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Kougar ritzte sich mit dem Messer das Handgelenk auf und murmelte dabei die Worte des alten Gesangs, während er Hawke langsam um den kleinen Teich tief in den Blue Ridge Mountains von Virginia folgte. Es war eine klare Nacht, und erst nach Mitternacht hatte sich leichter Nebel gebildet. Eine Brise strich durch Kougars kurzes Haar, doch er merkte es kaum mehr als den Stich der Klinge oder das Blut, das über sein Handgelenk rann. Er hatte vor langer Zeit die Fähigkeit zu feineren Empfindungen verloren.

Er war voll auf die vor ihm liegende Aufgabe konzentriert, die darin bestand, eine Falle zu errichten, in der sie einen der drei Geisterdämonen fangen wollten, die die Zauberer wieder auf die Welt losgelassen hatten. Ausnahmsweise einmal passte alles zusammen.

Dieses Mal würde es klappen.

Bei Geisterdämonen brauchte man eine bestimmte Art von Falle ein kleines Gewässer. In alter Zeit, als es noch überall Dämonen gegeben hatte, waren diese Gewässer von Therianern angelegt worden, indem sie Löcher gruben und diese mit Regenwasser volllaufen ließen, ehe sie mit Blut einen Bann über sie legten. Doch solche Fallen brachten nicht viel, wenn man einem einzigen Dämon hinterherjagte. Bisher hatten sie überhaupt nichts gebracht.

Während Hawke alles mit einem Gebräu aus unterschiedlichen Kräutern besprenkelte, kam von Kougar die wichtigste Zutat.

Blut.

»Wenn meine Berechnungen stimmen, müssten wir uns genau auf seinem Weg befinden«, sagte Hawke mit leiser, ruhiger Stimme über die Schulter. »Endlich.«

Eine Woche lang waren sie auf der Spur eines bestimmten Dämons gewesen; die drei schienen nach der Zerstörung der Höhle, bei der sie befreit worden waren, unterschiedliche Richtungen eingeschlagen zu haben. Dieser hier bewegte sich in Richtung Nordosten und legte ein schnelles Tempo vor, obwohl Kougar nicht davon ausging, dass er ein bestimmtes Ziel vor Augen hatte. Geisterdämonen waren schon immer gedankenlose Jäger der schlimmsten Sorte gewesen.

Nach Hawkes Berechnungen würde der Dämon heute Nacht dicht an dieser Stelle vorbeikommen. Ausnahmsweise hatten sie genau dort einen kleinen Weiher, wo sie ihn brauchten.

Heute Nacht musste es ihnen gelingen, ihn zu fangen.

Als sie den Weiher einmal umrundet hatten, drehte sich Hawke zu Kougar um und zog eine seiner buschigen Augenbrauen hoch. »Noch eine Runde? Nur um sicherzugehen?« Im dunklen Licht der Nacht erinnerte Hawke Kougar lebhaft an den Bussard-Gestaltwandler, der sein Vorgänger gewesen war. Der, den die Krieger des Lichts ›Wind‹ genannt hatten. Ein uralter Krieger und alter Freund, der vor anderthalb Jahrhunderten in einem Hinterhalt der Zauberer zu Tode gekommen war. ›Der Wind‹ war Hawkes Vater gewesen, und Kougar sah in den Zügen des Sohnes häufig den Vater.

Kougar nickte. »Noch eine Runde.«

Während sie noch einmal am feuchten Ufer des Weihers entlanggingen, spürte er die schweigende Gemeinschaft der beiden Tiere Puma und Bussard, zwei Geschöpfe, die sich seit Äonen kannten. Kougar hatte stets Weisheit und unerschütterliche, ruhige Stärke im Geist des Bussard und in dem Krieger, der ihn beherbergte, gefunden. Als ›Der Wind‹ starb, hatte Kougar seine letzte Verbindung zu den alten Zeiten verloren, seine letzte Verbindung zu dem Mann, der er einst gewesen war. Er hatte immer Angst gehabt, dass die Kälte, die vor langer Zeit sein Herz umhüllt und seine Fähigkeit zu fühlen geraubt hatte, schließlich den letzten Rest von Menschlichkeit, der noch in ihm geblieben war, töten würde. Doch der Sohn und der Geist des Bussards hatten beide die Hand nach ihm ausgestreckt und die Leere gefüllt, die durch das Dahinscheiden von ›Der Wind‹ entstanden war, und Kougar damit an die Welt aus Fleisch und Blut gebunden. An Ehre und Pflicht.

Kougars Herz mochte vielleicht verdorrt sein, doch er hatte es Hawke zu verdanken, dass ihm noch ein Hauch von Gefühlen geblieben war. Freundschaft. Loyalität. Hawke wusste zwar nicht viel von Kougar oder dessen Vergangenheit, aber er wusste zumindest etwas, und das war mehr, als man von jedem anderen sagen konnte. Hawke war der einzige Krieger des Lichts, dem er sich jemals anvertraut hatte. Trotz seiner ausgeprägten, angeborenen Neugier hatte Hawke ihn nie gedrängt, ihm Antworten auf seine Fragen zu geben. Was der Grund war, weshalb Kougar sie ihm gelegentlich gab.

Nachdem sie den Weiher ein zweites Mal umrundet und ein festes Netz aus Magie geknüpft hatten, zogen sich die beiden Gestaltwandler in den Schatten der Bäume zurück, um zu warten.

»Es heißt, dass die Ilinas den Therianern für gewöhnlich beim Bau dieser Fallen halfen«, murmelte Hawke.

Ein Eissplitter zog sich in Kougars Brust zusammen. »Das taten sie. Ilina-Blut und -Magie wurden mit dem der Therianer vermischt.«

»Glaubst du denn eigentlich, dass die Fallen überhaupt funktionieren, wenn sie nur von Therianern errichtet werden?«

»Das sollten sie lieber.«

Wie so häufig, wenn sein Geist auf vollen Touren arbeitete, verharrte Hawkes Körper bewegungslos. »Es heißt, die Ilinas wären Nebelgeschöpfe gewesen in ihrem Urzustand fast schon Geister.«

»Das stimmt.«

»Und trotzdem haben sie geblutet?«

»Wenn sie wollten, konnten sie Gestalt aus Fleisch und Blut annehmen und in diesem Zustand verharren. Mit einem festen Körper hatten sie viel Ähnlichkeit mit Therianern.«

»Du kanntest die Ilinas natürlich.«

Nur Hawke wusste, wie alt er war. »Natürlich.«

Der Bussard-Gestaltwandler sah ihn an, und Neugier blitzte in seinen Augen. »Weißt du, wie es dazu kam, dass sie ausstarben?«

Kougars Züge spannten sich an. Er wusste es, aber er hätte es Hawke noch nicht einmal erzählen können, wenn sein Leben davon abgehangen hätte. Er sagte nichts, und Hawke drängte ihn nicht weiter.

»Waren sie so schön, wie es in den Geschichten erzählt wird?«

»Sie sehen so unterschiedlich aus wie therianische Frauen, zierlich und ihre Augen « Er sah seinen Gefährten an. »Sie haben die strahlendsten blauen, grünen oder türkisfarbenen Augen, die ich je bei einer Frau gesehen habe.«

Hawke zog eine Augenbraue hoch, und ein Anflug von Erheiterung ließ seine Gesichtszüge weicher erscheinen. »Bei jedem anderen hätte ich vielleicht gesagt, dass da wohl ein Hauch von Poesie mitschwingt.«

»Es ist eine Tatsache.«

»Ich glaube es dir.« Und am Klang seiner Stimme konnte man erkennen, dass es auch so war. »Ich habe nie begriffen, wie ein Volk, das nur aus Frauen besteht, überhaupt existieren kann. Denn sie können sich ja wohl nicht so fortgepflanzt haben, wie wir es kennen.«

»Nur zufällig. Ihre normale Methode bestand in der Zuhilfenahme von Magie.«

»Man möchte meinen, sie hätten ihr Volk am Leben erhalten können, hätten sie das gewollt.« Hawkes Stimme klang nachdenklich, als würde er mit sich selber reden. »Andererseits heißt es, ihre Königin, Ariana, hätte sie selber der Vernichtung anheimgegeben.«

Kougar sagte nichts. Es gab nichts, was er hätte sagen können, denn die Wahrheit war etwas, das er mit niemandem teilen konnte. Denn tatsächlich waren die Ilinas gar nicht ausgestorben.

»Kougar.« Hawkes Stimme klang plötzlich leise und scharf. »Der Dämon

Nagender Hunger trieb Olivia ungefähr eine Stunde vor Tagesanbruch aus dem Bett. Sie hatte nur wenig geschlafen, und immer, wenn sie in einen leichten Schlummer gefallen war, hatte sie geträumt, sie würde im Schlaf Nahrung zu sich nehmen und die Krieger kämen mit gezückten Messern in ihr Zimmer gestürmt, um sie aufzuschlitzen.

Kara hatte ihr ein Zimmer oben in der zweiten Etage gegeben, aber sie war sich nicht sicher, wo sich Jags Raum befand oder ob er sich überhaupt darin aufhielt, und sie hatte Angst, ein Risiko einzugehen. Wenn er abermals mitbekam, dass sie Nahrung zu sich nahm, würde das zweifellos eine ausgewachsene Hexenjagd entfachen.

Aber sie musste Nahrung zu sich nehmen. Normalerweise verbrachte sie die Nächte damit, Drader zu jagen und die kleinen Mistviecher völlig auszusaugen, ehe sie ihnen das Herz mit dem Messer herausschnitt. Sie drehte fast durch, wenn sie sich vorstellte, dass es außerhalb des Hauses ganze Schwärme von ihnen gab und sie sie sich nicht greifen konnte. Nicht nur weil sie Hunger hatte, sondern weil ihr Drang, Drader zu vernichten, fast so stark war wie ihr Drang zu leben.

Ach, könnte sie sich doch nur nach draußen schleichen und nach ihnen suchen. Doch auch nur in der Nähe der Krieger des Lichts Nahrung zu sich zu nehmen, war zu gefährlich. Auch wenn sie sich keine Sorgen hätte machen müssen, dass Jag spürte, wenn sie aß, konnte sie doch von den anderen gesehen werden. In dem Moment würden sie wissen, dass irgendetwas nicht stimmte. Kein normaler Therianer konnte einen Schwarm der Größe überleben, die in der Nähe des Hauses des Lichts auftraten.

Sie spürte ein Kribbeln am ganzen Körper und fühlte sich unwohl, wie immer, wenn ihr nicht mehr genug Energie zur Verfügung stand. Wie bedauerlich, dass sie in einem Haus, das voller Energie war, keine Nahrung zu sich nehmen konnte. Im Land der tausend Drader wagte sie es nicht, nach draußen zu gehen, aus Angst, dadurch ihr Geheimnis zu verraten.

Ihr blieb also nur noch eine Möglichkeit, und das war keine gute. Sie würde ganz normale Speisen zu sich nehmen müssen. Ganze Wagenladungen davon. Auch das würde ihr auf Dauer nicht genügen, aber es half ihr vielleicht über die Runden, bis sie von Jag wegkam.

Olivia stöhnte, als sie sich ein dunkelgrünes Tank Top und ihre schwarze Kampfhose, deren Taschen voller einsatzbereiter Messer waren, anzog. Ohne ihre Messer ging sie nirgendwo hin. Sie hatte früh aus bitterer Erfahrung lernen müssen, dass man nie vollkommen sicher vor Dradern war. Doch wegen der Tatsache, dass sie sie nicht mehr verletzen konnten, war es von entscheidender Bedeutung, dass sie immer gegen sie gerüstet war. Dadurch würde es bei einem Drader-Angriff zumindest so aussehen, als wäre sie schneller als die Bestien. Jemand, der sie bei einem Kampf beobachtete, würde nie darauf kommen, dass sie ihnen einfach die Lebenskraft aussaugte.

Außer Jag. Verdammt, das wird schwierig werden, wenn ich nicht bald von ihm wegkomme.

Als sie gerade zur Treppe gehen wollte, hörte sie die Haustür aufspringen. Ihr Kämpferinstinkt ließ sie sich in einer Ecke neben der Treppe verstecken, sodass sie sehen konnte, wer ins Haus des Lichts eindrang. Doch es waren nur vier verschwitzte Krieger des Lichts, die hereingestürmt kamen Paenther, Tighe, der Glatzkopf, der wohl Vhyper war. Und Jag.

Sie hatten bestimmt Jagd auf Drader gemacht. Sogar Jag wirkte erschöpft. Das Haar hing ihm feucht und zerzaust ins markante Gesicht, als wäre er sich dutzendmal mit den Fingern hindurchgefahren. Seine nackte Brust glitzerte im Schein des Kronleuchters, und sogar von hier oben, aus der zweiten Etage, war das Muskelspiel atemberaubend. Um seinen kräftigen Oberarm lag der Reif.

Ihr verräterischer Leib errötete, und ihr Herzschlag beschleunigte sich, sodass sie sich innerlich fluchend langsam wieder in ihr Zimmer zurückzog. Eine weitere Begegnung mit Jag war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Sie war zu hungrig in mehr als nur einer Hinsicht.

Sie schloss ihre Tür, drückte ein Ohr dagegen und lauschte dem leisen Tappen von mehreren Personen auf der Treppe. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es wohl war, gegen einen großen Schwarm Drader zu kämpfen. In Großbritannien bestanden die größten Schwärme dieser Tage aus nicht mehr als einem Dutzend Dradern. Die Wache streifte nachts in Vierergruppen umher und erledigte sie mit Leichtigkeit.

Aber sie wusste, dass es so nah am Haus des Lichts und bei der Strahlenden an die hundert sein konnten. Offensichtlich vermehrten sie sich schneller, als die Krieger sie töten konnten ein Problem, das vor allem in den letzten Monaten immer ernster geworden war.

Sie wartete, ohne einen Mucks von sich zu geben, und hörte, wie sich irgendwo im Haus drei Türen öffneten und wieder schlossen. Drei, nicht vier. Von unten drangen die Geräusche eines Fernsehers zu ihr. Nicht perfekt, aber ausreichend. Alle vier würden schlafen oder abgelenkt sein, während sie ihnen die Haare vom Kopf fraß. Nicht im wörtlichen Sinne natürlich. Hoffentlich. Es war lange her, seitdem sie das letzte Mal versucht hatte, nur von Essen zu leben.

Olivia holte tief Luft und schob sich ein zweites Mal aus ihrem Zimmer, um die große Treppe hinunterzugehen, die die zwei Stockwerke hohe Eingangshalle zu beiden Seiten umrahmte. Das Haus des Lichts war ein altmodisch eingerichtetes Gebäude mit Stuckverzierungen und Vergoldungen. Während sie die geschwungene Treppe hinunterstieg, wurde ihr Blick von dem riesigen, bunten Gemälde angezogen, das den Boden bedeckte eine üppige Vegetation, die von jungen Waldnymphen und wilden Zentauren bevölkert war.

Die Geräusche eines Rugby-Spiels, das im Fernsehen übertragen wurde, waren neben dem Fiepen eines Welpen und einer tiefen männlichen Stimme, die lachte, bis in die Halle zu hören. Das Lachen hinterließ ein Beben in ihrem Körper, gepaart mit einer starken, sinnlichen Glut, und sie merkte, dass sie sich unwillkürlich, ohne es eigentlich zu wollen, auf leisen Sohlen der Geräuschquelle näherte.

Kaum war sie fast bei der weit geöffneten Tür zum Fernsehzimmer angelangt ein riesiger Flachbildschirm hing vor einer Sitzgruppe aus großen Sofas und Sesseln aus Leder an der Wand , als die fröhlichen Laute des Welpen lauter wurden. Wieder wurde Olivia vom Lachen des Mannes durchdrungen, und ihre Mundwinkel hoben sich.

Sie schob sich bis an die Türschwelle und schaute dann vorsichtig um die Ecke. Sie hatte nicht vor, jemanden zu stören, war aber neugierig. Doch der Anblick des Mannes, der den Welpen hielt, ließ sie mitten in der Bewegung innehalten.

Jag.

Er fläzte sich in einem der Sessel. Bis auf seine Tarnhose hatte er nichts an. Er hielt einen winzigen schwarzen Schnauzerwelpen in der Hand, der nur ein paar Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war. Während sie ihn beobachtete, schüttelte der riesige Krieger den Kopf. Das Gesicht hatte er zu einer schiefen Grimasse verzogen. »Ich bin eine Katze, du Trottel. Wenn du schon aus der Höhle der Hexe wegläufst, dann mach zumindest Wulfe schöne Augen.«

Aber die kleine Hündin war eindeutig genau da, wo sie sein wollte, denn ihr ganzer Körper wackelte vor Freude, und das Stummelschwänzchen wedelte mit der Schnelligkeit eines Scheibenwischers bei einem Platzregen.

Als sie versuchte, Jag am Kinn zu lecken, kicherte dieser wieder. Dann hob er den Welpen hoch, sodass sie auf gleicher Augenhöhe waren. »Du machst einen Fehler, Toto. Vertrau mir, ich bin wirklich der Allerletzte, an den du deine Küsse verschwenden solltest.«

Bei diesen Worten zog sich etwas in Olivia zusammen, als sie die tiefe Verbitterung unter der sanften Freundlichkeit spürte, mit der er den Welpen überschüttete.

Eine alte Geschichte. Ein alter Schmerz. Nichts davon ging sie etwas an.

Ächzend legte der Krieger den zappelnden Welpen auf seinen Schoß und strich ihm mit großer, sanfter Hand über Kopf und Rücken, während es sich der kleine schwarze Leib auf seinen Schenkeln gemütlich machte.

»Wenn du das Spiel mit mir zusammen anschaust, musst du die Guten anfeuern.«

Die kleine Hündin gab ein schrilles, erfreutes Fiepen von sich, dann sprang sie vom Sessel und rannte zu Olivia, um sie zu begrüßen.

»Launisches Frauenzimmer«, murmelte Jag, dann verstummte er, als sein Blick dem Welpen folgte und er Olivia entdeckte. Seine Augen blitzten nur kurz vor Überraschung auf. Diese dunklen Augen, die erst ihr Gesicht musterten und dann langsam und gemächlich zu ihren Schultern glitten, die vom Tank Top nicht bedeckt wurden, um sich dann auf ihren Busen zu heften.

Ihr stockte der Atem. Sie bückte sich, um den Welpen mit plötzlich fahrigen Händen zu streicheln, während sie so tat, als hätte sie nicht gemerkt, dass der Mann sie gerade mit seinen Blicken liebkost hatte.

Als sie wieder hochkam, lief der Welpe mit einem fröhlichen Fiepen in die Halle davon. Das Herz sackte Olivia nach unten, als sie bemerkte, wie in Jags Augen der Schalk aufblitzte. Nur ihr Stolz verhinderte, dass sie die Flucht ergriff und dem Welpen in die Halle folgte.

»Bist du auch hier, um für mich mit dem Schwanz zu wedeln, Süße? Willst du auf meinen Schoß krabbeln und mich ablecken?«

Aber noch während sie vor Wut fast in die Luft ging, weil er sich weigerte, ihr auch nur das Mindestmaß an Respekt zu erweisen, wurden ihre Nippel hart und breitete sich Wärme in ihrem Innern aus.

»Ich würde ja gern, Jag«, erwiderte sie mit seidenweicher Stimme. »Aber ich habe meine Schuhe mit den hohen Absätzen nicht an.«

Es überraschte sie, als er bei ihren Worten in Lachen ausbrach. Ein tiefes, männliches Lachen der Erheiterung, dem zwar die sanfte Freude fehlte, die er dem Welpen gegenüber gezeigt hatte, doch trotzdem dazu angetan, ihren Bauch zum Flattern zu bringen und dafür zu sorgen, dass sich ihre Mundwinkel unwillkürlich hoben.

Auch sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, einem trägen, wissenden Lächeln, dem jedoch die Bitterkeit und Strenge fehlten, die sonst immer auf seinem Gesicht lagen. Doch dann flackerte etwas Scharfes, Gefährliches in seinem Blick auf. Er erhob sich mit katzengleicher Anmut und tappte mit nackten Füßen auf sie zu.

Ihr Körper spannte sich an, als er immer näher kam, und sie wappnete sich für einen Kampf. Ihre Sinne gerieten ins Trudeln. Wenn sie ihn aus einer Höhe von zwei Stockwerken schon für ansprechend gehalten hatte, dann war er aus der Nähe einfach atemberaubend. Seine schimmernde Brust bestand nur aus harten, hervortretenden Muskeln, und das Sixpack wirkte wie gemeißelt.

Ihr Puls begann zu rasen, als er vor ihr aufragte aber nicht vor Angst. Wie alle Krieger des Lichts war er ein Hüne von Mann, aber wenn sie gewollt hätte, wenn sie sich öffnen würde, um Nahrung zu sich zu nehmen, konnte sie ihn umbringen, ehe er überhaupt wusste, was mit ihm geschah.

»Zurück, Jag«, schnurrte sie.

Seine Lippen verzogen sich nur zu einem herausfordernden, verheißungsvollen Lächeln.

»Spreiz die Beine für mich, Rotschopf.«

Eine Mischung aus Verlangen und Wut schoss heiß in ihr hoch. Zwei Herzschläge später war sie zwischen seinen Armen gefangen, als er seine Hände zu beiden Seiten ihres Kopfes gegen den Türrahmen drückte.

Arschloch. Sie zog eines ihrer Messer, und mit einer Geschwindigkeit, mit der es nur wenige aufnehmen konnten, glitt es zwischen seine Oberschenkel.

»Spreiz du deine«, entgegnete sie.

Sein Grinsen wurde nur noch breiter. »Du willst mich genauso sehr wie ich dich. Ich kann dein Verlangen spüren, das wie Dampf von deinem heißen, kleinen Körper aufsteigt. Ich kann deine Hitze riechen und sie in deinen Augen sehen.«

»Die einzige Hitze, die du in meinen Augen siehst, ist Wut.«

Er senkte den Kopf, und seine Zunge schnellte hervor, um kurz über ihre Schläfe zu lecken. »Ich kann das Verlangen auf deiner Haut schmecken. Früher oder später wirst du die Beine für mich breitmachen, und ich werde immer wieder tief in dich hineinstoßen, bis wir beide schreiend zum Höhepunkt kommen.«

Sosehr sie sich auch gegen die sinnliche Macht seiner Worte stählen mochte, spürte sie doch, wie ihr Körper dahinschmolz verlangend.

Sie drückte das Messer fester gegen seinen Schenkel. »Wie wäre es damit, wenn ich dir den Schwanz abschneide und wir schauen, ob sich deine Manieren dadurch etwas verbessern.«

Er ließ die Hände sinken, sodass sie nicht mehr zwischen seinen Armen gefangen gehalten wurde. Zumindest dachte sie, dass das seine Absicht gewesen war, als sich plötzlich seine Hände fest um ihre Taille legten und von unten gegen ihren Brustkorb drückten. Eine beinahe unnatürliche, künstliche Hitze explodierte in ihr, durchströmte sie wie reine, sexuelle Glut. Die Lava rann nach unten, erhitzte sie von innen heraus, entflammte die Funken, die er mit seiner Gegenwart und seinen Worten entzündet hatte.

Sie wurde feucht zwischen den Beinen, als sie innerlich zu pulsieren und anzuschwellen begann. Die innere Glut ließ sie ganz weit werden, während ihr Körper darum flehte, dass der Mann in sie eindrang. Tief in ihrem Inneren wurde der Druck immer größer, ein heftiger, überwältigender Orgasmus kündigte sich an.

Nein, verdammt.

Sie schlitzte Jags Hose auf und bohrte ihr Messer tief in seinen Oberschenkel.

Als Blut über ihre Hand strömte, riss er sich von ihr los.

»Miststück.« Leise knurrend drang das Wort tief aus seiner Kehle.

Der Höhepunkt, der sich in ihr aufgebaut hatte, schwächte sich langsam wieder ab, nachdem er mit dem Druck seiner Hände nicht mehr diese künstliche Hitze in sie strömen ließ. Sie hatte nah, so nah davor gestanden zu kommen, und jetzt erlag der Orgasmus in pochendem Schmerz.

Olivia bedachte ihn mit ihrem eisigsten Blick. »Du behältst deine Pfoten in Zukunft bei dir, Katze.«

Auch wenn in den Tiefen seiner braunen Augen ein wütendes Funkeln zu sehen war, verzog sich sein Mund zu einem gefährlichen Lächeln. »Es ist nicht vorbei, Rotschopf. Noch lange nicht. Ehe wir miteinander fertig sind, wirst du mich anflehen, es dir zu besorgen.«

»Davon träumst du nur, Katze. Davon träumst du nur.«

Er überraschte sie damit, dass er ihr Kinn packte, während pure Wildheit in seinem Blick loderte. »Du hast ja keine Ahnung, was ich träume.«

Sie starrte ihn an und erhaschte wieder einen Blick auf die innere Zerrissenheit, die sie schon im Besprechungsraum bei ihm bemerkt hatte. »Du könntest überrascht sein, Jag.« Sie riss sich von ihm los, wischte das Messer an ihrer Hose ab, behielt es aber weiter in der Hand, als sie sich abwandte und ihn stehen ließ. Er durchbohrte ihren Rücken mit seinem Blick, bis sie um die Ecke verschwand.

Zur Hölle mit ihm. Der ganze Körper tat ihr weh, und sie stand so kurz vor der Erfüllung, dass sie nur die Hand vorn in ihre Hose schieben musste, um sich kurz zu streicheln, ehe sie einen überwältigenden Höhepunkt erreichen würde. Sie war in arger Versuchung, sich in einem der leeren Zimmer zu verkriechen und genau das zu tun. Wäre da nicht die Sorge gewesen, dass Jag ihr folgte und sie in dem Zustand fand im Strudel einer Leidenschaft, in den er sie getrieben hatte. Sie mochte sich noch nicht einmal vorstellen, was dann als Nächstes passieren würde. Zu gut war es möglich, dass seine Vorhersage wahr wurde. Dass sie die Beine spreizte und ihn anflehte, sie zu nehmen.

Bei der heiligen Göttin, sie musste unbedingt von diesem Mann weg.

Heftige sexuelle Frustration ließ Jag aufknurren, als er durch die Halle und die Tür nach draußen ging. Im Osten färbte sich der Himmel bereits violett und rosa – deutlich zu sehen zwischen den Ästen der großen Bäume, die um das Haus des Lichts herumstanden. Die morgendliche Luft roch nach Tau und feuchter Erde, nach Bäumen, Gras und den kleinen Geschöpfen, die das Land mit den Menschen und den Kriegern teilten.

Doch es war der süße Duft von Olivias Haar, das betörende Moschusaroma ihrer Erregung und der metallische Geruch seines Blutes, den er immer noch in der Nase hatte.

Verdammt, er pochte immer noch vor Erregung. Dank der Unsterblichkeit der Therianer war die Wunde an seinem Bein bereits wieder verheilt, aber sein Körper schmerzte vor unerfüllter Leidenschaft. Mit langen Schritten ging er über die geschwungene Auffahrt, in der mehrere Autos standen angefangen bei seinem eigenen gelben Hummer bis hin zu Kougars silbernem Lamborghini und den drei unauffälligen Sedans, die Lyon während Tighes kürzlichem Zusammenstoß mit dem Gesetz erworben hatte.

Als er den Waldrand auf der anderen Seite erreicht hatte, streifte er seine Hose ab, warf sie auf den Boden und beschwor die Kraft in seinem Innern herauf, die Kraft des Jaguars, der ihn gezeichnet und vor über zweihundertfünfzig Jahren für sich beansprucht hatte.

In einem Rausch aus purer Energie und Freude begleitet von funkelnden Lichtern verwandelte er sich in sein Tier. In einen Jaguar.

Sein Blickwinkel veränderte sich, seine Sinne verschmolzen mit denen einer Katze. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, rannte er los, raste durch den Wald in dem verzweifelten Bemühen, das Feuer zu löschen, das in ihm brannte. Zwar hatte sich durch die Verwandlung in seine tierische Gestalt die brennende Leidenschaft, die von seinem menschlichen Körper Besitz ergriffen hatte, abgeschwächt, doch das Feuer brannte weiter in einem Winkel seines Geistes. Das Verlangen nach etwas, das er noch nicht einmal benennen konnte. Die Besessenheit von einer Frau, die er nicht einmal wollte, außer in fleischlicher Hinsicht. Ein Feuer, das von innen an ihm zehrte und mit einem Schmerz verbunden war, den er nun schon so lange kannte, dass er gelernt hatte, damit zu leben, während es ihm gleichzeitig unmöglich war, ihn einfach zu ignorieren.

Er lief mit mächtigen Sätzen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wohin, während die feuchte Morgenbrise durch seine Barthaare strich. Doch als er schließlich hoch oben auf den felsigen Klippen ankam, von denen aus man über den Potomac schauen konnte, kletterte er noch ein Stückchen höher und blieb dann stehen. Sein Katzenleib atmete schnell wegen des raschen Laufs, als er den Jaguarkopf in den Wind hielt.

Wenn er nun einfach weiterrannte? Einfach keinen Blick zurückwarf? Nie wieder zurückkehrte? Der Gedanke war ihm schon zu häufig durch den Kopf gegangen, als dass er sich hätte daran erinnern können, wie oft. Und er hätte es vielleicht sogar getan. Tausendmal hätte er weglaufen und nie wiederkommen können. Doch es gab zwei Dinge, die ihn daran hinderten: Zum einen war es die Tatsache, dass er ein Krieger des Lichts war das Einzige, was sein Leben überhaupt lebenswert machte –, und zum anderen die Erkenntnis, dass er nichts damit erreichen würde, wenn er weglief. Denn das, was er am sehnlichsten hinter sich lassen wollte, konnte er nicht abschütteln.

Sich selber.

Schließlich machte er sich wieder auf den Rückweg zum Haus des Lichts, während seine Gedanken um die Frau kreisten, die ihn nicht mehr losließ. Olivia. Verdammt, aber sie faszinierte ihn einfach. Er hatte sie heute Nacht zum ersten Mal ohne ihren üblichen Hosenanzug gesehen. Er hatte sie schon in ihrem Business-Outfit heiß gefunden, doch in Kampfkleidung steckte sie sein Blut in Brand. Er konnte sie immer noch in der Tür zum Fernsehzimmer sehen das üppige, volle Haar herrlich verwuselt vom Schlafen, mit nackten Füßen, der sich eng an ihre schmalen Hüften schmiegenden Hose und dem Tank Top, das die vollen Rundungen ihres Busens hervorhob.

Sie hatte dieses Eisprinzessin-Gehabe an sich, doch sie war genauso heiß auf ihn wie er auf sie. Und als er sie mit seinen Händen berührt und das Verlangen in sie hatte strömen lassen, hätte die Hitze, die wie eine Woge in ihr aufstieg, ihn fast zum Schmelzen gebracht.

Diese seltsame Fähigkeit, mit seinen Händen zu wärmen oder zu kühlen, war ihm immer sinnlos erschienen, bis er vor langer Zeit gelernt hatte, damit seine Gespielinnen in Erregung zu versetzen und ihr Verlangen zu steigern; aber nie hatte eine Frau so schnell, so heftig reagiert, wo er sie doch nur an der Taille berührt hatte. Was würde dann erst passieren, wenn er seine Hand zwischen ihre Beine schob und auf ihr Geschlecht legte?

Allein die Vorstellung, der Gedanke, wie sie sofort zum Höhepunkt kommen würde, erregte ihn über die Maßen.

Das, was da zwischen ihnen lief, war noch längst nicht vorbei. Irgendwie musste er dafür sorgen, dass sie sich von selbst dafür entschied, mit ihm ein Team zu bilden. Und er wusste auch schon, wie er das bewerkstelligen sollte. Er kannte ihre Schwachstelle. Er erkannte Stolz, wenn er ihn sah, und Olivia bestand fast nur aus Stolz.

Ja, sie würde seine Partnerin werden. Und ehe der Auftrag erledigt war, würde dieser vielversprechende, zierliche Frauenkörper ihm gehören.