Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie neugeboren. Ich schlug die Augen auf, war sofort wach, voller Tatendrang und hatte enorm gute Laune. Nachdem ich die Kaffeemaschine programmiert hatte, tänzelte ich ins Bad und genoss die Dusche in vollen Zügen.
Unter dem heißen, prasselnden Wasserstrahl ließ ich den Kopf hängen und ein leichtes Ziehen in den Oberschenkeln erinnerte mich an die sportliche Betätigung der letzten Nacht. Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen und ich überlegte, ob ich Frederik ein regelmäßiges Arrangement anbieten sollte.
Frederik – eigentlich ein schöner Name. Vielleicht sollte ich meinen nächsten Protagonisten so nennen. Oder noch besser: Meinen nächsten Mörder. Während ich mir die Haare ausspülte, ließ ich mir die Idee durch den Kopf gehen.
Plötzlich traf mich die Inspiration mit voller Wucht und ich beendete die Dusche. Ich warf mich in meinen Bademantel und wickelte das Handtuch um meine Haare, dann eilte ich in die Küche und griff nach meiner Kaffeetasse. Kaum hatte ich sie unter dem Auslauf positioniert, ging ich zum Schreibtisch im Wohnzimmer und betätigte den Start-Knopf an der Rückseite des Bildschirms. Bis der Kaffee durch gelaufen war, konnte ich ja schon einmal die Vorbereitungen erledigen.
Mein Computer war sofort startklar und ich öffnete gierig wie ein Süchtiger ein leeres Textdokument.
Die Klingel riss mich aus meiner Konzentration. Wie üblich wollte ich sie ignorieren. Doch wer immer mich da besuchte, schien es ernst zu meinen, denn er klopfte zusätzlich gegen meine Tür. Überrascht hob ich den Blick vom Bildschirm und nahm meine verspannten Schultern zur Kenntnis. Verdammt, ich musste wirklich mehr auf meine Körperhaltung beim Schreiben achten – aber wenn mich die Muse küsste, vergaß ich alles um mich herum.
Wieder klopfte es und ich erhob mich mürrisch aus meinem Schreibtischstuhl. Genervt schlurfte ich zur Tür. Hoffentlich war es nicht diese Schnepfe aus dem dritten Stock, die schon wieder eine Mieterversammlung einberufen wollte, weil der Briefträger ihrer Meinung nach die Post zu lieblos in den Briefkasten stopfte. Das Leben musste herrlich sein, wenn man so viel Zeit hatte. Das Klopfen wollte einfach nicht aufhören und mit schmalen Augen riss ich die Tür auf.
Frederik sah auf mich herunter und fragte: »Sollten wir darüber reden?«
»Hm.« Ich dachte über seine Frage nach, als mein Magen auf einmal lautstark knurrte. So laut, dass es mir ehrlich gesagt peinlich war.
Verblüfft starrte Frederik mich an und sagte: »Vielleicht solltest du was essen.«
Zum Dank für seinen hilfreichen Rat bedachte ich ihn mit einem finsteren Blick. Dann bemerkte ich, dass ich noch immer im Bademantel war und das Handtuch auf meinem Kopf thronte – es fühlte sich merkwürdig klamm und kalt an.
»Moment, wie spät ist es?«, wollte ich wissen.
Grinsend sagte er: »Fast fünf Uhr, du solltest also eigentlich ausgeschlafen sein.«
»Blödmann.« Ich rieb mir mit der Hand über das Gesicht und hatte mit einem Mal eine Erklärung für meinen knurrenden Magen gefunden. Wie hatte ich es nur geschafft, den ganzen Tag vor dem Computer zu hocken? Mit einer knappen Bewegung beugte ich mich nach hinten und schielte zur Kaffeemaschine. Meine Tasse stand noch darunter und ich hatte die sichere Vermutung, dass der Kaffee kalt war.
Wieder grummelte es hörbar aus meinem Bauch heraus und Frederik musterte mich eingehend. »Hast du heute schon was gegessen?«
»Nein, Mama«, erwiderte ich genervt. »Aber ob du es glaubst oder nicht, das war keine Absicht.«
»Okay, zieh dir was an«, wies er mich knapp an und sah sich suchend um. Schließlich fand er mein Telefon, das er offenbar gesucht hatte und wählte eine Nummer.
»Was wird das, wenn es fertig wird?«, wollte ich von ihm wissen, die Arme vor der Brust verschränkt.
»Ich bestelle Pizza, ist Margherita okay?« Seelenruhig sah er mich an.
Ich biss mir auf die Unterlippe und dachte nach. »Wenn wir jetzt zusammen Pizza essen, fällt das unter Vorspiel?«
Sein fassungsloses Mienenspiel zu beobachten, machte mir richtiggehend Spaß. Leider hatte er sich schnell wieder im Griff. »Wir werden sehen«, lautete seine rätselhafte Antwort.
Bevor ich mir die Mühe machte, in normale Kleidung zu schlüpfen, ging ich zu meinem Computer. 38 Seiten? Du meine Güte, demnächst würde ich mir einen Wecker stellen, bevor ich noch am Schreibtisch zusammenbrach. Nicht zum ersten Mal erinnerte mich das leise Stimmchen in meinem Hinterkopf daran, dass meine Familienmitglieder vielleicht recht haben könnten, wenn sie sagten, dass ich zu viel arbeitete.
Aber mein Job lenkte mich so wunderbar von allem anderen ab. Vorsichtig schielte ich über meinen Bildschirm. Zum Beispiel von diesem attraktiven Mann, der gerade in meiner Küche stand. Was ich davon halten sollte, wusste ich noch nicht genau. Moment – fehlte da ein Leerzeichen? Ich beugte mich näher zu dem Computer und kniff konzentriert die Lider zusammen.
Das Räuspern ließ mich aufblicken. »Arbeitest du immer so viel?« Seine blauen Augen lagen forschend auf mir. Verlegen richtete ich mich auf und bemerkte dabei, dass der Gürtel meines Bademantels gerade seinen Job aufgab und der Stoff langsam auseinander glitt. Schnell raffte ich ihn zusammen und bewegte mich rückwärts auf die Schlafzimmertür zu. »Meistens.«
Dann drehte ich mich um und warf die Tür hinter mir zu. Was sollte ich jetzt eigentlich anziehen? Mir war nach Jogginghose und einem viel zu großen T-Shirt, andererseits wollte ich noch Sex, also vielleicht lieber etwas weniger Entspanntes.
Unschlüssig stand ich vor dem Schrank. Ich konnte mich ja nicht wieder in dieses kleine Kleid von gestern werfen und ein BH würde vermutlich auch nicht schaden. Ich ärgerte mich über meine Unentschlossenheit, so war ich doch sonst nicht. Eigentlich wollte ich nur eine lockere Affäre mit meinem sexy Nachbarn und keine pompöse Hochzeit. Nachdem ich mir dieses Ziel gesteckt hatte, ging es mir viel besser.
Überhaupt war ich wesentlich gelassener, wenn ich genau wusste, was ich wollte. Wenn ich morgens an die Arbeit ging, legte ich vorher die Wortzahl fest, die ich schaffen wollte. Bei einer Laufrunde wusste ich vorher, wie viele Kilometer ich zurücklegen wollte – ich würde nie auf die Idee kommen, einfach so loszulaufen. Mein Bruder nannte das »verkrampft«, ich hingegen bevorzugte das Wort »organisiert«.
Letztendlich entschloss ich mich für mein Standardoutfit aus schwarzem Shirt und schwarzer Jeans. Im Sommer tauschte ich Shirt gegen Tanktop und im Winter trug ich eine Strickjacke darüber, stets das perfekte Outfit – egal, wie viele Witze meine Mutter über Trauerkleidung machte.
Erleichtert trat ich aus dem Schlafzimmer und beobachtete irritiert, dass Frederik munter in meinen Küchenschränken herumwühlte. Er hatte tatsächlich den Tisch gedeckt – natürlich für zwei, was auch sonst?
Um mich zu sammeln blieb ich im Türrahmen stehen und lehnte mich dagegen. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Frederik unseren Sex anders interpretiert hatte als ich. Also räusperte ich mich. »Du wolltest reden?«
Er setzte sich auf den Küchenstuhl, den eigentlich ich bevorzugte. Ob er das absichtlich machte?
»Ja, ich bin mir nicht sicher, was das gestern war. Ich bin gerade erst hier eingezogen und will nicht direkt irgendein Drama provozieren.«
Leise lachte ich. »Das hättest du dir vielleicht vorher überlegen sollen.« Widerwillig setzte ich mich auf den freien Stuhl. Aus dieser Perspektive sah meine Küche ganz anders aus.
»Zu meiner Verteidigung: Ich habe sehr wohl Einspruch erhoben.« Er fuhr sich durch die dichten Haare und löste damit in mir das Verlangen aus, das Gleiche zu tun.
»Stimmt, daran kann ich mich erinnern. Dein Protest war so eindringlich, mir klingeln noch immer die Ohren.« Ich sah ihn direkt an und bemerkte, dass sein Blick sich verdüsterte.
»Ich habe protestiert. Aber ich habe nie behauptet, ein Heiliger zu sein.«
Das stimmte und ich musste grinsen. »Also mir geht’s gut und ich habe auch noch kein Aufgebot bestellt, da kann ich dich vollkommen beruhigen.«
Für einen Moment schwieg ich und schob das Besteck auf der Tischdecke hin und her. »Von mir aus können wir das gern von Zeit zu Zeit wiederholen.«
Sein Mund klappte auf, doch ich kam ihm zuvor und hob abwehrend die Hand. »Aber nur, wenn das nicht beinhaltet, dass du jedes Mal danach den Seelenklempner spielst. Ich bin ein großes Mädchen.« Der Blick, den ich ihm zuwarf, war nur auf eine einzige – sehr sexuelle – Weise zu deuten. Er holte tief Luft und schien mit sich zu ringen.
Die Türklingel erlöste ihn davon, mir antworten zu müssen und ich stellte direkt klar: »Du machst dem Pizzaboten auf. Ich rede nicht mit anderen Menschen.«
Sein Lachen kribbelte auf meiner Haut und mit einem Seufzen stand er auf. »Wer hätte damit gerechnet?«
Zufrieden betrachtete ich seinen Hintern, als er aus meiner Wohnung ging. Ich hatte meine Karten offen auf den Tisch gelegt – jetzt war es an ihm, darauf einzugehen oder sich gefälligst aus dem Staub zu machen.
Als er mit den beiden Kartons zurückkehrte und mir der verlockende Duft in die Nase stieg, lief mir bereits das Wasser im Mund zusammen. Ausnahmsweise lag das nicht an Frederik, sondern daran, dass ich heute noch nichts gegessen hatte.
Kaum saß er, beschloss ich, dass es an der Zeit war, mehr über ihn herauszufinden. »Wie kommt es, dass Karl unbemerkt verschwunden ist und du stattdessen ebenso unbemerkt eingezogen bist?«
Er schenkte mir ein schelmisches Lächeln. »Ein Freund von mir ist Makler und er wusste, dass ich auf der Suche war.« Dann zuckte er mit den Schultern und sah mich an. Mit hochgezogener Augenbraue beobachtete er, wie ich gierig die Pizza herunterschlang. Prompt färbten meine Wangen sich rot und ich bemühte mich, etwas langsamer zu essen.
Noch immer ein wenig verwundert fragte ich mich, wie er das geschafft hatte. Frederik saß neben mir. Auf meiner Couch!
Nach dem Essen hatte es sich irgendwie natürlich ergeben, dass wir die Küche verlassen hatten. In der Theorie hatte ich ihn hinauswerfen wollen, in der Praxis hatte er mich überrumpelt, mir ein Bier gereicht und den Fernseher angemacht. Ein Bier aus meinem eigenen Kühlschrank wohlgemerkt!
Außerdem hatte er sich noch nicht zu meinem überaus großzügigen Angebot geäußert, regelmäßig mit ihm zu schlafen.
»Willst du mich noch lange böse von der Seite anstarren?«
»Hm.« Verärgert drehte ich den Kopf zum Fernseher und nahm einen Schluck von meinem Bier. »Was war das gestern eigentlich auf dem USB-Stick? Ich habe vergessen, danach zu fragen.«
Seine Augen blitzten auf, denn er wusste genauso gut wie ich, warum ich nicht daran gedacht hatte. »Ein kleines, nicht unbedingt legales Programm.«
»Wie komme ich daran?«, wollte ich von ihm wissen.
Jetzt drehte er mir den Kopf zu und lächelte selbstgerecht. »Du kannst mich einmal im Monat lieb darum bitten.«
Blödmann. Fest presste ich die Lippen aufeinander.
»Was denn? Keine bissige Entgegnung?«, neckte er mich und rutschte ein Stück näher.
Kritisch beäugte ich den winzigen Raum, der noch auf der Couch zwischen uns geblieben war. »Du hast doch gestern schon angemerkt, dass ich viel fluche.«
Gelassen erwiderte er, während er noch näher rückte: »Ich habe es lediglich festgestellt – mich stört das nicht.«
Er beugte sich vor und ich rechnete fest damit, dass er mich küssen würde. Doch er schnupperte lediglich an meinem Hals und betrachtete mich danach fasziniert. Als ich ihm entgegen kam, mit der festen Absicht meine Lippen auf seine zu pressen, wich er mir aus. Seine Hand legte sich um meine Schulter und hielt mich auf Abstand. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen. Eingeschnappt wischte ich seine Hand weg – schon allein, weil sie heiß genug zu sein schien, um meine Haut zu verbrennen.
War ich gestern Nacht etwa süchtig geworden? Die Erinnerung an den grandiosen Orgasmus stieg in mir auf.
»Ich beurteile gerade noch dein Angebot«, stellte er ruhig fest.
»Was gibt es da groß zu beurteilen?« Betont langsam ließ ich mich in das Polster der Couch sinken.
»Du redest so gut wie gar nicht – zumindest im Verhältnis gesehen zu den Frauen, die ich kenne. Also muss ich mir erst ein Bild machen, ob du vielleicht nicht doch komplett irre bist und mir demnächst blutige Blumensträuße vor die Tür legst.«
Ich lachte – nicht nur, weil die Vorstellung absolut absurd war, sondern auch weil er gerade eine Szene aus einem meiner Bücher beschrieben hatte. Aber das konnte er sicherlich nicht wissen. Für einen kurzen Moment erwog ich, es ihm zu erzählen. Doch ich entschied mich dagegen. Ich wollte ihn in meinem Bett haben, nicht in meinem Leben. Gut, auf dem Küchentisch und unter der Dusche würde ich ihn auch noch akzeptieren.
»Nichts liegt mir ferner, das kannst du mir glauben. In erster Linie möchte ich meine Ruhe haben. Ich will weder über meine Gefühle diskutieren noch eine Beziehung führen, geschweige denn irgendetwas, das im Ansatz darüber hinausgeht.« Meine Worte unterstrich ich mit einer energischen Handbewegung.
Sein Gesicht verriet in keiner Weise, was er dachte, doch seine Mundwinkel zuckten leicht. Und natürlich waren da noch seine blauen Augen, die gleichzeitig so kühl und lodernd heiß aussahen. Allein über diesen Blick hätte ich mühelos ein ganzes Kapitel schreiben können. Spöttisch ruhte besagter Blick auf mir. »Das waren mit Abstand die meisten Wörter, bis ich bisher zusammenhängend von dir gehört habe. Es scheint dir also ernst zu sein.«
Nachdrücklich nickte ich und er stand auf. Verwundert erhob ich mich ebenfalls. Nach einem flüchtigen Kuss auf meine Wange drehte er sich um und marschierte auf die Küche zu.
»Wohin gehst du?« Sofort ärgerte ich mich, dass ich viel aufgebrachter klang, als ich hatte preisgeben wollen.
Er drehte sich um und deutete eine kleine Verbeugung an. »Ich habe doch gesagt, dass ich darüber nachdenken muss. Dafür, dass du so wenig redest, hörst du scheinbar nicht sonderlich gut zu.«
Empört griff ich nach einem Sofakissen und noch bevor mir klar war, was ich da tat, warf ich es nach ihm. Frederik grinste nur und sagte: »Gute Nacht, Helen.«
Die Tür war längst zugefallen, als ich mich aus meiner Erstarrung löste und murmelte: »Gute Nacht, Frederik.«
Den Rest des Wochenendes und der darauf folgenden Woche vergrub ich mich – wie üblich – in Arbeit. Zwischendurch schielte ich wütend zu meiner Wohnungstür, doch Frederik ließ sich nicht blicken.
Am Freitag war ich so angespannt, dass ich meine übliche Laufrunde ausdehnte, bis meine Beine mich kaum mehr trugen. Völlig erschöpft schlurfte ich nach Hause und behielt dabei den Boden fest im Blick. Durch meine verlängerte Runde war es bereits dunkel und ich wollte mir nicht die Knochen brechen, weil ich kurz vor der Haustür ein Schlagloch übersah, nachdem ich erfolgreich 12 Kilometer wie eine Geisteskranke durch den Stadtpark gehetzt war. So ging das nicht weiter – die Arbeit war mir auch schon leichter gefallen.
Wenn mein neuer Liebhaber sich bis morgen nicht gemeldet hatte, würde ich mich in Schale werfen und an seiner Tür kratzen. Ich musste mir eingestehen, dass der Sex so umwerfend gewesen war, dass ich das tatsächlich tun würde.
Als ich in den Vorhof meines Wohnhauses bog, parkte Frederik gerade seinen Wagen auf einem der gekiesten Plätze. Unwillkürlich beschleunigte sich mein Herzschlag. Aufregung – wie grauenvoll. Er stieg aus und sah mich an.
Ich wäre ja schneller auf ihn zugegangen, aber meine Beine trugen mich ohnehin nur noch mit Widerwillen. Vor ihm blieb ich stehen, allerdings mit gebührendem Abstand, denn die Wahrscheinlichkeit, dass ich wie ein Wildschwein müffelte, war ziemlich hoch.
Skeptisch betrachtete er mich. »So kannst du doch nicht laufen gehen.« Auf seiner Stirn erschien eine steile Falte. Empört sah ich an mir herunter.
»Was genau spricht denn gegen mein Outfit?«, verlangte ich zu wissen.
»Das ist viel zu unsicher, du kannst nicht nach Einbruch der Dunkelheit ganz in Schwarz draußen herum rennen. Das ist gefährlich«, sagte er nachdrücklich.
Das Einzige, was mir gerade gefährlich erschien, war die totale Abwesenheit meiner Selbstbeherrschung. Ich war kurz davor, meinen Nachbarn anzuspringen. Gleichzeitig brachte er mich allerdings mit seiner Bevormundung auf die Palme.
»Danke, Daddy«, ätzte ich und ließ ihn stehen. Dieser Blödmann. Ich würde mir einfach einen vernünftigen Vibrator besorgen. Der redete wenigstens nicht andauernd.
Seelenruhig folgte Frederik mir, machte sich aber nicht die Mühe, mich einzuholen. Auf der Treppe nach oben – meine Oberschenkel zitterten vor Erschöpfung – ging ich in meinem Kopf den nahezu unerschöpflichen Vorrat an Schimpfwörtern durch, die ich kannte. Es waren eine ganze Menge. Und doch reichten sie nicht im Ansatz, um meinem Zorn und meiner Frustration Ausdruck zu verleihen.
Unter der Dusche seifte ich mir energisch die Haare ein und schäumte dabei beinahe selbst vor Wut. Wer brauchte schon Männer? Pah, so ein doofer Idiot!
Nachdem ich mich in meinen Pyjama geworfen hatte, der aus einer langen Stoffhose und einem Trägeroberteil bestand, stand ich unschlüssig im Wohnzimmer. Couch oder Computer? Das Klopfen an der Tür riss mich aus dem Grübeln.
Obwohl ich die ganze Woche darauf gewartet hatte, zuckte ich zusammen. Es konnte nur Frederik sein und ich musste meine ganze Konzentration aufbringen, um ihm mit einer neutralen Miene zu öffnen.
Er ließ seine Augen über mich gleiten und sagte: »Sehr gut, du hast nichts mehr vor. Salat?«
Damit schob er sich an mir vorbei und stellte eine große Schüssel auf den Küchentisch. Ich stand noch immer vor der offenen Tür, unfähig, mit so viel Unverfrorenheit umzugehen. Er war ja schlimmer als ich. Es schien ihn überhaupt nicht zu interessieren, ob ich zustimmte oder nicht, wenn er etwas vorschlug. Hatte ich eine Einladung auf meiner Stirn gedruckt?
»Ich dachte, nach dem Lauf könntest du ein paar Kohlenhydrate gebrauchen und ich nehme dein Angebot an.«
Mein Gehirn wusste nicht, welche Information es zuerst verarbeiten sollte. Spontan beglückwünschte ich mich als erstes zu der Entscheidung, mir die Beine und alle anderen relevanten Körperteile rasiert zu haben. Erst dann war ich in der Lage, die Tür zu schließen.
Mit einem Seufzen ließ ich mich auf den Küchenstuhl sinken. »Ich nehme an, du willst vorher bestimmt darüber reden.« Dabei warf ich einen Blick in die Schüssel. Nudelsalat, interessant. »Hattest du Besuch von deiner Mutter?«
»Ich kann alleine für mein Essen sorgen. Hier für dich.« Er hielt mir eine Plastiktüte hin.
Zögernd ergriff ich sie. Der Inhalt war flach und nicht warm, also vermutlich kein totes Tier. Vorsichtig sah ich hinein. »Was ist das?« Ich drehte mich verwirrt um, denn er war schon wieder an meinem Küchenschrank zugange.
»Das sind Reflektoren, du kannst sie einfach um deine Arme wickeln, bevor du das nächste Mal laufen gehst.«
Mit spitzen Fingern zog ich die neongelben Streifen hervor und fühlte mich schrecklich bevormundet dabei. »Wieso sollte ich das tun?«
»Weil ich dich darum bitte.« Die schlichten Worte machten mich sprachlos.
»Hm.«
»Wirst du sie tragen?« Sein eindringlicher Blick lag auf meinem Gesicht.
Ich zog eine Grimasse, als hätte ich Zahnschmerzen. »Von mir aus.«
Zufrieden nickte er und stellte die Teller auf den Tisch. Mit einem großen Löffel – ich hatte gar nicht gewusst, dass ich einen solchen besaß – verteilte er den Nudelsalat. Kaum hatte er mir eine Portion hingeschoben, meldete sich mein Magen lautstark.
»Hast du niemanden, der auf dich aufpasst? Scheinbar bist du ja nicht einmal in der Lage, alleine regelmäßig zu essen. Das Abbild der zerstreuten Schriftstellerin.«
Meine Fingerknöchel traten weiß hervor, so fest umklammerte ich die Gabel. »Zu deiner Information: Ich bin hochgradig organisiert. Abgesehen davon lassen sich alle anderen meistens von meinem unfassbaren Charme in die Flucht schlagen.«
»Soso.« Er schob sich Nudelsalat in den Mund und wieder funkelten seine Augen merkwürdig.
Mehr hatte er dazu nicht zu sagen? Entnervt schob ich den Salat auf meinem Teller zusammen und probierte ihn endlich. Erstaunt riss ich die Augen auf. Das war köstlich.
»Der ist gut«, rang ich mir ab und versuchte dabei, höflich zu lächeln.
»Ich weiß, ich habe viele Talente.« Seine Worte drangen ohne Umschweife in meinen Unterleib. Und ob er die hatte! Ich war sofort bereit, das notfalls vor Gericht zu bezeugen.
»Ich kann mir die Antwort zwar denken, aber ich frage sicherheitshalber nach: Du hast nicht irgendwo einen wütenden Freund oder Ehemann versteckt, der mir eines Tages auflauern wird?«, erkundigte er sich beiläufig.
Nachdrücklich schüttelte ich den Kopf. »Nein, Single seit-« Ich musste nachdenken und bemerkte, dass ich Gefahr lief, zu viel von mir preiszugeben. »Lange jedenfalls.«
Nachdem ich mir eifrig noch zwei Gabeln mit Salat zu Gemüte geführt hatte, sah ich ihn an. »Und du?«
»Single, seit anderthalb Jahren.« Er war nicht einmal halb so zurückhaltend wie ich. Die nächste Frage drängte sich in meinen Kopf: Warum ist so ein Mann Single? Stimmte mit ihm vielleicht irgendetwas nicht?
Offenbar zeichnete sich die Frage auf meiner Nasenspitze ab, denn er grinste und zeigte mit der Gabel auf mich. »Keine Chance. Wenn du nicht sagst, warum du nicht einmal mehr weißt, wie lange du Single bist, dann sage ich dir auch nicht, warum ich Single bin.«
»Du hältst dich wohl für sehr gerissen, was?«
Sein Grinsen vertiefte sich und kleine Fältchen um seine Augen wurden sichtbar. Hinreißende Fältchen. »Ziemlich, ja. Immerhin bin ich schon dabei, dich angemessen zu erziehen.«
Ich erdolchte ihn fast mit meinem Blick, da klingelte mein Handy. Leider lag es näher bei ihm als mir und bevor ich den Arm ausgestreckt hatte, war es schon in seiner Hand.
»Daniel«, las er vom Display ab und zog eine Augenbraue hoch.
Mein Herz stockte, er konnte unmöglich drangehen, wenn mein Bruder anrief. Daniel würde das sofort brühwarm meiner Mutter erzählen.
»Nicht drangehen«, flehte ich und hielt fordernd meine Hand auf.
»Irgendwie finde ich es verdächtig, dass andauernd Männer anrufen, wenn ich hier bin.«
»Bitte gib mir das Handy.« Ich beugte mich über den Tisch.
»Was bekomme ich?«
»Heißen Sex«, war das Erste, das mir einfiel.
Wortlos legte er das Telefon in meine Hand und ich atmete erleichtert aus. Nicht, dass es ihn etwas anging, aber ich sagte: »Das ist mein Bruder – er würde ausflippen, wenn ein Mann an mein Telefon geht.«
»Der große Beschützer?«, erkundigte Frederik sich gelassen. Er musterte mich eindringlich und grinste schließlich. »Bist du dafür nicht etwas zu alt?«
Schon bei der Vorstellung zuckten meine Mundwinkel. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass mein Bruder überhaupt dazu in der Lage war, zu irgendwem gemein zu sein.
»Nein, es ist nur noch nie vorgekommen. Deswegen würde ihn das vermutlich sehr aus der Bahn werfen.« Endlich verstummte das Handy und ich fragte mich flüchtig, ob ich Daniel überhaupt zurückrufen würde. Eher nicht. Bestimmt wollte er nur wieder, dass ich an irgendeinem gesellschaftlichen Event teilnahm, eine grauenvolle Vorstellung.
Frederik schob den Teller von sich und verschränkte die Arme vor der Brust. Fasziniert beobachte ich das Spiel seiner Brustmuskeln und wie der Bizeps sich spannte. »Wenn du jetzt nicht das dringende Bedürfnis verspürst, weiter über dich zu reden, würde ich vorschlagen, dass du deine Schuld einlöst.«
Mehr als bereitwillig stand ich auf und ging langsam mit wiegenden Hüften auf seinen Stuhl zu. Kaum, dass ich nah genug war, streckte er die Hände aus und zog mich auf seinen Schoß.
»Du bist unmöglich«, raunte ich dicht vor seinen Lippen, und doch schlang ich die Arme um seinen Nacken.
»Unwiderstehlich ist das Wort, das du suchst«, belehrte er mich und küsste mich gleich darauf so hungrig, dass ich erschauerte. Offensichtlich war die Woche Enthaltsamkeit nicht nur mir schwergefallen.
Kurz darauf war die Küche nur von unserem schweren Atem erfüllt. Ich spürte, wie seine Erektion an meiner Haut pulsierte, aber ich konnte mich einfach nicht von seinen weichen Lippen lösen. Meine Nippel hatten sich aufgerichtet und pressten sich gegen ihn, sein Arm lag um meine Taille. Ich spreizte meine Schenkel noch weiter auseinander, getrieben von dem Verlangen, mich an ihm zu reiben. Fast befürchtete ich, den Verstand zu verlieren. Was machte dieser Mann nur mit mir? In mir stieg die absolute Gewissheit auf, dass ich niemals genug davon bekommen würde. Ein Gedanke, der mich zutiefst beunruhigte – und einfach nicht stimmen durfte.
Energisch machte ich mich von ihm los. Warum beschäftigte ich mich nur mit solchen Aussagen? Seine Finger tasteten sich über meine Oberschenkel nach oben und lenkten mich glücklicherweise ab.
Ich knabberte sanft an seiner Unterlippe und ließ auch meine Hände auf Wanderschaft gehen. Die Haut seines Rückens fühlte sich warm unter meinen Fingerspitzen an und er erschauerte leicht unter meiner Liebkosung.
Dann schob er mich von seinen Beine und öffnete den Knopf an meiner Hose, während ich zwischen seinen Schenkeln stand. Ich kam ihm zur Hilfe und zog das T-Shirt aus. Der BH folgte sofort und ich bekam eine leichte Gänsehaut, als ich mit einem Mal nackt in der Küche stand.
Frederik befand sich mir gegenüber deutlich im Vorteil, er saß noch immer vollständig bekleidet auf dem Stuhl. Kurzerhand beugte ich mich vor und streifte ihm das Shirt ab, durch seine dichten Wimpern sah er zu mir hoch. Geschockt bemerkte ich, dass ich mich an diesen Anblick glatt gewöhnen konnte – er, halb nackt auf einem Stuhl in meiner Küche.
Mit einer schnellen, routinierten Bewegung zog er seine Hose aus. Er wollte nach mir greifen, doch ich lächelte ihn schelmisch an. Seine Augen wurden merklich dunkler, als er bemerkte, was ich vorhatte. Ich ließ mich auf die Knie sinken, meine Hände lagen auf seinen Oberschenkeln und ich war mir sicher, dass er meinen heißen Atem sicherlich schon auf seinem Schwanz spüren konnte.
Mit der Zunge leckte ich über die samtige Spitze, bevor ich ihn ganz in den Mund nahm. Frederik stöhnte leise und aus dem Augenwinkel sah ich, dass er sich mit einer Hand an der Tischkante festhielt. Seine Knöchel traten weiß hervor, was ich als gutes Zeichen wertete. Immer tiefer ließ ich seinen Penis in meine Kehle gleiten und saugte sanft.
Ganz langsam steigerte ich in kleinen Etappen mein Tempo und lauschte dabei auf die erotischen Geräusche, die meine Affäre von sich gab. Schließlich schnappte er hörbar nach Luft und zog mich nach oben. Für einen Moment starrte er mich nur wortlos an, dann neigte er den Kopf und seine Lippen strichen über meinen Hals. Zufrieden schloss ich die Augen und lehnte mich ihm entgegen.
Dann durchzuckte mich der Gedanke an Verhütung und ich fluchte lautlos in meinem Kopf. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Sollte ich mich schnell ins Schlafzimmer stehlen? In diesem Moment zauberte Frederik aus der Jeans, die er vom Boden gefischt hatte, ein Kondom hervor. Wieder einmal kam mir der drängende Verdacht, dass er möglicherweise doch Gedanken lesen konnte.
Während ich zusah, wie er seinen Schwanz verpackte, biss ich mir auf die Unterlippe. Frederik streckte die Hände nach mir aus und ich kam ihm freudig entgegen. Mit gespreizten Beinen rutschte ich seine Schenkel hoch, bis ich das heiße Pulsieren seiner Latte an meiner Feuchtigkeit spüren konnte. Zufrieden seufzte ich leise.
Ich erschauerte, als Frederik mit den Fingern zwischen meine Schenkel fuhr und dabei meine empfindliche Klit streifte. Auffordernd schob ich mich ihm entgegen und seine Finger glitten mühelos in mich. Ich presste die Augen zusammen und lehnte meine Stirn auf seine Schulter. Sein Daumen massierte meine Lustperle und ich wimmerte gequält, drängte ihn stumm, noch tiefer in mich zu dringen.
Mit der freien Hand umfasste Frederik mein Kinn und zog mein Gesicht zu seinem, küsste mich innig. Meine Lust wuchs immer weiter und ich fragte mich, ob er spürte, wie ich bereits jetzt in seinen Armen bebte. Die Erregung bündelte sich und ich schien nur noch aus dem heftigen Pochen meiner Klit zu bestehen. Meine Nägel bohrten sich in seine Haut. Die einzige Folge war, dass er seine Finger schneller bewegte und mich zur gleichen Zeit noch gieriger küsste.
Ich stöhnte an seinen Lippen und explodierte im gleichen Moment. Selten war ich so dankbar gewesen, mich irgendwo festhalten zu können.
Nicht einmal aufgehört zu zittern hatte ich, als Frederik sich kurz von mir löste und seine Finger aus mir zog. Er umfasste meine Taille und hob mich hoch. Genau in dem Moment, als er in mich eindrang und mich mit einem einzigen Stoß ausfüllte, schob seine Zunge sich tief in meinen Mund. Weiße Punkte flackerten vor meinen Augen und ich rang erstaunt nach Luft.
Seine Hände lagen auf meinem Rücken und er hielt mich fest, während ich das köstliche Gefühl genoss, wie sein Schwanz in mich eindrang. Sein Atem streichelte meine Haut und ich bog mich ihm entgegen. Immer wieder trieb er seinen Schaft in mich, sein Griff wurde fester, seine Bewegungen schneller.
Der zweite Orgasmus traf mich völlig unvorbereitet und mein kehliges Stöhnen erfüllte die Küche. Mir war heiß und schwindelig, ich wusste kaum noch, wie mein Name lautete und Frederik stieß hart in mich. Er schien kurz vor dem Höhepunkt zu stehen und hielt mich fest in seinen Armen. Ich legte den Kopf in den Nacken und genoss den Schauer, der durch meinen Körper rann und mein Inneres zu verflüssigen schien, während auch Frederik erlöst aufstöhnte.
Es dauerte eine Weile, bis mein Puls nicht mehr raste und meine Atmung sich normalisiert hatte. Völlig selbstvergessen streichelte Frederik meinen Rücken und ich ließ ihn gewähren. Meine Wange lag an seiner Brust und ich genoss seinen unverwechselbaren Duft.
Selbst als seine Hand durch meine Haare glitt und mit den Locken spielte, wehrte ich mich nicht.
»Ist dein Bruder nicht beunruhigt, wenn du nicht ans Telefon gehst oder zurückrufst?«
»Ist er gewohnt.« Mit einem unhörbaren Seufzer schmiegte ich mich an ihn. Ob ich ihn zu einer zweiten Runde animieren konnte? Dann fiel mir ein, dass wir das letzte Kondom benutzt hatten. Hatte er vielleicht noch welche?
»Wow. Dann sollte ich mich geehrt fühlen, dass ich überhaupt so viel von dir zu Gesicht bekomme, was?«
»Hm.« Wohlige Wärme umfing mich und ich war angenehm müde. Sollte ich vorschlagen, ins Schlafzimmer zu wechseln?
»Ich schätze, dass ich jetzt besser gehe, bevor du mich mit deinem unverwechselbaren Charme hinauswirfst.«
Äußerst widerwillig hob ich den Kopf. Aber er hatte recht, es war vermutlich besser, wenn er ging. Nur irgendwie wollte ich das gar nicht. Meine Grundsätze blendete ich bequemerweise aus. »Wieso hinauswerfen?«, irritiert suchte ich in seinem attraktiven Gesicht nach einem Hinweis.
Frederik lachte. »Am Freitag, beziehungsweise Samstag hast du mir doch auch nahegelegt, zu gehen«, klärte er mich auf.
Kurz wühlte ich in meiner Erinnerung. Er hatte auf der Bettkante gesessen, was ich offensichtlich falsch interpretiert hatte. »Ich wollte nur keine Peinlichkeiten provozieren, du hast mich doch direkt zu Anfang wissen lassen, dass du normalerweise nicht der Typ dafür bist.«
Er hauchte einen leichten Kuss auf meinen Mundwinkel. »Genau – und du willst mir jetzt sicherlich weismachen, dass es bei dir genau andersherum ist und die Männer hier reihenweise ein und aus gehen.«
Widerstrebend löste ich mich aus seiner Umarmung und versuchte, meine Haare glatt zu streichen. Ein nutzloses Unterfangen, nachdem Frederik sich gerade leidenschaftlich hindurch gewühlt hatte. »Das habe ich nicht behauptet. Ich hab’s generell nicht so mit Männern.«
Die Stimme, die mich an meine letzte Erfahrung mit besagter Spezies erinnerte, war sehr beharrlich und ich ließ ihn aufstehen.
An der Tür gab ich ihm einen Kuss auf die Wange. »Gute Nacht, Frederik.«
Zu meinem Erstaunen legte er den Arm um mich und zog mich an sich. Der Kuss sorgte für weiche Knie, seine Zunge teilte meine Lippen, bevor sie meinen Mund erkundete.
Er ließ mich mit klopfendem Herzen stehen. »Gute Nacht, Helen.«