9

Kougar rannte auf vier Beinen tief im Wald den steilen Hügel hinauf, bis er sicher sein konnte, dass er ganz allein war. Er konnte keine Zuschauer gebrauchen für das, was er vorhatte.

Dort wo der Wald am dichtesten war, verwandelte er sich wieder in einen Mann und bereitete sich auf eine Begegnung vor, vor der er sich schon lange fürchtete. Er holte tief Luft, schloss die Augen und schaute nach innen, ganz tief bis in den Kern des Eisklumpens, der ihm vor langer Zeit die Fähigkeit zu intensiven Empfindungen genommen hatte. Dort tief im eiskalten Innern fand er die brüchigen Fäden einer Verbindung, die vor langer Zeit zerrissen war. Er konzentrierte sich auf diese hellen, eisigen Ranken und sandte einen Ruf aus, die schweigende Aufforderung, dass ihn jemand hören möge.

Königin Ariana! Da es in seiner menschlichen Gestalt keine echte Telepathie gab, ging es bei diesem Ruf nicht um die Weitergabe von Worten, sondern eher darum, Aufmerksamkeit zu erregen. Beachte mich!

Doch er spürte keine Veränderung im Wind, sah kein Schimmern oder Funkeln des sich in Kristallen brechenden Lichts.

Ariana! Immer wieder rief er, klopfte an die unsichtbare Tür, bis er geistig völlig erschöpft war. Doch gerade als er sich damit abfinden wollte, dass sein Versuch, mit den Ilinas Kontakt aufzunehmen, vergeblich war, stieg ihm der verräterische, starke Duft von Pinien in die Nase und sagte ihm, dass sein Ruf doch gehört worden war.

Aber als er sich umdrehte, stand nicht die Königin vor ihm, sondern zwei ihrer Gefolgsleute. Vom Verstand her ärgerte ihn dies, doch Gefühle regten sich bei ihm wie stets keine. Die beiden zierlichen Kriegerinnen standen Seite an Seite. Sie gehörten zur Privatgarde der Königin und trugen die übliche Uniform eine braune Tunika und hautfarbene Hosen, weiche Lederstiefel und ein Messer an der Taille.

»Melisande. Brielle. Ich wollte eigentlich Ariana sehen, aber ihr genügt mir auch.«

»Was willst du, Kougar?«, fragte Melisande. Der dicke, geflochtene, blonde Zopf hing ihr über die schmale Schulter. Ihre Züge besaßen zwar eine anmutige Zartheit, doch der Blick ihrer hellblauen Augen war hart wie Feuerstein.

Kalt zog Kougar eine Augenbraue hoch. »Ihr verwehrt mir den Zutritt zum Kristallreich?«

»Du bist nicht willkommen. Königin Ariana gewährt dir keine Audienz. Du hast Glück, dass sie dich überhaupt am Leben lässt, Krieger, angesichts dessen, was du weißt.«

Ein Umstand, dem er sich nur allzu bewusst war. Er hatte sich häufig gefragt, warum sie ihm nie nach dem Leben getrachtet hatte.

Er richtete den Blick auf Melisande. »Weißt du, dass die Zauberer drei Geisterdämonen aus der Klinge befreit haben?«

Die einzige Reaktion der Frau war ein leichtes Zusammenzucken, doch die Bewegung sagte ihm genug. Sie hatte es nicht gewusst.

»Ohne Ilina-Blut und -Magie funktionieren die Fallen nicht. Ich habe es versucht. Ich brauche deine Hilfe. Schließe dich mir an, damit wir ihn fangen.«

Melisandes Miene nahm einen harten Ausdruck an. »Die Dämonen kümmern uns nicht. Wir gehören nicht mehr zu eurer Welt.«

»Das ist gelogen, das wissen wir beide.« Kougar tat einen Schritt nach vorn, aber die beiden Frauen ließen sich nicht einschüchtern. »Wenn Satanan befreit wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis er hinter euer Geheimnis kommt. Du hältst dich selbst zum Narren, wenn du anders denkst.«

»Wenn wir uns an eurem Kampf beteiligen, könnte das unsere Sicherheit gefährden. Das werde ich nicht erlauben, Krieger.« Melisandes Augen blitzten drohend. »Die Sicherheit meines Volkes ist eine Verantwortung, die ich sehr, sehr ernst nehme.«

»Tausende, vielleicht sogar Millionen werden sterben, wenn Satanan sich wieder erhebt.«

»Das interessiert mich nicht.«

»Deiner Königin wäre das früher nicht egal gewesen.«

»Viele Dinge, die früher einmal waren, gelten heute nicht mehr.«

Kougar verspürte den Drang, sie zu packen, ihr Blut zu nehmen und sie zur Einwilligung zu zwingen, aber noch während er die Hand zur Faust ballte, wusste er, dass es nutzlos sein würde. In dem Moment, in dem er nach ihr griff, würde sie sich einfach in Nebel verwandeln.

Als hätten sie seine Gedanken gelesen oder seinen Wunsch erkannt, lösten sich die beiden auf, wurden durchsichtig und schwebten wie Geister vor ihm. »Geh, Kougar. Und komme nicht zurück. Das nächste Mal, wenn du uns rufst, werden wir nicht antworten.« Und dann verschwanden beide.

Kougar wurde wild und fuhr mit seinen Klauen an der Stelle durch die Luft, wo eben noch die Frauen gestanden hatten. Die Bewegung roch förmlich nach geballter Emotion.

Die Ilinas um Hilfe zu ersuchen war Zeitverschwendung gewesen. Die Dämonen würden weiter wüten und die Fallen nutzlos sein.

Sie mussten eine andere Möglichkeit finden, um die Dämonen unschädlich zu machen.

Jag stand unter den Bäumen und beobachtete, wie Olivia sich fertig anzog, während das Mondlicht auf ihrem Haar schimmerte. Als sie fertig war, rief er die Kraft seines Tieres an und verwandelte sich in seinen Jaguar. Die Lust, die der Zauber dabei durch seine Adern schießen ließ, war nur ein matter Abglanz der unsäglichen Freude, die er in Olivias heißem, kleinem Körper erlebt hatte.

Die Lust, die seinen menschlichen Körper immer noch hatte pochen lassen, schwand bei der Verwandlung, hallte aber in seinem Geist wider. Sie zu berühren, in sie einzudringen und die Wogen ihrer unzähligen Orgasmen an seinem Körper zu spüren, war eine ganz außerordentliche Erfahrung gewesen, die sich von seinen üblichen sexuellen Begegnungen unterschied wie bester Whiskey von schalem Bier. In ihr zu sein hatte sich richtig angefühlt. Ein anderes Wort fiel ihm dafür nicht ein. Als hätte er die ganze Zeit nach einem Schloss gesucht, in das sein Schlüssel passte, und schließlich hatte er es gefunden.

Noch nie hatte er eine Frau so sehr begehrt. Noch nie war sein Höhepunkt so vollkommen gewesen. Er liebte es, ihre Haut mit den Fingerspitzen und den Lippen zu berühren; fast genauso sehr, wie er die Heftigkeit liebte, mit der sie gegen ihn kämpfte. Sie hatte sich geweigert, ihnen das zu geben, was sie beide wollten, bis sie keine Sekunde länger mehr hatte dagegen angehen können. Dann war er tief in sie eingetaucht und war ein ums andere Mal gekommen. Etwas Derartiges hatte er noch nie erlebt. Sein Körper war aufs Äußerste angespannt gewesen, sodass er gar nicht mehr hatte aufhören können zu kommen.

Und jetzt konnte er nur daran denken, es wieder mit ihr zu tun. Was exakt der Grund war, weshalb er sich von ihr gelöst und ihr befohlen hatte, sich zu beeilen.

Als er ihr beim Anziehen zusah, bemerkte er, wie ihr das weiche Haar über die Wange strich. Dadurch fiel sein Blick auf ihren Mund, und er spürte plötzlich eine Schwäche in seinem Menschen, den Wunsch, sie in die Arme zu nehmen, sie zu küssen.

Aber obwohl er Sex liebte, hatte er keinen sonderlichen Hang zum Küssen. Küssen hatte etwas zu Intimes. Mund an Mund, Auge in Auge. Zum Küssen gehörte eine Nähe, eine Zärtlichkeit, die er keiner Frau gab.

Deshalb störte es ihn, dass er bei Olivia diese Sehnsucht in sich spürte.

Er schob den unangenehmen Gedanken beiseite und sah zu, wie sie die Lederjacke mit den Löchern an Rücken und Arm anzog, die ihr der Dämon beigebracht hatte.

Was genau hatte diese Kreatur mit ihr gemacht? Dämonengift. Wer wusste überhaupt, dass Dämonen Gift in ihren Klauen hatten? Es war so lange her, dass sie auf Erden umgegangen waren. Deshalb konnten sie nur auf Legenden und Aberglaube zurückgreifen und Vermutungen darüber anstellen, zu was Dämonen alles in der Lage waren.

Sobald sie wieder beim Hummer und seinem Handy waren, würde er nach einem Netz suchen und die anderen darüber informieren, was sie in Erfahrung gebracht hatten.

Fertig?, fragte er sie. Als sie nickte, setzte er sich mit einem Satz in einem Tempo in Bewegung, dem sie bequem folgen konnte. Schnell hatte sie ihn eingeholt und ging dann mit raschem Schritt an seiner Seite.

Er richtete seinen Katzenblick auf sie. Hast du dich vom Angriff des Dämons wieder erholt?

»Fast.«

Beschreib es mir. Was hat er mit dir gemacht?

»Ich denke, dass er mich wohl teilweise gelähmt hat. Ich konnte den Arm zwar bewegen, aber er fühlte sich schwer an. Wie betäubt. Ich habe immer noch das Gefühl, mich langsamer zu bewegen, als würde ich dreimal so viel wiegen, als ich es eigentlich tue, aber ich kann mich bewegen.«

Keine anderen Nebenwirkungen?

»Keine, die mir bewusst wären. Es geht mir immer besser, deshalb denke ich, dass das Gift von meinem Körper allmählich abgebaut wird. Ich kann immer noch kämpfen, Jag. Wenn wir ihn wiedersehen, kann ich auf jeden Fall kämpfen.«

Stark. Das Wort ging ihm immer wieder durch den Kopf, wenn er an sie dachte. Und er hatte, seit er sie das erste Mal gesehen hatte, nicht ein einziges Mal aufgehört, an sie zu denken.

Shit! Sie hatte ihren eigenen Vater umgebracht, schien sich deshalb aber überhaupt keine Gedanken zu machen. Klar, es war ein halbes Jahrtausend her, dass es passiert war, aber trotzdem. Über so etwas kam man nicht hinweg. Es wurde zu einem Teil von einem und verfolgte einen bei Tag und bei Nacht bis ans Ende des Lebens.

Vielleicht war der Typ ja ein Mistkerl gewesen. Vielleicht hatte er versucht, ihr etwas anzutun. Oder sie zu töten, wie es einst das Schicksal aller gewesen war, die von Dradern geküsst worden waren.

Es ging ihn nichts an, aber die Frage ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, bis er sie ihr schließlich stellte.

Hattest du vor, deinen Vater umzubringen?

»Natürlich nicht. Ich habe ihn über alles geliebt. Er war alles, was ich hatte.«

Wie kannst du mit so einer Schuld leben? Bist du schließlich einfach darüber hinweggekommen?

Sie schwieg so lange, dass er schon dachte, sie würde nicht mehr antworten.

»Man kommt nie darüber hinweg. Es vergeht kein Tag, an dem ich ihn nicht vermisse, an dem ich nicht den Moment bedauere, in dem ich kurz die Kontrolle verlor und ihn umbrachte. Aber ich habe irgendwann gelernt, mir zu vergeben und nach vorn zu schauen statt in die Vergangenheit.«

Er dachte an das, was sie auf der Fahrt hierher zu ihm gesagt hatte, als sie ihm vorgeworfen hatte, sich selbst genauso zu hassen, wie sie sich einst gehasst hatte. Jetzt begriff er, was sie durchgemacht haben musste.

Aber es hatte trotzdem nichts mit ihm zu tun.

Sie waren erst ein kurzes Stück gegangen, als ihm wieder der gottserbärmliche Gestank des Dämons in die Nase stieg und ihn zurück in die Gegenwart riss. Ich rieche ihn.

»Ich spüre auch etwas. Ein Kribbeln von Energie. Es ist nur ein Anflug von dem, was ich spürte, als der Dämon vor mir auftauchte, aber vielleicht hat er eine Fährte hinterlassen, damit ich ihm folge.«

Gut. Wir holen uns diesen Mistkerl, Rotschopf.

Beide Fährten gingen exakt in die gleiche Richtung, woran er erkannte, dass sie auf der richtigen Spur waren, auch wenn sie mal stärker und dann wieder schwächer wahrzunehmen war. Es war eine ruhige Nacht, und der Mond verschwand immer wieder hinter Wolken, aber seine Sicht wurde davon nicht beeinträchtigt. Es hielten sich keine Menschen in der näheren Umgebung auf, vor denen er sich hätte in Acht nehmen müssen, und wenn die Drader wieder angriffen, würde das so keine Rolle spielen.

Dieses Wissen verschaffte ihm eine seltsame Erleichterung. Jeder von ihnen würde mit seinen eigenen einzigartigen Fähigkeiten gegen die widerlichen Mistviecher kämpfen. Olivia konnte sie ganz nah an sich herankommen lassen, ohne dass ihr etwas passierte, während er seine tierische Gestalt beibehielt und jederzeit zuschlagen konnte. Sie gaben ein wirklich schlagkräftiges Team ab. Im Moment.

Was zum Teufel sollte er mit ihr machen? Lyon würde stinksauer sein, wenn Jag sie zurück ins Haus des Lichts brachte, ohne ihn vorzuwarnen, was sie war. Verdammt, der Boss würde schon sauer sein, wenn er sie nur in die Nähe der Krieger brachte.

Olivia behauptete zwar, dass sie sich perfekt unter Kontrolle hatte, aber jemand, der von Dradern geküsst worden war, konnte extrem gefährlich werden, wenn er es wollte. Mit einer Ausnahme: Sie konnte keine Nahrung zu sich nehmen, konnte keinem schaden, ohne dass er es merkte. Was bedeutete, dass sie absolut niemandem schaden konnte, solange er nur in ihrer Nähe blieb und sie aufhielt, falls es doch passierte.

Denn sie brauchten sie. Zumindest jetzt. Sie war eine hervorragende kleine Kämpferin, eine gut ausgebildete Kriegerin mit ein paar besonderen Fähigkeiten, die ihnen bei den Gegnern, mit denen sie es zu tun hatten, gerade recht kamen.

Am Ende würde ihm jedoch nichts anderes übrig bleiben, als ihr Geheimnis zu enthüllen. Denn sosehr es ihm auch gefallen mochte, Lyon gegen sich aufzubringen, wäre es ein Verstoß, den ihr Anführer niemals vergeben würde, wenn er diese Art von Geheimnis für sich behielt.

Doch bis dahin gehörte Olivia ihm.

Olivia flitzte im Dauerlauf neben dem Jaguar her, um mit ihm Schritt zu halten. Das störte sie nicht, denn die Nacht war irgendwann zu Ende, und sie hatte noch eine Rechnung mit dem Dämon zu begleichen.

Wenn nur ihr Körper endlich das Gift ausgeschieden hätte. Sie spürte immer noch eine Schwere in den Knochen, die allerdings nicht mehr ganz so schlimm wie zuvor war. Die Ironie an der Sache war, dass sie sich trotz der Schwere ihrer Glieder wegen der Lebenskraft, die sie dem Dämon entzogen hatte, stärker und leistungsfähiger fühlte.

Wie häufig musst du Nahrung zu dir nehmen?, fragte Jag, nachdem sie gut drei Meilen zurückgelegt hatten.

»Die Energie von einem halben Dutzend Dradern sättigt mich für Stunden. Wenn ich mich unter Therianern oder Menschen aufhalte, hängt es davon ab, wie viele da sind und wie gefühlsgeladen die Situation ist. Bei Menschen muss ich besonders vorsichtig sein. Wenn es nur ein paar sind, kann ich nur ganz wenig zu mir nehmen.«

Wie häufig bringst du dabei einen um?

»Seit der Sache mit meinem Vater habe ich niemanden mehr versehentlich getötet. Zumindest weiß ich von keinem.«

Aber mit Absicht hast du schon welche umgebracht?

»Natürlich. Welcher Krieger tut das nicht?«

Stimmt. Du nutzt deine Gabe zusammen mit deinen Waffen?

»Wenn ich einen Gegner aussaugen kann, ohne andere dabei zu verletzen, dann schwäche ich ihn. Aber ich kann nur dann von einer einzigen Person zehren, wenn ich sie packe und festhalte.«

Zu dumm. Diese Fähigkeit zielgerichtet einzusetzen, wäre eine mächtige Waffe. Hast du jemals jemanden umgebracht, weil er es verdient hatte? Es wäre ein Leichtes für dich, nicht wahr?

Sie gab nicht sofort eine Antwort. Die Frage wühlte Erinnerungen auf, die sie lieber ruhen gelassen hätte. Aber die Möglichkeit, das erste Mal nach Jahrhunderten frei mit jemandem über alles zu sprechen, besaß einen zu großen Reiz, und sie ertappte sich dabei, dass sie ihm ehrlich und ohne Vorbehalte antwortete.

»Nachdem mein Vater tot war, hatte ich entsetzliche Angst, so einen Fehler weitere Therianer zu töten noch einmal zu machen, deshalb lebte ich weiterhin für mich allein.« Sie schluckte. »Natürlich wurde ich dadurch zur leichten Beute für Menschen. Für Männer.«

Shit. Hast du die Mistkerle umgebracht, ehe sie ?

»Nein. Beim ersten Mal wusste ich nicht, was sie von mir wollten. Ich hielt es einfach für Freundlichkeit, als sie mich an ihr Lagerfeuer einluden, und ich fühlte mich so allein.«

Sie haben dich vergewaltigt.

»Ja. Ich hätte sie töten können, aber ich hasste mich selbst so sehr dafür, dass ich meinen Vater umgebracht hatte, dass es sich irgendwie gerecht anfühlte. Es schien mir, als würde mir die Göttin endlich die Strafe zukommen lassen, die ich verdient hatte. Ich ließ es wieder und wieder geschehen, suchte die Nähe von groben oder betrunkenen Männern, suchte förmlich diese Strafe.«

Wie alt warst du, als das anfing?

»Siebzehn.«

Olivia. Es tut mir so leid. Der Schmerz, der in seiner Stimme mitschwang, überraschte sie, und die Ehrlichkeit, die sie darin wahrnahm, legte sich wie ein schützender Kokon um sie. Wenn er damals dabei gewesen wäre, hätte er die Männer umgebracht für das, was sie ihr angetan hatten. Irgendwie wusste sie das.

Ihre Geschichte hatte seinen Beschützerinstinkt geweckt, derselbe, der ihn auch Pink hatte verteidigen lassen. Wieder einmal sagte ihr ihr Gefühl, dass sich hinter seiner Böser-Junge-Fassade ein anständiger Mann verbarg.

Nachdenklich musterte sie die Katze. Er war entschlossen gewesen, sie seinem Willen zu beugen, als er ihr befahl, sich auszuziehen und vor ihm auf die Knie zu gehen. Und dann war er nur zärtlich gewesen. Fordernd, ja. Er hatte sie gereizt, damit sie ihn anflehte, sie zu nehmen, wild entschlossen, sich durchzusetzen.

Doch dann hatte er ihr nur Freude und Lust geschenkt.

Ihr Stolz mochte zwar verletzt sein, aber ihr Körper fühlte sich warm und befriedigt an.

Jag blieb stehen. Riechst du das, Rotschopf?

Ein übler Geruch stieg ihr in die Nase – wie der Gestank von Müll, nur schlimmer.

»Ist das der Dämon?«

Da bin ich mir sicher. Ich wette hundert Dollar, dass der Gestank aus dem Haus da kommt.

Olivia blinzelte und schaute sich um. »Welches Haus?« Sie sah nur Bäume, die aus dichtem Unterholz aufragten.

Der Jaguar drehte den Kopf zu ihr und musterte sie interessiert, ehe er seinen Blick wieder auf das richtete, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Die Magie ließ ihre Haut kribbeln, als er sich wieder in einen Mann verwandelte. Sein kräftiger Körper schimmerte im Mondlicht.

»Jetzt wissen wir also, dass es aus dem Haus da kommt. Das ist ein verdammt mächtiger Schutzwall, wenn nicht einmal therianische Sinne etwas wahrnehmen.«

Überrascht sah Olivia ihn an, während sich Gänsehaut auf ihren Armen ausbreitete. »Wo ist das Haus? Wie weit weg ist es?«

»Es befindet sich etwa zwanzig Meter vor uns.«

»Auf keinen Fall.« Da waren überall Bäume. Nichts als Bäume. »Seit wann verfügen die Zauberer über die Art von Macht, mit der man ein Haus vor einem Therianer verbergen kann?«

»Seit ihr Anführer, Inir, vom Bösen infiziert worden ist und offensichtlich Zugang zu besonders starker Magie erlangt hat. Die Zauberer lassen alle möglichen schlimmen Sachen wiederauferstehen, die Tausende von Jahren in Vergessenheit geraten waren. Das meiste davon steht in Zusammenhang mit dunkler Magie.«

»Warum kannst du das Haus sehen und ich nicht?«

Er bedachte sie mit einem kleinen selbstgefälligen Lächeln. »Ich bin ein Krieger des Lichts. Ein verdammter Supermann.« Seine Hand streichelte ihren Hintern. »Hast du das noch nicht mitbekommen?«

Geistesabwesend schob sie seine Hand weg. Die Vorstellung, dass sie mitten in eine Festung der Zauberer hätte stolpern können und es erst bemerkt hätte, wenn es zu spät gewesen wäre, beunruhigte sie.

Sie ließ den Blick schweifen, und Schauer liefen ihr über den Rücken. Wurden sie gerade von unsichtbaren Zauberern beobachtet? Sie konnten überall sein, und sie würde es nie erfahren.

Ihr Blick fuhr zu Jag herum. »Erzähl mir, was du siehst.«

»Ich kann es dir zeigen.« Das Funkeln in seinen Augen sagte ihr ganz genau, wie er das bewerkstelligen wollte. Ein sexueller Höhepunkt öffnete den therianischen Geist für Magie so, wie es sonst nicht möglich war.

Heilige Göttin, ihr Körper hatte sich vom letzten sinnlichen Ansturm noch nicht wieder erholt. Eine Wiederholung war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte.

In seine Augen trat ein verschmitzter Ausdruck. »Ich werde es schnell machen, aber du wirst dich beherrschen müssen, damit du nicht deine kleinen Lustschreie von dir gibst, sonst stürzen sich gleich alle auf uns.«

Sie hätte es ihm am liebsten verweigert. Wirklich. Aber es drängte sie noch viel mehr, die Zauberer zu sehen.

Mit einem missmutigen Seufzer streckte sie ihm die Hand hin. »Mach schnell.«

»Dann spreize die Beine für mich, Süße. Ich werde mir gleich deine empfindlichste Stelle vornehmen.«

Olivia biss die Zähne zusammen. »Muss ich dafür meine Hose ausziehen?«

»Nur wenn du es willst.«

»Will ich nicht.«

Sie gab ein verärgertes Brummen von sich und spreizte die Beine.

Jag sah ihr in die Augen, und ein Lächeln zuckte um seine Lippen. Dann trat er hinter sie und legte eine Hand über ihren Mund.

»Nur vorsichtshalber«, sagte er leise, während er mit dem Daumen über ihre Wange strich.

Er beugte sich über ihre Schulter, schob die andere Hand zwischen ihre Beine und legte sie auf ihren Venushügel.

»Sieh geradeaus nach vorn«, raunte er an ihrer Schläfe.

Sie erstarrte und hielt in Erwartung der heißen Woge den Atem an. Sie brauchte nicht lange zu warten. Lust floss in einem Strom köstlicher Glut in ihr empfindsames Fleisch, und ihre Beine wurden ganz weich. Jag hielt sie fest und zog sie eng an seinen Körper, sodass sie seine Erektion spüren konnte, die von Minute zu Minute härter wurde. Als der Höhepunkt aus dem Zentrum ihrer Weiblichkeit aufstieg und über ihr zusammenschlug, brach ein Stöhnen aus ihr hervor, das Jag mit seiner Hand kaum ersticken konnte. Der Höhepunkt riss sie mit, während Krämpfe sich zuckend lösten und er sie weiter fest an sich drückte.

»Schau, Rotschopf. Sieh hin!«

Sie zwang sich, die Augen trotz der Lustgefühle, die ihren Körper durchströmten, zu öffnen und keuchte vor Schreck, als wie aus dem Nichts vor ihr ein Haus erschien.

Wie Jag gesagt hatte, stand keine zwanzig Meter von ihnen entfernt ein großes, baufälliges Haus mit verschmutzter, ursprünglich weißer Holzverkleidung und einer Veranda, die ums ganze Gebäude herumführte und an einer Stelle verrottet zu sein schien. Und genau davor stand auf einem Schotterweg, der als Auffahrt diente, der rote Pick-up.

Sie spannte alle Muskeln an und schüttelte den Kopf, bis Jag die Hand von ihrem Mund nahm und sie warm und fest auf ihre Brust legte. Unwillkürlich drängte sie sich gegen seine Hand, denn sie spürte immer noch die Nachwirkungen des eben erlebten Höhepunkts.

»Das ist der Wagen, dem ich hinterhergefahren bin«, flüsterte sie.

Er zog seine Hand zwischen ihren Beinen hervor, um ihren Unterleib zu streicheln. Seine Hand vibrierte, als würde er am ganzen Körper zittern. Er drückte seine Wange an ihre Schläfe und sagte mit leiser, gepresster Stimme: »Du hast ja keine Ahnung, was es mit mir macht, dich zum Kommen zu bringen.«

Sein steifes, pochendes Glied lag fest zwischen ihren Körpern und zuckte.

»Ich habe so eine schwache Ahnung«, erwiderte sie heiser.

Leidenschaftliche Glut hielt beide in ihrem Bann, und in ihr brannte das Feuer immer noch lodernd trotz des eben erlebten, überwältigenden Orgasmus. Sie rang mit sich, ob sie ihm zum ersten Mal nachgeben sollte, und wusste genau, dass sie ihn gebeten hätte, sie noch einmal zu nehmen, wäre die Situation nicht so gefährlich gewesen.

Langsam und widerstrebend nahm Jag die Hände von ihr und trat zur Seite. Seine Erektion ragte steinhart und dick wie ihr Handgelenk steil nach oben.

»Das sieht aus, als würde es wehtun«, murmelte sie.

»Verschaffst du mir Erleichterung, indem du mir einen bläst?«

Bewusste Grobheit, mit der er für etwas Distanz zwischen ihnen sorgen wollte. Mittlerweile durchschaute sie seine Spielchen.

Doch als sie seinen herrlichen Schwanz betrachtete, kam in ihr der Wunsch hoch, genau das zu tun ihn tief in den Mund zu nehmen.

Er nahm eine Locke ihres Haars, wickelte sie um seinen Finger und zog sanft daran. »Wenn du weiter so guckst, ist blasen nicht mehr notwendig.«

»Verschieben wir’s auf ein andermal?«, fragte sie mit sanfter Stimme und sah zu ihm auf.

Er zog die Augenbrauen hoch, und ein Lächeln zuckte um seine Lippen. »Jedes Mal, wenn ich meine, dich endlich durchschaut zu haben, überraschst du mich aufs Neue.«

Sie merkte, dass sie sein Lächeln erwiderte. »Das merke ich.«

In seine Augen trat ein Lachen, und er zog an ihrem Haar. »Du bist ja ganz schön selbstsicher, nicht wahr?« Er ließ ihr Haar los, legte die Hand an ihre Wange und strich mit dem Daumen über ihre hochsensible Unterlippe. »Wir werden dieses Gespräch später fortsetzen. Dies ist jetzt weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort.« Er hielt ihr die Hand hin, und sie zögerte nur einen Moment, ehe sie sie ergriff. »Dann wollen wir uns mal umschauen.«

Jag führte sie durchs Unterholz und mied den Bereich, wo man sie hätte sehen können, wenn man aus dem Fenster schaute. Im Haus brannte Licht, doch die Vorhänge waren zugezogen, sodass Olivia nichts sehen konnte.

Beide erstarrten, als zwei Zauberer um die Ecke kamen und vorn am Haus vorbeigingen. Zweifellos handelte es sich um Wächter.

Als die Zauberer ihnen den Rücken zukehrten, führte Jag sie langsam ums Haus herum, um auf einmal so abrupt stehen zu bleiben, dass sie gegen ihn lief und ihre Schulter sich gegen seinen warmen Arm drückte.

Sie verschwendete keinen Atem mit einer Frage, sondern folgte nur seinem Blick zu zwei dicken Pfosten, die mitten im Hintergarten standen. An den Pfosten schienen irgendwelche Fleischbrocken zu hängen.

Sie zog die Augenbrauen zusammen, während sie überlegte, was das sollte. Versuchten sie damit, irgendwelche Tiere anzulocken?

Doch als ihr Gehirn das Gesehene zu verarbeiten begann, bemerkte sie den Stiefel, der noch am einen Ende des blutigen Fetzens hing. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie begriff. Ein Würgen unterdrückend drehte sie den Kopf und drückte die Stirn an Jags Schulter. Eine bebende nackte Schulter, die plötzlich mit kaltem Schweiß bedeckt war.

»Mistkerle«, knurrte Jag. »Sie benutzen Menschen, um damit Dämonen anzulocken.«

Wie immer im Angesicht zu großer Grausamkeit begann ihr Kopf schmerzhaft zu pochen. Die Menschen waren lebend an die Pfosten gefesselt worden, denn Dämonen ernährten sich von Furcht und Schmerz. Waren das die beiden Männer, die sie im Supermarkt gesehen hatte? War das ihr Fleisch, das jetzt dort hing? Heilige Göttin. Sie rang um Selbstbeherrschung, wie sie es vor so langer Zeit gelernt hatte, als sie eine Kriegerin geworden war.

Jag riss sich von ihr los, und ein leises animalisches Knurren drang aus seiner Kehle.

Olivia hob den Kopf und sah, dass Reißzähne zwischen seinen Lippen hervorschauten.

»Ganz ruhig, Krieger. Du kannst es nicht allein mit ihnen aufnehmen, auch wenn ich dir helfe. Vor allem, da wir nicht wissen, zu was sie alles in der Lage sind.« Sie strich ihm langsam und beruhigend über den Rücken. »Ganz ruhig, Jag.«

Langsam zogen sich seine Reißzähne wieder zurück, und er schaute sie mit wütendem Blick an. Eine Wut, die nicht gegen sie gerichtet war. »Es könnten sich weitere im Haus befinden, die noch am Leben sind.«

»Wir bitten um Verstärkung «

Jags Hand legte sich blitzschnell auf ihre Schulter, um sie zum Schweigen zu bringen, als sich die Haustür öffnete. Sie sahen zwei Personen die kleine Treppe herunterkommen, einen Mann und eine Frau, die beide die traditionelle Kleidung der Zauberer trugen. Es war dieselbe braunhaarige Frau, die sie auf dem Parkplatz des Supermarktes gesehen hatte.

Als die Frau die unterste Stufe erreichte, strauchelte sie.

Sogleich schoss die Hand des Mannes vor, um sie zu stützen. »Mystery?«

Die Frau Mystery? winkte ungeduldig ab. Sie hatte ein arrogantes, selbstbewusstes Auftreten, obwohl sie gerade fast das Gleichgewicht verloren hatte. »Alles in Ordnung. Wie lange ist er fort?«

»Zehn Minuten. Die beiden haben nicht lange vorgehalten.«

Die Hexe würdigte die Leichen kaum eines Blickes. Stattdessen schaute sie zur Regenrinne des Hauses, wo dunkle Kugeln hingen und unter kaum sichtbaren Blitzen knisterten.

»Lange genug«, murmelte sie.

»Sind die Energiekugeln gefüllt?«

»Anscheinend ja.« Ein zufriedener Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht. »Reine Dämonenenergie. Die mächtigste Energie auf Erden.«

»Glaubst du, es wird reichen?« An der devoten Haltung des männlichen Zauberers erkannte Olivia, dass er der Untergebene von beiden war.

»Das weiß man nicht. Der Letzte, der es versuchte, war Satanan selber. Das Projekt wird vollendet sein, wenn es vollendet ist.«

Als der Mann die Kugeln herunterholte, kamen die beiden Wächter um die Ecke.

Mystery deutete auf die beiden Leichen, die an den Pfosten hingen. »Schafft sie weg.« Als sich einer der Wächter verbeugte, fuhr sie fort: »Reicht die Zeit vor Sonnenaufgang für eine weitere Fütterung?«

»Nein, Zauberin. Die Sonne wird in spätestens zwei Stunden aufgehen. Heute Nacht kommt der Dämon nicht noch einmal.«

»Na schön.« Sie drehte sich um und ging die Treppe wieder hoch ins Haus zurück.

Olivia drehte sich im gleichen Moment zu Jag um, als sich dieser ihr zuwandte. Sie sahen sich besorgt an. »Was meinst du, um was es bei diesem Projekt geht?«, fragte sie im Flüsterton.

»Mich soll der Teufel holen, wenn ich das weiß. Aber wenn der Letzte, der es versuchte, Satanan war, dann ist eines ganz sicher: Wenn es ihnen gelingt, stecken wir in riesigen Schwierigkeiten.«