11. KAPITEL

Einen herrlichen Sommer lang war Michael Mondragon alles für Charlotte, ihr erster Gedanke am Morgen und ihr letzter am Abend. Ihre Haut hatte eine gesunde Färbung angenommen, teils vor Glück, teils von vieler Gartenarbeit. Sie fuhr gern mit den Händen durch die gute schwarze Erde, so wie sie nachts durch Michaels dichtes schwarzes Haar fuhr, wenn sie sich liebten. Ihre Sinne schienen geschärft zu sein: Die Luft roch besser, die Vögel sangen lauter, und sie empfand intensiver.

Vor allem war die Frau, die ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, keine Fremde mehr für sie. Michaels Liebe hatte sie selbstsicher gemacht und mit sich in Einklang gebracht. Wenn sie heute in den Spiegel schaute, gefiel ihr das Gesicht, das sie sah. Es war das Gesicht, das Michael liebte.

Er kam jeden Tag zu ihr. Meist werkelten sie ein wenig im Garten, bereiteten sich etwas zum Dinner, und er blieb bis spätnachts. Er war ein unersättlicher Liebhaber und zugleich ein unverbesserlicher Romantiker. Sie entdeckte, wie viel Sanftheit und Freundlichkeit in ihm steckte, was seine gewöhnlich strenge Miene und die zurückhaltende Art nicht gleich erkennen ließen. Vielleicht zeigt er diese Seiten aber auch nur wenigen auserwählten Menschen, überlegte sie oft, wenn sie ihm zusah, wie er professionell Gemüse putzte und dabei angeregt plauderte.

Es reizte sie zum Lachen, was für ein Plappermaul Michael nach einer leidenschaftlichen Liebesumarmung sein konnte. Sie liebte ihn über alles, und eine Zukunft ohne ihn war unvorstellbar. Nie hätte sie für möglich gehalten, sich einem anderen Menschen einmal so nahe zu fühlen.

Weshalb es immer belastender für sie wurde, ihn weiter anzulügen. Je mehr er sich ihr öffnete, desto mehr verschloss sie sich. Nach einer Liebesumarmung zog Michael sie gewöhnlich in die Arme, stopfte sich einige Kissen in den Rücken und erzählte aus seiner Kindheit, von seiner Familie und seinen Ansichten. In solchen Momenten, wenn sie sich einander am nächsten fühlten, spürte sie am deutlichsten den Abgrund, den ihre Lügen aufgetan hatten.

Er erzählte, wie sein Vater Luis in einer sternenlosen Nacht durch den Fluss in die Staaten geschwommen war und eine Frau mit einem kleinen Kind vor dem Ertrinken gerettet hatte. Er berichtete, wie er als Kind jeden Samstag von seiner Mutter mit einer Mixtur aus Eiweiß und Zitronensaft eingerieben worden war, in dem Versuch, seine dunkle Haut aufzuhellen. Zu ihrem Kummer schlug die Behandlung nicht an.

Den Kopf auf seiner Brust, hörte sie ihn lachen, wenn er von seiner ungestümen Schwester Rosa sprach, die nur Hosen getragen hatte und nie Kochen oder Tanzen lernen wollte wie andere Mädchen. Sie war die Beste ihres Softball-Teams gewesen, liebte starken Kaffee und kubanische Zigarren, war ein Genie in Mathe und Naturwissenschaften und stärker als die meisten Männer, die er kannte. Sie hatte darum gekämpft, aufs College gehen zu dürfen. Doch ein Studium war für eine junge Mexikanerin, deren Lebensaufgabe immer noch darin bestand, eine Familie zu versorgen und Kinder aufzuziehen, undenkbar. Angeblich war es verschwendetes Geld. Also hatte Rosa gleich nach der High School ihren Manuel geheiratet und führte das Geschäft mit dem Vater. Als Charlotte nach Bobby fragte, wich Michael jedoch aus.

Dafür erzählte er von den Jahren auf dem College. Er hatte vernünftige Ansichten zu Umweltverschmutzung, Politik und Religion. Doch Charlotte hielt mit ihrer Meinung zu diesen Themen ebenfalls nicht hinter dem Berg, und er war ein aufmerksamer Zuhörer. Sie war immer stolz auf ihren Intellekt gewesen, um den man sie beneidet hatte. Heute, da ihre Schönheit ihre Klugheit überflügelte, war sie dankbar für jeden anregenden Gedankenaustausch. Sie debattierten gern und hitzig miteinander. Und meistens endeten ihre Diskussionen in einer leidenschaftlichen Umarmung auf dem Bett.

Wenn Michael sich nach ihrer Kindheit erkundigte, wehrte sie mit der Bemerkung ab, da gebe es nicht viel zu erzählen.

Eines Nachts war sie schon sehr nah daran gewesen, ihm alles zu beichten: dass ihr Gesicht von einem Chirurgen geformt war und nicht von Gott, dass sie sich mit ihrer Mutter überworfen hatte und dass ihre Kindheit schwer und traurig gewesen war. Die Geschichte vom hässlichen Entlein war genau ihre Geschichte.

Doch dann betonte Michael wieder, wie fasziniert er von ihrer Schönheit sei. Wie konnte sie ihm da die Wahrheit gestehen? Wie konnte sie sagen, dass ihr Gesicht nicht echt war?

So blieben die Lügen bestehen, und je mehr Zeit verging, desto mehr verfing sie sich in ihnen.

Das ging ihr durch den Kopf, als sie energisch in ihrem spätsommerlichen Garten grub. Morgen würde sie zu den Dreharbeiten für Ein Tag im Herbst nach Maine abreisen. Ihnen blieb nur noch der heutige Tag, bevor sie sich für Monate trennen mussten. Ihre Liebe war noch zu neu, um sie auf die Probe zu stellen. Sie würde Michael alles erzählen, wenn sie zurückkam.

„Du solltest Handschuhe tragen, oder du bekommst Schwielen an den Händen.“

Charlotte erschrak und legte sich die schmutzige Hand aufs Hemd. Zugleich durchströmte sie heiße Freude, wie immer, wenn sie Michael Mondragon sah.

„Hast du mich erschreckt. Ich habe dich nicht gehört.“

„Du warst in Gedanken meilenweit weg.“

„Eigentlich nicht. Ich habe an dich gedacht.“

Die Antwort gefiel ihm. Mit leuchtenden Augen nahm er sie liebevoll in die Arme.

Freddy konnte es kaum erwarten, Charlotte zu sehen, den Reiseplan mit ihr zu besprechen und die gute Nachricht von dem neuen Projekt zu überbringen, das er für sie an Land gezogen hatte. Die Produktion von Ein Tag im Herbst lief nach Plan. Und schon hatte er ein weiteres Projekt in Arbeit. Eine große Sache mit viel Geld, weit mehr als sie erwartet hatte. Wieder etwas Historisches. Charlotte war mit ihrer klassischen Schönheit prädestiniert für solche Rollen. In Verbindung mit ihrem bemerkenswert guten Ohr für Akzente, stand ihr ein Repertoire offen, das weniger talentierten Schauspielerinnen verwehrt blieb.

Dann war da noch das Drehbuch, das LaMonica ihm geschickt hatte. Es hatte Biss, war voller Action, Romantik und Humor und hatte vor allem erinnerungswürdige Charaktere. Wenn der Film dem Buch gerecht wurde, konnte es ein Kultfilm werden.

Er kam gerade von einer Besprechung mit LaMonica, die bei Kaffee und Doughnuts in seinem Büro begonnen und sich über Lunch im Ma Maison und Cocktails in der Polo Lounge hingezogen hatte. Das Buch enthielt eine Rolle für Charlotte, die sie ganz nach vorne bringen konnte. Er wusste es, und LaMonica wusste es auch. Die Frage war nur, für wie viel.

LaMonica hatte wiederholt: „Wir verhandeln auch mit Uma Thurman.“

Und er hatte gekontert: „Ja, und wir verhandeln mit Begelman wegen eines anderen Projektes.“

Dieses Spielchen trieben sie immer. Er wusste, dass in LaMonicas Film Drehbuch und Regisseur die Stars sein sollten. Deshalb suchte er nach einer zwar unbekannten Schauspielerin, jedoch mit einem unvergesslichen Gesicht. Und das hatte er zu bieten.

Grinsend hielt er in Charlottes Zufahrt und zog die Bremse an. Er war von Anfang an hartnäckig an dieser Sache dran geblieben und hatte sie schließlich an Land gezogen. Als er LaMonicas Büro verlassen hatte, war alles klar gewesen. Es fehlte nur noch Charlottes Unterschrift unter dem Vertrag.

Er schnappte sich die Flasche Dom Pérignon vom Beifahrersitz, schlug die Autotür zu und eilte zum Haus. Er war so guter Laune, er hätte jubeln mögen. Als auf sein Klingeln niemand öffnete, ging er ungeduldig in den Garten.

Unterwegs sah er sich verblüfft um. Das Grundstück hatte sich seit seinem letzten Besuch gründlich verändert und sah richtig gut aus. Fensterläden und Tür waren türkis gestrichen. Am Eingang standen schöne Büsche. Und er ging auf einem hübschen, offenbar neu angelegten, gewundenen Gartenweg.

Als er um die Hausecke bog, blieb er verblüfft stehen. Hände auf den Hüften, betrachtete er den Garten, der wie ein kleiner Park angelegt war. Wen, zum Teufel, hatten die Mädchen beerbt? Er hörte ein Lachen und wandte den Kopf zur hinteren Terrasse. Unter einer Pergola kniete Charlotte am Boden und setzte eine Kletterpflanze ein. Neben ihr hockte ein dunkelhaariger Mann mit gebräunter Haut, zweifellos der Gärtner. Freddys Herz hüpfte fast, als er sie mit dem lustigen kleinen Strohhut und den Gartenhandschuhen sah. Sie war wirklich ein süßes Ding.

Er wollte schon winken und herüberrufen, als er sah, wie sie sich dem Gärtner zuwandte und ihm zärtlich ein Blatt aus den Haaren zupfte. Sie streichelte ihm die Wange und sah ihm liebevoll in die Augen. Der Mann erwiderte den zärtlichen Blick und küsste sie leicht auf den Mund.

Freddy ließ die Hand sinken und fürchtete, ihn träfe der Schlag. Was ging hier vor? Ein bisschen mit dem Gärtner zu flirten, war ja schön und gut. Bei diesen breitschultrigen, braun gebrannten Typen wurde fast jede Frau schwach. Aber Charlotte war sein heißes neues Talent mit jeder Menge Chancen. Sie durfte sich nicht an den Erstbesten wegwerfen.

Also, warum knutschten die hier im Garten herum wie zwei Teenager im Hormonrausch?

Sein Blut geriet in Wallung. Er würde nicht tatenlos zusehen, wie seine Investition den Bach runterging. Den Champagner fest in der Hand, marschierte er los.

„Charlotte!“ rief er. „Komm zu Daddy, Baby. Ich habe gute Neuigkeiten für dich.“

Charlotte sprang auf, und er sah zu seiner Freude, dass sie verlegen errötete. Ja, dachte er bitter, in flagranti ertappt. Er steuerte mit ausgestreckten Armen auf sie zu und umarmte sie bewusst lange und innig, um ihrem Romeo klar zu machen, dass er nicht nur ein flüchtiger Bekannter war.

Charlotte entzog sich seiner Umarmung und warf Michael einen verunsicherten Blick zu. Aus den Augenwinkeln bemerkte Freddy, dass der Dunkelhaarige die Schultern gestrafft hatte und die Szene stirnrunzelnd verfolgte. Er fand, dieser Gärtner sah aus wie ein Matador, und verabscheute ihn für seine männliche Ausstrahlung. Regelrecht verhasst war ihm der Mann jedoch dafür, dass er ihn in die Rolle des schnaubenden Stieres drängte.

„Freddy“, begann Charlotte mit hoher, nervöser Stimme, „ich möchte dich mit Michael Mondragon bekannt machen, von der Gärtnerei Mondragon.“

Seine Alarmglocken läuteten. Daher kamen also die ganzen Blumen. Mist. Er sah sich um. Was hatte sie tun müssen, all das zu verdienen? Freddy streifte ihn bewusst nur mit einem Seitenblick. „Hm, ja.“

Charlotte errötete, und der junge Mann betrachtete ihn unverhohlen feindselig. Freddy gab noch eins drauf, indem er ihm den Rücken zukehrte und Charlotte ansprach. „Können wir irgendwo hingehen und reden? Allein.“ Er warf dem anderen einen abfälligen Blick zu. „Schick deinen Gärtner heim. Es ist sowieso nach Geschäftsschluss.“

„Er ist nicht mein …“

„Ich glaube, Sie missverstehen die Situation“, begann der Mann mit tiefer, drohender Stimme.

Provozierend langsam drehte Freddy sich zu ihm um und maß ihn mit einem abschätzenden Blick. Ein Trick, den er vor Jahren von einem kleinen kahlköpfigen Filmmogul gelernt hatte. Straffe Schultern und verächtliche Haltung verfehlten nie ihre einschüchternde Wirkung. „Ach ja?“ fragte er gedehnt. „Und woher wollen Sie wissen, was ich missverstehe?“

Der junge Mann war jedoch nicht einzuschüchtern. Vielmehr lächelte er überlegen spöttisch, was Freddy fast zur Weißglut trieb. „Ich habe nicht die Absicht zu gehen, denn ich bin gerade erst gekommen“, teilte er ihm in einer weltmännischen Art mit, die für einen Gärtner erstaunlich war. „Meine Beziehung zu Miss Godfrey ist persönlicher Natur. Sie sind es wohl, der die Geschäftsstunden einhalten sollte, und es ist …“, er blickte kurz zur rot untergehenden Sonne, „… bereits ziemlich spät. Sagen Sie bitte, was Sie zu sagen haben, und gehen Sie. Wir wollten gerade zum Dinner.“

Alles, was Freddy seit dem Morgen gegessen hatte, schien in seinem Magen zu rebellieren. Sein Temperament ging mit ihm durch. Er trat auf den Mann zu, stieß ihm den Zeigefinger in die Brust und schob ihn zurück. „Hören Sie zu, Sie lausiger Latino! Ich sollte …“

Weiter kam er nicht. Eine Hand schoss blitzartig vor und packte ihn bei den Aufschlägen. Der Mann kam mit seinem Gesicht bedrohlich nah und zischte: „Nennen Sie mich nie wieder so!“

„Michael, bitte!“ flehte Charlotte. Die zitternden Hände auf seinen Schultern, versuchte sie ihn zurückzuziehen. „Bitte, lass ihn los!“

Freddy schämte sich, dass sie für ihn bettelte, hielt aber klugerweise den Mund. Hochrot im Gesicht, die Kehle fast zugeschnürt, konnte er gegen den jungen Mann kaum etwas ausrichten. Insgeheim schwor er jedoch Rache.

Michael atmete tief durch und ließ Freddys Aufschläge mit jener machohaften Geste los, in der Latinos unnachahmlich waren – eine Geste, die besagte, dass er sich schmutzig machen würde, wenn er ihn weiter anfasste.

„Fordern Sie nie jemanden heraus, wenn Sie nicht auf Gegenwehr gefasst sind“, riet Michael und wandte sich ab, wie ein Matador, der dem Stier den Todesstoß versetzt hat. Freddy war tief in seinem Stolz verletzt.

„Freddy?“ Charlotte kam besorgt näher. „Alles in Ordnung mit dir?“

Ihr beschämendes Mitgefühl machte ihn nur noch wütender. „Ja, natürlich“, entgegnete er, stieß sie mit dem Ellbogen weg und richtete sich die Krawatte. „Was glaubst du denn? Dass dein Muskelmann da irgendein Scheißheld ist?“ Er ließ seine Krawatte los und rollte die Schultern. „Servier ihn ab, bevor ich die Polizei hole.“

„Ich kann nicht …“

„Servier ihn ab!“ fuhr er sie wütend an.

Michael drehte sich mit geballten Händen um. Sie vertrat ihm den Weg. „Freddy, hör auf, ihn zu provozieren!“ wies sie ihn über die Schulter hinweg an. „Geh ins Haus. Ich komme gleich zu dir. Ich muss eine Minute mit Michael reden. Bitte, Freddy“, drängte sie scharf, da er sich nicht bewegte.

Er nahm die Champagnerflasche auf, die bei dem Gerangel zu Boden gefallen war, und dachte säuerlich, dass er sie jetzt nicht öffnen konnte, weil sie sonst Schaum spritzend explodierte. Das machte ihn nur noch wütender, als er mit festen Schritten ins Haus stapfte.

Vom Küchenfenster aus sah er Charlotte mit dem Mann reden. Dabei ließ sie eine Hand über die Knopfleiste seines Hemdes wandern. Mist, dachte er und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Sie beschwichtigte den Kerl auch noch. Er musste diese Geschichte beenden, und zwar rasch. Versonnen rieb er sich das Kinn, das nach einem langen harten Verhandlungstag für die Zukunft dieses Mädchens stoppelig war.

Okay, okay. Zunächst mal brachte er sie für die Dreharbeiten weg von ihrem Latin Lover. Sie hatte diese kleine, aber wichtige Rolle, die sie für einige Wochen, maximal einen Monat von ihm fern hielt. Aber danach kehrte sie zurück in ihren Garten und zu ihrem Freund. Das war nicht gut. Er musste sie mit einigen großen Namen zusammenbringen, mit attraktiven Schauspielern, die sie von diesem Macho da draußen ablenkten. Ja, vielleicht mit Johnny Depp. Der ähnelte dem Typ, und was ihm an Größe fehlte, machte er durch Starruhm wett. Charlotte war groß und biegsam. Depps Typ. Vielleicht funktionierte es. Er würde sich gleich an die Arbeit machen.

Während er zusah, beugte sich dieser Mondragon vor, küsste Charlotte fest auf den Mund und ließ die Hände besitzergreifend über ihren Körper fahren. Freddy wurde der Mund trocken vor Verzweiflung. Er schloss die Augen und stellte sich vor, die Hände über Charlottes verführerische Kurven gleiten zu lassen. Sein Verlangen war nur ein dumpfer Schmerz in seinen Lenden und ein Fluch für ihn.

Als er die Augen aufschlug, entdeckte er im Nebenzimmer etwas, das nur eine Vision sein konnte. Er blinzelte, um das Trugbild zu verscheuchen, doch eine kleinere und kurvigere Version von Charlotte Godfrey kam auf ihn zu. Sie trug eine schlichte Pullover-Rock-Kombination aus Seide in Charlottes bevorzugter Cremefarbe. Während sie durch den schattigen Wohnraum ging, merkte er, dass ihr blondes Haar zurückgekämmt war, wie André es für Charlotte kreiert hatte. An den Füßen trug sie dieselben hohen Pumps, die er bei Charles Jourdan für Charlotte ausgesucht hatte. Verblüfft blickte er in den Garten. Dort tanzte die echte Charlotte noch immer mit ihrem Mambo-König. Doch durch die Küche tänzelte die andere, kurvenreichere Imitation auf ihn zu.

„Freddy“, hauchte sie und blieb scheu diesseits der hell erleuchteten Schwelle stehen.

Er zog verblüfft die Brauen hoch. Es war Melanie Ward, aber irgendwie doch nicht. Sie hatte Haarfarbe, Make-up und Kleidung verändert und sich zu Charlotte Godfrey gestylt.

Offenbar merkte sie, wie lüstern er sie anstarrte, und unternahm nichts, das zu unterbinden. Im Gegenteil, sie lehnte sich provozierend gegen die Wand, streckte die Brust heraus und schürzte die Lippen. Sie verhielt sich, wie er es von Charlotte nie erwarten würde, es sich aber insgeheim wünschte.

Wenn er genau hinsah, erkannte er, dass das Haar weniger seidig und die Haut weniger makellos war als bei Charlotte. Jedoch war die Imitation gut genug, sich für einen Moment vorzustellen, es sei das Original.

Er trat vor, riss sie an sich und küsste sie mit der Leidenschaft, die er bei Michael gesehen hatte. Melanie stöhnte leise auf, was ihn noch mehr anstachelte. Wie von Sinnen nach der durch Mondragon erlittenen Schmach, riss er ihr ein Bein hoch, schlang es sich um die Hüfte und schob sie gegen die Wand. Sie schlug mit dem Kopf dagegen, drängte sich jedoch leidenschaftlich an ihn, ohne den Kuss zu unterbrechen. Mit wachsender Heftigkeit stieß er erregt die Hüften rhythmisch gegen ihre. Keuchend suchte Melanie seine Gürtelschnalle und öffnete sie. Er stöhnte an ihrer Halsbeuge, als sie die Hand tiefer schob, um ihn zu streicheln. Verblüfft verharrte sie, sank auf die Knie und wollte ihm den Reißverschluss öffnen. „Freddy, lass mich“, bat sie leise, als er sich zurückzog. „Gib mir eine Chance.“

Er zog den Bauch ein und riss ihre Hand so grob weg, dass Melanie aufschrie. Dann schob er sie mit derselben verächtlichen Geste von sich, wie Michael es bei ihm gemacht hatte.

Er schloss den Gürtel und verfluchte sich, Melanie und das Schicksal allgemein. Während seine Atmung langsam ruhiger wurde, betrachtete er Melanie im grellen, gnadenlosen Neonlicht.

Ihr Pullover war über die Brüste hochgeschoben, und ihr zerknautschter Rock lag nur noch wie ein Schal um ihre runden Hüften. Ihr Gesicht war mit verlaufender Mascara und Lippenstift verschmiert. Wie hatte er sich nur einbilden können, sie sei Charlotte? Sie war eine krasse, billige Version des Originals. Er verabscheute sie dafür, dass sie ihn in Versuchung geführt hatte.

„Freddy?“ Mit Tränen in den Augen zog sie ihren Pullover herunter und suchte nach einer Erklärung. Er kannte diesen Blick und hatte ihn oft genug bei Frauen gesehen. Sie hielten es immer für ihre Schuld, und es war besser, sie in dem Glauben zu lassen.

„Das hier ist nie passiert“, sagte er kühl und zupfte sich seine Manschetten zurecht. „Hast du verstanden? Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.“

Melanie wirkte gekränkt, doch dann wurde ihr Blick hart. Sie sah auf seinen Hosenschlitz, wischte sich schniefend die Tränen unter den Augen fort und straffte sich.

„Ja?“ fragte sie und schob keck eine Hüfte vor. „Das könnte dir so passen. Was ist los? Bin ich dir nicht gut genug? Bringt ihn nur das Original hoch?“

„Halt die Klappe!“ schrie er sie an. Seine Furcht drohte ihn zu ersticken.

Melanie sah ihn lange durchdringend an, bis es ihr dämmerte. Dann überzog ein boshaftes Lächeln ihr Gesicht. „Allmählich kapiere ich. Es geht weder um Charlotte noch um mich. Gleichgültig, wie wir aussehen oder uns kleiden, wir könnten uns wie rollige Katzen an dir reiben, und es würde nichts bringen, richtig? Ich habe Gerüchte gehört, aber ich habe es nicht geglaubt.“

Er stand stocksteif. „Was hast du gehört?“

„Dass du ihn nicht hochkriegst. Nichts. Tote Hose.“ Sie lachte laut auf.

Freddy wandte sich ab, damit sie seine Panik nicht bemerkte. Er hatte teuer dafür bezahlt, dass sein Geheimnis geheim blieb. Seine Exfrau Ali war zum Stillschweigen verpflichtet worden. Dafür hatte sie fast jeden sauer verdienten Cent von ihm erhalten. Wenn seine Impotenz publik wurde, machte man sich in der Branche nur noch über den Schwächling lustig. Dann gehörte er nicht mehr zum Kreis der wichtigen Leute. Das durfte nicht geschehen. Nicht gerade jetzt, da er wieder Boden unter die Füße bekam.

„Vergiss nicht, wer ich bin“, sagte er frostig. „Halt den Mund, und ich besorge dir eine Rolle in Charlottes neuem Film. Aber ein Wort über diese Sache, und deine Karriere ist beendet.“ Er sah zu Melanie, die mit hängenden Schultern geschlagen dastand und sein Angebot erwog. „Wir wissen beide, dass die Geier bereits kreisen.“

„Fahr zur Hölle, Freddy!“

Er sah abwartend aus dem Fenster. Charlotte brachte ihren Gärtner zum Tor. Der Wind wehte ihr den Strohhut vom Kopf, und sie lief lachend hinterher wie ein Schulkind.

„Okay“, antwortete Melanie eingeschnappt. „Abgemacht.“

Freddy hörte nicht mal hin. Er war geradezu besessen von der Eifersucht auf den großen, gut aussehenden Mann, der Charlotte jetzt am Tor in die Arme nahm und sie auf die Stirn küsste. Nur jemand mit so ausgeprägter Männlichkeit brachte eine Frau selbst mit einem flüchtigen Kuss zum Beben, wie ihm das bei Charlotte offenbar gelang.

Seit über zwanzig Jahren haderte Freddy mit Gott wegen des Unfalls, der ihn impotent gemacht hatte. Der Zorn darüber fraß an seiner Seele wie ein bösartiger Tumor. Plötzlich hatte dieser Zorn ein Ziel: die selbstsichere Männlichkeit des Michael Mondragon.