17. KAPITEL

„Nein, nicht so. Du malst, wie es in Büchern steht, immer in geraden Linien.“

Bobby gab Charlotte Malunterricht. Im Schatten des Gingkobaumes sitzend, die langen Beine an den Knöcheln verschränkt, auf dem Kopf den unvermeidlichen breitkrempigen Panamahut, rief er ihr Anweisungen zu. Sie stand ein Stück entfernt breitbeinig vor der Staffelei. Manchmal, so wie jetzt, sprang er theatralisch auf und stöhnte dramatisch.

„Vergiss die Bücher. Mische es. Benutze die Finger. Hab keine Angst. Siehst du? Nur weiter so. Ein bisschen mehr. So ist es gut! Wunderbar!“ Er keuchte von der Anstrengung.

Charlotte entdeckte allmählich ihre Ausdrucksmöglichkeiten beim Malen, obwohl sie ständig ein waches Auge auf Bobby hatte. In letzter Zeit wirkte er erschöpfter. Der Blick war auch nicht mehr so lebhaft.

„Du musst hier keine Rolle spielen, Miss Godfrey. Male unbefangen drauflos.“

„Ich versuch’s ja.“ Wenn sie spielte, schlüpfte sie in eine Rolle. Das hier war schwieriger. Sie erforschte und entdeckte sich selbst und gab verborgene Gefühle preis, die sie in leuchtende Farben umsetzte.

„Bobby, kann das richtig sein? Das sieht so seltsam aus.“

„Was hast du gemalt? Erzähl mir was darüber.“

Sie neigte stirnrunzelnd den Kopf zur Seite und betrachtete das Bild. „Ich habe keine Ahnung, was das ist.“

„Du weißt nicht, was all die drohenden schwarzen Linien und aufstrebenden Kringel bedeuten? Darling, Freud hätte seine Freude an dir. Aber lass dir nicht den Schneid abkaufen. Sag mir, was du glaubst, was es ist.“

Sie betrachtete ihr Bild forschend. „Ich glaube, dieser schwarze Kasten da, das ist mein Leben oder das bin ich. Und dieser kleine weiße Punkt darin, das bin ich auch.“ Nervös lachend trat sie einen Schritt zurück. „Unmöglich, was?“

Er zuckte lächelnd die Achseln. „Es ist das, was du hineininterpretierst.“

Ein paar Wochen nach ihrer Ankunft traf Charlotte in dem kleinen Garten neben ihrem Blockhaus auf Marta. Die befreite in gebückter Haltung den Bereich um eine vier Fuß hohe Statue der Heiligen Jungfrau von Unkraut. Charlotte kannte solche Statuen gut. Maria im blauen Mantel mit weißem Tuch und einem Rosenkranz in der Hand stand landesweit in den meisten katholischen Grundschulen. Wehmütig dachte sie daran, wie gern sie immer auf dem Schulweg ein paar gepflückte Blumen zu Füßen der Statue gelegt hatte.

Charlotte bückte sich neben Marta und zupfte ein Gänseblümchen aus. Sie fühlte sich wohler in Martas Gegenwart, seit sie etliche Stunden gemeinsam in der Küche verbracht und mexikanisch gekocht hatten.

„Du siehst besser aus, runder, nicht mehr so eingefallen“, stellte Marta fest und betrachtete sie unter ihrem Strohhut hinweg. „Fühlst du dich gut?“

„Ein bisschen besser.“

„Manchmal“, fuhr Marta fort und zerrte an einer Wurzel, „Heilung muss kommen von innen, aus Seele genauso wie aus Körper. Ich glaube, du bist immer noch sehr traurig wegen deine Mutter, no?“

Charlotte zupfte schweigend Unkraut.

„Ich dachte vielleicht …“ Ihre Hand verharrte an der kleinen Hacke. „Möchtest du kommen am Sonntag mit mir in Kirche?“

„Ja, das würde ich sehr gern.“

Als Charlotte das am Abend Michael erzählte, fragte er stirnrunzelnd, warum seine Mutter glaube, jeder müsse zur Kirche gehen, um gerettet zu werden.

„Ich glaube kaum, dass sie sich Sorgen um meine unsterbliche Seele macht, außer vielleicht wegen unseres sündhaften Zusammenlebens. Damit hat sie wirklich ihre Schwierigkeiten. Aber sie lässt es sich nicht anmerken.“

„Dir ist hoffentlich klar, dass sie sich mit diesem Arrangement nur zufrieden gibt, weil sie Enkelkinder haben will.“

„Ich glaube, es liegt ihr sehr am Herzen, dass ich ihre Enkel im katholischen Glauben erziehe.“

„Mir wäre das gleichgültig“, erwiderte Michael. „In meinem Haus hat übertriebene Religiosität keinen Platz. Ich habe lange gebraucht, sie abzuschütteln. Meinen Kindern möchte ich das ersparen.“

„Das verstehe ich, aber ich möchte, dass unsere Kinder im Glauben erzogen werden. Ich könnte mir nichts anderes vorstellen … die Sakramente, die Tradition. Die tollen Kopfbedeckungen …“ Sie lachte, als er schmunzelte. „Religion bindet eine Familie aneinander. Michael, du möchtest doch, dass unsere Kinder im katholischen Glauben erzogen werden, oder?“

Michael sah sie ernst an. „Ist dir eigentlich klar, dass wir von unseren Kindern sprechen?“

Sie wandte den Blick ab und stellte sich ein rosiges Baby mit Michaels schwarzem Haar und seinen dunklen Augen vor. Die Vorstellung, Mutter zu sein, war plötzlich sehr real. „Ich denke schon“, gestand sie verblüfft.

Am Sonntag nahm Charlotte zusammen mit Marta und Luis in der Kirche „Unserer Jungfrau von Lourdes“ an der Messe teil. Marta nach alter Tradition in schwarzer Mantille, einen Rosenkranz mit Holzkreuz in der Hand. Luis blätterte mit seinen schwieligen Händen im Gebetbuch und bewegte dabei die Lippen.

Der Weihrauchgeruch, die strahlenden Buntglasfenster, die Statuen von Maria und Josef zu beiden Seiten des Altars und natürlich das Marmorkruzifix darüber hatten etwas sehr Bewegendes für Charlotte. Sie fühlte sich wie nach langer, schwieriger Reise heimgekehrt. Der Ablauf der Messe war ihr noch wohl vertraut, ebenso die Gebete. Als Marta bemerkte, dass ihr Tränen in die Augen getreten waren, tätschelte sie ihr mitfühlend die Hand.

Am Abend, als draußen die Grillen zirpten und Michael auf dem Sofa las, setzte sich Charlotte an den großen Eichentisch und versuchte zu Mozarts kleiner Nachtmusik ihre Gedanken zu ordnen, um einen Brief zu schreiben.

„Ist dir klar, dass du schon fast eine Stunde reglos dasitzt?“ fragte Michael vom Sofa aus.

Sie blinzelte erschrocken, wie aus tiefem Traum erwacht.

„Wo bist du mit deinen Gedanken?“

„Bei meiner Mutter.“

Er ließ das Buch sinken und sah sie aufmerksam an.

„Ich überlege, mit welchen Worten ich die Kluft zwischen uns überbrücken könnte. Der Besuch in der Kirche hat mich an glücklichere Zeiten mit meiner Mutter erinnert. Jeden Samstag haben wir Stunden damit zugebracht, die Kirche auf Hochglanz zu bringen. Wir haben Messingleuchter poliert, Chorgestühl abgestaubt, die Priestergewänder gelüftet und Blumen arrangiert.“

„Hat dir das Spaß gemacht?“

„Spaß hat mir vor allem gemacht, wie viel Aufmerksamkeit meine Mutter mir widmete, wenn sie mir zeigte, wie man ordentlich putzt. Ich habe ihr gern und fasziniert zugesehen. Sie achtete sehr darauf, dass Gottes Haus blitzsauber war. Vielleicht haben wir über all der Putzerei ganz vergessen, den Unrat aus unserem eigenen Leben wegzuräumen.“

„Warum schreibst du ihr das nicht? Sag ihr genau das.“

„Was?“

„Du hast mir gerade erzählt, was du ihr eigentlich sagen möchtest. Wenn du den Unrat aus eurem Leben entfernen willst, krempel die Ärmel hoch und fang an.“

„Sie denkt vielleicht, ich mache ihr Vorwürfe.“

„Machst du?“

„Nein“, erwiderte sie nach kurzem Zögern. „Nicht mehr. Ich möchte ihr nur wieder näher kommen. Unser Glück, unsere Gespräche über Zukunft und Kinder haben mich verändert. Meine Mutter fehlt mir.“

„Das solltest du ihr vielleicht auch mitteilen.“

Als Michael und Luis eine Woche später heftig gestikulierend und diskutierend um die Hausecke bogen, blieben sie wie angewurzelt stehen. In der Blockhütte saß Charlotte am Küchentisch, Kopfhörer auf den Ohren, vor sich einige Bücher. Sie lauschte mit geschlossenen Augen und antwortete dem Band auf Spanisch in bemerkenswert guter Aussprache.

Michael war überrascht und gerührt, dass sie sich für seine Familie dieser Mühe unterzog. Sie tat es ihnen zuliebe, denn er hatte seine Familie gebeten, in ihrer Gegenwart Englisch zu sprechen.

Die Männer betrachteten sie verwundert, aber auch bewundernd wie einen Kunstgegenstand. Schließlich kratzte sich Luis hinter dem Ohr.

„Ich muss zugeben, sie ist nicht das, was ich mir gewünscht hatte. Ein Filmstar, na ja.“ Er rieb sich das stoppelige Kinn. „Und sie ist so dünn. Aber sie hat ein gutes Herz, und sie macht gute Mole Sauce.“ Er legte Michael seine große Hand auf die Schulter. „Vielleicht wird sie doch eine gute Ehefrau.“

Maria Elena und Charlotte bereiteten in Martas großer, heimeliger Küche das Dinner für Maria Elenas Namenstag vor. Auf dem großen Tisch standen mehrere angewärmte Schüsseln mit aufgehendem Teig, und auf dem Herd köchelten mehrere Saucen. Es duftete nach süßlichem Teig und Gewürzen.

Marta zog den Teig für die Tortillas aus, und Maria und Charlotte buken sie auf dem Grill.

„Nehmt sie herunter, wenn sich die ersten Blasen zeigen“, erinnerte Marta sie.

„Sí, yo sé“, erwiderte Charlotte lächelnd.

Marta brummelte etwas Zustimmendes. „Luis, er sagt, du arbeitest mit Michael in Gärtnerei? Er ist glücklich, dich zu sehen in Familiengeschäft. Es ist gut für eine Frau, zu kennen Familiengeschäft und Stand von Konten, no? Der Mann, er herrscht vielleicht an Esstisch, aber die Frau …“ Sie knetete geschickt den Teig durch. „Die Frau regiert in Haus. Das sie muss tun für die Kinder. Der Mann vielleicht verspielt das Geld oder trinkt.“

„Ich bezweifle, dass Michael sein Geld verspielen würde. Dafür arbeitet er zu hart.“

„Miguel, nein. Aber andere tun, sí, es passiert.“ Sie knetete weiter mit ihren kleinen Händen und blickte verstohlen zu Maria Elena. Charlotte hatte von Manuels zunehmender Trinkerei gehört und nickte stumm.

„In meine Herz, Mexiko ist mein Zuhause“, fuhr Marta fort. „Es ist Land von meine Familie, meine Eltern und Geschwister, meine Kultur. Aber Zuhause von meine Kinder ist Amerika, darum es muss auch mein Zuhause sein. Luis, er empfindet anders, aber …“, sie blinzelte Charlotte munter zu, „die Eltern, sie müssen leiden und aushalten, damit es geht gut den Kindern. So muss es sein. Ich wollte, dass meine Kinder gehen zur Schule der Nonnen. Da war ich streng. Ich wollte nicht, dass meine Kinder brechen Schule ab oder kommen in Gefängnis wie so viele aus altem Viertel.“

Sie suchte nach einem Wort. „Wie sagt man in Englisch … Statistik. Statistik war nicht gut für junge Mexikaner in L.A. Verlassen Schule. Gangs. Nicht gut für Kinder. Wir zogen in Vororte. Luis arbeitete schwer, und ich half mit als Näherin. Nonnen, sie gaben unsere Kinder Geld für Schule … Stipendium, sí. Meine Kinder sind klug, sehr klug. Miguel, er ging auf College in Boston!“

„Ja, ich weiß“, erwiderte Charlotte und dachte bei sich, dass Harvard nicht gerade irgendein College in Boston war.

„Heute ich denke, dass ich vielleicht habe Fehler gemacht. Vielleicht Luis hatte Recht. Miguel, als er aufwuchs, wollte nichts wissen von Mexiko. Nicht von Sprache, Musik oder Essen. Nicht mal von seine Familie. Er war sehr bitter wegen Vorurteile gegen ihn und lehnte ab seine Kultur.“ Sie zuckte die Achseln. „Er hatte auch Vorurteile. Er ging weit weg von seine Familie. Nur um wieder zurückzukommen.“

„Ist Tío Miguel von zu Hause weggelaufen?“ erkundigte sich Maria Elena.

Beide Frauen lachten. „Nein, mein Herz. Aber irgendwie kam es mir so vor“, erklärte Marta ihrer Enkelin. „Doch ich habe nichts gesagt. Es ist besser, wenn Kinder kommen heim aus respeto, no? Nicht aus Verpflichtung. , er kam nach Kalifornien aus Gefühl für Pflicht, aber er ist geblieben aus Liebe.“ Martas Blick wanderte von Maria Elenas rundem Gesicht zu Charlotte. „Jetzt er ist in Geschäft, spricht español, und manchmal er geht mit dir zur Kirche. Die alten Wunden heilen, das macht mein Herz glücklich.“ Ihre Augen glänzten feucht, als sie Charlotte anlächelte. „Und ich denke, das liegt an dir. Du bist gut für meine Sohn. Und für die Familie.“

Charlotte presste gerührt die Lippen zusammen.

„Charlotte, eine Blase!“ rief Maria Elena aufgeregt.

Charlotte drehte sich schniefend um und wendete geschickt eine Reihe Tortillas.

„Sí!“ bekräftigte Marta und gab den Teig aus einer weiteren Schüssel auf den Tisch. „Es ist gut, wenn die Frau führt die Konten. Vielleicht, du versuchst, eh?“

Der Sommer neigte sich dem Ende. Charlotte arbeitete Seite an Seite mit Michael in der Gärtnerei, und ihre Beziehung festigte sich jeden Tag mehr, was sich nicht zuletzt in kleinen Gesten äußerte: einem liebevollen Blick quer über das Feld beim Anbinden junger Bäume, einem flüchtigen Kuss oder einem Klaps auf den Po im Vorübergehen. Es freute Charlotte, dass sie von Michaels Familie und allen Mitarbeitern gleichermaßen akzeptiert wurde. Die letzten Monate mit und bei den Mondragons waren die glücklichsten ihres Lebens gewesen.

Sie konnte kein bestimmtes Datum nennen, an dem sie ins Geschäft eingetreten war. Der Prozess war schleichend verlaufen. Sie hatte zunächst im Laden ausgeholfen, an der Kasse gestanden und Regale aufgefüllt. Ihre Kenntnisse der Pflanzen samt ihrer lateinischen Namen zahlte sich jetzt aus. Wieder mal dankte sie ihrem Schöpfer für ihre rasche Auffassungsgabe. Sobald Luis sie schließlich als Mitglied der Mondragon-Mannschaft akzeptiert hatte, taten es alle anderen auch. Sogar Paco, der kleine, weise Vorarbeiter, der schon so lange dazugehörte, wie Michael denken konnte, zog den Hut, wenn sie vorbeiging.

Eines Abends, als sie erschöpft mit Michael auf der Veranda saß, bat sie ihn, die Bücher führen zu dürfen. „Um ein Auge auf die Konten zu haben“, erklärte sie, als er verblüfft die Brauen hochzog. „Ich bin ausgebildete Buchhalterin, mein Lieber“, betonte sie stolz. Auf dem Gebiet war sie schließlich ein Ass.

„Siehst du“, erwiderte er lächelnd, „das meinte ich, als ich davon sprach, immer wieder etwas Neues an dir entdecken zu wollen. Dass du Buchhalterin warst, ist allerdings eine ziemliche Überraschung für mich.“

„Ich addiere und subtrahiere ganz gut … für ein Mädchen“, fügte sie spöttisch hinzu. „Raub mir nicht meine Illusionen. Oder denkst du etwa wie Luis, eine Frau tauge nur zum Kochen, Putzen und Kinder kriegen?“ Ihre Augen funkelten.

„Nein, aber ich habe nichts dagegen, wenn sie das übernimmt“, erwiderte er. „Okay, ich kapituliere.“ Er hob verteidigend beide Hände, um ihre Schläge abzuwehren. „Die Bücher gehören dir. Ich beuge mich dankbar deiner Professionalität.“

„Du wärst erstaunt, wie viel deine Mutter auf diesem Gebiet leistet.“

„Nichts, was meine Mutter leistet, erstaunt mich. Und da du so gerne Büroarbeit machst, überlasse ich dir auch unsere Steuererklärung.“

So erhielt Charlotte Einblick in die finanziellen Verhältnisse der Mondragons. Die einhundert Acres Land, die Luis geerbt und nie verkauft hatte, waren inzwischen sehr wertvoll. Wenn sie jetzt verkaufen würden, wären sie alle reich. Sie erfuhr, wie hart Luis bei der Gartenpflege in den Vororten gearbeitet hatte. Diesen Teil des Geschäftes führten jetzt Rosa und Manuel, zwar wirtschaftlich, aber fantasielos.

Sie erkannte an den Unterlagen, wie weit das Wachstum der Landschaftsgärtnerei auf Michaels Einsatz zurückzuführen war. Er ähnelte seinem Vater mehr, als er wahrhaben wollte. Er lockte neue Kunden mit sanfter Überredung und machte ihnen seine Ideen schmackhaft. Ganz im Gegensatz zu Manuel, der wartete, bis ein Geschäft zu ihm kam, und mehr ausgab, als sein Budget erlaubte. Michael sprach bereits davon, im nächsten Sommer den jungen Cisco mit ins Geschäft zu nehmen, damit er die Grundbegriffe lernte.

Wenn er von der Quelle unter ihrem Land redete, bekam er einen verträumten Ausdruck. „Frisches Bergquellwasser in unbegrenztem Vorrat. Und es wartet nur darauf, angezapft zu werden.“ Er zog sie in die Arme. „Da liegt unsere Zukunft.“

Sie mochte es, wenn er von ihrer Zukunft sprach. Es klang, als pflastere er ihren Weg mit Gold.

An einem ungewöhhlich kühlen Augustabend, als sie auf der Veranda saßen und den letzten Gesängen der Zikaden lauschten, sprach er vom Wunsch seines Vaters, er solle hier bleiben, den Betrieb übernehmen und ihm Erben schenken.

„Ehrlich gesagt, hätte ich nie für möglich gehalten, dass mich der Gedanke mal reizt. Ich konnte es nicht erwarten, alldem hier zu entkommen. Ich hasste die harte Arbeit, die vulgäre Sprache der Männer und den Kommandoton meines Vaters. Aber das hat sich geändert“, erklärte er erstaunt, „weil ich hier etwas aufbaue, nicht nur das Geschäft. Der eigentliche Grund für meine veränderte Einstellung bist du.“ Er nahm sie bei der Hand und sah sie verliebt an.

Der Gedanke, hier mit Michael und ihren gemeinsamen Kindern zu leben, war sehr verlockend. Gerührt schmiegte sie sich an ihn, unfähig ihm zu erklären, wie viel es ihr bedeutete, Teil einer Familie, ja eines größeren Kreises von Menschen zu sein, die sich zusammengehörig fühlten. Sie kam sich wieder vor wie das kleine Mädchen, das endlich aufgefordert wurde mitzuspielen.

Später am Abend sprach er das Thema an, das ihn schon den ganzen Tag bedrückte. Sie hatte wieder mit Freddy Walen telefoniert und war danach nervös und gereizt gewesen.

Während sie vor dem Badezimmerspiegel ihr langes Haar bürstete, konnte er sich nicht satt sehen an ihr. Sie wirkte so zart und zerbrechlich, dass er ständig den Drang verspürte, sie zu beschützen. Die größte Bedrohung für sie war Freddy Walen, den er gern aus ihrem Leben verbannt hätte.

„Was wollte Walen von dir?“ fragte er, als sie zu Bett gingen.

Charlotte zog die Decke hoch und kuschelte sich an ihn. Es wurde immer schwieriger, Freddy abzuwimmeln. Sie hatte ihm erklärt, nach ihrem Erholungsurlaub in Familienangelegenheiten zu ihrer Mutter zu fliegen. Freddy hatte ein wenig gereizt, aber nachsichtig reagiert. Sein Drängen, sie solle wegen der neuen Projekte endlich Entscheidungen treffen, wurde jedoch heftiger.

„Er möchte einige Projekte persönlich mit mir besprechen.“ Sie seufzte. „Ich kann ihn nicht ewig hinhalten.“

„Warum gibst du deine Karriere nicht auf?“

Das kam aus tiefstem Herzen. Er sähe es gern, wenn sie die Schauspielerei an den Nagel hängte und sich ganz dem Leben mit ihm und seiner Familie widmete.

„Welche“, scherzte sie, „die als Schauspielerin oder die als Buchhalterin?“

„Deine Buchhaltertätigkeit passt bestens in unser Leben.“ Er drückte sie an sich. „Du könntest weitermachen wie bisher, die Bücher führen und dein Betätigungsfeld ausweiten. Ja, ich sehe es genau vor mir.“ Er streichelte ihr den Arm. „Deine vornehmste Aufgabe wäre es natürlich, für mich zu sorgen. Ich verlange meinen Teil von deiner Zeit. Bestimmt könnte ich dich aber mit den acht oder zehn kleinen Babys teilen, die wir haben werden.“

Sie lachte hell auf und schlug ihm spielerisch auf die Schulter. „Das werden wir noch sehen, Mr. Michael Mondragon.“

„Zweifellos müssten wir ein paar Räume an die Blockhütte anbauen. Zehn Jahre weiter liegen wir hier auf der abgewetzten Matratze, während die Kinder wie Hundewelpen über uns krabbeln.“ Er sah sie unschuldig lächelnd an.

Sie drohte ihm amüsiert mit dem Finger. Trotz seiner Protesthaltung zur Familie war Michael in mancher Hinsicht ein konventioneller Mann.

„Ich möchte Kinder mit dir haben. Bald.“

Sie sah, wie ernst es ihm damit war, und streichelte ihm liebevoll die Wange. Ihr Leben hier war fast ein Märchen, doch sie konnte nicht an Kinder denken, ehe sie nicht andere Entscheidungen getroffen hatte.

„Ich bin noch nicht so weit, alles aufzugeben. Freddy ist wütend, weil ich nicht sofort zurückkehre. Er akzeptiert die Pause, damit ich wieder gesund werde und familiäre Dinge kläre, aber er erwartet mich zurück, bevor Camille in die Kinos kommt. Es passiert so vieles im Moment.“

Der Name Freddy Walen wirkte auf Michael wie die rote Capa auf den Stier. Er richtete sich auf. „Du hast Recht. Es passiert sehr viel. Und ich rede nicht von deiner Filmkarriere.“

„Ich weiß.“ Sie strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich bin genauso unentschlossen bezüglich meiner beruflichen Laufbahn wie du wegen deiner. Aber vielleicht halten wir uns an die alte buddhistische Weisheit, dass zwei junge Bäume mit starken Wurzeln sich im Wind biegen sollten, damit sie nicht brechen.“

Beschwichtigt legte Michael sich wieder hin und zog sie an sich.