10

 

Wie ein Murmeltier aus dem Winterschlaf kam Jerry aus der Dunkelheit des Kinos wieder ins helle Sonnenlicht zurück. Er hatte zwei Hälften von zwei verschiedenen Filmen gesehen und nur verschwommene Vorstellungen von beiden Handlungen, hegte aber den Verdacht, daß die Kombination der beiden Hälften einen interessanteren Film ergaben, als jeder für sich genommen. Mit seinen Gedanken war er ohnehin woanders gewesen. Warum hatte er zum Beispiel nicht Horan gefragt, ob und wann er in Emanuels Praxis angerufen hatte? Falls Horan die Anrufe arrangiert hatte, bei denen die Termine abgesagt wurden, dann hätte er sich vielleicht, von Jerrys Frage verwirrt, verraten. Andererseits, wenn Horan jemanden für die Anrufe bezahlt hatte, dann hätte die Tatsache, daß Jerry die Telefonate erwähnte, Horan, der offenbar keinerlei Argwohn gegen Jerry hegte – außer Zweifeln an seiner geistigen Gesundheit –, dazu gebracht, auf der Hut zu sein. Es kam Jerry so vor, als bringe es der Beruf des Detektivs mehr als jeder andere mit sich, daß man dauernd in irgendwelchen Sackgassen landete. Und natürlich kam keiner auf die Idee, die entsprechenden Schilder am Eingang der Straße aufzustellen.

Jerry wollte Dr. Barristers Sprechstundenhilfe nicht verpassen, und so stieg er vor dem Kino in ein Taxi zur Praxis, wo sie, ohne es zu wissen (wie er hoffte), auf seine Ankunft wartete. Von Kates Geld hatte er noch nichts verbraucht, dafür einen schmerzlich großen Teil von seinem eigenen. Er konnte ja nicht Kate das Fensterleder berechnen oder das Kino oder gar das Taxi, das der Kinobesuch erforderlich gemacht hatte. Na gut, das Fensterleder konnte er ihr vielleicht in Rechnung stellen – schließlich hätte er Horan ohne den Blick, den er vorhin auf ihn geworfen hatte, in der Werbeagentur gar nicht erkannt –, aber das hätte auch nichts geändert. Immerhin hatte er im Kino – und damit tröstete sich Jerry nun selbst – einen Plan ausgearbeitet, wie er sich an die Sprechstundenhilfe heranmachen wollte. Hätte Kate von dem Plan erfahren, wäre sie wahrscheinlich in ein großes Zetermordio ausgebrochen, aber das konnte ihn jetzt in seiner Hoffnungslosigkeit auch nicht mehr abschrecken.

Auf dem Schild vor Dr. Barristers Praxis stand: Bitte läuten und eintreten. Das tat Jerry. Die Sprechstundenhilfe war da, allein. Sie saß an einer Schreibmaschine. »Ja?« sagte sie zu Jerry, offensichtlich verblüfft von seiner Gegenwart, seinem Geschlecht und seinem Auftreten. Aus der Nähe betrachtet, war sie weder so jung noch so hübsch, wie Jerry angenommen hatte.

»Es ist wegen meiner Frau«, sagte Jerry. Überzeugend schien ihm die Art, wie er das herausbrachte, keineswegs, aber er hoffte, die Sprechstundenhilfe würde das unter Nervosität eines Ehemannes abhaken. Die Sprechstundenhilfe schien unentschlossen, ob sie lachen oder die Polizei rufen sollte. »Sie, das heißt, wir, also – wir wollen so gern ein Baby haben. Darf ich mich setzen?« fügte er hinzu und setzte sich.

»Der Doktor ist nicht da«, sagte die Sprechstundenhilfe und bedauerte sofort, daß sie diese Tatsache jemandem gegenüber zugegeben hatte, den sie – ihr Ausdruck ließ keinen Zweifel zu – für verrückt hielt. Sie verschanzte sich hinter einer amtlichen Attitüde. »Wenn Ihre Frau vielleicht anriefe und einen Termin ausmachte, oder wenn Sie jetzt mit mir einen verabreden wollen…« Sie griff nach dem Terminkalender auf ihrem Schreibtisch und hielt inne, den Stift in der Hand. »Wer hat Ihnen Dr. Barrister empfohlen?« war ihre nächste schreckliche Frage.

Nun mobilisierte Jerry seine nicht unerhebliche Reserve an Charme. Daß er nach seinen nachmittäglichen Unternehmungen etwas derangiert aussah, war ihm klar. Ohne sie mit der üblichen Handbewegung zurückzustreichen, gestattete er seiner Haarlocke, ihm in die Stirn zu fallen. Er lächelte sie mit jenem Lächeln an, dem seit seinem vierten Lebensjahr noch keine Frau hatte widerstehen können. Seine zusammengekauerte Haltung, die Trauer in seinen Augen und das Lächeln auf seinen Lippen, das alles zeigte: Mit ihr saß, ganz unverhofft, eine Frau vor ihm, die ihn verstand. Er rief nach ihr aus den Tiefen männlicher Hilflosigkeit, hinauf zu den Höhen weiblicher Fähigkeiten und weiblichen Trostes. Ohne es zu merken, streckte die Sprechstundenhilfe die Waffen und gab, fröhlich geschlagen, den Kampf auf. Sie war alles andere als unempfindlich für männliche Aufmerksamkeiten und kompetent nur im Umgang mit problembeladenen Frauen; die schüchterte sie dafür ein. Zum erstenmal an diesem Tag war Jerry Herr der Lage.

»Alice, meine Frau, ist ganz nervös geworden bei dem Gedanken, hierher zu kommen. Aber sie muß natürlich zu einem Arzt. Also mußte ich ihr versprechen« – sein Blick schloß die Sprechstundenhilfe in ein allumfassendes Verständnis für die Frauen ein – , »daß ich erst allein hierher komme und mich überzeuge, ob der Doktor auch ein mitfühlender Mensch ist. Alice ist schüchtern. Aber ich bin sicher, wenn ich ihr erzähle, wie nett Sie sind und daß Sie sie natürlich ganz sanft behandeln werden, dann kann ich sie überreden, herzukommen. Sicher haben Sie hier eine Menge Frauen mit dem gleichen Problem. Das ist es doch, worum Sie sich in der Hauptsache kümmern müssen, nicht wahr?«

»Das tun wir, ganz gewiß. Und dann gibt es ältere Frauen mit verschiedenen – hm – Problemen…« Die Sprechstundenhilfe schien nach einem zu suchen, das sie ihm am ehesten nennen könnte. »Probleme in – sagen wir – den Wechseljahren und ähnliches.«

»Natürlich«, sagte Jerry mit dem Anschein größten Verständnisses, obwohl sein Unwissen über dieses Thema kaum umfassender hätte sein können. »Gibt es etwas, was man dagegen tun kann?« Solch eine Frage zu stellen, war sicher für einen jungen Ehemann, einen Nicht-Vater wider Willen, höchst unnatürlich, aber Jerry hoffte, es würde ihr nicht auffallen. Die Sprechstundenhilfe war aber schon nicht mehr beim Inhalt des Gesprächs, sondern nur noch bei dessen Qualität, und so schluckte sie seine Frage ohne Einwand. »Ach, da gibt es so einiges, was man machen kann«, sagte sie und drehte dabei den Stift zwischen den Fingern, »es gibt Hormonspritzen und -pillen und natürlich die Behandlung durch einen fähigen Arzt.« Sie lächelte. »Es gibt ja bei Frauen auch andere dumme Komplikationen.«

Jerry hob diese Information für den späteren Gebrauch gut auf. »Aber Sie behandeln doch auch Frauen«, fragte er mit ernstem Gesicht, »die ein Baby haben wollen?«

»Oh, ja, natürlich. Es gibt viele verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die alle sehr hilfreich sind. Und Dr. Barrister hat viel Verständnis.«

»Ich bin froh, das zu hören«, sagte Jerry. »Weil Alice einen verständnisvollen Menschen braucht. Würden Sie Dr. Barrister als ›väterlich‹ bezeichnen?«

Der Begriff schien die Sprechstundenhilfe aus der Fassung zu bringen. »Also, nein, nicht direkt väterlich. Aber er kennt sich sehr gut aus, und er ist ruhig und hilfsbereit. Ich bin sicher, Ihre Frau wird ihn mögen. Aber Sie wissen ja«, fügte sie schelmisch hinzu, »daß Sie sich auch irgendwo einem Test unterziehen sollten. Ich meine, es liegt ja nicht immer an der Frau, nicht wahr?«

Jerry gestattete sich, darüber in Verlegenheit zu geraten. Er sah zu Boden, ließ die Locke baumeln und hüstelte. »Könnte Alice vielleicht am Freitag zu Ihnen kommen?« fragte er nervös.

»Freitags hat der Doktor keine Sprechstunde«, sagte die Sprechstundenhilfe. »Wie wäre es mit einem anderen Tag?« Für Jerry, der an die gestohlene Uniform des Hausmeisters dachte, war diese Bestätigung durchaus zufriedenstellend, aber sie wäre es noch mehr gewesen, wenn sie ihn nicht daran erinnert hätte, daß er vergessen hatte, Horan zu fragen, wo er denn am letzten Freitag gewesen war. »Vielleicht lasse ich besser Alice anrufen«, sagte er und stand auf. »Sie waren sehr nett zu mir. Ist – ehm – ich frage mich – ist Dr. Barrister sehr teuer?«

»Ich fürchte, ja«, sagte die Sprechstundenhilfe. »Sie können noch nicht sehr lange verheiratet sein«, fügte sie freundlich hinzu. »Vielleicht brauchen Sie sich noch gar keine Sorgen zu machen.«

»Sie wissen, wie Frauen sind«, sagte Jerry. »Nochmals besten Dank.«

»Keine Ursache«, sagte die Sprechstundenhilfe, während er die Tür hinter sich schloß. Jerry rannte zur Fifth Avenue vor und nahm sich ein Taxi, das diesmal aber endgültig auf Kates Kosten ging. Sally erwartete ihn. Er hatte das Gefühl, daß das Gespräch mit der Sprechstundenhilfe hervorragend gelaufen war; aber was, im Namen aller gynäkologischen Mysterien, hatte er dabei herausbekommen?

Während Jerry in seinem Taxi Sally-wärts eilte, saß auch Kate, nachdem sie ›Daniel Deronda‹ auf seinen zionistischen Traumwegen begleitet hatte, ebenfalls in einem Taxi auf dem Weg zu dem Haus, das Jerry gerade verlassen hatte. Sie hatte bei Emanuel und Nicola angerufen, und dabei hatte sich herausgestellt, daß der Sechs-Uhr-Patient abgesagt hatte; ob er ganz das Feld zu räumen gedachte oder ob es die üblichen psychoanalytischen Zweifel waren, die ihn abhielten, war noch nicht ganz klar. »Am besten kommst du zu uns«, hatte Nicola am Telefon gesagt, »und wir setzen uns auf Emanuels Couch und sorgen dafür, daß nicht wieder jemand eine Leiche auf ihr ablegt.« Und nachdem Kate nicht mit entsprechenden Anspielungen gespart hatte, hatte Nicola ihre Einladung auch noch auf das abendliche Dinner ausgedehnt.

Kate fand sie im Wohnzimmer, von wo aus, so hatten sie beschlossen, man den Eingang zur Praxis und das eventuelle Einschmuggeln von Leichen beobachten konnte. Kate stellte ihr Mitbringsel, offensichtlich eine Flasche, auf den Tisch. »Nicht für euch«, sagte sie zu Nicola. »Die ist für eine Party, zu der ich später gehe, um Frederick Sparks zu treffen.« Sie fing den Blick von Emanuel auf. »Hat Janet Harrison in ihren Stunden bei dir jemals einen Daniel Messenger erwähnt?« fragte Kate.

»Das hat mich die Polizei auch schon gefragt«, sagte Emanuel.

»Ach, mein Lieber, ich vergesse doch immer wieder die Polizei. Wird sie lästig?«

»Also«, sagte Nicola, »dieser Daniel Messenger ist eine Hilfe, wer immer er sein mag. Ich habe aus einem dieser Kriminalbeamten herausbekommen, daß er Genetiker ist, jedenfalls schließt Emanuel das aus meiner bruchstückhaften Beschreibung. Aber offensichtlich ist er mit der Erforschung einer rätselhaften Krankheit beschäftigt, die nur Juden bekommen oder die nur Juden nicht bekommen, irgendwo in einer Gegend in Italien (glaube ich), und offenbar werden sie, wenn sie den Schlüssel zu dieser schwer beweisbaren Toleranz beziehungsweise Widerstandsfähigkeit gefunden haben, einiges mehr über Vererbung wissen. Ob die Polizei uns aber glaubt, daß weder Emanuel noch ich jemals von ihm gehört haben, das weiß sie wohl selber noch nicht.«

Kate sah Emanuel an. »Ich nehme an, sie hat nie von ihm oder von irgendwelchen genetischen Theorien gesprochen, oder?« Emanuel schüttelte den Kopf. Kate sah, wie deprimiert er war, und ihr Herz flog ihm entgegen, aber sie konnte nichts anderes tun, als Nicola dabei zu helfen, auf ihn einzureden. Kate hatte erfahren, daß Nicolas Mutter die Kinder in ihr Landhaus geholt hatte. Sie hatten hier zuviel mitbekommen, und sie eine Woche nach dem Mord wegzuschicken, sah nicht so sehr wie eine Kapitulation vor dem Schicksal aus.

»Dr. Barrister hat freitags keine Sprechstunde, nicht wahr?« fragte Kate Nicola.

»Nein«, sagte Nicola. »Warum?«

»Ich bin gekommen, um Fragen zu stellen«, sagte Kate knapp, »und nicht, um welche zu beantworten.«

»Sind denn noch Fragen offen?« sagte Emanuel.

»Sehr viele«, sagte Kate bestimmt. »Aber du wirst keine von ihnen der Polizei gegenüber wiederholen. Und auch sonst niemandem gegenüber«, fügte sie streng hinzu und sah Nicola an. »Hier wären einige Fragen: Wer hat an dem Morgen, als Janet Harrisons Zimmer durchsucht wurde, die Uniform des Hausmeisters gestohlen?« Emanuel und Nicola sahen sie verblüfft an, aber sie redete schnell weiter. »Warum wurde ihr Zimmer durchsucht? War es bloß, wie irgendein Trottel meinte, ein frustrierter Kerl, der an eines ihrer intimeren Kleidungsstücke herankommen wollte?«

»Bist du betrunken?« fragte Emanuel.

»Unterbrich mich nicht. Wenn das stimmt, wer ist dieser Mann? Warum hat Janet Harrison ein Testament hinterlassen? Das ist doch ziemlich merkwürdig für eine junge, unverheiratete Frau. Wer ist dieser Daniel Messenger, daß sie ihm ihr Vermögen vermacht – oder er ihr seines? Obwohl deine ehemalige Patientin, lieber Emanuel, anscheinend ein höchst umsichtiges Leben geführt hat, um es einmal mild auszudrücken – mit einem Mann ist sie jedenfalls gesehen worden. Wer war das? Wer hat sich mit ihr getroffen?«

»Wenn du nicht weißt, mit wem sie sich getroffen hat, wieso weißt du, daß sie mit jemandem gesehen worden ist?« fragte Nicola.

»Hör auf, mich zu unterbrechen. Mach dir meinetwegen Notizen oder hör einfach zu, jedenfalls laß mich ausreden. Ich bin dabei, meine Gedanken zu sortieren. Warum beschloß Janet Harrison, Englische Literatur zu studieren, nachdem sie mit Geschichte angefangen und einen Umweg über eine Schwesternausbildung gemacht hatte? Warum Krankenschwester? Warum ging sie nach New York, um hier Englische Literatur zu studieren?«

»Das ist einfach«, sagte Emanuel. »Sie wußte, daß es hier eine liebenswürdige Verrückte namens Kate Fansler gibt, die so etwas lehrt.«

Kate ignorierte seinen Einwurf. »Was bereitete Janet Harrison Kummer in der Gegenwart? Was belastete sie aus der Vergangenheit? Wer ist der junge Mann, dessen Foto sie aufbewahrt und versteckt hat? Hat die Polizei es euch gezeigt? Ihr habt ihn nicht erkannt. Keiner hat ihn erkannt. Warum? Oder besser, warum nicht? Was ist mit Richard Horan? Was ist mit Frederick Sparks? Was ist mit dem Fensterputzer?«

»Dem Fensterputzer?«

»Also, mir kam gerade der Gedanke, vielleicht hat ein Fensterputzer, der irgendwie einen Hang zu Frauen auf der Couch hat und der sie vom Fensterputzen her kannte, wenn er draußen und sie drinnen in der Praxis war, und der die Abläufe in deinem Haus genau studiert hat, sie erstochen, als er zufällig auf dem Weg zu irgendeinem Fenster einen Blick auf sie werfen konnte, und vielleicht hat er das längst vergessen. Wer putzt bei euch die Fenster?«

Wenn es ihr Ziel gewesen war, Emanuel etwas abzulenken, dann war ihr das gelungen. Er lachte, stand auf und holte Drinks für alle. »Die Praxis-Fenster werden nie geputzt, wenn Patienten da sind«, sagte Nicola. »Außerdem haben wir keinen Fensterputzer. Pandora macht das für uns. Sie kann nicht hinausfallen, und die Außenseiten werden ohnehin vom Haus geputzt, weil das eine Spezialaufgabe ist wegen der Gitter. Aber, bitte, erkläre uns deine anderen faszinierenden Fragen. Woher kennst du Frederick Sparks?«

»Ich kenne ihn nicht.«

»Warum triffst du ihn dann auf einer Party?«

»Weil ich Kate Fansler bin, die große Detektivin«, sagte sie. Dennoch dachte sie plötzlich: Das ist ja alles schön und gut, es gibt eine Menge Fragen, und sie addieren sich ganz erklecklich, aber werden wir jemals die Antworten finden? Und warum hatte Emanuels Sechs-Uhr-Patient den Termin abgesagt? Das war vielleicht die wichtigste Frage von allen. Nachdem sie es geschafft hatte, Emanuel aus seiner Verzweiflung zu reißen, war sie gerade selbst dabei, in ihr zu versinken, als das Telefon läutete. »Für dich, Kate«, rief Emanuel aus der Küche.

»Aber niemand weiß, daß ich hier bin«, sagte Kate und nahm den Hörer ab.

»Ich dachte es mir«, sagte Reed, »nachdem bei dir zu Hause niemand abgehoben hat. Wollen wir zusammen essen gehen?«

»Ich esse hier. Dann gehe ich auf eine Party, um Frederick Sparks zu treffen.«

»Warum nimmst du mich nicht mit? Zusammen drehen wir ihm das Innerste nach außen.«

»Unsinn, das mache ich besser auf meine Art. Wenn du dort auftauchst – und schließlich weiß gleich jeder, daß du stellvertretender Bezirksstaatsanwalt bist –, dann verbringen wir den Abend mit der Diskussion darüber, warum so viele Leute Polizisten bestechen. Du vergißt, daß ich schon mal mit dir auf Parties war.«

»In Ordnung, du undankbares Geschöpf, dann muß ich dir eben meine große Neuigkeit per Telefon durchgeben. Ich hoffe, ich kann davon ausgehen, daß niemand außer dir meine Stimme hört.«

»Ja, sicher.«

»Gut. Dr. Michael Barrister ist einmal wegen eines Kunstfehlers verklagt worden. Es sah nach einer ziemlich schmutzigen Sache aus, aber sie ist offenbar niedergeschlagen worden. Natürlich sind Ärzte gegen Kunstfehler versichert.«

»Was hatte er angestellt?«

»Offenbar bekam eine Frau Haarwuchs auf der Brust. Ist natürlich Jahre her.«

»Machst du Witze?«

»So komische würden mir nicht einmal einfallen, wenn ich mich anstrengte. Denk dran, Kate, vielleicht hat das gar keine Bedeutung. Die Patientin in dem Fall hatte keinerlei Verbindung zu Janet Harrison. Aber ich dachte, es macht dir vielleicht Mut, wenn du erfährst, daß wenigstens einer in diesem dunklen Fall keine reine Weste hat.«

»Reed! Meinst du, sie fangen wirklich an, sich auch anderswo umzusehen?«

»Sagen wir mal, ich bestärke sie darin. Aber steck deine Erwartungen nicht zu hoch. Es ist ein ziemlicher Schritt von einer falschen Hormongabe bis zu einem veritablen Stoß mit dem Messer.«

»Danke, Reed. Wegen heute abend tut es mir leid.«

»Das hoffe ich aber auch«, sagte Reed und hängte ein.

Als sie sich zum Essen setzten, bat Kate Emanuel, ihr etwas über Hormone zu erzählen. Er fing an mit der Behauptung, er wisse sehr wenig über sie, habe die Entwicklung auf diesem Feld seit seiner Zeit an der Medical School nicht mehr verfolgt, und dann hielt er, wie nur Emanuel das konnte, über das Thema eine Abhandlung. Zuerst verstand Kate jedes dritte Wort, dann jedes sechste, und dann schnappte sie nur noch hin und wieder eine ihr bekannte Konjunktion auf, und schließlich hörte sie nicht mehr zu. Wenn dieser Fall genaue Kenntnisse in der Endokrinologie erfordert, dachte sie, dann gebe ich besser gleich auf. Doch genau in dem Augenblick klingelte das Telefon in ihrer Wohnung, ein um das andere Mal, ungehört und nur etwas frustrierend für denjenigen, der eine Nachricht parat hatte, die für die drei dort am Ecktisch und für einen anderen den Anfang vom Ende ankündigte.