16


»So weit ist es jetzt also schon gekommen«, murmelte ich düster und Frederik lachte neben mir. Sein Arm lag um meine Schulter und erheitert grinste er zu mir hinunter. »Komm, ich bin viel schlimmer dran als du.«

»Aber es sind meine Eltern«, protestierte ich der Form halber.

»Ja, gerade deswegen. Dich kennen sie schon, aber sie müssen doch glauben, dass ich verrückt bin, weil ich es mit dir aushalte«, witzelte er.

Ich wollte gerade ausholen, um ihn zu schlagen, da wurde die Tür aufgerissen. Meine Mutter grinste schuldbewusst. »Wirklich!«, rief sie und knetete nervös ihre Hände. »Ihr steht jetzt seit einer Viertelstunde vor der Tür. Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten.«

Dann trat sie eilig zur Seite, um uns hereinzulassen. »Ich bin Eva«, strahlte sie Frederik an. Überhaupt schien sie ganz hingerissen von seiner bloßen Anwesenheit zu sein. Ich verdrehte nur die Augen und zog meine Jacke aus. Selbst mein Vater drückte sich verdächtig im Türrahmen herum. Das konnte ja heiter werden.

Frederik schüttelte ihre Hand und sagte: »Frederik. Schön Sie kennenzulernen.«

Mit roten Wangen winkte meine Mutter ab und sagte: »Duzen reicht.« 

Ich befürchtete, dass sie ihm gleich das Haus überschreiben würde, nur weil er mich hierher begleitet hatte.

Jetzt kam auch mein Vater zu uns hinüber und ergriff Frederiks Hand. Er wurde zwar nicht so rot wie meine Mutter, schien aber auch nicht recht glauben zu können, dass ich es geschafft hatte, einen Mann einzufangen.

Genervt ließ ich die drei stehen und stieß die Tür zum Esszimmer auf. Ich stöhnte gequält auf. »Was für eine große Überraschung!«

Brav und ordentlich aufgereiht saßen ganz zufällig meine Schwester und mein Bruder samt jeweiligem Anhang am Tisch. Keiner gab sich die Mühe so zu tun, als wäre das hier ein Zufall. 

Nein, die Familie hatte sich versammelt, um die neuste Zirkusattraktion zu bestaunen: Den Mann in Helens Leben. Nun führte meine Mutter Frederik herein und er blieb hinter mir stehen. Sein Blick glitt über den gedeckten Tisch. Er seufzte und seine Schultern sanken deutlich sichtbar nach unten. Grinsend hielt ich die Hand auf und er zückte seine Geldbörse.

Meine ganze Familie sah erstaunt zu, wie Frederik mir äußerst widerwillig einen 20-Euro-Schein aushändigte, den ich mir zufrieden in die Hosentasche schob.

Daniel räusperte sich vielsagend und ich strahlte zufrieden in die Runde. »Ich habe gewettet, dass ihr alle hier sein würdet, aber Frederik wollte mir nicht glauben.«

Die Wangen meiner Mutter färbten sich intensiver und sie senkte verlegen den Blick. Mo biss sich auf die Unterlippe und versuchte auf diese Weise, ihr Lachen zu unterdrücken. Ich hatte mir schon gedacht, dass sie vermutlich am ehesten nachempfinden konnte, wie ich mich fühlte. Immerhin war ich vor nicht allzu langer Zeit hierher beordert worden, um Daniels neue Freundin zu bestaunen.

Um ihre Verlegenheit zu kaschieren, schnitt meine Mutter den Kuchen an und beauftragte meinen Vater damit, den Kaffee aus der Küche zu holen. Ein Seitenblick auf Frederik bestätigte mir, was ich längst wusste: Er war viel entspannter als ich und schien sich nicht im Mindesten unwohl zu fühlen.

»Damit sind dann wohl endgültig alle Hoffnungen für Don zu begraben, nicht wahr?«, frotzelte mein Bruder und bekam dabei direkt einen bösen Blick von meiner Mutter zugeworfen.

Bevor ich antworten konnte, machte Mo eine wegwerfende Handbewegung. »Ich glaube, Don hat im Moment genug eigene Probleme, zumindest verhält er sich ziemlich merkwürdig. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass dahinter eine Frau steckt. Doch andererseits: Es ist Don, der alte Frauenheld.«

Ich lächelte nur und erinnerte mich daran, wie er mich bei unserer ersten Begegnung angebaggert hatte. Nur mit Mühe war ich ihm entkommen. Zwar würde ich es nicht öffentlich zugeben, aber er war überraschend sensibel und charmant gewesen. Vermutlich war es an diesem Tag nur meine schlechte Laune gewesen, die mich zurückgehalten hatte.

»Warum grinst du so?« Frederik stieß mich mit dem Ellenbogen an und ich zuckte ertappt zusammen.

Aufgrund meiner Gedanken zog ich es vor, zu schweigen. Doch mein entzückender Schwager kam Frederik zu Hilfe: »Das, mein Lieber, ist das Gesicht, das die Damen machen, wenn sie an einen anderen Mann denken.«

Elenas Wangen röteten sich und Daniel zog die Augenbrauen hoch. Wieder biss Mo sich auf die Unterlippe und unterdrückte ein Prusten. Wenn sie so weitermachte, würde sie in kürzester Zeit eine blutige Lippe haben – der Tag schien nämlich mit Peinlichkeiten gespickt zu sein.

Leider waren weder Elena noch ich geistesgegenwärtig genug, einfach zu protestieren und so kam es einem Schuldeingeständnis gleich.

»Interessant«, sagte Frederik und griff nach seiner Kaffeetasse. Dann wandte er sich an Stephan: »Hast du noch ein paar Tipps auf Lager?«

Endlich löste Elena sich aus ihrer Erstarrung und zeigte auf ihren Ehemann: »Untersteh dich!«

Stephan grinste entschuldigend zu Frederik, der nur mit den Schultern zuckte. »Darauf kommen wir bestimmt noch einmal zurück.«

Selbst mein Vater lachte jetzt und ich war erleichtert, dass sie sich zumindest alle zu verstehen schienen. 


Schon an der Art, wie Daniel seine Gabel demonstrativ auf den leeren Teller legte, konnte ich erkennen, dass er etwas sagen würde, das ich nicht hören wollte. »Ich denke, jetzt stellt sich nur noch die Frage, welche Hochzeit Mama als nächstes planen wird.«

Ich blitzte ihn aus schmalen Augen an und erwiderte ruhig: »Wenigstens wird Frederik bei der Vorstellung nicht weiß wie die Wand.«

Irritiert drehte Daniel sich um und blickte geradewegs in Mos aufgerissene Augen. Der Schuss war wohl nach hinten losgegangen. 

»Junge, Junge«, sagte Frederik jetzt und fragte dann: »Wo finde ich denn die Toilette?«

»Wieder durch die Tür und dann direkt rechts«, erläuterte ich und Frederik stand auf. 

Er war noch nicht ganz aus dem Raum, da rief Daniel ihm hinterher: »Jetzt aber nicht panisch aus dem Fenster flüchten.«

Wütend warf ich meine Kuchengabel nach meinem Bruder, der sich lachend duckte.

»Helen! Daniel! Man sollte nicht meinen, dass ihr älter als zehn Jahre seid! Benehmt euch – und zwar beide!«, wies Mama uns sofort zurecht. Dann räumte sie mit einem Kopfschütteln die Teller zusammen. »Wenigstens Frederik scheint wohlerzogen und nett zu sein.«

Mein Herz begann ein wenig schneller zu schlagen. »Ach, dann findet ihr ihn nett?« Ich schob die Serviette auf dem Tisch umher.

Kritisch beäugte Elena mich. »Seit wann interessiert dich denn unsere Meinung?«

Auch mein Bruder ließ mich jetzt nicht mehr aus den Augen und mein Vater hatte vor Aufregung offensichtlich vergessen, dass er Kaffee hatte trinken wollen. Seine Tasse schwebte vor dem aufgeklappten Mund in der Luft.

Ich winkte ab. »Da habt ihr natürlich recht. Ich dachte nur, dass es praktisch wäre, wenn ihr ihn mögen würdet. Wir haben nämlich schon vor drei Wochen geheiratet.«

Die Stille war ohrenbetäubend. Alle starrten mich an, aber niemand wusste, wie er reagieren sollte. Genau in diesem Moment kam Frederik wieder herein und blieb sofort misstrauisch stehen. Die Augen meiner Mutter füllten sich mit Tränen. 

Mein Mann seufzte und sagte vorwurfsvoll: »Helen, du kannst das doch nicht einfach so ohne Vorwarnung erzählen. Du hast versprochen, dass du es sanft einleitest!«

»Hab ich doch«, maulte ich und fügte leiser hinzu: »Mehr oder weniger.«

Daniel schüttelte noch immer fassungslos den Kopf und ich konnte sehen, dass er fest damit gerechnet hatte, vor mir zu heiraten. Zufrieden schnitt ich ihm eine Grimasse, die er nur mit einem spöttischen Lächeln erwiderte. Dann beugte er sich zu Mo und flüsterte etwas in ihr Ohr. Ihre Augen wurden daraufhin so groß, dass ich Angst hatte, sie würden aus ihrem Kopf fallen und über den Boden davon rollen.

Elena verschränkte zufrieden die Arme. »Ich habe es gleich gewusst und auch gesagt.«

»Halt die Klappe!«, wies ich sie zurecht. 

»Helen!« Wieder ermahnte meine Mutter mich und ich zuckte schuldbewusst zusammen.

»Ich glaube, es ist Zeit für eine Flasche Sekt«, verkündete mein Vater und stand auf.

»Oder mehrere«, schlug zu meinem großen Erstaunen Mo vor. Daniel grinste und erhob sich ebenfalls, um meinem Vater beim Tragen zu helfen. 

Ich konnte meine Neugier nicht länger beherrschen und beugte mich ganz weit über den Tisch, Mo saß mir gegenüber. Niemand beachtete uns; Elena und meine Mutter waren zu sehr damit beschäftigt, Frederik zu verhören.

»Pst!«

Mo erwachte aus ihrer Starre, sah sich einmal kurz um und beugte sich mir entgegen.

»Was hat Daniel gerade zu dir gesagt?«, zischte ich leise.

Sie schluckte schwer und flüsterte kaum hörbar: »Tick tack, deine Zeit läuft ab.« Dabei schien sie noch blasser zu werden. Mit einem Mal konnte ich mir das Grinsen nicht verkneifen. 

Mo zeigte mit dem Finger auf mich. »Das ist alles deine Schuld! Du Verräterin! Ich dachte, ich könnte auf dich zählen. Aber vielleicht kann ich es noch herauszögern, bis Don verheiratet ist. Immerhin ist er mein älterer Bruder – dem darf ich doch nicht zuvorkommen, oder?«, fragte sie hoffnungsvoll in meine Richtung.

Ich lachte nur. »Weiß Don überhaupt, was heiraten ist? Die Ausrede lässt Daniel dir bestimmt nicht durchgehen.«

Im gleichen Moment wuchs Daniel hinter seiner Freundin aus dem Boden. »Was für eine Ausrede?« Mo zuckte zusammen und wagte es nicht einmal, sich umzudrehen.

Stephan tätschelte meine Schulter und lenkte mich so ab. Pflichtbewusst erhob ich mich und ließ mich umarmen. Obwohl – so schlecht fand ich das gar nicht mehr!

»Zieht ihr denn zusammen?«, wollte Elena jetzt wissen.

Stolz grinste Frederik. »Sind wir schon. Ich bin sehr geschickt vorgegangen und habe Helen ausgetrickst.«

»Was?« Beeindruckt zog mein Vater die Augenbrauen hoch.

»Ja«, bestätigte ich. »Meine Wohnung ist jetzt so eine Art Arbeitszimmer, in dem ein paar Sportgeräte stehen.«

»Also wie vorher«, lautete Daniels blöder Kommentar dazu. Ich warf ihm einen bösen Blick zu. Da bekam ich aus dem Augenwinkel mit, wie meine Mutter, die sich offenbar unbeobachtet fühlte, Frederik umarmte. Währenddessen besaß sie doch tatsächlich die Frechheit, ihm leise »Danke« zuzuraunen. War das zu glauben?

Ich wollte sie gerade zurechtweisen, da legte Daniel einen Arm um mich. »Lass sie«, murmelte er leise und drückte mich leicht. Er hatte recht, meine Mutter wirkte gerade sehr gelöst. »Sie ist glücklich, denke ich«, versicherte Daniel mir und gab mir einen seiner brüderlichen Küsse auf die Haare.

»Ich auch«, sagte ich leise und sah sein Grinsen.

»Na dann«, sagte er, zwinkerte mir zu und reichte mir eine Sektflasche.

Kaum hatte ich die Flasche an den Lippen, hörte ich schon wieder die vorwurfsvolle Stimme meiner Mutter. »Helen! Also wirklich, haben wir keine Gläser? Und du brauchst gar nicht so zu grinsen, Daniel! Ich habe genau gesehen, dass du ihr die Flasche gegeben hast. Was haben wir bei eurer Erziehung nur falsch gemacht?«

Demonstrativ nahm ich einen großen Schluck Sekt aus der Flasche und reichte sie an Daniel weiter, der es mir gleich tat. Dabei fing ich ein liebevolles Grinsen von Frederik auf, das ich mit einem leichten Flattern im Magen erwiderte.



ENDE