat, einen Blick auf die Leiche zu werfen, war entsprechend – ich kann ihn mir gut vorstellen. Es spricht für ihn, daß er gleich die Polizei gerufen hat. Er hätte behaupten können, daß er sie untersuchen müsse, hätte die Tür schließen und ihre Handtasche durchsuchen, und in dem Fall das Foto finden können. Aber er hat nichts dergleichen getan.«

»Das Foto muß ihn arg in Bedrängnis gebracht haben.«

»Keine Frage, und da hat die Polizei einen Fehler gemacht. Aber sie hat natürlich geglaubt, daß es sich um ein neues Foto handelte, und so sei es ihr verziehen. Wie gesagt, er hat all das ganz offen erzählt und sich damit der Polizei völlig ausgeliefert. Er hat zugegeben, daß er es jetzt erzähle, weil die Polizei ohnehin kurz davor sei, es herauszubekommen. Er hat auch noch gesagt, daß Männer keine Frauen umbringen, nur weil ihnen deren Liebe lästig ist, und er hoffe, daß uns das auch klar sei.«

»Waren sie denn ein Liebespaar?«

»Das ist er auch gefragt worden, obwohl die Polizei das eine Intimbeziehung nennt. Bei der Antwort hat er gezögert – das heißt, er sagte erst ›nein‹, und dann sagte er, sie seien einmal eines gewesen, damals in der kanadischen Wildnis. Er hat dazu gelächelt und gesagt, wahrscheinlich habe sie gegenüber Emanuel davon gesprochen, also gebe er es besser zu. Er sei damals jünger gewesen und so weiter und so weiter, aber er hat mit Nachdruck betont, daß sie in New York nicht mehr ›intim‹ miteinander waren. Er sagte ganz offen, er habe nicht im entferntesten vorgehabt, sie zu heiraten, und mit ihr zu schlafen hätte ihn zu einem Rüpel und einem Dummkopf gemacht. Einem Dummkopf deswegen, weil er sie gleichzeitig ohne Aufhebens loswerden wollte.«

»Was ist mit Messenger?«

»Er gab zu, daß ihn das verwirrt habe. Er hatte mit ihr tatsächlich über Messenger gesprochen, damals in Kanada, und offenbar mit großer Bewunderung, aber warum sie Messenger Jahre später per Testament ihr Geld hinterlassen sollte, war Barrister nicht klar. Messenger wird sich noch einiges an Fragen gefallen lassen müssen, da gibt es kein Pardon.«

»Und Barrister hat nicht die Hausmeister-Uniform gestohlen und ihr Zimmer durchsucht?«

»Die Polizei hat ihn das auch gefragt, hintenherum. Da hat er nur die Hände gehoben und gesagt, so etwas hätte er nie und nimmer wagen können, – wenn man nur bedenke, was das für ein Skandal gewesen wäre, wenn man einen Frauenarzt erwischt hätte, wie er in einem Wohnheim für Frauen herumwanderte. Er gab zu, sehr erleichtert gewesen zu sein, daß sie dort wohnte. So brauchte er nicht nach Ausflüchten zu suchen, warum er sie nie auf ihrem Zimmer besuchte, und fraglos hat er den Ort gemieden wie der Teufel das Weihwasser.«

»Es kommt mir immer noch merkwürdig vor, daß sie ihre Beziehung so geheimgehalten haben.«

»Ich weiß, und ihm ist das auch klar. Das ist einer der Punkte, wo man ihn aufs Korn nehmen kann. Aber du würdest staunen, Kate, was für sonderbare Dinge die Leute in ihrem Leben tun, wenn du einmal hinter die Fassaden schaust. Ich könnte dir Romane erzählen. Und wenn die Polizei anfängt, Fragen zu stellen, weil jemand in Verbindung zu einem Mordfall gebracht wird, dann gibt es immer Dinge, auf die jemand nicht gerade stolz ist oder die er lieber nicht öffentlich bekannt werden lassen will, und dann lügt er und vermasselt einem die ganze Untersuchung. Zum Beispiel Nicola: Die hatte mal die Nase so voll von ihrem Ehemann, daß sie sich auf eine Affäre mit einem anderen Mann eingelassen hat – hast du davon gewußt?«

»Nein.«

»In Ordnung, und denk daran, du weißt es auch jetzt nicht. Nicola hat uns nichts davon erzählt, und Emanuel auch nicht. Wir haben es herausgefunden. Gut, auch bei Barrister haben wir es herausgefunden. Aber wenn es auch unlogisch klingen mag, weil er ja wirklich versucht hat, diese Beziehung auch nach dem Mord noch geheimzuhalten: Er mußte nicht notwendigerweise damit rechnen, es war noch nicht einmal wahrscheinlich, daß er das Geheimnis nicht würde wahren können, falls er sich entschließen sollte, sie zu ermorden. Jedenfalls aus meiner Sicht. Und das Motiv allein reicht nicht aus. Wenn du einmal in aller Ruhe darüber nachdenkst, wirst du mir zustimmen.«

»Ich habe es schon zugegeben, verdammt noch mal!«

»Wenn es um Mord geht, hebt die Polizei auch Steine auf, die lange an ihrem Platz gelegen haben. Und wenn du jemals so einen Stein aufgehoben hast, dann weißt du, was für ein Gekrieche und Gekrabbel darunter herrscht. Der Mensch ist, alles in allem, mit Vorsicht zu genießen.«

»Damit wären wir wieder bei Emanuel?«

»Sie konnten nicht beweisen, daß Emanuel Janet Harrison jemals außerhalb seiner Praxis getroffen hat, aber du siehst ja, wie lange sie gebraucht haben, um die Verbindung zwischen ihr und Barrister aufzudecken.«

»Mit wie vielen Männern soll sie sich denn getroffen haben, bei ihrer stillen Art?«

»Bei solch einem Menschen weiß man das nie. Wenn die Polizei nur einen Zeugen von außen auftriebe, einen einzigen Beweis, der ihren Verdacht erhärtete, dann würden sie es, glaube ich, wagen, ihn zu verhaften. Natürlich ist die Staatsanwaltschaft alles andere als glücklich, wenn sie mit Verhaftungen zu tun bekommt, von denen sie glaubt, daß sie vor Gericht nicht aufrechtzuerhalten sind.«

»Aber nach dem, was ich gehört habe, bringen sie einen Fall zur Anklage, wenn sie genug Beweismaterial haben, auch wenn sie im Grunde ihres Herzens wissen, daß der Angeklagte unschuldig ist.«

»Manchmal schon. Aber die Polizei hat kein Herz und also auch keinen Herzensgrund. Sie arbeitet nicht nach ihrem Instinkt. Sie arbeitet mit Beweisen; je mehr Indizien, desto besser. Unter uns gesagt, ich glaube, sie könnten es bei Emanuel riskieren. Es war seine Couch, sein Messer, seine Patientin, und er war der einzige, der hinter ihr auf seinem Stuhl gesessen haben dürfte, während sie auf der Couch lag. Es hat Fälle gegeben, in denen es nicht mehr Beweise gab. Aber seine Praxis stand sozusagen weit offen, und daraus könnte ein guter Verteidiger eine Menge machen. Dennoch, wenn sie ein Motiv finden können, dann haben sie ihn.«

»Glaubst du, daß das passieren wird, Reed?«

»Nein, ich glaube dir und ich glaube deiner Meinung von ihm. Aber wo sonst sollen wir uns denn umsehen, Kate? Die Polizei hält es für unwahrscheinlich, daß ein Amokläufer am Werk gewesen ist, und da bin ich ihrer Meinung. Natürlich, Messenger kommt noch in Frage, aber das wäre arg weit hergeholt.«

»Wieso können sie nicht Barrister genauso gut verhaften wie Emanuel? Barrister hatte ein Motiv. Ich weiß, es ist nicht das tollste Motiv, aber wo du gerade von schlauen Anwälten redest…«

»Ein Motiv ohne Beweis reicht nicht. Jedenfalls nicht ein Motiv wie dieses. Und wenigstens bewegt sich etwas. Schließlich haben wir die Aufmerksamkeit der Polizei auf Sparks und Horan gerichtet. Vielleicht kommt etwas aus der Ecke. Was ist übrigens mit deinem Jerry passiert?«

»Ich habe ihn zu Messenger geschickt.«

»Kate, ich glaube wirklich, nachdem ich gesagt habe…«

»Ich weiß – hau auf den Tisch. Wenn Jerry mit irgendwelchen überraschenden Tatsachen anmarschiert, verspreche ich, es dir zu erzählen. Aber nach dem, was er mir am Telefon gesagt hat, ist Messenger so unschuldig wie ein Lamm. Du weißt, Reed, es wäre ein schrecklicher Schlag für die ganze Psychiatrie, wenn sie Emanuel verhafteten. Ich meine, er ist weder ein Scharlatan, noch hat er sich gerade erst der Psychiatrie verschrieben. Er ist Mitglied der strengsten psychiatrischen Institution im Lande, und die steht entsprechend hinter ihm. Sogar ich, die ich mit Emanuel permanent über sein Fach streite, kann mir nicht vorstellen, daß sie jemals einen als Mitglied aufnehmen würde – nach der ausgedehnten Analyse, die sie verlangen –, der einen Patienten auf seiner Couch umbringen könnte. Und ich bin sicher, das haben sie auch nicht getan. Selbst wenn er am Ende nicht verurteilt würde, seine Verhaftung wäre schon ein furchtbarer Schlag. Vielleicht läuft jemand herum, der die Psychiatrie haßt, und der ermordet Patienten in regelmäßigen, großen Abständen, nur, um den Berufsstand zu diskreditieren. Vielleicht solltest du besser alle Verdächtigen fragen, was sie von der Psychiatrie halten.«

»Ich notiere mir es mal. Aber jetzt muß ich gehen und ein wenig schlafen. Auf mich wartet nämlich morgen eine Verhandlung – großes Schwurgericht; es geht um Pornographie. Vielleicht sollten wir uns einfach alle mit einem großen Knall in die Luft jagen und in ein paar hundert Jahren, sobald die Erde wieder abgekühlt ist, wieder ganz von vorne anfangen und versuchen, etwas Besseres aus ihr zu machen.«

Mit diesem angenehmen Gedanken ging Kate zu Bett.

Am anderen Morgen erschien Jerry und lieferte seinen Bericht ab. Er sah niedergeschlagen aus. Ärgerlich blätterte er in einem Magazin, während Kate seine Notizen las. Jerry hatte sein Gespräch mit Messenger in Dialogform aufgeschrieben, gefolgt von einer präzisen, ungeschminkten Beschreibung des Arztes und ergänzt durch eine Liste der Eindrücke, die Jerry gewonnen hatte. Er mochte zwar das Gefühl gehabt haben, daß sein Bericht inhaltlich etwas dünn war, aber mit der Form hatte er sich viel Mühe gegeben. Kate lobte ihn für die Sauberkeit, aber er winkte ab.

»Du kannst ja richtig schreiben«, sagte sie.

»Sieh mal einer an. Kennst du das Ding von Lawrence, über das er gequasselt hat?«

»Oh, ja, natürlich. Es muß einen enormen Eindruck auf Barrister gemacht haben. Es stammt aus dem ersten Kapitel von ›Der Regenbogen‹ – keiner hat besser Kinder geschildert als Lawrence, wahrscheinlich, weil er selber keine gehabt hat. Ich sehe, daß du Messenger für einen Mann hältst, dem man vertrauen kann.«

»Ja, das kann man, falls dir das etwas bringt. Ich bin sicher, es bringt dir nichts. Wenn du es genau wissen willst, er hat mich an dich erinnert.«

»An mich? Habe ich denn abstehende Ohren?«

Jerry wurde rot. »Ich meine nicht äußerlich. Der Eindruck, den ich von ihm habe, ähnelt meinem Eindruck von dir. Frag mich nicht, wie ich das meine. Ihr könntet beide die Unwahrheit sagen, aber ihr wüßtet, daß ihr es tut.«

»Das ist aber ein schönes Kompliment, Jerry.«

»Ist es das? Wahrscheinlich ist es der reine, unreife Quatsch. Was habe ich jetzt zu tun?«

»Er hat auf dich nicht gewirkt, als sage er die Unwahrheit und wisse es?«

»Nein, überhaupt nicht. Ich würde schwören, daß er die Wahrheit gesagt hat. Aber es gibt ja auch Leute, die schwören, daß Schwindler ehrlich sind.«

»Ich glaube«, sagte Kate, »wir sollten einmal annehmen, daß er ehrlich ist. Wenigstens so lange, bis wir einen Grund haben, daran zu zweifeln. In jeder Gleichung muß es eine Konstante geben – und bis jetzt hatten wir nur Variablen. Ich glaube, wir setzen Messenger als Konstante ein, und dann sehen wir, was für X herauskommt. Jerry, würdest du es schlimm finden, wenn du jetzt einfach ein wenig herumlungertest? Vielleicht schicke ich dich noch nach Michigan. Das Dumme ist, falls du es wissen willst, daß wir an das ganze Problem mit allzu gezügelter Einbildungskraft herangegangen sind.«

Sie fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen. Jerry stöhnte.