1

Olivia saß mit geradem Rücken und übereinandergeschlagenen Beinen auf der Kante des mit Leder bezogenen Stuhls; ihr Fuß in dem hochhackigen Schuh wippte vor sorgfältig beherrschter Erregung, während Lyon, der mächtige Anführer der Krieger des Lichts, in dem mit Holz verkleideten Besprechungszimmer des Hauses des Lichts mit energischen Schritten auf und ab ging. Draußen war es dunkel geworden, doch im Raum blitzte und funkelte es vor Licht und Energie.

Ihr Blick glitt den großen Konferenztisch entlang, und sie schaute die Krieger mit fast unverhohlener Ehrfurcht an. Heute waren nur fünf von ihnen da Lyon, der Anführer der Gruppe, Tighe, Paenther, Wulfe und die Nervensäge Jag , doch sie strahlten solch eine Stärke aus, so eine pure, ungebändigte Kraft, dass man das Gefühl hatte, es befänden sich viel mehr von ihnen im Raum.

Alle Krieger waren außergewöhnlich groß, muskelbepackt und das Objekt der Begierde vieler Therianerinnen. Vieler Frauen, um genau zu sein. Sie waren die Wächter der therianischen Rasse, die einzigen Gestaltwandler, die es noch auf dem Planeten gab. Und sie waren mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die Einzigen, die die endgültige Vernichtung der Welt verhindern konnten.

Erstaunlicherweise hatten sie sie um Hilfe gebeten.

Na ja, nicht explizit um ihre Hilfe. Vor mehreren Wochen hatte Lyon bei der Britischen Wache angerufen der besten therianischen Kampfeinheit und einen kleinen Trupp von Kämpfern angefordert, die seine Krieger unterstützen sollten. Die Krieger des Lichts waren einfach zu wenige geworden, jetzt, wo sie nur noch zu acht waren und die Schlacht an mehreren Fronten geschlagen werden musste. Das wusste keiner besser als ihr Anführer.

Olivia hatte den Auftrag bekommen, den Trupp von drei therianischen Wachen zum Haus des Lichts zu geleiten. Der Auftrag ihres unsterblichen Lebens.

Nur eine Sache eine Person trübte die Vollkommenheit dieses Moments.

Der Krieger des Lichts Jag.

Olivia spürte, wie er sie über den riesigen Konferenztisch hinweg so aufmerksam beobachtete wie ein Tier, das auf der Jagd ist. Zwar versuchte sie, ihn zu ignorieren, ertappte sich aber dabei, dass sie in seine Richtung schaute und ihn mit einem eisigen Blick durchbohrte, der jedoch lediglich bewirkte, dass sich Lachfältchen um seine Augen bildeten.

Heilige Göttin! Er nervte sie. Doch gleichzeitig faszinierte er sie auf eine ihr völlig unverständliche Weise. Er war ein Idiot erster Güte. Das wusste sie genau. Jeder, mit dem sie sprach, wusste es. Jag hatte in der therianischen Bethesda-Enklave, wo sie, Niall und Ewan untergebracht waren, einen gewissen Ruf.

Und trotzdem wurden ihre Beine jedes Mal weich, wenn sie ihn sah, und es breitete sich eine seltsame Wärme in ihrem Körper aus. Jedes Mal, wenn ihre Blicke sich trafen, fing ihr Herz an zu wirbeln wie die Rotorblätter eines Hubschraubers. Er übte auf sie eine ungeheure Anziehungskraft aus, und sie wusste nicht, warum. Gewiss er war sehr attraktiv mit den hohen Wangenknochen, dem markanten Kinn und dem ach-so-faszinierenden Mund. Aber eigentlich lag viel zu häufig ein finsterer Ausdruck auf seinem Gesicht oder war sein Mund zu einem höhnischen Grinsen verzogen.

Allen Kriegern des Lichts war eine gewisse Wildheit zu eigen, aber bei Jag war sie noch deutlicher ausgeprägt. Das Haar hing ihm zottelig ums Gesicht, als hätte er es mit einem Messer gestutzt, und Hose und T-Shirt wiesen Tarnfarben auf, als wollte er gerade in den Urwald aufbrechen aber nicht, um wie eine Wildkatze auf die Pirsch zu gehen.

Sie musste allerdings zugeben, dass die engen T-Shirts seine beeindruckenden Muskeln sehr vorteilhaft hervorhoben und den Blick auf seine breite Brust lenkten. Um seinen muskulösen Oberarm schlang sich der Reif mit dem Jaguarkopf, der ihn als Krieger des Lichts auswies.

Sie hatte Jag zum ersten und bisher einzigen Mal vor über einer Woche gesehen und war total angewidert gewesen von ihm. Seitdem musste sie ständig an ihn denken.

»Ihr habt für eine Verbindung zum FBI gesorgt?«, fragte Lyon und sein Blick richtete sich auf Tighe.

Der Krieger des Lichts, der sich, wann immer er wollte, in einen Tiger verwandeln konnte, nickte. »Delaney und ich haben uns mit einem ihrer alten Kollegen getroffen, aber er wird sich an nichts mehr erinnern. Er sieht und hört jetzt für uns und weiß es noch nicht einmal.«

Von allen Kriegern des Lichts war Tighe ihrer Meinung nach der charmanteste. Er bekam Grübchen, wenn er lächelte, und besaß lachende Augen, die jedes Mal funkelten, wenn er seine Frau, Delaney, anschaute. Die beiden bildeten ein auffallend attraktives Paar; sein Haar war so hell wie ihres dunkel, und beide strahlten für sich eine Energie aus, die sie in eine gemeinsame Aura der Kraft hüllte. Sie hatte gehört, dass Delaney früher FBI-Agentin und sterblich gewesen war. Und dass jetzt weder das eine noch das andere mehr für sie galt.

Wirklich außergewöhnlich. Andererseits neigten Dinge nun einmal dazu, sich zu verändern.

Vor langer, langer Zeit waren alle Therianer dazu in der Lage gewesen, ihre tierische Gestalt anzunehmen. Alle konnten ihre Gestalt wandeln. Doch vor fünftausend Jahren hatten sich die Therianer mit den Zauberern, die von jeher ihre Feinde gewesen waren, zusammengetan, wobei beide einen großen Teil ihrer Macht aufgaben in dem verzweifelten Versuch, den Erzdämon Satanan zu besiegen und ihn und seine Dämonenarmee ein für alle Mal in der verwunschenen Klinge der Dämonen einzuschließen. Als die Schlacht vorbei war, konnte nur noch jeweils ein Therianer der verschiedenen Tierahnenlinien die Kraft seines Tieres und damit die Fähigkeit bewahren, die Gestalt zu wandeln. Derzeit gab es nur neun oder würden es wieder sein, wenn der neue Fuchs zu ihnen stieß.

Neun Krieger des Lichts.

Sie waren das Einzige, was zwischen Satanan und seinem letzten und bei Weitem gefährlichsten Versuch stand, sich aus seinem verzauberten Gefängnis zu befreien.

Irgendwie war der Anführer der Zauberer von einem Anflug eines mächtigen bösen Geistes befallen worden; manche hielten es für einen Hauch von Satanans ureigenem Bewusstsein. Sie befürchteten, dass Satanan durch diesen bösen Geist die Kontrolle über den Anführer der Zauberer erhalten hatte und dadurch auch über alle anderen Zauberer. Da ihm jetzt Satanans finsteres Wissen zur Verfügung stand, hatte er eine Möglichkeit gefunden, seinen eigenen Leuten die Seelen zu rauben – jenen, die so viel geopfert hatten, um vor so vielen Jahren der Bedrohung durch den Dämon Einhalt zu gebieten. Der seelenlose Zauberer wollte nur noch eins erreichen: Satanan und seine bösen Horden befreien.

Wenn den Zauberern dies gelang, würde die Welt in ihrer heutigen Gestalt aufhören zu existieren.

Tighe fuhr fort. »Wir haben genug Informationen über die beiden Serienmörder, die in den Blue Ridge Mountains unterwegs sind, sammeln können, um uns ziemlich sicher zu sein, dass es sich bei ihnen um zwei von unseren Dämonen handelt.«

Dämonen. Allein schon das Wort ließ Olivia frösteln. Die Drader waren nichts anderes als Überreste der mächtigen und furchteinflößenden Dämonen. Der Gedanke, dass diese kleinen, tödlichen Gegner mit Dämonenseelen wiederbelebt worden und jetzt so groß wie Menschen waren, jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Vor zehn Tagen war es dem Zauberer, der Satanans Horden unbedingt aus der magischen Klinge holen wollte, gelungen, drei von ihnen zu befreien. Zwar waren es keine denkenden, Ränke schmiedenden Dämonen, sondern nur räuberische Geisterdämonen; doch der Tod, den sie brachten, war schrecklich.

»Ich will, dass du mit einem Team hoch fährst und sie fängst, Tighe«, erklärte Lyon. »Ich brauche euch wohl nicht zu sagen, wie wichtig es ist, dass wir diese Wesen so schnell wie möglich vernichten.«

Der Gedanke, dass sie, Olivia, eine von denen sein würde, die dieser Bedrohung Einhalt geboten, löste bei ihr wieder einen Schwall der Erregung aus. Sie gehörte der Eliteeinheit der therianischen Wache jetzt seit mehr als dreihundert Jahren – seit ihrer Gründung – an, doch dies war das erste Mal, dass sie mit den Kriegern des Lichts tatsächlich zusammenarbeitete. Ihres Wissens war es überhaupt das erste Mal, dass die Gestaltwandler Hilfe von Therianern annahmen, die keine Krieger waren.

Olivia veränderte ihre Sitzposition und schlug jetzt das andere Bein über, wobei sie es geflissentlich vermied, Jag anzuschauen. Doch das schien nichts zu bringen. Sie wurde schon unruhig, wenn sie nur im selben Raum wie er war. Kribbelig. Heute genauso wie am ersten Tag. Sie war auf Lyons Wunsch hin mit ihren Männern ins Haus des Lichts gekommen, um mit ihm die mögliche Zusammenarbeit zu besprechen. Während sie mit Lyon geredet hatte, war Jag auf sie zugekommen, hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt, ihre Brust gedrückt und vorgeschlagen, dass sie ihn nach oben begleitete, um die Beine für ihn breitzumachen.

Zu seiner Verteidigung musste gesagt werden, dass er einem bösen Zauber ausgesetzt gewesen war und dringend einer sexuellen Reinigung bedurfte, um sich davon wieder zu befreien. Um ehrlich zu sein, hatte er sich ihr mit einem Zwinkern, einem Lächeln genähert, und hätte er ein bisschen mehr Respekt an den Tag gelegt, wäre sie vielleicht sogar auf seine Bitte eingegangen. Therianer waren Geschöpfe, für die Sex sehr wichtig war. Und so ungehobelt er sich ihr auch genähert haben mochte, so hatte ihr Körper doch auf ihn reagiert, war bei seiner Berührung, seiner Nähe, seinem Duft Erregung in ihr aufgestiegen.

Aber er hatte ihr keinen Respekt gezollt, und so hatte sie ihn mit einem kalten Lächeln bedacht, während sie ihren Pfennigabsatz bis zur Hälfte in seinen Spann gebohrt hatte.

Damit hätte es eigentlich erledigt sein müssen, aber die Krieger des Lichts waren ein stures Pack, und dieser hier, so vermutete sie, war wohl schlimmer als die meisten anderen. Als sich ihre Blicke jetzt über dem Konferenztisch begegneten, verzog sich ihr Mund zu einem kalten, höhnischen Lächeln, mit dem sie ihn schweigend an dieses erste Zusammentreffen und ihre für ihn schmerzhafte Abfuhr erinnerte. Doch statt der finsteren Miene, auf die sie gehofft hatte, trat ein Lachen in seine Augen, ein verschmitztes Leuchten, mit dem er ihr sagte, dass die Berührung ihres Busens den Schmerz wert gewesen war. Und es beim nächsten Mal auch wieder sein würde.

Erregung durchfuhr ihren verräterischen Körper, und sie wandte sich ab. Sie besaß viel zu viel Stolz, um sich zu einem Mann mit schlechtem Benehmen und unflätiger Sprache hingezogen zu fühlen, doch ihrem Körper schien das völlig egal zu sein. Ob nun mieser Kerl oder nicht der Mann war purer Sex, der ihre Haut zum Kribbeln brachte und ihr in jede Pore drang.

Fest entschlossen, ihn nicht weiter zu beachten, ließ sie ihren Blick schweifen. Neben Jag saß Wulfe, dessen schlimm vernarbtes Gesicht vor Konzentration ganz angespannt wirkte. Es war ihr schleierhaft, wie ein eigentlich schnell heilender Unsterblicher zu solchen Narben hatte kommen können, doch sie wollte nicht fragen. Er hatte sie zwar freundlich begrüßt, als sie einander vorgestellt wurden, aber ansonsten wirkte er zurückhaltend, als rechnete er damit, sie mit seinen Narben aus der Fassung zu bringen.

Neben Wulfe spielte Kara, Lyons Frau, unter dessen fürsorglich liebevollem Blick mit dem Kätzchen, das auf Skyes Schulter hockte. Skye war Paenthers Frau, eine Zauberin, die jedoch eine Seele besaß und eine gütige noch dazu. Direkt hinter den beiden Frauen stand Paenther wie ein furchteinflößender Leibwächter mit vor der Brust verschränkten Armen. Der Eindruck wurde jedoch von dem Anflug eines Lächelns gemildert, das jedes Mal um seine Lippen zuckte, wenn sein Blick auf seine Frau fiel.

Die Krieger des Lichts waren überaus fürsorglich. Eine besonders eng verbundene Bruderschaft. Doch sie spürte, dass dies für Jag nicht galt.

So sehr sie es auch versuchte, konnte sie ihn schließlich keinen Moment länger ignorieren, und sie stellte fest, dass er sie immer noch nervtötend unverwandt mit seinem Blick durchbohrte. In seiner tierischen Gestalt hätte bestimmt sein Schwanz gezuckt, während er sie wie eine Katze ansah, die auf den richtigen Moment wartete, um zuzuschlagen.

Eindeutig unzivilisiert. Nicht dass sie auf zivilisiertes Benehmen Wert gelegt hätte. Überhaupt nicht. Besonders nicht im Bett. Aber Respekt verlangte sie unbedingt. Und was sie von diesem Krieger des Lichts bisher gehört und gesehen hatte, sagte ihr, dass er absolut niemandem Respekt zollte. Ihr Körper mochte von dem Mann vielleicht fasziniert sein, aber ihr Stolz sagte, wo es langging. Jag würde einfach eine andere Frau finden müssen, die er verfolgen konnte. Diese hier war definitiv nicht interessiert.

Wenn nur ihr eigensinniger Blick endlich aufhören würde, sie zur Lügnerin zu machen.

Jag konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so fasziniert von einer Frau gewesen war.

Unter zusammengezogenen Augenbrauen musterte er Olivia und den adretten, hellbraunen Hosenanzug, unter dem sie einen dunkelgrünen Pullover trug. Und obwohl er wegen des Konferenztisches, der zwischen ihnen stand, ihre Füße nicht sehen konnte, wusste er, dass ihre schmalen Füße in Pumps, oder wie Frauen die Dinger auch nennen mochten, mit zehn Zentimeter hohen Absätzen steckten. Er hatte sie sofort bemerkt, als sie in den Raum gekommen war und sein Spann zu pochen angefangen hatte. Bei dem Gedanken musste er lächeln. Verdammt, er mochte es, wenn eine Frau tough war.

Er beobachtete sie über den Tisch hinweg, während ihr Blick in eine andere Richtung ging und sie so tat, als würde sie ihn ignorieren. Das feuerrote Haar hing ihr dick und glatt auf die Schultern, und es juckte ihm in den Fingern zu überprüfen, ob es sich genauso weich anfühlte, wie es aussah. Sie besaß ein ebenmäßiges, hübsches Gesicht, das aber trotzdem Stärke ausstrahlte ein entschlossenes Kinn, einen festen, arroganten Mund, die grauen Augen so scharf wie Glas und so kalt wie ein Winterhimmel.

Diese Augen zuckten nun über ihn. Sie versuchte, ihn nicht zu beachten, doch sie schaffte es nicht, den Impuls zu unterdrücken, dass ihr Blick immer wieder zu ihm zurückkehrte. Genauso wenig, wie er den Blick von ihr abwenden konnte.

Er hatte nie eine bemerkenswerte Vorliebe für Rotschöpfe gehabt, und genau betrachtet war an dieser Frau hier eigentlich nichts Besonderes. Doch Olivia war ein Paradebeispiel für den aristotelischen Ausspruch, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist. Die Frau war einfach umwerfend und zog ihn in einer Weise in ihren Bann, die er noch nicht einmal ansatzweise verstand. Vom ersten Moment an hatte sie ein Feuer in ihm entfacht, das keine Anstalten machte zu verlöschen.

Dafür musste er sie erst ins Bett bekommen und seine Begierde an ihr stillen. Was angesichts seiner ersten Annäherung wohl eine Herausforderung sein würde.

Normalerweise machte er sich nicht viel Gedanken darüber, wie Frauen auf seinen etwas absonderlichen Charme reagierten. Der Umstand, dass er ein Krieger des Lichts war, öffnete ihm trotz seiner hundsmiserablen Manieren die Tür zu vielen Schlafzimmern. Sobald er drin war, wusste er, was er tun musste, um sicherzustellen, dass man ihn wieder einlud wenn er jemanden nicht irgendwann zu sehr verärgerte. Was manchmal passierte. Sein Charme wurde einfach nicht ausreichend gewürdigt.

Der Gedanke brachte ihn zum Lächeln ein kurzes Zucken um seine Mundwinkel.

Olivia hatte es eindeutig nicht zu würdigen gewusst, wie er sie letzte Woche begrüßt hatte. Sogar für seine Verhältnisse war er ein bisschen zu weit gegangen, als er sich einer fremden Frau genähert und ihren Busen gedrückt hatte. Aber in dem Moment war er wegen des Zaubers, der versuchte, Einfluss auf ihn zu nehmen, nicht ganz bei sich gewesen, und sie hatte etwas an sich gehabt, das ihn wie ein Magnet anzog. Vielleicht war ihr Haar das Problem, dieser herrlich strahlende Schopf, die Art, wie er das Licht einfing. Oder der Anflug eines schottischen Akzents, der bei ihr manchmal mitschwang.

Vielleicht lag es auch daran, dass sie ihm kaum bis zur Schulter reichte, aber trotzdem den Raum mit ihrer Präsenz füllte, bis er an nichts anderes mehr denken konnte. Nichts anderes mehr sehen konnte. Oder vielleicht lag es auch an der Glut in ihrem Blick, die ihn gefangen nahm, am mühsam gezügelten Temperament, das sie hinter einem frostigen Auftreten verbarg.

Er wusste es einfach nicht, aber was immer es auch sein mochte, das ihn so zu ihr hinzog – es machte keine Anstalten, schwächer zu werden.

Okay, die Frau faszinierte ihn also. Früher oder später würde er sie dazu bringen, seinen Namen zu stöhnen und ihn anzuflehen, mit ihr ins Bett zu gehen. Das würde ihr nicht gefallen. In der Hinsicht gab er sich keinen Illusionen hin. Der Stolz stand ihr ins Gesicht geschrieben und war in jeder Bewegung ihres wunderbar zierlichen Körpers zu erkennen.

Nein, sie würde ihr Verlangen nach ihm als Schwäche ansehen und als Selbstbetrug, wenn sie ihn anflehte, mit ihr zu schlafen. Aber sie würde ihn trotzdem anflehen, denn nur wenige Frauen konnten ihm widerstehen, wenn er es sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, sie zu verführen.

Jag lächelte. Nicht einmal Olivia. So sehr sie es auch versuchte, der kleine, arrogante, verführerische Rotschopf schaffte es nicht, ihn zu ignorieren. Er ging ihr unter die Haut. Genauso, wie sie ihm.

Neben ihm ließ Wulfe die Knöchel knacken. »Haben wir irgendetwas Neues über diese Dämonen herausgefunden?«

Lyon presste die Lippen aufeinander. »Nein. Sie scheinen nichts weiter als seelenlose Fressmaschinen zu sein, was aber nicht bedeutet, dass sie ungefährlich sind. Hawke und Kougar haben versucht, eine der alten Dämonenfallen wieder aufzustellen, aber bisher ohne Erfolg. Nach fünf Jahrtausenden ist zu viel von unserem Wissen über diese Kreaturen verloren gegangen. Kougar hat zwar nicht aufgehört, an den Fallen zu arbeiten, aber wir können uns nicht darauf verlassen, dass sie auch funktionieren. Wir werden die Mistviecher auf die herkömmliche Art und Weise erledigen müssen.«

Jag wusste, was als Nächstes kommen würde. Man musste kein Hirnchirurg sein, um zu begreifen, warum die therianische Wache zur Party eingeladen worden war. Des Chef wollte die guten alten Zweierteams wieder ins Leben rufen. War das nicht süß?

Sein Blick richtete sich auf Olivia und forderte sie heraus, den Kopf in seine Richtung zu drehen, aber sie übersah ihn geflissentlich. Unter ihrem adretten Oberteil konnte er die Rundung einer wohlgeformten Brust erkennen. Sein Körper spannte sich bei der Erinnerung an das weiche Fleisch unter seiner Hand an. Eine Weichheit, nach der er sich jetzt sehnte.

Das war kein Witz, er war wohl wirklich von ihr besessen. Er konnte an nichts anderes denken, als ihr wieder nahe zu sein. Ob er nun schlief oder wach war, stets war sie in seinen Gedanken, während er sich vorstellte, wie sie sich nackt und mit gespreizten Beinen unter ihm wand und ihn anflehte, sie zu nehmen.

Ein Blick aus grauen Augen durchbohrte ihn, als hätte sie seine Gedanken vernommen. Nie und nimmer, meinte er sie laut rufen zu hören.

Er lächelte. Das würden sie wohl sehen, nicht wahr?

Lyons Stimme holte ihn aus seiner Versunkenheit. »Oben bei Harpers Ferry sind in letzter Zeit viele Menschen verschwunden. Es gibt keine Leichen, aber es könnte trotzdem ein dritter Dämon hinter dem Massaker stecken.« Lyons Blick ging zwischen Jag und Paenther hin und her. »Ihr beiden seid in der Höhle gewesen. Kann einer von euch eine Dämonenfährte aufnehmen?«

Jag nickte. »Na klar. Ich weiß nicht, ob meine Nase je wieder dieselbe sein wird.«

Paenther schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich es kann, Boss. Seit damals die Verbindung zu meinem Tier getrennt wurde, arbeiten meine Sinne nicht mehr so gut.«

»Jag, dann kümmerst du dich darum. Ich will wissen, ob Dämonen oder Zauberer etwas mit dem Verschwinden der Menschen zu tun haben. Und wenn ein Dämon dahintersteckt, will ich ihn tot sehen.«

»Aye, aye, Captain. Soll ich mir einen Partner suchen, mit dem ich das erledige?«

Lyon sah ihn argwöhnisch an. Als würde er dem, was sein Jaguar-Gestaltwandler tat oder sagte, nicht ganz trauen. Wie auch?

»Ja, einer von der Wache wird dich begleiten. Wer das ist, entscheidet Olivia.« Lyon wandte sich an Tighe. »Du wirst dich mit den beiden anderen von der Wache Kougar und Hawke anschließen. Du bist der Verantwortliche in deiner Gruppe. Paenther, dich schicke ich woanders hin. Der Schamane und Ezekiel stellen gerade ein kleines Team aus Zauberern und Therianern zusammen, um Jagd auf die Klinge der Dämonen zu machen und Inir festzusetzen. Du wirst das Ganze leiten.«

Jag beugte sich vor und zwang Olivia so, ihn anzusehen. »Na, was ist, Rotschopf? Willst du mein Partner sein? Wir werden richtig viel Spaß miteinander haben, Süße. Ich werde dich um den Verstand vögeln, wenn wir nicht gerade Jagd auf Dämonen machen.«

Olivias Augen blitzten vor Schreck auf, aber es lag noch etwas anderes in ihrem Blick etwas Finsteres, Brennendes.

Aus dem Augenwinkel sah er, dass sich die beiden Männer, die auch zur Wache gehörten, am anderen Ende des Raumes kerzengerade aufrichteten, als wären sie bereit, sich jederzeit auf ihn zu stürzen, um sie vor ihm zu schützen. Sie wollten es tatsächlich mit einem Krieger des Lichts aufnehmen. Lächerlich.

Wie ein Verkehrspolizist schoss ihre Hand hoch und gebot den beiden Einhalt, ohne dabei jedoch den Blick von Jag abzuwenden.

»Jag!«, fuhr Lyon ihn an. »Du wirst der Dame den gebührenden Respekt erweisen.«

Jag lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verzog den Mund zu einem leichten, befriedigten Lächeln. Oh ja, er liebte es, für gute Stimmung zu sorgen.

Olivia drehte sich jetzt ganz zu ihm um und ahmte dabei seine Haltung von eben nach, indem sie sich mit leutseliger Miene nach vorn beugte. Wenn er sie mit seinen Worten beleidigt hatte, ließ sie sich das nicht anmerken. Stattdessen zog sie eine flammend rote Augenbraue arrogant hoch. »Wie ich sehe, hat meine erste Lektion in Gehorsam nicht gefruchtet. Du bist ein bisschen schwer von Begriff, was?«

Jag lehnte sich wieder nach vorn, als würden sie Nase an Nase stehen und nicht von einem anderthalb Meter breiten Tisch getrennt sein. Als wären sie allein und nicht von seinen und ihren Leuten umringt. »Ich lerne am besten, wenn du mir dabei einen bläst.« Tief in seinem Innern knurrte ihn sein Tier wütend an.

Du brauchst dich nicht wie mein gottverdammtes Gewissen aufzuführen, raunte er dem Jaguargeist murrend zu.

Olivias Wangen röteten sich noch nicht einmal ansatzweise, aber in ihren Augen glitzerte es herausfordernd. »Das nächste Mal werde ich dir meinen Absatz durch die Eier bohren müssen.«

Jag grinste. Heilige Göttin, aber diese Frau schärfte all seine Sinne wie Blitze bei einem Unwetter. »Versuch es doch, Süße. Bin gespannt, ob du es schaffst. Versuch es nurBegleite mich, Olivia. Sei meine Partnerin. Er konnte die Worte nicht laut sagen. Es würde ihr viel zu viel Spaß machen, ihm einen Korb zu geben. Nein, er musste an ihren Stolz appellieren. Wenn ihn nicht alles täuschte, würde ihr Stolz noch sein bester Freund werden.

Jag lächelte. Verdammt und zugenäht, das wird lustig werden.