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Dummheit
Im Jahre 1170 A. D. erfuhr Peter Waldo, ein reicher Kaufmann aus Lyon, eine religiöse Umkehr. Er verschenkte all seine Reichtümer und wanderte in freiwilliger Armut durch das Land. Diese augenscheinliche Dummheit zog viele Verfolger wie auch Anhänger nach sich, und die letzteren nannten sich ‚die Armen von Lyon’. 1183 exkommunizierte Papst Luzius III. die größer gewordene Sekte der, Waldenser’, deren Mitglieder sich anstelle der päpstlichen Autorität auf die Schrift beriefen, sich weigerten, Eide zu schwören, und die Todesstrafe verdammten. Niemals machten sie das Kreuzzeichen, wie sie sich auch weigerten, weder das Marterinstrument, an dem Jesus gehangen hatte, noch die schmerzhafte und verspottende Dornenkrone zu verehren. Dennoch breiteten sich die Waldenser in den christlichen Landen aus: Viele Tausende ließen sich in den Cottischen Alpen an der französisch-italienischen Grenze nieder. Ihre unerschrockenen Missionare arbeiteten in Südfrankreich, dem südlichen Teil Deutschlands und in Norditalien. Aber die Inquisition verfolgte sie, und mehrere Jahrhunderte lang wurden sie grausam unterdrückt. Ihre Angehörigen mußten sich tarnen, und es bedeutete für sie eine nicht unerhebliche Gefahr, irgendwelche Literatur über ihren Glauben bei sich zu führen, weil dies zu Marter und Tod führen konnte. Es war jedoch schwierig, ohne irgendwelche Hilfen die Lehre zu verbreiten, denn viele Anhänger waren Analphabeten und unwissend. Aber aus diesem Umstand erwuchs eines der bedeutsamsten erzieherischen Mittel des Jahrtausends.
Wir befinden uns auf der Erde in der nahen Zukunft. Die Belastungen durch wachsende Bevölkerung und schwindende natürliche Ressourcen haben die Menschheit an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Es gibt nicht genügend Nahrung und Energie, um alle Menschen zu versorgen.
Doch man hat einen phänomenalen technischen Durchbruch erzielt: Materieübertragung. Man kann nun Menschen in Sekundenschnelle auf bewohnbare, urtümliche Planeten in der Kreisbahn ferner Sterne transportieren. Dies scheint die Lösung aus dem Dilemma der Menschheit zu bedeuten: Jetzt gibt es für jeden einen Platz.
Dieser Durchbruch führt zu dem umfangreichsten Exodus in der Geschichte der Menschheit; innerhalb eines Jahrzehnts werden so viele Menschen die Erde verlassen haben, daß kaum jemand übrigbleibt. Unglücklicherweise verschlingt die Materieübertragung eine ungeheure Menge an Energie. Die Energiequellen des Planeten werden schamlos ausgeplündert. Das hat die sonderbare Nebenwirkung, daß der technologische Stand der menschlichen Kultur sich zu wandeln beginnt: Die Menschen sind gezwungen, sich mit primitiveren Technologien zu befassen. Kerosinlampen ersetzen das elektrische Licht, Holz ersetzt Öl; Pferde treten an die Stelle von Autos, und Steinwerkzeuge ersetzen metallene. Die industriellen Grundlagen der Erdenwelt schwinden dahin, während ihre hochspezialisierten und intelligenten Diener in ihre Traumwelten emigrieren. Doch das Kolonisationsprogramm wird nur sehr verworren und unkoordiniert durchgeführt, wie es oftmals mit derartigen Programmen und Bewegungen geschieht, ungeachtet aller Warnungen vor einem Zusammenbruch.
Es ist der reine Wahnsinn. Die Menschheit ist wie der wunderschöne Träumer in Schlüssel 0 des Tarot – der Narr –, der mit erhobenem Blick auf der Suche nach großartigen Erfahrungen nach Nordwesten wandert und den seine Füße um ein Haar in einen Abgrund tragen. Er wird großartige Erlebnisse haben, oh ja! Mit was für grandiosen Erwartungen diese neue Welt verbunden wird! Was für ein beeindruckendes Ziel, die Bevölkerung der Erde ohne Mühe auf eine angemessene Anzahl zu bringen! Aber was für ein Verhängnis droht bei der Durchführung, weil man bei diesem Abenteuer keine vernünftigen Kontrollen eingebaut hat.
Doch es gibt auch positive Aspekte: Immerhin hat der Narr Träume und edle Ziele, vielleicht auch die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Vielleicht ist es besser, in den Abgrund zu fallen, als ohne Ehrgeiz zu Hause zu bleiben. Die Narretei der Erde in der Zukunft ist eine komplexe Sache mit vielen lauteren, wenn auch frustrierenden Elementen, die vielleicht schließlich doch das größte Potential retten.
Dies ist die Geschichte von einem jener Elemente, ein einzelner Faden in einem riesigen Gobelin: Bruder Pauls Suche nach dem Gott von Tarot.